mexiko und hannover seit dem 19. jahrhundert. · mexiko hannover gesellschaft in mexiko ∙ soziale...
TRANSCRIPT
Mexiko und Hannover seit dem 19. Jahrhundert.
Was hat Ernst August mit Sombreros am Hut?
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 1RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 1 20.07.2011 17:19:1820.07.2011 17:19:18
Übersichtstafel:
Geschichte Mexikos∙ Ursachen für die Unabhängigkeitsbewegung in Neu-Spanien
∙ Der Unabhängigkeitskrieg Mexikos 1810-1821
∙ Der Erfolg der Unabhängigkeitsbewegung
∙ Ein Vertrag basierend auf Freundschaft
∙ Reform und ausländische Intervention
∙ Das Porfi riat 1876-1911
Deutsche in Mexiko∙ Deutsche Identität in Mexiko
∙ Villa Carlota in Yucatán
∙ Sartorius-Siedlung am Golf von Mexiko
Geschichte Hannovers∙ Napoleonische Fremdherrschaft und Restauration
im Königreich Hannover
Migration aus Hannover∙ Auswanderung nach Mexiko
∙ Alexander von Humboldt
∙ Der Weg in die neue Welt
∙ Wirtschaftskrise und Wanderlust
∙ Geförderte Auswanderung aus Clausthal-Zellerfeld
Abbildung 1: Mexikos Ausdehnung nach
der gewonnenen Unabhängigkeit 1821
Bevölkerung (2010):Niedersachsen: 7.924.000
Hannover: 520.000
Fläche (2010):Niedersachsen: 47.627 km2
Hannover: 204 km2
Bevölkerung (2008):Mexiko: 104.221.000
Mexiko-Stadt: 19.400.000
Fläche (2008):Mexiko: 1.953.162 km2
Mexiko-Stadt: 1.499 km2
Abbildung 2: Das Königreich Hannover
nach dem Wiener Kongress 1815
Mexiko Hannover
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 2RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 2 20.07.2011 17:19:2020.07.2011 17:19:20
Mexiko Hannover
Gesellschaft in Mexiko∙ Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung:
Das „Casta“-System in Mexiko
∙ Das Bildungswesen: Zurückdrängung des kirchlichen Einfl usses
∙ Frauen und Familie: Familienformen, Soziale Stellung der Frauen
∙ Emanzipation in Mexiko: Veränderungen der Geschlechter-
beziehungen, Frauen und Bildung
Wirtschaft in Mexiko∙ Das 19. und 20. Jahrhundert
∙ Freundschaft zwischen Hannover und Mexiko seit 1827
∙ Das Deutsche Reich und Mexiko
∙ Ein Neuanfang: Das mexikanische Wunder und VW
∙ Continental — Hannovers Global-Player in Mexiko
Gesellschaft in Hannover∙ Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung:
„Klein-Rumänien in Linden
∙ Das Bildungswesen: Zurückdrängung des kirchlichen Einfl usses
∙ Frauen und Familie: Familienformen, Soziale Stellung der Frauen
∙ Industrialisierung und Frauenarbeit in Hannover
∙ Veränderungen der Geschlechterbeziehungen
Wirtschaft in Hannover∙ Das 19. und 20. Jahrhundert
∙ Freundschaft zwischen Hannover und Mexiko seit 1827
∙ Der Volkswagen-Konzern
∙ Continental: Vom Hannoveraner Unternehmen zum Weltkonzern
Eduard Mühlenpfordt∙ Mühlenpfordt in Mexiko — Mexikaner in Niedersachsen:
Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Eduard Mühlenpfordt
zu Julita Gomez
Das Honorarkonsulat∙ Verbrannte Geschichte
∙ Dominanz der Kaufl eute — Die Konsuln bis zum
Zweiten Weltkrieg
∙ Diplomatischer Neuanfang
∙ Hauptaufgaben des mexikanischen Honorarkonsulats
Kunst und Politikin Mexiko∙ Wandbilder und nationale Integration in Mexiko
∙ Kunst, die Massen bewegt und Ketten sprengt
Kunst und Politik in Hannover∙ Kunst und Kapitalismuskritik im revolutionären Deutschland
∙ Bildsprache mit kritischen Tönen
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 3RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 3 20.07.2011 17:19:2220.07.2011 17:19:22
Informationstafel:
Wichtiger Hinweis:
Sofern nicht ausdrücklich vermerkt, schließen die in der Ausstellung verwende-
ten maskulinen Formen Frauen mit ein.
Danksagungen:
Unser besonderer Dank gilt dem mexikanischen Honorarkonsul in Hannover,
Prof. Dr. Ulrich von Jeinsen, ohne dessen Anregung und Unterstützung diese
Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre.
Unser Dank gilt ebenfalls Silvia Adalid Martínez vom mexikanischen Hono-
rarkonsulat in Hannover, die uns mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite stand.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 4RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 4 20.07.2011 17:19:2220.07.2011 17:19:22
Im 19. Jahrhundert kam es – trotz un-
terschiedlicher historischer Ausgangs-
bedingungen – sowohl in Europa als
auch in Lateinamerika zu einer Krise
der monarchischen Herrschaftssyste-
me. Breitere Bevölkerungsschichten
forderten politische Mitspracherechte.
Ursachen für die Unab-
hängigkeitsbewegung in
Neu-Spanien
Mit der Landung von Christoph Kolumbus in der Neu-
en Welt 1492 hatte für Lateinamerika eine mehr als 300
Jahre währende Geschichte spanisch-portugiesischer
Kolonialherrschaft begonnen. Das eroberte Imperium der
Azteken wurde Teil des riesigen Vizekönigreiches Neu-
Spanien. Erst im 19. Jahrhundert erreichten seine Be-
wohner die Unabhängigkeit von Spanien, und aus einem
Teil des Gebiets ging das heutige Mexiko hervor.
Der Beginn der Unabhängigkeitskriege in Lateinamerika
war untrennbar mit den Ereignissen in Europa verbun-
den. Im Zuge seiner Expansionspolitik gelang es Napoleon
Bonaparte 1808, seinen Bruder Joseph zum König
Spaniens zu machen. Die daraufhin beginnenden Auf-
stände mündeten in einen fünfjährigen Bürgerkrieg und
destabilisierten das Land. Dadurch wurde ein Eingreifen
in den Kolonien erheblich erschwert.
In Neu-Spanien führte die Unzufriedenheit mit der
Kolonialherrschaft ebenfalls zu Aufständen. Die oberen
Schichten, die bereits in Amerika geborenen sogenann-
ten Kreolen, wollten sich politisch vom Mutterland
emanzipieren. Sie versprachen sich von der Beendigung
des spanischen Handelsmonopols und der Etablierung
des Freihandels höhere Einkünfte. Die vorrangigen Ziele
der Unterschichten waren die Abschaffung der Sklave-
rei sowie der drückenden Indianertribute. Darüber hinaus
strebten sie die Errichtung einer unabhängigen Republik
an mit einer Verfassung, die soziale Gleichstellung sowie
Religions- und Pressefreiheit garantierte.
Auf dem Weg zur Republik.
Abbildung 3: Ausdehnung der spanischen Kolonialherrschaft
um 1760
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 5RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 5 20.07.2011 17:19:2620.07.2011 17:19:26
Der Unabhängig-
keitskrieg Mexikos
1810-1821
Am 15. September 1810 rief Pater Miguel Hidal-
go y Costilla in der Gemeinde Dolores zum Auf-
stand gegen die Kolonialherren auf. Sein Grito
de Dolores ging als Beginn des Unabhängig-
keitskampfes in die Geschichte Mexikos ein.
Da Hidalgo eine klare strategische Konzeption,
Ausrüstung und disziplinierte Truppen fehlten,
konnte die Erhebung allerdings rasch niederge-
schlagen werden. Der folgende Aufstand eines
seiner Schüler, des Priesters José María Morelos,
war besser organisiert. Die Aufständischen pro-
klamierten 1814 sogar eine Verfassung, die
neben der Unabhängigkeit die Abschaffung der
Sklaverei beinhaltete und die Gleichberechti-
gung aller ethnischen Gruppen vorsah. Doch
erlitten auch sie 1815 schwere Niederlagen und
Morelos wurde, wie zuvor schon Hidalgo, gefan-
gen genommen und hingerichtet.
Der Erfolg der Unab-
hängigkeitsbewegung
Die Unabhängigkeitsbewegung konnte sich 1821
schließlich durchsetzen, nachdem der Rebellen-
führer Vicente Guerrero und der kreolische
Oberst der Kolonialarmee Agustín de Itúrbide im
Plan von Iguala einen politischen Kompromiss
erreicht hatten. Der Plan sah die Unabhängigkeit
eines Großteils Neu-Spaniens unter dem Namen
„Mexiko“ (nach der indigenen Bezeichnung für
die Bewohner des Gebietes um die aztekische
Hauptstadt Tenochtitlan) vor und beinhaltete
die Gleichberechtigung aller Einwohner. Der Ka-
tholizismus wurde zur Staatsreligion erhoben.
Als Staatsform hatte man die konstitutionelle
Monarchie vorgesehen, mit einem Mitglied des
spanischen Königshauses (Bourbonen) als Kaiser
Mexikos.
Da Spanien den Plan ablehnte, erwies sich die
Errichtung eines bourbonischen Kaisertums in
Mexiko jedoch als unmöglich. Itúrbide nutzte die
folgenden Unruhen, um sich gestützt auf seine
Truppen 1822 selbst zum Kaiser zu krönen.
Er musste allerdings bereits wenige Monate spä-
ter zurücktreten und das unabhängige Mexiko
wurde Republik.
Ein Vertrag, der auf
Freundschaft basiert
Nach dem Ende der Kolonialherrschaft musste
Mexiko seine Anerkennung durch andere Staa-
ten erreichen. Dabei kamen der jungen Nation
ihre Bodenschätze zugute. Die reichen Silbervor-
kommen machten das Land als Handelspartner
attraktiv. Als erster europäischer Staat erkannte
das britische Königreich Mexiko 1825 diploma-
tisch an, um sich handelspolitische Vorteile zu
sichern. Das zu diesem Zeitpunkt in Personal-
union mit Großbritannien regierte Königreich
Hannover schloss 1827 einen Freundschafts-
vertrag, der ebenfalls die diplomatische An-
erkennung Mexikos und Handelsprivilegien für
Hannover vorsah.
Herausforderungen für die junge Nation.
Abbildung 4: Pater Miguel Hidalgo y Costilla
(1753-1811), Ausschnitt eines Wandbilds von
José Clemente Orozco
Abbildung 5:
Der Freundschaftsverstrag zwischen Hannover und
Mexiko im Hauptstaatsarchiv Hannover
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 6RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 6 20.07.2011 17:19:2720.07.2011 17:19:27
Ein weiteres außenpolitisches Problem für
Mexiko stellte der Expansionsdrang der USA dar,
die Ansprüche auf mexikanische Territorien
erhoben. Nach kriegerischen Auseinanderset-
zungen musste Mexiko Mitte des 19. Jahrhun-
derts die heutigen Bundesstaaten Texas, Kalifor-
nien, New Mexico, Arizona, Utah, Nevada und
Teile von Wyoming und Colorado an die USA
abtreten und verlor damit etwa die Hälfte seines
Staatsgebietes.
Innenpolitisch war Mexiko äußerst instabil.
Zwischen 1821 und 1861 hatte das Land 58 Re-
gierungen, von denen 56 ihre offi zielle Amtszeit
nicht beenden konnten. Zudem lösten sich die
unterschiedlichsten Herrschaftssysteme (Monar-
chie, Militärdiktatur, föderale und zentralistische
Republik) ab. Die drei mächtigsten Gruppen des
Landes, der Klerus, die Großgrundbesitzer und
die Armee, waren nicht an der Etablierung
einer Zentralgewalt und eines starken Bürger-
und Unternehmertums interessiert, da dies ihre
Machtposition geschwächt hätte. Hinzu kamen
als Folge der Zerstörungen des Unabhängig-
keitskrieges und der politischen Wirren anhal-
tende wirtschaftliche Probleme.
Der Silberbergbau, früher eine der wichtigsten
Einnahmequellen Neu-Spaniens, lag brach.
Zudem fehlten Kommunikationsmittel und
-wege und es existierte kein einheitliches und
effektives Steuersystem. Der Staat war folglich
gezwungen, sich zunehmend im Ausland zu
verschulden.
Reform und ausländi-
sche Intervention
Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte zeichnete
sich mit Präsident Benito Juárez, einem libera-
len Rechtsanwalt indigener Abstammung, eine
Wende ab. Er leitete zunächst als Justizminister
und seit 1858 als Präsident eine Reformära ein.
Die Trennung von Staat und Kirche wurde in
der Verfassung verankert und die Sonderge-
richtsbarkeit für Militär und Klerus aufgehoben.
Eine Neuregelung des Besitzes in der Hand
von Körperschaften betraf vor allem die Kirche.
Die Folgen der Säkularisierung des kirchlichen
Grundbesitzes wurden durch die Zahlung von
Entschädigungen gemildert. Die Enteignungen
betrafen jedoch auch das Kommunalland der
indigenen Gemeinden (ejidos), das zum Teil in
Privatbesitz überführt wurde. Dies hatte tief
greifende soziale und ökonomische Auswirkun-
gen und rief anhaltenden Widerstand hervor.
Als Mexiko seine Auslandskredite nicht mehr
bedienen konnte, intervenierte Frankreich
unter Napoleon III. 1861, um seine fi nanziellen
Ansprüche zu sichern. Mit Unterstützung
konservativer mexikanischer Kreise wurde die
Herrschaft der Liberalen um Juárez beendet
und Maximilian von Habsburg 1864 als Kai-
ser Mexikos eingesetzt. Das Kaisertum endete
nach einem blutigen Bürgerkrieg bereits 1867
mit der Hinrichtung Maximilians.
Benito Juárez übernahm erneut das Präsidenten-
amt. Nach seinem Tod 1872 wurde Vizepräsident
Sebastián Lerdo de Tejada sein Nachfolger.
Anlässlich seiner Wiederwahl kam es zu einer
breiten Aufstandsbewegung, die 1876 schließ-
lich zur Amtsübernahme durch General Porfi rio
Díaz führte.
Abbildung 6: Gebietsverluste Mexikos an die USA Mitte des 19. Jahrhunderts
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 7RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 7 20.07.2011 17:19:3420.07.2011 17:19:34
Das Porfi riat 1876-1911
Das Porfi riat, wie die fast 30 Jahre dauernde,
autoritäre Herrschaft von Porfi rio Díaz bezeich-
net wird, war durch eine tief greifende Erneue-
rung von Staat und Wirtschaft gekennzeichnet.
Díaz, der aus einfachen Verhältnissen stammte,
konnte sich durch eine militärische Laufbahn
als politische Führungsfi gur etablieren. Gleich-
zeitig gelang es ihm, durch seinen autokrati-
schen Führungsstil, der sich an den Maximen
„Ordnung und Fortschritt“ orientierte, die
Jahrzehnte der politischen und wirtschaftlichen
Krisen zu beenden.
Durch fi nanzielle Abfi ndungen und geschickte
Pfründenverteilung gelang es ihm, seine Kritiker
ruhig zu stellen und den Klerus und das Militär
an sich binden. Regionale Machthaber wurden
entweder bekämpft oder zu dauerhafter Loyali-
tät verpfl ichtet.
Gleichzeitig zentralisierte Díaz die staatliche Ver-
waltung und baute das Verkehrs- und Kommu-
nikationssystem aus. So konnten bislang schwer
zu erreichende Gebiete besser kontrolliert und
in das Wirtschaftssystem integriert werden. Díaz
gelang damit eine weitgehende gesellschaftliche
Befriedung und politische Stabilisierung. Dies
lockte ausländische Investoren an.
Die in den 1880er Jahren begonnene wirtschaft-
liche Umgestaltung war fast ausschließlich
durch ausländische Kredite und Investitionen
fi nanziert. Nur der gewinnträchtige Exportsek-
tor, wie Bergbau, Erdölförderung und Teile der
Landwirtschaft, erhielt staatliche Förderung und
wuchs stetig.
Die ungleiche Einkommensverteilung und die
sich daraus ergebende geringe Zahl potentieller
Konsumenten begrenzten jedoch den Binnen-
markt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ver-
größerte sich. Als Folge des gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Wandels entstanden neue
Schichten. Von Díaz und seinen Anhängern kon-
trollierte Präsidentschafts- und Kongresswahlen
fanden zwar periodisch statt, dienten aber ledig-
lich der Legitimierung der bestehenden Macht-
verhältnisse. Eigenständige Parteien im heutigen
Sinne existierten nicht und Exekutive und Judi-
kative waren weitgehend von der Regierung ab-
hängig.
So gerieten unterschiedliche Gesellschafts-
schichten in Konflikt mit Díaz. Doch die
Opposition kam erst 1910 zum Zuge, als es
auch innerhalb der herrschenden Elite zu
Auseinandersetzungen um die Präsidentschafts-
wahlen kam. Forderungen nach einem Verbot
der Wiederwahl des mittlerweile achtzigjährigen
Díaz mündeten in eine Aufstandswelle. Die
anschließende Revolution setzte seiner oligar-
chischen Herrschaft ein Ende.
Buenos Díaz?
Abbildung 8: Porfi rio Díaz mit seiner Frau und
Regierungsmitgliedern
Abbildung 7: General Porfi rio Díaz (1830-1915),
mexikanischer Präsident
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 8RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 8 20.07.2011 17:19:3420.07.2011 17:19:34
Napoleonische Fremd-
herrschaft und Restau-
ration im Königreich
Hannover
Auch Europa war zu Beginn des 19. Jahrhunderts
im Umbruch begriffen und durch die Herrschaft
Napoleon Bonapartes gekennzeichnet. Der Korse
hatte binnen weniger Jahre europäische Mächte
wie das Heilige Römische Reich Deutscher Na-
tion, Italien und Spanien unterworfen. Im Zu-
sammenhang damit wurden auch die Ideale der
Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit, verbreitet. Innerhalb der in
über 170 Kleinstaaten zersplitterten deutschen
Lande entbrannten nicht nur bürgerkriegsähn-
liche Auseinandersetzungen um die regionale
Vorherrschaft, sondern auch Befreiungskriege
gegen die französischen Besatzer. Nach dem
Sturz Napoleons und der Restauration der Adels-
herrschaft bestimmte der Wiener Kongress 1815
die Grenzen in Europa neu. Auf dem Gebiet des
heutigen Niedersachsen entstanden die Länder
Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe
und Hannover. Nach Fläche und Einfl uss domi-
nierte das zum Königreich erhobene Hannover.
Die Jahre der französischen Besatzung hatten
einen gesellschaftlichen Wandel bewirkt.
Der Adel beherrschte zwar weiterhin die Gesell-
schaft, sah sich aber mit einem erstarkten Bür-
gertum konfrontiert, das seine Beteiligung an
den politischen Entscheidungsprozessen forder-
te. Ein prominenter Vertreter dieser Forderung
war Johann Carl Bertram Stüve, der Bürgermeis-
ter Osnabrücks. Ihm sind das Ablösungsgesetz
(1831) zu verdanken, welches die Bauern durch
fi nanzielle Abfi ndung zu Besitzern ihrer Höfe
machte, sowie das Staatsgrundgesetz (1833),
das den König an die Verfassung band und
Bürgern und Bauern beschränkte politische
Rechte einräumte. Die Furcht vor einer Revolu-
tion veranlasste König Ernst August von Hanno-
ver, ihn 1848 zum Innenminister des Königreichs
Hannover zu ernennen. Stüve suchte durch
eine Reihe von Gesetzen, die Standesvorrechte
des Adels stark einzuschränken und das Justiz-
wesen zu reformieren. Ernst Augusts Sohn und
Nachfolger, Georg V., der 1851 die Herrschaft
übernahm, ignorierte allerdings die von Stüve
angeregten Reformen.
Die Herrschaft von Georg V. endete, als Preußen
im Zuge des Krieges mit Österreich über Han-
nover triumphierte und es 1866 schließlich
annektierte. Hannover blieb bis 1946 preußische
Provinz. Wie in Preußen insgesamt war die po-
litische Verfassung bis zum Zusammenbruch
des Deutschen Reiches 1918 undemokratisch.
Landesvertretungen und örtliche Räte wurden
nach Zensuswahlrecht (d.h. entsprechend des
Steueraufkommens) gewählt, was die besitzen-
den Schichten klar bevorteilte. Der Adel blieb als
Stand privilegiert.
Hannover — Königreich und Provinz.
Abbildung 9: Johan Carl Bertram Stüve
(1798-1872), bürgerlicher Reformpolitiker
» Hauptmeyer, Carl-Hans (2004): Niedersachsen. Landesgeschichte
und historische Regionalentwicklung im Überblick. Oldenburg.
» Rodriguez, Jaime (1989): The Independence of Mexico and the
Creation of the New Nation. Los Angeles.
Weiterführende Literatur:» Bernecker, Walther; Pietschmann, Horst; Tobler, Werner (2007):
Eine kleine Geschichte Mexikos. Frankfurt/M.
» Brosius, Dieter (1993): Niedersachsen. Geschichte im Überblick.
6. erweiterte Aufl age. Hannover.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 9RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 9 20.07.2011 17:19:4020.07.2011 17:19:40
Abbildung 10: Wappen der Vereinigten Staaten von Mexiko
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 10RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 10 20.07.2011 17:19:4720.07.2011 17:19:47
Auswanderung
nach Mexiko
Mit dem Ende der lateinamerikanischen Unab-
hängigkeitskriege in den 1820er Jahren begann
eine zahlenmäßig bedeutende deutsche Aus-
wanderung nach Lateinamerika. In der Kolo-
nialzeit hatten die Behörden in der Regel nur
Spaniern und Portugiesen die Einwanderung
gestattet.
Im Vergleich zur großen Zahl von Europäern, die
im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten
zogen, war der Umfang der Auswanderung nach
Lateinamerika weitaus geringer. Hauptziele der
300.000 Deutschen, die bis 1930 nach Latein-
amerika emigrierten, waren Argentinien, Bra-
silien und Chile. Nur relativ wenige deutsche
Auswanderer zog es nach Mexiko. In den 1850er
Jahren lebten in Mexiko mehrere Hundert Deut-
sche, vor allem Kaufl eute und Handelsvertreter.
Um 1900 waren es knapp 1.500 und 50 Jahre
später war die Anzahl der Deutschen auf ca.
6.000 angewachsen.
Trotz ihrer geringen Zahl beeinfl ussten deutsche
Auswanderer und Reisende die wirtschaftliche
und kulturelle Entwicklung Mexikos nachhaltig.
Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt
etwa bereiste das Land 1803/04. Deutsche Inge-
nieure entwarfen die Kanalisation von Mexiko-
Stadt und deutsche Kaufl eute versuchten, den
mexikanischen Markt für deutsche Erzeugnisse
zu erschließen. So vertrieb die „Rheinisch-West-
indische Compagnie“ zwischen 1821 und 1837
in 15 Handelshäusern Porzellan, Textilien, Möbel
und Medikamente.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs sanken die
Auswanderungszahlen, doch bis in die 1930er
Jahre versuchten kontinuierlich einige Deutsche,
dem Weltkrieg und seinen wirtschaftlichen und
politischen Folgen nach Lateinamerika zu ent-
fliehen. In der Zeit des Nationalsozialismus
gewährte Mexiko mehreren hundert deutschen
Kommunisten und Intellektuellen politisches
Asyl. Anders als die Vereinigten Staaten und
andere Länder nahm die mexikanische Regie-
rung unter Präsident Cárdenas linksintellektuelle
Flüchtlinge auf.
„Um ein besseres Loos zu erringen.“
Abbildung 11:
Mexiko-Stadt um 1913
Abbildung 12: Alexander von Humboldt
(1769-1859)
Humboldt in Mexiko
Alexander von Humboldt gehörte zu den
Deutschen, die nachhaltige Spuren in Me-
xiko hinterließen. Der Universalgelehrte
besuchte Mexiko während einer For-
schungsreise nach Südamerika zwischen
1799 und 1804. Seine aus dieser Zeit
stammenden Schriften zu Geographie,
Flora, Fauna und den gesellschaftlichen
Verhältnissen des Landes fanden in
Deutschland und Mexiko große Beachtung.
Wegweisend ist bis heute sein vielfach re-
zipierter „Versuch über den politischen Zu-
stand des Königreichs Neu-Spanien“.
Diese kenntnisreiche Darstellung der Politik
und Gesellschaft des Gebietes beschäftigte
sich darüber hinaus mit dem Silberbergbau
und regte dadurch ausländische Investiti-
onen in Mexiko an. Die 1894 mit fi nanzi-
eller Unterstützung des Deutschen Reichs
errichtete erste deutsche Schule in Mexi-
ko-Stadt trägt daher den Namen „Colegio
Alemán Alexander von Humboldt” und be-
steht noch heute.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 11RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 11 20.07.2011 17:19:4720.07.2011 17:19:47
Der Weg in
die Neue Welt
Deutsche, die im 19. Jahrhundert eine neue Hei-
mat in Übersee suchten, mussten sich mindes-
tens fünf Wochen vor der geplanten Auswan-
derung beim Magistrat der Heimatgemeinde
melden. Viele deutsche Staaten versuchten den
Wegzug von Fachleuten zu verhindern. Bei
ärmeren Menschen begrüßten die Behörden
hingegen vielfach eine Auswanderung. Die
hannoverschen Auswanderer führte der Weg
zunächst meist nach Bremerhaven.
Auf die eigentliche Überfahrt mussten die Aus-
wanderer oft monatelang warten. Untergebracht
waren sie mit anderen Wartenden in speziellen
Auswandererhäusern auf engstem Raum. Die
Kosten für Unterbringung, Überfahrt und Start-
geld für die Existenzgründung in Übersee sowie
Verluste durch allgegenwärtige Betrügereien
führten häufi g dazu, dass sich die Auswanderer
bereits vor der Überfahrt verschuldeten. Für die
Begleichung der Kredite mussten sie dann in
der „Neuen Welt” jahrelang hart arbeiten. Die
Überfahrt mit einem Segelschiff dauerte bis zu
drei Monate, später mit dem Dampfschiff etwa
20 Tage.
Wirtschaftskrise und
Wanderlust
Die europäische Massenauswanderung des 19.
Jahrhunderts resultierte aus den wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Folgen des Über-
gangs von einer Agrar- zu einer Industriegesell-
schaft. Bevölkerungswachstum, Hungersnöte,
Kriege sowie die Verknappung von Arbeit und
Land bewegten viele, für eine bessere Zukunft
die strapaziöse Reise über den Atlantik auf sich
zu nehmen.
Den Auswanderern ebneten zusätzlich Program-
me der Aufnahmeländer, Siedlungsprojekte und
Kolonisierungsgesellschaften den Weg. Auch
der Kontakt zu den bereits in Übersee lebenden
Landsleuten oder Verwandten beeinfl usste die
Entscheidung zur Auswanderung. Eine besonde-
re Rolle spielten hierbei Briefe von Auswanderern
in die alte Heimat, die über das Leben in der
Neuen Welt berichteten. Allein für das Gebiet
des Königreichs Hannover konnten zwischen
1820 und 1914 insgesamt 1,9 Millionen Aus-
wandererbriefe nachgewiesen werden. Die
Briefe nährten vielfach die Hoffnung auf eine
bessere Zukunft.
Neben wirtschaftlichen Gründen führte auch
politische, religiöse oder rassistische Verfolgung
zur Migration über den Atlantik. Wie überall in
den deutschen Staaten stagnierte der gesell-
schaftliche Reformprozess mit der einsetzenden
Restauration nach dem Wiener Kongress 1815.
Die repressiven politischen Verhältnisse im Kö-
nigreich Hannover begünstigten die Auswande-
rung. Oft zog auch Abenteuerlust die Menschen
in die Ferne, vor allem wenn Ereignisse wie der
Verlust von Familienangehörigen die Bindung an
die heimische Gesellschaft gelockert hatten.
Eine ferne Zukunft.
Abbildung 15: Szene in Bremerhaven
im 19. Jahrhundert
Abbildung 13: Betreten eines Auswandererschiffes
im 19. Jahrhundert
Abbildung 14: Unterbringung auf dem Schiff
Abbildung 16: Auswandererzahlen im Königreich
Hannover von 1834 bis 1884
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 12RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 12 20.07.2011 17:19:5420.07.2011 17:19:54
Geförderte Auswan-
derung aus Clausthal-
Zellerfeld
Die Bevölkerung der Harzregion im Königreich
Hannover lebte fast ausschließlich vom Bergbau.
Anfang des 19. Jahrhunderts konnte der Holz-
bedarf für die Metallverhüttung nicht mehr
gedeckt werden, woraufhin die Produktion mas-
siv zurückging. Andere Beschäftigungsmöglich-
keiten existierten kaum.
Als 1854 ein Brand in Clausthal über 100 Häu-
ser zerstörte, beschlossen das hannoversche
Finanzministerium und die Berghauptmann-
schaft, die Auswanderung von Bergleuten
gezielt zu fördern. Etliche Bergleute aus Claus-
thal-Zellerfeld hatten sich mit ihren Familien
schon in den 1820er Jahren bei der „United
Mexican Mining Association“ verdingt. Die
Mehrzahl der Harzer Bergleute zog jedoch nach
Australien.
Deutsche Identität
in Mexiko?
Die Frage nach der nationalen Identität bewegte
im 19. Jahrhundert viele Deutsche zuhause und
in Mexiko. Deutsch-Mexikaner, die sich in die
Gesellschaft integrierten, waren der Kritik ihrer
Landsleute in Mexiko und auch im Deutschen
Reich ausgesetzt. Demgegenüber beklagten
Mexikaner die geringe Anpassungsbereitschaft
der deutschen Einwanderer und ihr mangelndes
Interesse an der mexikanischen Kultur. Ein Vor-
wurf, der nicht aus der Luft gegriffen war, wie
ein Zitat von Carl Sartorius zeigt:
Der Nationalismus des deutschen Kaiserreichs
fi el auch bei den deutschen Siedlern auf frucht-
baren Boden.
Obgleich die deutsche Reichsregierung der Aus-
wanderung meist ablehnend gegenüber stand,
engagierte sie sich für den Erhalt der deutschen
Identität der Auswanderer. Finanziell unterstütz-
te sie die Gründung deutscher Heimatvereine,
Zeitungen und Schulen in Mexiko, um einem
Verlust der nationalen Identität der Auswanderer
vorzubeugen.
Deutsche Einwanderer waren bis zum Ende des
19. Jahrhunderts wenig willkommen. Die mexi-
kanischen Regierungen unterstützten die Aus-
wanderer kaum und die einheimische Bevöl-
kerung begegnete ihnen mit Zurückhaltung.
Zudem war im katholischen Mexiko die religiöse
Intoleranz gegenüber den oft protestantischen
Zuwanderern groß.
Während beider Weltkriege wurden in Mexiko
lebende Deutsche interniert und vorüberge-
hend enteignet. Einige Deutsche verleugneten
nun aus Scham über die deutschen Kriegsver-
brechen ihre Herkunft. Politische Exilanten, vor
allem Sozialisten und Kommunisten, gründeten
dagegen den „Heinrich-Heine-Klub“ und die
Zeitung „Alemania Libre“ (Freies Deutschland).
Schriftsteller und Politiker wie Egon Erwin Kisch,
Gustav Regler, B. Traven, Anna Seghers und Paul
Merker wollten damit zu einem Deutschenbild
beitragen, das sich vom Nationalsozialismus
absetzt.
Ein bisschen Deutschland —auch in Mexiko?
„Wie aber verhält es sich
mit der Erhaltung des
deutschen Elements? Auch
hierfür sind die Verhältnis-
se so günstig wie möglich.
In Mexico wird der deut-
sche Charakter, [...] durch
den [...], hispanoindischen
nicht dominiert, er wird
[...] wo sich beide Natio-
nalitäten mischen, als der
stärkere hervortrete.“
Carl Christian Sartorius, 1850, S. 66
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 13RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 13 20.07.2011 17:19:5820.07.2011 17:19:58
Villa Carlota in Yucatán
Die 1865 bis 1867 bestehende „Villa Carlota“ war
ein deutsches Siedlungsprojekt auf der Halbinsel
Yucatán im Südosten Mexikos. Der aus Schlesien
stammende Ingenieur Moritz von Hippel (1815-
1895) errichtete hierfür zwei deutsche Siedlun-
gen in den Dörfern Pustunich und Santa Elena.
Sie befanden sich in der Nähe eines Gebiets,
dass durch die mehrheitlich indigenen Aufstän-
dischen, die im sogenannten Kastenkrieg (1847-
1901) die mexikanische Regierung bekämpften,
kontrolliert wurde.
Trotz der unsicheren Lage verhießen die Sied-
lungen den deutschen Auswanderern — Arbeiter,
Bauern und Handwerker mit ihren Familien —
einen Neuanfang.
Mitte der 1860er Jahre ließen sich dort insge-
samt 433 Personen nieder, darunter 18 aus dem
Königreich Hannover. Das Durchschnittsalter der
Siedler war aufgrund der zahlreichen Kinder und
Jugendlichen vergleichsweise niedrig. Einen Arzt
oder Lehrer gab es nicht.
Die Siedler halfen den benachbarten Maya ihre
Häuser auszubessern, während die Indigenen
die Deutschen beim Anbau von Nahrungsmit-
teln unterstützen. Später stellten die mexikani-
schen Behörden der Siedlung einen Spanisch-
lehrer zur Verfügung.
Allerdings zeigten sich die Deutschen bald
unzufrieden mit der Fruchtbarkeit des Bodens.
Hinzu kam die Einberufung von etwa vierzig
Siedlern ins Militär Kaisers Maximilians wäh-
rend des Bürgerkrieges 1867. Nach der Nieder-
lage Maximilians galten die Deutschen den
mexikanischen Republikanern als Verräter.
Villa Carlota wurde bald darauf aufgelöst
und fast alle Siedler zogen in die Vereinigten
Staaten.
Deutsche Siedlungen in Mexiko.
Abbildung 17: Kastenkrieg
(1847-1901) in Yucatán
Die gestrichelte Linie stellt
den Frontverlauf der 1860er
Jahre dar.
Bei den Dörfern Santa Elena und
Pustunich handelt es sich um die
hier vorgestellten Siedlungen.
Abbildung 18: Straßenszene in Nohcacab, später
in Santa Elena umbenannt, 1841
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 14RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 14 20.07.2011 17:19:5820.07.2011 17:19:58
Sartorius-Siedlung am
Golf von Mexiko
Der Darmstädter Jurist Carl Christian Sartorius (1796-
1872) wanderte 1824 aufgrund der Verfolgung aus An-
lass seiner politischen Betätigung in einer liberal und
national gesinnten Burschenschaft nach Mexiko aus.
Dort stieg er zum Geschäftsführer einer Silbermine auf.
Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem 1855 erschie-
nenen Buch „Die Silberminen von Mexico, deren Reicht-
hümer und deren mangelhafte Bebauung von Seiten der
Mexicaner“. 1839 erwarb er eine Hazienda in Mirador,
nahe der am Golf von Mexiko gelegenen Hafenstadt
Veracruz.
1849 reiste Sartorius nach Deutschland zurück, um mit
Vorträgen Auswanderer für sein Siedlungsprojekt zu ge-
winnen. Die Hazienda Mirador erlangte später als „Sarto-
rius-Siedlung“ größere Bekanntheit.
Dort ließen sich ca. 200 Deutsche nieder, darunter — im
Gegensatz zur „Villa Carlota“ — Ärzte und Lehrer. Sarto-
rius verstand sich als Förderer der Wissenschaft. Seine
Hazienda beherbergte verschiedene Naturforscher und
diente als Tagungsort. Mehrere Pfl anzen wurden nach
Carl Sartorius benannt. Auch Kaiser Maximilian I. be-
suchte die Siedlung mehrfach und ernannte Sartorius
kurzzeitig sogar zum Minister für Landwirtschaft. Nach
Sartorius’ Tod 1872 übernahm sein Sohn die Leitung der
Siedlung.
Silber, Siedler und Sartorius.
Abbildung 19: Hazienda Mirador
Weiterführende Literatur:
» Bade, Klaus (2000): Europa in Bewegung: Migration vom späten 18. Jahr-
hundert bis zur Gegenwart. München.
» Durán-Merk, Alma (2007): Identifying Villa Carlota: German Settlements in
Yucatán, México, during the Second Empire 1864-1867. Augsburg.
» Henkel, Anne-Katrin (1996): „Ein besseres Loos zu erringen, als das bisherige
war“: Ursachen, Verlauf und Folgewirkungen der hannoverschen Auswande-
rungsbewegung im 18. und 19. Jahrhundert. Hameln.
» Hoerder, Dirk; Knauf, Diethelm (Hrsg) (1992): Aufbruch in die Fremde: Euro-
päische Auswanderung nach Übersee. Bremen.
» Oeste de Bopp, Marianne (1979): Die Deutschen in Mexico. In: Fröschle,
Hartmut (Hrsg.): Die Deutschen in Lateinamerika: Schicksal und Leistung.
Tübingen.
» Patka, Marcus G. (2002): Wildes Paradies mit Ablaufzeit: Struktur und
Leistung deutschsprachiger Exilanten in México Ciudad. In: Jahrbuch für
Exilforschung, 20:213-241.
» Sartorius, Carl (1850): Mexico als Ziel für deutsche Auswanderung. Darmstadt.
» Sartorius, Carl (1859): Mexico: Landscapes and Popular Sketches. London.
» Vollmer, Renate (1995): Auswanderungspolitik und soziale Frage im 19.
Jahrhundert: Staatlich geförderte Auswanderungen aus der Berghauptmann-
schaft Clausthal nach Südaustralien, Nord- und Südamerika 1848-1854.
Berlin.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 15RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 15 20.07.2011 17:20:0020.07.2011 17:20:00
EthnischeVielfalt.
Soziale Ungleichheit
und Ausgrenzung
Mexiko und das Königreich Hannover kennzeichnete im
19. Jahrhundert eine ausgeprägte Differenzierung der
Gesellschaft. Die sozialen Unterschiede wurden in Me-
xiko durch das koloniale Erbe ethnischer Vielfalt und in
Hannover durch die Zuwanderung von Arbeitskräften
überlagert.
Das „Casta“-System
in Mexiko
Dieses Zitat des Hannoveraner Ingenieurs Eduard Müh-
lenpfordt, der Mexiko nach der Unabhängigkeit bereis-
te, unterstreicht die ethnische und soziale Heterogenität
der mexikanischen Gesellschaft zu dieser Zeit. >> sie-he auch Plakat Mühlenpfordt << Einen Versuch, die
gesellschaftliche Differenzierung bildlich darzustellen,
hatten die sogenannten Casta-Gemälde bereits im 18.
Jahrhundert unternommen. Sie ordneten die Menschen
anhand körperlicher Merkmale, ihrer Kleidung und ihres
sozialen Status hierarchisch in Kategorien (castas).
Wie Abbildung 20 zeigt, wurden die Bezeichnungen der
Menschen immer abstrakter und ihr Status immer ge-
ringer, je dunkler ihre Hautfarbe und je stärker ihre Her-
kunft „gemischt“ war. Es fi nden sich Bezeichnungen wie
„tente en el aire“ (Bleib in der Luft) oder „albarazado“
(Weiß-Gefl eckter), die auf die Andersartigkeit verweisen.
Das Casta-System wurde zwar nach der Unabhängigkeit
Mexikos 1821 offi ziell abgeschafft, rassistische Denk-
muster und Diskriminierungen blieben indessen im Alltag
erhalten.
Abbildung 20: „Casta“-Gemälde
„Die Bevölkerung Mejicos ist,
wie mehr oder weniger die aller
ehemaligen Besitzungen Spani-
ens in America, aus drei verschie-
denen Hauptelementen zusam-
mengesetzt. Die kaukasische und
africanische Race haben neben
der ursprünglichen americani-
schen diese Elemente geliefert“
Eduard Mühlenpfordt, 1844, S. 199
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 16RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 16 20.07.2011 17:20:0120.07.2011 17:20:01
„Klein-Rumänien“
in Linden
Soziale Ausgrenzung im Königreich Hannover
lässt sich besonders gut am Beispiel der Ge-
meinde Linden darstellen. Hier handelte es sich
jedoch nicht um ein koloniales Erbe, sondern um
eine Folge von Industrialisierungsprozessen und
der Zuwanderung von Arbeitskräften.
Wenn man in Bezug auf Linden von „Klein-Ru-
mänien“ spricht, ist damit nicht das Balkanland
gemeint, sondern eine Arbeiter-Siedlung, die
der „Eisenbahnkönig“ Bethel Henry Strousberg
1869 auf dem Gelände der späteren Hanomag-
Maschinenfabrik erbauen ließ. Die Siedlung trug
diesen Namen aufgrund der Ausfuhren nach
Rumänien, wo Strousberg Konzessionen über
900 km Bahnstrecken und die Lieferung von
Lokomotiven erhalten hatte. Bei den Arbeitern
handelte es sich häufi g um Zuwanderer aus
Schweden, Schlesien, Pommern und Bayern.
Allein 1869 und 1870 zogen etwa 1.000-2.000
Menschen pro Jahr nach Linden.
Die Einheimischen in Linden betrachteten die
Zuwanderer als Konkurrenten um Wohnraum,
Nahrungsmittel und den Zugang zu den kom-
munalen Weiden und Waldgebieten. Eine Folge
war gesellschaftliche Ausgrenzung, indem man
die Neubürger z. B. nicht an den gemeinschaft-
lich genutzten Ackerflächen teilhaben ließ.
Die gesellschaftliche Ausgrenzung diente — im
Königreich Hannover wie in Mexiko — trotz
unterschiedlicher Formen den gleichen Zielen:
der Schaffung von Wir-Gruppen und der Absi-
cherung von Privilegien.
Das Bildungswesen
Im Gebiet des heutigen Niedersachsen wurde die
allgemeine Schulpfl icht 1646 in der Stadt Han-
nover, 1647 im Herzogtum Braunschweig-Wol-
fenbüttel, 1693 im Fürstentum Osnabrück und
1734 in Lüneburg, Hoya, Calenberg, Göttingen,
Grubenhagen und Diepholz eingeführt. Bis 1888
musste in Hannover für den Besuch der Volks-
schule Schulgeld gezahlt werden. Für die Mehr-
heit der Bevölkerung, die sich dies nicht leisten
konnte, gab es daher seit Mitte des 18. Jahr-
hunderts Armenschulen. In der Stadt Hannover
zwang die Zunahme der Einwohnerzahl nach
der Annexion durch Preußen 1866 zu einem ver-
stärkten Ausbau des Bildungswesens.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent-
wickelte sich Mexiko beim Aufbau eines staatli-
chen Bildungswesens für die breite Bevölkerung
zu einem im lateinamerikanischen Vergleich
fortschrittlichen Land. Als erster Staat des
Subkontinentes führte es 1861 die öffentliche
und kostenlose Pflichtschule ein. 1874 erließ
Mexiko als zweiter Staat Lateinamerikas nach
Chile (1860) eine umfassende staatliche Schul-
gesetzgebung.
Hannovers Linden.
Abbildung 21:
Bevölkerungsentwicklung
von Hannover und Linden
von 1812 bis 1890
Abbildung 22: Straße in „Klein-Rumänien“ heute
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 17RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 17 20.07.2011 17:20:0520.07.2011 17:20:05
Zurückdrängung des
kirchlichen Einfl usses
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war das
Schulsystem – in Mexiko wie im Königreich
Hannover noch eng an die Kirche gebunden. Ein
davon unabhängiges öffentliches Bildungswesen
entwickelte sich in Mexiko vor allem während
der Regierungszeit von Porfi rio Díaz (1876-1910)
unter dem Einfl uss von Intellektuellen, die dem
Positivismus anhingen.
Besonders einfl ussreich waren der Philosoph
und Physiker Dr. Gabino Barreda und der Schrift-
steller, Historiker und Politiker Justo Sierra. Nun
wurden die ersten Lehrerbildungsanstalten ge-
gründet, neue didaktische Konzeptionen ent-
wickelt und nationale Lehrpläne konzipiert. Der
Unterricht sollte vereinheitlicht und der beherr-
schende Einfl uss der Kirche auf das Bildungs-
wesen zurückgedrängt werden. Barreda verstand
seine Zeit als einen „Sieg des Liberalismus über
den theologischen Geist“. Auch im Königreich
Hannover kam es zur Säkularisierung des Bil-
dungssystems. So benannte man in der könig-
lichen Residenzstadt Hannover 1848 die „Paro-
chialschule“ (Pfarrschule) in „Bürgerschule“ um.
Damit verschwand die letzte institutionelle Ver-
bindung zwischen Kirche und Schule.
Im Bereich der höheren Bildung hatte bereits die
1737 vom Kurfürsten Georg August von Hanno-
ver gegründete und nach ihm benannte Univer-
sität in Göttingen als erste deutsche Hochschule
das Primat der Theologie abgeschafft. Einen
gänzlich weltlichen Charakter hatte auch die
1831 in Hannover gegründete Höhere Gewer-
beschule, aus der später die Leibniz Universität
hervorging.
Die unmittelbaren Vorläufer der modernen säku-
laren Universität in Mexiko entstanden nach
einem Entwurf, den Justo Sierra dem Abgeord-
netenhaus 1881 vorlegt hatte.
In beiden Regionen verfügten vornehmlich die
urbanen Zentren über höhere Bildungseinrich-
tungen. Für die Mehrheit der armen und ländli-
chen Bevölkerung, die in Mexiko häufi g indigen
war und nicht spanisch sprach, blieben sie un-
zugänglich.
Frauen und Familie
Die Gleichberechtigung der Geschlechter gilt
als wichtiger Indikator gesellschaftlichen Fort-
schritts. Ein Vergleich der Entwicklungen im Kö-
nigreich Hannover und in Mexiko während des
19. Jahrhunderts zeigt, dass die Situation der
Frauen in diesem Teil Europas nicht in jeder Hin-
sicht günstiger war als in dem lateinamerikani-
schen Land.
Familienformen
Sowohl in Mexiko als auch im Königreich Han-
nover lebten viele Menschen auf dem Lande in
Großfamilien in einem Haushalt. Während die-
ses Phänomen in Mexiko in fast allen Schichten
anzutreffen war, handelte es sich dabei im Kö-
nigreich Hannover um ein Charakteristikum der
Unterschicht. In Mexiko entwickelten sich aus
diesen Großfamilien starke Familiennetzwerke.
Diese boten ihren Mitgliedern in dem vor allem
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts po-
litisch instabilen Land Schutz im Alltag. Noch
heute bezeichnet der spanische Begriff familia
in Mexiko nicht nur alle Verwandten, die ge-
meinsam in einem Haushalt leben, sondern auch
diejenigen, die dort einmal lebten und nun dort
immer noch Rechte und Pfl ichten haben.
Auch unter den Arbeiterfamilien in Hannover
waren Familiennetzwerke weit verbreitet; sie
umfassten jedoch meist nur zwei Generationen.
Im Bürgertum dominierte hingegen die Kleinfa-
milie (Eltern und deren Kinder).
Bildung und Familie.
Abbildung 23: Höhere Gewerbeschule, 1847 in
Polytechnische Schule umbenannt, um 1860
Positivismus
Unter Positivismus versteht man „eine Philosophie,
die ihre Forschung auf das Positive, Tatsächliche,
Wirkliche und Zweifellose beschränkt, sich allein
auf Erfahrungen beruft und jegliche Metaphysik als
theoretisch unmöglich und praktisch nutzlos ablehnt.
(Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim 2007,
S. 827, Stichwort Positivismus)
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 18RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 18 20.07.2011 17:20:1020.07.2011 17:20:10
Soziale Stellung
der Frauen
Die Lebensbedingungen von Frauen unterschie-
den sich im 19. Jahrhundert stark – je nachdem,
ob sie in Städten oder auf dem Lande lebten.
Anders als in Hannover durften Frauen in
Mexiko schon zur Kolonialzeit Land kaufen,
verkaufen, pachten, erben, vererben und be-
wirtschaften.
In welcher Form sich Frauen an der Landwirt-
schaft beteiligten, hing stark von ihrer sozialen
Stellung und ethnischen Zugehörigkeit ab. Ver-
einzelt gab es sogar weibliche Großgrundbesit-
zer. Die meisten Frauen auf dem Lande waren
aber arm und mussten sich oft als Arbeiterinnen
für maximal die Hälfte des Lohns eines Mannes
verdingen. Verheiratete Frauen und Minderjähri-
ge hatten weniger Rechte als Witwen und ledi-
ge, volljährige Frauen, da sie der Autorität ihrer
Ehegatten bzw. Väter unterstanden.
Auch im Königreich Hannover gehörte die Land-
bevölkerung überwiegend zur Unterschicht.
Mädchen arbeiteten meist auf dem elterlichen
Hof, Töchter von Mittel- und Kleinbauern ver-
dingten sich oft bis zu ihrer Heirat auf fremden
Höfen als Mägde, vor allem, um für ihre Aus-
steuer zu sparen. Eine Heirat sollte zumindest
den sozialen Abstieg verhindern.
Industrialisierung
und Frauenarbeit
in Hannover
In den Städten des Königreichs Hannover ent-
standen durch die Industrialisierung auch für
Frauen aus der Unterschicht Arbeitsplätze. Trotz
miserabler Arbeitsbedingungen stellten Frau-
en Anfang des 20. Jahrhunderts 26,8 % der
Erwerbstätigen. Sie arbeiteten vorwiegend in der
Genuss- und Nahrungsmittel-, der Bekleidungs-
sowie der Textilindustrie. Nur in letzterer wurden
auch ledige Frauen eingestellt.
Mit dem Anwachsen der bürgerlichen Ober- und
Mittelschicht nahm auch der Bedarf an Hausan-
gestellten zu. Viele Mädchen vom Lande kamen
daher in die Großstadt, um als Dienstmädchen
zu arbeiten. Obwohl die Lebensbedingungen
schlecht waren, betrachteten sie dies oft als eine
Möglichkeit der Eingliederung in die bürgerliche
Gesellschaft und damit als sozialen Aufstieg. Bis
zum ersten Weltkrieg bildeten Dienstmädchen die
größte weibliche Berufsgruppe in den Städten.
Bürgerliche Frauen waren in Hannover in der
Regel nicht erwerbstätig. Seit Mitte des 19.
Jahrhunderts stritten bürgerliche Frauenbe-
wegungen für bessere Bildungschancen für
Mädchen. Die gesellschaftliche Akzeptanz
für Gleichberechtigung blieb jedoch bis ins 20.
Jahrhundert gering.
Emanzipation in Mexiko
In Mexiko stritten bürgerliche Frauenbewegun-
gen im 19. Jahrhundert ebenfalls für eine stär-
kere gesellschaftliche Partizipation der Frauen.
Ihre Ausgangssituation unterschied sich aber
von der Lage ihrer Geschlechtsgenossinnen im
Königreich Hannover: In Mexiko standen Frauen
bereits 1798 „mit ihrem Geschlecht, ihrem An-
stand und ihrer Kraft“ vereinbare Berufe offen.
So rekrutierte sich bereits 1811 in Mexiko-Stadt
fast ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung
aus – meist armen – Frauen. Wie in Hannover
waren die Frauen häufi g auf die prestigearme
Arbeit in fremden Haushalten angewiesen.
Wie in Hannover gingen auch die mexikani-
schen Frauen der Mittel- und Oberschicht in
der Regel keiner Erwerbstätigkeit nach, sie be-
tätigten sich allerdings häufi g gemeinnützig.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann eine
berufl iche Tätigkeit als Sekretärin oder Steno-
grafi n, als modern angesehen zu werden. Die
eigentliche Bestimmung der Frauen wurde aber
von Vielen weiterhin in ihrer Rolle als Ehefrau
und Mutter gesehen. So gab es nur wenige
Frauen, die qualifi zierte Berufe wie Ärztin oder
Anwältin ausübten.
Frauen in Bewegung.
Abbildung 24: Anteil der erwerbstätigen Frauen
1811 in Mexiko, in Prozent
Abbildung 25: Zusammensetzung der Arbeiter-
schaft in Mexiko 1811
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 19RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 19 20.07.2011 17:20:1320.07.2011 17:20:13
Veränderungen der Ge-
schlechterbeziehungen
Sowohl in Mexiko als auch in Hannover verän-
derten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die
Beziehungen zwischen den Geschlechtern und
Generationen erheblich. Die Vorherrschaft des
Vaters als Familienoberhaupt (pater familias)
und „Herr im Haus“ blieb aber bis weit in das 20.
Jahrhundert bestehen.
In Mexiko senkte das Bürgerliche Gesetzbuch
von 1870 das Alter der Volljährigkeit von 25 auf
21 Jahre. Unverheiratete Töchter konnten ihren
Wohnsitz „zum Schutz ihres guten Rufes“ hin-
gegen erst ab dem 30. Lebensjahr frei wählen.
In der Ehe blieb das Vermögen der Ehegatten bis
1870 getrennt, die Verwaltung oblag jedoch dem
Mann. Danach konnten Ehepaare zwischen ge-
meinsamem Besitz und Gütertrennung wählen.
Im Königreich Hannover gab es zwischen ver-
heirateten Paaren zwar eine Gütergemeinschaft;
die Frau durfte aber, ähnlich wie in Mexiko, über
das Vermögen nicht allein verfügen.
In beiden Gesellschaften erfuhren Frauen, die
sich ihrem Mann nicht unterordneten, nach
mehr Bildung strebten und vermeintlich die Er-
ziehung ihrer Kinder vernachlässigten, gesell-
schaftliche Ächtung. Die Zunahme von rechtlich
anerkannten Trennungen in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zeigt, dass sich insbeson-
dere die Erwartungen der Frauen an die Ehe ver-
änderten. So wurden in Mexiko-Stadt zwischen
1840 und 1857 96% der dokumentierten Tren-
nungen von Frauen beantragt, im Preußen der
1840er Jahre lag der Anteil immerhin bei drei
Vierteln. Hatte die Ehe bis dato vor allem der
Existenzsicherung gedient, erwarteten Frauen
nun auch persönliche Zuneigung und waren
zunehmend weniger bereit Misshandlungen
hinzunehmen.
Bis dass der Tod Euch
scheidet?
Die Trennung von Eheleuten blieb jedoch ein
schwieriges Unterfangen. In Mexiko war neben
der sehr selten vorkommenden Annullierung
einer Ehe nach dem geltenden Kirchenrecht nur
eine „Trennung von Tisch und Bett“ möglich.
Eine Wiederverheiratung der Getrennten blieb
selbst nach der Einführung der Zivilehe 1859
und der Ziviltrennung 1870, die nun auch im ge-
genseitigen Einvernehmen erfolgen konnte, bis
zum Tode des Ehepartners ausgeschlossen. Erst
1917 wurde die Ehescheidung ins mexikanische
Recht eingeführt.
Von einer Gleichberechtigung der Geschlechter
konnte auch in rechtlicher Hinsicht keine Rede
sein. Die Bürgerlichen Gesetzbücher Mexikos
von 1870 und 1884 erkannten Ehebruch durch
den Mann nur unter bestimmten Umständen als
Scheidungsgrund an, Ehebruch durch die Frau
dagegen grundsätzlich.
In Preußen, zu dem Hannover seit 1866 gehörte,
galt seit 1794 das Allgemeine Landrecht: Schei-
dungen sollten „nicht anders als aus sehr erheb-
lichen Ursachen stattfi nden“. Dazu zählte aber
auch „unüberwindliche gegenseitige Abneigung“.
Dies war eine im Vergleich ungeheuer moderne
Regelung. Ehebrecher durften nicht wieder hei-
raten. Scheidungsprozesse folgten dem Schuld-
prinzip. Nur der unschuldige Ehepartner durfte
auf Scheidung klagen. Zwischen 1844 und 1879
war für jeden Scheidungsprozess die Teilnahme
eines Staatsanwaltes und eines Geistlichen obli-
gatorisch. Der mit einem Vetorecht ausgestatte-
te Geistliche musste mit dem scheidungswilligen
Ehepaar einen Sühneversuch durchführen mit
dem Ziel, die Scheidung zu vermeiden.
Verbindungen, in denen der Mann einem hö-
heren Stand entstammte als die Frau, konnten
nur als „Ehen zur linken Hand“ geschlossen wer-
den. Im Gegensatz zu „Ehen zur rechten Hand“
blieb die Frau weitgehend rechtlos. Das Ehever-
bot wegen Ungleichheit des Standes wurde in
Preußen und damit auch in Hannover erst 1869,
also 48 Jahre nach der Abschaffung des Casta-
Systems in Mexiko, vollständig aufgehoben. Die
Einführung der Zivilehe erfolgte in Preußen und
seinen Provinzen erst 1874.
Von der Ehe bis zur Scheidung.
Abbildung 26: Berühmtes mexikanisches Ehepaar:
Frida Kahlo und Diego Rivera
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 20RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 20 20.07.2011 17:20:1320.07.2011 17:20:13
Frauen und Bildung
Nach der Unabhängigkeit galten viele mexikanische Kre-
olinnen als Unterstützer der spanisch-katholischen Seite.
Eine umfangreichere Bildung für Frauen erschien deshalb
als wünschenswert, damit diese ihre Kinder im Sinne der
mexikanischen Ideale erziehen konnten. Eine Gleichstel-
lung von Mann und Frau war jedoch nicht beabsichtigt.
Zu spürbaren Veränderungen in dieser Hinsicht kam es
erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Mädchen
gestattet wurde, weiterführende Schulen zu besuchen.
Bereits 1802 wurde in Hannover die erste städtische Hö-
here Mädchenschule, hauptsächlich für Kinder aus der
Mittel- und Oberschicht, gegründet. Bei den Höheren
Töchterschulen, vergleichbar mit der heutigen Sekundar-
stufe I (Klasse 5-10), handelte es sich meist um private
Bildungsinstitutionen, die in erster Linie auf die spätere
Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereiten sollte. Mädchen
aus der Arbeiterschicht mussten sich gewöhnlich mit
dem Besuch der Volksschule begnügen. Ab 1899 wurden
in Hannover erste Gymnasialkurse für Mädchen einge-
richtet, deren erfolgreiche Absolvierung eine Zulassung
zur Universität bedeutete.
Infolgedessen öffneten sich akademische Berufe lang-
sam auch für (zunächst nur unverheiratete) Frauen, die
bis dahin allenfalls das Lehrerinnenseminar besuchen
konnten. Erst die preußische Mädchenschulreform von
1908 berechtigte alle Mädchen dazu, die Abiturprüfung
abzulegen.
Die gesellschaftliche Situation der Frauen während des
19. Jahrhunderts war in Mexiko und Hannover also
durchaus vergleichbar. In beiden Gesellschaften bildeten
sich in der Mitte des Jahrhunderts Bewegungen, die vor
allem gegen institutionelle Benachteiligung ankämpften.
Mädchen machen Schule.
Weiterführende Literatur:
» Ehrich, Karin; Mussmann, Olaf (Hrsg.) (1993): Abdrücke aus der Region.
Facetten der Geschichte Hannovers und seines Umlands. Hannover.
» Katzew, Ilona (2004): Casta Painting. Images of Race in Eighteenth-Century
Mexico. New Haven/London.
» Mühlenpfordt, Eduard (1844): Versuch einer getreuen Schilderung der
Republik Mejico besonders in Beziehung auf Geographie, Ethnographie und
Statistik. Erster Band. Hannover.
» Voigt, Wolfgang (1982): Der Eisenbahnkönig oder Rumänien lag in Linden.
Materialien zur Sozialgeschichte des Arbeiterwohnungsbaus mit Beispielen
aus Hannovers Fabrikvorort Linden. Berlin.
» Mlynek, Klaus; Röhrbein, Waldemar R. (Hrsg.) (1994): Geschichte der Stadt
Hannover. 2 Bände. Hannover.
» Weiss, Eduard (1983): Schule zwischen Staat und Gesellschaft (Mexiko
1920-1976). München.
» Arrom, Silvia M. (1994): The Mexican Family in the Nineteenth Century. In:
Yeager, Getrude M. (Hrsg.): Confronting Change, Challenging Tradition.
Women in Latin American History. Wilmington, 87-102.
» Ehrlich, Karin; Schröder, Christiane (Hrsg.) (1999): Adlige, Arbeiterinnen
und Frauenleben in Stadt und Region Hannover vom 17. bis zum 20. Jahr-
hundert. Bielefeld.
» Fowler-Salamini, Heather; Vaughan, Mary Kay (Hrsg.) (1994): Women of the
Mexican Countryside, 1850-1990. Tucson.
» Schmieder, Ulrike (2002): Der mexikanische Liberalismus des 19. Jahr-
hunderts und die Geschlechterverhältnisse. In: Comparativ. Leipziger Beiträge
zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung,
12/4:91-115.
» Selby, Henry A.; Murphy, Arthur D. (1990): The Mexican Urban Household,
Organizing for Self-Defense. Austin.
Abbildung 27: Ehemalige Ricarda Huch Mädchenschule
in Hannover List
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 21RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 21 20.07.2011 17:20:1420.07.2011 17:20:14
Kaffee, Kakao …
und der Käfer.
Das 19. Jahrhundert
Mit der Unabhängigkeit von der spanischen Kolonial-
macht zu Beginn des 19. Jahrhunderts und dem Wegfall
des spanischen Handelsmonopols wuchs das Interesse
der europäischen Staaten an Lateinamerika. Auch deut-
sche Geschäftsleute erwarteten hohe Gewinne aus dem
Handel mit Kaffee, Zucker und Kakao. Obwohl die kon-
servativen europäischen Regierungen der Restaurati-
onszeit der Unabhängigkeit Lateinamerikas mehrheitlich
kritisch gegenüberstanden, orientierte sich ihre Außen-
politik vornehmlich an wirtschaftlichen Interessen.
Freundschaft zwischen Me-
xiko und Hannover seit 1827
Im Mai 1827 legten die Hansestädte der Regierung des
unabhängigen Mexiko einen Handelsvertrag vor. Er wur-
de jedoch zunächst nicht ratifi ziert. Deshalb handelt es
sich bei dem zwischen dem Königreich Hannover und
Mexiko geschlossenen Freundschaftsvertrag vom 20. Juni
1827 um das erste völkerrechtlich gültige und beidsei-
tig ratifi zierte Handelsabkommen zwischen einem deut-
schen Staat und dem lateinamerikanischen Land. Hierbei
kam Hannover die Personalunion mit England zugute,
da man relativ einfach in den bereits im Dezember 1826
unterzeichneten englisch-mexikanischen Vertrag eintre-
ten konnte. Mit diesen Abkommen erfüllten die europäi-
schen Länder die Hoffnungen der Regierungen des unab-
hängigen Mexiko nach diplomatischer Anerkennung auf
internationaler Ebene.
Die Erwartungen deutscher Kaufl eute auf hohe Gewin-
ne wurden aber enttäuscht. Die jungen Republiken La-
teinamerikas waren durch die Unabhängigkeitskriege
wirtschaftlich geschwächt und boten zunächst nicht den
gewünschten Absatzmarkt. Dennoch versuchte man von
Deutschland aus, die neuen Staaten weiter wirtschaftlich
zu durchdringen, wobei neben Brasilien vor allem Mexiko
von Bedeutung war.
In den 1850er Jahren kontrollierten deutsche Kaufl eute
zwei Drittel des mexikanischen Außenhandels. Dies war
weniger der Fülle von Exportartikeln aus deutschen Län-
dern geschuldet als der Präsenz der in Mexiko ansässi-
gen deutschen Handelsvertreter, von denen viele aus den
Hansestädten kamen. Die Kaufl eute handelten vor allem
mit englischen und französischen Waren. Die wichtigs-
ten Exportgüter Deutschlands waren im 19. Jahrhundert
Eisenwaren, Maschinen und Textilien, importiert wurden
vor allem Rohstoffe, Nahrungs- und Genussmittel. Das
wichtigste Exportgut aus dem Königreich Hannover nach
Mexiko war das Osnabrücker Leinen. In geringeren Men-
gen wurden auch Glas, Papier und Wachs nach Mexiko
ausgeführt. Die Dominanz der Hansestädte, die sich
schon zu Beginn der Beziehungen im deutsch-latein-
amerikanischen Handel abgezeichnet hatte, setzte sich
auch im Kaiserreich fort. 1905 existierten allein in Mexi-
ko sechzig hanseatische Handelsniederlassungen.
Abbildung 28: Der Freundschaftsvertrag zwischen Mexiko
und Hannover im Hauptstaatsarchiv Hannover
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 22RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 22 20.07.2011 17:20:1520.07.2011 17:20:15
Das Deutsche Reich
und Mexiko
Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871
wurde der Außenhandel stärker staatlich geför-
dert und die diplomatischen und konsularischen
Institutionen ausgebaut. Ein Beispiel dafür ist
die Gründung des Honorarkonsulats in Hanno-
ver zur Unterstützung der Beziehungen mit Me-
xiko. Den Überseehandel bestritten nicht mehr
nur Kaufl eute, auch Reeder, Bankiers und Unter-
nehmer beteiligten sich nun an den Geschäften
mit Mexiko. Die erfolgreiche politische Stabi-
lisierung Mexikos ab den 1870er Jahren durch
die Regierung von General Porfi rio Díaz vermin-
derte die Risiken für ausländische Investitionen
erheblich. Die Honorarkonsuln, von denen ins-
besondere die Hannoveraner mit der Region um
Puebla verbunden waren, lieferten wertvolle In-
formationen über Land und Leute und vermittel-
ten Geschäftskontakte zwischen deutschen und
mexikanischen Interessenten.
>> Siehe hierzu auch das Plakat über das Honorarkonsulat Mexikos in Hannover <<
Das 20. Jahrhundert
Die guten Beziehungen zwischen Mexiko und
dem Deutschen Reich sowie das Engagement
deutscher Unternehmen setzten sich auch nach
der Jahrhundertwende fort. 1910 wurde der An-
teil deutscher Investitionen mit 6,5 % der ge-
samten ausländischen Investitionen in Mexiko
beziffert. Deutsche Unternehmen und Banken
engagierten sich vor allem im Bergbau, im mi-
litärischen Bereich und in der Erdölförderung.
12,9 % der mexikanischen Importe stammten
aus Deutschland, 3 % aller mexikanischen Aus-
fuhren gingen dorthin.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen der me-
xikanischen Revolution und der Ausbruch des
Ersten Weltkriegs störten die wirtschaftlichen
Beziehungen empfi ndlich. Ungeachtet dessen
kamen die deutsch-mexikanischen Beziehungen
bis Ende der 1930er Jahre nie vollständig zum
Erliegen. Die zum Krieg rüstenden Nationalso-
zialisten zeigten mangels eigener Ressourcen
besonderes Interesse an mexikanischem Erdöl.
Erst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs un-
terband die Regierung Mexikos die Erdölliefe-
rungen. In Übereinstimmung mit ihrer Politik der
Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten
brach die mexikanische Regierung Anfang De-
zember 1941 die diplomatischen Beziehungen
zu Deutschland, Japan und Italien ab. Als deut-
sche U-Boote 1942 mexikanische Handelsschiffe
torpedierten, trat Mexiko an der Seite der Alliier-
ten in den Weltkrieg ein.
Ein Neuanfang: Das
mexikanische Wunder
und der Volkswagen
Erst 1952 nahmen Deutschland und Mexiko er-
neut offi zielle Beziehungen auf; Abkommen
über den Luftverkehr, die wissenschaftlich-tech-
nologische sowie die kulturelle und industrielle
Zusammenarbeit folgten. Prägend für die Wirt-
schaftsbeziehungen waren die sich in Mexiko
ansiedelnden deutschen Großunternehmen, die
direkt in Produktionsstätten vor Ort investierten.
Neben den Staatseinnahmen aus der nationa-
lisierten Erdölproduktion trugen auch sie zum
„milagro mexicano“, dem mexikanischen Wirt-
schaftswunder, bei. Die Wirtschaftswunderjahre
zwischen 1940 und 1970 zeichneten sich durch
politische Stabilität, wirtschaftliches Wachstum
und staatliche Investitionspolitik aus. Die damals
ausgebaute Infrastruktur ist bis heute für die
anhaltend hohe Investitionsbereitschaft auslän-
discher Unternehmen in Mexiko verantwortlich.
Dies gilt etwa für die Automobilbranche (Volks-
wagen, Daimler Benz und BMW), für die Elekt-
ro- und Elektronikbranche (Bosch und Siemens)
und für die chemische Industrie (Bayer, BASF,
Hoechst und Henkel).
Hauptexportgüter Deutschlands nach Mexiko
sind gegenwärtig Kraftfahrzeuge, Kraftfahr-
zeugteile, optische, elektrische und elektroni-
sche Geräte, Maschinen sowie pharmazeutische
Produkte. Wichtige Importgüter aus Mexiko sind
ebenfalls Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugtei-
le, darüber hinaus Erze, Kupfer, Erdöl, Kaffee und
Honig. Bekanntestes Beispiel für die wirtschaft-
liche Zusammenarbeit zwischen dem Land Nie-
dersachsen und Mexiko ist zweifellos das 1967
eröffnete Volkswagenwerk in Puebla. Die Auto-
mobilproduktion sichert darüber hinaus zehn-
tausende von Arbeitsplätzen in der mexikani-
schen Zuliefererindustrie.
WirtschaftlicherAufwind.
Abbildung 29: Käferproduktion im VW-Werk
Wolfsburg 1973
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 23RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 23 20.07.2011 17:20:1620.07.2011 17:20:16
Mexikanisch-deutsche
Perspektiven
Die Beziehungen zwischen Mexiko und Deutsch-
land waren während des gesamten 20. Jahrhun-
derts von ökonomischen Interessen geleitet.
Politische und kulturelle Aspekte spielten eine
eher untergeordnete Rolle. Mexiko ist ein
Schwerpunktland der bilateralen Kooperations-
politik der Bundesregierung in Lateinamerika.
Umgekehrt gilt dasselbe, schließlich ist Deutsch-
land Mexikos wichtigster Handelspartner in der
Europäischen Union. Nach Angaben des mexi-
kanischen Wirtschaftsministeriums war die
Bundesrepublik im Jahr 2004 der viertwichtigs-
te Handelspartner Mexikos nach den USA, Chi-
na und Japan. Bei den mexikanischen Importen
nahm Deutschland ebenfalls den vierten Platz
ein - wiederum nach den USA, Japan und China.
Nach Brasilien ist Mexiko der wichtigste Han-
delspartner der Bundesrepublik in Lateinamerika.
Mexiko wird aufgrund des Freihandelsabkom-
mens seit 1994 als Tor in die USA und Kanada
angesehen und als „Brücke“ ins übrige Latein-
amerika.
Mexikanischer Volkswa-
gen aus Niedersachsen
Als größtes Unternehmen Niedersachsens spielt
die „Volkswagen AG“ – weltweit drittgrößter
Konzern nach Produktion und Absatz von Kraft-
fahrzeugen – eine besondere Rolle in den
deutsch-mexikanischen Beziehungen. In der für
die Bundesrepublik wirtschaftlich wichtigen Au-
tomobilindustrie beschäftigt allein „VW“ etwa
100.000 Menschen.
In Mexiko ist die Automobilindustrie ebenfalls
von großer Bedeutung. Als produktionsintensi-
ve und exportfähige Industrie wurde die Bran-
che seit 1940 vom Staat gefördert. Die Mittel
zur Unterstützung der in Mexiko angesiedelten
ausländischen Automobilindustrie stammten
überwiegend aus den Erdölexporten. 1978 re-
präsentierte die Automobilindustrie 26,3 % des
mexikanischen Außenhandelsvolumens - 1981
waren es bereits 57,7 %. 2008 nahm Mexiko mit
jährlich ca. 2,2 Millionen Fahrzeugen weltweit
den zehnten Platz unter den Automobil herstel-
lenden Ländern ein, ein Drittel davon produziert
„Volkswagen de México“.
Der Volkswagen-
Konzern
Die Volkswagen AG wurde 1937 als „Gesellschaft
zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens
mbH“ von der nationalsozialistischen „Deut-
schen Arbeitsfront“ gegründet. Für die Produk-
tion des von Ferdinand Porsche erdachten „Kraft
durch Freude“-Wagens, dem späteren VW-Kä-
fer, errichtete die Gesellschaft 1938 in der Nähe
von Fallersleben eine als größte Automobilfab-
rik Europas geplante Produktionsstätte mit da-
zugehöriger Stadt, das heutige Wolfsburg. Doch
wurde zunächst nicht der VW-Käfer, sondern ab
1940 unter dem Einsatz von 20.000 Männern
und Frauen als Zwangsarbeiter der sogenannte
Kübelwagen für den Kriegseinsatz gebaut. Nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 über-
nahm die britische Militärverwaltung den Be-
trieb und ließ zum ersten Mal serienmäßig den
„Käfer“ bauen. Ende 1949 übergaben die Briten
das Unternehmen in die Obhut der gerade ent-
standenen Bundesrepublik, die sie unter die Ver-
waltung des Landes Niedersachsen stellte. Die
Werke in Wolfsburg und Braunschweig hatten
damals etwa 10.000 Beschäftigte.
Die steigende Nachfrage nach dem „Käfer“ im
In- und Ausland machte in den 1950er Jahren
eine Ausweitung der Produktion notwendig.
Weitere Werke entstanden in Deutschland (Han-
nover, Kassel), Brasilien und Australien.
Deutsche Unternehmen in Mexiko.
Abbildung 30: Produktion von Käfer-Motoren im
VW-Werk 1973
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 24RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 24 20.07.2011 17:20:1720.07.2011 17:20:17
Von Mexiko in die Welt
Nach dem Fertigungsstopp des Käfers 1978 im
niedersächsischen Emden verblieb in Puebla die
weltweit einzige Produktionsstätte des dort offi -
ziell als „Sedán“ bezeichneten Erfolgsmodells. 25
Jahre später, am 30. Juli 2003, lief dort der letz-
te Käfer vom Band. Strengere Umweltaufl agen
und andere Vorschriften der mexikanischen Re-
gierung hatten die Produktion des immer noch
begehrten Sedán-Käfers unrentabel gemacht. In
Puebla werden inzwischen neue Modelle wie der
Jetta, der Bora und der Golf Variant gebaut. Mit
etwa 15.000 Beschäftigten ist das Werk gegen-
wärtig der größte VW-Produktionsstandort in
Amerika.
Volkswagen ein Ge-
werkschafts-Betrieb?
Eine Besonderheit des VW-Konzerns in der Bun-
desrepublik ist der hohe gewerkschaftliche Or-
ganisationsgrad. Bis zu 98 % der Beschäftigten
sind Mitglieder der Industriegewerkschaft Me-
tall. Dies ist zum Teil auf die Kooperation zwi-
schen dem halbstaatlichen Betrieb und der In-
teressenvertretung der Beschäftigten seit der
Nachkriegszeit zurückführen.
Die britische Militärverwaltung hatte den Be-
trieb unter der Bedingung besonderer Mitspra-
cherechte der Gewerkschaft in deutsche Obhut
übergeben. Außerdem war das Unternehmen
auf die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft
angewiesen, um Arbeitskräfte für die ländliche
Region um Wolfsburg anzuwerben. Das Wachs-
tum des Unternehmens und die wirtschaftliche
Prosperität unterstützten die Entwicklung eines
auf Kooperation basierenden Betriebssystems, in
der Bundesrepublik als „Sozialpartnerschaft“ be-
kannt. Durch den hohen Organisationsgrad und
die besondere „Betriebskultur“, welche die Be-
triebsräte in viele Fragen des betrieblichen All-
tags einbezieht, wird den Beschäftigten teilweise
bis heute ein übertarifl icher Lohn gezahlt.
Bereits 1955 einigten sich die Industriegewerk-
schaft Metall, der Betriebsrat und die Unterneh-
mensleitung auf die Einführung der 40-Stun-
denwoche ab 1957. Nicht zuletzt wegen dieser
Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Kon-
zernspitze fi nden bei Volkswagen in Deutschland
selten Streiks statt.
Das Prinzip des „closed
shop“ in Mexiko
Im VW-Werk in Puebla liegt der Organisations-
grad der Beschäftigten noch höher, nämlich bei
100 %. Dies liegt am Prinzip des „closed shop“,
was bedeutet, dass der Zugang zu Arbeitsplätzen
auf diejenigen beschränkt ist, die der Betriebs-
gewerkschaft angehören.
Der hohe Organisationsgrad ist auch hier für die
relativ hohen Löhne und die im Vergleich zu an-
deren Unternehmen besseren Sozialleistungen
verantwortlich. Die Streikaktivität ist allerdings
höher als in Deutschland. So hoch, dass im
Krisenjahr 2010 allein durch die Androhung
von Streik 6,09 % Lohnsteigerung erreicht
wurden, während die Infl ationsrate bei ledig-
lich 4,32 % lag.
In Deutschland konnte hingegen bei einer Infl a-
tionsrate von 1,5 % lediglich eine „Nullrunde“
bei den Tarifverhandlungen in der Metallbranche
erzielt werden.
Arbeitskampf aufmexikanisch.
Abbildung 32: Streikende VW-Arbeiter in Puebla
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 25RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 25 20.07.2011 17:20:1820.07.2011 17:20:18
Continental —
Hannovers Global-
Player in Mexiko
Einen hohen Organisationsgrad der Beschäftig-
ten zeichnet ebenfalls das mexikanische Reifen-
werk „Euzkadi“ aus. Bis 2005 gehörte der Betrieb
dem in Hannover ansässigen „Continental“-Kon-
zern. Durch den erfolgreichen Widerstand der
Beschäftigten konnte eine 2002 geplante Schlie-
ßung verhindert werden.
Vom Hannoveraner
Unternehmen zum
Weltkonzern
1871 wurde Continental in Hannover als „Con-
tinental-Caoutchouc- und Gutta-Percha Com-
pagnie AG“ gegründet. Der Aufstieg zu einem
internationalen Unternehmen begann Ende der
1960er Jahre. Heute ist der hannoversche Kon-
zern der größte Hersteller von Kautschukwaren
in Deutschland und eines der weltweit führen-
den Unternehmen im Bereich der Reifenproduk-
tion. Darüber hinaus produziert und vertreibt
„die Conti“ seit 1991 neben Erzeugnissen aus
Gummi und Kunststoff auch Bremssysteme und
Fahrzeugelektronik.
Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund
134.500 Mitarbeiter in über 190 Produktionsan-
lagen in 39 Ländern und 3.000 Franchise- und
Reifenhandelsbetrieben.
Reifenproduktion
in Mexiko
Mit dem Kauf des amerikanischen Reifenherstel-
lers „General Tire“ und dessen Werken in Nord-
und Südamerika kamen 1987 erstmals auch
mehrere Produktionsstandorte in Mexiko zum
Continental-Konzern: Ayala, Morelos-Cuautla,
Guadalajara, Mexiko-Stadt, Ciudad Juárez, San
Luis Potosí, Nogales, Silao und Silao-Las Colinas.
Die Betriebe fertigen u. a. Pkw-Reifen, Ausstat-
tung für den Insassenschutz, Bremskraftver-
stärker und elektronische Bremssysteme. Wie
auch in Deutschland ist Continental in Mexiko
ein wichtiger Zulieferer für Volkswagen. Derzeit
liegt die Mitarbeiterzahl der Continental-Werke
in Mexiko bei etwa 6.000 Beschäftigten. Um
die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter zu
fördern, gründete der Konzern 2006 an mehre-
ren mexikanischen Standorten die Continental
University Mexico.
Kontinentale Verbindungen.
Abbildung 34: Werk Euzkadi
Abbildung 35: Gewerkschaftskonferenz der
Gewerkschaft CTM (Confederación de Trabajado-
res de México)
Abbildung 33: Continental Logo
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 26RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 26 20.07.2011 17:20:1820.07.2011 17:20:18
Streik gegen Continental
im Werk „Euzkadi“
Anfang 2002 kam es im Continental-Werk „Euzkadi“ in
El Salto/Guadalajara im Bundesstaat Jalisco (ca. 400 km
westlich von Mexiko-Stadt) zum Streik. Der Arbeitskampf
erregte aufgrund seiner Dauer von 3 Jahren und dem
Sieg der Streikenden über den Weltkonzern Continental
weltweites Aufsehen.
Über Jahrzehnte hatte sich das Euzkadi-Werk in El Salto
zu einem wirtschaftlichen Eckpfeiler der Region entwi-
ckelt. Die Qualität der Reifen galt als hervorragend und
1998 erreichte die Produktion einen Rekordwert, etwa
ein Prozent aller weltweit produzierten Reifen wurde in
El Salto hergestellt. Im gleichen Jahr übernahm Conti-
nental das mexikanische Traditionsunternehmen „Hulera
Euzkadi“. Drei Jahre später, im Dezember 2001, erhielten
die Mitarbeiter des Werks unvorbereitet eine Mitteilung
über die sofortige Schließung des Betriebes und ihre Ent-
lassung. Als Reaktion darauf entschloss sich die Betriebs-
gewerkschaft SNRTE (Versammlung der Nationalen Re-
volutionären Gewerkschaft der Arbeiter der Gummifabrik
Euzkadi AG) zum Streik. Gewerkschaft und Belegschaft
bemühten sich darum, den Protest national und interna-
tional bekannt zu machen. Die Streikenden trugen ihre
Forderungen unter anderem medienwirksam bis in die
Konzernzentrale in Hannover.
Erst nach drei Jahren langer Verhandlungen und gericht-
licher Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit
der Schließung bzw. des Streiks konnte der Arbeitskon-
fl ikt beigelegt werden. Im Januar 2005 vereinbarten die
Continental, das mexikanische Unternehmen „Llanti-Sys-
tems“ und die Gewerkschaft SNRTE mit Unterstützung
der mexikanischen Regierung eine Überschreibung des
Werks. Seither gehört der Betrieb zur Hälfte der Beleg-
schaft und zur anderen Hälfte „Llanti-Systems“.
„Llanti-Systems“, das im Reifenhandel aktiv ist und ein
Großabnehmer von Continental-Reifen war, investierte
40 Millionen US-Dollar in das neue Unternehmen. Seit
Februar 2005 wird der neue Betrieb unter dem Namen
„Corporación de Occidente, S.A. de C.V.“ als Kooperative
geführt und die Produktion von den Mitarbeitern selbst
verwaltet. Bereits 2006 überstieg die jährliche Fertigung
1,5 Millionen Reifen.
Mexikaner streiken in Hannover.
Abbildung 36: Euzkadi Arbeiter in Hannover, 2004
Weiterführende Literatur:
» Becker, Felix (1984): Die Hansestädte und Mexiko. Handelspolitik, Verträge und
Handel, 1821 – 1867. Wiesbaden.
» Bernecker, Walther (1988). Die Handelskonquistadoren. Stuttgart.
» Bortz, Jeffrey L.; Habber, Stephen (2002): The Mexican Economy, 1870-1930.
Essays on the Economic History of Institutions, Revolution and Growth. Stanford.
» Katz, Friedrich (1964): Deutschland, Díaz und die mexikanische Revolution.
Die deutsche Politik in Mexiko 1870-1930. Berlin.
» Mentz, Brígida von u. a. (1988): Los empresarios alemanes, el Tercer Reich y la
oposición de derecha a Cárdenas. México.
» Richter, Peter; Esser, Klaus (1981): Schwerpunktland Mexiko: Zur Fortentwicklung
der bilateralen Kooperationspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Berlin.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 27RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 27 20.07.2011 17:20:2220.07.2011 17:20:22
Große Flächen
für große Kunst.
Wandbilder
und nationale
Integration
in Mexiko
Nach dem durch bewaffnete
Auseinandersetzungen gepräg-
ten Revolutionsjahrzehnt (1910-
1920) stand die Aussöhnung der
unterschiedlichen gesellschaftli-
chen Interessensgruppen im Vor-
dergrund der Politik. Unter der
Präsidentschaft von Álvaro Ob-
regón trug zu Beginn der 1920er
Jahre die Einbindung der antago-
nistischen Gruppen in Massen-
organisationen und Gewerk-
schaften zur Stabilisierung der
Verhältnisse bei.
Die in der Revolution entstande-
ne Kunstform des „Muralismus“
(Wandmalerei) leistete in diesem
Sinne einen Beitrag zur Bildung
einer neuen nationalen Identität.
Unter Obregón erhielt der Mura-
lismus staatliche Förderung. Für
die großfl ächigen Wandgemälde
standen nun öffentliche Gebäu-
de wie der Präsidentenpalast,
Ministerien oder Schulen zur Ver-
fügung.
José Vasconcelos, der als Erziehungsminister Obregóns die Kultur- und Bil-
dungspolitik Mexikos grundlegend umgestaltete, hatte einen entscheidenden
Anteil an dieser Entwicklung. Er initiierte eine Alphabetisierungskampagne
und ließ vor allem auf dem Land zahlreiche Schulen und Bibliotheken errich-
ten. Darüber hinaus beauftragte er eine Gruppe von jungen Künstlern, die Ge-
schichte Mexikos von der Epoche der vorspanischen Reiche der Azteken und
Maya bis in die Gegenwart auf Wandgemälden zu präsentieren. Aufgrund der
hohen Zahl von Analphabeten sollte die Wandmalerei als eine Art „öffentli-
ches Geschichtsbuch“ die Bildungskampagne unterstützen.
Die Wandmaler konnten ihre Kunstwerke frei gestalten, einzige Vorgabe war
die großfl ächige, öffentliche Darstellung von Themen gesellschaftspoliti-
scher Bedeutung. Anregungen erhielt der Muralismus von avantgardistischen
und sozialistischen Ideen. Zwei seiner bedeutendsten Vertreter – Diego Rive-
ra (1886-1957), David Alfaro Siqueiros (1896-1974) – gehörten der 1919 ge-
gründeten Kommunistischen Partei Mexikos an.
Abbildung 37: Ausschnitt eines Wandbilds von Diego Rivera, Szene in Tenochtitlán
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 28RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 28 20.07.2011 17:20:2620.07.2011 17:20:26
Kunst, die Massen bewegt und Ketten sprengt.
Gesellschaftliche Utopien und Kapita-
lismuskritik spiegelten sich deshalb in
ihren Motiven deutlich wider. Die Wer-
ke prangerten die Eroberung Mexikos
durch die Spanier sowie die Unterdrü-
ckung der indigenen Bevölkerung wäh-
rend der Kolonialzeit ebenso an wie die
Unterdrückung durch Großgrundbesit-
zer und Klerus. Auch die Politiker und
Unternehmer des unabhängigen Mexiko
blieben nicht verschont. Die mexikani-
sche Revolution stellten die Wandge-
mälde hingegen als politischen Bruch
dar und (v)erklärten Bauern und Arbeiter
als eigentliche Helden dieses Prozesses.
In der auf den Wandgemälden neu
erzählten mexikanischen Nationalge-
schichte hatte erstmals auch die indi-
gene Bevölkerungsmehrheit des Landes
einen Platz, die zuvor nicht als Teil der
mexikanischen Nation galt. Insbesonde-
re Diego Rivera betonte das reiche in-
digene Erbe Mexikos. Die Wandgemälde
als öffentliche Kunstwerke an den Re-
gierungsgebäuden symbolisierten dar-
über hinaus das neue Politikverständnis
der revolutionären Machthaber, das auf
Massenmobilisierung basierte.
Kunst und Kapitalismus-
kritik im revolutionären
Deutschland
Revolutionäre Unruhen prägten auch in Deutschland das
zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Die Novemberre-
volution, die 1918 in der Endphase des Ersten Weltkrieges
begann, löste einen tiefgreifenden politischen Wandel
aus. Die konstitutionelle Monarchie des deutschen Kai-
serreichs wurde durch die demokratische Verfassung der
Weimarer Republik ersetzt. Die neuen gesellschaftlichen
Freiräume brachten hier ebenfalls eine Blüte von Kunst
und Kultur hervor. Frei von Zensur brachen Künstler in
den 1920er Jahren mit alten Formen und Strukturen und
experimentierten mit avantgardistischen Stilrichtungen.
Zahlreiche Ausstellungen präsentierten Bilder der Kunst-
richtungen des Surrealismus und des Dadaismus nun ei-
nem breiten Publikum.
In Hannover entwickelte Kurt Schwitters (1887-1948)
seine MERZ-Kunst als ein „dadaistisches Gesamtweltbild“.
Als MERZ bezeichnete Schwitters seine neue Technik,
aus Zeitungsausschnitten, Reklame und Abfall Collagen
herzustellen. Darüber hinaus engagierte er sich politisch
in der von ihm mitbegründeten Novembergruppe, einer
Künstlervereinigung, die durch Kunst eine soziale Revo-
lution unterstützen wollte.
Abbildung 38: Wandbild von David Alfaro Siqueiros im Palacio de Bellas Artes, Mexiko-Stadt
Abb. 39:
Kurt
Schwitters
1927
Abb. 40:
Brief-
marke
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 29RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 29 20.07.2011 17:20:2720.07.2011 17:20:27
Zum linken Flügel dieser Gruppe
gehörte unter anderem Otto Dix
(1891-1969), der als Vertreter der
Neuen Sachlichkeit ein scharfes
und kritisches Bild der Wirklich-
keit skizzierte. Mit Gemälden wie
„Das Leben in der Großstadt“ und
„Die Kluft zwischen Arm und
Reich“ zeigte er die Missstände
seiner Zeit auf und prangerte die
soziale Ungleichheit im Kapitalis-
mus an.
Abbildung 41: Briefmarke
Anita Berber 1991
Abbildung 42: Kurt Schitters Wandge-
mälde in Hannover Linden
Abbildung 43: Wandbild von Diego Rivera, Treppenaufgang des Nationalpalasts
in Mexiko-Stadt
Dix’ Gegenüberstellung der Dekadenz und Verschwendungssucht der Ober-
schicht und der sozialen Not der Bevölkerungsmehrheit erinnern in vieler Hin-
sicht an die Wandgemälde Riveras. Dessen Fresko im Treppenaufgang des
Nationalpalastes in Mexiko-Stadt enthält Motive und Stile, die wir auch bei
Dix wiederfi nden können.
Bildsprache mit kritischen Tönen.
Weiterführende Literatur:
» Folgarait, Leonard (1991): Revolution as Ritual. Diego Rivera‘s National Palace Mural. In: Oxford Art Journal,
14/1:18-33.
» Zimmering, Raina (Hrsg.) (2005): Der Revolutionsmythos in Mexiko. Würzburg.
» MERZ - ein Gesamtweltbild (2004): Katalog zur Ausstellung von Kurt Schwitters im Museum Tinguely
in Basel. Bern.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 30RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 30 20.07.2011 17:20:2920.07.2011 17:20:29
Selbst- und
Fremdwahrnehmungen
Von Eduard Mühlenpfordt zu Julita Gomez
Zeitzeugen aus dem Königreich Hannover, die sich zu
den Verhältnissen im Mexiko des 19. Jahrhunderts äu-
ßerten, sind rar. Einer von ihnen war der Ingenieur Edu-
ard Mühlenpfordt, der sich am 5. Januar 1827 zusam-
men mit seiner Frau und einer Gruppe Harzer Bergleute
nach Mexiko einschiffte. Anfänglich bereiste er das Land
als Leiter des Bauwesens im Dienst der englischen Berg-
werksgesellschaft „United Mexican Mining Association“.
Der ursprünglich für fünf Jahre geplante Aufenthalt ver-
längerte sich um weitere drei Jahre, in denen Mühlen-
pfordt als Direktor der staatlichen Wegebaukommission
von Oaxaca tätig war.
Nach seiner Rückkehr nach Hannover verfasste Mühlen-
pfordt eine detaillierte und sehr lesenswerte Schilderung
der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und naturräum-
lichen Verhältnisse in der Republik Mexiko kurz nach der
Unabhängigkeit.
Sie erschien erstmals 1844 in Hannover unter dem Titel
„Versuch einer getreuen Schilderung der Republik Mejico
besonders in Beziehung auf Geographie, Ethnographie
und Statistik“. Teile seiner Schilderung sind auch in der
2000 von C. Raddatz herausgegebenen und kommentier-
ten Ausgabe „Mejicanische Bilder. Reiseabenteuer, Ge-
genden, Menschen und Sitten“ nachzulesen.
Mühlenpfordt in
Mexiko – Mexikaner
in Niedersachsen.
Abbildung 44: Eduard Mühlenpfordt (1801-1853)
Abbildung 45: Erste Seite des Manuskripts von Mühlen-
pfordts „Mejicanische Bilder"
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 31RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 31 20.07.2011 17:20:3120.07.2011 17:20:31
Zwischen Mai und August 2010 entstanden im
Rahmen unseres Projektseminars Interviews
mit sechs mexikanischen und deutschen Frau-
en und Männern, die unmittelbar oder indirekt
mit dem Volkswagen-Werk in Puebla, Mexiko
in Verbindung standen oder stehen. Ziel der In-
terviews war es, eine Verbindung zwischen den
im Reisebericht Mühlenpfordts geschilderten
Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit gegen-
wärtigen Wahrnehmungen und Einschätzun-
gen von Mexikanerinnen und Mexikanern her-
zustellen. Wir stellen hier einige Auszüge vor.
Frage: Eduard Mühlenpfordt hatte am 29.
Mai 1833 erstmals Puebla besucht.
In seinem Bericht schrieb er dazu:
„Fremde, Ausländer, sind in Puebla
übel gelitten, weshalb auch nur
wenige hier wohnen.“ Wie beurtei-
len Sie aus Ihrer heutigen Kennt-
nis der Verhältnisse in Puebla diese
Aussage?
Antwort: „Puebla als Provinz und als Stadt hat sich inzwischen Neuankömmlingen geöffnet. In der Einstellung der alt eingesessenen Familien gegenüber Fremden hat sich bis heute nichts geändert.“
Rocio Carbajal, 6. August 2010 – Wolfsburg
Frage: Eduard Mühlenpfordt schrieb: „Die
Bevölkerung Mejicos ist, […] aus
drei verschiedenen Hauptelementen
zusammengesetzt; […] Indier, Weisse
und Neger.“ Ist eine derartige Klassi-
fi zierung in Mexiko heute noch aktuell?
Antwort: „Mein Großvater von mütterlicher Seite war Franzose, meine Großmut- ter indianisch. Mein Vater ist spani- scher Herkunft, also Kreole. Wie Sie sehen, bin ich dunkel; ich habe eine Schwester, die ist weiß. Es gab immer Probleme zwischen uns.“
Rocio Carbajal, 9. Juli 2010 – Wolfsburg
Frage: Obwohl Eduard Mühlenpfordt in
der ersten republikanischen Ver-
fassung von 1824 (nach dem Plan
von Iguala) ausdrücklich hervor-
hob, dass „allen Casten und Ständen
die Rechte freier Bürger zugestan-
den [ward]“, schloss er aufgrund der
oben beschriebenen Bevölkerungs-
einteilung auf völlig unterschiedliche
Bildungschancen. Haben Ihrer Auf-
fassung nach Vertreter der indigenen
Bevölkerung im heutigen mexikani-
schen Bildungssystem mittlerweile
gleiche Berufschancen wie die Weißen?
Antwort: „Bei uns im VW-Werk in Puebla wa-
ren Reinigungskräfte und Fließband-
arbeiter fast ausschließlich Indios, in
der Verwaltung nur Weiße.“
Konrad Henniger, 4. Mai 2010 – Hannover
Ist Mühlenpfordt noch aktuell?
Abbildung 47: Straßenmarkt in Mexiko
Abbildung 46: Der zentrale Platz in Puebla
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 32RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 32 20.07.2011 17:20:3220.07.2011 17:20:32
Frage: Eduard Mühlenpfordt stellte fest, dass die –
wie er sich ausdrückt – römisch-katholisch-
apostolisch-christliche Kirche in Mexiko auf
alle Menschen großen Einfl uss in allen Le-
bensbereichen ausübt. Sehen Sie das heute
auch noch so, und wenn ja, in welchen
Bereichen ist der Einfl uss der Kirche Ihrer
Meinung nach am größten?
Antwort: „Ja, das ist auch heute noch so - auch weil
die Mehrheit der Bevölkerung dieser Religion
angehört – zum Beispiel in ihrem Einfl uss
auf die Gesetzgebung, aber auch in anderen
wichtigen Gebieten wie in der Schule. Ich
persönlich bekenne mich zum Islam und bin
noch in Mexiko zu diesem Glauben über-
getreten.“
Sarah Lenkeit, 21. August 2010 – Braunschweig
Frage: Eduard Mühlenpfordt stellte fest: „Todtschlä-
ge fallen in Mejico weit häufiger vor, als
anderswo. […] mindestens 9/10 davon werden
nicht mit Vorbedacht, noch weniger in räube-
rischer Absicht verübt.“ Wie beurteilen Sie
diese Aussagen im Vergleich zu den heutigen
Verhältnissen in Mexiko?
Antwort: „Hier in Berlin jogge ich fast täglich abends
alleine durch den angrenzenden Park, bei uns
in Puebla wäre das völlig unmöglich.“
Dr. Julita Gomez, 29. Mai 2010 – Berlin
Frage: Eduard Mühlenpfordt schilderte seinerzeit
begeistert die im Vergleich zu den deutschen
Ländern fortschrittliche, republikanische
Verfassung des unabhängigen Mexiko. Kön-
nen Sie diese Begeisterung Mühlenpfordts
heute noch nachvollziehen?
Antwort: „Unsere Verfassung war damals schon und
ist auch heute okay. Aber wie sieht heute die
Realität bei uns in Mexiko aus? Korruption,
Bestechung, Drogen- und Gewaltkriminalität
sind normal; und die Regierung scheint hilfl os
zu sein.“
Israel Munoz, 9. Juli 2010 – Wolfsburg
Damals und heute — Gewalt in Mexiko?
Abbildung 48: Kirche in Mexiko
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 33RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 33 20.07.2011 17:20:4220.07.2011 17:20:42
Verbrannte Geschichte
Die Ursprünge der konsularischen Vertretungen Mexikos
in Hannover seit der Unterzeichnung des mexikanisch-
hannoverschen Freundschaftsvertrags vom 20. Juni 1827
sind nur schwer nachzuvollziehen, denn die diesbezügli-
chen Schriftstücke sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt.
Vermutlich wurden die Interessen Mexikos zunächst von
den konsularischen Vertretungen in den Hansestädten
Hamburg und Bremen wahrgenommen. Bei dem ersten
erhaltenen Dokument handelt es sich um eine Akte aus
dem Hauptstaatsarchiv des Niedersächsischen Landes-
archivs über die Ernennung von mexikanischen Hono-
rarkonsuln vom 20. November 1890. Darin ersuchte der
Oberpräsident der Provinz Hannover um Informationen
über die persönlichen Umstände und Vermögensverhält-
nisse des Hannoveraner Kaufmanns Carl Solling. Solling
sollte den bereits zuvor zum Konsul ernannten Kauf-
mann Hugo Doormann ersetzen, da dieser sein Amt nicht
angetreten hatte.
Dominanz der Kaufl eute –
Die Konsuln bis zum
Zweiten Weltkrieg
23. Januar 1891: Ernennung des Kaufmanns Carl
Solling zum Vizekonsul.
28. Juli 1892: Ernennung des Barons Dr. med. Louis
von Herrmann zum Konsul.
23. März 1899: Ernennung von Carl Solling
zum Konsul.
17. Dezember 1907: Ernennung des Hannoveraner
Kaufmanns Wilhelm Garvens zum Vizekonsul. Sowohl
Solling als auch Garvens werden auch nach den Neuord-
nungen der Zuständigkeitsbereiche des Hannoveraner
Konsulats 1908 und 1921 in ihren Ämtern bestätigt.
7. April 1925: Carl Solling verstirbt.
3. September 1924: Nach Unterordnung unter den
mexikanischen Generalkonsul in Hamburg wird Wilhelm
Garvens am 20. Februar 1924 zum Vizehonorarkonsul
und am 2. Februar 1927 schließlich zum Honorarkon-
sul Mexikos in Hannover ernannt. Nach einer Reform der
Konsularbezirke befi nden sich mexikanische Konsulate
in Hamburg, Bremen und Berlin. Von diesem Zeitpunkt
an nehmen nur noch mexikanische Staatsangehörige die
Ämter des Generalkonsuls bzw. Konsuls wahr.
Das mexikanische
Konsulat in Hannover.
Abbildung 49: Mexikanisches Honorarkonsulat in Hannover
Abbildung 50: Erste Seite der Akte zur Ernennung von Carl
Solling zum Vizekonsul Mexikos in Hannover
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 34RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 34 20.07.2011 17:20:4620.07.2011 17:20:46
14. Mai 1932: Wilhelm Garvens verstirbt.
22. November 1939: Nachdem bereits das mexikani-
sche Generalkonsulat in Bremen geschlossen wurde, ruft
die mexikanische Regierung auch ihren Generalkonsul in
Hamburg ab.
28. August 1941: Ein Schreiben des Auswärtigen Amts
beendet die diplomatischen Beziehungen zwischen
Deutschland und Mexiko:
„Der Mexikanischen Gesandtschaft ist mitgeteilt worden,
daß sich die Reichsregierung genötigt gesehen hat, den
mexikanischen Konsuln in Deutschland das Exequatur,
die Erlaubnis zur Ausübung der konsularischen Funktio-
nen, zu entziehen.“
Diplomatischer Neuanfang
Erst 1952 nehmen Mexiko und die Bundesrepublik
Deutschland ihre diplomatischen Beziehungen wieder
auf. Mit der Wiedereröffnung des Honorarkonsulats am
1. Januar 1961 wird der Kaufmann Jörg Walter Koch, Ei-
gentümer der Hannoveraner Kaffeerösterei Machwitz,
zum ersten mexikanischen Honorarkonsul Hannovers
der Nachkriegszeit ernannt.
Am 1. Januar 1993 übernimmt sein Nachfolger Prof. Dr.
Ulrich von Jeinsen das Amt. Zum ersten Mal in der Ge-
schichte des Konsulats wird ein Rechtsanwalt Konsul in
Hannover.
Hauptaufgaben des mexika-
nischen Honorarkonsulats
Die aktuellen Aufgaben des Honorarkonsulats ergeben
sich aus dem Konsulargesetz vom 11. September 1974.
Demzufolge nimmt das Konsulat die Interessen Mexikos
wahr und ist für die Betreuung seiner Staatsangehöri-
gen in Niedersachsen zuständig. Darüber hinaus ver-
mittelt und fördert es die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staa-
ten von Mexiko und dem Bundesland Niedersachsen.
Es greift Anregungen für entsprechende Aktivitäten auf
oder ergreift selbst die Initiative.
Das Honorarkonsulat unterstützt darüber hinaus nieder-
sächsische mittelständische Unternehmen, die einen
Kontakt zu Mexiko auf- oder ausbauen wollen. Es betreut
Gäste und Delegationen z. B. bei Staatsbesuchen sowie
mexikanische Firmen, die Verbindungen nach Nieder-
sachsen herstellen möchten, insbesondere während der
in Hannover stattfi ndenden Messen. Großunternehmen,
wie z. B. Volkswagen, werden direkt vom Generalkonsu-
lat in Hamburg oder von der Mexikanischen Botschaft in
Berlin betreut.
Abbildung 51: Honorarkonsul Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen
Abbildung 52: Ernennungsurkunde von Jörg Walter Koch
zum Honorarkonsul
Abbildung 53: Gebäude des Honorarkonsulats in Hannover
Quellen und weiterführende Literatur:
» Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover - NLA.
HStAH. Hann. 122a Nr. 274.
» Becker, Felix (1984): Die Hansestädte und Mexiko. Handelspolitik, Verträge
und Handel, 1821 – 1867. Wiesbaden.
» Dane, Hendrik (1971): Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu
Mexiko und Mittelamerika im 19. Jahrhundert. Köln.
Interviews mit:
» Prof. Dr. Ulrich von Jeinsen, Konsul seit 1993, 12.04.2011.
» Dr. Stefan Garvens, Enkel des Konsuls Wilhelm Garvens, 19.04.2011.
» Jörg-Walter Koch, Sohn von Konsul Walter Koch, 29.04.2011.
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 35RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 35 20.07.2011 17:20:5020.07.2011 17:20:50
In einem Schreiben vom November 2009 richtete Hono-
rarkonsul Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen eine Anfrage an den
Präsidenten unserer Universität. Der 200. Jahrestag der
mexikanischen Unabhängigkeit 2010 und das Bestehen
eines Freundschaftsvertrages zwischen Mexiko und Han-
nover seit 1827 könnten Anlass für gemeinsame Aktivi-
täten sein. Prof. Dr. Barke wandte sich daraufhin an Prof.
Dr. Wolfgang Gabbert vom Institut für Soziologie, der
seit Langem in und über Mexiko forscht.
Gemeinsam mit der Professorin für die Geschichte Latein-
amerikas und der Karibik am Historischen Seminar, Prof.
Dr. Christine Hatzky und dem Doktoranden Florian Grum-
blies, wurde die Idee entwickelt, die „Beziehungen zwi-
schen Mexiko und Hannover seit dem 19. Jahrhundert“
in einem interdisziplinären Seminar im Sommersemester
2010 zu thematisieren und die Ergebnisse in einer Aus-
stellung auch einem breiteren Publikum zu präsentieren.
Das Thema stieß auf große studentische Resonanz. Die
Teilnehmer des Seminars begaben sich auf Spurensu-
che und entwickelten daraus die Interessensgebiete, die
auf den Ausstellungstafeln dargestellt werden. Als ers-
te „Generalprobe“ bot sich die „Lange Nacht, die Wissen
schafft“ im Oktober 2010 an, auf der die Teilnehmer des
Seminars unter dem Motto „Was hat Speedy Gonzáles
mit Ernst August zu tun“ erste Ergebnisse ihrer Recher-
chen präsentieren konnten.
In den Monaten danach entstanden dann mit wechseln-
der Besetzung und in mühevoller Kleinarbeit als Ergebnis
vielfältiger Diskussionen über Inhalt und Form die Aus-
stellungstafeln, die Sie hier sehen können.
Das Seminar
Abbildung 54: Damit hat alles begonnen: Honorarkonsul
Prof. Dr. v. Jeinsen stellte eine Anfrage an den Präsidenten
der Leibniz Universität Prof. Dr. Barke
Abbildung 55: Das Team hinter der Ausstellung
Von links, obere Reihe:
Daniel Giere, Damoun Mojtahed Poor, Stephan von Randow,
Daniel Prokop, Frank Darguss, Stephan Tress, Fabian Masch
Von links, untere Reihe:
Prof. Dr. Wolfgang Gabbert, Friederike Apelt, Ina Damaris
Buchroth, Victa Wewerinke, Mona-Sophie Euhus, Prof. Dr.
Christine Hatzky, Eva Kuhlmann, Florian Grumblies
Leider nicht auf dem Foto:
Nadja Babalola, Maria Bednorz, Suzanne Frankenfeld, Maik
Haller, Reike Hirsch, Florian Horre, Florian Kollinger, Kristina
Milicevic, Claudia Neuß, Loreen Packschies, André Schulze,
Alexander Tenge, Ricarda Wenge, Xenia Wissel
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 36RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 36 20.07.2011 17:20:5720.07.2011 17:20:57
Rechtliche Hinweise
Titelbild: Daniel Giere
Abbildung 1: Daniel Giere
Abbildung 2: Daniel Giere
Abbildung 3: Daniel Giere
Abbildung 4: Wiki Commons: Benutzer: Mib23
Abbildung 5: Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover -
NLA. HStAH. Hann. 10 Nr. 206
Abbildung 6: Daniel Giere
Abbildung 7: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt
Abbildung 8: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt
Abbildung 9: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt
Abbildung 10: Öffentliches Eigentum. Patriotische Symbole und Nationalhymnen sind
moralisches Eigentum der Mexikanischen Regierung aber es besteht
kein Copyright.
Abbildung 11: Presseveröffentlichung Reclams Universum, 29. Jg., Heft 22, S. 76, 27.
Februar 1913.
Abbildung 12: Friedrich Georg Weitsch, 1806.
Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt.
Abbildung 13: Online 10.03.2011. http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/
index.php?id=393
Abbildung 14: Online 10.03.2011.http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/
index.php?id=393
Abbildung 15: Online 10.03.2011.http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/
index.php?id=393
Abbildung 16: Daniel Giere
Abbildung 17: Daniel Giere
Abbildung 18: Street in the Village of Nohcacab in 1841, von Frederick Catherwood. In
Stephens, John Loyd: Incidents of Travel in Yucatan. New York. 1963. S. 221.
Abbildung 19: F. Toifer, 1852. Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt
Abbildung 20: Alejandro Linares Garcia. Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt
Abbildung 21: Daniel Giere
Abbildung 22: Daniel Giere
Abbildung 23: Universitätsarchiv Hannover, Best. B
Abbildung 24: Daniel Giere
Abbildung 25: Daniel Giere
Abbildung 26: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 70 Jahre alt
Abbildung 27: Von AxelHH auf Wikipedia auf Deutsch, in die Gemeinfreiheit übergeben
Abbildung 28: Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover -
NLA. HStAH. Hann. 10 Nr. 206
Abbildung 29: Lothar Schaack
Abbildung 30: Lothar Schaack
Abbildung 31: Mattes, Der Copyrightinhaber übergab dieses Bild als
weltweit öffentliches Eigentum
VW-Käfer: Daniel Giere
Abbildung 32: Der Copyrightinhaber übergab dieses Bild als weltweit
öffentliches Eigentum
Abbildung 33: Continental AG
Abbildung 34: Jürgen Scharna
Abbildung 35: Jürgen Scharna
Abbildung 36: Jürgen Scharna
Abbildung 37: Wolfgang Sauber
Abbildung 38: Wolfgang Sauber
Abbildung 39: Genja Jonas +1938, Lizenz ist abgelaufen, da Copyrightinhaber
vor über 75 Jahren starb
Abbildung 40: Deutsche Post AG
Abbildung 41: Deutsche Post AG
Abbildung 42: Daniel Giere
Abbildung 43: Evilfreak86 bei WikiCommons
Abbildung 44: Barthold Mühlenpfordt, Privatbesitz
Abbildung 45: Eduard Muehlenpfordt
Abbildung 46: Benutzer: Maxtreiber, Lizenzvertrag siehe: http://creativecommons.org/
licenses/by-sa/2.0/de/legalcode
Abbildung 47: Stephan von Randow
Abbildung 48: Stephan von Randow
Abbildung 49: Daniel Giere
Abbildung 50: Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover -
ZZNLA. HStAH. Hann. 122a Nr. 274
Abbildung 51: Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen
Abbildung 52: Walter Koch
Abbildung 53: Daniel Giere
Abbildung 54: Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen
Abbildung 55: Daniel Giere
Abbildungsverzeichnis
© H
isto
risc
hes
Sem
inar
un
d In
stit
ut
für
Sozi
olo
gie
der
Lei
bniz
Un
iver
sitä
t H
ann
ove
r, 201
1
RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 37RZ_MEX-Plakate-Internet.indd 37 20.07.2011 17:21:0020.07.2011 17:21:00