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Mexiko und Hannover seit dem 19. Jahrhundert. Was hat Ernst August mit Sombreros am Hut? © Historisches Seminar und Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover, 2011

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Mexiko und Hannover seit dem 19. Jahrhundert.

Was hat Ernst August mit Sombreros am Hut?

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Übersichtstafel:

Geschichte Mexikos∙ Ursachen für die Unabhängigkeitsbewegung in Neu-Spanien

∙ Der Unabhängigkeitskrieg Mexikos 1810-1821

∙ Der Erfolg der Unabhängigkeitsbewegung

∙ Ein Vertrag basierend auf Freundschaft

∙ Reform und ausländische Intervention

∙ Das Porfi riat 1876-1911

Deutsche in Mexiko∙ Deutsche Identität in Mexiko

∙ Villa Carlota in Yucatán

∙ Sartorius-Siedlung am Golf von Mexiko

Geschichte Hannovers∙ Napoleonische Fremdherrschaft und Restauration

im Königreich Hannover

Migration aus Hannover∙ Auswanderung nach Mexiko

∙ Alexander von Humboldt

∙ Der Weg in die neue Welt

∙ Wirtschaftskrise und Wanderlust

∙ Geförderte Auswanderung aus Clausthal-Zellerfeld

Abbildung 1: Mexikos Ausdehnung nach

der gewonnenen Unabhängigkeit 1821

Bevölkerung (2010):Niedersachsen: 7.924.000

Hannover: 520.000

Fläche (2010):Niedersachsen: 47.627 km2

Hannover: 204 km2

Bevölkerung (2008):Mexiko: 104.221.000

Mexiko-Stadt: 19.400.000

Fläche (2008):Mexiko: 1.953.162 km2

Mexiko-Stadt: 1.499 km2

Abbildung 2: Das Königreich Hannover

nach dem Wiener Kongress 1815

Mexiko Hannover

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Mexiko Hannover

Gesellschaft in Mexiko∙ Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung:

Das „Casta“-System in Mexiko

∙ Das Bildungswesen: Zurückdrängung des kirchlichen Einfl usses

∙ Frauen und Familie: Familienformen, Soziale Stellung der Frauen

∙ Emanzipation in Mexiko: Veränderungen der Geschlechter-

beziehungen, Frauen und Bildung

Wirtschaft in Mexiko∙ Das 19. und 20. Jahrhundert

∙ Freundschaft zwischen Hannover und Mexiko seit 1827

∙ Das Deutsche Reich und Mexiko

∙ Ein Neuanfang: Das mexikanische Wunder und VW

∙ Continental — Hannovers Global-Player in Mexiko

Gesellschaft in Hannover∙ Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung:

„Klein-Rumänien in Linden

∙ Das Bildungswesen: Zurückdrängung des kirchlichen Einfl usses

∙ Frauen und Familie: Familienformen, Soziale Stellung der Frauen

∙ Industrialisierung und Frauenarbeit in Hannover

∙ Veränderungen der Geschlechterbeziehungen

Wirtschaft in Hannover∙ Das 19. und 20. Jahrhundert

∙ Freundschaft zwischen Hannover und Mexiko seit 1827

∙ Der Volkswagen-Konzern

∙ Continental: Vom Hannoveraner Unternehmen zum Weltkonzern

Eduard Mühlenpfordt∙ Mühlenpfordt in Mexiko — Mexikaner in Niedersachsen:

Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Eduard Mühlenpfordt

zu Julita Gomez

Das Honorarkonsulat∙ Verbrannte Geschichte

∙ Dominanz der Kaufl eute — Die Konsuln bis zum

Zweiten Weltkrieg

∙ Diplomatischer Neuanfang

∙ Hauptaufgaben des mexikanischen Honorarkonsulats

Kunst und Politikin Mexiko∙ Wandbilder und nationale Integration in Mexiko

∙ Kunst, die Massen bewegt und Ketten sprengt

Kunst und Politik in Hannover∙ Kunst und Kapitalismuskritik im revolutionären Deutschland

∙ Bildsprache mit kritischen Tönen

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Informationstafel:

Wichtiger Hinweis:

Sofern nicht ausdrücklich vermerkt, schließen die in der Ausstellung verwende-

ten maskulinen Formen Frauen mit ein.

Danksagungen:

Unser besonderer Dank gilt dem mexikanischen Honorarkonsul in Hannover,

Prof. Dr. Ulrich von Jeinsen, ohne dessen Anregung und Unterstützung diese

Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre.

Unser Dank gilt ebenfalls Silvia Adalid Martínez vom mexikanischen Hono-

rarkonsulat in Hannover, die uns mit tatkräftiger Unterstützung zur Seite stand.

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Im 19. Jahrhundert kam es – trotz un-

terschiedlicher historischer Ausgangs-

bedingungen – sowohl in Europa als

auch in Lateinamerika zu einer Krise

der monarchischen Herrschaftssyste-

me. Breitere Bevölkerungsschichten

forderten politische Mitspracherechte.

Ursachen für die Unab-

hängigkeitsbewegung in

Neu-Spanien

Mit der Landung von Christoph Kolumbus in der Neu-

en Welt 1492 hatte für Lateinamerika eine mehr als 300

Jahre währende Geschichte spanisch-portugiesischer

Kolonialherrschaft begonnen. Das eroberte Imperium der

Azteken wurde Teil des riesigen Vizekönigreiches Neu-

Spanien. Erst im 19. Jahrhundert erreichten seine Be-

wohner die Unabhängigkeit von Spanien, und aus einem

Teil des Gebiets ging das heutige Mexiko hervor.

Der Beginn der Unabhängigkeitskriege in Lateinamerika

war untrennbar mit den Ereignissen in Europa verbun-

den. Im Zuge seiner Expansionspolitik gelang es Napoleon

Bonaparte 1808, seinen Bruder Joseph zum König

Spaniens zu machen. Die daraufhin beginnenden Auf-

stände mündeten in einen fünfjährigen Bürgerkrieg und

destabilisierten das Land. Dadurch wurde ein Eingreifen

in den Kolonien erheblich erschwert.

In Neu-Spanien führte die Unzufriedenheit mit der

Kolonialherrschaft ebenfalls zu Aufständen. Die oberen

Schichten, die bereits in Amerika geborenen sogenann-

ten Kreolen, wollten sich politisch vom Mutterland

emanzipieren. Sie versprachen sich von der Beendigung

des spanischen Handelsmonopols und der Etablierung

des Freihandels höhere Einkünfte. Die vorrangigen Ziele

der Unterschichten waren die Abschaffung der Sklave-

rei sowie der drückenden Indianertribute. Darüber hinaus

strebten sie die Errichtung einer unabhängigen Republik

an mit einer Verfassung, die soziale Gleichstellung sowie

Religions- und Pressefreiheit garantierte.

Auf dem Weg zur Republik.

Abbildung 3: Ausdehnung der spanischen Kolonialherrschaft

um 1760

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Der Unabhängig-

keitskrieg Mexikos

1810-1821

Am 15. September 1810 rief Pater Miguel Hidal-

go y Costilla in der Gemeinde Dolores zum Auf-

stand gegen die Kolonialherren auf. Sein Grito

de Dolores ging als Beginn des Unabhängig-

keitskampfes in die Geschichte Mexikos ein.

Da Hidalgo eine klare strategische Konzeption,

Ausrüstung und disziplinierte Truppen fehlten,

konnte die Erhebung allerdings rasch niederge-

schlagen werden. Der folgende Aufstand eines

seiner Schüler, des Priesters José María Morelos,

war besser organisiert. Die Aufständischen pro-

klamierten 1814 sogar eine Verfassung, die

neben der Unabhängigkeit die Abschaffung der

Sklaverei beinhaltete und die Gleichberechti-

gung aller ethnischen Gruppen vorsah. Doch

erlitten auch sie 1815 schwere Niederlagen und

Morelos wurde, wie zuvor schon Hidalgo, gefan-

gen genommen und hingerichtet.

Der Erfolg der Unab-

hängigkeitsbewegung

Die Unabhängigkeitsbewegung konnte sich 1821

schließlich durchsetzen, nachdem der Rebellen-

führer Vicente Guerrero und der kreolische

Oberst der Kolonialarmee Agustín de Itúrbide im

Plan von Iguala einen politischen Kompromiss

erreicht hatten. Der Plan sah die Unabhängigkeit

eines Großteils Neu-Spaniens unter dem Namen

„Mexiko“ (nach der indigenen Bezeichnung für

die Bewohner des Gebietes um die aztekische

Hauptstadt Tenochtitlan) vor und beinhaltete

die Gleichberechtigung aller Einwohner. Der Ka-

tholizismus wurde zur Staatsreligion erhoben.

Als Staatsform hatte man die konstitutionelle

Monarchie vorgesehen, mit einem Mitglied des

spanischen Königshauses (Bourbonen) als Kaiser

Mexikos.

Da Spanien den Plan ablehnte, erwies sich die

Errichtung eines bourbonischen Kaisertums in

Mexiko jedoch als unmöglich. Itúrbide nutzte die

folgenden Unruhen, um sich gestützt auf seine

Truppen 1822 selbst zum Kaiser zu krönen.

Er musste allerdings bereits wenige Monate spä-

ter zurücktreten und das unabhängige Mexiko

wurde Republik.

Ein Vertrag, der auf

Freundschaft basiert

Nach dem Ende der Kolonialherrschaft musste

Mexiko seine Anerkennung durch andere Staa-

ten erreichen. Dabei kamen der jungen Nation

ihre Bodenschätze zugute. Die reichen Silbervor-

kommen machten das Land als Handelspartner

attraktiv. Als erster europäischer Staat erkannte

das britische Königreich Mexiko 1825 diploma-

tisch an, um sich handelspolitische Vorteile zu

sichern. Das zu diesem Zeitpunkt in Personal-

union mit Großbritannien regierte Königreich

Hannover schloss 1827 einen Freundschafts-

vertrag, der ebenfalls die diplomatische An-

erkennung Mexikos und Handelsprivilegien für

Hannover vorsah.

Herausforderungen für die junge Nation.

Abbildung 4: Pater Miguel Hidalgo y Costilla

(1753-1811), Ausschnitt eines Wandbilds von

José Clemente Orozco

Abbildung 5:

Der Freundschaftsverstrag zwischen Hannover und

Mexiko im Hauptstaatsarchiv Hannover

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Ein weiteres außenpolitisches Problem für

Mexiko stellte der Expansionsdrang der USA dar,

die Ansprüche auf mexikanische Territorien

erhoben. Nach kriegerischen Auseinanderset-

zungen musste Mexiko Mitte des 19. Jahrhun-

derts die heutigen Bundesstaaten Texas, Kalifor-

nien, New Mexico, Arizona, Utah, Nevada und

Teile von Wyoming und Colorado an die USA

abtreten und verlor damit etwa die Hälfte seines

Staatsgebietes.

Innenpolitisch war Mexiko äußerst instabil.

Zwischen 1821 und 1861 hatte das Land 58 Re-

gierungen, von denen 56 ihre offi zielle Amtszeit

nicht beenden konnten. Zudem lösten sich die

unterschiedlichsten Herrschaftssysteme (Monar-

chie, Militärdiktatur, föderale und zentralistische

Republik) ab. Die drei mächtigsten Gruppen des

Landes, der Klerus, die Großgrundbesitzer und

die Armee, waren nicht an der Etablierung

einer Zentralgewalt und eines starken Bürger-

und Unternehmertums interessiert, da dies ihre

Machtposition geschwächt hätte. Hinzu kamen

als Folge der Zerstörungen des Unabhängig-

keitskrieges und der politischen Wirren anhal-

tende wirtschaftliche Probleme.

Der Silberbergbau, früher eine der wichtigsten

Einnahmequellen Neu-Spaniens, lag brach.

Zudem fehlten Kommunikationsmittel und

-wege und es existierte kein einheitliches und

effektives Steuersystem. Der Staat war folglich

gezwungen, sich zunehmend im Ausland zu

verschulden.

Reform und ausländi-

sche Intervention

Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte zeichnete

sich mit Präsident Benito Juárez, einem libera-

len Rechtsanwalt indigener Abstammung, eine

Wende ab. Er leitete zunächst als Justizminister

und seit 1858 als Präsident eine Reformära ein.

Die Trennung von Staat und Kirche wurde in

der Verfassung verankert und die Sonderge-

richtsbarkeit für Militär und Klerus aufgehoben.

Eine Neuregelung des Besitzes in der Hand

von Körperschaften betraf vor allem die Kirche.

Die Folgen der Säkularisierung des kirchlichen

Grundbesitzes wurden durch die Zahlung von

Entschädigungen gemildert. Die Enteignungen

betrafen jedoch auch das Kommunalland der

indigenen Gemeinden (ejidos), das zum Teil in

Privatbesitz überführt wurde. Dies hatte tief

greifende soziale und ökonomische Auswirkun-

gen und rief anhaltenden Widerstand hervor.

Als Mexiko seine Auslandskredite nicht mehr

bedienen konnte, intervenierte Frankreich

unter Napoleon III. 1861, um seine fi nanziellen

Ansprüche zu sichern. Mit Unterstützung

konservativer mexikanischer Kreise wurde die

Herrschaft der Liberalen um Juárez beendet

und Maximilian von Habsburg 1864 als Kai-

ser Mexikos eingesetzt. Das Kaisertum endete

nach einem blutigen Bürgerkrieg bereits 1867

mit der Hinrichtung Maximilians.

Benito Juárez übernahm erneut das Präsidenten-

amt. Nach seinem Tod 1872 wurde Vizepräsident

Sebastián Lerdo de Tejada sein Nachfolger.

Anlässlich seiner Wiederwahl kam es zu einer

breiten Aufstandsbewegung, die 1876 schließ-

lich zur Amtsübernahme durch General Porfi rio

Díaz führte.

Abbildung 6: Gebietsverluste Mexikos an die USA Mitte des 19. Jahrhunderts

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Das Porfi riat 1876-1911

Das Porfi riat, wie die fast 30 Jahre dauernde,

autoritäre Herrschaft von Porfi rio Díaz bezeich-

net wird, war durch eine tief greifende Erneue-

rung von Staat und Wirtschaft gekennzeichnet.

Díaz, der aus einfachen Verhältnissen stammte,

konnte sich durch eine militärische Laufbahn

als politische Führungsfi gur etablieren. Gleich-

zeitig gelang es ihm, durch seinen autokrati-

schen Führungsstil, der sich an den Maximen

„Ordnung und Fortschritt“ orientierte, die

Jahrzehnte der politischen und wirtschaftlichen

Krisen zu beenden.

Durch fi nanzielle Abfi ndungen und geschickte

Pfründenverteilung gelang es ihm, seine Kritiker

ruhig zu stellen und den Klerus und das Militär

an sich binden. Regionale Machthaber wurden

entweder bekämpft oder zu dauerhafter Loyali-

tät verpfl ichtet.

Gleichzeitig zentralisierte Díaz die staatliche Ver-

waltung und baute das Verkehrs- und Kommu-

nikationssystem aus. So konnten bislang schwer

zu erreichende Gebiete besser kontrolliert und

in das Wirtschaftssystem integriert werden. Díaz

gelang damit eine weitgehende gesellschaftliche

Befriedung und politische Stabilisierung. Dies

lockte ausländische Investoren an.

Die in den 1880er Jahren begonnene wirtschaft-

liche Umgestaltung war fast ausschließlich

durch ausländische Kredite und Investitionen

fi nanziert. Nur der gewinnträchtige Exportsek-

tor, wie Bergbau, Erdölförderung und Teile der

Landwirtschaft, erhielt staatliche Förderung und

wuchs stetig.

Die ungleiche Einkommensverteilung und die

sich daraus ergebende geringe Zahl potentieller

Konsumenten begrenzten jedoch den Binnen-

markt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ver-

größerte sich. Als Folge des gesellschaftlichen

und wirtschaftlichen Wandels entstanden neue

Schichten. Von Díaz und seinen Anhängern kon-

trollierte Präsidentschafts- und Kongresswahlen

fanden zwar periodisch statt, dienten aber ledig-

lich der Legitimierung der bestehenden Macht-

verhältnisse. Eigenständige Parteien im heutigen

Sinne existierten nicht und Exekutive und Judi-

kative waren weitgehend von der Regierung ab-

hängig.

So gerieten unterschiedliche Gesellschafts-

schichten in Konflikt mit Díaz. Doch die

Opposition kam erst 1910 zum Zuge, als es

auch innerhalb der herrschenden Elite zu

Auseinandersetzungen um die Präsidentschafts-

wahlen kam. Forderungen nach einem Verbot

der Wiederwahl des mittlerweile achtzigjährigen

Díaz mündeten in eine Aufstandswelle. Die

anschließende Revolution setzte seiner oligar-

chischen Herrschaft ein Ende.

Buenos Díaz?

Abbildung 8: Porfi rio Díaz mit seiner Frau und

Regierungsmitgliedern

Abbildung 7: General Porfi rio Díaz (1830-1915),

mexikanischer Präsident

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Napoleonische Fremd-

herrschaft und Restau-

ration im Königreich

Hannover

Auch Europa war zu Beginn des 19. Jahrhunderts

im Umbruch begriffen und durch die Herrschaft

Napoleon Bonapartes gekennzeichnet. Der Korse

hatte binnen weniger Jahre europäische Mächte

wie das Heilige Römische Reich Deutscher Na-

tion, Italien und Spanien unterworfen. Im Zu-

sammenhang damit wurden auch die Ideale der

Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit

und Brüderlichkeit, verbreitet. Innerhalb der in

über 170 Kleinstaaten zersplitterten deutschen

Lande entbrannten nicht nur bürgerkriegsähn-

liche Auseinandersetzungen um die regionale

Vorherrschaft, sondern auch Befreiungskriege

gegen die französischen Besatzer. Nach dem

Sturz Napoleons und der Restauration der Adels-

herrschaft bestimmte der Wiener Kongress 1815

die Grenzen in Europa neu. Auf dem Gebiet des

heutigen Niedersachsen entstanden die Länder

Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe

und Hannover. Nach Fläche und Einfl uss domi-

nierte das zum Königreich erhobene Hannover.

Die Jahre der französischen Besatzung hatten

einen gesellschaftlichen Wandel bewirkt.

Der Adel beherrschte zwar weiterhin die Gesell-

schaft, sah sich aber mit einem erstarkten Bür-

gertum konfrontiert, das seine Beteiligung an

den politischen Entscheidungsprozessen forder-

te. Ein prominenter Vertreter dieser Forderung

war Johann Carl Bertram Stüve, der Bürgermeis-

ter Osnabrücks. Ihm sind das Ablösungsgesetz

(1831) zu verdanken, welches die Bauern durch

fi nanzielle Abfi ndung zu Besitzern ihrer Höfe

machte, sowie das Staatsgrundgesetz (1833),

das den König an die Verfassung band und

Bürgern und Bauern beschränkte politische

Rechte einräumte. Die Furcht vor einer Revolu-

tion veranlasste König Ernst August von Hanno-

ver, ihn 1848 zum Innenminister des Königreichs

Hannover zu ernennen. Stüve suchte durch

eine Reihe von Gesetzen, die Standesvorrechte

des Adels stark einzuschränken und das Justiz-

wesen zu reformieren. Ernst Augusts Sohn und

Nachfolger, Georg V., der 1851 die Herrschaft

übernahm, ignorierte allerdings die von Stüve

angeregten Reformen.

Die Herrschaft von Georg V. endete, als Preußen

im Zuge des Krieges mit Österreich über Han-

nover triumphierte und es 1866 schließlich

annektierte. Hannover blieb bis 1946 preußische

Provinz. Wie in Preußen insgesamt war die po-

litische Verfassung bis zum Zusammenbruch

des Deutschen Reiches 1918 undemokratisch.

Landesvertretungen und örtliche Räte wurden

nach Zensuswahlrecht (d.h. entsprechend des

Steueraufkommens) gewählt, was die besitzen-

den Schichten klar bevorteilte. Der Adel blieb als

Stand privilegiert.

Hannover — Königreich und Provinz.

Abbildung 9: Johan Carl Bertram Stüve

(1798-1872), bürgerlicher Reformpolitiker

» Hauptmeyer, Carl-Hans (2004): Niedersachsen. Landesgeschichte

und historische Regionalentwicklung im Überblick. Oldenburg.

» Rodriguez, Jaime (1989): The Independence of Mexico and the

Creation of the New Nation. Los Angeles.

Weiterführende Literatur:» Bernecker, Walther; Pietschmann, Horst; Tobler, Werner (2007):

Eine kleine Geschichte Mexikos. Frankfurt/M.

» Brosius, Dieter (1993): Niedersachsen. Geschichte im Überblick.

6. erweiterte Aufl age. Hannover.

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Abbildung 10: Wappen der Vereinigten Staaten von Mexiko

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Auswanderung

nach Mexiko

Mit dem Ende der lateinamerikanischen Unab-

hängigkeitskriege in den 1820er Jahren begann

eine zahlenmäßig bedeutende deutsche Aus-

wanderung nach Lateinamerika. In der Kolo-

nialzeit hatten die Behörden in der Regel nur

Spaniern und Portugiesen die Einwanderung

gestattet.

Im Vergleich zur großen Zahl von Europäern, die

im 19. Jahrhundert in die Vereinigten Staaten

zogen, war der Umfang der Auswanderung nach

Lateinamerika weitaus geringer. Hauptziele der

300.000 Deutschen, die bis 1930 nach Latein-

amerika emigrierten, waren Argentinien, Bra-

silien und Chile. Nur relativ wenige deutsche

Auswanderer zog es nach Mexiko. In den 1850er

Jahren lebten in Mexiko mehrere Hundert Deut-

sche, vor allem Kaufl eute und Handelsvertreter.

Um 1900 waren es knapp 1.500 und 50 Jahre

später war die Anzahl der Deutschen auf ca.

6.000 angewachsen.

Trotz ihrer geringen Zahl beeinfl ussten deutsche

Auswanderer und Reisende die wirtschaftliche

und kulturelle Entwicklung Mexikos nachhaltig.

Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt

etwa bereiste das Land 1803/04. Deutsche Inge-

nieure entwarfen die Kanalisation von Mexiko-

Stadt und deutsche Kaufl eute versuchten, den

mexikanischen Markt für deutsche Erzeugnisse

zu erschließen. So vertrieb die „Rheinisch-West-

indische Compagnie“ zwischen 1821 und 1837

in 15 Handelshäusern Porzellan, Textilien, Möbel

und Medikamente.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs sanken die

Auswanderungszahlen, doch bis in die 1930er

Jahre versuchten kontinuierlich einige Deutsche,

dem Weltkrieg und seinen wirtschaftlichen und

politischen Folgen nach Lateinamerika zu ent-

fliehen. In der Zeit des Nationalsozialismus

gewährte Mexiko mehreren hundert deutschen

Kommunisten und Intellektuellen politisches

Asyl. Anders als die Vereinigten Staaten und

andere Länder nahm die mexikanische Regie-

rung unter Präsident Cárdenas linksintellektuelle

Flüchtlinge auf.

„Um ein besseres Loos zu erringen.“

Abbildung 11:

Mexiko-Stadt um 1913

Abbildung 12: Alexander von Humboldt

(1769-1859)

Humboldt in Mexiko

Alexander von Humboldt gehörte zu den

Deutschen, die nachhaltige Spuren in Me-

xiko hinterließen. Der Universalgelehrte

besuchte Mexiko während einer For-

schungsreise nach Südamerika zwischen

1799 und 1804. Seine aus dieser Zeit

stammenden Schriften zu Geographie,

Flora, Fauna und den gesellschaftlichen

Verhältnissen des Landes fanden in

Deutschland und Mexiko große Beachtung.

Wegweisend ist bis heute sein vielfach re-

zipierter „Versuch über den politischen Zu-

stand des Königreichs Neu-Spanien“.

Diese kenntnisreiche Darstellung der Politik

und Gesellschaft des Gebietes beschäftigte

sich darüber hinaus mit dem Silberbergbau

und regte dadurch ausländische Investiti-

onen in Mexiko an. Die 1894 mit fi nanzi-

eller Unterstützung des Deutschen Reichs

errichtete erste deutsche Schule in Mexi-

ko-Stadt trägt daher den Namen „Colegio

Alemán Alexander von Humboldt” und be-

steht noch heute.

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Der Weg in

die Neue Welt

Deutsche, die im 19. Jahrhundert eine neue Hei-

mat in Übersee suchten, mussten sich mindes-

tens fünf Wochen vor der geplanten Auswan-

derung beim Magistrat der Heimatgemeinde

melden. Viele deutsche Staaten versuchten den

Wegzug von Fachleuten zu verhindern. Bei

ärmeren Menschen begrüßten die Behörden

hingegen vielfach eine Auswanderung. Die

hannoverschen Auswanderer führte der Weg

zunächst meist nach Bremerhaven.

Auf die eigentliche Überfahrt mussten die Aus-

wanderer oft monatelang warten. Untergebracht

waren sie mit anderen Wartenden in speziellen

Auswandererhäusern auf engstem Raum. Die

Kosten für Unterbringung, Überfahrt und Start-

geld für die Existenzgründung in Übersee sowie

Verluste durch allgegenwärtige Betrügereien

führten häufi g dazu, dass sich die Auswanderer

bereits vor der Überfahrt verschuldeten. Für die

Begleichung der Kredite mussten sie dann in

der „Neuen Welt” jahrelang hart arbeiten. Die

Überfahrt mit einem Segelschiff dauerte bis zu

drei Monate, später mit dem Dampfschiff etwa

20 Tage.

Wirtschaftskrise und

Wanderlust

Die europäische Massenauswanderung des 19.

Jahrhunderts resultierte aus den wirtschaftli-

chen und gesellschaftlichen Folgen des Über-

gangs von einer Agrar- zu einer Industriegesell-

schaft. Bevölkerungswachstum, Hungersnöte,

Kriege sowie die Verknappung von Arbeit und

Land bewegten viele, für eine bessere Zukunft

die strapaziöse Reise über den Atlantik auf sich

zu nehmen.

Den Auswanderern ebneten zusätzlich Program-

me der Aufnahmeländer, Siedlungsprojekte und

Kolonisierungsgesellschaften den Weg. Auch

der Kontakt zu den bereits in Übersee lebenden

Landsleuten oder Verwandten beeinfl usste die

Entscheidung zur Auswanderung. Eine besonde-

re Rolle spielten hierbei Briefe von Auswanderern

in die alte Heimat, die über das Leben in der

Neuen Welt berichteten. Allein für das Gebiet

des Königreichs Hannover konnten zwischen

1820 und 1914 insgesamt 1,9 Millionen Aus-

wandererbriefe nachgewiesen werden. Die

Briefe nährten vielfach die Hoffnung auf eine

bessere Zukunft.

Neben wirtschaftlichen Gründen führte auch

politische, religiöse oder rassistische Verfolgung

zur Migration über den Atlantik. Wie überall in

den deutschen Staaten stagnierte der gesell-

schaftliche Reformprozess mit der einsetzenden

Restauration nach dem Wiener Kongress 1815.

Die repressiven politischen Verhältnisse im Kö-

nigreich Hannover begünstigten die Auswande-

rung. Oft zog auch Abenteuerlust die Menschen

in die Ferne, vor allem wenn Ereignisse wie der

Verlust von Familienangehörigen die Bindung an

die heimische Gesellschaft gelockert hatten.

Eine ferne Zukunft.

Abbildung 15: Szene in Bremerhaven

im 19. Jahrhundert

Abbildung 13: Betreten eines Auswandererschiffes

im 19. Jahrhundert

Abbildung 14: Unterbringung auf dem Schiff

Abbildung 16: Auswandererzahlen im Königreich

Hannover von 1834 bis 1884

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Geförderte Auswan-

derung aus Clausthal-

Zellerfeld

Die Bevölkerung der Harzregion im Königreich

Hannover lebte fast ausschließlich vom Bergbau.

Anfang des 19. Jahrhunderts konnte der Holz-

bedarf für die Metallverhüttung nicht mehr

gedeckt werden, woraufhin die Produktion mas-

siv zurückging. Andere Beschäftigungsmöglich-

keiten existierten kaum.

Als 1854 ein Brand in Clausthal über 100 Häu-

ser zerstörte, beschlossen das hannoversche

Finanzministerium und die Berghauptmann-

schaft, die Auswanderung von Bergleuten

gezielt zu fördern. Etliche Bergleute aus Claus-

thal-Zellerfeld hatten sich mit ihren Familien

schon in den 1820er Jahren bei der „United

Mexican Mining Association“ verdingt. Die

Mehrzahl der Harzer Bergleute zog jedoch nach

Australien.

Deutsche Identität

in Mexiko?

Die Frage nach der nationalen Identität bewegte

im 19. Jahrhundert viele Deutsche zuhause und

in Mexiko. Deutsch-Mexikaner, die sich in die

Gesellschaft integrierten, waren der Kritik ihrer

Landsleute in Mexiko und auch im Deutschen

Reich ausgesetzt. Demgegenüber beklagten

Mexikaner die geringe Anpassungsbereitschaft

der deutschen Einwanderer und ihr mangelndes

Interesse an der mexikanischen Kultur. Ein Vor-

wurf, der nicht aus der Luft gegriffen war, wie

ein Zitat von Carl Sartorius zeigt:

Der Nationalismus des deutschen Kaiserreichs

fi el auch bei den deutschen Siedlern auf frucht-

baren Boden.

Obgleich die deutsche Reichsregierung der Aus-

wanderung meist ablehnend gegenüber stand,

engagierte sie sich für den Erhalt der deutschen

Identität der Auswanderer. Finanziell unterstütz-

te sie die Gründung deutscher Heimatvereine,

Zeitungen und Schulen in Mexiko, um einem

Verlust der nationalen Identität der Auswanderer

vorzubeugen.

Deutsche Einwanderer waren bis zum Ende des

19. Jahrhunderts wenig willkommen. Die mexi-

kanischen Regierungen unterstützten die Aus-

wanderer kaum und die einheimische Bevöl-

kerung begegnete ihnen mit Zurückhaltung.

Zudem war im katholischen Mexiko die religiöse

Intoleranz gegenüber den oft protestantischen

Zuwanderern groß.

Während beider Weltkriege wurden in Mexiko

lebende Deutsche interniert und vorüberge-

hend enteignet. Einige Deutsche verleugneten

nun aus Scham über die deutschen Kriegsver-

brechen ihre Herkunft. Politische Exilanten, vor

allem Sozialisten und Kommunisten, gründeten

dagegen den „Heinrich-Heine-Klub“ und die

Zeitung „Alemania Libre“ (Freies Deutschland).

Schriftsteller und Politiker wie Egon Erwin Kisch,

Gustav Regler, B. Traven, Anna Seghers und Paul

Merker wollten damit zu einem Deutschenbild

beitragen, das sich vom Nationalsozialismus

absetzt.

Ein bisschen Deutschland —auch in Mexiko?

„Wie aber verhält es sich

mit der Erhaltung des

deutschen Elements? Auch

hierfür sind die Verhältnis-

se so günstig wie möglich.

In Mexico wird der deut-

sche Charakter, [...] durch

den [...], hispanoindischen

nicht dominiert, er wird

[...] wo sich beide Natio-

nalitäten mischen, als der

stärkere hervortrete.“

Carl Christian Sartorius, 1850, S. 66

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Villa Carlota in Yucatán

Die 1865 bis 1867 bestehende „Villa Carlota“ war

ein deutsches Siedlungsprojekt auf der Halbinsel

Yucatán im Südosten Mexikos. Der aus Schlesien

stammende Ingenieur Moritz von Hippel (1815-

1895) errichtete hierfür zwei deutsche Siedlun-

gen in den Dörfern Pustunich und Santa Elena.

Sie befanden sich in der Nähe eines Gebiets,

dass durch die mehrheitlich indigenen Aufstän-

dischen, die im sogenannten Kastenkrieg (1847-

1901) die mexikanische Regierung bekämpften,

kontrolliert wurde.

Trotz der unsicheren Lage verhießen die Sied-

lungen den deutschen Auswanderern — Arbeiter,

Bauern und Handwerker mit ihren Familien —

einen Neuanfang.

Mitte der 1860er Jahre ließen sich dort insge-

samt 433 Personen nieder, darunter 18 aus dem

Königreich Hannover. Das Durchschnittsalter der

Siedler war aufgrund der zahlreichen Kinder und

Jugendlichen vergleichsweise niedrig. Einen Arzt

oder Lehrer gab es nicht.

Die Siedler halfen den benachbarten Maya ihre

Häuser auszubessern, während die Indigenen

die Deutschen beim Anbau von Nahrungsmit-

teln unterstützen. Später stellten die mexikani-

schen Behörden der Siedlung einen Spanisch-

lehrer zur Verfügung.

Allerdings zeigten sich die Deutschen bald

unzufrieden mit der Fruchtbarkeit des Bodens.

Hinzu kam die Einberufung von etwa vierzig

Siedlern ins Militär Kaisers Maximilians wäh-

rend des Bürgerkrieges 1867. Nach der Nieder-

lage Maximilians galten die Deutschen den

mexikanischen Republikanern als Verräter.

Villa Carlota wurde bald darauf aufgelöst

und fast alle Siedler zogen in die Vereinigten

Staaten.

Deutsche Siedlungen in Mexiko.

Abbildung 17: Kastenkrieg

(1847-1901) in Yucatán

Die gestrichelte Linie stellt

den Frontverlauf der 1860er

Jahre dar.

Bei den Dörfern Santa Elena und

Pustunich handelt es sich um die

hier vorgestellten Siedlungen.

Abbildung 18: Straßenszene in Nohcacab, später

in Santa Elena umbenannt, 1841

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Sartorius-Siedlung am

Golf von Mexiko

Der Darmstädter Jurist Carl Christian Sartorius (1796-

1872) wanderte 1824 aufgrund der Verfolgung aus An-

lass seiner politischen Betätigung in einer liberal und

national gesinnten Burschenschaft nach Mexiko aus.

Dort stieg er zum Geschäftsführer einer Silbermine auf.

Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem 1855 erschie-

nenen Buch „Die Silberminen von Mexico, deren Reicht-

hümer und deren mangelhafte Bebauung von Seiten der

Mexicaner“. 1839 erwarb er eine Hazienda in Mirador,

nahe der am Golf von Mexiko gelegenen Hafenstadt

Veracruz.

1849 reiste Sartorius nach Deutschland zurück, um mit

Vorträgen Auswanderer für sein Siedlungsprojekt zu ge-

winnen. Die Hazienda Mirador erlangte später als „Sarto-

rius-Siedlung“ größere Bekanntheit.

Dort ließen sich ca. 200 Deutsche nieder, darunter — im

Gegensatz zur „Villa Carlota“ — Ärzte und Lehrer. Sarto-

rius verstand sich als Förderer der Wissenschaft. Seine

Hazienda beherbergte verschiedene Naturforscher und

diente als Tagungsort. Mehrere Pfl anzen wurden nach

Carl Sartorius benannt. Auch Kaiser Maximilian I. be-

suchte die Siedlung mehrfach und ernannte Sartorius

kurzzeitig sogar zum Minister für Landwirtschaft. Nach

Sartorius’ Tod 1872 übernahm sein Sohn die Leitung der

Siedlung.

Silber, Siedler und Sartorius.

Abbildung 19: Hazienda Mirador

Weiterführende Literatur:

» Bade, Klaus (2000): Europa in Bewegung: Migration vom späten 18. Jahr-

hundert bis zur Gegenwart. München.

» Durán-Merk, Alma (2007): Identifying Villa Carlota: German Settlements in

Yucatán, México, during the Second Empire 1864-1867. Augsburg.

» Henkel, Anne-Katrin (1996): „Ein besseres Loos zu erringen, als das bisherige

war“: Ursachen, Verlauf und Folgewirkungen der hannoverschen Auswande-

rungsbewegung im 18. und 19. Jahrhundert. Hameln.

» Hoerder, Dirk; Knauf, Diethelm (Hrsg) (1992): Aufbruch in die Fremde: Euro-

päische Auswanderung nach Übersee. Bremen.

» Oeste de Bopp, Marianne (1979): Die Deutschen in Mexico. In: Fröschle,

Hartmut (Hrsg.): Die Deutschen in Lateinamerika: Schicksal und Leistung.

Tübingen.

» Patka, Marcus G. (2002): Wildes Paradies mit Ablaufzeit: Struktur und

Leistung deutschsprachiger Exilanten in México Ciudad. In: Jahrbuch für

Exilforschung, 20:213-241.

» Sartorius, Carl (1850): Mexico als Ziel für deutsche Auswanderung. Darmstadt.

» Sartorius, Carl (1859): Mexico: Landscapes and Popular Sketches. London.

» Vollmer, Renate (1995): Auswanderungspolitik und soziale Frage im 19.

Jahrhundert: Staatlich geförderte Auswanderungen aus der Berghauptmann-

schaft Clausthal nach Südaustralien, Nord- und Südamerika 1848-1854.

Berlin.

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EthnischeVielfalt.

Soziale Ungleichheit

und Ausgrenzung

Mexiko und das Königreich Hannover kennzeichnete im

19. Jahrhundert eine ausgeprägte Differenzierung der

Gesellschaft. Die sozialen Unterschiede wurden in Me-

xiko durch das koloniale Erbe ethnischer Vielfalt und in

Hannover durch die Zuwanderung von Arbeitskräften

überlagert.

Das „Casta“-System

in Mexiko

Dieses Zitat des Hannoveraner Ingenieurs Eduard Müh-

lenpfordt, der Mexiko nach der Unabhängigkeit bereis-

te, unterstreicht die ethnische und soziale Heterogenität

der mexikanischen Gesellschaft zu dieser Zeit. >> sie-he auch Plakat Mühlenpfordt << Einen Versuch, die

gesellschaftliche Differenzierung bildlich darzustellen,

hatten die sogenannten Casta-Gemälde bereits im 18.

Jahrhundert unternommen. Sie ordneten die Menschen

anhand körperlicher Merkmale, ihrer Kleidung und ihres

sozialen Status hierarchisch in Kategorien (castas).

Wie Abbildung 20 zeigt, wurden die Bezeichnungen der

Menschen immer abstrakter und ihr Status immer ge-

ringer, je dunkler ihre Hautfarbe und je stärker ihre Her-

kunft „gemischt“ war. Es fi nden sich Bezeichnungen wie

„tente en el aire“ (Bleib in der Luft) oder „albarazado“

(Weiß-Gefl eckter), die auf die Andersartigkeit verweisen.

Das Casta-System wurde zwar nach der Unabhängigkeit

Mexikos 1821 offi ziell abgeschafft, rassistische Denk-

muster und Diskriminierungen blieben indessen im Alltag

erhalten.

Abbildung 20: „Casta“-Gemälde

„Die Bevölkerung Mejicos ist,

wie mehr oder weniger die aller

ehemaligen Besitzungen Spani-

ens in America, aus drei verschie-

denen Hauptelementen zusam-

mengesetzt. Die kaukasische und

africanische Race haben neben

der ursprünglichen americani-

schen diese Elemente geliefert“

Eduard Mühlenpfordt, 1844, S. 199

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„Klein-Rumänien“

in Linden

Soziale Ausgrenzung im Königreich Hannover

lässt sich besonders gut am Beispiel der Ge-

meinde Linden darstellen. Hier handelte es sich

jedoch nicht um ein koloniales Erbe, sondern um

eine Folge von Industrialisierungsprozessen und

der Zuwanderung von Arbeitskräften.

Wenn man in Bezug auf Linden von „Klein-Ru-

mänien“ spricht, ist damit nicht das Balkanland

gemeint, sondern eine Arbeiter-Siedlung, die

der „Eisenbahnkönig“ Bethel Henry Strousberg

1869 auf dem Gelände der späteren Hanomag-

Maschinenfabrik erbauen ließ. Die Siedlung trug

diesen Namen aufgrund der Ausfuhren nach

Rumänien, wo Strousberg Konzessionen über

900 km Bahnstrecken und die Lieferung von

Lokomotiven erhalten hatte. Bei den Arbeitern

handelte es sich häufi g um Zuwanderer aus

Schweden, Schlesien, Pommern und Bayern.

Allein 1869 und 1870 zogen etwa 1.000-2.000

Menschen pro Jahr nach Linden.

Die Einheimischen in Linden betrachteten die

Zuwanderer als Konkurrenten um Wohnraum,

Nahrungsmittel und den Zugang zu den kom-

munalen Weiden und Waldgebieten. Eine Folge

war gesellschaftliche Ausgrenzung, indem man

die Neubürger z. B. nicht an den gemeinschaft-

lich genutzten Ackerflächen teilhaben ließ.

Die gesellschaftliche Ausgrenzung diente — im

Königreich Hannover wie in Mexiko — trotz

unterschiedlicher Formen den gleichen Zielen:

der Schaffung von Wir-Gruppen und der Absi-

cherung von Privilegien.

Das Bildungswesen

Im Gebiet des heutigen Niedersachsen wurde die

allgemeine Schulpfl icht 1646 in der Stadt Han-

nover, 1647 im Herzogtum Braunschweig-Wol-

fenbüttel, 1693 im Fürstentum Osnabrück und

1734 in Lüneburg, Hoya, Calenberg, Göttingen,

Grubenhagen und Diepholz eingeführt. Bis 1888

musste in Hannover für den Besuch der Volks-

schule Schulgeld gezahlt werden. Für die Mehr-

heit der Bevölkerung, die sich dies nicht leisten

konnte, gab es daher seit Mitte des 18. Jahr-

hunderts Armenschulen. In der Stadt Hannover

zwang die Zunahme der Einwohnerzahl nach

der Annexion durch Preußen 1866 zu einem ver-

stärkten Ausbau des Bildungswesens.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent-

wickelte sich Mexiko beim Aufbau eines staatli-

chen Bildungswesens für die breite Bevölkerung

zu einem im lateinamerikanischen Vergleich

fortschrittlichen Land. Als erster Staat des

Subkontinentes führte es 1861 die öffentliche

und kostenlose Pflichtschule ein. 1874 erließ

Mexiko als zweiter Staat Lateinamerikas nach

Chile (1860) eine umfassende staatliche Schul-

gesetzgebung.

Hannovers Linden.

Abbildung 21:

Bevölkerungsentwicklung

von Hannover und Linden

von 1812 bis 1890

Abbildung 22: Straße in „Klein-Rumänien“ heute

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Zurückdrängung des

kirchlichen Einfl usses

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war das

Schulsystem – in Mexiko wie im Königreich

Hannover noch eng an die Kirche gebunden. Ein

davon unabhängiges öffentliches Bildungswesen

entwickelte sich in Mexiko vor allem während

der Regierungszeit von Porfi rio Díaz (1876-1910)

unter dem Einfl uss von Intellektuellen, die dem

Positivismus anhingen.

Besonders einfl ussreich waren der Philosoph

und Physiker Dr. Gabino Barreda und der Schrift-

steller, Historiker und Politiker Justo Sierra. Nun

wurden die ersten Lehrerbildungsanstalten ge-

gründet, neue didaktische Konzeptionen ent-

wickelt und nationale Lehrpläne konzipiert. Der

Unterricht sollte vereinheitlicht und der beherr-

schende Einfl uss der Kirche auf das Bildungs-

wesen zurückgedrängt werden. Barreda verstand

seine Zeit als einen „Sieg des Liberalismus über

den theologischen Geist“. Auch im Königreich

Hannover kam es zur Säkularisierung des Bil-

dungssystems. So benannte man in der könig-

lichen Residenzstadt Hannover 1848 die „Paro-

chialschule“ (Pfarrschule) in „Bürgerschule“ um.

Damit verschwand die letzte institutionelle Ver-

bindung zwischen Kirche und Schule.

Im Bereich der höheren Bildung hatte bereits die

1737 vom Kurfürsten Georg August von Hanno-

ver gegründete und nach ihm benannte Univer-

sität in Göttingen als erste deutsche Hochschule

das Primat der Theologie abgeschafft. Einen

gänzlich weltlichen Charakter hatte auch die

1831 in Hannover gegründete Höhere Gewer-

beschule, aus der später die Leibniz Universität

hervorging.

Die unmittelbaren Vorläufer der modernen säku-

laren Universität in Mexiko entstanden nach

einem Entwurf, den Justo Sierra dem Abgeord-

netenhaus 1881 vorlegt hatte.

In beiden Regionen verfügten vornehmlich die

urbanen Zentren über höhere Bildungseinrich-

tungen. Für die Mehrheit der armen und ländli-

chen Bevölkerung, die in Mexiko häufi g indigen

war und nicht spanisch sprach, blieben sie un-

zugänglich.

Frauen und Familie

Die Gleichberechtigung der Geschlechter gilt

als wichtiger Indikator gesellschaftlichen Fort-

schritts. Ein Vergleich der Entwicklungen im Kö-

nigreich Hannover und in Mexiko während des

19. Jahrhunderts zeigt, dass die Situation der

Frauen in diesem Teil Europas nicht in jeder Hin-

sicht günstiger war als in dem lateinamerikani-

schen Land.

Familienformen

Sowohl in Mexiko als auch im Königreich Han-

nover lebten viele Menschen auf dem Lande in

Großfamilien in einem Haushalt. Während die-

ses Phänomen in Mexiko in fast allen Schichten

anzutreffen war, handelte es sich dabei im Kö-

nigreich Hannover um ein Charakteristikum der

Unterschicht. In Mexiko entwickelten sich aus

diesen Großfamilien starke Familiennetzwerke.

Diese boten ihren Mitgliedern in dem vor allem

in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts po-

litisch instabilen Land Schutz im Alltag. Noch

heute bezeichnet der spanische Begriff familia

in Mexiko nicht nur alle Verwandten, die ge-

meinsam in einem Haushalt leben, sondern auch

diejenigen, die dort einmal lebten und nun dort

immer noch Rechte und Pfl ichten haben.

Auch unter den Arbeiterfamilien in Hannover

waren Familiennetzwerke weit verbreitet; sie

umfassten jedoch meist nur zwei Generationen.

Im Bürgertum dominierte hingegen die Kleinfa-

milie (Eltern und deren Kinder).

Bildung und Familie.

Abbildung 23: Höhere Gewerbeschule, 1847 in

Polytechnische Schule umbenannt, um 1860

Positivismus

Unter Positivismus versteht man „eine Philosophie,

die ihre Forschung auf das Positive, Tatsächliche,

Wirkliche und Zweifellose beschränkt, sich allein

auf Erfahrungen beruft und jegliche Metaphysik als

theoretisch unmöglich und praktisch nutzlos ablehnt.

(Duden. Das Fremdwörterbuch. Mannheim 2007,

S. 827, Stichwort Positivismus)

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Soziale Stellung

der Frauen

Die Lebensbedingungen von Frauen unterschie-

den sich im 19. Jahrhundert stark – je nachdem,

ob sie in Städten oder auf dem Lande lebten.

Anders als in Hannover durften Frauen in

Mexiko schon zur Kolonialzeit Land kaufen,

verkaufen, pachten, erben, vererben und be-

wirtschaften.

In welcher Form sich Frauen an der Landwirt-

schaft beteiligten, hing stark von ihrer sozialen

Stellung und ethnischen Zugehörigkeit ab. Ver-

einzelt gab es sogar weibliche Großgrundbesit-

zer. Die meisten Frauen auf dem Lande waren

aber arm und mussten sich oft als Arbeiterinnen

für maximal die Hälfte des Lohns eines Mannes

verdingen. Verheiratete Frauen und Minderjähri-

ge hatten weniger Rechte als Witwen und ledi-

ge, volljährige Frauen, da sie der Autorität ihrer

Ehegatten bzw. Väter unterstanden.

Auch im Königreich Hannover gehörte die Land-

bevölkerung überwiegend zur Unterschicht.

Mädchen arbeiteten meist auf dem elterlichen

Hof, Töchter von Mittel- und Kleinbauern ver-

dingten sich oft bis zu ihrer Heirat auf fremden

Höfen als Mägde, vor allem, um für ihre Aus-

steuer zu sparen. Eine Heirat sollte zumindest

den sozialen Abstieg verhindern.

Industrialisierung

und Frauenarbeit

in Hannover

In den Städten des Königreichs Hannover ent-

standen durch die Industrialisierung auch für

Frauen aus der Unterschicht Arbeitsplätze. Trotz

miserabler Arbeitsbedingungen stellten Frau-

en Anfang des 20. Jahrhunderts 26,8 % der

Erwerbstätigen. Sie arbeiteten vorwiegend in der

Genuss- und Nahrungsmittel-, der Bekleidungs-

sowie der Textilindustrie. Nur in letzterer wurden

auch ledige Frauen eingestellt.

Mit dem Anwachsen der bürgerlichen Ober- und

Mittelschicht nahm auch der Bedarf an Hausan-

gestellten zu. Viele Mädchen vom Lande kamen

daher in die Großstadt, um als Dienstmädchen

zu arbeiten. Obwohl die Lebensbedingungen

schlecht waren, betrachteten sie dies oft als eine

Möglichkeit der Eingliederung in die bürgerliche

Gesellschaft und damit als sozialen Aufstieg. Bis

zum ersten Weltkrieg bildeten Dienstmädchen die

größte weibliche Berufsgruppe in den Städten.

Bürgerliche Frauen waren in Hannover in der

Regel nicht erwerbstätig. Seit Mitte des 19.

Jahrhunderts stritten bürgerliche Frauenbe-

wegungen für bessere Bildungschancen für

Mädchen. Die gesellschaftliche Akzeptanz

für Gleichberechtigung blieb jedoch bis ins 20.

Jahrhundert gering.

Emanzipation in Mexiko

In Mexiko stritten bürgerliche Frauenbewegun-

gen im 19. Jahrhundert ebenfalls für eine stär-

kere gesellschaftliche Partizipation der Frauen.

Ihre Ausgangssituation unterschied sich aber

von der Lage ihrer Geschlechtsgenossinnen im

Königreich Hannover: In Mexiko standen Frauen

bereits 1798 „mit ihrem Geschlecht, ihrem An-

stand und ihrer Kraft“ vereinbare Berufe offen.

So rekrutierte sich bereits 1811 in Mexiko-Stadt

fast ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung

aus – meist armen – Frauen. Wie in Hannover

waren die Frauen häufi g auf die prestigearme

Arbeit in fremden Haushalten angewiesen.

Wie in Hannover gingen auch die mexikani-

schen Frauen der Mittel- und Oberschicht in

der Regel keiner Erwerbstätigkeit nach, sie be-

tätigten sich allerdings häufi g gemeinnützig.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann eine

berufl iche Tätigkeit als Sekretärin oder Steno-

grafi n, als modern angesehen zu werden. Die

eigentliche Bestimmung der Frauen wurde aber

von Vielen weiterhin in ihrer Rolle als Ehefrau

und Mutter gesehen. So gab es nur wenige

Frauen, die qualifi zierte Berufe wie Ärztin oder

Anwältin ausübten.

Frauen in Bewegung.

Abbildung 24: Anteil der erwerbstätigen Frauen

1811 in Mexiko, in Prozent

Abbildung 25: Zusammensetzung der Arbeiter-

schaft in Mexiko 1811

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Veränderungen der Ge-

schlechterbeziehungen

Sowohl in Mexiko als auch in Hannover verän-

derten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die

Beziehungen zwischen den Geschlechtern und

Generationen erheblich. Die Vorherrschaft des

Vaters als Familienoberhaupt (pater familias)

und „Herr im Haus“ blieb aber bis weit in das 20.

Jahrhundert bestehen.

In Mexiko senkte das Bürgerliche Gesetzbuch

von 1870 das Alter der Volljährigkeit von 25 auf

21 Jahre. Unverheiratete Töchter konnten ihren

Wohnsitz „zum Schutz ihres guten Rufes“ hin-

gegen erst ab dem 30. Lebensjahr frei wählen.

In der Ehe blieb das Vermögen der Ehegatten bis

1870 getrennt, die Verwaltung oblag jedoch dem

Mann. Danach konnten Ehepaare zwischen ge-

meinsamem Besitz und Gütertrennung wählen.

Im Königreich Hannover gab es zwischen ver-

heirateten Paaren zwar eine Gütergemeinschaft;

die Frau durfte aber, ähnlich wie in Mexiko, über

das Vermögen nicht allein verfügen.

In beiden Gesellschaften erfuhren Frauen, die

sich ihrem Mann nicht unterordneten, nach

mehr Bildung strebten und vermeintlich die Er-

ziehung ihrer Kinder vernachlässigten, gesell-

schaftliche Ächtung. Die Zunahme von rechtlich

anerkannten Trennungen in der ersten Hälfte

des 19. Jahrhunderts zeigt, dass sich insbeson-

dere die Erwartungen der Frauen an die Ehe ver-

änderten. So wurden in Mexiko-Stadt zwischen

1840 und 1857 96% der dokumentierten Tren-

nungen von Frauen beantragt, im Preußen der

1840er Jahre lag der Anteil immerhin bei drei

Vierteln. Hatte die Ehe bis dato vor allem der

Existenzsicherung gedient, erwarteten Frauen

nun auch persönliche Zuneigung und waren

zunehmend weniger bereit Misshandlungen

hinzunehmen.

Bis dass der Tod Euch

scheidet?

Die Trennung von Eheleuten blieb jedoch ein

schwieriges Unterfangen. In Mexiko war neben

der sehr selten vorkommenden Annullierung

einer Ehe nach dem geltenden Kirchenrecht nur

eine „Trennung von Tisch und Bett“ möglich.

Eine Wiederverheiratung der Getrennten blieb

selbst nach der Einführung der Zivilehe 1859

und der Ziviltrennung 1870, die nun auch im ge-

genseitigen Einvernehmen erfolgen konnte, bis

zum Tode des Ehepartners ausgeschlossen. Erst

1917 wurde die Ehescheidung ins mexikanische

Recht eingeführt.

Von einer Gleichberechtigung der Geschlechter

konnte auch in rechtlicher Hinsicht keine Rede

sein. Die Bürgerlichen Gesetzbücher Mexikos

von 1870 und 1884 erkannten Ehebruch durch

den Mann nur unter bestimmten Umständen als

Scheidungsgrund an, Ehebruch durch die Frau

dagegen grundsätzlich.

In Preußen, zu dem Hannover seit 1866 gehörte,

galt seit 1794 das Allgemeine Landrecht: Schei-

dungen sollten „nicht anders als aus sehr erheb-

lichen Ursachen stattfi nden“. Dazu zählte aber

auch „unüberwindliche gegenseitige Abneigung“.

Dies war eine im Vergleich ungeheuer moderne

Regelung. Ehebrecher durften nicht wieder hei-

raten. Scheidungsprozesse folgten dem Schuld-

prinzip. Nur der unschuldige Ehepartner durfte

auf Scheidung klagen. Zwischen 1844 und 1879

war für jeden Scheidungsprozess die Teilnahme

eines Staatsanwaltes und eines Geistlichen obli-

gatorisch. Der mit einem Vetorecht ausgestatte-

te Geistliche musste mit dem scheidungswilligen

Ehepaar einen Sühneversuch durchführen mit

dem Ziel, die Scheidung zu vermeiden.

Verbindungen, in denen der Mann einem hö-

heren Stand entstammte als die Frau, konnten

nur als „Ehen zur linken Hand“ geschlossen wer-

den. Im Gegensatz zu „Ehen zur rechten Hand“

blieb die Frau weitgehend rechtlos. Das Ehever-

bot wegen Ungleichheit des Standes wurde in

Preußen und damit auch in Hannover erst 1869,

also 48 Jahre nach der Abschaffung des Casta-

Systems in Mexiko, vollständig aufgehoben. Die

Einführung der Zivilehe erfolgte in Preußen und

seinen Provinzen erst 1874.

Von der Ehe bis zur Scheidung.

Abbildung 26: Berühmtes mexikanisches Ehepaar:

Frida Kahlo und Diego Rivera

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Frauen und Bildung

Nach der Unabhängigkeit galten viele mexikanische Kre-

olinnen als Unterstützer der spanisch-katholischen Seite.

Eine umfangreichere Bildung für Frauen erschien deshalb

als wünschenswert, damit diese ihre Kinder im Sinne der

mexikanischen Ideale erziehen konnten. Eine Gleichstel-

lung von Mann und Frau war jedoch nicht beabsichtigt.

Zu spürbaren Veränderungen in dieser Hinsicht kam es

erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Mädchen

gestattet wurde, weiterführende Schulen zu besuchen.

Bereits 1802 wurde in Hannover die erste städtische Hö-

here Mädchenschule, hauptsächlich für Kinder aus der

Mittel- und Oberschicht, gegründet. Bei den Höheren

Töchterschulen, vergleichbar mit der heutigen Sekundar-

stufe I (Klasse 5-10), handelte es sich meist um private

Bildungsinstitutionen, die in erster Linie auf die spätere

Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereiten sollte. Mädchen

aus der Arbeiterschicht mussten sich gewöhnlich mit

dem Besuch der Volksschule begnügen. Ab 1899 wurden

in Hannover erste Gymnasialkurse für Mädchen einge-

richtet, deren erfolgreiche Absolvierung eine Zulassung

zur Universität bedeutete.

Infolgedessen öffneten sich akademische Berufe lang-

sam auch für (zunächst nur unverheiratete) Frauen, die

bis dahin allenfalls das Lehrerinnenseminar besuchen

konnten. Erst die preußische Mädchenschulreform von

1908 berechtigte alle Mädchen dazu, die Abiturprüfung

abzulegen.

Die gesellschaftliche Situation der Frauen während des

19. Jahrhunderts war in Mexiko und Hannover also

durchaus vergleichbar. In beiden Gesellschaften bildeten

sich in der Mitte des Jahrhunderts Bewegungen, die vor

allem gegen institutionelle Benachteiligung ankämpften.

Mädchen machen Schule.

Weiterführende Literatur:

» Ehrich, Karin; Mussmann, Olaf (Hrsg.) (1993): Abdrücke aus der Region.

Facetten der Geschichte Hannovers und seines Umlands. Hannover.

» Katzew, Ilona (2004): Casta Painting. Images of Race in Eighteenth-Century

Mexico. New Haven/London.

» Mühlenpfordt, Eduard (1844): Versuch einer getreuen Schilderung der

Republik Mejico besonders in Beziehung auf Geographie, Ethnographie und

Statistik. Erster Band. Hannover.

» Voigt, Wolfgang (1982): Der Eisenbahnkönig oder Rumänien lag in Linden.

Materialien zur Sozialgeschichte des Arbeiterwohnungsbaus mit Beispielen

aus Hannovers Fabrikvorort Linden. Berlin.

» Mlynek, Klaus; Röhrbein, Waldemar R. (Hrsg.) (1994): Geschichte der Stadt

Hannover. 2 Bände. Hannover.

» Weiss, Eduard (1983): Schule zwischen Staat und Gesellschaft (Mexiko

1920-1976). München.

» Arrom, Silvia M. (1994): The Mexican Family in the Nineteenth Century. In:

Yeager, Getrude M. (Hrsg.): Confronting Change, Challenging Tradition.

Women in Latin American History. Wilmington, 87-102.

» Ehrlich, Karin; Schröder, Christiane (Hrsg.) (1999): Adlige, Arbeiterinnen

und Frauenleben in Stadt und Region Hannover vom 17. bis zum 20. Jahr-

hundert. Bielefeld.

» Fowler-Salamini, Heather; Vaughan, Mary Kay (Hrsg.) (1994): Women of the

Mexican Countryside, 1850-1990. Tucson.

» Schmieder, Ulrike (2002): Der mexikanische Liberalismus des 19. Jahr-

hunderts und die Geschlechterverhältnisse. In: Comparativ. Leipziger Beiträge

zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung,

12/4:91-115.

» Selby, Henry A.; Murphy, Arthur D. (1990): The Mexican Urban Household,

Organizing for Self-Defense. Austin.

Abbildung 27: Ehemalige Ricarda Huch Mädchenschule

in Hannover List

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Kaffee, Kakao …

und der Käfer.

Das 19. Jahrhundert

Mit der Unabhängigkeit von der spanischen Kolonial-

macht zu Beginn des 19. Jahrhunderts und dem Wegfall

des spanischen Handelsmonopols wuchs das Interesse

der europäischen Staaten an Lateinamerika. Auch deut-

sche Geschäftsleute erwarteten hohe Gewinne aus dem

Handel mit Kaffee, Zucker und Kakao. Obwohl die kon-

servativen europäischen Regierungen der Restaurati-

onszeit der Unabhängigkeit Lateinamerikas mehrheitlich

kritisch gegenüberstanden, orientierte sich ihre Außen-

politik vornehmlich an wirtschaftlichen Interessen.

Freundschaft zwischen Me-

xiko und Hannover seit 1827

Im Mai 1827 legten die Hansestädte der Regierung des

unabhängigen Mexiko einen Handelsvertrag vor. Er wur-

de jedoch zunächst nicht ratifi ziert. Deshalb handelt es

sich bei dem zwischen dem Königreich Hannover und

Mexiko geschlossenen Freundschaftsvertrag vom 20. Juni

1827 um das erste völkerrechtlich gültige und beidsei-

tig ratifi zierte Handelsabkommen zwischen einem deut-

schen Staat und dem lateinamerikanischen Land. Hierbei

kam Hannover die Personalunion mit England zugute,

da man relativ einfach in den bereits im Dezember 1826

unterzeichneten englisch-mexikanischen Vertrag eintre-

ten konnte. Mit diesen Abkommen erfüllten die europäi-

schen Länder die Hoffnungen der Regierungen des unab-

hängigen Mexiko nach diplomatischer Anerkennung auf

internationaler Ebene.

Die Erwartungen deutscher Kaufl eute auf hohe Gewin-

ne wurden aber enttäuscht. Die jungen Republiken La-

teinamerikas waren durch die Unabhängigkeitskriege

wirtschaftlich geschwächt und boten zunächst nicht den

gewünschten Absatzmarkt. Dennoch versuchte man von

Deutschland aus, die neuen Staaten weiter wirtschaftlich

zu durchdringen, wobei neben Brasilien vor allem Mexiko

von Bedeutung war.

In den 1850er Jahren kontrollierten deutsche Kaufl eute

zwei Drittel des mexikanischen Außenhandels. Dies war

weniger der Fülle von Exportartikeln aus deutschen Län-

dern geschuldet als der Präsenz der in Mexiko ansässi-

gen deutschen Handelsvertreter, von denen viele aus den

Hansestädten kamen. Die Kaufl eute handelten vor allem

mit englischen und französischen Waren. Die wichtigs-

ten Exportgüter Deutschlands waren im 19. Jahrhundert

Eisenwaren, Maschinen und Textilien, importiert wurden

vor allem Rohstoffe, Nahrungs- und Genussmittel. Das

wichtigste Exportgut aus dem Königreich Hannover nach

Mexiko war das Osnabrücker Leinen. In geringeren Men-

gen wurden auch Glas, Papier und Wachs nach Mexiko

ausgeführt. Die Dominanz der Hansestädte, die sich

schon zu Beginn der Beziehungen im deutsch-latein-

amerikanischen Handel abgezeichnet hatte, setzte sich

auch im Kaiserreich fort. 1905 existierten allein in Mexi-

ko sechzig hanseatische Handelsniederlassungen.

Abbildung 28: Der Freundschaftsvertrag zwischen Mexiko

und Hannover im Hauptstaatsarchiv Hannover

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Das Deutsche Reich

und Mexiko

Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871

wurde der Außenhandel stärker staatlich geför-

dert und die diplomatischen und konsularischen

Institutionen ausgebaut. Ein Beispiel dafür ist

die Gründung des Honorarkonsulats in Hanno-

ver zur Unterstützung der Beziehungen mit Me-

xiko. Den Überseehandel bestritten nicht mehr

nur Kaufl eute, auch Reeder, Bankiers und Unter-

nehmer beteiligten sich nun an den Geschäften

mit Mexiko. Die erfolgreiche politische Stabi-

lisierung Mexikos ab den 1870er Jahren durch

die Regierung von General Porfi rio Díaz vermin-

derte die Risiken für ausländische Investitionen

erheblich. Die Honorarkonsuln, von denen ins-

besondere die Hannoveraner mit der Region um

Puebla verbunden waren, lieferten wertvolle In-

formationen über Land und Leute und vermittel-

ten Geschäftskontakte zwischen deutschen und

mexikanischen Interessenten.

>> Siehe hierzu auch das Plakat über das Honorarkonsulat Mexikos in Hannover <<

Das 20. Jahrhundert

Die guten Beziehungen zwischen Mexiko und

dem Deutschen Reich sowie das Engagement

deutscher Unternehmen setzten sich auch nach

der Jahrhundertwende fort. 1910 wurde der An-

teil deutscher Investitionen mit 6,5 % der ge-

samten ausländischen Investitionen in Mexiko

beziffert. Deutsche Unternehmen und Banken

engagierten sich vor allem im Bergbau, im mi-

litärischen Bereich und in der Erdölförderung.

12,9 % der mexikanischen Importe stammten

aus Deutschland, 3 % aller mexikanischen Aus-

fuhren gingen dorthin.

Die bewaffneten Auseinandersetzungen der me-

xikanischen Revolution und der Ausbruch des

Ersten Weltkriegs störten die wirtschaftlichen

Beziehungen empfi ndlich. Ungeachtet dessen

kamen die deutsch-mexikanischen Beziehungen

bis Ende der 1930er Jahre nie vollständig zum

Erliegen. Die zum Krieg rüstenden Nationalso-

zialisten zeigten mangels eigener Ressourcen

besonderes Interesse an mexikanischem Erdöl.

Erst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs un-

terband die Regierung Mexikos die Erdölliefe-

rungen. In Übereinstimmung mit ihrer Politik der

Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten

brach die mexikanische Regierung Anfang De-

zember 1941 die diplomatischen Beziehungen

zu Deutschland, Japan und Italien ab. Als deut-

sche U-Boote 1942 mexikanische Handelsschiffe

torpedierten, trat Mexiko an der Seite der Alliier-

ten in den Weltkrieg ein.

Ein Neuanfang: Das

mexikanische Wunder

und der Volkswagen

Erst 1952 nahmen Deutschland und Mexiko er-

neut offi zielle Beziehungen auf; Abkommen

über den Luftverkehr, die wissenschaftlich-tech-

nologische sowie die kulturelle und industrielle

Zusammenarbeit folgten. Prägend für die Wirt-

schaftsbeziehungen waren die sich in Mexiko

ansiedelnden deutschen Großunternehmen, die

direkt in Produktionsstätten vor Ort investierten.

Neben den Staatseinnahmen aus der nationa-

lisierten Erdölproduktion trugen auch sie zum

„milagro mexicano“, dem mexikanischen Wirt-

schaftswunder, bei. Die Wirtschaftswunderjahre

zwischen 1940 und 1970 zeichneten sich durch

politische Stabilität, wirtschaftliches Wachstum

und staatliche Investitionspolitik aus. Die damals

ausgebaute Infrastruktur ist bis heute für die

anhaltend hohe Investitionsbereitschaft auslän-

discher Unternehmen in Mexiko verantwortlich.

Dies gilt etwa für die Automobilbranche (Volks-

wagen, Daimler Benz und BMW), für die Elekt-

ro- und Elektronikbranche (Bosch und Siemens)

und für die chemische Industrie (Bayer, BASF,

Hoechst und Henkel).

Hauptexportgüter Deutschlands nach Mexiko

sind gegenwärtig Kraftfahrzeuge, Kraftfahr-

zeugteile, optische, elektrische und elektroni-

sche Geräte, Maschinen sowie pharmazeutische

Produkte. Wichtige Importgüter aus Mexiko sind

ebenfalls Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeugtei-

le, darüber hinaus Erze, Kupfer, Erdöl, Kaffee und

Honig. Bekanntestes Beispiel für die wirtschaft-

liche Zusammenarbeit zwischen dem Land Nie-

dersachsen und Mexiko ist zweifellos das 1967

eröffnete Volkswagenwerk in Puebla. Die Auto-

mobilproduktion sichert darüber hinaus zehn-

tausende von Arbeitsplätzen in der mexikani-

schen Zuliefererindustrie.

WirtschaftlicherAufwind.

Abbildung 29: Käferproduktion im VW-Werk

Wolfsburg 1973

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Mexikanisch-deutsche

Perspektiven

Die Beziehungen zwischen Mexiko und Deutsch-

land waren während des gesamten 20. Jahrhun-

derts von ökonomischen Interessen geleitet.

Politische und kulturelle Aspekte spielten eine

eher untergeordnete Rolle. Mexiko ist ein

Schwerpunktland der bilateralen Kooperations-

politik der Bundesregierung in Lateinamerika.

Umgekehrt gilt dasselbe, schließlich ist Deutsch-

land Mexikos wichtigster Handelspartner in der

Europäischen Union. Nach Angaben des mexi-

kanischen Wirtschaftsministeriums war die

Bundesrepublik im Jahr 2004 der viertwichtigs-

te Handelspartner Mexikos nach den USA, Chi-

na und Japan. Bei den mexikanischen Importen

nahm Deutschland ebenfalls den vierten Platz

ein - wiederum nach den USA, Japan und China.

Nach Brasilien ist Mexiko der wichtigste Han-

delspartner der Bundesrepublik in Lateinamerika.

Mexiko wird aufgrund des Freihandelsabkom-

mens seit 1994 als Tor in die USA und Kanada

angesehen und als „Brücke“ ins übrige Latein-

amerika.

Mexikanischer Volkswa-

gen aus Niedersachsen

Als größtes Unternehmen Niedersachsens spielt

die „Volkswagen AG“ – weltweit drittgrößter

Konzern nach Produktion und Absatz von Kraft-

fahrzeugen – eine besondere Rolle in den

deutsch-mexikanischen Beziehungen. In der für

die Bundesrepublik wirtschaftlich wichtigen Au-

tomobilindustrie beschäftigt allein „VW“ etwa

100.000 Menschen.

In Mexiko ist die Automobilindustrie ebenfalls

von großer Bedeutung. Als produktionsintensi-

ve und exportfähige Industrie wurde die Bran-

che seit 1940 vom Staat gefördert. Die Mittel

zur Unterstützung der in Mexiko angesiedelten

ausländischen Automobilindustrie stammten

überwiegend aus den Erdölexporten. 1978 re-

präsentierte die Automobilindustrie 26,3 % des

mexikanischen Außenhandelsvolumens - 1981

waren es bereits 57,7 %. 2008 nahm Mexiko mit

jährlich ca. 2,2 Millionen Fahrzeugen weltweit

den zehnten Platz unter den Automobil herstel-

lenden Ländern ein, ein Drittel davon produziert

„Volkswagen de México“.

Der Volkswagen-

Konzern

Die Volkswagen AG wurde 1937 als „Gesellschaft

zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens

mbH“ von der nationalsozialistischen „Deut-

schen Arbeitsfront“ gegründet. Für die Produk-

tion des von Ferdinand Porsche erdachten „Kraft

durch Freude“-Wagens, dem späteren VW-Kä-

fer, errichtete die Gesellschaft 1938 in der Nähe

von Fallersleben eine als größte Automobilfab-

rik Europas geplante Produktionsstätte mit da-

zugehöriger Stadt, das heutige Wolfsburg. Doch

wurde zunächst nicht der VW-Käfer, sondern ab

1940 unter dem Einsatz von 20.000 Männern

und Frauen als Zwangsarbeiter der sogenannte

Kübelwagen für den Kriegseinsatz gebaut. Nach

dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 über-

nahm die britische Militärverwaltung den Be-

trieb und ließ zum ersten Mal serienmäßig den

„Käfer“ bauen. Ende 1949 übergaben die Briten

das Unternehmen in die Obhut der gerade ent-

standenen Bundesrepublik, die sie unter die Ver-

waltung des Landes Niedersachsen stellte. Die

Werke in Wolfsburg und Braunschweig hatten

damals etwa 10.000 Beschäftigte.

Die steigende Nachfrage nach dem „Käfer“ im

In- und Ausland machte in den 1950er Jahren

eine Ausweitung der Produktion notwendig.

Weitere Werke entstanden in Deutschland (Han-

nover, Kassel), Brasilien und Australien.

Deutsche Unternehmen in Mexiko.

Abbildung 30: Produktion von Käfer-Motoren im

VW-Werk 1973

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Von Mexiko in die Welt

Nach dem Fertigungsstopp des Käfers 1978 im

niedersächsischen Emden verblieb in Puebla die

weltweit einzige Produktionsstätte des dort offi -

ziell als „Sedán“ bezeichneten Erfolgsmodells. 25

Jahre später, am 30. Juli 2003, lief dort der letz-

te Käfer vom Band. Strengere Umweltaufl agen

und andere Vorschriften der mexikanischen Re-

gierung hatten die Produktion des immer noch

begehrten Sedán-Käfers unrentabel gemacht. In

Puebla werden inzwischen neue Modelle wie der

Jetta, der Bora und der Golf Variant gebaut. Mit

etwa 15.000 Beschäftigten ist das Werk gegen-

wärtig der größte VW-Produktionsstandort in

Amerika.

Volkswagen ein Ge-

werkschafts-Betrieb?

Eine Besonderheit des VW-Konzerns in der Bun-

desrepublik ist der hohe gewerkschaftliche Or-

ganisationsgrad. Bis zu 98 % der Beschäftigten

sind Mitglieder der Industriegewerkschaft Me-

tall. Dies ist zum Teil auf die Kooperation zwi-

schen dem halbstaatlichen Betrieb und der In-

teressenvertretung der Beschäftigten seit der

Nachkriegszeit zurückführen.

Die britische Militärverwaltung hatte den Be-

trieb unter der Bedingung besonderer Mitspra-

cherechte der Gewerkschaft in deutsche Obhut

übergeben. Außerdem war das Unternehmen

auf die Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft

angewiesen, um Arbeitskräfte für die ländliche

Region um Wolfsburg anzuwerben. Das Wachs-

tum des Unternehmens und die wirtschaftliche

Prosperität unterstützten die Entwicklung eines

auf Kooperation basierenden Betriebssystems, in

der Bundesrepublik als „Sozialpartnerschaft“ be-

kannt. Durch den hohen Organisationsgrad und

die besondere „Betriebskultur“, welche die Be-

triebsräte in viele Fragen des betrieblichen All-

tags einbezieht, wird den Beschäftigten teilweise

bis heute ein übertarifl icher Lohn gezahlt.

Bereits 1955 einigten sich die Industriegewerk-

schaft Metall, der Betriebsrat und die Unterneh-

mensleitung auf die Einführung der 40-Stun-

denwoche ab 1957. Nicht zuletzt wegen dieser

Kooperation zwischen Arbeitnehmern und Kon-

zernspitze fi nden bei Volkswagen in Deutschland

selten Streiks statt.

Das Prinzip des „closed

shop“ in Mexiko

Im VW-Werk in Puebla liegt der Organisations-

grad der Beschäftigten noch höher, nämlich bei

100 %. Dies liegt am Prinzip des „closed shop“,

was bedeutet, dass der Zugang zu Arbeitsplätzen

auf diejenigen beschränkt ist, die der Betriebs-

gewerkschaft angehören.

Der hohe Organisationsgrad ist auch hier für die

relativ hohen Löhne und die im Vergleich zu an-

deren Unternehmen besseren Sozialleistungen

verantwortlich. Die Streikaktivität ist allerdings

höher als in Deutschland. So hoch, dass im

Krisenjahr 2010 allein durch die Androhung

von Streik 6,09 % Lohnsteigerung erreicht

wurden, während die Infl ationsrate bei ledig-

lich 4,32 % lag.

In Deutschland konnte hingegen bei einer Infl a-

tionsrate von 1,5 % lediglich eine „Nullrunde“

bei den Tarifverhandlungen in der Metallbranche

erzielt werden.

Arbeitskampf aufmexikanisch.

Abbildung 32: Streikende VW-Arbeiter in Puebla

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Continental —

Hannovers Global-

Player in Mexiko

Einen hohen Organisationsgrad der Beschäftig-

ten zeichnet ebenfalls das mexikanische Reifen-

werk „Euzkadi“ aus. Bis 2005 gehörte der Betrieb

dem in Hannover ansässigen „Continental“-Kon-

zern. Durch den erfolgreichen Widerstand der

Beschäftigten konnte eine 2002 geplante Schlie-

ßung verhindert werden.

Vom Hannoveraner

Unternehmen zum

Weltkonzern

1871 wurde Continental in Hannover als „Con-

tinental-Caoutchouc- und Gutta-Percha Com-

pagnie AG“ gegründet. Der Aufstieg zu einem

internationalen Unternehmen begann Ende der

1960er Jahre. Heute ist der hannoversche Kon-

zern der größte Hersteller von Kautschukwaren

in Deutschland und eines der weltweit führen-

den Unternehmen im Bereich der Reifenproduk-

tion. Darüber hinaus produziert und vertreibt

„die Conti“ seit 1991 neben Erzeugnissen aus

Gummi und Kunststoff auch Bremssysteme und

Fahrzeugelektronik.

Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund

134.500 Mitarbeiter in über 190 Produktionsan-

lagen in 39 Ländern und 3.000 Franchise- und

Reifenhandelsbetrieben.

Reifenproduktion

in Mexiko

Mit dem Kauf des amerikanischen Reifenherstel-

lers „General Tire“ und dessen Werken in Nord-

und Südamerika kamen 1987 erstmals auch

mehrere Produktionsstandorte in Mexiko zum

Continental-Konzern: Ayala, Morelos-Cuautla,

Guadalajara, Mexiko-Stadt, Ciudad Juárez, San

Luis Potosí, Nogales, Silao und Silao-Las Colinas.

Die Betriebe fertigen u. a. Pkw-Reifen, Ausstat-

tung für den Insassenschutz, Bremskraftver-

stärker und elektronische Bremssysteme. Wie

auch in Deutschland ist Continental in Mexiko

ein wichtiger Zulieferer für Volkswagen. Derzeit

liegt die Mitarbeiterzahl der Continental-Werke

in Mexiko bei etwa 6.000 Beschäftigten. Um

die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter zu

fördern, gründete der Konzern 2006 an mehre-

ren mexikanischen Standorten die Continental

University Mexico.

Kontinentale Verbindungen.

Abbildung 34: Werk Euzkadi

Abbildung 35: Gewerkschaftskonferenz der

Gewerkschaft CTM (Confederación de Trabajado-

res de México)

Abbildung 33: Continental Logo

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Streik gegen Continental

im Werk „Euzkadi“

Anfang 2002 kam es im Continental-Werk „Euzkadi“ in

El Salto/Guadalajara im Bundesstaat Jalisco (ca. 400 km

westlich von Mexiko-Stadt) zum Streik. Der Arbeitskampf

erregte aufgrund seiner Dauer von 3 Jahren und dem

Sieg der Streikenden über den Weltkonzern Continental

weltweites Aufsehen.

Über Jahrzehnte hatte sich das Euzkadi-Werk in El Salto

zu einem wirtschaftlichen Eckpfeiler der Region entwi-

ckelt. Die Qualität der Reifen galt als hervorragend und

1998 erreichte die Produktion einen Rekordwert, etwa

ein Prozent aller weltweit produzierten Reifen wurde in

El Salto hergestellt. Im gleichen Jahr übernahm Conti-

nental das mexikanische Traditionsunternehmen „Hulera

Euzkadi“. Drei Jahre später, im Dezember 2001, erhielten

die Mitarbeiter des Werks unvorbereitet eine Mitteilung

über die sofortige Schließung des Betriebes und ihre Ent-

lassung. Als Reaktion darauf entschloss sich die Betriebs-

gewerkschaft SNRTE (Versammlung der Nationalen Re-

volutionären Gewerkschaft der Arbeiter der Gummifabrik

Euzkadi AG) zum Streik. Gewerkschaft und Belegschaft

bemühten sich darum, den Protest national und interna-

tional bekannt zu machen. Die Streikenden trugen ihre

Forderungen unter anderem medienwirksam bis in die

Konzernzentrale in Hannover.

Erst nach drei Jahren langer Verhandlungen und gericht-

licher Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit

der Schließung bzw. des Streiks konnte der Arbeitskon-

fl ikt beigelegt werden. Im Januar 2005 vereinbarten die

Continental, das mexikanische Unternehmen „Llanti-Sys-

tems“ und die Gewerkschaft SNRTE mit Unterstützung

der mexikanischen Regierung eine Überschreibung des

Werks. Seither gehört der Betrieb zur Hälfte der Beleg-

schaft und zur anderen Hälfte „Llanti-Systems“.

„Llanti-Systems“, das im Reifenhandel aktiv ist und ein

Großabnehmer von Continental-Reifen war, investierte

40 Millionen US-Dollar in das neue Unternehmen. Seit

Februar 2005 wird der neue Betrieb unter dem Namen

„Corporación de Occidente, S.A. de C.V.“ als Kooperative

geführt und die Produktion von den Mitarbeitern selbst

verwaltet. Bereits 2006 überstieg die jährliche Fertigung

1,5 Millionen Reifen.

Mexikaner streiken in Hannover.

Abbildung 36: Euzkadi Arbeiter in Hannover, 2004

Weiterführende Literatur:

» Becker, Felix (1984): Die Hansestädte und Mexiko. Handelspolitik, Verträge und

Handel, 1821 – 1867. Wiesbaden.

» Bernecker, Walther (1988). Die Handelskonquistadoren. Stuttgart.

» Bortz, Jeffrey L.; Habber, Stephen (2002): The Mexican Economy, 1870-1930.

Essays on the Economic History of Institutions, Revolution and Growth. Stanford.

» Katz, Friedrich (1964): Deutschland, Díaz und die mexikanische Revolution.

Die deutsche Politik in Mexiko 1870-1930. Berlin.

» Mentz, Brígida von u. a. (1988): Los empresarios alemanes, el Tercer Reich y la

oposición de derecha a Cárdenas. México.

» Richter, Peter; Esser, Klaus (1981): Schwerpunktland Mexiko: Zur Fortentwicklung

der bilateralen Kooperationspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Berlin.

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Große Flächen

für große Kunst.

Wandbilder

und nationale

Integration

in Mexiko

Nach dem durch bewaffnete

Auseinandersetzungen gepräg-

ten Revolutionsjahrzehnt (1910-

1920) stand die Aussöhnung der

unterschiedlichen gesellschaftli-

chen Interessensgruppen im Vor-

dergrund der Politik. Unter der

Präsidentschaft von Álvaro Ob-

regón trug zu Beginn der 1920er

Jahre die Einbindung der antago-

nistischen Gruppen in Massen-

organisationen und Gewerk-

schaften zur Stabilisierung der

Verhältnisse bei.

Die in der Revolution entstande-

ne Kunstform des „Muralismus“

(Wandmalerei) leistete in diesem

Sinne einen Beitrag zur Bildung

einer neuen nationalen Identität.

Unter Obregón erhielt der Mura-

lismus staatliche Förderung. Für

die großfl ächigen Wandgemälde

standen nun öffentliche Gebäu-

de wie der Präsidentenpalast,

Ministerien oder Schulen zur Ver-

fügung.

José Vasconcelos, der als Erziehungsminister Obregóns die Kultur- und Bil-

dungspolitik Mexikos grundlegend umgestaltete, hatte einen entscheidenden

Anteil an dieser Entwicklung. Er initiierte eine Alphabetisierungskampagne

und ließ vor allem auf dem Land zahlreiche Schulen und Bibliotheken errich-

ten. Darüber hinaus beauftragte er eine Gruppe von jungen Künstlern, die Ge-

schichte Mexikos von der Epoche der vorspanischen Reiche der Azteken und

Maya bis in die Gegenwart auf Wandgemälden zu präsentieren. Aufgrund der

hohen Zahl von Analphabeten sollte die Wandmalerei als eine Art „öffentli-

ches Geschichtsbuch“ die Bildungskampagne unterstützen.

Die Wandmaler konnten ihre Kunstwerke frei gestalten, einzige Vorgabe war

die großfl ächige, öffentliche Darstellung von Themen gesellschaftspoliti-

scher Bedeutung. Anregungen erhielt der Muralismus von avantgardistischen

und sozialistischen Ideen. Zwei seiner bedeutendsten Vertreter – Diego Rive-

ra (1886-1957), David Alfaro Siqueiros (1896-1974) – gehörten der 1919 ge-

gründeten Kommunistischen Partei Mexikos an.

Abbildung 37: Ausschnitt eines Wandbilds von Diego Rivera, Szene in Tenochtitlán

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Kunst, die Massen bewegt und Ketten sprengt.

Gesellschaftliche Utopien und Kapita-

lismuskritik spiegelten sich deshalb in

ihren Motiven deutlich wider. Die Wer-

ke prangerten die Eroberung Mexikos

durch die Spanier sowie die Unterdrü-

ckung der indigenen Bevölkerung wäh-

rend der Kolonialzeit ebenso an wie die

Unterdrückung durch Großgrundbesit-

zer und Klerus. Auch die Politiker und

Unternehmer des unabhängigen Mexiko

blieben nicht verschont. Die mexikani-

sche Revolution stellten die Wandge-

mälde hingegen als politischen Bruch

dar und (v)erklärten Bauern und Arbeiter

als eigentliche Helden dieses Prozesses.

In der auf den Wandgemälden neu

erzählten mexikanischen Nationalge-

schichte hatte erstmals auch die indi-

gene Bevölkerungsmehrheit des Landes

einen Platz, die zuvor nicht als Teil der

mexikanischen Nation galt. Insbesonde-

re Diego Rivera betonte das reiche in-

digene Erbe Mexikos. Die Wandgemälde

als öffentliche Kunstwerke an den Re-

gierungsgebäuden symbolisierten dar-

über hinaus das neue Politikverständnis

der revolutionären Machthaber, das auf

Massenmobilisierung basierte.

Kunst und Kapitalismus-

kritik im revolutionären

Deutschland

Revolutionäre Unruhen prägten auch in Deutschland das

zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Die Novemberre-

volution, die 1918 in der Endphase des Ersten Weltkrieges

begann, löste einen tiefgreifenden politischen Wandel

aus. Die konstitutionelle Monarchie des deutschen Kai-

serreichs wurde durch die demokratische Verfassung der

Weimarer Republik ersetzt. Die neuen gesellschaftlichen

Freiräume brachten hier ebenfalls eine Blüte von Kunst

und Kultur hervor. Frei von Zensur brachen Künstler in

den 1920er Jahren mit alten Formen und Strukturen und

experimentierten mit avantgardistischen Stilrichtungen.

Zahlreiche Ausstellungen präsentierten Bilder der Kunst-

richtungen des Surrealismus und des Dadaismus nun ei-

nem breiten Publikum.

In Hannover entwickelte Kurt Schwitters (1887-1948)

seine MERZ-Kunst als ein „dadaistisches Gesamtweltbild“.

Als MERZ bezeichnete Schwitters seine neue Technik,

aus Zeitungsausschnitten, Reklame und Abfall Collagen

herzustellen. Darüber hinaus engagierte er sich politisch

in der von ihm mitbegründeten Novembergruppe, einer

Künstlervereinigung, die durch Kunst eine soziale Revo-

lution unterstützen wollte.

Abbildung 38: Wandbild von David Alfaro Siqueiros im Palacio de Bellas Artes, Mexiko-Stadt

Abb. 39:

Kurt

Schwitters

1927

Abb. 40:

Brief-

marke

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Zum linken Flügel dieser Gruppe

gehörte unter anderem Otto Dix

(1891-1969), der als Vertreter der

Neuen Sachlichkeit ein scharfes

und kritisches Bild der Wirklich-

keit skizzierte. Mit Gemälden wie

„Das Leben in der Großstadt“ und

„Die Kluft zwischen Arm und

Reich“ zeigte er die Missstände

seiner Zeit auf und prangerte die

soziale Ungleichheit im Kapitalis-

mus an.

Abbildung 41: Briefmarke

Anita Berber 1991

Abbildung 42: Kurt Schitters Wandge-

mälde in Hannover Linden

Abbildung 43: Wandbild von Diego Rivera, Treppenaufgang des Nationalpalasts

in Mexiko-Stadt

Dix’ Gegenüberstellung der Dekadenz und Verschwendungssucht der Ober-

schicht und der sozialen Not der Bevölkerungsmehrheit erinnern in vieler Hin-

sicht an die Wandgemälde Riveras. Dessen Fresko im Treppenaufgang des

Nationalpalastes in Mexiko-Stadt enthält Motive und Stile, die wir auch bei

Dix wiederfi nden können.

Bildsprache mit kritischen Tönen.

Weiterführende Literatur:

» Folgarait, Leonard (1991): Revolution as Ritual. Diego Rivera‘s National Palace Mural. In: Oxford Art Journal,

14/1:18-33.

» Zimmering, Raina (Hrsg.) (2005): Der Revolutionsmythos in Mexiko. Würzburg.

» MERZ - ein Gesamtweltbild (2004): Katalog zur Ausstellung von Kurt Schwitters im Museum Tinguely

in Basel. Bern.

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Selbst- und

Fremdwahrnehmungen

Von Eduard Mühlenpfordt zu Julita Gomez

Zeitzeugen aus dem Königreich Hannover, die sich zu

den Verhältnissen im Mexiko des 19. Jahrhunderts äu-

ßerten, sind rar. Einer von ihnen war der Ingenieur Edu-

ard Mühlenpfordt, der sich am 5. Januar 1827 zusam-

men mit seiner Frau und einer Gruppe Harzer Bergleute

nach Mexiko einschiffte. Anfänglich bereiste er das Land

als Leiter des Bauwesens im Dienst der englischen Berg-

werksgesellschaft „United Mexican Mining Association“.

Der ursprünglich für fünf Jahre geplante Aufenthalt ver-

längerte sich um weitere drei Jahre, in denen Mühlen-

pfordt als Direktor der staatlichen Wegebaukommission

von Oaxaca tätig war.

Nach seiner Rückkehr nach Hannover verfasste Mühlen-

pfordt eine detaillierte und sehr lesenswerte Schilderung

der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und naturräum-

lichen Verhältnisse in der Republik Mexiko kurz nach der

Unabhängigkeit.

Sie erschien erstmals 1844 in Hannover unter dem Titel

„Versuch einer getreuen Schilderung der Republik Mejico

besonders in Beziehung auf Geographie, Ethnographie

und Statistik“. Teile seiner Schilderung sind auch in der

2000 von C. Raddatz herausgegebenen und kommentier-

ten Ausgabe „Mejicanische Bilder. Reiseabenteuer, Ge-

genden, Menschen und Sitten“ nachzulesen.

Mühlenpfordt in

Mexiko – Mexikaner

in Niedersachsen.

Abbildung 44: Eduard Mühlenpfordt (1801-1853)

Abbildung 45: Erste Seite des Manuskripts von Mühlen-

pfordts „Mejicanische Bilder"

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Zwischen Mai und August 2010 entstanden im

Rahmen unseres Projektseminars Interviews

mit sechs mexikanischen und deutschen Frau-

en und Männern, die unmittelbar oder indirekt

mit dem Volkswagen-Werk in Puebla, Mexiko

in Verbindung standen oder stehen. Ziel der In-

terviews war es, eine Verbindung zwischen den

im Reisebericht Mühlenpfordts geschilderten

Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit gegen-

wärtigen Wahrnehmungen und Einschätzun-

gen von Mexikanerinnen und Mexikanern her-

zustellen. Wir stellen hier einige Auszüge vor.

Frage: Eduard Mühlenpfordt hatte am 29.

Mai 1833 erstmals Puebla besucht.

In seinem Bericht schrieb er dazu:

„Fremde, Ausländer, sind in Puebla

übel gelitten, weshalb auch nur

wenige hier wohnen.“ Wie beurtei-

len Sie aus Ihrer heutigen Kennt-

nis der Verhältnisse in Puebla diese

Aussage?

Antwort: „Puebla als Provinz und als Stadt hat sich inzwischen Neuankömmlingen geöffnet. In der Einstellung der alt eingesessenen Familien gegenüber Fremden hat sich bis heute nichts geändert.“

Rocio Carbajal, 6. August 2010 – Wolfsburg

Frage: Eduard Mühlenpfordt schrieb: „Die

Bevölkerung Mejicos ist, […] aus

drei verschiedenen Hauptelementen

zusammengesetzt; […] Indier, Weisse

und Neger.“ Ist eine derartige Klassi-

fi zierung in Mexiko heute noch aktuell?

Antwort: „Mein Großvater von mütterlicher Seite war Franzose, meine Großmut- ter indianisch. Mein Vater ist spani- scher Herkunft, also Kreole. Wie Sie sehen, bin ich dunkel; ich habe eine Schwester, die ist weiß. Es gab immer Probleme zwischen uns.“

Rocio Carbajal, 9. Juli 2010 – Wolfsburg

Frage: Obwohl Eduard Mühlenpfordt in

der ersten republikanischen Ver-

fassung von 1824 (nach dem Plan

von Iguala) ausdrücklich hervor-

hob, dass „allen Casten und Ständen

die Rechte freier Bürger zugestan-

den [ward]“, schloss er aufgrund der

oben beschriebenen Bevölkerungs-

einteilung auf völlig unterschiedliche

Bildungschancen. Haben Ihrer Auf-

fassung nach Vertreter der indigenen

Bevölkerung im heutigen mexikani-

schen Bildungssystem mittlerweile

gleiche Berufschancen wie die Weißen?

Antwort: „Bei uns im VW-Werk in Puebla wa-

ren Reinigungskräfte und Fließband-

arbeiter fast ausschließlich Indios, in

der Verwaltung nur Weiße.“

Konrad Henniger, 4. Mai 2010 – Hannover

Ist Mühlenpfordt noch aktuell?

Abbildung 47: Straßenmarkt in Mexiko

Abbildung 46: Der zentrale Platz in Puebla

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Frage: Eduard Mühlenpfordt stellte fest, dass die –

wie er sich ausdrückt – römisch-katholisch-

apostolisch-christliche Kirche in Mexiko auf

alle Menschen großen Einfl uss in allen Le-

bensbereichen ausübt. Sehen Sie das heute

auch noch so, und wenn ja, in welchen

Bereichen ist der Einfl uss der Kirche Ihrer

Meinung nach am größten?

Antwort: „Ja, das ist auch heute noch so - auch weil

die Mehrheit der Bevölkerung dieser Religion

angehört – zum Beispiel in ihrem Einfl uss

auf die Gesetzgebung, aber auch in anderen

wichtigen Gebieten wie in der Schule. Ich

persönlich bekenne mich zum Islam und bin

noch in Mexiko zu diesem Glauben über-

getreten.“

Sarah Lenkeit, 21. August 2010 – Braunschweig

Frage: Eduard Mühlenpfordt stellte fest: „Todtschlä-

ge fallen in Mejico weit häufiger vor, als

anderswo. […] mindestens 9/10 davon werden

nicht mit Vorbedacht, noch weniger in räube-

rischer Absicht verübt.“ Wie beurteilen Sie

diese Aussagen im Vergleich zu den heutigen

Verhältnissen in Mexiko?

Antwort: „Hier in Berlin jogge ich fast täglich abends

alleine durch den angrenzenden Park, bei uns

in Puebla wäre das völlig unmöglich.“

Dr. Julita Gomez, 29. Mai 2010 – Berlin

Frage: Eduard Mühlenpfordt schilderte seinerzeit

begeistert die im Vergleich zu den deutschen

Ländern fortschrittliche, republikanische

Verfassung des unabhängigen Mexiko. Kön-

nen Sie diese Begeisterung Mühlenpfordts

heute noch nachvollziehen?

Antwort: „Unsere Verfassung war damals schon und

ist auch heute okay. Aber wie sieht heute die

Realität bei uns in Mexiko aus? Korruption,

Bestechung, Drogen- und Gewaltkriminalität

sind normal; und die Regierung scheint hilfl os

zu sein.“

Israel Munoz, 9. Juli 2010 – Wolfsburg

Damals und heute — Gewalt in Mexiko?

Abbildung 48: Kirche in Mexiko

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Verbrannte Geschichte

Die Ursprünge der konsularischen Vertretungen Mexikos

in Hannover seit der Unterzeichnung des mexikanisch-

hannoverschen Freundschaftsvertrags vom 20. Juni 1827

sind nur schwer nachzuvollziehen, denn die diesbezügli-

chen Schriftstücke sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt.

Vermutlich wurden die Interessen Mexikos zunächst von

den konsularischen Vertretungen in den Hansestädten

Hamburg und Bremen wahrgenommen. Bei dem ersten

erhaltenen Dokument handelt es sich um eine Akte aus

dem Hauptstaatsarchiv des Niedersächsischen Landes-

archivs über die Ernennung von mexikanischen Hono-

rarkonsuln vom 20. November 1890. Darin ersuchte der

Oberpräsident der Provinz Hannover um Informationen

über die persönlichen Umstände und Vermögensverhält-

nisse des Hannoveraner Kaufmanns Carl Solling. Solling

sollte den bereits zuvor zum Konsul ernannten Kauf-

mann Hugo Doormann ersetzen, da dieser sein Amt nicht

angetreten hatte.

Dominanz der Kaufl eute –

Die Konsuln bis zum

Zweiten Weltkrieg

23. Januar 1891: Ernennung des Kaufmanns Carl

Solling zum Vizekonsul.

28. Juli 1892: Ernennung des Barons Dr. med. Louis

von Herrmann zum Konsul.

23. März 1899: Ernennung von Carl Solling

zum Konsul.

17. Dezember 1907: Ernennung des Hannoveraner

Kaufmanns Wilhelm Garvens zum Vizekonsul. Sowohl

Solling als auch Garvens werden auch nach den Neuord-

nungen der Zuständigkeitsbereiche des Hannoveraner

Konsulats 1908 und 1921 in ihren Ämtern bestätigt.

7. April 1925: Carl Solling verstirbt.

3. September 1924: Nach Unterordnung unter den

mexikanischen Generalkonsul in Hamburg wird Wilhelm

Garvens am 20. Februar 1924 zum Vizehonorarkonsul

und am 2. Februar 1927 schließlich zum Honorarkon-

sul Mexikos in Hannover ernannt. Nach einer Reform der

Konsularbezirke befi nden sich mexikanische Konsulate

in Hamburg, Bremen und Berlin. Von diesem Zeitpunkt

an nehmen nur noch mexikanische Staatsangehörige die

Ämter des Generalkonsuls bzw. Konsuls wahr.

Das mexikanische

Konsulat in Hannover.

Abbildung 49: Mexikanisches Honorarkonsulat in Hannover

Abbildung 50: Erste Seite der Akte zur Ernennung von Carl

Solling zum Vizekonsul Mexikos in Hannover

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14. Mai 1932: Wilhelm Garvens verstirbt.

22. November 1939: Nachdem bereits das mexikani-

sche Generalkonsulat in Bremen geschlossen wurde, ruft

die mexikanische Regierung auch ihren Generalkonsul in

Hamburg ab.

28. August 1941: Ein Schreiben des Auswärtigen Amts

beendet die diplomatischen Beziehungen zwischen

Deutschland und Mexiko:

„Der Mexikanischen Gesandtschaft ist mitgeteilt worden,

daß sich die Reichsregierung genötigt gesehen hat, den

mexikanischen Konsuln in Deutschland das Exequatur,

die Erlaubnis zur Ausübung der konsularischen Funktio-

nen, zu entziehen.“

Diplomatischer Neuanfang

Erst 1952 nehmen Mexiko und die Bundesrepublik

Deutschland ihre diplomatischen Beziehungen wieder

auf. Mit der Wiedereröffnung des Honorarkonsulats am

1. Januar 1961 wird der Kaufmann Jörg Walter Koch, Ei-

gentümer der Hannoveraner Kaffeerösterei Machwitz,

zum ersten mexikanischen Honorarkonsul Hannovers

der Nachkriegszeit ernannt.

Am 1. Januar 1993 übernimmt sein Nachfolger Prof. Dr.

Ulrich von Jeinsen das Amt. Zum ersten Mal in der Ge-

schichte des Konsulats wird ein Rechtsanwalt Konsul in

Hannover.

Hauptaufgaben des mexika-

nischen Honorarkonsulats

Die aktuellen Aufgaben des Honorarkonsulats ergeben

sich aus dem Konsulargesetz vom 11. September 1974.

Demzufolge nimmt das Konsulat die Interessen Mexikos

wahr und ist für die Betreuung seiner Staatsangehöri-

gen in Niedersachsen zuständig. Darüber hinaus ver-

mittelt und fördert es die wirtschaftlichen, sozialen und

kulturellen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staa-

ten von Mexiko und dem Bundesland Niedersachsen.

Es greift Anregungen für entsprechende Aktivitäten auf

oder ergreift selbst die Initiative.

Das Honorarkonsulat unterstützt darüber hinaus nieder-

sächsische mittelständische Unternehmen, die einen

Kontakt zu Mexiko auf- oder ausbauen wollen. Es betreut

Gäste und Delegationen z. B. bei Staatsbesuchen sowie

mexikanische Firmen, die Verbindungen nach Nieder-

sachsen herstellen möchten, insbesondere während der

in Hannover stattfi ndenden Messen. Großunternehmen,

wie z. B. Volkswagen, werden direkt vom Generalkonsu-

lat in Hamburg oder von der Mexikanischen Botschaft in

Berlin betreut.

Abbildung 51: Honorarkonsul Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen

Abbildung 52: Ernennungsurkunde von Jörg Walter Koch

zum Honorarkonsul

Abbildung 53: Gebäude des Honorarkonsulats in Hannover

Quellen und weiterführende Literatur:

» Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover - NLA.

HStAH. Hann. 122a Nr. 274.

» Becker, Felix (1984): Die Hansestädte und Mexiko. Handelspolitik, Verträge

und Handel, 1821 – 1867. Wiesbaden.

» Dane, Hendrik (1971): Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu

Mexiko und Mittelamerika im 19. Jahrhundert. Köln.

Interviews mit:

» Prof. Dr. Ulrich von Jeinsen, Konsul seit 1993, 12.04.2011.

» Dr. Stefan Garvens, Enkel des Konsuls Wilhelm Garvens, 19.04.2011.

» Jörg-Walter Koch, Sohn von Konsul Walter Koch, 29.04.2011.

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In einem Schreiben vom November 2009 richtete Hono-

rarkonsul Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen eine Anfrage an den

Präsidenten unserer Universität. Der 200. Jahrestag der

mexikanischen Unabhängigkeit 2010 und das Bestehen

eines Freundschaftsvertrages zwischen Mexiko und Han-

nover seit 1827 könnten Anlass für gemeinsame Aktivi-

täten sein. Prof. Dr. Barke wandte sich daraufhin an Prof.

Dr. Wolfgang Gabbert vom Institut für Soziologie, der

seit Langem in und über Mexiko forscht.

Gemeinsam mit der Professorin für die Geschichte Latein-

amerikas und der Karibik am Historischen Seminar, Prof.

Dr. Christine Hatzky und dem Doktoranden Florian Grum-

blies, wurde die Idee entwickelt, die „Beziehungen zwi-

schen Mexiko und Hannover seit dem 19. Jahrhundert“

in einem interdisziplinären Seminar im Sommersemester

2010 zu thematisieren und die Ergebnisse in einer Aus-

stellung auch einem breiteren Publikum zu präsentieren.

Das Thema stieß auf große studentische Resonanz. Die

Teilnehmer des Seminars begaben sich auf Spurensu-

che und entwickelten daraus die Interessensgebiete, die

auf den Ausstellungstafeln dargestellt werden. Als ers-

te „Generalprobe“ bot sich die „Lange Nacht, die Wissen

schafft“ im Oktober 2010 an, auf der die Teilnehmer des

Seminars unter dem Motto „Was hat Speedy Gonzáles

mit Ernst August zu tun“ erste Ergebnisse ihrer Recher-

chen präsentieren konnten.

In den Monaten danach entstanden dann mit wechseln-

der Besetzung und in mühevoller Kleinarbeit als Ergebnis

vielfältiger Diskussionen über Inhalt und Form die Aus-

stellungstafeln, die Sie hier sehen können.

Das Seminar

Abbildung 54: Damit hat alles begonnen: Honorarkonsul

Prof. Dr. v. Jeinsen stellte eine Anfrage an den Präsidenten

der Leibniz Universität Prof. Dr. Barke

Abbildung 55: Das Team hinter der Ausstellung

Von links, obere Reihe:

Daniel Giere, Damoun Mojtahed Poor, Stephan von Randow,

Daniel Prokop, Frank Darguss, Stephan Tress, Fabian Masch

Von links, untere Reihe:

Prof. Dr. Wolfgang Gabbert, Friederike Apelt, Ina Damaris

Buchroth, Victa Wewerinke, Mona-Sophie Euhus, Prof. Dr.

Christine Hatzky, Eva Kuhlmann, Florian Grumblies

Leider nicht auf dem Foto:

Nadja Babalola, Maria Bednorz, Suzanne Frankenfeld, Maik

Haller, Reike Hirsch, Florian Horre, Florian Kollinger, Kristina

Milicevic, Claudia Neuß, Loreen Packschies, André Schulze,

Alexander Tenge, Ricarda Wenge, Xenia Wissel

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Rechtliche Hinweise

Titelbild: Daniel Giere

Abbildung 1: Daniel Giere

Abbildung 2: Daniel Giere

Abbildung 3: Daniel Giere

Abbildung 4: Wiki Commons: Benutzer: Mib23

Abbildung 5: Niedersächsisches Landesarchiv – Hauptstaatsarchiv Hannover -

NLA. HStAH. Hann. 10 Nr. 206

Abbildung 6: Daniel Giere

Abbildung 7: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt

Abbildung 8: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt

Abbildung 9: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt

Abbildung 10: Öffentliches Eigentum. Patriotische Symbole und Nationalhymnen sind

moralisches Eigentum der Mexikanischen Regierung aber es besteht

kein Copyright.

Abbildung 11: Presseveröffentlichung Reclams Universum, 29. Jg., Heft 22, S. 76, 27.

Februar 1913.

Abbildung 12: Friedrich Georg Weitsch, 1806.

Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt.

Abbildung 13: Online 10.03.2011. http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/

index.php?id=393

Abbildung 14: Online 10.03.2011.http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/

index.php?id=393

Abbildung 15: Online 10.03.2011.http://www.deutsche-auswanderer-datenbank.de/

index.php?id=393

Abbildung 16: Daniel Giere

Abbildung 17: Daniel Giere

Abbildung 18: Street in the Village of Nohcacab in 1841, von Frederick Catherwood. In

Stephens, John Loyd: Incidents of Travel in Yucatan. New York. 1963. S. 221.

Abbildung 19: F. Toifer, 1852. Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt

Abbildung 20: Alejandro Linares Garcia. Öffentliches Eigentum, Bild ist über 100 Jahre alt

Abbildung 21: Daniel Giere

Abbildung 22: Daniel Giere

Abbildung 23: Universitätsarchiv Hannover, Best. B

Abbildung 24: Daniel Giere

Abbildung 25: Daniel Giere

Abbildung 26: Öffentliches Eigentum, Bild ist über 70 Jahre alt

Abbildung 27: Von AxelHH auf Wikipedia auf Deutsch, in die Gemeinfreiheit übergeben

Abbildung 28: Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover -

NLA. HStAH. Hann. 10 Nr. 206

Abbildung 29: Lothar Schaack

Abbildung 30: Lothar Schaack

Abbildung 31: Mattes, Der Copyrightinhaber übergab dieses Bild als

weltweit öffentliches Eigentum

VW-Käfer: Daniel Giere

Abbildung 32: Der Copyrightinhaber übergab dieses Bild als weltweit

öffentliches Eigentum

Abbildung 33: Continental AG

Abbildung 34: Jürgen Scharna

Abbildung 35: Jürgen Scharna

Abbildung 36: Jürgen Scharna

Abbildung 37: Wolfgang Sauber

Abbildung 38: Wolfgang Sauber

Abbildung 39: Genja Jonas +1938, Lizenz ist abgelaufen, da Copyrightinhaber

vor über 75 Jahren starb

Abbildung 40: Deutsche Post AG

Abbildung 41: Deutsche Post AG

Abbildung 42: Daniel Giere

Abbildung 43: Evilfreak86 bei WikiCommons

Abbildung 44: Barthold Mühlenpfordt, Privatbesitz

Abbildung 45: Eduard Muehlenpfordt

Abbildung 46: Benutzer: Maxtreiber, Lizenzvertrag siehe: http://creativecommons.org/

licenses/by-sa/2.0/de/legalcode

Abbildung 47: Stephan von Randow

Abbildung 48: Stephan von Randow

Abbildung 49: Daniel Giere

Abbildung 50: Niedersächsisches Landesarchiv - Hauptstaatsarchiv Hannover -

ZZNLA. HStAH. Hann. 122a Nr. 274

Abbildung 51: Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen

Abbildung 52: Walter Koch

Abbildung 53: Daniel Giere

Abbildung 54: Prof. Dr. Ulrich v. Jeinsen

Abbildung 55: Daniel Giere

Abbildungsverzeichnis

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