moderne stähle für den bau von offshore-konstruktionen - herstellungsverfahren und eigenschaften

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Fachthemen DOI: 10.1002/stab.201430003 10 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau Spezial 2014 – Erneuerbare Energien Stähle, die vor der Küste im Meer (offshore) sowohl in Bauwerken zur Öl- und Gasförderung als auch in Offshore-Windanlagen ver- wendet werden, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Diese sind deutlich höher als für ähnliche Bauwerke an Land. Die offshore verwendeten Stähle müssen neben den vom Konstrukteur geforder- ten Streckgrenzen und Festigkeiten auch sehr hohe Zähigkeiten besitzen. Gleichzeitig soll eine möglichst gute Schweißbarkeit sichergestellt sein. Erhöhte Festigkeiten werden vor allem benötigt, um durch die Verwendung dünnerer Bleche leichtere Konstruktio- nen, die sich besser errichten oder transportieren lassen, ver- wirklichen zu können. Auch wird der Umfang der Schweißarbeiten infolge der Verwendung dünnerer Bleche reduziert. Erhöhte Zähig- keit ist von Bedeutung, um Materialschäden wie sprödes Versagen zu vermeiden oder bestehende Anrisse aufzufangen und damit der Konstruktion eine größere Sicherheit zu geben. Um diese Eigenschaften einstellen zu können, werden beim Wal- zen des Materials mit kontrollierten thermomechanischen Walz- verfahren bei bestimmten Temperaturen auftretende metallphy- sikalische Prozesse ausgenutzt. Ferner können der Stahlschmelze Legierungsmittel zugegeben werden. Durch ein schlankes Legie- rungsmittelkonzept lässt sich die Anfälligkeit gegen Risse in der Wärmeeinflusszone, die beim Schweißen entstehen können, ver- mindern. Aufwendige Vorwärmprozeduren können hierdurch wegfallen. Das hohe Zähigkeitsniveau des Grundwerkstoffs tole- riert die in der Wärmeeinflusszone zu erwartende Abnahme der Zähigkeit, da die gesunkenen Werte nach wie vor weit oberhalb der kritischen Werte liegen werden. Bei Schweißfehlern verhält sich das Material fehlerverzeihender als dies bei früher produ- zierten Stählen der Fall ist. 1 Einleitung Stahl ist der Werkstoff erster Wahl für die Förderung und den Transport von Primärenergie. In der arabischen Wüste und der arktischen See werden Öl und Gas mit Bohrein- richtungen aus Stahl gefördert. Sie werden zu Verbrau- chern über Kontinente und Meere in Pipelines aus längs- naht-geschweißten Rohren oder in großen Tankern aus Stahl transportiert. Auch die Entwicklung der erneuerba- ren Energien, wie z. B. der Offshore-Windenergie, wäre ohne Stahl unmöglich. Die meisten dieser Bauten im Meer, die hohen statischen und dynamischen Belastungen ausge- setzt sind, werden auf Stahl gegründet. Dieses wurde mög- lich, da Stahlhersteller ihre jahrzehntelange Erfahrung, die sie in anderen Energiesektoren gewonnen haben, nutzen konnten, um optimierte Prozesse zu entwickeln. Für all diese Anwendungen verfügt die Stahlindustrie über spezielle Stahlgüten, um Bauten in diesen neuen, ex- tremen Umgebungsbedingungen errichten und die dort vor- handenen Rohstoffe abbauen zu können. Ziel dieses Beitra- ges ist es, einen Überblick über die möglichen Stahllösungen und deren Herstellung für spezielle Offshore-Energiepro- duktionsstätten für Öl und Gas sowie Wind zu geben. 2 Anforderungen an den Stahl in Offshore-Bauwerken Die Anforderungen an Stahl, der zum Bau von Offshore- Bauwerken eingesetzt wird, werden zunächst durch die Betriebsbedingungen bestimmt, die wesentlich anspruchs- voller als für vergleichbare Onshore-Anwendungen sind. Offshore-Bauwerke müssen besonders für folgende Anfor- derungen ausgelegt sein: raue Wetterbedingungen vor der Küste – kalt und win- dig hohe dynamische Lasten durch Wellen und Gezeiten- wechsel Errichtung in sehr tiefen Gewässern immer größer werdende Anlagen Weiterhin spielen wirtschaftliche und technologische As- pekte eine wichtige Rolle: Die ökonomische Fertigung dieser Strukturen benötigt Bleche in größtmöglichen Abmessungen, die hervorra- gend schweißbar sind. Auf diese Weise wird der Ferti- gungsaufwand reduziert. Die Fertigung muss günstig und sicher gestaltet werden und auch die Möglichkeit zur Automatisierung der Fertigung muss gegeben sein. Offshore-Bauwerke werden immer größer und werden in immer tieferem Wasser errichtet. Daher benötigen sie immer dickere Bleche. Gleichzeitig werden hochfeste Stahlgüten eingesetzt, um die mechanischen Anforde- rungen an die Konstruktionen zu erfüllen und das Ge- wicht in Grenzen zu halten. In diesem Zusammenhang werden folgende Anforderun- gen an die Werkstoffe und die zu verwendenden Bleche gestellt: statische und dynamische Festigkeit im Interesse der Gewichtsersparnis, aber immer noch große Dicke we- gen der großen Bauteile hohe Zähigkeit und Duktilität zum sicheren Betrieb des Bauwerkes Moderne Stähle für den Bau von Offshore-Konstruk- tionen – Herstellungsverfahren und Eigenschaften Tobias Graf Andreas Thieme Falko Schröter

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Page 1: Moderne Stähle für den Bau von Offshore-Konstruktionen - Herstellungsverfahren und Eigenschaften

Fachthemen

DOI: 10.1002/stab.201430003

10 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau Spezial 2014 – Erneuerbare Energien

Stähle, die vor der Küste im Meer (offshore) sowohl in Bauwerken zur Öl- und Gas förderung als auch in Offshore-Windanlagen ver-wendet werden, müssen besondere Anforderungen erfüllen. Diese sind deutlich höher als für ähnliche Bauwerke an Land. Die offshore ver wen deten Stähle müssen neben den vom Konstrukteur geforder-ten Streckgrenzen und Festigkeiten auch sehr hohe Zähigkeiten besitzen. Gleichzeitig soll eine möglichst gute Schweißbarkeit sichergestellt sein. Erhöhte Festigkeiten werden vor allem benötigt, um durch die Verwendung dünnerer Bleche leichtere Konstruk tio-nen, die sich besser errichten oder transportieren lassen, ver-wirklichen zu können. Auch wird der Umfang der Schweißarbeiten infolge der Verwendung dünnerer Bleche reduziert. Erhöhte Zähig-keit ist von Bedeutung, um Materialschäden wie sprödes Versagen zu vermeiden oder bestehende Anrisse auf zufangen und damit der Kon struktion eine größere Sicherheit zu geben.Um diese Eigenschaften einstellen zu können, werden beim Wal-zen des Materials mit kontrollierten thermomechanischen Walz-verfahren bei bestimmten Temperaturen auftretende metallphy-sikalische Prozesse ausgenutzt. Ferner können der Stahlschmelze Legierungsmittel zugegeben werden. Durch ein schlankes Legie-rungsmittelkonzept lässt sich die Anfälligkeit gegen Risse in der Wärmeeinflusszone, die beim Schweißen entstehen können, ver-mindern. Aufwendige Vorwärmprozeduren können hierdurch wegfallen. Das hohe Zähigkeitsniveau des Grundwerkstoffs tole-riert die in der Wärmeeinflusszone zu erwartende Abnahme der Zähigkeit, da die gesunkenen Werte nach wie vor weit oberhalb der kritischen Werte liegen werden. Bei Schweißfehlern verhält sich das Material fehlerverzeihender als dies bei früher produ-zierten Stählen der Fall ist.

1 Einleitung

Stahl ist der Werkstoff erster Wahl für die Förderung und den Transport von Primärenergie. In der arabischen Wüste und der arktischen See werden Öl und Gas mit Bohrein-richtungen aus Stahl gefördert. Sie werden zu Verbrau-chern über Kontinente und Meere in Pipelines aus längs-naht-geschweißten Rohren oder in großen Tankern aus Stahl transportiert. Auch die Entwicklung der erneuerba-ren Energien, wie z. B. der Offshore-Windenergie, wäre ohne Stahl unmöglich. Die meisten dieser Bauten im Meer, die hohen statischen und dynamischen Belastungen ausge-setzt sind, werden auf Stahl gegründet. Dieses wurde mög-lich, da Stahlhersteller ihre jahrzehntelange Erfahrung, die sie in anderen Energiesektoren gewonnen haben, nutzen konnten, um optimierte Prozesse zu entwickeln.

Für all diese Anwendungen verfügt die Stahlindustrie über spezielle Stahlgüten, um Bauten in diesen neuen, ex-tremen Umgebungsbedingungen errichten und die dort vor-handenen Rohstoffe abbauen zu können. Ziel dieses Beitra-ges ist es, einen Überblick über die möglichen Stahllösungen und deren Herstellung für spezielle Offshore-Energiepro-duktionsstätten für Öl und Gas sowie Wind zu geben.

2 Anforderungen an den Stahl in Offshore-Bauwerken

Die Anforderungen an Stahl, der zum Bau von Offshore-Bauwerken eingesetzt wird, werden zunächst durch die Betriebsbedingungen bestimmt, die wesentlich anspruchs-voller als für vergleichbare Onshore-Anwendungen sind. Offshore-Bauwerke müssen besonders für folgende Anfor-derungen ausgelegt sein: – raue Wetterbedingungen vor der Küste – kalt und win-

dig – hohe dynamische Lasten durch Wellen und Gezeiten-

wechsel – Errichtung in sehr tiefen Gewässern – immer größer werdende Anlagen

Weiterhin spielen wirtschaftliche und technologische As-pekte eine wichtige Rolle: – Die ökonomische Fertigung dieser Strukturen benötigt

Bleche in größtmöglichen Abmessungen, die hervorra-gend schweißbar sind. Auf diese Weise wird der Ferti-gungsaufwand reduziert. Die Fertigung muss günstig und sicher gestaltet werden und auch die Möglichkeit zur Automatisierung der Fertigung muss gegeben sein.

– Offshore-Bauwerke werden immer größer und werden in immer tieferem Wasser errichtet. Daher benötigen sie immer dickere Bleche. Gleichzeitig werden hochfeste Stahlgüten eingesetzt, um die mechanischen Anforde-rungen an die Konstruktionen zu erfüllen und das Ge-wicht in Grenzen zu halten.

In diesem Zusammenhang werden folgende Anforderun-gen an die Werkstoffe und die zu verwendenden Bleche gestellt: – statische und dynamische Festigkeit im Interesse der

Gewichtsersparnis, aber immer noch große Dicke we-gen der großen Bauteile

– hohe Zähigkeit und Duktilität zum sicheren Betrieb des Bauwerkes

Moderne Stähle für den Bau von Offshore-Konstruk-tionen – Herstellungsverfahren und Eigenschaften

Tobias GrafAndreas ThiemeFalko Schröter

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11Stahlbau Spezial 2014 – Erneuerbare Energien

2.3 CTOD-Tests

Der CTOD-Test ist eine bruchmechanische Untersuchungs-methode, um den Widerstand des Materials gegen Spröd-bruch insbesondere in der Wärmeeinflusszone (WEZ) der Schweißnaht sicherzustellen. Diese Untersuchungen wer-den meistens während der Zulassung des Materials durch-geführt, um den Kunden vorqualifiziertes Material anbie-ten zu können. Im klassischen Öl- und Gas-Geschäft müs-sen solche Tests auf jeden Fall ausgeführt werden, um ein höchst mögliches Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Zum Bau dieser Strukturen werden Stähle mit hohen Zä-higkeitsreserven bevorzugt. Diese werden typischerweise in thermomechanischen Verfahren gewalzt.

2.4 Umformbarkeit

Eine Kaltumformung von mehr als 3 % ist im klassischen Offshore-Bereich nur erlaubt, wenn bei Reckalterungs-versuchen am Grundmaterial noch ausreichende Zähigkei-ten im Kerbschlagbiegeversuch ermittelt werden. Diese Versuche werden normalerweise mit 5 % Kaltverformung und nachfolgender Tieftemperaturanlassbehandlung durchgeführt. Falls die Kaltverformung in der Konstruk-tion, typischerweise bei der Fertigung der Konstruktions-rohre, 5 % übersteigt, werden die Proben mit dem tatsäch-lichen Umformgrad kalt verformt und dann wie zuvor be-probt.

3 Übersicht über die verwendeten Herstellungs- prozesse

Die Produktionsroute vom Eisenerz bis zum fertigen Grob-blech lässt sich in mehrere Stufen gliedern. Im Hochofen-prozess wird aus den vorbereiteten Eisenerzen mit Hilfe von Koks als Reduktionsmittel das flüssige Roheisen her-gestellt. Primäres Ziel bei der Weiterverarbeitung des Roh-eisens im Stahlwerk ist die Erzeugung einer maßgeschnei-derten Legierung. Weitere Anforderungen sind in Abhän-gigkeit vom Anwendungszweck ein hoher Reinheitsgrad der Schmelze und ein sauberes Vergießen in Bezug auf einen möglichst guten Seigerungsgrad der in der Strang-gussanlage erzeugten Brammen. Dies ist neben dem Walz-prozess entscheidend, um die bei Offshore-Stählen gefor-derten Eigenschaften insbesondere bei halber Blechdicke gewährleisten zu können. Ferner sollten möglichst große Brammen sowohl in Dicke als auch in Länge und Breite, also mit möglichst großem Gewicht, erzeugt werden. Dies erlaubt zum einen eine ausreichend große Dickenverfor-mung zur Verschmiedung des Kerns der Bramme und zum anderen die Produktion möglichst großer Bleche, um den Fertigungsaufwand beim Bau der Installationen zu redu-zieren.

Im Walzwerk werden die vom Stahlwerk gelieferten Brammen zunächst erwärmt und anschließend zu so ge-nannten Walztafeln gewalzt. Nach dem Kühlen folgt ge-gebenenfalls eine Wärmbehandlung der Walztafeln, be- vor schließlich die Bleche herausgeschnitten werden. Schweißbare Stahlbaugüten werden im normalisierten, vergüteten oder im thermomechanisch gewalzten Zustand angeboten. Die schematische Darstellung der Prozesse ist in den Bildern 1 und 2 zu sehen.

– große Blechabmessungen, um die Konstruktions- und Schweißkosten zu reduzieren

– ausreichende Produktionskapazitäten in den Stahl- und Blechwalzwerken, um das benötigte Material im engen Zeitfenster des Projektablaufs liefern zu können

Der Betrieb der Offshore-Bauwerke findet weltweit in einer Bandbreite von –10 bis +40 °C statt. Ferritische Stähle mit ihrem Zähigkeitsabfall bei tiefen Temperaturen sind nur im unteren Betriebstemperaturpunkt kritisch. Eine Design-temperatur von –10 °C ist typisch für Offshore-Bauwerke in der Nordsee. Viel wichtiger ist es, in Betracht zu ziehen, dass bei der Verarbeitung insbesondere das Schweißen ne-gativen Einfluss auf die Zähigkeit des Stahls in der Wärme-einflusszone (WEZ) hat. Dies ist der Grund, warum im Offshore-Bereich meist Stähle benutzt werden, die für diese Verwendung speziell qualifiziert sind. Für diesen Eignungs-nachweis werden Versuchsschweißungen am zu qualifizie-renden Material bruchmechanisch (unter anderem mit CTOD-Tests) im Rahmen der Prequalifikation – also vorab und nicht in der normalen Produktionsüberwachung – ge-testet.

Stähle für die Verwendung im Offshore-Bereich wer-den in verschiedene Streckgrenzenklassen unterteilt: – normalfest mit Steckgrenze ReH bis 285 MPa – höherfest mit Streckgrenze ReH > 285 bis 380 MPa – hochfest mit Streckgrenze ReH > 380 MPa (hier sind no-

minelle Streckgrenzen bis 500 MPa möglich)

2.1 Für alle Stähle wichtige grundlegende Annahmen

Im Gegensatz zum Öl- und Gas-Bereich werden in der Offshore-Wind-Industrie fast nur Stähle der Streckgren-zenklasse 355 eingesetzt, da die Auslegung gegen Ermü-dung von großer Bedeutung ist. Die normalfesten Güten werden typischerweise nach der Stahlbaunorm EN 10025, die Güten darüber meist nach der Offshore-Norm EN 10225 spezifiziert.

Offshore-Güten in der Nordsee werden größtenteils in der hochfesten Klasse mit einer Mindeststreckgrenze bis 500 MPa geliefert. In einzelnen Fällen, wie z. B. für die Zahnstangen von Jack-up Rig-Plattformen oder Errichter-schiffen, werden Stähle mit einer Streckgrenzenklasse von 690 MPa produziert. Die maximal benötigte Dicke kann hier bis zu 210 mm bei Zähigkeitsanforderungen in halber Blechdicke bei –60 °C betragen.

2.2 Anforderungen in Dickenrichtung

Für Bauteile, die in der Dickenrichtung des Bleches belastet werden, muss Stahl mit Anforderungen in Dickenrichtung bestellt werden, um die Stabilität der Schweißverbindun-gen bei Belastung in dieser Richtung sicherzustellen. Grundlage für zufriedenstellende mechanische Eigenschaf-ten in Dickenrichtung ist neben der Verwendung eines Stahles mit gutem Reinheitsgrad die Produktion von Bram-men mit einer guten Erstarrungsmorphologie ohne starke Seigerungen und Lunker. Ferner muss die Brammendicke ausreichend groß sein, damit der Kern, in dem letztge-nannte Erscheinungen auftreten, beim Walzen gut verformt wird.

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12 Stahlbau Spezial 2014 – Erneuerbare Energien

3.2 Vergütete Stähle

Mit dem Härten und Anlassen (Vergüten) ist es möglich, Baustähle mit Streckgrenzen bis zu 1100 MPa zu produ-zieren. Diese Wärmebehandlung (Prozess C, Bild 1) be-steht nach dem Warmwalzen aus einem Aufheizen auf die Austenitisierungstemperatur (900 °C) und darauffolgendem Abschrecken auf Raumtemperatur mit Wasser. Das hierbei entstandene martensitische Gefüge wird angelassen und zeigt dann neben hohen Streckgrenzen- und Festigkeits-werten auch ausreichende Zähigkeit. Im Offshore-Bereich sind Stähle bis 690 MPa im Einsatz.

3.3 Thermomechanisch gewalzte Stähle

Ziel beim thermomechnischen Walzen (TM oder TMCP – thermo mechanical controled process) ist es, ein besonders feinkörniges Gefüge zu erzeugen, wodurch sowohl die Zä-higkeit als auch die Streckgrenze und Festigkeit steigen. Das Walzen der Bramme erfolgt bei vorab in einem Stich-plan definierten Temperaturen und Stichabnahmen je Walzstich. Je nach gewähltem Verfahren kann sich an das Ende des Walzprozesses noch eine Kühlung anschließen. Einige mögliche TM-Prozesse sind in Bild 1 gezeigt. Die Prozesse werden mit engen Temperatur-Toleranzen durch-geführt, um eine möglichst geringe Streuung der mecha-nisch-technologischen Werte im Blech zu erhalten. Ferner werden für diese Walzverfahren Stahlschmelzen mit ge-genüber normalisierten Güten deutlich schlankeren Legie-rungskonzepten verwendet. Vor allem der Kohlenstoffge-halt kann stark abgesenkt werden. Auch die Wirkung kornverfeinernder Mikrolegierungselemente wie Niob wird genutzt. Die geringeren Kohlenstoffäquivalente sind für die bessere Schweißbarkeit von TM-Stählen verant-wortlich.

Der Stichplan wird für jedes Blech individuell entwor-fen. Ebenso wird für jede Blechdicke und jede Güte eine spezielle Stahlschmelze vorgegeben. Nur durch dieses Vor-gehen können die besonderen Anforderungen aus dem Bereich der Offshore-Stähle erreicht werden.

3.1 Normalisierte Stähle

Stähle mit Streckgrenzen bis 460 MPa und geringeren Zähigkeitsanforderungen können im konventionellen Pro-zess warm gewalzt und anschließend normalisiert werden. Das Warmwalzen zum Einstellen der Blechgeometrie wird bei Temperaturen von über 950 °C durchgeführt (s. Pro-zess A in Bild 1). Die Wärmebehandlung der warmgewalz-ten Bleche erfolgt anschließend durch ein Wiederaufhei-zen auf etwa 900 °C, um das Gefüge des Stahls in die Mo-difikation des Austenits zu überführen. Daran schließt sich eine Abkühlung an Luft an. Resultierend ergibt sich eine feinkörnige Mikrostruktur aus Ferrit und Perlit (Prozess B, Bild 1), die gegenüber dem Walzgefüge eine wesentlich bessere Zähigkeit zeigt.

Bild 2.  Gefüge von normalisiertem Stahl (Prozess A und B, Bild 1), verglichen mit den Gefügen eines TM-gewalzten Stahls abgekühlt an Luft (Prozess D), eines TM-gewalzten Stahls mit beschleunigter Abkühlung TM + ACC (Prozess F) und eines vergüteten Stahls (Prozess A und C)

Bild 1.  Schematische Tem-peratur-Zeit-Verläufe bei der Blechfertigung von normali-sierten Blechen (Prozess A und B), vergüteten Blechen (Prozess A und C) und ver-schiedenen TM/TMCP-Ver-fahren (Prozess D bis G) [1]

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definieren. Steigende Streckenenergie und höhere Zwi-schenlagentemperaturen führen zu langsameren Abkühl-geschwindigkeiten und damit zu größeren t8/5-Zeiten. Aus Kenntnis der Schweißparameter und der Schweißnahtgeo-metrie kann nach EN 1011-2:2001 [4] die t8/5-Zeit berech-net werden.

Die Messung der Härte in der WEZ ist ein einfacher Test, um lokale Eigenschaften in einer komplexen Mehrla-genschweißung zu messen. Andere verfügbare Testmetho-den wie Zugversuche in Querrichtung der Schweißnaht, Biege- oder Kerbschlagproben sind Methoden, mit denen integrale Werte über mehrere Bereiche der WEZ oder so-gar zusätzlich des Grundmaterials ermittelt werden. Die Härte in der Grobkornzone auf Rahmenplatten, die mit unterschiedlichem Wärmeeinbringen geschweißt wurden, ermöglicht das Umwandlungsverhalten bestimmter Stahl-analysen zu ermitteln. Das Umwandlungsverhalten ist hauptsächlich von der chemischen Zusammensetzung des Stahls, der Abkühlrate und falls durchgeführt von der nachfolgenden Wärmebehandlung abhängig. Die Härte kann in Abhängigkeit von der t8/5-Zeit aufgetragen wer-den, um das Umwandlungsverhalten der verschiedenen Stähle darzustellen (Bild 4).

Um zufriedenstellende Eigenschaften des Schweißma-terials und der WEZ sicherzustellen, müssen die Schweiß-parameter mit steigendem Streckgrenzen-Niveau des Stahls stärker kontrolliert und eingeschränkt werden. Im Ver-gleich von normalisierten und TM-gewalzten Stählen kann gezeigt werden, dass das Härteniveau in der WEZ eines TM-gewalzten Stahls in der Streckgrenzenklasse 500 MPa (S500M) unter dem eines herkömmlichen normalisierten Stahls der Streckgrenzenklasse 355 MPa (S355J2+N) liegt (Tabelle 1). In Bild 5 sind Ergebnisse der Härtemessung in der WEZ an einem S500M aufgetragen. Ferner spielt bei kurzen Abkühlzeiten die unterdrückte Wasserstoffeffusion eine Rolle, die in der Folge zu wasserstoffinduzierten Kalt-rissen führen kann.

Während des Schweißens muss die Schweißenergie und damit die Abkühlzeit auf einen maximalen Wert be-grenzt werden. Bei höheren Streckenenergien steigt die Tendenz zu Kornvergröberung und damit auch die Gefahr der Reduzierung des Zähigkeitsniveaus und des Auftretens

Mit dem TM-Verfahren können Bleche bis zu einer Dicke von 140 mm und einer nominalen Streckgrenzen-klasse von 500 MPa hergestellt werden [2]. Diese Güten finden verstärkt Anwendung in Offshore-Bauwerken, wo sie für eine nicht unerhebliche Gewichtseinsparung verant-wortlich sind. Ferner werden sie auch in Spezialschiffen oder auch im speziellen Stahlbau eingesetzt.

4 Schweißen

Die wichtigsten Vorteile von TM-gewalzten Stählen gegen-über normalisierten Stählen sind ihre hervorragende Schweißeignung, verbunden mit einer deutlich reduzierten oder nicht mehr benötigten Vorwärmung bei der Verarbei-tung (verkürzte Produktionszeiten und -kosten) sowie die wesentlich höheren Zähigkeitsniveaus und die geringere Aufhärtung in der WEZ nach dem Schweißen [3]. Diese Effekte sind auf das deutlich schlankere Legierungskonzept der TM-Stähle mit ihren niedrigen Kohlenstoffgehalten zu-rückzuführen. In Bild 3 werden die erzielbaren Streckgren-zen als Funktion des Kohlenstoffäquivalentes für TM- und konventionell erzeugte Bleche dargestellt.

Die Schweißbarkeit wird durch das höchst zulässige Kohlenstoffäquivalent definiert. Kenngrößen sind das klas-sische CEV (Kohlenstoffäquivalent), bekannt aus dem Stahlbau, und der Pcm-Wert. CEV = C + Mn/6 + (Cr + Mo + V)/5 + (Cu + Ni)/15Pcm = C + Si/30 + (Mn + Cu + Cr)/20 + Ni/60 +

+ Mo/15 + V/10 + 5B

Folgende Anforderungen sind im Offshore-Bereich typisch:CEV ≤ 0,42 % für Blechdicke t ≤ 40 mm CEV ≤ 0,45 % für t > 40 mm Pcm ≤ 0,22 % für t ≤ 40 mm Pcm ≤ 0,24 % für t > 40 mm

Die Temperaturzyklen während des Schweißens haben ei-nen signifikanten Einfluss auf die mechanischen Eigen-schaften der Schweißverbindung. Allgemein wird die Ab-kühlzeit von 800 auf 500 °C (t8/5) benutzt, um die Abkühl-bedingungen nach einer Schweißlage und damit den Einfluss auf die Schweißnaht und die erzeugte WEZ zu

Bild 4.  Härte HV10 in der Grobkornzone der WEZ als Funktion der Abkühlgeschwindigkeit (t8/5) für einige Stahl-baugüten im Schweißzustand – Blechdicke 20 mm

Bild 3.  Erreichbare Streckgrenze in Abhängigkeit vom Koh-lenstoffäquivalent Ceq

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here Zähigkeitswerte, da diese Bereiche durch die nachfol-genden Schweißlagen ein leichtes Spannungsarmglühen erhalten haben. Diese leichte Wärmebehandlung führt zu einer Verbesserung des grobkörnigen Gefüges. Ferner sind die ermittelten Werte direkt an der Fügelinie, wo die Grob-kornzone und das Gussgefüge der Schweißnaht aneinander-stoßen, geringer als in einem Abstand von 2 mm von dieser Linie. Ein Spannungsarmglühen verbessert die Werte nur minimal. Mit TM-Material kann ein Zähigkeitsniveau von 50 J bei –40 °C auch für hohe Schweißenergien von 3,5 kJ/mm leicht erreicht werden. Dies erlaubt es dem Fertiger, hocheffiziente Schweißverfahren einzusetzen und damit durch verkürzte Produktionszeiten die Kosten zu senken.

In Bild 7 werden die verwendbaren Arbeitsbereiche für verschiedene Stahlbauwerkstoffe, die sich in ihren Streckgrenzen unterscheiden, verglichen. Je höher die Streckgrenze, desto kleiner wird das benutzbare Tempera-turband, das sich aus der minimal erforderlichen Vorwärm-temperatur zur Vermeidung von wasserstoffinduzierter Kaltrissbildung und der maximal erlaubten Zwischenlagen-temperatur zur Vermeidung von unzulässiger Grobkornbil-dung ergibt. Ferner wird die mögliche Spanne der verwend-baren Streckenenergie mit steigender Streckgrenzenklasse des Werkstoffs reduziert [5].

Zur Herstellung von Konstruktionsrohren für Off-shore-Plattformen werden die Bleche üblicherweise über die Längsrichtung zu Rohren eingeformt und dann längs verschweißt. Durch die Kaltverformung wird die Zähigkeit des Stahls beeinflusst. Dieser kaltverformte Bereich re-agiert noch stärker, wenn er in der WEZ einer Schweiß-naht liegt. Der Abfall der Zähigkeit bzw. die Verschiebung der Temperaturübergangskurve zu höheren Temperaturen kann durch eine künstliche Alterung, bestehend aus einer Kaltverformung und einer Anlassbehandlung, getestet wer-den (Bild 8). Aber auch unter diesen sehr schwierigen Be-dingungen können bei der Auswahl des richtigen Werk-stoffes immer noch sehr gute Zähigkeitsniveaus erreicht werden, so dass sichergestellt ist, dass der Werkstoff gut verformbar ist.

Eine besondere Anwendung von hochfesten Stählen ist die Fabrikation von Zahnstangen für Jack-up-Plattfor-

von Sprödbruch in der WEZ. Dies kann gezeigt werden, indem Kerbschlagarbeitswerte, gemessen an verschiede-nen Positionen in der WEZ, einer 30 mm dicken Schweiß-probe eines S500M (SAW, 3,5 kJ/mm) in Bild 6 aufgetra-gen werden. Die Testergebnisse im Schweißzustand wer-den mit denen einer Spannungsarmglühbehandlung verglichen (PWHT, 580 °C).

Auch wenn die Ergebnisse sehr gleichmäßig verteilt sind, zeigen die Proben aus dem Wurzelbereich (untere Blechoberfläche) und der Blechdickenmitte geringfügig hö-

Bild 5.  Härte in der Grobkornzone der WEZ als Funktion der Abkühlzeit (t8/5) für S500M im Schweißzustand – Blech-dicke 30 mm 

Bild 6.  Charpy-V-Kerbschlagarbeit in der WEZ bei Güte S500M nach dem Schweißen

Bild 7.  Typische Arbeitsfelder für das Schweißen verschiede-ner Stahlbaugüten (S355J2+N – 80 mm, S500M – 50 mm, S690QL – 30 mm)

Tabelle 1.  Typische Kohlenstoffäquivalente für Baustähle

grade harden-ability

HAZ cold cracking susceptibility

CE CEV Pcm

S355J2+N 80 mm 0.44 0.33 0.25

S500M 50 mm 0.42 0.26 0.18

S690QL 20 mm 0.44 0.29 0.24

S690QL 80 mm 0.70 0.39 0.32

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15Stahlbau Spezial 2014 – Erneuerbare Energien

ten in der Offshore-Industrie. Die verschiedenen Lieferzu-stände wurden beschrieben und einige Ergebnisse aus der Materialentwicklung gezeigt.

Besonders thermomechanisch gewalzte Bleche wer-den sowohl für Offshore-Öl- und -Gas-Anwendungen als auch für den Bau von Offshore-Windfarmen eingesetzt. Sie bieten durch ihre hervorragenden mechanisch-techno-logischen Eigenschaften und die daraus resultierende Un-empfindlichkeit bei der Verarbeitung besondere Vorteile. So ist eine sichere Fertigung der Bauwerke auch unter schwierigen Bedingungen möglich und zugleich die Sicherheit des Bauwerkes über eine lange Zeit hinweg ge-währleistet.

Die durch den Einsatz hochfester Güten mögliche Ge-wichtsreduzierung kann jedoch nicht immer genutzt wer-den. Die Auslegung gegen Ermüdung erfordert eine ausrei-chende Wanddicke, die den Einsatz hochfester Güten überflüssig macht. Allerdings werden für bestimmte Bau-teile auch im Offshore-Wind extreme Anforderungen an die Zähigkeit bei tiefen Temperaturen bis zu –60 °C ge-stellt.

Moderne Offshore-Stähle ermöglichen bei den zuvor genannten Anwendungen kostengünstige Lösungen gegen-über der Verwendung von nach älteren Konzepten produ-zierten Werkstoffen. Maßgeblich hierfür sind die infolge ihrer Materialeigenschaften mögliche Reduktion der Stahl-masse einer Konstruktion, ihre einfachere Verarbeitung und die dadurch reduzierten Produktionskosten.

Literatur

[1] Hanus, F., Schütz, J., Schütz, W.: One step further – 500 MPa yield strength steel for offshore constructions. Proceedings of 21st Intern. Conference on Offshore Mechanics and Arctic Engineering, 2002, Oslo (Norway).

[2] Werkstoffblatt S500G1+M/G2+M[3] Schröter, F.: Steels for modern steel construction and off-

shore applications. 10th Nordic Steel Construction Confer-ence, Copenhagen, June 2004, pp. 13–24.

[4] European Standard EN 1011-2: 2001: Welding – Recom-mendations for welding of metallic materials. Annex D.

[5] Hanus, F. Schröter, F., Schütz, W.: State of the art in the production and use of high-strength heavy plates for hydro-power applications. High Strength Steel for Hydropower Plants. July 2005, Graz.

Autoren dieses Beitrages:Tobias Graf, [email protected],Andreas Thieme, [email protected],Dr. Falko Schröter, [email protected],AG der Dillinger Hüttenwerke, Werkstraße 1, 66763 Dillingen/Saar

men. Die Zahnstangen werden aus 690er Blechen in Di-cken bis zu 210 mm gefertigt. Die Zähigkeitsniveaus wer-den in der Blechdickenmitte bei Temperaturen bis zu –60 °C geprüft. Neben ihrer Verwendung in selbst errich-tenden Plattformen für die Öl- und Gasexploration werden diese Zahnstangen auch für Errichterschiffe in der Off-shore-Windindustrie verwendet (Bild 9).

5 Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag gibt eine Übersicht über die Anfor-derungen, Herstellung und Verwendung von Stahlbaugü-

Courtesy of Swire Blue Ocean A/S

Bild 9.  Windfarm Errichterschiff (WIV) Swire Blue Ocean Pacific Orca, ausgerüstet mit sechs Jack-up legs; die Zahn-stangen wurden aus S690Q, 180 mm gefertigt

Bild 8.  Alterungsverhalten eines Stahls der Güte S500M