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Kain L. von Spreewinkl Meine Dämonen Anamnestische Autobiographie eines chronisch Kranken Kain von Spreewinkl 04.08.2009

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Autobiographische Anamnese, der Werdegang eines psychisch Auffälligen

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Page 1: Meine Dämonen

Kain L. von Spreewinkl

Meine DämonenAnamnestische Autobiographie eines chronisch Kranken

Kain von Spreewinkl04.08.2009

Page 2: Meine Dämonen

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Meine DämonenAnamnestische Autobiographie eines chronisch Kranken

Autor: Kain L. von Spreewinkl

InhaltsverzeichnisPräambel........................................................................................................................................4

Meine Dämonen.....................................................................................................................................8

Das Gesicht der tausend Augen..........................................................................................................9

Das Arschgesicht...............................................................................................................................10

Der Parasit........................................................................................................................................11

Schlaf und Traum..............................................................................................................................12

Traumsequenz I............................................................................................................................13

Traumsequenz II...........................................................................................................................14

Traumsequenz III..........................................................................................................................17

Meine Rufer.........................................................................................................................................18

Meine weiteren Komplikationen..........................................................................................................20

Depressionen....................................................................................................................................22

Gefühle, oder was ich dafür halte....................................................................................................26

Zwangshandlungen..........................................................................................................................28

Gedanken über den Tod...................................................................................................................29

Der eigene Tod.............................................................................................................................30

Der Tod der Anderen....................................................................................................................32

Dissoziationen..................................................................................................................................33

Anwesend abwesend....................................................................................................................34

Existieren in synthetischer Realität..............................................................................................36

Dyssomnien......................................................................................................................................38

Somnambulismus oder: wo bin ich, wenn ich schlafe?................................................................40

Meine Schmerzen I...............................................................................................................................42

Mein nebendiagnostisches Intermezzo................................................................................................45

Meine Schmerzen II..............................................................................................................................49

Meine Ärzte..........................................................................................................................................52

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Nachwort..............................................................................................................................................60

Danksagung..........................................................................................................................................61

Anhang.................................................................................................................................................62

Meine Diagnosen..............................................................................................................................62

Literatur............................................................................................................................................63

Mein Abschlussstatement................................................................................................................64

mens sana in corpore sano1

eine aus dem Zusammenhang gerissene Sentenz aus den Satiren des altrömischen Dichters Juvenal(Decimus Iunius Iuvenalis)

um 60 – um 130

1 Meist falsch als „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“ übersetzt; genauer wäre jedoch, im Gefüge des ganzen Satzes betrachtet: „Das einzige, um das wir die Götter bitten können, ist, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen soll“, denn das Originalzitat lautet (Satiren 10, 356): „Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano“

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PräambelDieses autobiographisch konzipierte Manifest (oder sollte ich dieses mühsam erstellte Elaborat besser als ein ‚psycholiterarisches Mentalexperiment‘ apostrophieren?) zeigt in seinem ersten, größeren Abschnitt meine gegenwärtigen psychopathologischen Verhältnisse, Komplikationen und Beeinträchtigungen – sowie ihren z.T. mehrere Jahrzehnte dauernden anamnestischen Werdegang – auf. Die philosophische Relevanz dieser im Prinzip selbstinkulpierenden Aufzeichnungen ist folgende: ich evaluiere sie als eine hoffentlich hilfreiche Art von tentativer Autotherapie – vielleicht bessert sich ja mein grenzwertiger Zustand aufgrund der schriftlichen Niederlegung und demzufolge der aktiven Aufarbeitung (und intellektuellen Auseinandersetzung mit) meiner derzeitigen inneren fragil bist instabilen Konsistenz. Des weiteren sollte dieses kleine Manuskript den momentan und zukünftig mich betreuenden Ärzten und Therapeuten helfen können, sich in meiner intraindividuellen labil-düsteren Gedankenwelt (– bei der kontinuierlich fortschreitenden Expansion meiner subjektiven Apperzeption sollte ich es wohl bereits als ein endlos dunkles, kaltes ‚Gedankenuniversum‘ deklarieren –) einigermaßen zurechtzufinden, und mich und meine u.U. ein wenig abstrakt oder obskur anmutenden Aktionen (– sowie meine ebensolchen sozialen wie sozietären Interaktionen –) besser zu verstehen – sozusagen als eine Art schriftgewordener mentaler Wegführer, eine detaillierte Straßenkarte des Geistes, ein psychologisches Vademekum meiner Seele. Denn es ist auf Dauer eine äußerst anödende, eine ennuyant monotone Angelegenheit, nach jedem erfolgten Arztwechsel – freiwillig oder erzwungen – oder einer weiteren Überweisung zu anderen Therapeuten (ganz zu schweigen von den Legionen der verschiedentlichen Konsiliar-, Vertrauens- oder Amtsärzte), alles an – über nun knapp vier Dezennien angesammelten – persönlichen Gedanken und stattgefundenen Ereignissen zum wiederholten Male zu erzählen (sofern überhaupt noch zerebral verfügbar, denn mein interner hochspezialisierter Verdrängungsmechanismus funktioniert mit überaus effizienter und konzentrierter Präzision, die kaum mehr zu intensivieren ist; näheres hierzu findet sich an mehreren Stellen im folgenden Haupttext) – und während meines ermüdend verbosen, deprimierenden Monologs das ganze Grauen meiner maroden Existenz erneut durchleben zu müssen. Auch ist die knappe Stunde, die man bei therapeutischen Sitzungen meist nur zur Verfügung hat (durchschnittlich 45 bis 55 Minuten), grundsätzlich viel zu gering bemessen, als dass man in der viel zu kurzen Zeit überhaupt zum Kern – oder auch nur zu tieferen Schichten – eines seelischen Anliegens durchdringen kann, zumeist wird nur ein wenig an der äußersten oberen Schale gekratzt; und wenn man dann tatsächlich ins erzählen kommen sollte, d.h. eine zögernde psychische Öffnung entsteht, oder, anders formuliert, sukzessiv eine realistische innerliche Retrospektive beginnt – ist unversehens die Therapiestunde bereits wieder vorbei, und zwar rigoros und ohne die geringste Chance auf Verlängerung, da der nächste hilfesuchende Patient schon in den Startlöchern, also vor der Türe steht. Man sollte aus barmherziger Humanität Doppel- oder Dreifachstunden einführen, oder wenigstens die bei diversen Patienten sicher nicht unwillkommene Option anbieten, von Zeit zu Zeit solche zu offerieren, vielleicht einmal pro Monat bzw. im Quartal.

Im anschließenden zweiten Abschnitt, beginnend mit dem Kapitel Meine Schmerzen I, beschreibe ich einen exemplarischen Teil meiner diversen körperlichen Defekte und schmerzinduzierten Behinderungen, da diese partiell sicherlich auch psychisch generiert und/oder beeinflusst wurden bzw. sind; nicht umsonst war ich bis vor kurzem stationär in einer mehr oder minder renommierten Psychosomatischen Klinik in Süddeutschland (in der Nähe des Chiemsees), die mir jedoch zu meinem

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tiefen Bedauern im mehrwöchigen Verlauf meiner dortigen Präsenz auch nicht viel geholfen hat. Während des tristen, desillusionierenden Entlassungsgesprächs bescheinigte mir mein während des Aufenthalts für mich zuständig gewesener Therapeut, dass ich fraglos eindeutig ‚zu intelligent‘ (Originalzitat) für deren verhaltenstherapeutisch fundierte Standardbehandlungsansätze sei. Aufgrund meiner überaus vielseitigen Kenntnisse und außergewöhnlichen Belesenheit, u.a. eben auch in der vielschichtigen psychiatrischen und psychotherapeutischen Materie (– was soll man denn sonst all die Jahre über tun, wenn man ständig krank und mehr oder minder bewegungsunfähig Zuhause liegt? – da bietet sich das Lesen doch geradezu an (und mein wiederholt verifizierter Intelligenzquotient von 132 Punkten tat wohl sein übriges…); so las ich beispielsweise ein aus 24 Bänden bestehendes Lexikon komplett von A bis Z durch, gleiches vollbrachte ich mit diversen Wörterbüchern sowie ausgewiesenen Spezial- und Fachlexika, ich las die Werke der großen Psychiater und die der französischen Vertreter der Antipsychiatrie (Stichwort: ‚Anti-Ödipus‘2 oder ‚Tausend Plateaus‘3 von Deleuze/Guattari; außerdem denke ich an Michel Foucault4 und Michel Serres5, zwei der interessantesten meiner gegenwärtigen Lieblingsautoren), ich las die Philosophen der Vergangenheit und die der Gegenwart, ja, einmal kam ich sogar auf die skurrile Idee, das Telefonbuch zu lesen, weil mir bedauerlicherweise meine sonstige Lektüre ausgegangen war. Als ich dann endlich wieder einigermaßen interessanten Nachschub bekam, hatte ich bereits den Buchstaben F beendet… –), konnten sie mir in ihrer Institution leider mit keinem adäquaten Analyseverfahren dienen, welches mir vielleicht neu oder unvertraut gewesen wäre und sich nicht negativ von mir manipulieren ließe. Es wurde mir als Alternative dringlich angeraten, ich solle mir doch auf privater Basis einen ebenso versierten wie routinierten Therapeuten suchen, der mit deutlich renitenten Patienten, wie ich wohl einer wäre, besser zurechtkäme und der außerdem eine minimale, eine mögliche Erfolgsaussicht in meinem komplexen Falle annähme. In diesem Sinne wurde mir jedoch von verschiedenen Psychologen bereits öfter signalisiert, dass dies mit Sicherheit ein ziemlich schwieriges und langfristiges Unterfangen werden könnte (denn auch in dieser akademischen Disziplin wird bedauerlicherweise mehr auf Quantität denn auf Qualität geachtet). Mein dortiger Aufenthalt hatte aber immerhin dahingehend einen positiven Effekt, indem ich daselbst einigen höchst interessanten und sympathischen Leidenskonfidenten begegnete, mit denen ich erstaunlicherweise heute noch relativ intensiven Kontakt halte und einen unregelmäßigen, jedoch gegenseitig äußerst aufbauenden Meinungsaustausch kommuniziere und kultiviere (zumindest hoffe ich, dass die wenigen optimistisch stimmenden Resultate dieser privaten Kolloquien auf einer bilateral/multilateral fundierten Basis stehen; es wäre mir schon ein kleines bisschen peinlich, würde ich allein und exklusiv einen mentalen Nutzen daraus ziehen – ich mag zwar ein wenig egozentrisch sein, aber auch ich habe meine mehr oder weniger klar abgesteckten Grenzen (jedenfalls in meinen lichten Momenten)). Ihnen bin ich exorbitant dankbar, denn wer weiß, wo mein episodisch insuffizienter Intellekt und mein frei flottierender morbider Geist heute wären, wüsste ich sie nicht an meiner Seite.

Doch hier beginnt leider auch schon eine meiner diagnostizierten psychiatrischen Diagnosen, mir – aber nicht nur mir – übel mitzuspielen, nominatim die sogenannte Schizoide Persönlichkeitsstörung. Diese ‚Störung‘ zeitigt nämlich unter anderem eine starke, fast ausschließliche Fokussierung auf eine einzige, singuläre Kontakt- bzw. Bezugsperson außerhalb der Familie ersten Grades. Weitere mögliche Bekannte (falls überhaupt vorhanden) laufen eher locker und en passant am weit

2 Deleuze/Guattari, 19773 Deleuze/Guattari, 20054 Foucault, 19735 Serres, 1987

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entfernten, äußersten Rande meiner sozialen Wahrnehmung mit. So geschehen zu meinem großen Bedauern just eben auch mit zweien dieser drei wirklich angenehmen, freundlichen und überaus hilfsbereiten Klinikgefährten. Und diese negative Entwicklung verlief folgendermaßen und innerhalb weniger Tage nach vollzogener Niederschrift des vorigen Absatzes ab: Bei einem von ihnen nistete ich mich – selbstverständlich mit seinem kordialen Einvernehmen – über ein Wochenende im Mai 2009 ein und hatte während meines kurzen, angenehmen Aufenthalts grandiose, unglaublich inspirierende Gespräche mit ihm; außerdem konnte ich reichlich positive Energie, viele neue Ideen und faszinierende Anregungen mit auf den langen Heimweg nehmen. Endlich wieder Zuhause angekommen erhielt ich kurze Zeit später einen mittlerweile schon völlig unerwarteten Anruf vom zweiten dieser bedauernswerten Freunde. Zu meinem nicht minderen Erschrecken erkannte ich kaum noch seine an sich markante Stimme, ja, ich konnte mich anfangs nicht einmal mehr an seinen Namen, sein Gesicht und seinen Habitus erinnern! Und das Schlimmste daran war, ich hatte noch nicht einmal die geringste Lust, überhaupt kein wie auch immer geartetes Interesse, mich mit ihm zu unterhalten (ich wusste auch nicht wirklich, worüber ich mit ihm eigentlich hätte reden sollen) oder sogar nur, ihm ein wenig zuzuhören, und so beendete ich das – für mich – unerfreuliche, missliche Telefonat, sobald ich die erstbeste Möglichkeit dazu hatte. Von der dritten Klinikbekanntschaft möchte ich hier gar nicht mehr weiter erzählen, da ich sie schon einige Zeit zuvor als einen längst abgeschlossenen Teil meiner bereits verwichenen und damit fast vergessenen bzw. verdrängten Vergangenheit betrachtete. Diese unwürdige, verwerfliche Behandlung haben die beiden Letztgenannten schlichtweg nicht verdient, doch so oder so ähnlich erging es, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, auch sämtlichen Freunden meiner Kindheit und Jugend, jenen aus meiner Schul- und Studienzeit und selbst denen, die ich später erst kennenlernte (oder kennenlernen musste), beispielsweise meinen Arbeitskollegen und erst recht irgendwelchen völlig uninteressant gewordenen Reisebekanntschaften oder sonstigen Personen, denen ich irgendwo anders begegnete. (…was soll ich dazu sagen…? mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa…6) – Aus den Augen, aus dem Sinn…

Falls nun den geneigten Leser dieser Elukubration während seiner Lektüre das vage intellektuelle Befinden anheischt, der Text des hier vorliegenden Manuskripts wäre grundsätzlich in sich inhomogen und nicht nur stellenweise nicht flüssig wie ‚aus einem Guss‘ niedergeschrieben, dann hat er damit sicherlich recht. Dieses liegt beispielsweise an meiner allgemeinen gegenwärtigen Verfassung und Medikation, aber auch an meiner derzeitig präferierten und praktizierten Schreibweise. So verbalisiere ich manche Gedanken und erhalten gebliebene Traumfetzen direkt nach dem erwachen (will heißen, so direkt wie es geht, und so unverzüglich wie meine aktuellen Schmerzen und meine Morbidität es zulassen), während an anderen, speziellen Formulierungen längere Zeit akribisch, ja, fast pedantisch gefeilt wird/wurde. Des weiteren entschloss ich mich aber auch, meine unmittelbar zu Papier gebrachten spontanen Einfälle und Gedanken nicht mehr allzu sehr sprachlich und stilistisch zu verändern, damit das massiv Ursprüngliche dieser inneren Eingebungen weitgehend erhalten bleibt. Auch ändert sich mein eingesetzter Stil je nach prävalentem Müdigkeitsgrad und psychischer Gestimmtheit. Letzteres ist dann auch der ausschlaggebende Punkt, falls sich einige, mich allgemein nachhaltiger belastende und beschäftigende Passagen stark ähneln oder sich sogar partiell wiederholen sollten (oder aber auch, dass sich desultorisch und relativ unzusammenhängend das ursprünglich behandelte Thema ändert). Ein Impetus zur leserindignierenden Verärgerung könnten auch die zwei oder drei obszönen Wortauswahlen sein, die ich kurzerhand der Fäkalsprache, respektive dem Soziolekt der Plebejer,

6 Lat.: meine Schuld, meine Schuld, meine größte Schuld; Teil des katholischen Gebets Confiteor (‚Ich bekenne‘)

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dem Slang der Straße entliehen habe, aber just in diesem akuten Augenblick, in dem ich die wenigen davon betroffenen Absätze zu Papier brachte, schienen sie mir die akkuratesten zu sein; oder sie ließen sich schlicht nicht vermeiden bzw. den Umständen nach nicht angemessen und sinngemäß korrekt umschreiben. Ich bitte darum, dies rücksichtsvoll zu tolerieren und cordialiter zu ignoszieren.

Doch nun beginne ich einfach einmal mit der expliziten Darstellung und Ausarbeitung meiner Gedanken und Behinderungen, denn sonst habe ich schon alles im Vorwort erzählt, bevor ich überhaupt richtig angefangen habe.

Der Verfasseram Mittwoch, 3. Juni 2009

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Meine DämonenZu Beginn dieser im Prinzip kurzfristig angesetzten anamnestischen Autobiographie möchte ich auf einen Großteil meiner Träume, respektive meiner Albträume eingehen. Restlos alles zu diesem subtilen, gewalttätigen, beängstigenden, sehr persönlichen Thema werde und kann ich hier jedoch nicht niederschreiben, da mir einige der hinterlassenen (und zumeist selbst – also autoaggressiv – zugefügten) seelischen Verletzungen und tiefgreifenden individuellen Wunden noch viel zu frisch und zu präsent sind, und mir die einst geträumten Begebenheiten noch allzu negativ meinem ohnehin geschwächten Gedächtnis imponieren, als dass ich mich gegenwärtig nochmals ausführlicher daran erinnern und dabei vielleicht sogar alte Narben aufreißen und langsam verblassende Blessuren auffrischen möchte. Auch leisten hier meine – über etliche Jahrzehnte antrainierten und dementsprechend hochspezialisierten – mentalen Verdrängungsmechanismen ganze Arbeit (kaum erlebt – schon wieder vergessen; so hielt ich es mein ganzes Leben). Doch dessen ungeachtet ist dies für mich der einfachste Weg zu meinem tieferen, verborgenen Inneren, denn Träume begleiten mich, neben den allgegenwärtigen körperlichen Schmerzen, beinahe Tag für Tag und Nacht für Nacht. Nach der detaillierten Beschreibung meiner persönlichen Dämonen, die sich vielfach in meinen Träumen tummeln, gehe ich schließlich auf die diffizilen, spezielleren Nachterlebnisse ein, die mir partiell sogar noch gefährlicher und beeinflussender erscheinen als die intermittierenden Dämonenträume, an die ich mich erstaunlicherweise sogar langsam gewöhne.

Dämonen nenne ich jene unerquicklichen Gestalten – oder Wesenheiten, oder Existenzen, oder wie auch immer man sie bezeichnen (und als was auch immer deklarieren) mag –, die sich permanent bzw. rezidivierend (warum nicht ein medizinischer Fachausdruck, ein Terminus technicus? Es ist ja schließlich auch eine prekäre psychopathologische Kontrarietät) in etwa einem bis zu zwei Drittel (je nach allgemeinem Empfinden) meiner Träume manifestieren und sich dort degoutant gerieren; mit anderen, einfachen Worten: eine absolute Scheiß-Situation (sit venia verbo), diese sinisteren, brutalen, mephistophelischen Konfrontationen der geträumten Art, und all das sonst noch Partizipierende, was sich inzidenter ereignet – ein ständig wiederkehrender, verdrießlicher Albtraum in Serie, ein schauderhafter Horrorfilm mit unendlichen, furchtbaren Fortsetzungen. Diese sogenannten Dämonen also, meine Dämonen, repräsentieren in meinen Augen meine tiefsitzenden intraindividuellen Emotionen; oder jedenfalls das, was ich als solche präsumiere – in meiner inneren Welt personifizierte Ängste, denen ich einfach nicht entkommen kann; und vor denen ich mich bedauerlicherweise auch nirgendwo verstecken, respektive mich auf irgendeine andere Weise unsichtbar – und somit für alle unangreifbar – machen kann (zumindest zur Zeit noch nicht). Was viele der Personen in meinem sozialen Umfeld, also Familienangehörige, Ärzte, Therapeuten, Apotheker, ehemalige Arbeitskollegen und Leidensgenossen, auch nicht wirklich bzw. nicht richtig verstehen (oder nicht verstehen können/wollen?), ist meine schon öfter getätigte Enunziation, ich würde Zuhause in meinem kleinen Refugium und in meinen etappenhaften Träumen gegen meine ureigensten Dämonen kämpfen; dies ist mitnichten nur eine wohlklingende Metapher, sondern eine gnadenlos feststehende Tatsache, eine erschreckend rohe und grausame Realität – jedenfalls für mich.

Gegenwärtig drängen sich permanent bis zu drei dieser horriblen Kreaturen, man könnte sie dem eben ausgeführten nach ‚Ober- oder Hauptdämonen‘ heißen, in den rabiaten, blutbefleckten Vordergrund meiner makabren Träume, auf die nächtliche Hauptbühne meiner soporösen

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Dyssomnien, welche zwischen Hypersomnie, Narkolepsie und Insomnie oszillieren (auch ein wenig Somnambulismus spielt hier mit, doch dazu komme ich erst später, denn diesem habe ich weiter unten einen eigenständigen Passus gewidmet; siehe Kapitel Dyssomnien, Unterkapitel Somnambulismus oder: wo bin ich, wenn ich schlafe?). Dieses fürchterliche pandämonische Triumvirat also ist mir in meinen wachen Augenblicken zumeist noch am besten in meiner porös-rudimentären Kommemoration geblieben, demgemäß deskribiere ich sie als erste. Auf geht’s:

Das Gesicht der tausend AugenMan stelle sich einen vergleichsweise normal gewachsenen, durchschnittlich geformten menschlichen Schädel vor, mit heller Haut überzogen und halblangen, dunklen Haaren bedeckt, nur mit dem gravierenden Unterschied, dass (fast) keine der primären Erkennungsmerkmale, also weder Ohren, Mund noch Nase, vorhanden sind – stattdessen ist das gesamte Antlitz mehr oder weniger asymmetrisch mit unterschiedlich großen und mit den unterschiedlichsten Augenfarben ausgestatteten Sehorganen übersät. Der Rest der Gestalt, also vom Halse an abwärts, ist wohl überwiegend anthropomorph, doch im allgemeinen so mit einem permanenten verhüllenden Nebelschleier bedeckt, dass man ihn nur schemenhaft erahnen, aber nicht wirklich erkennen und beschreiben kann; nur der monströse Kopf zeigt sich in seiner unerträglichen Klarheit. Bisweilen bezeichne ich diesen Dämon allegorisch auch als ‚Argus‘, da er mich schwer an diesen hundertäugigen Wächter aus der griechischen Mythologie erinnert7.

Meinem persönlichen Dafürhalten nach repräsentiert diese äußerst seltsam anmutende Gestalt wohl mein seit längerem bestehendes und nun offensichtlich progredientes Persekutionsdelirium. Ob meiner verschiedentlichen zynisch-giftigen antireligiösen und antigesellschaftlichen Publikationen (welche einige philiströs-orthodoxe Geister offensichtlich auch als persönliche Invektive interpretieren) befürchte ich bereits einige Zeit schon ein hinterhältiges Attentat gewaltbereiter islamistischer oder christlicher Fundamentalisten (oder aber geplant und ausgeführt durch sogenannte Menschen, die sich einfach so, ohne konkreten, tieferen Grund oder aus purem Missverständnis, durch meine offenherzigen Schriften diskreditiert oder insultiert sehen – rabiate berufsmäßige Anstoßnehmer gibt es leider immer und überall), auch sehe ich von Zeit zu Zeit ein eindeutiges Observationsverfahren gegen meine Person laufen, augenscheinlich seitens einer mir bis jetzt noch nicht klar erkennbaren staatlichen Institution (schließlich gibt es ihrer viele, als da wären der Verfassungsschutz, der MAD (Militärischer Abschirmdienst), das Innenministerium, die Polizei etc.) – ob zu meinem Schutz oder nicht, wird wohl erst die mittelfristige Zukunft zeigen müssen (vermutlich aber eher nicht). Diese installierte Überwachung zu konstatieren war aufgrund diverser dubioser Begebenheiten im Laufe der vergangenen dreißig oder vierzig Monate nicht besonders schwer; skurrile Telefonprobleme verschiedenster Art und Herkunft (inklusive nicht erwünschten – aber bemerkten – Lauschern bei Privatgesprächen, denn selbst unterdrücktes atmen hört man; oder auch mir unbekannte Anrufer, die mich partout in eine persönliche Zwiesprache verwickeln wollen), unprofessionell, respektive offensichtlich geöffnete und halbherzig wieder geschlossene Briefe und Pakete, mehr oder weniger als solche erkennbare Beobachter und Verfolger, fremde Menschen, die mich fotografieren (eindeutig so geschehen beispielsweise am 29. Mai 2009 im Parkhaus eines Einkaufscenters) etc. Falls ich aber auf sie zugehe um mit ihnen zu reden, suchen sie schleunigst das Weite und verschwinden in normalerweise abgeschlossene Geschäfts- oder Privathäuser, oder gehen im Gewirr der Menschenmasse der U-Bahnpassagiere unter. Also lauter obskure Geschehnisse und

7 Argus, auch Argos (Άργος – manchmal auch Panoptes (Πανόπτης), der Allesseher, genannt) sollte für Göttin Hera die schöne Io bewachen, damit ihr Zeus nicht zu nahe käme. Argus wurde jedoch von Hermes getötet. Das Federkleid des Pfaus repräsentiert seither die hundert Augen Argus‘

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unheimliche Gestalten, die es vor einigen Jahren mit Sicherheit noch nicht gab, jedenfalls nicht so auffällig und offensichtlich, und ich glaube, mich erinnern zu können, dass das alles etwa um die Zeit der Jahre 2004/2005 begann. Ab und zu überfällt mich aber auch die dumpfe Art einer diffusen Divination, eine ausnehmend befremdliche Ahnung, dass das alles nur phantasmagorische Hirngespinste und schiere, halluzinatorische Einbildungen sind – mit Ausnahme der harten, nachvollziehbaren Fakten (wie etwa die der geöffneten Briefe und Pakete) –, aber wenn ich akut in einer solchen Situation bin, ist sie in diesem Augenblick wahr.

Was mich in dieser Richtung noch zusätzlich belastet ist die ungemütliche Tatsache, dass mein Vermieter noch immer einen eigenen Ersatzschlüssel zu meiner Wohnung, meinem persönlichen Schutz und Refugium, besitzt. Leider ist das wohl sein gutes Recht und eine akute Gefahr sehe ich auch nicht direkt von ihm ausgehen, aber man weiß ja nie. Außerdem kann er diesen brisanten Schlüssel auch versehentlich verlieren, verlegen, verleihen, verkaufen oder sonst wie an den Meistbietenden versteigern – vielleicht wird er ihm auch einfach nur gestohlen. Beruhigende Sicherheit verspüre ich in der Hinsicht jedenfalls keine, und wenn ich mir selbst schon nicht trauen kann, wie dann jemand anderem? Ein weiteres leicht phobisches Angstgefühl möchte ich hier nur ganz am Rande bemerken, wenn ich schon von meinem gelinden, bzw. noch einigermaßen erträglichen Verfolgungswahn schreibe; es ist dies das schlechte Sentiment in der Nähe von offiziell uniformierten Personen im allgemeinen und von Polizisten und Soldaten im besonderen. Ich weiß nicht, woher diese fast körperliche Übelkeit und ekelerregende Abneigung kommt, denn ich bin weder kriminell veranlagt noch habe ich irgendwelche gesetzeswidrigen Geheimnisse oder unstatthafte Illegalitäten zu verbergen (jedenfalls nicht aktiv und wissentlich) – trotzdem beschleicht mich ständig ein vergleichsweise ungutes, panisches Gefühl, wenn ich einen Polizisten oder einen Soldaten etc. auch nur in der Ferne gewahre, und ich versuche stets, einen großen Bogen um sie zu machen, um ihnen nicht versehentlich in die Arme zu laufen. Dieser in facto absurde und evident müßige Horror vor amtlichen Uniformen war dann wohl auch einer der effizierenden Gründe, weswegen ich weiland vehement und mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln aufbegehrt und mich rigoros geweigert habe, den allgemeinen Wehrdienst für die Bundesrepublik Deutschland abzuleisten (ausgemustert wurde ich letzten Endes jedoch aus rein medizinischen Gründen, da ich schon damals mit den verschiedensten körperlichen Gebrechen belastet war, so z.B. mit einem Morbus Crohn, mit dem chronischen Schmerzsyndrom und noch einigen weiteren körperlichen Krankheiten, die aber weiter unten im und nach dem Kapitel Meine Schmerzen I noch ausführlich behandelt werden).

Das ArschgesichtMan stelle sich einen vergleichsweise normal gewachsenen, durchschnittlich geformten menschlichen Schädel vor, mit heller Haut überzogen und halblangen, dunklen Haaren bedeckt, nur mit absolut leeren Augenhöhlen und kurioserweise ausgestattet mit dem gravierenden und offensichtlichen Unterschied, dass anstelle des obligatorischen Mundes ein musculus sphincter ani internus et externus prangt – mit anderen, volksnahen Worten: eine Rosette, ein Arschloch. Der übrige Körper der Gestalt zeigt sich ähnlich verschwommen, nebelhaft und undefinierbar wie der von Argus, der vorangegangenen Kreatur.

Diese doch recht auffällige und groteske Erscheinung repräsentiert meiner Ansicht nach wohl meine grundsätzliche, eigentlich sogar kongenitale Misanthropie und deren zwangsläufig auftretenden Folgen und antisozialen Verhaltensweisen. So etwa meine zynische Position, alle diese sogenannten Menschen um mich herum reden den ganzen Tag – und wenn es denn sein muss, die ganze Nacht

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über auch noch –, mit Verlaub gesagt, gequirlte Scheiße (sit venia verbo; und: Ausnahmen, so selten sie auch seien, bestätigen die Regel); alles nur geistige Blähungen, impertinente Flatulenzen, die mit hohem Druck den mit zersetzenden Gasen oder lauer Luft gefüllten Schädeln entweichen. Die meisten dieser anthropomorphen Kreaturen haben nur deswegen einen Kopf, damit man etwas zum draufschlagen hat und sie ihre Augen nicht in den Händen tragen müssen. Meine offenbar ebenfalls angeborene nihilistische Meinung über das grundsätzlich unzulängliche Menschengeschlecht im allgemeinen und selbstverständlich auch im besonderen habe ich jedoch bereits an anderer Stelle ausführlich zum Besten gegeben und möchte sie hier nicht weiter vertiefen oder gar wiederholen. Den hieran interessierten Lesern seien deshalb meine früher publizierten Werke wärmstens ans Herz gelegt8, sofern sie sie noch irgendwo erhalten können.

Der eben beschriebene Dämon hat, ebenso wie der zuvor deskribierte Argus, das Gesicht der tausend Augen, wohl nur eine eher untergeordnete Rolle in meinen Träumen. Sie führen nur das aus, wozu sie offensichtlich geschaffen wurden: Argus verfolgt und beobachtet mich permanent und äußerst penetrant, ohne mir auch nur ein winziges Fünkchen Ruhe oder Freiraum zu gestatten, während Arschgesicht ständig mit unglaublich bösartigen und endlosen Texten absolut aggressiv auf mich einredet. Sie greifen mich zwar nicht körperlich an, trotzdem sind sie in meinen Träumen höchst beängstigend und nicht gerade harmlos, weil sich meine diesbezüglichen Symptome und Ängste in ihrer unangenehmen Nähe um das Vielfache verstärken. Im wachen Zustand hingegen kann ich sehr gut über sie sprechen und sie beinahe bildlich imaginieren, ohne irgendwelche psychischen Probleme zu bekommen, aber in meinen periodisch auftretenden Alpträumen mutieren sie zu grausamen, hochgefährlichen und gnadenlos bösartigen Dämonen.

Der ParasitDies ist nun der von dieser dämonischen Dreifaltigkeit am schwierigsten zu beschreibende Charakter. Meiner bescheidenen Ansicht nach ist er zweifelsohne der gefährlichste und uneingeschränkt bösartigste der drei ‚Oberdämonen‘, auch scheint er unmissverständlich der unangefochtene diktatorische Anführer des infernalischen Trios zu sein – also der alleinherrschende Tyrann, sozusagen der ‚Alpha-Dämon‘ –, der die beiden anderen exhaustiv und absolut rigoros dominiert, dirigiert und kontrolliert, bzw. kontrollieren kann. Er hat statt eines normal ausgeformten Schädels einen (von mir so geheißenen) Tentakelkopf, d.h. die unzähligen größenunterschiedlichen Tentakeln seines ansonsten kahlen, aber proportional durchschnittlich gewachsenen Hauptes weisen alle nach vorn (ob er Augen, Sensoren, Detektoren oder andere, mir unbekannte Sehwerkzeuge hat, ist durch die Myriaden von Fangarmen nur entfernt zu erahnen), ein paar von den stärker ausgebildeten saugen sich bei einem seiner seltenen aggressiven Übergriffe mittels Noppen am gesamten Kopf des potentiellen Gegenüber fest (die gesamte entsetzliche Aktion und die animalische Art und Weise des professionellen Gebrauchs der Fangarme erinnern stark an einen Kraken, an einen Okto- bzw. Zephalopoden), worauf er andere, feinere, durch die Gesamtheit der menschlichen Gesichtsöffnungen (also Mund, Nase, Augen und Ohren) bis zum Gehirn vor- und in dieses eindringen lässt, das er dann nach seinem niederträchtigen und heimtückischen Gutdünken missbraucht und zu seinen klandestinen Zwecken manipuliert oder, bei nicht weiter definierter Entbehrlichkeit und konkomitanter Unzweckmäßigkeit der angezapften Zielperson, einfach verflüssigt und aussaugt. Derjenige, der letztgenannte Prozedur unglücklicherweise überleben sollte, bleibt für den kläglichen, kurzen, verwirkten Rest seines nun sinnlos gewordenen Lebens eine leere, seelenlose menschliche Hülle, ein hirnloser Zombie, der dumpf und torpid auf den erlösenden Tod wartet – wenn er denn in

8 Spreewinkl, 2006 (a)(b)

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seiner immerwährenden Somnolenz noch weiß, was das überhaupt ist. Der Parasit hat eine längere und erhabenere Statur als die vorgehend beschriebenen Dämonen, d.h. er ist etwa einen Kopf größer, wenn er neben diesen steht, doch ist diesmal auch der schlanke, geschmeidige Körper, der stets in eleganten schwarzen Anzügen steckt, klar zu erkennen. Und obwohl er wesentlich gefährlicher und stärker ist, als die beiden anderen zusammen, hält er sich doch mehr im schützenden Hintergrund – sozusagen als eine alles und jeden überwachende und koordinierende graue Eminenz.

Offensichtlich repräsentiert diese als höchst bedrohlich imponierende Kreatur meine panische Angst vor akuter oder sukzessiver geistiger Aushöhlung (oder besser gesagt: vor einer allumfassenden, irreparablen Sinnentleerung), externer Beeinflussung aller Art und einer ungewollten Fremdbestimmung, der man sich nicht aus eigener Kraft entziehen kann – es sei denn durch den alles beendenden Tod. So oder so ähnlich ist meine persönliche Interpretation des Parasiten; da er mir aber kontinuierlich so undefiniert neblig und schwammig in dunkler Erinnerung bleibt (– vielleicht kann er die analysierenden Gedanken an und über ihn löschen? –), kann es sich aber auch um etwas ganz anderes handeln, etwas, woran ich bis jetzt nur noch nicht dachte, noch nicht denken konnte/sollte/wollte; doch bisher erscheint mir diese vorgestellte Lösung der manipulativen Existenzmodifizierung als die opportunste.

Schlaf und TraumSoviel zu den immer wiederkehrenden dämonischen Hauptakteuren meiner bösen Träume, besser gesagt die, an die ich ein wenig mehr und detailliertere Erinnerungen habe als an all die anderen Kreaturen, die ebenfalls die unterschiedlichsten Albtraumwelten meines unruhigen Schlafes allein durch ihre üble, unliebsame Anwesenheit besudeln. Von einem nicht zu unterschätzenden Vorteil für mich und meine überforderte Psyche ist hierbei allerdings die leicht positiv stimmende Tatsache, dass sich diese grauenhaften Gestalten nur periodisch anfinden, also nicht jede Nacht und nicht in jedem Traum in Erscheinung treten. Je nach meiner gegenwärtig prävalenten psychischen Disposition läuft das gesamte Traumgeschehen entweder nebelhaft verschwommen und dementsprechend nur leicht verstörend ab, die klareren aber enden meist nach gerade einmal ein bis zwei Stunden angespanntem Schlaf mit einem Pavor nocturnus, da dieser mich als essentielle ultima ratio vor meinem finalen Auftritt, einem qualvollen Tod in Morpheus‘ Reich, errettet. Ich erwache dann entweder spontan mit einem lauten, markerschütternden Schrei, aber viel öfter jedoch schlaftrunken, leicht verwirrt, angsterfüllt und phobisch, mit einem würgenden, panischen Erstickungsgefühl, begleitet von üblen, gurgelnden, gutturalen Geräuschen, die ungewollt meiner heiseren und ausgetrockneten Kehle entrinnen. Mitunter habe ich dann auch einen fürchterlich ekelerregenden Geschmack in Hals und Mund, der sich selbst durch mehrmaliges Zähneputzen inklusive ausgiebiger Verwendung von Mundwasser nur sehr schwer beseitigen bzw. übertünchen lässt; auch das überaus widerwärtige, gleichsam atemberaubende (im wahrsten Sinne des Wortes) Gefühl, ein mit diversen Angelhaken, Nadeln und Rasierklingen durchsetztes Fadenknäuel im Rachen respektive dem oberen Ösophagus stecken zu haben (– einschließlich den dadurch provozierten Schluckschwierigkeiten –), gehört hierzu. Unbedarfte Personen in meiner näheren Umgebung, die ein solch aktives ‚Erwachen‘ meinerseits erstmals miterleben müssen, reagieren ziemlich besorgt und wollen zumeist instantan den Notarzt rufen, bis ich sie einigermaßen beruhigen und ihnen schonend beibringen kann, dass dies in meiner gegenwärtigen psychischen Situation relativ ‚normal‘ und wirklich nichts besonderes sei.

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Ähnliches, nur im Prinzip nicht ganz so Erschreckendes für unbeteiligte Personen, geschieht während meiner ohnehin unruhigen Einschlafphase. Während diesem Halbschlaf verfalle ich (bzw. mein Körper) häufig in heftige spastische Zuckungen, die z.T. mich und andere Anwesende nicht unerheblich gefährden können, da ich sie in ihrer Stärke und Richtung in keiner Weise koordinieren kann. Schon öfter zog ich mir peinigende Prellungen und blaue Flecken an den Armen, Schienbeinen und Füßen zu, weil ich wieder einmal unkontrolliert irgendwo dagegen trat oder schlug. Aus mir zugetragenen Erzählungen weiß ich, dass dann wohl meine gesamte sogenannte ‚Nachtruhe‘ in dieser temperamentvollen, aber höchst ungesunden Unruhe verläuft. Nicht selten erwache ich nach einer längeren Schlafphase mit diversen blaugrünen Beulen am Kopf oder brennend schmerzhaften Schürfwunden am restlichen Körper, die am vorangegangenen Tag noch nicht vorhanden waren (– was aber partiell auch an meinen diversen schlafwandlerischen nächtlichen Ausflügen liegt, bzw. liegen kann, welche ich aber erst später im Kapitel Dyssomnien, Unterkapitel Somnambulismus oder: wo bin ich, wenn ich schlafe? ausführlicher bespreche).

Traumsequenz IIch gehe durch die menschenleeren Straßen meiner alten, bereits langsam verfallenden und offenbar seit vielen Jahren unbewohnten Heimatstadt. Wie ich dorthin kam und was ich dort wollte, weiß ich nicht mehr. Alles ist in tristes schmutziggrau getaucht und erscheint lange schon nicht mehr bevölkert und benutzt, wie eine seit Ewigkeiten vergessene, staubbedeckte Geisterstadt (Das hier aufgezeigte Thema der verwitterten, untergegangenen Heimatstadt ist öfter der Ausgangspunkt meiner Träume, doch die dortigen Lokalitäten, an denen ich mich befinde, können sich ändern). Das fahle, kalte Sonnenlicht kommt kaum durch die dichte Dunstglocke, die träge, schwer und dräuend über der trostlosen Stadt liegt. Plötzlich höre ich vage einen entfernten Schuss, und aus dem alten Putz der Hausfassade, an der ich gerade vorübergehe, steigt neben mir eine feine Staubwolke empor, dort, wo offensichtlich eben das Projektil einschlug. Der zweite Schuss trifft mit voller Wucht meinen rechten Unterarm, der als eine heiße, undefinierbare Masse aus zerkochtem Blut, zerfetztem Fleisch, zerrissenen Sehnen und geborstenen, kleinen Knochensplittern aus dem Ellbogengelenk gesprengt wird und mich und die nähere Umgebung aspergiert. Ich reagiere eher überrascht (und leicht verärgert ob des Verlustes meiner Hand) als besorgt und fühle in diesem Moment nicht die geringsten Schmerzen, während ich stoisch und insensibel beobachte, wie das warme Blut weiter wie ein pulsierender Sturzbach aus der schrecklichen Wunde sprudelt, den näheren Boden um mich herum rot einfärbt (obwohl der Rest der gesamten Traumszene ansonsten in schwarz/weiß bzw. in grauen Schattierungen gehalten ist) und schließlich tröpfelnd und plätschernd in einem nahegelegenen Kanalschacht am Straßenrand verschwindet…

Mitunter widerfahren mir desaströse Träume, die sich nicht so schemenhaft, diffus und schlecht abgegrenzt darbieten, nein, diese strotzen fatalerweise nur so von schreiend grausamer Realität. Sie sind gänzlich durchzogen von einem gnadenlos radikalen Zynismus, in ihnen geschehen abartig sadistische, unsagbar grauenvolle und pervers entmenschte Atrozitäten mit mir, mir bekannten und mir unbekannten Personen (aber nicht nur, partiell werden diese barbarischen, bluttriefenden Massaker – mehr oder weniger unbeabsichtigt bzw. zufällig – durch mich verursacht, oder, in einer anderen, selteneren Version, aktiv von mir strukturiert, arrangiert und letzten Endes – eiskalt und unerbittlich durchgeführt. Obwohl es sich sicher nicht für jeden gleich zu Anfang erschließt, sind die

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tiefschwarzen Träume der letzteren Art für mich und meine fragile innere Struktur, meine distanziert reservierte Persönlichkeit, jedoch auch die besten und positivsten – wenn man das so nennen kann –, denn in ihnen bin ich nicht mehr der bedrängte, bedrohte und torquierte Leidtragende, sondern endlich einmal der frei und selbständig Agierende, sozusagen ein eminent ambitionierter Exzedent), die ich hier hoffentlich verständlicherweise nicht weiter beschreiben will und kann – ich versuche meist, sie so schnell wie möglich zu vergessen oder wenigstens weitestgehend zu verdrängen, falls sich ersteres als nicht umsetzbar erweist (obwohl – manche dieser destruktiven Desaster empfinde ich a posteriori gar nicht einmal mehr als so negativ, ja, okkasionell gefalle ich mir sogar in ihnen! (cf. ut supra)). Nach dem endgültigen Erwachen aus solcherart plastisch-realistischer Träume, das ab und an aus wohl erklärlichen Gründen mit einem weiter oben bereits beschriebenen Pavor nocturnus einhergeht, drängt es mich geradezu apodiktisch, direkt und kontrollierend nachzusehen, ob die sogenannte reale Welt um mich herum nun wirklich und tatsächlich so aussieht, wie es mir in meinem lebensechten Traum in extenso suggeriert wurde, oder ob alles beim tristen, langweiligen, monotonen alten geblieben ist.

Bei der ungleich harmloseren Variante der ungewöhnlich realistischen bzw. realitätsbezogenen Träume geht es bei weitem rationaler und wesentlich ungefährlicher zu. In ihnen befasse ich mich für gewöhnlich mit dem aktuellen, profanen Tagesgeschehen meines normalen, tagtäglichen Lebens, also im Prinzip mit privaten und halbprivaten Angelegenheiten, die in meiner persönlichen Gegenwart und in meiner näheren Umgebung geschahen oder mich für einige Zeit geistig beschäftigten, aber eben auch so plastisch und wahrheitsgetreu, dass ich nach erfolgtem Aufwachen nicht mehr genau weiß, ob ich die manchmal doch recht wichtigen Fragen, die ich im Traum stellte oder beantwortete, auch wirklich gestellt oder beantwortet habe, oder ob ich meine diversen Tätigkeiten, die ich während des Traumes verrichtete, auch in der wachen Realität vollzogen habe. Ein banales Exempel hierfür ist ein einfaches, relativ unbedeutendes Telefonat mit einem entfernten Bekannten, dem ich zu seinem Geburtstag gratulierte. Bei unserem nächsten Gespräch etwa zwei bis drei Wochen später war er doch noch immer ein wenig indigniert ob der offensichtlichen Tatsache, dass ich seinen Ehrentag vergessen hatte und ihm nicht zu diesem gratulierte – obwohl ich mir hundertprozentig sicher war (und eigentlich auch immer noch bin), dass ich ihn weiland extra deswegen angerufen habe. Nach expliziter Kontrolle meiner diesbezüglichen Telefondaten musste ich ihm in der Tat recht geben – ich hatte definitiv nicht bei ihm angerufen. Gelegentlich entstehen aus solchen geträumten – aber nicht realisierten – Aktionen, wenn ich schließlich jemanden darauf anspreche oder von jemandem darauf angesprochen werde, die denkbar merkwürdigsten Konstellationen und z.T. folgerichtig und erwartungsgemäß auch wirklich komische und lustige Situationen, die ich so selbstverständlich nicht prognostizieren konnte.

Traumsequenz IIDer großgewachsene, ehrfurchtgebietende Mann stand trotz seines sichtbar fortgeschrittenen Alters bei der kleinen Willkommensabordnung am Rande des gut versteckten, aber idyllisch am Fuße eines gewaltigen Bergmassivs gelegenen Eingeborenendorfes. Seine stolze, aufrechte Statur, seine klaren, scharfen, wissenden Augen und seine sanften, fließenden Bewegungen zeugten zweifellos von einer uralten und hohen aristokratischen Abkunft. Der mit einem riesigen bunten Federschmuck ausgestattete Dorfälteste wies devot bewundernd auf den uralten, stolzen Mann, der in seiner friedvollen Weisheit und Sanftmut Liebe und Wohlwollen – fast könnte man sagen, eine höhere, besondere Art von gütiger Heiligkeit – ausstrahlte, und erklärte dem eben erst aus der in Marokko

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gelegenen Stadt Casablanca eingetroffenen Archäologen feierlich: „Dies ist der hochgeschätzte Meister To-Fu, der erlauchte Alte aus den uralten, heiligen Bergen, die Du hinter uns emporsteigen siehst. Er ist die lange schon hochangesehene Stütze unserer kleinen friedlichen Dorfgemeinschaft und wird von allen unseren Einwohnern respektiert, verehrt und geliebt. Nächsten Vollmond wird er unglaubliche 400 Jahre alt.“ Indiana Jones zog lässig seinen großkalibrigen Revolver aus seinem Gürtelholster und pumpte sein gesamtes Magazin in Meister To-Fu. Der schöne, feinziselierte Schädel des allgemein bewunderten und hochgepriesenen Mannes platzte wie eine überreife Melone, als seine toten Augen aus den Höhlen poppten – und auch sonst blieb nicht viel von ihm übrig. Er war schon längst elend verendet, bevor seine zerfetzten Körperteile und zerrissenen Eingeweide mit einem satten Schmatzen auf den sanft gewellten Hügel klatschten. Ein gewaltiger Schwall aus Blut, Schleim, Magen- und Darminhalt sowie anderen stinkenden Körperflüssigkeiten ergoss sich über die entsetzten Anwesenden, und Indiana Jones meinte nur trocken und lapidar: „Jetzt nicht mehr…“

Traum nach einem vorhergegangenen fast sechs Stunden dauernden Triple-Feature der Indiana Jones-Trilogie9

Die Mehrzahl meiner derzeitigen Albträume trieft vor Blut, Schleim, Eiter, Exkrementen, Innereien und Verwesung, und ist angefüllt mit dem – eine abominable, eigentümlich widerwärtige Übelkeit verbreitenden – abscheulich ekelerregenden Gestank derselben. Dämonen, Monster, Leichen, Harpyien, Skorpione und ähnliches Spinnengetier, Insekten, Gewürm und andere unsägliche Kreaturen der Dunkelheit bevölkern kriechend, humpelnd, schleimend, fliegend und sich obszön windend die weitläufigen trostlosen Ödnisse, die schwülen unwirtlichen Unterwelten und die kalten toten Städte meiner abseitigen und häretischen phantasmagorischen Traumlandschaften. Sie sind abgrundtief nihilistisch und blutig durchzogen von seit vielen Äonen andauerndem, endlos zynischem Kampf, Mord und Totschlag; von namenloser Folter, grauenhaften Verstümmelungen, unglaublichem Hass und gnadenloser Grausamkeit. All das unermessliche Übel, das sich tagtäglich auf dieser halbtoten, widerwärtigen Erde zuträgt, ist nur ein marginales, nichtiges Kinderspiel, akzidentelle Quisquilien im direkten Vergleich zu meinen grenzenlos pervertierten, überbordend blühenden Innenwelten – und alles atmet schwärzesten Tod. Erst vor kurzem versank ich in einem tiefen, uferlosen Meer von grauen Asseln, deren Körpergröße etwa zwischen zehn und sechzig Zentimetern variierte, und die ich intuitiv als Jungtiere mit ihren Eltern agnoszierte. Wie ich letztlich in dieses widerliche, hektische Gewühl hineingeriet, weiß ich nicht mehr, da ich mich kurz zuvor noch mit einer mir schwach als hyperaktiver ‚Wächter‘ in Erinnerung gebliebenen anthropoiden Gestalt, gewandet in einer schmutzigblauen Uniform, in einer kleinen, quadratischen, windschiefen Holzhütte am Rande eines etwa eineinhalb Meter hohen Dammes befand, der ein unfruchtbares, schwarzes, vertrocknetes Feld umschloss. Wie dem auch sei, allem Anschein nach war ich der Asseln Kraftfutter – sie zwängten sich in meinen Mund oder bohrten sich langsam durch die Haut, durch die Augen, Nase und Ohren, fraßen genüsslich mein Fleisch, saugten mein warmes Blut auf und nagten mich bis auf die Knochen ab, die sie schließlich mit ihren immens kräftigen Kauwerkzeugen sprengten, um auch noch an das nahrhafte Mark zu gelangen. Seltsamerweise überlebte ich diese vernichtende Prozedur auf eine höchst unkonventionelle, phantastische Art, die in menschlichen Worten zu beschreiben mir nicht möglich ist, jedoch gewahrte ich jeden einzelnen schmerzhaften und todbringenden Biss…9 Indiana Jones 1981/1984/1989

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Zu meiner persönlichen Rettung und meinem inneren Glück kann ich erfreulicherweise postulieren, dass sich alle diese unterschiedlichen Traum- und Albtraumarten – die negativen, die neutralen und die positiven – phasenweise abwechseln (das destruktive Schlafwandeln nicht zu vergessen, doch dem widme ich, wie bereits weiter oben erwähnt, später noch einen eigenen Passus – siehe Kapitel Dyssomnien, Unterkapitel Somnambulismus oder: wo bin ich, wenn ich schlafe?), auch gibt es etliche Nächte und über den Tag verteilte Ruhezeiten, die bei mir, nach dem erwachen, nicht die geringsten Erinnerungen an irgendwelche Trauminhalte, seien sie gut oder schlecht, zurücklassen, d.h. ich mag zwar geträumt haben, vielleicht hatte ich sogar einen üblen Albtraum oder den schönsten Traum meines Lebens, nur weiß ich absolut nichts mehr davon oder habe es bereits wieder vergessen (oder höchst effizient verdrängt). Diese mehr oder weniger traumlosen Perioden sind mir dann aber auch die liebsten, denn dass ich in letzter Zeit einmal einen konträren oder antagonistischen, also einen friedlichen oder freudvollen Traum hatte, kann ich guten Gewissens und ohne lange überlegen zu müssen vollständig negieren. Ich kenne selbstverständlich solche positiven, kraftvollen und seelisch motivierenden Träume von früher, nur sind sie seit einigen Jahren bei mir nicht mehr aufgetreten (jedenfalls nicht gehäuft und nicht bewusst).

Ein weiteres kurioses Traumgeschehen, das mich seit einigen kurzen Jahren dann und wann heimsucht, ist das sogenannte Traum-im-Traum-Erlebnis, welches ich ursprünglich aus den verschiedensten Kinofilmen – meist waren es Horrorfilme – kenne und dort immer hybrid und insolent belächelte, da es mir einfach zu unwahrscheinlich und konstruiert vorkam – bis es mir vor etwa drei oder vier Jahren eben selbst das erste Mal widerfuhr. Ein typisches Exempel hierfür: eine wirre Horde merkwürdig anthropoider Kreaturen hatte grundlos beschlossen, mich – gegen meinen Willen, jedoch ohne nach einem ‚Warum‘ zu fragen – am einzigen, letzten Baum, einem toten, ausgebleichten, lange schon abgestorbenen Gewächs in einer ansonsten kahlen, leeren und offenkundig seit Urzeiten unbewohnten, wüstenähnlichen, trostlosen Umgebung, aufzuhängen. Sie zwangen mir also mit roher Brutalität die Schlinge um den Hals und zogen mich den letzten übriggebliebenen Ast, der augenscheinlich für dieserart ausgelassener, ungehemmter, nonchalanter Freizeitaktivitäten für fröhlich-glückliche Perverse prädestiniert war, empor. Ich spürte, wie sich die spröde Schlinge immer fester zuzog und das Gehirn aufgrund der gewaltsam unterbundenen Blutzufuhr heftig zu pochen anfing, weil die Karotiden durch das harte, unelastische Seil zusammengequetscht und verschlossen wurden, während sich das Zungenbein sukzessive nach innen bog und langsam zu zerbrechen drohte. Im letzten Augenblick vor dem rabiaten Tod durch den Strang erwachte ich, musste aber umgehend und peinlich berührt feststellen, dass eine mir nicht unbekannte Frau – da meinem engeren Familienkreis angehörend – auf mir saß und angestrengt dabei war, mich mit ihren bloßen Händen zu erwürgen, was ich jedoch irgendwie noch zu verhindern wusste (das vorhergehende und darauffolgende Traumvorkommnis, das grob umschrieben von Erpressung, Entführung, Mord und finsterster Sklaverei handelte, ist hier irrelevant). Was mir dieses kleine, unwillkürlich auserwählte Traumevenement wieder einmal unmissverständlich und in optima forma beweist ist, dass es in den unglaublich vielfältigen Visionen und Phantasmagorien des vielschichtigen Schlafes nichts gibt, was es nicht gibt – und nur weil man etwas bestimmtes bisher noch nicht selbst erfahren und erlebt hat, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt und es offensichtlich wie hundertprozentig ausschließlich auf purer künstlerischer Imagination beruhen muss; und dass es nicht doch irgendwann, zumeist wenn man es am wenigsten erwartet, das erste Mal ist – dann muss man sich eben doch noch ein wenig intensiver und investigativer mit der neuen, bisher unbekannten Sachlage auseinandersetzen, wenn sie einen nicht hoffnungslos überrollen und vollständig einvernehmen soll (ich hege die leise Hoffnung, dass dieses systematisierte Satzkonstrukt

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generell einigermaßen verständlich war, und der von mir pro primo hineingelegte Sinn halbwegs befriedigend herausgelesen werden konnte. Ich denke, ihm – dem Satz – ist weidlich anzumerken, dass es mir am Tag seiner Formulierung und Niederschrift nicht sonderlich gut ging, und das in jeder Beziehung; doch auch das gehört selbstverständlich mit zur allgemeinen Anamnese).

Weiteres und Ausführlicheres zum Thema Schlafstörungen im allgemeinen findet sich weiter unten im Kapitel Dyssomnien und seinen Unterkapiteln (cf. ut infra).

Traumsequenz IIIDie Lokalität des blutigen Tatorts ist ein dunkler, kalter, fensterloser Raum mit nur einer Tür; es könnte sich um ein altes, lange schon vergessenes Kellergewölbe handeln. Die Wände bestehen vollständig aus rohen, roten, unverputzten Ziegelsteinen, in den Ecken zwischen den Wänden und der Zimmerdecke finden sich alte, verstaubte Spinngewebe. In der Mitte der kahlen, einstmals wohl weiß gewesenen Decke hängt eine einsame nackte Glühbirne und wirft ein fahl flackerndes, steriles Licht auf den tristen Schauplatz der Ereignisse. Ein Brett aus dicken Bohlen, etwa drei Meter hoch und zwei Meter breit, lehnt an der Wand gegenüber der Türe. Daneben steht ein kleiner Beistelltisch mit einigen Werkzeugen, davor ein hölzerner Stuhl. [Schnitt] An dem Brett vor dem Stuhl hängt, von mir mit diversen langen und breiten Nägeln befestigt, ein jammernder ehemaliger Therapeut von mir und blutet gemächlich vor sich hin. Zuerst betrachte ich ihn auf dem Stuhl sitzend recht eingehend und emotionslos, doch dann, nachdem ich ihn mit einer langen, dünnen, stumpfen Nadel an aller Art schmerzhafter Stellen seines Körpers punktiert habe, ziehe ich ihm langsam mit einem stumpfen Messer Stück für Stück die Haut ab. Während der blutigen Prozedur ist er stets bei vollem Bewusstsein; falls er zwischendurch Ohnmächtig werden sollte, warte ich ab, bis er wieder erwacht – dann mache ich weiter…

[NB: Mein damaliger Therapeut, ebenjener aus dem gerade geschilderten Traum, forderte mich bereits nach der ersten Sitzung immer eingehend auf, meine verschiedenen Träume morgens, oder auch, falls ich während der Nacht erwachen sollte, aufzuschreiben und ihm beim nächsten Treffen zu erzählen – also habe ich ihm, nach ein paar anderen, harmloseren und friedfertigeren auch diesen Traum vorgetragen. Ich hatte ihn kurz nach unserer vierten Stunde, und ich überlegte ernsthaft, ob ich ihn wirklich erzählen solle, da er doch, sagen wir mal, etwas unüblich, ungewöhnlich ist (ein Traum für mich – aber ein Albtraum für ihn); deswegen offerierte ich ihn nicht gleich in der darauffolgenden Sitzung, doch letztlich beschloss ich, den Psychologen doch mit dieser Traumsequenz zu konfrontieren und somit ein wenig auf Integrität zu testen; was soll ich sagen – er hat nicht bestanden. Nachdem er sich die Begebenheit angehört hatte, beendete er hic et nunc und von sich aus die noch nicht einmal richtig begonnene Therapie (es war ja erst die sechste oder siebte Sitzung) und meinte beim folgenden endgültigen Abschiedsgespräch noch, mit mir könne er auf einer so feindseligen Basis nicht mehr unvoreingenommen und professionell zusammenarbeiten, und ich solle mich doch möglichst schnell in eine geschlossene Anstalt einweisen lassen, da ich erschreckend soziopathische Züge erkennen ließe, die unbedingt medikamentös behandelt werden müssten. Ich war damals 16 Jahre alt – und ich ließ mich selbstverständlich nicht einweisen; auch habe ich bis heute keine solche Einrichtung von innen gesehen. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht ein Fehler… KvS]

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Meine RuferMeine Rufer nenne ich die körperlosen , aber sich als äußerst realistisch darbietenden Stimmen, die ab und an mit den mir über lange Zeit vertraut gewesenen, detailgetreuen Sprachfärbungen meiner bisher schon verstorbenen Familienmitglieder nach mir rufen (besser gesagt: vermutlich körperlosen Stimmen; ich präsupponiere diesen befremdlichen Sachverhalt schlechterdings auf diese Art und Weise – denn schließlich habe ich noch keinen dieser sogenannten Rufer optisch wahrgenommen; dementsprechend gehe ich der Einfachheit halber auch davon aus, dass diese mysteriösen, ominösen Lautäußerungen bzw. Lautempfindungen halluzinatorischen Ursprungs sind). Ich kann ihre genaue Anzahl ohne Schwierigkeiten an den fünf Fingern einer Hand abzählen; es sind dies unbezweifelbar einer meiner Großväter (und zwar der mütterlicherseits), beide Großmütter, mein Vater und, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, mein älterer Bruder – zumindest vermute ich explizit und aus tiefstem Herzen, letzteren Rufer als meinen älteren Bruder identifizieren zu können. Er starb zwar bereits etwa eineinhalb Jahre bevor ich geboren wurde, aber in Anbetracht der sonstigen sich präsentierenden Verwandtschaftsverhältnisse der anderen Rufer zu mir scheint mir diese simple Annahme die einfachste und plausibelste Erklärung zu sein, denn auch die zu Gehör gebrachte Stimmlage und intonierte Klangfarbe wären im Prinzip seinem jetzigen Alter angemessen und entsprechend – außerdem, wer sollte bzw. könnte es denn sonst sein? Bis auf meinen Bruder habe ich alle der genannten Verstorbenen noch zu ihren Lebzeiten gekannt, jedoch wurde nicht jedes verblichene Familienmitglied zu einem Rufer; zumindest von dreien der dahingegangenen Verwandtschaft habe ich seit ihrem Tod nichts mehr gehört – und ich hoffe, das bleibt auch so; mir sind schon die fünf, die da sind, fünf zu viel.

Diese meine Rufer also rufen nach mir – wie der Name schon sagt –, d.h. ich höre sie meinen Namen rufen (meinen Vornamen) – und zwar ausschließlich, exklusiv und akustisch gut erkennbar meinen Namen – sonst nichts; aber sie rufen nicht alle gemeinsam oder in verschiedentlicher Kombination, sondern stets allein und in keiner geordneten, als determiniert wahrnehmbaren Reihenfolge. Auch ist meinen noch präsenten Erinnerungen nach keine besondere Häufung eines bestimmten Rufers erkennbar, oder auch ein möglicherweise vorhandenes Muster – es erscheint alles recht willkürlich, ad libitum. Eine etwaige akustische Seitendominanz konnte ich auch zu keiner Zeit feststellen; ich höre die Stimmen völlig unsystematisch, mal von links, mal von rechts, mal von vorne oder von hinten, wie es gerade beliebt, nur die vertikal verlaufenden Richtungen oben und unten waren nicht dabei – das phonetische Geschehen läuft also grundsätzlich in gleichbleibend normaler Hör- oder Ohrenhöhe ab (– oder wie man das auch immer nennen mag; ich hoffe, es liest sich einigermaßen verständlich). Außerdem ist das Rufen nach mir an keine bestimmte Tages- oder Nachtzeit geknüpft, desgleichen ist es nicht an Voll- oder Neumond, an einen speziellen Wochentag oder gar an Jahreszeiten gebunden, ebenso nimmt mein aktueller persönlicher Daseinszustand augenscheinlich auch keinen direkten Einfluss auf das halluzinatorische Phänomen; mir kann es subjektiv gut gehen oder schlecht, ich kann krank sein oder gesund, ich kann müde sein oder hellwach, es macht absolut keinen Unterschied – irgendwann meldet sich einer der Rufer wieder und ruft nach mir mit meinen Namen. Des weiteren zeigt sich die präsentierte zeitliche Frequenz als ebenfalls völlig imponderabel; manchmal höre ich sie mehrmals täglich (ich glaube, das meiste waren etwa fünf Rufe innerhalb zwölf Stunden), manchmal ein- bis dreimal pro Woche, dann höre ich wieder monatelang überhaupt nichts von ihnen. Deswegen weiß ich auch nicht, ob sie irgendwann vielleicht damit aufhören, ob sie

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es bereits taten, oder ob sie nur wieder eine kleine Ruhepause eingelegt haben, um mich demnächst erneut zu schrecken und zu konsternieren. Das bleibt demnach einfach abzuwarten und zeigt wohl erst die mittel- bis langfristige Zukunft.

Wenn ich nun einen meiner fünf determinierten Rufer höre – und hier muss ich noch einmal konsequent und unzweideutig einfügen, dass sich die von mir wahrgenommenen Stimmen als absolut klar artikuliert und akustisch hundertprozentig verständlich präsentieren; ich höre sie so präzise und eindeutig wie jede andere menschliche Stimme in meiner Umgebung auch –, können zwei höchst divergente Dinge geschehen. Falls ich also eine zur Kenntnis genommene Stimme als die einer meiner persönlichen Rufer identifiziere, reagiere ich zum einen bestenfalls nicht weiter darauf, d.h. ich missachte sie schlicht und einfach, und gehe, ohne weiteres Aufhebens daraus zu machen, meinen aktuellen Aktivitäten nach; oder, aber das ist bereits der absolute Endpunkt meiner diesbezüglichen Aktionen, ich sehe höchstens noch kurz im benachbarten Raum nach, ob sich nicht doch jemand dort befindet, den ich versehentlich mit einem meiner Rufer verwechselt habe; – oder alternativ: ich frage, wenn das der Fall ist, die sich gleichfalls mit mir im Zimmer befindlichen Personen, ob sie vielleicht etwas zu mir gesagt oder auch jemanden rufen gehört hätten, auch auf die potentielle Gefahr hin, dass sie mich ein wenig seltsam und mit einem erstaunten ‚Nein‘ auf den Lippen ansehen. Bei einer solch pragmatischen, grundsätzlich völlig angemessenen Reaktion auf die halluzinierte Anrufung hin geschieht anschließend auch nichts Beunruhigendes mehr, und ich bin offensichtlich bis auf weiteres von der Stimme dispensiert.

Mein größeres Problem manifestiert sich jedoch erst, falls ich zum anderen die fatale Unaufmerksamkeit begehe und unseligerweise phonetisch auf die offensichtlich nur von mir hörbare Stimme eines Rufers reagiere, also versehentlich bzw. leichtfertig darauf antworte (dies kann ein im Prinzip harmloses ‚ja?‘, ein freundlich fragendes ‚hallo?‘ oder sonst eine auditive Resonanz sein) – denn dann beginnen die Stimmen, diesmal aber alle miteinander (jedoch nicht unisono), ebenso aktiv wie aggressiv mit mir zu kommunizieren und bohrend offensiv auf mich einzureden! Bisher vernehme ich davon zwar nur ein relativ leises, drängend dräuendes Flüstern, und es erscheint mir so, als redeten alle meine Rufer zusammenhangslos und völlig durcheinander auf einmal mich ein (ich weiß jedoch erschreckenderweise auch nicht, ob sich dieses gedämpfte, absolut verwirrende Stimmenkonglomerat ausschließlich aus meinen eigenen, persönlichen, mir bekannten Rufern assoziiert, oder ob sich nicht vielleicht noch andere, mir bis dato fremde und daher möglicherweise gefährliche Stimmen mit ihnen konföderieren), außerdem ist das von ihnen Gesagte, dieses bemerkenswert disharmonisch-kakophonische Stimmengeflecht, so unsäglich chaotisch und (glücklicherweise) noch viel zu leise, als dass ich daraus einzelne Stimmen identifizieren oder gar vollständige Worte bzw. einzelne Satzfetzen auch nur ansatzweise erkennen könnte. Doch in mir mehrt sich das ausnehmend ungute Gefühl und es manifestiert sich immer mehr eine vage, namenlose Angst, dass sich etwas unvorstellbar Schreckliches oder zumindest etwas zutiefst Negatives ereignen wird, wenn ich erst einmal die einzelnen Stimmen klar unterscheiden kann und endlich (?) erfahre, was sie eigentlich von mir wollen. Und ich habe leider den unliebsamen Eindruck, dass die Stimmen peu à peu lauter und verständlicher werden…

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Meine weiteren KomplikationenDie mühseligen Beeinträchtigungen, über die ich an dieser Stelle berichten will, beziehen sich ausschließlich auf psychische Störungen, also auf seelische Leiden und mentale Defekte. Körperliche Beschwerden werde ich erst später ab dem Kapitel Meine Schmerzen I eingehender besprechen. Viele dieser zermürbenden und kräftezehrenden Symptome, die ich die nächsten Kapitel über beschreiben möchte, suchen mich schon seit längerem heim, manche sogar seit mehreren Jahrzehnten (ja, selbst als dreijähriger Vorschüler im Kindergarten befand ich mich bereits das erste Mal in einer Psychotherapie, und das etwa neun Monate lang, zweimal pro Woche; näheres darüber findet sich weiter unten im Kapitel Depressionen), doch erst seitdem ich mich in neuerer Zeit, seit etwa zwei bis drei Jahren, in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befinde, erhielten diese befremdlichen Krankheitszeichen im großen und ganzen einen konkreten und medizinisch fundierten Namen (– wodurch sie sich aber auch nicht besser anfühlen, bzw. das komplizierte Leben mit ihnen auch nicht einfacher und hoffnungsfreudiger wird).

Eine akzidentelle Symptomatik möchte ich aber gleich zu Beginn einfügen, weil sie im Prinzip (jedenfalls meiner bescheidenen Meinung nach) für sich kein wirklich eigenständiges Krankheitsbild darstellt, sondern eher als das periphere Ergebnis oder als ein marginaler Mitläufer einer autonomen Störung zu betrachten ist. Es ist dies eine andauernde angespannte innerliche Unruhe, die mich beinahe täglich mehrmals überkommt und dann etwa zwanzig Minuten bis eine Stunde anhält. Diese ausgeprägte Agitatio lässt mich dann die ganze Zeit über nicht zur Ruhe kommen – geistig kann ich mich auf nichts konzentrieren, schlafen oder dösen geht sowieso nicht, ich irre nur wirr durch die Wohnung, völlig plan- und ziellos von einem Zimmer in das nächste und wieder zurück, und weiß nicht, was ich eigentlich will und was ich tun soll. Auch lässt mich diese nervöse, hektische Rastlosigkeit am ganzen Körper erzittern – manchmal ist der Tremor in meinen Händen so stark, dass ich Getränke verschütte, den Schlüssel nicht ins Schloss bekomme etc., d.h. Tätigkeiten, die ein gewisses Maß an Akribie und Feinmotorik benötigen, sind absolut nicht auszuführen; also kann ich – in dieser getriebenen, ahasverischen Hexis –, als möglicherweise angedachte Versuche zur mentalen Beruhigung, weder kontemplatives malen, zeichnen, schreiben oder ähnliches exerzieren. Am besten könnte man diesen ungemütlichen inneren Hochspannungszustand noch mit einer gewaltigen Überdosis Kaffee, einem exorbitanten Koffeinrausch vergleichen. Ab und zu, aber viel seltener als der eben beschriebene psychisch induzierte physische Tremor (und auch absolut zeitlich unabhängig von diesem), etwa vier bis fünfmal pro Monat – manchmal auch weniger –, zittern für wenige Sekunden bis zu maximal zwei Minuten meine Augen; oder, besser gesagt, mein Blick zittert. Meine Pupillen tremolieren kurzfristig wie ein zu schnell eingestelltes Metronom, und ich kann während dieser Zeit mit meinen Sehorganen keine immobilen Gegenstände fixieren oder gar Bewegungen folgen. Eine qualitative Verschlechterung der Sehleistung, per exemplum Schleier vor den Augen oder gar unscharfes, verschwommenes Sehen, findet hingegen nicht statt. Gleichzeitig jedoch löst dieses okulomotorische Vibrieren ein übelkeitserregendes Schwindelgefühl aus, es beeinträchtigt also additional massiv mein Gleichgewichtssystem.

Was sich in dieser desolaten psychischen Situation auch als eine schwierige und äußerst langwierige Tätigkeit erweist, ist das anstrengende, ermüdende und zusätzlich deprimierende Suchen und Finden einer geeigneten Therapieeinrichtung in der für meinen Fall prädestinierten Fachrichtung bzw. fachlichen Abzweigung. Da geht es einem sowieso schon nicht gut, leidet körperlich und geistig unter

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schier unglaublichen Qualen, denn nicht umsonst sucht man verzweifelt und ohne Unterlass nach einer solch hilfreichen Einrichtung, und muss dann trotzdem diesen schier endlos dauernden Marathon der Therapeutensuche durchmachen, mit all seinen diversen Vorgesprächen und Testsitzungen, die dann eventuell doch negativ ausfallen; und das, nachdem man bis zu einem halben Jahr (teilweise auch länger) auf solch einen offensichtlich äußerst raren Termin zu warten gezwungen war – der Gipfel der Unmöglichkeit dieser partiell sicher auch patientengefährdenden Auswüchse waren aber volle zehn Monate Wartezeit, die mir eine psychiatrische Gemeinschaftspraxis tatsächlich zumutete! So wurde ich zuerst, wie es hier in der Bundesrepublik Deutschland wohl üblich ist, zur Gilde der Verhaltenstherapeuten geschickt, die dann auch anfänglich versuchten, mich im determinierten Rahmen ihrer vorgegebenen Optionen einigermaßen zu verstehen, einen möglichen Therapieansatz erarbeiteten und demnach einen provisorischen Therapieplan aufstellten. So wurde an mir dann fast zwei Jahre verhaltenstherapeutisch vor sich hin laboriert, auch in einer psychosomatischen Klinik mit verhaltenstherapeutischem Hintergrund war ich, doch recht viel hat mir das alles nicht gebracht. Nun gut, im Juni 2009 hatte ich endlich ein bemerkenswert positives Treffen mit einem verständnisvollen Psychologen, der sich wohl recht gut in seinen professionellen Tätigkeiten auskennt und der letzten Endes, nach einem niederschmetternden Resümee meiner bisherigen psychotherapeutischen Odyssee und einem kleinen beratenden, überaus konstruktiven Gespräch, mit mir überein kam, dass eine tiefenpsychologische Therapie, respektive eine Psychoanalyse eindeutig die besseren Instrumente zu meiner Behandlung seien; therapeutische Instrumente, die zwar recht schmerzhaft sein und sich eventuell über viele Jahre dahinziehen können, aber im Endeffekt sollte es mir doch nach einiger Zeit wesentlich besser gehen im direkten Vergleich zu heute, auch sollte ich danach mein Leben besser in meiner Hand halten und steuern können, als es zur Zeit noch möglich ist. Nach diesem kurzfristig positiv aufbauenden Beratungsgespräch begann ich schließlich die erneute, wiederum zeitraubende Suche nach einem geeigneten und qualifizierten Psychoanalysten, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Eine soziokulturell auffällige Komplikation möchte ich auch gleich hier ansprechen, und zwar deswegen, weil sie in diesen psychopathologischen Themenkreis passt und dementsprechend zu dieser großen Überschrift gehört, sich jedoch in keine der nun weiter unten folgenden Unterkapitel problemlos einfügen lässt, ohne inadäquat und deplaciert zu wirken – es handelt sich hierbei um meine mehr oder weniger temporäre Wortfindungsstörung. Was sich aus dem gesamten niedergeschriebenen Text dieses Manuskripts mit Sicherheit nicht herauslesen und nachvollziehen lässt, ist die Tatsache, dass ich im direkten, offenen, bilateralen Gespräch mit einem arbiträren Gegenüber, also bei mit Verbalisierung und Formulierung einhergehenden sozialen Interaktionen, von kaum merklichen bis hin zu massiven Wortfindungsstörungen, je nach externer Situation und persönlichem Befinden, geplagt werde. Kaum merklich sind diese artikulatorischen Beeinträchtigungen fast ausschließlich bei mir in meiner wohlbekannten, schützenden Burg, und unter diversen privatimen Umständen noch in den heimatlichen Behausungen oder Aufenthaltsorten mir expressis verbis äußerst nahestehender Personen. Außerhalb dieser angenehm anachoretischen Eremitagen nehmen die bisweilen sich ziemlich peinlich und unpassend ausnehmenden Wortfindungsstörungen zu, teilweise so stark, dass mir die simpelsten und trivialsten Termini partout nicht mehr einfallen. Ich spreche hier also nicht von irgendwelchen komplizierten Fachbezeichnungen, komplexen Technizismen, allgemein unbekannten Anglizismen oder Slang-Ausdrücken, die mir par force nicht in den Sinn kommen wollen, nein, es handelt sich um einfachste konstitutive Begriffe aus dem deutschen Grundwortschatz, wie etwa ‚Brot‘, ‚Katze‘, ‚Fahrrad‘ oder ‚Haus‘. Deswegen fällt es mir auch so unglaublich schwer, einem Arzt oder Therapeuten, mit dem ich

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das erste Mal in seiner Praxis, also in einer mir völlig unbekannten und unvertrauten Umgebung, zusammentreffe, klar und substantiiert zu explizieren, weswegen ich zu ihm komme und was ich überhaupt von ihm erwarte.

Seltener als die eben dargestellten Wortfindungsstörungen befällt mich etwas ähnliches, gewissermaßen kontradiktorisches, d.h. ich höre ein arbiträres Wort, das mir eigentlich auch aus dem täglichen Leben bekannt ist, bzw. bekannt sein sollte (wie etwa den simplen Terminus ‚Sofa‘), kann aber just in diesem speziellen Augenblick nicht wirklich etwas damit anfangen; die direkte sprachliche, inhaltliche Bedeutung des im Prinzip harmlosen Ausdrucks ist mir temporär intellektuell nicht zugänglich (zum Glück ist mir dies noch nie während eines Gesprächs geschehen, sondern immer nur, wenn ich alleine bin, so beispielsweise beim lesen, schreiben oder einfachem wälzen von Gedanken). Dann beginne ich, den betreffenden Begriff in seine einzelnen Terme (falls vorhanden) zu zerlegen, um eventuell so auf dessen Sinn zu kommen, danach in seine Silben, doch dann ist es auch vorbei – denn einzelne Buchstaben zur investigativen Wortfindung zu sezieren und zu analysieren ist sowieso zwecklos. Ich erkläre mir dann den kurioserweise unbekannten Ausdruck meist aus dem gewöhnlichen Satzzusammenhang, aus dem umgebenden Satzgefüge, in das er sich integriert. Etwas heftiger wird diese antagonistische Wortfindungsstörung, wenn ich ein normalerweise ebenso geläufiges Wort a priori als solches nicht erkenne – es wird für mich zu einem ‚Unwort‘, einem Wort ohne Wert und Substanz. Eine unverständliche Sequenz von Buchstaben, die zwar klingen als gehörten sie zusammen, die aber für mich in dieser Form ohne jeden linguistischen Belang sind und keine sinnliche Relevanz besitzen. Diese artikulatorischen Symptome verschwinden nach einiger Zeit von selbst – so unerwartet, wie sie gekommen sind, gehen sie auch wieder, deswegen kann ich auch nicht genau sagen, wie lange sie normalerweise dauern; vielleicht eine halbe bis eine Stunde, zumindest sind es nicht mehrere Stunden hintereinander.

DepressionenBereits seit meiner frühesten Kindheit hatte ich – den historischen Erzählungen und erhalten gebliebenen Memorabilien meiner Mutter zufolge – einen äußerst starken Hang zur Melancholie, zur Misanthropie und zur Asozialität (wobei mir die Expression ‚Antisozialität‘ persönlich mehr zusagt; sie klingt nicht so – ‚asozial‘), und dementsprechend zum ausgiebigen, ungestörten Alleinsein, denn auch allzu große körperliche Nähe, wie sie in unserer Familie eigentlich auch nicht vorkam, war und ist mir immer noch höchst zuwider. Meine diesbezüglich ersten psychotherapeutischen Erfahrungen machte ich ab dem dritten Lebensjahr, da ich den offensichtlich aufmerksamen Betreuern des Kindergartens, den ich damals besuchen musste, ein wenig zu auffällig geworden war – sozusagen auffällig durch Unauffälligkeit, da ich stets für mich alleine spielte und, wo es nur eben ging, alle anderen Kinder von meinen Aktivitäten ausschloss; doch jedes Mal lautstarke Wein- und Tobsuchtsanfälle bekam, wenn ich an einem Gruppen- oder Gesellschaftsspiel teilnehmen sollte (aber auch, wenn eine im Prinzip harmlose und allgemein als lustig empfundene Pumuckl-Schallplatte lief; ich hatte eine fast körperliche Antipathie gegen diesen widerlichen, unsympathischen Gnom, und ich mag diesen deprimierenden Wicht auch heute noch nicht). Damals war ich für neun Monate zweimal die Woche in einem eigens für Kinder- und Jugendtherapie umgebautes Kloster in Behandlung, doch an diese kann ich mich nicht mehr richtig erinnern (– eigentlich nur noch an die Einrichtung, die angenehm und kindgerecht in einem mit reichlich Spielzeug, Musikinstrumenten und Sportgeräten ausgestatteten Kellergewölbe untergebracht war –), auch nicht, ob sie einen längerfristigen (oder überhaupt einen) positiven Erfolg zeitigte.

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Im Alter von sechzehn Jahren erhielt ich schließlich einen zweiten Therapieversuch, der jedoch nach einer sensationell kurzen Behandlungszeit von nicht einmal vier Wochen von dem behandelnden Psychologen selbst abgebrochen wurde, weil er mir, ungeachtet meines jugendlichen Alters, in Sachen Psychospielchen mitnichten gewachsen war (der genaue Ablauf und effizierende Grund hierfür ist weiter oben im Kapitel Schlaf und Traum, Unterkapitel Traumsequenz III nachzulesen). Als aufmunternde Abschiedsworte verkündete er mir nur, dass ich seiner professionellen Meinung nach in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt besser aufgehoben wäre. Damals widerfuhr mir auch eine temporäre Phase der massiven Selbstverletzungen – so schnitzte ich mir beispielsweise mit Glasscherben und Messern verschiedener Größe diverse bösartige Symbole und feindselige Wörter (wie etwa ‚Tod‘, ‚Hass‘, ‚Ekel‘, ‚Apokalypse‘, ‚Horror‘, ‚de Sade‘ etc.) in den Körper und trieb unsterile Sicherheitsnadeln durch meine Ohrläppchen – Die Narben sind immer noch existent –, und mit ein oder zwei belanglosen, ziemlich naiv ins Werk gesetzten Selbstmordversuchen (– insgesamt waren es ganze drei suizidale Anläufe zwischen den Jahren 1984 und 1988 –), welche, a posteriori betrachtet, eher verzweifelte (jedoch ungehörte) Hilferufe denn ernstgemeinte Tötungsabsichten als psychologischen Hintergrund hatten – denn sonst wären sie, bei meiner allgemeinen Akkuratesse und meiner speziellen Akribie in wichtigen Angelegenheiten, sicherlich problemlos gelungen (– vielleicht waren es ja auch nur sondierende Testläufe…).

Von da an lebte ich meinen sukzessiv eskalierenden Menschenhass und schwermütigen Weltschmerz voll aus, sogar meine Berufswahl richtete ich direkt nach meiner – leicht sadistisch angehauchten – anachoretischen Misanthropie aus. Nach meinem positiv absolvierten Schulabschluss wählte ich den allgemein als relativ makaber angesehenen Weg eines medizinischen Präparators und arbeitete nach dem bestandenen Staatsexamen in diversen Kliniken in der Pathologie, in denen ich beispielsweise selbständig und unbeaufsichtigt komplette Sektionen durchführte, Amputate aller Art, also Hände, Arme, Füße, Ober- und Unterschenkel etc., präparierte und per exemplum für anatomische Ausstellungen in Museen oder Universitäten vorbereitete, außerdem war ich für die medizinische Dokumentation zuständig (teilweise ‚entliehen‘ sich andere Krankenhäuser mich und meine offensichtlich qualitativ hochwertige Arbeit, wobei ich viele andere aufschlussreiche Obduktionssäle und attraktive pathologische Institute kennenlernen durfte, auch in der Gerichtsmedizin von Berlin war ich für eine äußerst interessante, doch leider etwas zu kurze Zeit tätig). Nebenbei forschte ich an einem chemischen Verfahren, welches mit dem bloßen Auge nicht lokalisierbare Gehirntumore durch verschiedene Färbeprozeduren sicht- und abgrenzbar machen konnte. Auf diesem Posten war ich fast immer allein, und mit meinen angenehm schweigsamen ‚Kunden‘ musste ich mich auch nicht interindividuell auseinandersetzen – in meinen Augen war es die schönste und befriedigendste berufliche Stellung in meinem ganzen bisherigen Leben, die ich leider durch meine unerquicklichen körperlichen Krankheiten verlor und niemals wieder eine vergleichbare angeboten bekam.

Einmal versuchte ich noch, eine independente, relativ isolierte Arbeitsstelle zu bekommen, als mir um das Jahr 2000 herum von meinem Arbeitgeber empfohlen wurde, ich solle doch eine einjährige Umschulung zum Microsoft Netzwerk- und Systemspezialisten (MCSE) durchführen, diese würden immer gebraucht und ich nach erfolgreichem Abschluss der Qualifizierungsmaßnahme problemlos übernommen. Eine Stellung, die meiner ausgeprägten Neigung allein zu sein, absolut entgegenkam, und mit Computern kannte ich mich ohnehin schon vorher aus. Also leitete ich alles Erforderliche in die Wege, konferierte mit dem Arbeitsamt zwecks Kostenübernahme, sprach mit der Personalstelle wegen der einjährigen Freistellung, und, und, und… Schließlich war der ganze Ablauf genehmigt, ich war bei einem renommierten Institut eingeschrieben und das Arbeitsamt übernahm zwei Drittel meiner Miete und die Fahrkosten, den nicht gerade geringen Rest musste ich über meine Ersparnisse

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finanzieren. Der Kurs verlief alles in allem relativ reibungslos, außer, dass ich zumeist nur die ersten zwei Stunden anwesend war, dann fuhr ich nach Hause und lernte privat für mich allein. Das ganze Spezialisierungsprojekt, welches zudem noch die Zertifizierung zum Certified Novell Administrator (CNA) beinhaltete, schloss ich als Zweitbester ab (und das auch nur aufgrund meiner Fehlzeiten); nebenbei, also nicht als Kursinhalt, absolvierte ich noch selbstfinanziert die Prüfungen zur Führung der informationstechnologischen Titel MCSA und MCDBA – mit anderen Worten, ich war ziemlich aktiv und tat viel mehr, als ich eigentlich sollte, da ich unbedingt eine dieser Stellen als Netzwerkspezialist bei meinem Arbeitgeber wollte. Der ganze Spaß kostete mich etwa 20.000 Euro extra, ausgegeben für Bücher, Hard- und Software, Essen und diverses Zusatzmaterial, außerdem deckte, wie bereits erwähnt, der Zuschuss vom Arbeitsamt nicht einmal die Miete ab. Als nun die Maßnahme beendet war, fragte ich nach der weiland offerierten Arbeitsstelle und bekam unglaublicherweise zu hören, dass es diese Posten nicht mehr gibt, dass sie ersatzlos wegrationalisiert wurden, da alles auf ein alternatives Betriebssystem eines anderen Herstellers umgestellt wurde, und selbstverständlich war dieses mit meinen vorgelegten Zertifizierungen zu einhundert Prozent inkompatibel – also alles vergebens (aber nicht umsonst)! Wie es mir die nächsten Monate psychisch erging, kann sich wohl jeder vorstellen, der diesen Text liest…

Ende Juli des Jahres 1990 lernte ich schließlich auf einem halbprivaten Open-Air-Konzert meine zukünftige Frau kennen, und Anfang November desselben Jahres heirateten wir bereits, worauf sich meine physischen und psychischen Symptome allgemein ein wenig besserten, bzw. einigermaßen in den Hintergrund rückten, und mein Leben das darauffolgende Dezennium in annähernd geordneten Bahnen weiterlief – ich hatte anfangs sogar kurzfristig und intermittierend etwas, das man vielleicht vorsichtig als so etwas wie eine ‚glückliche Zeit‘ interpretieren konnte. Diese wenigen Jahre waren die ruhigsten und angenehmsten in meinem bisherigen schmerzbelasteten Dasein; doch mit der Jahrtausendwende meldeten sich auch meine altbekannten Krankheiten und Symptome zurück, wurden ausgeprägter als vorher und brachten zu ihrer Unterstützung auch noch neue, andere Beschwerden und Defekte mit, die sich sukzessive sammelten und aufstauten, und in meiner großen Krise 2006/2007 geballt losbrachen.

Aus meiner schon seit frühesten Kindertagen bestehenden – sozusagen kongenitalen –, schwerwiegenden Misanthropie entwickelte sich im psychisch inhomogenen Laufe der letzten drei Jahrzehnte eine allgemeingültige Soziopathie, gleichzeitig jedoch auch eine offensichtlich partizipierende, ausgeprägte Soziophobie. Ich habe also eine alte, dunkle, tiefsitzende Angst davor, unter Menschen, unter die chthonische Allgemeinheit zu gehen (oder gar zu öffentlichen, offiziellen Veranstaltungen, wie etwa Kundgebungen, Konzerte, Vorführungen, Demonstrationen etc., also zu allem, wo a priori größere Menschenansammlungen zu erwarten sind – ohnehin ist dies aufgrund meiner abnormen Blutwerte und der latenten Ansteckungsgefahr an solchen Lokalitäten gewiss nicht ratsam), weil ich mich dort nicht immer so verhalte, wie man es von mir, respektive von einem durchschnittlichen, ‚normalen‘ Bürger erwartet; außerdem bin ich ohnehin nicht gerne unter den anthropomorphen Kreaturen, weil ich sie von vornherein in ihrer globalen Gesamtheit verabscheue. Ein weiterer interpersoneller Konfliktpunkt zeigt sich in meinem besonderen Unmut, meinem auserlesenen Missvergnügen bei allzu vertrauter und aufdringlicher körperlicher Nähe, vor allem, wenn mir die Person nicht bekannt ist; doch selbst da gibt es Ausnahmen. Ich präferiere als einen bilateralen Mindestabstand ein absolutes Minimum von einem bis eineinhalb Metern – und das generell und permanent. Einen noch größeren Verdruss allerdings bereitet mir eine ungewollte, ja, sogar eine uneingeschränkt unbeabsichtigte körperliche Berührung in der Menge. Der unbeschreibliche Gipfel der bitteren Ekelhaftigkeit ist jedoch das mit einem euphemistischen

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Anglizismus versehene Shakehands, der freundschaftsbekundende Handschlag. Das in Europa leider weitverbreitete und allumfassend als sozialer Standard betrachtete Händeschütteln ist mir ein unerträglicher Graus. Verschwitzte, schmierige Finger anfassen zu müssen, von denen man nicht weiß (und vermutlich gar nicht wissen will), in welch unappetitlichen Widerwärtigkeiten sie vorher steckten, bereitet mir ab dem ersten Hautkontakt eine heftige physische und psychische Übelkeit, und den apodiktischen Drang, mir umgehend die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Leider wird meine tiefgreifende, profunde Angst vor dieser im Prinzip vertrauensbildenden Maßnahme und meine z.T. hartnäckige Weigerung, diese anzunehmen oder durchzuführen, nur allzu oft als taktlose, unfreundliche Exzentrizität oder unangebrachte Arroganz fehlinterpretiert; doch ich denke, damit kann ich (muss ich) leben…

Als sich meine physischen Beschwerden ab etwa dem Jahr 2005 zusehends verschlimmerten, begannen auch meine psychischen Leiden wieder stärker in Erscheinung zu treten und rasant zuzunehmen, wohl auch im Zuge der erstgenannten Insuffizienzen. Rund um den Jahreswechsel 2006/2007 bekam ich dann meinen großen körperlichen und geistigen Zusammenbruch. Ich litt an stärksten, menschenunwürdigen Schmerzen am ganzen Körper und fiel seelisch in ein schwarzes, tiefes, bodenloses Loch mit all seinen autoaggressiven, niederschlagenden Konsequenzen. Über die abgründig perfiden, eminent malignen Symptome möchte ich hier im Moment noch nicht schreiben, außerdem kann ich mich an viele der wirren Geschehnisse aus dieser horriblen Zeit nur noch sehr vage oder gar nicht mehr erinnern (– vielleicht will das meine Seele auch gar nicht und hat diese unangenehmen Kommemorationen bereits erfolgreich in tiefere, gut verschlossene Katakomben verdrängt –). Jedenfalls wurden meine geistigen Zustände nach einiger Zeit der Einnahme diverser Psychopharmaka, also Antidepressiva, langsam wieder besser. Seitdem erfahre ich im Prinzip eine an und für sich gleichbleibende seelische Neutralität, die nur noch von mehr oder weniger kurzen depressiven Episoden unterbrochen wird (wobei meine anderen auf diesen Seiten noch präsentierten psychischen Defekte in diesen psychopathologischen Sektor nicht immer bzw. nur partiell und sporadisch involviert sind). Ein vergleichsweise längerfristiger positiver Aspekt ist mir dennoch bis heute nicht zuteil geworden. Noch eine kleine Nebendiagnose, die ich schon vor einiger Zeit gewahrte und die ich hier erwähnen möchte, ist mein seit dieser Krise rasant angestiegener Zigarettenkonsum; vorher rauchte ich über viele Jahre hinweg konstant eine gewöhnliche Schachtel in etwa zwei bis drei Tagen, mittlerweile sind es bereits ein bis zwei Schachteln pro Tag – Bigpacks, versteht sich! Diese rapide extensive (oder exzessive?) Erhöhung des Tabakverbrauchs geschah schleichend und ungewollt, doch gegenwärtig gibt mir der zweifellos ungesunde Nikotinabusus sogar ein merkwürdig angenehmes und positives Gefühl des Lebens, das ich nicht mehr missen möchte (– oder ist es ein unterbewusster, verlängerter Selbstmord auf Raten?).

Die primären Auslöser, die mentalen Triggerpunkte für meine kurzen depressiven Episoden können recht vielfältig sein: ein falsches Lied zur falschen Zeit im Radio gespielt, Filme im Fernsehen oder auf DVD, die ich manchmal sogar zuvor eigentlich noch sehen wollte, aber spätestens nach einer halben Stunde abschalten muss, weil sie mich zu sehr in die Tiefe ziehen (in meiner Kindheit war es der weiter oben bereits negativ erwähnte ekelhafte Gnom Pumuckl, heute sind es frustrierende Komödien, auf neudeutsch Comedy-Filme oder -Serien; anwidernd pseudolustige Streifen, die mich auf brechreizerregende Weise in außerordentlich kurzer Zeit extrem deprimieren können – der demoralisierende, niederdrückende Humor der Welt bzw. der sogenannten Menschheit ist wahrlich nicht der meine) etc. Selbst die geringsten, marginalsten Kleinigkeiten können mich in meinem momentanen seelischen Zustand sofort und restlos überfordern. Auch wenn ich, was selten genug vorkommt, in ein Geschäft oder ein Kaufhaus gehe, um mir ein paar Dinge für mich zu besorgen:

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wenn es schon bei dem ersten Artikel auf meiner ohnehin nicht langen Liste irgendwelche Probleme gibt (à la das gesuchte Produkt ist ausverkauft, oder es entspricht nicht meinen Vorstellungen und Erwartungen), breche ich geistig zusammen, gehe postwendend und relativ verwirrt nach Hause (ohne mich auch nur noch um einen Deut um die anderen Gegenstände auf meiner Liste zu kümmern; ja, ich weiß gar nicht mehr, dass da noch andere Sachen waren) und bin für den Rest des Tages zu nichts mehr zu gebrauchen, weil ich nun nur noch stundenlang die Wand anstarre oder völlig erschöpft einschlafe. Meistens sind diese Anfälle spätestens am nächsten Morgen vorbei, doch aus manchen kann sich auch eine länger währende Episode entwickeln, die dann über Tage oder Wochen andauern kann. Während dieser dunklen Phasen meiner Existenz bin ich kaum lebensfähig; ich vernachlässige mein Aussehen, meine Kleidung, meine körperliche Hygiene, ebenso die Sauberkeit und Aufgeräumtheit meiner Wohnung. Sämtliche anstehenden Termine, private wie geschäftliche, werden telefonisch abgesagt oder verschoben (wenn ich denn die Kraft zum Anrufen finde, ansonsten lasse ich sie einfach sang- und klanglos verstreichen) – und dann liege oder sitze ich stumm herum, suhle mich in meiner Depression und wälze immer wieder die gleichen müßigen Gedanken, die doch zu keinem Ergebnis führen, aber die ich trotzdem nicht aus meinem zermarterten Kopf bringen kann. Eventuell läuft noch der Fernseher nebenher, den ich jedoch die meiste Zeit nicht beachte, doch selbst diese leichte, seichte Ablenkung wird mir stets ziemlich bald zu viel. Am liebsten ist mir dann immer noch absolute, sterile Ruhe.

Gefühle, oder was ich dafür halteWenn ich von Gefühlen oder Emotionen spreche, ist das eigentlich ausgemachte, blühende Makulatur, aber ich versuche es trotzdem; doch vielleicht anders als zu erwarten wäre. Es fällt mir unheimlich schwer, mich über innere Empfindungen zu äußern, weil ich nicht weiß, ob das, was ich glaube zu empfinden, Gefühle sind – auch merke ich eigentlich nur, wenn es mir subjektiv schlecht geht. Freude, richtige Freude kenne ich seit meiner Kindheit nicht mehr, denn bei jedem vermeintlich positiven Erlebnis schwingen immer irgendwelche negativen Hintergedanken mit, die ich nicht verdrängen kann; ich habe ein irgendwie immer betont gleichbleibendes, permanentes ‚Ungefühl‘. Ich kann zwar auf rein optischer oder haptischer Basis etwas Schönes oder Gutes als solches wahrnehmen und auch anerkennen, aber es berührt mich nicht in meinem Inneren – es kommt einfach nicht bei meinem Herzen bzw. auf der gefühlsbetonten Ebene an. „Die Menschen hören das Eis klirren, wenn ich vorübergehe… oder, wie E.M. Cioran es treffend formulierte10: „Wo ich vorbeikomme, sinken die Hoffnungen in Schlaf, verkümmern die Blumen, wanken die Instinkte: alles hört auf zu wollen, alles bereut, je gewollt zu haben. Ein jedes Wesen raunt mir zu: ‚Ich wünschte, ein anderer lebte mein Leben, sei es Gott, sei es die Wegschnecke. Ich sehne mich nach einem Willen zur Untätigkeit, nach einer noch unausgelösten Unendlichkeit, nach einer ekstatischen Atonie der Elemente, nach einem sonnenüberglühten Winterschlaf, der alles erstarren ließe, vom Schwein bis zur Libelle…’““11 Eine weitere seltsame Emotion, wenn es denn eine ist, ist der merkwürdige, unbefriedigende Eindruck, dass ständig irgendetwas fehlt (aber nicht so, als ob ich es vorher verloren hätte, nein, es fehlt eben nur so). Aber ich weiß weder, was, noch wo, noch habe ich sonst eine Ahnung, was es ist, was es repräsentiert oder wie ich es sonst beschreiben könnte – es fehlt einfach etwas…

Zwei weitere Gefühle der körperlichen Art hingegen kenne ich zu meinem Bedauern sehr gut, weil sie mir beinahe täglich widerfahren. Zum einen ist dies die unangenehme Empfindung, dass mir ex

10 Cioran, 1978, S. 18811 Spreewinkl,2006 (b), §147 S. 66

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abrupto der offensichtlich feste Boden unter den Füßen weggezogen wird – oder er sich von selbst von mir wegbewegt, wie auch immer –, und ich dabei einen drohenden, zwischen Fiktion und Faktizität oszillierenden Sturz abfangen muss, was mir leider nicht immer gelingt (dieses emotionale, gleichzeitig jedoch auch ausgeprägt realitätsbezogene Ereignis steht zudem des Öfteren in engerem Zusammenhang mit der bei mir diagnostizierten dissoziativen Bewegungsstörung, die weiter unten im Kapitel Dissoziationen noch genauer besprochen wird). Zum anderen äußert sich diese bizarre Apperzeption in der verwirrenden Annahme, dass sich, ebenso schlagartig und unvermutet, der augenscheinlich feste Untergrund unter mir plötzlich öffnet und ich geradewegs abwärts in eine bodenlose, schwarze Tiefe falle, wobei diese gefühlte Gegebenheit grundsätzlich ohne einem realen Sturzereignis, wie ich es im vorigen Sachverhalt beschrieb, vorübergeht. Beide fundamental unwillkommenen und misslichen Impressionen laufen im Normalfall – soweit man hier von ‚Normal‘ sprechen kann – im Bruchteil einer Sekunde ab, können sich dafür jedoch mehrmals hintereinander in kurzen Abständen wiederholen, durchschnittlich etwa vier bis fünfmal. Anzumerken wäre hierbei noch, dass sich diese unerwartet auftretenden Sinneseindrücke nicht nur im freien Stand äußern, sondern auch in liegender bzw. halbliegender Position. Wenn ich also, von etlichen Decken und Kissen gestützt, auf genau der längeren Seite der Couch liege, kann es sein, dass mich jählings der seltsame Eindruck überfällt, das Sofa würde nach vorneweg unter mir weggezogen, oder alternativ, dass ich nach hinten in die Polsterungen gesaugt und von ihnen verschluckt werde. Eine an- bzw. abschließende geistige Verwirrung oder körperliche Missempfindung besteht erfreulicherweise bei keinem der beschriebenen Phänomene.

In manch ruhigen Momenten, und hierbei ist es völlig einerlei ob ich stehe, sitze oder liege, fühle ich ein leichtes, sanftes vibrieren des Untergrundes bzw., der Auflagefläche. So verweile ich beispielsweise gerade ein Bild o.ä. betrachtend auf dem Sofa oder ich sitze lesend auf dem Balkon, und auf einmal nehme ich an den Kontaktbereichen zwischen mir und der Umwelt ein minimales, summendes Erbeben war – ein relativ seltenes, wundersames Gefühl, das ich einfach nur als gegenwärtig präsent registriere, aber mit dem ich sonst absolut nichts anzufangen weiß und das ich in keinen Bereich wirklich ein- bzw. zuordnen kann, und das auch rein garnichts in mir effiziert. Es ist eine völlig eigenständige, singuläre Sinnesempfindung, die sporadisch und ohne irgendwelche anderen Auffälligkeiten, weder körperlich noch geistig, in Erscheinung tritt. Sie hält im Prinzip gerade einmal so lange an, wie ich in etwa die momentane Position und Positur einhalte, doch bei der nächsten größeren Bewegung verschwindet sie – und wird sich vermutlich auch die nächste Zeit nicht wieder manifestieren.

Nun möchte ich noch über die sadistisch-perniziösen Aggressionen schreiben, die latent tief in mir schlummern und die im Prinzip noch nie in vollem Umfang öffentlich zutage traten. Nach außen hin bin ich wohl eher ein ruhiger und relativ angenehmer Zeitgenosse, zumindest für die Personen, die mich nicht besonders gut kennen, also für fast jeden (bis auf zwei oder drei elitäre Ausnahmen), da ich mich aufgrund meiner gesteigerten Misanthropie in der missliebigen Allgemeinheit höchst distanziert und zurückhaltend gebe. Meine autoaggressiven Verhaltensmuster lasse ich ohnehin nur an mir und gegen mich selbst aus, meistens innerlich (sporadisch auch äußerlich), was vermutlich meine physischen und psychischen Erkrankungen mit unterstützt und sie unterschwellig verstärkt; die einzig sichtbare Reaktion nach außen hin ist mein außerordentlich gesteigerter Trieb zu schreiben, dem ich einen eminenten geistigen Lustgewinn zuerkenne und bei dem ich aktiv – und angenehmerweise nebenbei auch produktiv – meine diversen intraindividuellen Frustrationen abarbeiten kann. Aggressionen gegen andere sind essentiell von differenter Art, da ich mich grundsätzlich nicht von den mikrologischen anthropomorphen Kreaturen provozieren lasse (bzw.

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provozieren lassen will) – dafür interessieren sie mich zu wenig (das einzige, was tatsächlich einen leichten Hauch von Zorn hervorruft ist, wenn sie mich permanent mit ihrer himmelschreienden Naivität, Primitivität und Dummheit konfrontieren und molestieren, und sich dann trotz substantiierter, hundertprozentig nachvollziehbarer Argumente keines Besseren belehren lassen). Ich trete erst dann disziplinarisch in Aktion, wenn ich körperlich angegriffen werde, dann aber mit größter gewalttätiger Vehemenz, mit einer rücksichtslos drakonischen Atrozität, die mich, falls ich Pech habe, eventuell sogar irgendwann einmal zu einem Mörder oder Totschläger werden lassen könnte. Bis dato hatte ich in meinem Leben nur eine einzige körperliche Auseinandersetzung, bei dem der ruch- und skrupellose Angreifer – ich sollte ursprünglich das unterlegene Opfer sein – nur deswegen mit seinem kleinen, erbärmlichen Leben davonkam, weil ihm etliche seiner Freunde zu Hilfe kamen und uns gerade noch rechtzeitig trennten (mein Kontrahent war zu diesem Zeitpunkt bereits blau im Gesicht). Solchen hirnlosen Schlägertypen kann man leider nicht mit guten, schönen Worten beikommen, sondern eben nur mit größtmöglicher gnadenloser Gegenbrutalität – der einzigen Sprache, die sie halbwegs verstehen. Dieser ungute Zwischenfall, der mittlerweile auch schon mehr als zwanzig Jahre zurückliegt, war das erste und einzige Mal, dass sich meine intern aufgestaute Wut und mein tiefer Hass auf die unzulängliche Menschheit ungebändigt und gezielt ihren Weg nach außen brachen. In mir steigt ohnehin bereits ein negatives Ekelgefühl auf, wenn jemand ungefragt meinen persönlichen Umkreis missachtet und intendiert durchbricht, und wird er dann noch bösartig oder gar handgreiflich, brennen bei mir die Sicherungen durch – ich greife reflexartig nach seinem Hals und drücke zu (– aber auch die Augen wären ein passables primäres Ziel – ein Gegner ohne Augen ist keiner mehr…). Ich hoffe inständig, dass ich nie wieder in so eine prekäre Situation gerate…12

ZwangshandlungenSchon seit frühester Kindheit, solange ich mich zurückerinnern kann, habe ich mir diverse missliche Zwangshandlungen angeeignet (‚angeeignet‘ ist hier wohl das falsche Wort; es waren eher kurzfristige persönliche physische Anwandlungen, die, nachdem sie erst einmal auftraten, einfach blieben). Diese waren von unterschiedlicher Art und nicht permanent gleich stark ausgeprägt. Zum Glück habe ich die meisten Zwänge im Laufe der Zeit verloren, doch tauchen sie in bestimmten Situationen immer wieder auf, und einer ist mir durchgehend bis heute geblieben. Mit diesem einen, dem von mir sogenannten ‚Verschließen der Ohren‘ (cf. ut infra), kompensiere ich augenscheinlich – jedoch suboptimal – die Unterdrückung der anderen. Ich werde nun einige der Zwangshandlungen, soweit sie mir erinnerlich sind oder aktuell temporär noch aufglimmen, hier aufführen.

Treppensteigen: Wenn eine arbiträre Treppe eine gerade Anzahl von Stufen hat (14, 18, 22 etc.), entsteht normalerweise kein Zwangsproblem. Falls jedoch zufällig eine ‚negative‘, eine ungerade Stufenzahl vorhanden ist (15, 19, 23 etc.), dann muss ich, damit letztendlich wieder eine ‚positive‘, eine gerade Zahl entsteht, entweder die letzte Stufe überspringen, indem ich zwei auf einmal nehme, oder ich befleißige mich, nachdem ich oben ankomme, einer ‚Luftstufe‘ – d.h. ich trete im Leeren nach wie auf eine tatsächlich vorhandene Stufe. Treppab zeigen sich solche mentalen Beschwernisse nicht. Seltener, also nur ab und zu, äußert sich

12 Ursprünglich sollte dieser Absatz über Aggressionen, also über Wut und Zorn im allgemeinen, gar nicht in diesem Manuskript aufgenommen werden, sondern die einzelnen spezifischen Aspekte in anderen mehr oder weniger diesbezüglichen Abschnitten mit einfließen. Da sich dies aber aus diversen technischen Gründen nicht wirklich konvenabel realisieren ließ, wurde er nun schließlich doch als eigenständiger Passus am Ende dieses Kapitels von mir beigefügt

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diese Manie auch damit, dass ich Aufzüge und Paternoster nur in Stockwerken mit gerader Nummer verlasse bzw. verlassen kann.

Fliesen, Platten oder Pflastersteine: Hier beachte ich dezidiert, dass ich entweder keine oder nur bestimmte Fugen auf meinen Wegen betrete. Mein zwangsgesteuerter Gang bietet ahnungslosen Passanten dementsprechend des Öfteren wohl einen ziemlich befremdlichen, konsternierenden, vielleicht auch komischen Anblick. An dieser Stelle möchte ich anfügen, dass diese Zwangshandlungen keinen wie auch immer gearteten abergläubischen Hintergrund haben, d.h. ich habe keine Angst, dass etwas negatives passiert, wenn ich beispielsweise auf eine ‚falsche‘ Fuge trete (zumindest keine ausgeprägte und/oder panikerzeugende); es bringt einzig und allein mein labiles Innenleben durcheinander. Mit anderen Worten: Ich weiß genau, die Welt dreht sich weiter, auch wenn ich mir dann und wann einen ‚Fehltritt‘ erlauben sollte. Aber ich kann es einfach nicht – der Zwang ‚zwingt‘ mich schlicht dazu (nomen est omen).

Wiederholtes, krampfartiges Zusammenballen und Öffnen der Hände und/oder der Zehen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, sowie konvulsivisch zuckendes Zukneifen der Augen – dies geschieht meist in Stresssituationen, kann aber auch ex abrupto ohne erkennbare externe oder interne Stimulanzien auftreten. In diesem Rahmen bewegt sich auch der folgende Punkt:

Das ‚Verschließen der Ohren‘: Ich kann aktiv meine Innenohrmuskeln so anspannen, dass ich außer einem hellen Brummen nichts mehr von der Umwelt höre. Leider hat sich dieses merkwürdige Talent weiland verselbständigt und läuft nun autodynamisch und ohne mein aktives Dazutun ab. Diese spasmodische Hypermotilität in den Gehörorganen begleitet mich nun schon seit über 30 Jahren und ist die einzige Zwangshandlung, die endlos durchgehend Tag für Tag vorhanden ist. Sie äußert bzw. vollzieht sich an normalen Tagen geringstenfalls ein- bis zweimal pro Minute und kann sich in akuten Stresssituationen auf eine höchst unangenehme, mindestens viertelsekündliche Frequenz steigern. Und somit manifestiert sich als Kollateralschaden zusätzlich eine eminent eingeschränkte Wahrnehmung der näheren Umgebung und der Realität. Seit einiger Zeit muss ich zudem leider feststellen, dass sich die durchschnittliche Häufigkeit der ungewollten Muskelanspannungen quantitativ sukzessive potenziert, und das in einer mittlerweile so anstrengenden Penetranz, die kaum noch steigerungsfähig ist – inzwischen gibt es sogar Tage und Situationen, in denen mich die Zwangshandlung nicht einmal mehr ruhen oder einschlafen lässt.

Gedanken über den TodMeine persönlichen Gedanken und Überlegungen zum Thema Tod im allgemeinen respektive was eventuell darauf folgt, oder, je nach persönlich bevorzugter Religion oder Philosophie, vielleicht darauf folgen könnte – das sogenannte, oftmals bereits beschriebene und beschworene ‚Leben nach dem Tod‘, oder das Nichts, die Seele, das Fegefeuer, der Orkus, Himmel und Hölle, Engel, das Paradies, die Huris, das Nirwana, möglicherweise sogar die vollständige, physische Resurrektion etc.pp. –, habe ich bereits an diversen anderen Stellen höchst detailliert und auf das genaueste (um nicht zu sagen: ad nauseam) expliziert13 und möchte es deswegen hier nicht noch einmal unnötigerweise verbalisieren; dies soll hier auch nicht der primäre Gegenstand der autobiographischen Analyse sein, sondern der eigene, persönliche Tod – mein Tod – und der Tod mir nahestehender Personen. Und deswegen nur einen kurzen Syllabus: Meinem ehrlichen Dafürhalten nach ist mit dem medizinisch konstatierten menschlichen Tod, dem exitus letalis, dem vollständigen

13 Spreewinkl, 2006 (a)(b)

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erliegen sämtlicher neuronaler Gehirnaktivitäten, alles, aber auch wirklich alles, vorbei – aus ist aus (spätestens jedoch nach einer Obduktion, oder der vollzogenen Bestattung, ganz sicher aber nach einer etwaigen Einäscherung); Asche zu Asche, Staub zu Staub – und danach gibt es nichts von den schönen, tröstenden Wunschvorstellungen, die ich oben aufgeführt habe (und die selbstverständlich auch nur euphemistische Schimären, desiderable Hirngespinste bleiben), und die sich die timiden Menschen ausgedacht haben, um das definitiv irreversible Ende ihres irdischen Daseins leichter ertragen zu können. Tot ist tot; und was tot ist, wird es auch bleiben; und es ist und bleibt völlig egal, was sich die leichtgläubigen und meist Sinnloses hoffenden Menschen auch noch so wünschen oder nicht einsehen mögen. Keine Seele, keine Auferstehung, kein Nirwana – nichts, ein endloses, kaltes, leeres Nichts ad infinitum; tut mir wirklich unendlich leid, Sorry…

Und noch ein kleines Zitat zum Thema Euthanasie14: „In mancher tragischen medizinischen Ausnahmesituation, wie etwa einer diagnostizierten Inkurabilität bei austherapierten Tumor- oder Schmerzpatienten, sollte dem menschenunwürdig leidenden, todgeweihten Kranken legitim die humane Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe angeboten werden, bei der er mittels einer adäquaten humantoxischen Substanz physisch schmerzfrei und mental entspannt entschlafen darf – wenn klinisch vertretbar, sogar in bekannter, heimischer Umgebung. Lieber ein schnelles, würdevolles, selbstinszeniertes Lebensende, als schleichendes, qualvolles, elendes Siechtum – denn sterben wird der Unheilbare ohnehin, früher oder später. Also warum soll er nicht selbst in Ruhe – und solange er es noch kann – den Zeitpunkt seines irdischen Abgangs determinieren? Leider müssen wir überbürokratisierten Deutschen für diese hehre Gnade des individuellen Todes immer noch ins benachbarte Ausland fahren, weil im eigenen Land die ethisch unglaublich verklemmte Staatsführung die altertümliche medizinpolitische Doktrin des desperaten ‚Überlebens um jeden Preis’ hochhält und sogar verbissen per Gesetz (§ 216 StGB) verteidigt. Doch wer das global verbriefte Recht auf Leben hat (Artikel 3 der Internationalen Menschenrechte), sollte auch das garantierte persönliche Recht haben, selbstbestimmt und ohne richterliche Stolpersteine aus selbigem zu scheiden; wobei im Prinzip der zweite Artikel des deutschen Grundgesetzes eigentlich gereichen sollte – von wegen ‚ Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […]’ respektive ‚Die Freiheit der Person ist unverletzlich.’ Mit anderen Worten: lasst doch die Leute sterben, wenn sie wollen…“

Der eigene TodUm über meinen eigenen Tod zu sprechen, muss ich partiell auch über mein bisheriges Leben reflektieren. Die philosophischen Ansichten über mein eigenes, mit Sicherheit bevorstehendes Lebensende ändern sich, je nach körperlichem Befinden und prävalierender Gemütslage, zum Teil ziemlich heftig, um nicht zu sagen, bis zum völligen Antagonismus. Wobei diese schöne Expression auch nicht unbedingt korrekt ist, da sich die imaginäre Waagschale des Lebens im allgemeinen eher dem Negativen zuneigt, d.h. sie pendelt zwischen schwach Positiv bis hin zum absolut negativen Anschlag. Es ist ziemlich schwer, ausführlich und detailliert über etwas zu schreiben, was einen im Prinzip nicht sonderlich tangiert. Womit ich nicht sagen will, dass ich nicht an den Tod denke oder mich nicht mit ihm allegorisch auseinandersetze, das tue ich sehr wohl (und wahrscheinlich sogar mehr und diffiziler als die meisten Personen – ‚Menschen‘ wäre zu viel gesagt – dieser gegenwärtig allseitig todesverdrängenden Welt (Früher war der Tod in der Bevölkerung noch viel präsenter und wurde mehr öffentlich thematisiert, doch heutzutage hat er sich in eine generell tabuisierte Materie gewandelt, an die meistens nur dann gedacht wird, wenn sie jemanden persönlich tangiert, entweder bei seinem eigenen Tod oder dem eines Verwandten oder Bekannten)). Was ich eigentlich

14 Spreewinkl, 2006 (b), §212 S. 96

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konkret zum unzweideutigen Ausdruck bringen will ist, dass ich vermutlich nicht so unbedingt, gnadenlos und um jeden Preis an meinem irdischen Leben hänge, wie es die soziale Allgemeinheit einvernehmlich und frenetisch für sich annimmt, ja, sogar dezidiert diktiert (vor allem hier in der westlichen Spaßgesellschaft mit integriertem Jugendwahn).

Die emotionalen Gedanken über meinen Tod im allgemeinen häufen sich verständlicherweise in den (angeblich) mittelgradigen depressiven Episoden, die von Zeit zu Zeit gnadenlos über mich hereinbrechen. Während dieser schwarzen Phasen falle ich in ein tiefes, bodenloses, seelisches Loch, starre stundenlang die Wand an, wälze immerzu dieselben hoffnungs-, freud- und sinnlosen Überlegungen ad nauseam im Kreis herum, bin gelangweilt ob meines überflüssigen Daseins und verliere mich unrettbar in den letzten Winkeln meiner trostlosen Innenwelten. Eine vage Art von bizarrer Todessehnsucht zeigt sich dann als treue, ständige Begleiterin, die sich in bestimmten Momenten bis hin zu konkreten suizidalen Überlegungen auswachsen kann. Im Prinzip habe ich mein persönliches Ableben bereits detailliert geplant (und diesmal nicht so halbherzig und dilettantisch wie die ersten bzw. letzten drei gescheiterten Versuche, denn, wie der aufmerksame Leser sicherlich schon bemerkt haben wird, bin ich immer noch hier und schreibe diese dunklen Zeilen meiner negativen Existenz); ausführen werde ich den vorsätzlichen, willentlichen Selbstmord aber erst dann, wenn mir das Leben – mein Leben – zu viel, zu überdrüssig wird, mir alles desperat und ausweglos über den Kopf wächst, oder meine Schmerzen, sowohl die physischen als auch die psychischen, sich in nicht mehr hinnehmbare Sphären steigern – oder einfach, wenn es an der Zeit ist. Und sollte es mit meinem Plan A nicht funktionieren, so habe ich selbstverständlich bereits eine Alternative, einen Plan B entwickelt. Ich wurde ungefragt in diese Welt geworfen, also habe ich auch das in meinen Augen unbestreitbare Recht, sie selbstbestimmt und jederzeit wieder verlassen zu können, wenn ich der begründeten Meinung bin, dass es jetzt reicht. Auch hoffe ich inständig darauf, dass es keine Art von irgendeiner postmortalen Resurrektion gibt, denn ein Leben unter den anthropomorphen Kreaturen ist bereits fast schon eines zu viel…

Eine akute Suizidgefährdung ist, trotz meiner u.U. darauf hindeutenden Äußerungen im letzten Absatz, im Moment – und vermutlich auch die nächste Zeit noch, denn ich habe gegenwärtig verschiedene Projekte laufen, die ich zumindest vorher noch realisiert sehen möchte – sicher nicht gegeben, obwohl ich hin und wieder zu ziemlich düsteren gedanklichen Tendenzen neige, die man allgemein als ‚Lebensüberdruss‘ bezeichnen könnte, d.h. es wäre mir in diesen hoffnungsleeren Augenblicken des abgründigen Weltschmerzes schlichtweg gleichgültig, ob mein kleines, unbedeutendes irdisches Dasein instantan und auf der Stelle beendet werden würde oder nicht. In diesen immer wiederkehrenden Stunden habe ich eine tiefe, kalte Leere in mir, die sich noch am ehesten mit dem rücksichtslosen Gefühl charakterisieren ließe, dass ich im Hier und Jetzt der nackten, trostlosen Welt nichts und niemanden habe, für das oder für den sich die unaufhörliche Qual des sinnentleerten Weiterlebens lohnte. Am besten wäre da ein schlagartiges Verschwinden, eine unmittelbare Daseinsnullifikation, eine exhaustive Existenzannullierung ex abrupto, ohne irgendwelcher vorhergehender Schmerzen oder sonstiger Leiden physischer und psychischer Art, und selbstverständlich auch ohne aktives fremdes oder eigenes dazutun. Einfach zack und weg… Und in mir wächst und reift ein vages, noch relativ unbestimmbares Gefühl, als steuere ich unaufhaltsam auf das eine oder andere Ende zu (oder anders ausgedrückt: auf das oder ein Ende zu), denn so, wie es jetzt ist, kann es auf Dauer mit Sicherheit nicht weitergehen…

Wenn ich die lange Historie meiner Familie die vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte so überblicke (mein Stammbaum lässt sich, zumindest in einigen Zweigen, bis ins 17. Jahrhundert

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zurückverfolgen), zeigt sich immer wieder, dass sie offensichtlich prädestiniert ist für kuriose, unerwartete und selbst herbeigeführte Todesfälle. So beispielshalber stürzte sich ein Großonkel, nachdem er sich im intimen Kreise seiner Lieben ein wenig Mut und Schmerzfreiheit angetrunken hatte, akkurat die Kellertreppe hinunter und brach sich dabei das Genick. Ein anderer, seit langem schon in den Vereinigten Staaten von Amerika wohnender Onkel, der unter ähnlich starken Schmerzen zu leiden hatte wie ich, blies sich eines Nachts mit einer großkalibrigen Handfeuerwaffe das Gehirn aus dem Schädel, als er seine Leiden nicht mehr ertragen konnte bzw. wollte (ach ja, Amerika – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten…). Diese beiden unbewusst aus mindestens einer Handvoll weiterer merkwürdiger Un- und Zwischenfälle mit Todesfolge herausgegriffenen Begebenheiten in meiner familiären Umgebung weisen für mich persönlich jedoch eindeutig negative Prämissen und ein nicht praktizierbares Substrat aus. Der erste hier präsentierte Fall (im wahrsten Sinne des Wortes) wäre mir meinem Erachten nach schlicht zu unsicher und zu schmerzhaft – wenn man die anvisierte, angepeilte Treppenstufe, auf der man auch noch ideal und im korrekten Winkel aufschlagen muss, nicht auf Anhieb und hundertprozentig richtig beim ersten Versuch trifft, hat man meist keinen zweiten mehr, denn man bleibt unbeweglich – weil querschnittsgelähmt – liegen. Und diese höchst unwillkommene Situation bleibt auch so bis zum regulären, konventionellen Lebensende – wenn man nicht vorher einer fürsorglichen Person begegnet, die freundlicherweise ein wenig unterstützend Hand anlegt (doch an sowas sollte und darf man ja in Deutschland nicht einmal denken oder gar real näher in Erwägung ziehen… – also ab in die schöne Schweiz oder in die Niederlande; dort sind die kompetitiven Entscheidungsträger zum Glück nicht so herz- und gnadenlos unmenschlich und pseudoethisch verklemmt wie hier in heimatlichen Gefilden). Beim zweiten Fall gebricht es schlechterdings am nicht vorhandenen Tatwerkzeug; es wäre sicherlich kein unüberwindbares Problem, in den grauen Halb- und Unterwelten des Großstadtdschungels passable und praktikable Artikel zu erhalten, nur finde ich den hierbei zu leistenden Aufwand bei weitem zu hoch – und wenn man Pech hat, gerät man bei seinem finalen Einkauf unglücklicherweise auch noch an die Zivilpolizei und wandert ins Gefängnis, was die ungestörte Ausführung des geplanten Vorhabens mit Sicherheit weiter erschwert (oder auch nicht – denn dort findet sich fraglos in kürzester Zeit jemand, der einen bei diesem endgültigen Vorhaben tatkräftig unterstützt; entweder freiwillig oder dazu manipuliert, sozusagen zur Freiwilligkeit verdammt). Aber egal, wie weiter oben bereits erwähnt, gibt es ja auch andere, einfachere Wege – schmerzfrei, im Prinzip auch legal (zumindest halb) und in jeder Hinsicht sicher…

Der Tod der AnderenWenn andere Personen sterben, wie etwa enge Familienangehörige, sehr nahestehende Freunde oder ebensolche Bekannte, ist das selbstverständlich etwas völlig divergentes, als wenn man selbst das Leben beendet. Denn zum einen kann man dieses fundamental endgültige Ereignis (zumeist) nicht selbst beeinflussen, zum anderen trifft es einen (ebenfalls zumeist) mehr oder weniger unerwartet. Und hier beginnt auch schon eines meiner psychischen Probleme zu wirken, nominatim meine soziale Beziehungsunfähigkeit, meine profunde Emotionsschwäche bzw. kongenitale Gefühlskälte, die ich in solch ethischen Fällen nur sehr schlecht bis gar nicht kaschieren oder bemänteln kann, und die manche Menschen, denen meine komplizierten mentalen Kontrarietäten nicht geläufig sind, mir dann als eiskalten Zynismus, fehlendes menschliches Mitgefühl oder rohe Herzlosigkeit vorwerfen; d.h. wenn eine solcherart vertraute Person also schwer erkrankt und beispielsweise in einem Krankenhaus moribund dahinsiecht, und es für alle behandelnden Ärzte und Angehörigen mehr als offensichtlich ist, dass sie die Klinik nicht mehr lebend verlassen wird, dann kann dieser teilweise bedrückend langwierige Sterbeprozess für mich nicht schnell genug

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vonstattengehen. Auch besuche ich den bedauernswerten Todgeweihten recht selten und höchst ungern, und bei jeder dieser meiner ungeliebten sporadischen Visitationen hoffe ich während der – vorsätzlich ziemlich langsamen – Fahrt zum Krankenhaus inständig, dass ich bereits zu spät komme (– damit ich mich mit dem elendig Dahinsterbenden nicht mehr geistig abgeben und auseinandersetzen muss – denn für mich ist er in dieser frei flottierenden Phase bereits gestorben und als ein längst und endgültig Dahingeschiedener schon ein kleiner Teil meiner verflossenen, nach Kategorien des Todes abgelegten Vergangenheit). Bei den ohnehin wenigen noch lebenden Mitgliedern meines sozialen Umfelds präferiere ich einen kurzen, knackigen, möglichst schmerzlosen Tod, denn da fällt die lange ennuyante Wartezeit weg, bis der oder die Betroffene endlich tot ist.

Ich empfinde und empfand das unausweichliche Sterben von mir bekannten Personen, selbst in meinem engeren Umfeld und der Familie, immer als etwas zutiefst Unangenehmes, Ärgerliches (um nicht zu sagen: ausnehmend Lästiges); etwas, das mich temporär schwer belastet und kurzfristig aus den gewohnt ausgetretenen Bahnen wirft (– jedoch nicht wirklich betrifft, bzw. betroffen macht). Aber nicht der endgültige, irreversible Verlust eines mir nahestehenden Menschen ist es, was mir so stark zu schaffen macht (denn aus ist aus, und fort ist fort) – vielmehr ist es das ganze pseudoethisch-moralische Brimborium darum: Die überstürzte und überteuerte Organisation der anstehenden Beerdigung, die diversen aufgesetzten Trauerfeiern, das unausweichliche, ekelerregende Treffen mit uninteressanten, bigotten Verwandten, die mir völlig gleichgültig und die mir gegenüber menschlich grausam und in hohem Maße feindlich gesinnt sind, die standardisiert vonstattengehende Beerdigung und der leidige, abschließende obligatorische Leichenschmaus. Dann, nachdem man das alles als glücklich überstanden und beendet wähnt, kommt man endlich ein wenig zur wohlverdienten Ruhe, bis auf das typisch endlose Gequake und die notorisch üblen Nachreden der entfernten, hochgeschätzten Verwandtschaft, weil man beispielsweise das ach! so kostspielige Grab respektive die Gräber des/der teuren Verblichenen noch kein einziges Mal besucht hat – jedenfalls nicht offiziell und ohne die dafür unabdingbaren Beweisphotographien. Doch was soll ich auf dem Friedhof anfangen? Dadurch wird der Tote auch nicht mehr lebendig, und eine andere, bessere oder deutlichere Erinnerung an ihn als Zuhause oder anderswo bekomme ich dadurch auch nicht; zudem bin ich auf keine Art und Weise religiös disponiert oder sonstig gläubig veranlagt, als dass mir der Besuch der Grabstätte spirituell irgendetwas bringen würde. Und so sind mir die endgültigen Bestattungen, bei denen nichts stationär Anbetungswürdiges mehr übrigbleibt, selbstverständlich die liebsten, so etwa das Kremieren mit dem an- bzw. abschließenden Verstreuen der Asche auf einem Feld, in ein stehendes oder fließendes Gewässer, in den Wind eines Berges oder dem Pressen der Asche zu einem Diamanten – den kann man dann, je nach Belieben der trauernden Angehörigen, in einen Ring fassen, an eine Kette hängen oder in den Setzkasten stellen. Oder jemand kreiert, installiert und inszeniert damit einen kleinen Privataltar in seinen heimatlichen Gefilden, und wenn er möchte, kann er jedes Mal an Voll- oder Neumond ein Schälchen Blut opfern – den vielfältigen Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.

DissoziationenDissoziationen sind verschiedenartige Fehlinterpretationen des Geistes in direktem Bezug auf seine Umwelt, also intraindividuelle inkorrekte Exegesen der intellektuellen Reflexion des eigenen Körpers und/oder der grundsätzlich autozentriert ablaufenden Realität. Eine spezielle Unterart ist beispielsweise meine im Jahr 2008 diagnostizierte dissoziative Bewegungsstörung, d.h. der Körper macht im Prinzip was er will und steht kurzfristig nicht mehr unter der dominierenden Steuerung des Geistes. Ergebnisse daraus sind unkontrollierte Bewegungsabläufe und ebensolche Stürze, weil z.B.

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schlicht und einfach die Knie nachgeben, einknicken, und danach den Körper nicht mehr tragen. Ein aktives Einschreiten oder ein eventuell kontrolliertes Abfangen des Sturzes ist in den meisten Fällen unerfreulicherweise nicht mehr möglich. Man könnte die ganze Sache auch als eine spezielle Art oder eine Form von Ataxie beschreiben. Auf diese unangenehme Weise kam ich auch ungewollt in den zweifelhaften Genuss einer notfallmäßig angesetzten Augenoperation, weil ich, während eines Klinikaufenthalts, eines Nachts so unglücklich aus dem Sitzen nach vorne auf mein Gesicht fiel, sodass sich ein kleiner Teil meiner Brille, namentlich das aus Hartkunststoff bestehende Nasenpad, äußerst heftig in mein rechtes Auge bohrte und ich einen höchst schmerzhaften und stark blutenden Riss im Unterlid davontrug. Wenn ich also eine sukzessive Häufung der nicht mehr beeinflussbaren Stürze bemerke, versuche ich, regelmäßig mit einem sichernden Stock zu gehen, um das gröbste zu vermeiden. Ein unangenehmer Nebeneffekt davon ist dann aber leider, dass mir, je nach Zustand, Tageszeit und Situation, mehrmals pro Stunde der Stock entgleitet und ein peinlich lautes Geräusch dabei verursacht (selbstverständlich vorausgesetzt, ich denke überhaupt daran, die unterstützende Gehhilfe zu benutzen und mitzunehmen).

Bevor ich nun aber mit der ausführlichen Beschreibung meiner anderen psychischen Dissoziationen (Depersonalisation und Derealisation) beginne, möchte ich eines noch vorausschicken. Bereits seit meiner frühen Jugendzeit schrieb ich kurze Texte, Geschichten, Berichte, Gedichte etc., doch erst in den Jahren 2003/2004 begann ich, ausgiebiger und komplexer zu schreiben, bis endlich richtige, professionelle Bücher daraus wurden. Mittlerweile stellte ich vier Bücher komplett fertig, von denen drei bereits in den Jahren 2005 und 2006 von einem kleineren Verlag publiziert wurden (leider sind diese frühen Werke offiziell nicht mehr erhältlich, höchstens vielleicht noch in Büchereien, Antiquariaten und Archiven, weil der Verlag bedauerlicherweise Insolvenz anmelden und somit die Produktion einstellen musste, doch dies nur als Anmerkung nebenbei). Schon während der Erstellung des ersten größeren Manuskripts begann ich, einen euphemistischen Künstlernamen, ein sogenanntes Aristonym zu verwenden. Während ich also meine schwarzen Gedanken verbalisiere, werde ich sozusagen zu einem anderen Menschen, zu ebendiesem Pseudonym, und schreibe mir so die gesamte angesammelte Lebensfrustration von der Seele. Etliche meiner treuen Leser, die ich persönlich kenne, aber auch meine hilfreichen Lektoren, haben mir gegenüber bereits mehrfach kundgetan, dass sie es kaum glauben, wie ich solch düstere, destruktive, zynisch-nihilistische Texte auf diese Art und Weise verfassen könne – schließlich hätte ich im richtigen Leben einen völlig anderen Stil als mein angebliches alter ego, und auch die affektiert pathetische Ausdrucksform und die manierierte Wortwahl seien wohl nicht die meine. Auch mir ist bereits aufgefallen, dass mir im Verlauf des Schreibens seltene und z.T. veraltete Expressionen in den Sinn kommen – die ich vermutlich schon vor Dezennien in antiquierten Büchern oder in mehrere Jahrhunderte alten Originalausgaben gelesen und seither in verschlossener Erinnerung behalten habe –, die ich dann natürlich auch verwende, im normalen Leben aber manchmal nicht einmal erklären, sozusagen in aktuelles Standarddeutsch ‚übersetzen‘ könnte. Mit anderen Worten: während ich meine individuellen Positionen und Überlegungen in Worte fasse und schriftlich zum Ausdruck bringe, werde ich tatsächlich zu einem anderen Menschen, eben zu meinem Inkognito. Ich glaube zwar nicht, dass es sich hier um eine holotische Persönlichkeitsspaltung handelt, da ich immer noch weiß, dass mein alter ego eben auch ein solches ist, d.h. dass ich, wenn ich nicht schreibe, gleichwohl erkenne, was die graue Realität ist und was nicht. Trotzdem beginne ich langsam, mich in meinem anonymen Pseudonym wohler und geborgener zu fühlen als in der tristen Wirklichkeit.

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Anwesend abwesendEine meiner psychischen Komplikationen bewirkt, dass ich in einer arbiträren Situation – beim Einkaufen, im Wartezimmer eines Arztes/Therapeuten oder im Restaurant, per exemplum – plötzlich neben mir stehe. Aber nicht so, wie man oft sagt, man stünde neben sich, wenn man eine komplexe Situation nicht sofort erfasst, nein, ich stehe dann tatsächlich neben mir, im Prinzip immer rechts hinter mir, und beobachte mich und meine nun seltsam unerfindlichen, meist jedoch recht unbeholfen anmutenden Aktivitäten. Ab und zu sehe ich diese Depersonalisation genannte Dissoziation kommen – im wahrsten Sinne des Wortes –, denn kurz vor dem ungewollten Hinaustreten aus meinem Körper, respektive seiner Verdoppelung, verändert sich meine Optik, meine spezifische Sichtweise: ich sehe dann die Dinge um mich herum überscharf – so überscharf, schillernd und präzise, dass es fast schon wieder zu grell ist, in sich verfließt und in den Augen schmerzt (ich weiß nicht, wie ich es sonst formulieren könnte). Dann befällt mich ein passagerer, starrer Blick, der gänzlich unfokussiert in die Unendlichkeit reicht, ohne etwas aktiv mit den Augen fixieren zu können – und schon bin ich nur noch der außenstehende Beobachter meines Körpers. Dieser außerordentlich beklemmende Zustand der ‚externen Selbstbeobachtung‘ kann von wenigen Minuten bis zu einigen Stunden andauern, wobei das ersehnte Ende dieser zutiefst verstörenden Aggravation weder absehbar noch aktiv manipulierbar ist. Es ist vorbei, wenn es vorbei ist; und bis jetzt war es glücklicherweise immer spätestens am nachfolgenden Morgen beendet – und ich hoffe inständig, dass es auch so bleibt und nicht weiter expandiert oder, schlimmer noch, sich nicht mehr dirigierbar verselbständigt. Denn das ist meine größte Angst und Sorge dabei, meine tiefgreifende, unerträgliche Befürchtung, die ständig dräuend im Hintergrund mitschwingt: dass ich nicht mehr in meinen eigenen Körper zurückkomme bzw. zurückkommen kann; dies wäre dann unvermeidlich das essentiell ungewollte, jedoch schlechterdings endgültige, finale dissidieren aus meiner mir frei zur Verfügung stehenden, momentan noch relativ selbstbestimmten Existenz. Meine zutiefst deprimierende Vision davon zeigt sich als ein doppeltes Ende: zum einen ein siecher Körper, der als lebendes Gemüse vor sich hinvegetiert und langsam abstirbt, zum anderen ein umherstreifender, sukzessive wahnsinnig werdender Geist, der, auf Gedeih und Verderb gefesselt an diesen kranken Leib, doch nicht mehr in seine angestammte chthonische Existenz zurück kann…

Während der desolaten Phasen der Depersonalisation besitze ich erschreckenderweise nur relativ bedingten Einfluss auf meine realen Handlungen, also auf die tatsächlichen Machenschaften meines nun ethisch und moralisch völlig ungebundenen Körpers in der wirklichen Welt. Selbstverständlich ist während dieser unbeschreiblich grotesk anmutenden, rational kaum zu begreifenden Zeit der virtuell duplizierten An-, oder besser gesagt: Abwesenheit, jegliche Art von konzentrationserfordernder Tätigkeit grundsätzlich ausgeschlossen und schlicht nicht möglich. Einfach alles, was ein gewisses Mindestmaß an geistiger Aufmerksamkeit bedarf, erweist sich von vornherein als schwerfälliges, fehlerbehaftetes Unterfangen, dessen Ergebnisse, wenn es denn überhaupt zu solchen kommt, letztendlich nicht einmal ansatzweise zu gebrauchen sind. Ich kann eigentlich nur apprehensiv abwarten, bestürzt zusehen und inständig hoffen, dass meinem Soma nichts Negatives, Peinliches oder Illegales widerfährt bzw. ich solches aufgrund einer meist nichtvorhandenen Selbstkontrolle nicht begehe (quasi ‚aus Versehen‘…). Mit dem kleinen bisschen ‚Rest-Ich‘, mit dem ich dann zumeist geringfügig noch in geistiger Verbindung stehe, versuche ich wenigstens, soweit wie möglich die noch vorhandenen motorischen Fähigkeiten meines Körpers zu okkupieren, zu steuern und so schnell nach Hause (oder wenigstens in anachoretisch isolierte Sicherheit) zu kommen, wie es in dieser horriblen Situation, welche sich ein Nichtbetroffener mit absoluter Sicherheit noch nicht einmal annähernd

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vorstellen oder diese gar mental nachvollziehen kann, möglich ist. Zum Glück ist es mir bis jetzt immer noch rechtzeitig gelungen…

Zu diesem doch beängstigenden Krankheitsbild oder Symptomenkreis zähle ich auch meine sich passager manifestierenden Absenzen, also mehr oder weniger kurzfristige Gedächtnislücken oder Erinnerungsstörungen. So stehe ich, als ein erst vor einigen Tagen geschehenes Exempel, unvermittelt bei meiner zwei Querstraßen weiter gelegenen Stammbäckerei an der Kasse, ohne zu wissen, was ich dort eigentlich holen will, geschweige denn, wie ich überhaupt dort hingekommen bin. Um keine Peinlichkeiten aufkommen zu lassen, kaufe ich dann zur Tarnung ein bis zwei Gebäckstücke und sehe zu, dass ich möglichst schnell wieder in einen gesicherten Hafen einlaufe, sprich: nach Hause komme. Was leider auch öfter vorkommt: ich beginne mit meinem Gegenüber ein Gespräch über ein Thema, das mir interessant und wichtig erscheint, und werde erstaunt darauf hingewiesen, dass wir uns genau über diese Materie bereits ausführlich auseinandergesetzt haben – und das vor gerade einmal fünf oder zehn Minuten! Oder, als weitere unliebsame Erscheinungsform: ich muss meinen Partner fragen, was ich soeben sagte, weil ich mich schlicht und einfach nicht mehr an den von mir geäußerten Inhalt erinnern kann; ich weiß zwar noch, dass ich etwas sagte, aber nicht mehr annähernd, was es war. In einem anderen Fall, und das verunsichert mich eigentlich noch mehr, habe ich etwas anderes gesagt als ich ursprünglich beabsichtigte. Dies ist äußerst genant und unangenehm, vor allem, wenn es eine ostensive Themaverfehlung beinhaltet und mit der gegenwärtigen Konversation absolut nicht in Verbindung zu bringen ist. Letztes deprimierendes Beispiel so gelagerter Situationen: ich befinde mich in einer angeregten Unterhaltung und bemerke, wie ich gerade noch den Satzfetzen ‚…was sagst du denn da dazu?‘ erhasche. Nun muss ich tatsächlich bei meinem jetzt verständlicherweise indignierten Gesprächspartner nachfragen, worum es in seinem Gesagten ging, da ich trotz konzentrierter Aufmerksamkeit (so dachte ich zumindest) nicht mehr weiß, was er eben, vor wenigen Sekunden erst, zu mir sagte.

Existieren in synthetischer RealitätEine weitere dissoziative Störung, der ich des Öfteren anheimfalle, nennt sich wohlklingend in der medizinischen Vernakularsprache Derealisation (man könnte sie auch einfach als eine ‚verschobene Realitätswahrnehmung‘ titulieren), und sie zeigt sich völlig divergent zur eben dargestellten Depersonalisation. Im hochgradigen Gegensatz zu dieser schleicht sie sich langsam und unbemerkt in meine Psyche, bis ich sie blitzartig und übergangslos bemerke; das Ende verläuft ebenso unauffällig und diskret – irgendwann stelle ich erstaunt fest, dass es vorbei ist. Die Dauer dieses Paroxysmus beträgt meist weniger als zwei oder drei Stunden, und ich kann mir (subjektiv) a priori sicher sein, dass mein labiler Geist nicht permanent in diesem heterogenen Zustand verharren bleibt; auch sind die pathologischen Eigenschaften, die psychisch negative Qualität, und die inzidenten Auswirkungen dieser mentalen Beeinträchtigung bei weitem nicht so ausgeprägt beängstigend und tiefgreifend erschütternd wie bei der Depersonalisation.

Während des Stadiums der Derealisation besitze ich die völlige (will sagen, nur die im Rahmen meiner physisch gegebenen Möglichkeiten eingeschränkte) Kontrolle über meinen stofflichen Körper, und auch sonst agiere ich im großen und ganzen absolut ‚normal‘; auch habe ich nicht das Gefühl, auf irgendeine Art fremdgesteuert zu sein oder womöglich nicht als Herr meiner Gedanken zu gelten. Die Symptomatik dieser Störung kann man als verschobene optische Realitätswahrnehmung charakterisieren. Das heißt, ich befinde mich zwar in der mir bekannten Umgebung mit den mir bekannten Menschen, aber ich erkenne sie nicht wirklich als solche. Irgendwas ist nicht richtig, nicht ganz normal – ich fühle mich, als ob ich mich in einer fremden Realität aufhielte; in einer Faktizität,

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die nicht die usuelle, mir vertraute ist. Auch erscheint alles um mich herum eine winzige Abstufung dunkler, gedämpfter, abgeblendeter; es dokumentiert sich fast so, als ob ich mein mich umgebendes Umfeld durch einen ganz leichten, fast nicht bemerkbaren Graufilter wahrnehme. Es ist schon leicht verwirrend – aber dennoch auch irgendwie phantastisch –, frühmorgens arglos aus dem Haus zu gehen und festzustellen: Diese Welt ist nicht die meine. Auch mein Spiegelbild ist nicht meins. Letztlich erkannte ich nach der morgendlichen Dusche nur mehr meine rechte Gesichtshälfte, die linke hing irgendwie verschoben herunter, als ob sie nicht zu mir gehörte. Dieser befremdliche Zustand erschwerte die Morgentoilette ungemein – ich wusste nicht, wo ich beim Rasieren anfangen sollte und wie ich den normalerweise simplen Ablauf gestalten könnte, ohne mich ernsthaft zu verletzen. Ich habe mich schließlich an diesem Tag nicht rasiert. Das sind höchst merkwürdige Momente; doch ich weiß, wenn ich mich irgendwo hinsetze und einfach einige Zeit abwarte, geht dieser Anfall auch von selbst wieder vorbei.

Meine Emotionen (bzw. das, was ich als solche für mich bewerte) während dieserart dissoziativer Zwischenfälle schwanken meist zwischen neutral bis negativ. Wirklich Positiv (in der Perzeptibilität meiner Möglichkeiten; d.h. positiv ist nicht negativ, und gerade einmal einen angedeuteten Hauch, eine minimale Nuance besser als neutral) gestalten sie sich ausschließlich dann, wenn ich während dem Zeitraum dieser bizarren Wahrnehmungsverschiebung still und möglichst unbemerkt irgendwo sitzen kann, während ich die illusorische Realität und ihre wundersamen anthropomorphen Kreaturen betrachte und als indifferenter, unbeteiligter Beobachter an mir vorbeiziehen lasse. Falls jedoch eine dieser vitiösen Gestalten die evidente Ungeheuerlichkeit begeht und tatsächlich meint, mich in diesem surrealen Zustand mit ihrer widerwärtig ekelerregenden Gegenwart und ihren abstrusen Worten (welche ich ohnehin zumeist fehlinterpretiere, und das auf eine höchst ungesunde Art und Weise) belästigen zu müssen, schlägt meine sowieso schon labile Stimmung instantan in eine höchst negative um und ich versuche verzweifelt, auf schnellstem Wege diesem unangenehmen Dilemma zu entkommen.

Eine andere Art der Realitätsverschiebung oder -wahrnehmung imponiert wiederum divergent zu den oben dargestellten, und ich weiß auch nicht, ob sie tatsächlich zu dieser speziellen Störungsform dazugehört, ob sie sozusagen eine ‚echte‘ ist. Sie zeigt sich mehr als exhaustive Realitätsverdoppelung, d.h. ich befinde mich in einem eigentümlichen geistigen Wechselzustand; so bin ich in der normalen, ‚richtigen‘ Welt, doch sobald ich die Augen schließe, auch wenn es nur ganz kurzzeitig ist, wechselt die perzipierte Existenz in eine differente – ich befinde mich also an einem anderen Ort, manchmal in einer anderen Zeit (schon in meiner eigenen, nur vielleicht eine Woche vorher; ergo ein echtes, absolutes Déjà-vu-Erlebnis) und mit anderen Personen, falls überhaupt welche anwesend sind. Die Transformation vollzieht sich instantan und übergangslos, und ich bin sofort wieder in medias res, ohne mich erst recht aufwendig zurechtfinden zu müssen, sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung. Das größte Problem dabei ist der nachteilige Umstand, dass ich die physischen Bewegungen, die ich in der zweiten Realität ausführe, zum Teil in die erste übertrage, natürlich ungewollt und unbemerkt, was partiell leider wieder in äußerst schmerzhaften, unkontrollierten, jedoch gegenwärtig unvermeidbaren Unfällen endet. So möchte ich mich beispielsweise auf einen Stuhl setzen, vollführe die dazu notwendigen Bewegungen und – liege plötzlich auf dem Boden, da die betreffende Sitzgelegenheit in der, nennen wir sie ‚Hauptwirklichkeit‘, gar nicht existent ist. Hierin, in dieser unbewussten körperlichen Aktionsadaption, könnte zumindest eine der Ursachen meiner somnambulen Ausflüge liegen (cf. ut infra). Dieses hin und her des oszillierenden Daseinserlebens kann in seltenen Fällen bis zu einer Stunde anhalten.

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Die letzte der verschiedenen Realitätsveränderungen, die mich des Öfteren heimsuchen, modifiziert weder mich noch meine Umgebung – jedenfalls nicht direkt –, sie transformiert ausschließlich die perzeptible Zeit, und zwar in der mental äußerst strapazierenden Art und Weise, dass ich sie extrem verlangsamt wahrnehme. Dieses anstrengende Phänomen geschieht vornehmlich in der Nacht, und das auch nur, wenn ich alleine bin. Dabei ist es jedoch völlig gleichgültig, was ich gerade mache oder nicht mache, ob ich aktiv bin oder nicht, mir kommt die ablaufende Zeit wie Stunden vor, dabei sind nur Sekunden oder wenige Minuten verstrichen; es fehlt nur noch, dass der Sekundenzeiger meiner Uhr stehenbleibt. Falle ich in der Folge irgendwann innerlich leer und völlig aufgezehrt in einen unruhigen, schlafähnlichen Zustand und erwache einige Zeit später wieder, nachdem meiner Meinung nach mindestens zwei oder drei Stunden vergangen sein müssten, und blicke hoffnungsvoll auf die Uhr, dann waren es doch wieder nur einige Minuten. Wenn dann die schier endlos erscheinende Nacht voller Qual und Pein endlich ihrem langersehnten Ende zugeht, welches sich meist nach dem Morgengrauen und dem Sonnenaufgang richtet, habe ich das Gefühl, als hätte ich mindestens drei oder vier Tage schlaflos in dieser überfordernden und vollkommen entkräftigenden Situation durchgemacht. Meistens falle ich schließlich, völlig ausgebrannt, mit glühenden Augen und psychisch wie physisch am Ende, zu guter Letzt doch noch in einen relativ ruhigen und regenerierenden Schlaf, der dann auch bis zum späteren Vormittag anhalten kann. Während einer solcherart ungünstigen und unwillkommenen nächtlichen Konstellation helfen auch die mir verschriebenen Schlaftabletten nicht weiter; ich kann die normalerweise ausreichende Dosis von einer halben bis einer Tablette auf zwei bis drei Tabletten steigern, ohne auch nur die geringste Wirkung zu erzielen – deshalb nehme ich sie in solchen Nächten auch nicht mehr, da dies reine, ineffektive Materialverschwendung wäre, die nur die Frequenz meiner Arztbesuche steigern würde.

Zur Zeit kollidiert meine persönliche Realität des Öfteren mit der Realität an sich (– jedenfalls um ein Vielfaches mehr als es noch vor einigen Jahren der Fall war –), oder anders ausgedrückt, meine individuelle Realität prallt ungebremst auf die wahre, richtige, im Prinzip allgemeingültige Realität der menschlichen Masse. Meine Realität ist zwar auch wahr und richtig, aber eben nur privatim für mich, und so geschieht es häufiger, dass ich beide parallel existenten Realitäten versehentlich miteinander vermische oder sie verwechsle. Die denkwürdigen Situationen, die daraus entstehen und noch entstehen könnten, sind sicher nicht die angenehmsten und behaglichsten, weder für mich, noch für andere, die davon betroffen sind bzw. werden (besser gesagt, die bereits durch mich davon betroffen gemacht wurden oder zukünftig noch werden), auch könnten sich daraus relativ peinliche, aber auch vergleichsweise gefährliche Begebenheiten entwickeln, wenn ich nicht ständig aufpasse, was ich wem und zu welchem Zeitpunkt sage oder zukommen lasse – und in welcher der Existenzen. Diese meine intrapersonelle Intriganz (ich möchte es mal so nennen) hält mich, wenn ich mit anderen Leuten zusammentreffe, permanent und intensiv auf höchster psychischer Alarm- und Anspannungsstufe, auf dass ich das zweigleisig und simultan extrem anwachsende, bereits hypermonumentale und hyperabstrakte Mentalkonstrukt nicht zum sofortigen Einsturz bringe – welches mich vermutlich vollständig unter sich begraben und um einiges mehr aus der Bahn werfen würde als alle anderen, je nachdem, wen es betrifft und worum es sich handelt. Der grundsätzlich bestehende Unterschied zwischen meiner Realität und der Realität der Welt mag zwar substantiell marginal sein, trotzdem ist es ein kontinuierlicher Kampf der Wahrheiten, bei der die meinige mit Sicherheit auf Dauer zwangsläufig unterliegen muss – irgendwann muss ich versuchen, beide wieder einigermaßen anzugleichen, in ein stabiles systemisches Gleichgewicht zu bringen, das mich mehr in der trostlos dumpfen Realität der chthonischen Menschheit hält als in meiner eigenen kleinen, phantasmagorisch bunten, privaten Realität.

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DyssomnienDyssomnie ist der medizinisch festgesetzte Terminus technicus für Schlafstörungen im allgemeinen, näheres wird über die systematische Einteilung in verschiedene Untergruppen definiert, wie etwa Pavor nocturnus, Insomnie oder Somnambulismus. Kurzfristige Schlafstörungen, per exemplum zeitweilige Ein- oder Durchschlafstörungen, wird wohl jeder Mensch kennen und mehrmals in seinem Leben durchmachen. Zermürbend wird diese unglückselige Angelegenheit erst dann, wenn sie längere Zeit, also über mehrere Monate oder gar Jahre hin anhält – oder wenn noch weitere entmutigende, die Sachlage erschwerende Komplikationen hinzukommen, beispielsweise immer wiederkehrende, zutiefst verstörende Albträume, unkontrolliertes Schlafwandeln oder intermittierender Pavor nocturnus. Auch die intraindividuell erlebte Heftigkeit und Intensität der stattfindenden Dyssomnien können einen a priori schon labilen Zeitgenossen massiv demoralisieren und für das allgemeine soziale, öffentliche Leben immens decouragieren. An manch bleiernen Tagen graut es mir schon mittags vor der kommenden Nacht, da ich nicht weiß, welch niederschmetternder, aufzehrender Unbill mich wieder erwartet, falls ich doch in ein generell ungesteuertes Traumerlebnis der negativen Art hinein gleiten sollte.

Über meine intermittierenden Albträume möchte ich mich an dieser Stelle nicht weiter auslassen, die habe ich schon mehr oder minder detailliert im Kapitel Meine Dämonen, Unterkapitel Schlaf und Traum (cf. ut supra) abgehandelt. Auch der medizinisch sogenannte Pavor nocturnus findet sich in diesem ebengenannten Kapitel beschrieben, wobei eigentlich nur noch hinzuzufügen wäre, dass er sich bei mir eben nicht nur des Nächtens einstellt, sondern stets auch dann, falls ich tagsüber ein wenig schlafen sollte. Das hier charakterisierte Krankheitsbild nennt sich eben so, weil die meisten Menschen eigentlich in der Nacht schlafen (außer sie werden, meist aus beruflichen Gründen, daran gehindert), und nicht so wie ich, der ich immer dann versuche zu ruhen, wenn es mir möglich ist und ich es aufgrund meiner vielfältigen pathologischen Beschwerden überhaupt kann. Diese extrem ungesunden Schlafangewohnheiten (eine durchschnittliche Ruhedauer – im ‚Normalfall‘– um die zwei bis drei Stunden, im Wechsel mit zumeist ebenso langen wachen Abschnitten (teilweise aber auch einige wenige Stunden länger), ab und an unterbrochen von aufreibenden Wachphasen bis zu 36 Stunden, dann wieder devastierende, absolut nicht erholsame Schlaf- bzw. Narkolepsieanfälle von zwei bis zu 24 Stunden etc.) begannen sich um bzw. ab dem Jahr 2006 sukzessive zu manifestieren. Also seit der Zeit, in der sich sowohl meine physischen als auch meine psychischen Indispositionen gravierend verschlechterten.

Eine sporadisch manifestierende Insomnie beginnt bei mir völlig unauffällig, der Tag fängt im Prinzip wie jeder andere durchschnittliche Tag eigentlich auch an. Doch schon gegen Abend bemerke ich, meist beiläufig und eher leise erahnend, dass die vor mir liegende Nacht wohl wieder eine qualvoll unangenehme und langwierige werden wird. Und in etwa einem Drittel bis zur Hälfte der erwarteten Fälle bewahrheitet sich leider meine zuvor aufgestellte Prognose – trotz meiner doch relativ starken, hochpotenten Schmerzmittel, unterstützt von gleichfalls beachtenswert starken Schlaftabletten, kommt mein unaufhörlich arbeitender, unsteter, sich ständig im Kreise drehender, getriebener Geist einfach nicht zur Ruhe. Ab Mitternacht lege ich mich dann, so gut es aufgrund meiner allgemeinen physischen Schmerzen eben geht, auf meine Couch, und versuche trotzdem ein wenig zu schlafen, da auch mein ziemlich morbider, ermatteter Körper nach der nötigen Erholung schreit. Meist stehe ich nach etwa einer Stunde erfolglosem hin- und her wälzen (selbst die Augenlider flattern ohne Unterlass) wieder auf, womit das nächtliche Drama erst so richtig anfängt. In einer Art psychisch überdrehter Somnolenz, will sagen, nicht richtig schlafen könnend aber auch nicht wirklich wach

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seiend – aber der normale Halbschlaf ist es auch nicht (das klingt vielleicht etwas seltsam oder albern, entspricht so aber mehr oder weniger der bizarren Realität dieser Konstellation) –, schlingere ich durch die Wohnung und über den Balkon, laufe mit voller Wucht gegen Türen und Wände, stolpere über Tische, Stühle und sonstige Möbel, oder falle schlechterdings, so wie ich bin, aus dem freien Stand um. Mich hinsetzen, entspannen und eine gelassene Tranquilität suchen und über mich kommen lassen, das kann ich in dieser gehetzten, getriebenen Situation gerade nicht – kaum lege ich mich nieder, wache ich auch schon wieder auf, weil ich just im Moment gegen den Sekretär im Flur o.ä. gestoßen bin. Das sind äußerst missliche Umstände, die ich zu erleben gezwungen bin, und ich hoffe immer, dass die lange, unbehagliche Nacht möglichst schnell vorübergeht. Den ganzen darauffolgenden Tag bin ich dann selbstredend zu nichts sinnvollem mehr zu gebrauchen, ich liege irgendwo herum, starre die Wand an (und die diversen Kratzer und Blutflecken, die ich dort des Nächtens hinterließ), oder sitze vor dem Fernseher, den ich jedoch auch nicht richtig beachte; und ich denke voller Grauen auf die mit Sicherheit kommende nächste Nacht, die, wenn ich Pech habe, wieder genauso spannungs- und aktionsreich verläuft, wie die vorhergegangene. Spätestens nach drei oder vier dieserart durchlebten (eigentlich eher durchexistierten) Nächten ist es schließlich vorbei, da mein geschundener Körper und mein verwirrter Geist das natürlicherweise nicht mehr mitmachen, nicht mehr mitmachen können. Ich lege mich ausgebrannt, völlig zermürbt, entnervt und todmüde auf mein Sofa und falle instantan in einen bis zu 24 Stunden andauernden, aber leider nicht wirklich erholsamen Schlaf – welch krönender, aufbauender, erhebender Abschluss…

Auch unvermutet einsetzende Schlafattacken sind mir nicht fremd; so ziehe ich mich beispielsweise ausgehfertig an, um einen ärztlichen oder therapeutischen Termin o.ä. wahrzunehmen – und wache zwei Stunden später in Mantel und Schuhen auf meinem Sofa wieder auf! Ich weiß dann zwar nicht, wie ich dorthin kam, aber ich weiß wenigstens (bzw. ich glaube zu wissen), dass ich meine angesetzten Termine verpasst habe. Selbiges passiert mir jedoch auch Zuhause, wenn ich nicht meine schützende Burg verlassen müsste. So etwa, wenn ich telefonieren möchte: ich nehme den Hörer in die Hand – und erwache nach einiger Zeit wieder, den Hörer immer noch fest in der Hand haltend. Oder, als letztes dergestaltiges Exempel, ich möchte abwaschen und die Küche aufräumen; also kremple ich mir die Ärmel hoch, nehme meine Ringe ab – und werde von meiner Frau geweckt, wenn sie wieder aus der Arbeit oder vom Einkaufen kommt. Grundsätzlich gesehen könnte man sich mit solch übergangslos einsetzenden narkolepsieähnlichen Attacken noch einigermaßen arrangieren, wenn sie ausschließlich im abgeschirmten häuslichen Bereich stattfänden. Unglücklicherweise geschehen diese urplötzlichen Anfälle auch auf freier Wildbahn in meinem Großstadtdschungel, so etwa in Bussen und Bahnen, in Wartezimmern von Ärzten und Therapeuten, auf Sitz- bzw. an Anlehnmöglichkeiten in Cafés und Kaufhäusern etc. Und so kam ich schon mehrmals zu spät zu irgendwelchen wichtigen Terminen, weil ich wieder einmal, völlig unerwartet und ohne etwas dagegen machen zu können, auf dem Weg dorthin einschlief. Auch wurde ich schon, während meines Weges zu einem geplanten Treffen, etliche Male von zumeist freundlichen Zugbegleitern oder Kontrolleuren – bisweilen aber auch von leicht verärgerten Zugführern – geweckt, weil die Bahn in ihr Depot sollte, nur ich allein hinderte sie noch daran, die letzte Haltestelle zu verlassen (dies betrifft jedoch nicht nur die Bahn, sondern auch Busse und andere öffentliche Verkehrsmittel).

Somnambulismus oder: wo bin ich, wenn ich schlafe?Unkontrolliertes Schlafwandeln ist eine äußerst unangenehme und höchst gefährliche nächtliche Tätigkeit, die womöglich nicht zu einer dauerhaften Gewohnheit werden sollte – doch wie will man das verwirklichen, wenn man nicht einmal weiß, dass der seltsame Traum, den man gerade träumt, ein nicht unerheblicher Teil der wachen Realität ist? In meinem bisherigen Leben widerfuhren mir bis

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jetzt zwei größere Abschnitte, während denen ich unter mehr oder weniger ausgeprägtem Somnambulismus litt bzw. leide. Die erste (– sich retrospektiv als überwiegend harmlos präsentierende –) Etappe war während meiner Kindheit und Jugendzeit, in der es nicht selten vorkam, dass ich morgens wie gerädert in einem Schrank (oder unter dem Bett, in einem anderen Raum, in einer anderen Etage meines Elternhauses etc.) erwachte, ohne zu wissen, wie ich dorthin kam. Außer diesen sporadischen Streifzügen geschah aber nichts Weiteres – ich wandelte nur. Im Verlauf der Adoleszenz verschwanden dann langsam diese nächtlichen Symptome, und ab etwa dem 20. Lebensjahr hatte ich keine derartigen Zwischenfälle mehr; jedenfalls ist mir nichts davon bekannt, dass ich welche gehabt hätte. Die zweite belangvolle Teilstrecke begann während meines großen körperlichen und geistigen Zusammenbruchs im Jahre 2006 und hält immer noch an. Zu erwähnen hierbei ist, dass das Schlafwandeln meiner Jugend bei weitem nicht so extrem auffällig und häufig war, wie es das aktuelle ist; auch habe ich mir früher weder irgendwelche Blessuren (wie etwa Beulen, Hämatome, Schürfwunden, Schnittverletzungen etc.) zugezogen, noch habe ich meine damaligen Mitbewohner, also meine Großeltern, meine Eltern und meine ältere Schwester, auf irgendeine Weise gestört oder gar geweckt.

Mein gegenwärtiger Somnambulismus nun zeigt sich wiederum als ein phasenweises Phänomen; nach einer passageren Zeit des schweren, bleiernen Schlafes, während der ich nur im näheren Umkreis meines gewohnten Ruheplatzes im weitläufigen Rahmen meiner anderen Dyssomnien aktiv bin (siehe Kapitel Dyssomnien und Kapitel Schlaf und Traum), beginne ich früher oder später unangekündigt wieder mit einer zumeist zwischen drei Tage und einer Woche andauernden Periode des unkontrollierten Umherwanderns, während der ich mir – meist bei unvermeidbaren Sturzereignissen – verständlicherweise die meisten Verletzungen zuziehe, und, aufgrund etwaiger sinnloser, jedoch unnötig lärmerzeugender Operationen meinerseits, ungewollte lautstarke Machinationen auf die wohlverdiente Nachtruhe meiner dadurch extrem belästigten Mitmenschen verübe. Außerdem beobachte ich seit einiger Zeit das seltsame und schmerzhafte Phänomen, dass ich aufwache, weil ich unvermutet mit dem Kopf gegen eine Wand (o.ä.) stoße, dann aber sofort wieder einschlafe – und gleich wieder erwache, weil ich erneut mit dem Kopf gegen dieselbe Stelle an der Wand (o.ä.) stoße. Diese ungesunde Kumulierung geschieht vier-, fünf-, ja, auch sechsmal hintereinander, wenn ich es nicht irgendwann mit einer gewaltigen geistigen Anstrengung schaffe, kurzfristig wach zu bleiben und die Richtung zu ändern, bevor ich wieder einschlafe.

Während des akuten Stadiums meines Somnambulismus geschieht es mitunter auch, dass ich während meines ohnehin unruhigen Schlafes körperlich offensichtlich aktiver bin als in meinen wachen Zeiten dazwischen. So bemerke ich dann und wann nach dem morgendlichen aufstehen (oder werde akkurat darauf hingewiesen – oder, seltener, sehe dann vor meinem inneren Auge bruchstückhafte Fetzen und kurz aufblitzende Reminiszenzen der größtenteils in fast vollständiger Dunkelheit über die Bühne gegangenen Performance ablaufen), dass ich Nächtens exempli causa wohl ein mehr oder weniger opulentes Mahl zu mir genommen habe, mich rasiert oder auch Teile der Wohnung umgeräumt und in einem gewissen Chaos hinterlassen habe, inklusive dem planlosen Verschieben von Möbelstücken und dem unorganisierten Umhängen von Bildern und Gemälden – oder aber auch, dass ich bei 25° Celsius Außentemperatur die Zentralheizung voll aufgedreht habe und in der Wohnung angenehme 27° bis 28° Celsius herrschen – mollig warm zwar, aber eine immense, unnötige Energieverschwendung, die die jährliche Nebenkostenabrechnung inadäquat in die Höhe treibt. Die negative, respektive destruktive Seite dieser grundsätzlich unbewusst vor sich gehenden Geschäftigkeit zeigt sich allgemein in klar ersichtlicher Form von zerstörten Haushaltsgeräten, zerkratzten Einrichtungsgegenständen und verschmutzten Wänden oder

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Teppichen. Da mich dieses unbedachte nächtliche Wüten aber nun verständlicherweise zutiefst negativ stimmt, mir a posteriori furchtbar leid tut und dementsprechend seelisch schwer belastet, falle ich nur noch tiefer in meine latent im Unterbewussten lauernde Depression, was wiederum erheblich die vermaledeite Schlafwandlerei fördert – diese ständig wiederkehrende, sich permanent wiederholende Situation ist ohne jeden Zweifel ein genuiner, authentischer Circulus vitiosus par excellence, den es hier holotisch und durabel zu durchbrechen gilt; was sich aber, nicht nur bei näherer Betrachtung, als ein höchst komplexes, schwieriges, zusätzlich zeit- und energieraubendes Unterfangen erweist, dem ich mich gegenwärtig absolut nicht gewachsen fühle.

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Meine Schmerzen IViele dieser hier vorliegenden Seiten schrieb ich unter ständiger Begleitung von starken bis stärksten Schmerzen, nur fähig, sie mit einer gesteigerten Dosis opioidhaltiger Schmerzmittel niederzulegen. Und selbst das banale und unschuldige Wort ‚Schreiben‘ zeigt sich hier ein wenig fehl am Platze, denn aufgrund der höchst qualvollen Berührungsschmerzen in meinen entzündeten Fingern und akut schmerzsensitiven Fingerkuppen konnte ich oftmals nicht einmal einen Stift halten, geschweige denn mit diesem einen mehr oder weniger lesbaren Satz zu Papier bringen; ich verwende deshalb zur schriftlichen Fixierung meiner gegenwärtigen Gedankengänge in großen Teilen, man könnte schon fast behaupten: ausschließlich, die mit einem leichten Anschlag versehene Tastatur meines Laptops. Diesen tragbaren Rechner kann ich zu meinem Glück überall mit hinnehmen, um mit ihm in den vielleicht optisch unmöglichsten, aber dafür den physisch möglichst schmerzreduzierenden Posen und Stellungen zu schreiben – er avancierte über die letzte Zeit zu meinem portablen externen Zweitgehirn, dessen vielfältige Unterstützung meines eingeschränkten Lebens ich nicht mehr missen möchte. Ein Nichtbetroffener kann es sich vermutlich nicht einmal annähernd vorstellen und es nicht wirklich und vollständig begreifen, wie es ist und was es heißt, infolge permanenter höllischer Schmerzen, die sich manches Mal bis zu einem psychisch höchst destruktiven, fast nicht mehr aushaltbaren Vernichtungsschmerz hinauswachsen, nicht einmal in der normalerweise trivialen und alltäglichen Lage zu sein, einen simplen Einkaufszettel oder auch nur eine Glückwunschkarte mittels Bleistift, Füllfederhalter oder Kugelschreiber zu verfassen bzw. zu unterschreiben – oder schlicht und einfach nur zu ‚leben‘. „An manchen Tagen, wenn die physischen Schmerzen ungeahnte Qualitäten erreichen und mein fieberndes Soma in eine exhaustive kataplektische Paralyse gleitet, stürzt das gepeinigte Ich in die klandestinen, in die dunkelsten Abgründe meiner zersplitterten Psyche. Dort wandert das morbide Selbst unbeholfen und sich ziellos treiben lassend durch ungesunde Gedanken-Gänge und klaustrophobische Korridore, durch mentale Hallen und spirituelle Verliese der schwärzesten und destruktivsten Vorstellungen. Meine nähere Umgebung sollte sich wahrlich glücklich preisen, dass mein gequälter Körper während dieser Zeit jede aktive Kooperation verweigert… [NB: Apophthegma geschrieben im März 2007, KvS]“15

Falls ich nun den anamnestischen Werdegang meiner chronischen Schmerzerkrankung chronologisch aufarbeiten würde, müsste ich über mehr als drei Dezennien in der Zeit zurückgehen, denn beim ersten groben Ausbruch des höchst schmerzhaften Leidens war ich gerade einmal acht oder neun Jahre alt. Damals kamen die ersten Schmerzen sozusagen über Nacht, d.h. als ich mich abends zum Schlafen vorbereitete und nichts böses ahnend ins Bett ging, hatte ich keine wie auch immer gearteten medizinischen Probleme, nicht einmal einen harmlosen Schnupfen oder vergleichbares (jedenfalls nichts, woran ich mich heute noch zweifelsfrei erinnern würde). Am nächsten Morgen erwachte ich jedoch steif wie ein Brett, unfähig, auch nur kleinere Bewegungen ohne die qualvollsten Schmerzen ausführen zu können. Von aufstehen, anziehen oder gar einige kleine Schritte gehen konnte nicht mehr die Rede sein – ich war schließlich froh, mich langsam und auf allen Vieren vorwärtstastend ins Bad und auf die Toilette zu schleppen, später band ich mir dann Kissen unter die Füße; nebenbei belastete mich noch ein hohes Fieber, dessen Temperatur durchgehend über mehrere Tage zwischen 40° und 41° Celsius schwankte. Das alles beängstigte mich, der ich damals zusätzlich schon eine fragil-labile Psyche hatte und ein paar kurze Jahre zuvor eine anstrengende

15 Spreewinkl, (c)

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verhaltenstherapeutische Behandlungsstrecke beendet hatte, verständlicherweise außerordentlich, und ich hatte das dramatisch phobische Gefühl, mein Lebensende sei nun gekommen und ich müsse recht bald sterben. Mein damaliger Hausarzt (siehe hierzu auch das Kapitel Meine Ärzte weiter unten im Text) konnte mit den für jeden offensichtlichen, ihm jedoch völlig unbekannten Symptomen und meiner gesamten miserablen Allgemeinsituation, dem überaus schlechten Befinden, absolut nichts anfangen, und nach ein paar zaghaften, plan-, ziel- und erfolglosen Therapieversuchen seinerseits überwies er mich in eine Klinik zu einem Facharzt für Rheumatologie, in der leisen Hoffnung, dieser könne mir irgendwie weiterhelfen.

Was nun aber schlagartig und vollständig unerwartet über mich hereinbrach, war eine unglaubliche und schier endlose Odyssee durch alle möglichen und unmöglichen Krankenhäuser, diversen Spezialkliniken und medizinischen Institutionen, auch lernte ich mindestens zehn Praxen in dieser Zeit von innen kennen; Scharen von Ärzten und solche, die gerne welche wären bzw. noch welche werden wollten – also Studenten und Famulanten –, pilgerten wie endlose Karawanen Tag und Nacht an mein schweißgetränktes Krankenlager und erfreuten sich des interessanten und außergewöhnlichen Falls und der völlig verwirrten und verängstigten Versuchsperson – meiner Wenigkeit. Ein medizinischer Konsens bezüglich Diagnose und Behandlung war bei ihnen zwar nicht wirklich auszumachen – fragte man zehn Ärzte, hatte man zehn gänzlich unterschiedliche Meinungen; das einzige, worin sich viele dieser sogenannten Koryphäen, Spezialisten und Experten erstaunlicherweise doch einig waren, das war der von mir oftmals gehörte und höchst deprimierende und leichte Panik erzeugende Satz: ‚Es tut uns ja leid, aber mit Deinem ungewöhnlichen Krankheitsbild mit einer totalen Therapieresistenz wirst Du vermutlich keine zwanzig Jahre alt werden.‘ Doch selbst damit irrten sie gewaltig – sie hatten damals schlicht und einfach nicht die geringste Ahnung und dementsprechend keine einzige eventuell mögliche Hypothese zu offerieren. Hierzu nur eine kleine Anmerkung: vor etwa hundert Jahren hätten diese hochkompetenten Mediziner mit ihrer düsteren Theorie wohl sicher recht behalten, doch heutzutage, dank der modernen Forschungen in diesem akademischen Fachbereich sind solche unsinnigen Spekulationen in vielen Fällen müßig geworden. Mir ist natürlich klar, dass ich mit meinen ganzen chronischen und chronifizierten Krankheiten keine hundert Jahre alt werde, aber das will ich auch gar nicht. Trotzdem sollten sich manche dieser mitteilungsfreudigen Ärzte und Therapeuten mit der gedankenlosen und völlig ungehemmten Verbreitung ihrer teils beängstigenden Überlebensquoten ein wenig zurückhalten, denn zum einen sind sie meist nur grob geschätzte, pure Mutmaßung, zum anderen können sie die ohnehin leicht furchtsamen Patienten derart in Verzweiflung und nacktes Entsetzen stürzen, dass manche unbedacht prognostizierte Sterbezeit sogar als eine self-fulfilling prophecy gelten muss.

Als nun ein paar qualvolle Jahre später, ich war damals knapp Anfang Zwanzig, meine intermittierenden Schmerzattacken sich – und ich mich mit ihnen – zu organisieren begannen, d.h. die großen, heftigen, giftigen Anfälle traten nur noch etwa ein- bis zweimal im Monat auf (später noch etwas weniger), dazwischen gab es nur noch viele kleinere, meist lokalisierte und mehr oder minder aushaltbare Schmerzherde und entzündete Schwellungen, schwand auch langsam das anfangs ach! so sensationelle Interesse der versammelten Ärzteschaft. Sie nannten es nun frustriert Rheuma, rheumatisches Fieber, rheumatoides Schmerzsyndrom oder Fibromyalgie, Verdacht auf Borreliose, Verdacht auf systemischen Lupus erythematodes, Verdacht auf dies oder Verdacht auf das (selbst AIDS- und Krebstests vergaßen sie nicht bei ihren umfangreichen Analysen, ebenso komplizierte und teils schmerzhafte Untersuchungen auf alle möglichen exotischen Leiden, nicht zu vergessen die seltenen Tropenkrankheiten – ich war noch nie in den Tropen…), und letztendlich

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hießen sie es ein chronisches Schmerzsyndrom, weil ihnen zu meiner prekären Situation nichts intelligentes oder innovatives mehr einfiel und auch keine einzige der zuhauf getesteten Therapien anschlug – und ich habe wirklich vieles ausprobiert (respektive ausprobieren müssen, denn ich wurde mehrfach freundlich nachdrücklich und in schriftlicher Form von meiner zuständigen Krankenkasse darauf hingewiesen, dass, sollte ich es tatsächlich wagen, die persönliche Mitarbeit bei den diversen Heilbehandlungen und -versuchen zu verweigern, mir das Krankengeld gestrichen oder zumindest stark gekürzt werden würde)! Seitdem nehme ich als diesbezügliche Medikation ausschließlich Schmerzmittel, welche zumindest die heftigsten Schmerzspitzen kappen und die anderen Beschwerden ein wenig abdämpfen. Und von Zeit zu Zeit wird wieder eine neue, unwirksame Therapie getestet… [NB: Von wegen dem vielfach apostrophierten Ärzteschwund: Was der medizinischen Fakultät wirklich fehlt ist Qualität, nicht Quantität, denn es kann in der heutigen Zeit sehr, sehr lange dauern, bis man in einer bestimmten Fachrichtung endlich an einen Doktor gerät, der auch tatsächlich die Bezeichnung ‚Facharzt‘ verdient, obwohl man bereits mindestens fünf Ärzte vorher besucht und bedauerlicherweise negativ auf Kompetenz und Brauchbarkeit getestet hat, KvS]

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Mein nebendiagnostisches IntermezzoNun erfolgt ein Zeitsprung in das Jahr 2006. Doch bevor ich bei diesem folgenschweren Datum, das eine weitere drastische und eklatante Zäsur in meinem bisherigen Leben repräsentiert, über mein chronisches Schmerzsyndrom weiterschreibe, möchte ich noch kurz die übrigen medizinischen Diagnosen aufzeigen, die sich bis dahin manifestierten und als grundsätzlich gesichert anzusehen sind – und die laut meinen behandelnden Ärzten alle irgendwie im engeren Zusammenhang mit meinen Schmerzen zu sehen und zu bewerten sind. Es ist dies zum einen (und gravierendsten) das Antiphospholipidsyndrom (APL; auch APS, seltener auch Hughes-Syndrom genannt), eine noch relativ unerforschte Haut- und Bluterkrankung, die etwa im Jahr 1995 bei mir festgestellt wurde. Dieses beachtlich vielseitige Syndrom verursacht per exemplum bei direkter Sonneneinstrahlung Effloreszenzen und ähnliche (u.U. krebserregende oder sonstig maligne) Erscheinungen auf der Haut, außerdem verändert es die körpereigene Blutgerinnung (Koagulopathie) und effiziert so spontane Verschlüsse von Blutgefäßen (Thrombembolien). Dieserart entstand beispielsweise auch die tiefe Bein- und Beckenvenenthrombose, die ich im Sommer des Jahres 1990 erlitt und die mir seither ein sogenanntes postthrombotisches Syndrom (PTS) beschert – mit wechselnden Schmerz- und Juckreizattacken an dem beschädigten Bein. Des weiteren verdanke ich dem Antiphospholipidsyndrom auch ein seit meiner Adoleszenz bestehendes beidseitiges chronisches Gehörgangsekzem und eine gesteigerte Neigung zur Ausbildung von Abszessen. So musste ich mich im Laufe der Jahre bereits fünfmal unters Messer legen, um diese schmerzhaften und, je nach Lokalisation, ziemlich bewegungseinschränkenden Abszesse spalten zu lassen, damit sie in einem mehrere Wochen andauernden Prozess von innen heraus abheilen. Leider ist hier die prognostizierte Rezidivrate recht hoch, d.h. wo einmal ein Abszess war, wird sich irgendwann mutmaßlich wieder einer entwickeln; dann beginnt die langwierige Prozedur aufs neue. Zu guter Letzt muss noch die Genese eines sogenannten Raynaud-Syndroms dem Antiphospholipidsyndrom zugeschrieben werden. Dieses bewirkt, dass bei niedrigen Temperaturen, also hauptsächlich im Winter, und bei Stresssituationen sich das Blut aus den Fingern und Zehen zurückzieht (bei singulären Fingern nennt sich dieser Defekt digitus mortus), worauf diese weiß und absolut gefühllos werden, wobei auch immer die sicherlich nicht unbegründete Angst mitschwingt, dass, je länger diese unangenehmen Symptome anhalten, die Finger bzw. Zehen hochgradig geschädigt werden, irreparabel degenerieren, nekrotisieren, und letztendlich amputiert werden müssen. Deswegen habe ich an kühlen Tagen immer einen kleinen Taschenofen auf chemischer Basis bei mir, um die betroffenen Finger oder Zehen möglichst schnell wieder warm werden und zur lebenserhaltenden Durchblutung führen kann; wobei dieser reanimierende Akt typischerweise auch noch ein höchst schmerzhafter ist. Die Nerven meiner beiden Großzehen wurden von diesem prosperierend destruktiven Syndrom bereits vollständig in Mitleidenschaft gezogen und restlos zerstört, und so habe ich seit etlichen Jahren schon überhaupt kein Tast- und Berührungsgefühl mehr in ihnen (bei den Fingern und anderen Zehen zeigt sich dieses seltsam dumpfe Taubheitsgefühl als direkte Folge des Raynaud-Syndroms zum Glück nur temporär, zumindest im Moment noch). Nur an der leicht rötlichen Färbung der Haut lässt sich noch erkennen, dass tatsächlich noch ein kleines Fünkchen Leben in ihnen pocht.

Mitte der Achtziger des vorigen Jahrhunderts begann sich eine bis heute hundertprozentig therapieresistente alopecia areata auf meiner gesamten Kopfhaut auszubreiten. Auf Deutsch heißt diese kosmetisch massiv einschneidende Krankheit ob ihres allgemeinen Erscheinungsbildes

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‚kreisrunder Haarausfall‘, und muss sich nicht nur auf das Haupthaar beschränken, sie kann sich bis auf den ganzen Körper ausbreiten und nennt sich dann alopecia totalis. Bei mir bildeten sich anfangs mehrere kleine, mit akneähnlichen Pusteln gesäumte kahle Stellen auf der Kopfhaut hinter den Ohren und den sogenannten Geheimratsecken, die später ständig die Lokalisation änderten, größer oder kleiner wurden oder sich miteinander verschmolzen. Mittlerweile betrifft die Krankheit auch die Körperbehaarung, außerdem habe ich nicht mehr viele kleine kahle Stellen auf dem Kopf, sondern nur noch eine große – ich trage seit etwa 15 Jahren eine Glatze (und gehe dementsprechend nur gut behütet auf die Straße – ich schaffe es mental einfach nicht, ohne Kopfbedeckung meine Wohnung zu verlassen (lieber verhungere ich Zuhause)). Auch hier tendiert die Möglichkeit einer Rekonvaleszenz gegen Null. Etwa zur gleichen Zeit diagnostizierte ein Berliner Proktologe einen Morbus Crohn bei mir, eine Erkrankung des gesamten Verdauungsapparates, der von der Mundhöhle bis zu Enddarm reicht (dies nicht zwangsläufig bei jedem Betroffenen, aber bei mir ist es so). Zum Glück ist es aber nur eine relativ leichte Form, die sich Hauptsächlich durch einen permanenten Reizdarm bemerkbar macht, d.h. Obstipation und Diarrhö im regen Wechsel, begleitet von heftigen, überaus schmerzhaften Koliken und Darmkrämpfen (‚zum Glück‘ heißt hier, dass ich mich bis jetzt deswegen wenigstens nicht operieren lassen musste, und somit noch alle Innereien beisammen habe). Irgendwie beschleicht mich das unbestimmte Gefühl, dass es ohne Schmerzen bei mir wohl nicht geht. Apropos Schmerz – zu den diagnostizierten Nebendiagnosen gehört auch eine Migräne, die mich von Zeit zu Zeit heimsucht (auch mein EEG weist laut neurologischem Befund migränetypische Veränderungen auf). Sie beginnt dann meist mit einem klassischen Flimmerskotom, steigert sich in Schmerz, Licht- und Geräuschüberempfindlichkeit sowie der typischen Übelkeit, und schleicht irgendwann wieder aus. Meist dauert so eine okkasionelle, schauderhafte Migräneattacke zwischen zwölf und 24 Stunden, wobei die schier endlosen Zeiten während der Nacht selbstredend die schlimmsten und qualvollsten sind. Migränegeplagte Mitbürger und Leidensgenossen können dies vermutlich noch am besten nachvollziehen.

Der eben erwähnte Morbus Crohn hat es noch weiter in sich, aber nicht gerade etwas Positives. Während der vielen Jahrzehnte seiner toxischen Gegenwart zog er zum einen eine globale Lymphadenopathie nach sich, d.h. die Lymphknoten meines Körpers vermehrten sich unglaublich und vergrößerten sich drastisch bis zu einem Durchmesser von zweieinhalb bis drei Zentimetern (normal sind ein halber bis ein Zentimeter), hauptsächlich jedoch im Torso und dort speziell im Abdominalraum. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Häufung und extraordinären Größe meiner Lymphknoten wurde ich bereits des Öfteren ausgedehnten Tumorsuchen unterzogen, rein zur abklärenden Sicherheit und als persönlich beruhigende Ausschlussdiagnostik, denn die meisten bekannten Krebsarten gehen eben mit solchen oder so ähnlichen Lymphknotenveränderungen einher. Zum anderen verursachte der Morbus Crohn eine primäre biliäre Leberzirrhose (PBC), welche unbehandelt innerhalb von fünf Jahren zum Tode führt. Zum Glück wurde sie in meinem Falle noch relativ rechtzeitig diagnostiziert, und mit den speziellen Medikamenten, die ich seither dafür einnehmen muss, sanken die betreffenden Leberwerte in einen durchaus noch annehmbaren Bereich. Durch diese primärbiliäre Zirrhose, welche, und das möchte ich hier aus- und nachdrücklich betonen, außer dem Namen absolut nichts mit einer alkoholinduzierten toxischen Leberzirrhose gemein hat (im allgemeinen trank ich noch nie übermäßig Alkohol, und jetzt ungefähr seit fünf Jahren überhaupt keinen mehr; zum einen fehlt mir das menschliche Bedürfnis dazu, und zum anderen möchte ich nicht unbedingt in einem unbedachten Selbstversuch ausprobieren, welche unerwarteten Wirkungen und u.U. lebensbedrohlichen Nebenwirkungen meine ohnehin schon starken und hochdosierten Medikamente unter Alkoholeinfluss entfalten können), bekam ich als

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Begleiterkrankung leider noch einen höchst unangenehmen Pruritus mit auf dem Weg – einen Ganzkörperjuckreiz sozusagen; manchmal bin ich nach einer unruhigen Nacht so blutig und zerkratzt, dass ich zu Fasching als lebende Schürfwunde oder als Unfallopfer gehen könnte!

Meine gegenwärtig letzte gesicherte Nebendiagnose der körperlichen Art äußert sich in den sporadisch in Erscheinung tretenden unterschiedlichsten Parästhesien der Unterschenkel und der Füße, also von den Knien an abwärts, und das beidseits und in den meisten Fällen synchron. Manche dieser vielseitigen Missempfindungen präsentieren sich als so überaus real und überzeugend, dass ich je nach Qualität und Intensität des Gefühls nachsehe, ja, nachsehen muss, ob es nicht der Wirklichkeit entspricht. Die Parästhesien äußern sich auf unglaublich vielfältige Art: manchmal ist es so, als ob eine arbiträre Flüssigkeit das Bein hinab läuft, mal schnell wie Wasser, mal zäh wie Honig, mal kalt, mal warm, dann wieder kochend; manchmal krabbeln tausend kleine Tierchen das Bein auf und ab, oder es fühlt sich wie hunderte wiederholt gesetzte Nadelstiche an; manchmal ist es auch einfach nur ein wahnsinniger Schmerz, der keine Art von Kleidungsstücken oder sonstigen Stoffen auf dem betroffenen Gebiet duldet, d.h. ich kann mir des Öfteren weder Socken noch Schuhe anziehen; manchmal ist es brennend, ziehend, pochend, stechend, glühend, dumpf, schwer, fließend, kochend, kribbelnd, summend, frierend, taub, berührungssensitiv etc. – aber immer ist es unbeschreiblich unangenehm16.

Zum komplettierenden Abschluss dieses illustren Hexenreigens der Nebendiagnosen erwähne ich noch eine, die im Prinzip keine ist, weil sie nicht zu den eigenständigen Diagnosen zählt, aber bei vielen von ihnen en passant mitläuft, sozusagen als ein ungewollter morbider Bonus – es ist dies die kongenitale Neigung zu Krämpfen und Krampfanfällen (inklusive Koliken) der verschiedensten Art und Ausprägung (und welche vermutlich genetischen Ursprungs sind, denn meine Mutter leidet unter den gleichen spasmischen Phänomenen). Es ist schon enorm, wo der menschliche Körper überall Muskeln und Sehnen hat, von denen man normalerweise nichts weiß und sie nicht aktiv (sondern höchstens indirekt) nutzt, bis sie einem durch einen schmerzhaften Krampf akut und unerwartet in Erinnerung gebracht werden. Glücklicherweise gehen diese absolut unangenehmen Spasmen zumeist nach einer kurzen Weile – und der aktiven Unterstützung von einem Beutel Magnesium und etwas Bewegung oder Massage der verkrampften Stelle – von selbst wieder vorbei. Die gemeinsten, übelsten Schmerzen bringt jedoch ein Spasmus mit sich, der nicht nur einen singulären Muskel, sondern abscheulicherweise gleichzeitig auch seinen Antagonisten betrifft, am besten gleich noch eine gesamte Muskelgruppe auf einmal. Je nach Dauer dieser fürchterlichen Beschwerden würde man sich nach einiger Zeit am liebsten das betroffene Körperteil abhacken, abschneiden oder sonst wie amputieren, nur damit dieser unsäglich infernalische Schmerz endlich ein Ende findet. Auch innere Krämpfe, sogenannte Koliken, kenne ich nur zu gut. Dank des Morbus Crohn beispielsweise muss ich etwa seit drei Dezennien immer wieder erfahren, wie unangenehm und höllisch schmerzhaft Magen- und/oder Darmkrämpfe werden können. Manchmal habe ich das degoutante Gefühl, der Darm, vor allem das Colon im Bereich des Sigmas (colon sigmoideum), würde reißen oder müsse jeden Augenblick platzen – und alles fröhlich begleitet von heftigen Schweißausbrüchen, flimmern vor den Augen, zittern und zucken des gesamten Körpers und einem kuriosen Blutdruck, der pausenlos Achterbahn fährt.

16 Wenn ich hier ab und zu ‚das Bein‘ geschrieben habe, so ist das u.U. irreführend, denn vielfach treten die neurologischen Ausfälle und Symptome parallel an beiden Beinen zugleich auf, also sollte die Expression im möglichen Plural gelesen werden

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Die chronische Variante der Krämpfe hat da eine völlig andere Qualität. So habe ich permanente Muskelverspannungen und -verhärtungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule (HWS, BWS und LWS), ebenso der Schulterblätter, bis in die Oberarme und zum Sternum ausstrahlend, die selbst durch ausgedehnte und häufige Massagen nur kurzfristig, etwa zwei bis vier Stunden, leichter werden, bevor sich die Rückenmuskulatur wieder sukzessive zu verkrampfen beginnt. Meine Masseurin meinte dazu, ich sei bisher der erste und einzige Patient, bei dem es mit der Zeit schlechter statt besser werde. Zusätzlich ist die linke Seite kontinuierlich mehr betroffen als die rechte, sodass ich im Laufe der Jahre auch eine körperliche Fehlhaltung bekam und ich deshalb mehr oder weniger schief gehe. Obendrein verkrampfen sich meine Kiefermuskeln von Zeit zu Zeit, und dann gleich so heftig, dass es eine erhebliche Schwierigkeit für mich darstellt, diese vorsichtig zu lockern und den Mund wieder zu öffnen. Und selbst die vom Zahnarzt verschriebene und angepasste Beißschiene konnte nicht verhindern, dass sich durch das andauernde Zusammenpressen der Kiefer mittlerweile die Zähne verschoben haben. Eine weitere Version der muskulären Spasmen stellt sich folgendermaßen dar: wenn ich mich mit einem Kissen unter dem Kopf zum geistig regenerierenden meditieren hinlege – was normalerweise eigentlich zur ganzheitlichen Entspannung dienen soll und den meisten Menschen wohl auch dabei hilft –, merke ich bereits nach wenigen Minuten, wie sich meine Rückenmuskulatur ineinanderschiebt uns sich langsam zu verkrampfen beginnt. Nach etwa zehn bis zwanzig Minuten kann man mir das Kissen unter dem Kopf wegziehen, doch der Körper bleibt trotzdem in seiner Stellung, in seiner bewegungslosen Starre verharren, als ob das Kopfkissen noch da wäre. Dass dieses von mir sogenannte versteinernde Verhalten nicht unbedingt zur inneren und äußeren Entspannung und Ruhe beiträgt, wird wohl jedem, auch medizinisch völlig Unbedarften, auf den ersten Blick verständlich sein. Die theoretisch lockernden Massagen, die ich diesbezüglich zweimal pro Woche erhalte, helfen leider auch nicht in der von mir gewünschten Form. Sie geben mir zwar wohltuende Erleichterung und bessere, befreite Bewegungsmöglichkeiten, doch dies leider nur sehr begrenzt und kurzfristig, etwa zwei bis vier Stunden (ich erwähnte es bereits), je nach aktuellem ‚Härtegrad‘ der Muskulatur vor der therapeutischen Behandlung. Und beim nächsten Massagetermin fängt alles wieder von vorne an, d.h. es zeigt sich bedauerlicherweise nicht ein Hauch einer ersehnten Langzeitwirkung.

Dass nach all diesen folgenschweren Krankheiten und nachteiligen Syndromen, die fast alle chronisch verlaufen und im Prinzip nicht heilbar sind, außerdem so nebenher ein gerüttelt Maß an Zusatzdiagnosen nach sich ziehen, als neueste Krankheitsbestimmung noch der dringende Verdacht auf ein sogenanntes chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) – schon wieder ein Syndrom (und schon wieder chronisch) – im Raume steht, ist da wohl uneingeschränkt nachzuvollziehen und absolut verständlich…

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Meine Schmerzen IINun befinde ich mich wieder bei meinem chronischen Schmerzsyndrom und ich bin, wie oben schon gesagt, mit meiner kleinen anamnestischen Schmerzbiographie mittlerweile im Jahr 2006 angekommen. Einem hartes, tragisches Schicksalsjahr, das eine höchst einschneidende Zäsur meines bis dahin mehr oder minder aushaltbar arrangierten Lebens mit sich brachte. Im Verlauf dieses langen Jahres, aber auch schon in etwas geringerem Maße ein bis zwei Jahre zuvor, begann ich, körperlich sukzessive abzubauen, während sich meine psychischen Probleme stetig steigerten. In dieser unschönen Zeit nahm ich von einem einstmaligen Körpergewicht von 72 Kilogramm, das ich gleichmäßig und gleichbleibend die vergangenen zwei Dezennien über hatte, bis auf 54 Kilogramm ab, und das bei einer Körpergröße von 1,73 Metern. Der fulminante Ausbruch der Krisis dieser ganzen medizinischen Unannehmlichkeiten geschah etwa um den Jahreswechsel von 2006 auf 2007. Damals stürzte ich in ein schwarzes, bodenloses psychisches Loch, in eine tiefe und langanhaltende depressive Episode, während mein körperliches Befinden auf einem absoluten Tiefststand angekommen war. Zeitweise konnte ich mit meinen Händen weder eine Flasche öffnen, eine Tasse halten oder gar mich selbständig anziehen, aber nicht aus physischer Schwäche, sondern aus puren somatischen Schmerzen heraus. Diese treten, wenn ich gerade einem akuten, mehrtägigen oder gar wochenlangen Schub ausgesetzt bin, im beinahe täglichen Wechsel oder aber gleichzeitig, überall am gesamten Körper auf, selbst Zähne, Augen, Ohrläppchen und die Nasenspitze bleiben da nicht ausgespart, ja, selbst eine avernalische Art von Phantomschmerz kommt gelegentlich vor, so beispielsweise schmerzt hin und wieder ein Weisheitszahn oben rechts (und das nicht wenig), nur wurde dieser vor mehreren Jahren bereits extrahiert (eine wahrlich üble und blutige Erinnerung). Auch die allgemein sichtbaren Erscheinungsformen bleiben nicht immer gleich; manchmal sind die entzündeten Stellen oder Körperpartien überwärmt, rot und/oder angeschwollen, ab und zu kann man diverse subkutane (aber auch muskuläre) Knoten oder ganze verhärtete Muskelstränge ertasten, doch meistens sind die schmerzhaften Stellen, die sich dann und wann sogar kalt anfühlen können, für einen unbedarften Laien optisch nicht wirklich zu erkennen, dann sieht man die verschiedenen Entzündungsherde nur mittels eines modernen Ultraschallgeräts und eines speziell ausgebildeten Facharztes, der das medizinische Equipment auch richtig zu verwenden und bedienen weiß.

Zu dieser dunklen Zeit begann nun mein zweiter Ärztemarathon – den ersten, den in meiner Kindheit und Jugend, beschrieb ich ja bereits im Kapitel Meine Schmerzen I –, der bis heute immer noch nicht richtig abgeschlossen ist. Im Jahr 2007 wurden ich und meine Körperflüssigkeiten also permanent und höchst intensiv von allen möglichen Ärzten und medizinischen Institutionen auf das genaueste untersucht, geröntgt, punktiert, zentrifugiert etc. – um nicht zu sagen: fachgerecht auseinandergenommen und bis ins kleinste zerlegt. Die abschließenden Ergebnisse dieses geballten Einsatzes an intellektuellem Wissen und ärztlichem Forschungsgeist (und den immensen Beiträgen der Krankenkassenmitglieder) waren die aktualisierte Sicherung bereits bestehender Diagnosen und die Entdeckung bzw. Feststellung diverser neuer Krankheitsbilder – nur eines wurde dabei nicht enträtselt: die Ursachen meiner Schmerzen. Und so wurde ich – zum wiederholten Male – zum Versuchskaninchen für Therapien und Medikamente aller Art (u.a. auch das beliebte, gern und oft verwendete Cortison in allen möglichen Dosierungen und Darreichungsformen), ganz gleich, ob zugelassen oder nicht, oder die sich sogar noch in der Erprobungsphase befanden, die, außer einem

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gewissen Quantum an Nebenwirkungen, alle nicht sonderlich erfolgreich anschlugen – und wenn ich so darüber nachdenke, eigentlich gar nicht. Denn im Prinzip betrachtet mich die versammelte Ärzteschaft in toto von medizinischer Seite als ‚austherapiert‘ (ein hässliches kleines Wort; ein Unwort, das der desaströsen Lage nicht im mindesten gerecht wird), alles weitere ist rein experimentelle Versuchsanordnung. Zur Zeit, während ich diese Zeilen schreibe, teste ich ein Medikament (bzw. wird an mir getestet), welches in Spritzenform verabreicht und subkutan appliziert wird. Alle zwei Wochen gibt es eine Spritze, die im Kühlschrank aufzubewahrende Schachtel beinhaltet zwei Spritzen und kostet unglaubliche 1.500 Euro, also 750 Euro pro Injektion. Dieses Präparat soll die Entzündungen bekämpfen, die permanent in allen meinen Gelenken toben und teilweise für meine unmenschlichen Schmerzen verantwortlich sind (bzw. von meinen Doktoren dafür verantwortlich gemacht werden). Angeblich sollen die entsprechenden Entzündungswerte in meinem Blutbild innerhalb kurzer Zeit, etwa in ein bis zwei Wochen, merklich besser werden. Nun, ich lasse mich überraschen, etwas anderes kann ich ohnehin nicht tun, aber bis jetzt merke ich körperlich noch keine Besserung, nur einige der vielen, vielen Nebenwirkungen, so z.B. in Form einer fast vollständig lahmgelegten Peristaltik und der selbstverständlich daran anschließenden starken Obstipation, Harnverhalt, Vereiterung der Nasennebenhöhlen, dünner und brüchiger werdender Haut und leichten Halluzinationen, schlagen voll durch. Und noch eine andere seltsame Veränderung an meinem Knochenbau registrierte ich, und zwar hat sich das ursprüngliche, lange Zeit schon bestehende hörbare Knacken in den Gelenken in einigen in ein lautes Knirschen gewandelt, aber ich weiß nicht, was das medizinisch signalisieren soll, ob es therapeutisch gut ist oder schlecht, oder ob es überhaupt etwas bedeutet.

Seit Anfang des Jahres 2007 also marschiere ich unentwegt durch alle möglichen medizinischen Instanzen; ich war bei Orthopäden, bei Endokrinologen, bei Kardiologen, bei Gastroenterologen, bei Rheumatologen, bei Zahnärzten, bei Psychiatern und Psychotherapeuten, in einer Art Versuchsklinik für unbekannte rheumatoide Erkrankungen, in einer psychosomatischen Klinik, in Schmerzambulanzen etc.pp. Ich hörte merkwürdige, a priori schon vollkommen unwahrscheinlich klingende kuriose bis exotische Diagnosen, ich hörte völlig unpassende und absolut unprofessionelle Sätze, wie etwa: ‚ Nun stellen Sie Sich doch nicht so wehleidig an, anderen Leuten geht es viel schlechter als Ihnen‘ (welcher in meinen Augen eine der übelsten, primitivsten, unmenschlichsten Phrasen überhaupt darstellt), manche Ärzte und Institutionen wussten erst gar nicht, was sie überhaupt mit mir anfangen sollten, manche stritten aufs heftigste untereinander und hatten angesichts einer möglichen Therapie völlig diametrale Ansatzpunkte (falls sie generell welche hatten), manche weigerten sich rigoros, mich zu behandeln (einige von Anfang an, einige erst später – vermutlich wurde ich bzw. meine langwierige Behandlung mit selten gebrauchten Medikamenten auf Dauer zu teuer; so hörte ich auch mehrfach den mental aufbauenden Spruch, ich sei nicht wirtschaftlich genug – einmal sogar nach mehrjähriger Behandlung bei ein und demselben Arzt; diese herzlose, schäbige Platitude in einer solch desolaten Situation traf mich dann doch menschlich und persönlich wie ein imaginärer Hammerschlag und stürzte mich in die nächste, in eine dreiwöchige depressive Episode, da ich bis dahin eigentlich dachte, wir hätten ein einigermaßen solides, partnerschaftliches Arzt-Patient-Verhältnis), doch das höchste der negativen Gefühle ist es, wenn einen so eine angeblich kompetente Koryphäe trotz aller handgreiflichen, für jeden medizinischen Laien offensichtlichen Daten und vielfach untermauerten Unterlagen allen Ernstes und ohne auch nur rot zu werden als einen ‚asozialen Simulanten‘ hinstellt, nur weil sie selbst nicht mehr weiter weiß – denn das ist das letzte, was ich in meiner ohnehin schon angespannten und angeschlagenen Situation gebrauchen und verarbeiten kann.

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Für die vielen bedauernswerten Menschen weltweit, die, ebenso wie ich, unter teilweise den unerträglichsten Schmerzen leiden, wäre es sicherlich von erheblichem Vorteil, hätte Mutter Natur es weiland eingerichtet, dass sich betroffene Stellen am Körper auffällig einfärben würden, z.B. grün, und je stärker der zu ertragende Schmerz, desto intensiver und greller das lokale Kolorit. Dann müssten sich etliche Erkrankte nicht permanent von unfähigen, unsensiblen, aber unglaublich selbstgefälligen und impertinenten Ärzten als arbeitsscheue Lügner, wahnhafte Hypochonder oder schlicht als faule Simulanten futieren und beleidigen lassen, die zu allem privaten Unglück auch noch die ungebührende Macht in ihren Händen halten, den ohnehin schon physisch wie psychisch gepeinigten Patienten aus reiner aufgeblasener, arroganter und hybrider Insolenz die mit Sicherheit nötige Behandlung strikt zu verweigern – eine solche ‚Therapie‘ haben diese schmerzgeplagten Menschen wahrhaftig nicht verdient (und der angebliche, meiner Meinung nach supraokular infraluminierte ‚Doktor‘ sein Honorar eigentlich auch nicht – Ärzte sollten erst nach einer Behandlung und nur bei Erfolg entlohnt werden). Ein wenig mehr zu solcherart unqualifizierten und inkompetenten Medizinern findet sich weiter unten im anschließenden Kapitel Meine Ärzte, aus dem auch eindeutig ersichtlich wird, warum ich nicht besonders viel von dieser hochwohlgeborenen, vielfach überschätzten Gattung halte, und woher ich denn eigentlich meine ätzende Meinung und ablehnend zynische Haltung ihnen gegenüber habe.

Das chronische Schmerzsyndrom erweist sich in seiner bereits mehrere Jahrzehnte anhaltenden Langwierigkeit als äußerst hinterhältige, heimtückische Erkrankung. Ein typisches Exempel: nach einer mehrere Wochen oder gar ein oder zwei Monate dauernden Phase des permanenten Schmerzes, nur wechselnd zwischen starken, stärkeren und stärksten Beschwerden (natürlich begleitet von dementsprechend deprimierenden psychischen Indispositionen), klingen innerhalb kürzester Zeit, in etwa ein bis zwei Tagen, die signifikantesten Symptome ab und es bleibt nur mehr ein relativ geringer, mithilfe der verschriebenen Schmerztabletten einigermaßen aushaltbarer Grundschmerz auf vergleichsweise niedrigem Level zurück. Nach etwa einer Woche ohne eine feststellbare negative Steigerung in der durchschnittlichen Krankheitsqualität überfällt mich eine dunkle, ominöse Skepsis ob des langen, im Prinzip schmerzfreien Zeitraums. Ab der zweiten Woche beginnt meine labile, angeschlagene Psyche sich langsam zu erholen und sukzessive aufzuhellen, und eine positive Erwartungshaltung breitet sich aus, ob sich die desolaten, desaströsen Störungen meines gequälten Körpers eventuell doch verbessern könnten. Bereits nach der dritten Woche verhältnismäßiger Schmerzfreiheit wird es mir schon langsam peinlich, wenn ich sozusagen den Rest der Menschheit arbeiten sehe und daran denken muss, dass ich sie Monat für Monat finanziell mit meiner frühen Rente respektive meinen immensen Medikamentenkosten belaste. Spätestens nach der vierten, höchstens jedenfalls nach der fünften Woche aber schlägt das chronische Schmerzsyndrom wieder voll zu und alles Angenehme und Positive ist auf einmal wie weggeblasen (denn wozu nennt man es sonst ‚chronisch‘?). Die altbekannten körperlichen Beschwerden schießen schier endlos in die Höhe, während synchron das geistige Befinden unhaltbar ins Bodenlose zurückstürzt – ein perfekter Circulus vitiosus in aeternum.

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Meine ÄrzteWer sich nun erfolgreich bis hierher, bis zu diesem Kapitel durch mein Manuskript vorgearbeitet hat, kann sich vermutlich unschwer vorstellen, dass ich in meinem relativ kurzen Leben im allgemeinen – und in meiner relativ langen Krankheitsgeschichte im besonderen – mit nicht gerade wenigen Ärzten, Doktoren, Professoren, Krankenschwestern und -pfleger, Therapeuten, sogenannten Fachkoryphäen und brillanten Autoritäten ihrer Fakultät (à la bonne heure) zusammentraf und mich, meist unfreiwillig, hinsichtlich meiner diversen medizinischen Indispositionen mit ihnen zusammen- und auseinandersetzen musste. In den wenigsten Fällen entwickelte sich zu meinem Leidwesen eine fundiert professionelle, konstruktive Kooperation mit einer gewissen Art von defensivem Vertrauensverhältnis (im engen Rahmen meiner oben dargestellten psychischen Möglichkeiten), welches auf freundlich-distanzierter bilateraler Ästimation beruhte; öfter jedoch erwuchs eine fast aggressive, kontroverse diagnostische Konfrontation daraus, die für beide Seiten selbstverständlich kein positives Ende fand (– doch für mich noch wesentlich weniger als für meinen nicht krankheitsbetroffenen Kontrahenten, der aufgrund dessen auch nicht emphatisch nachvollziehen konnte, was tatsächlich mit mir und in mir vorgeht – ein arrogant-hybrider Fachidiot, mit Verlaub gesagt, dem sein Titel und Salär wichtiger sind als hilfesuchende Patienten; aber ich habe es, nach meinen ersten abschlägigen Erfahrungen, auch nicht anders erwartet (außerdem sollte der Text in der Klammer im Plural interpretiert werden)).

Die erste, älteste Erinnerung meines Lebens ist die an einen höchst unprofessionellen Arzt, einen Chirurgen, und es ist, wie sollte es auch anders sein, eine überaus negative. Als Kind und auch noch als Jugendlicher hatte ich einen ständig wiederkehrenden Traum, nein, eigentlich war es schon eher ein böser, tiefsitzender Albtraum. Ich sah mich, den weit aufgerissenen Mund voller medizinischer Geräte, weinend in einem übergroßen OP-Stuhl sitzen, während jemand, den ich nicht richtig erkennen konnte, aus vollem Halse schimpfend ständig auf mich einschlug. Als ich mich mit etwa 14 Jahren überwand und den periodisch auftretenden Traum meiner Mutter erzählte, war sie sehr erstaunt darüber und berichtete, dass mir im zarten Alter von etwa zweieinhalb Jahren die Mandeln gekappt werden mussten, da sie permanent unter Eiter standen und ich noch um einiges zu jung war, um sie vollständig zu exstirpieren. Im weiteren Verlauf der offensichtlich ziemlich roh und stümperhaft ausgeführten Operation wollte ich vor lauter Schmerzen den Mund nicht öffnen, obwohl längst einige der kalten metallenen Geräte in meinem Hals steckten (– bereits damals war ich offensichtlich schon ein wenig renitent unqualifizierten Akademikern gegenüber). Zur freundlichen Ermunterung und liebenswürdigen Ansporn, doch noch bis zum Ende der chirurgischen Intervention einigermaßen kooperativ zu sein, gab mir der augenscheinlich ostensiv gewalttätige Operateur daraufhin ein paar kräftige Ohrfeigen, während er mich lautstark verunglimpfte. Nun denn, wenigstens habe ich diesen medizinischen Eingriff (oder sollte man es hier klar und deutlich einen – in meinen Augen bereits kriminellen – ‚Übergriff‘ nennen?) überlebt. Ist das nicht schön, eine solch absolut unnötige und höchst unangenehme Erinnerung als die erste seines Lebens nennen zu können? Danke, Doktor! (anathema sit)

Einen sogenannten Kinderarzt hatte ich damals als Kind nie, ich wurde sofort und ungefragt vom langjährigen Hausarzt meiner Eltern und Geschwister vollumfänglich in Beschlag genommen, annektiert, konfisziert und absorbiert. Dieser war ein überaus gemütlicher und jovial inkompetenter Doktor vom Lande, der schlichtweg alles, was sich nicht als simpler bakterieller Schnupfen

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entpuppte, sogleich weiter zu den entsprechenden Fachärzten oder Kliniken überwies; nur höchst selten (und vermutlich auch ungern) übernahm er selbst einige inadäquate, deplacierte Heilungsversuche. Dann sammelte er alle diagnostischen Befunde der beauftragten Konsiliarärzte wieder ein, bzw. wartete darauf, bis alle medizinischen Testergebnisse langsam eintrudelten, und orakelte letztendlich eine eventuelle Krankheit daraus. Dieser einnehmend leutselige, konziliante Doktor war dann auch der erste, der mit meinen damals schon allseits vorhandenen Gebrechen nicht zurechtkam und mir sibyllinisch prophezeite, dass ich mit all meinen exotischen Erkrankungen keine zwanzig Jahre alt werden würde. Und damit ich das Ganze in meinen jungen Jahren alles so verkrafte, schickte er mich wohlwollend zu einem angeblich versierten Psychotherapeuten – ebenjenem, der bereits nach der sechsten oder siebten Sitzung die noch nicht einmal richtig begonnene Therapie von sich aus abbrach, da er vorgeblich mit mir nicht konstruktiv zusammenarbeiten konnte (ich erwähnte ihn bereits des Öfteren (cf. ut supra)). Doch wenn jemand – wie etwa dieser sogenannte ‚fachkundige‘ Psychologe – es a priori nicht verkraftet, dass andere Personen (auch Laien) in seinem professionellen Hauptressort u.U. besser und sachkundiger sein können als er selbst, dann hätte er nicht so einen fast ausschließlich kontaktzentrierten, auf sozialer und psychotherapeutischer Zwischenmenschlichkeit basierenden Beruf wählen sollen. Meiner bescheidenen Meinung nach hatte dieser freundliche, aber selbstgerecht sensible Herr komplett das für ihn optimale Arbeitsgebiet verfehlt (– oder er hatte es von Beginn an falsch angegangen).

Etwa zur gleichen Zeit, so um mein sechzehntes Lebensjahr herum, gab es in meinem noch jungen Dasein eine kurze, aber gewaltig einschneidende Etappe von vier Wochen, in der mich das – weiland noch unter dem Namen HTLV-III bekannte und firmierte – AIDS-Virus heimsuchte (ein außerordentlich unglaublicher Vorfall ärztlicher Stümperei und primitiv aversiver Voreingenommenheit!). Es begann vollkommen harmlos und unspektakulär damit, dass ich während der Schulferien wegen einer manifesten Tracheobronchitis in ein Krankenhaus meiner Heimatstadt eingeliefert wurde, wo ich mich fortan unzähligen medizinischen Untersuchungen und tagtäglichen Blutabnahmen ausgesetzt sah. Soweit, so gut (– und wenn es mir gesundheitlich hilft, noch akzeptabel) – doch nach etwa einer Woche begann das plötzlich vermummt auftretende Pflegepersonal langsam und auffällig unauffällig, meine vier oder fünf Mitpatienten des Krankenzimmers in andere Räume zu verlegen, bis ich letztlich alleine in dem großen, steril weißen Schlafsaal war. Dann erschien eine Horde Weißkittel an meinem Bett und eröffnete mir kurz und knapp, dass ich bzw. mein Blut positiv auf AIDS getestet worden wäre und ich somit dementsprechend zum Sterben auf die geschlossene Quarantänestation des Krankenhauses München Schwabing verlegt werden würde. Umgehend standen auch schon zwei mit Gasmasken und Ganzkörper-ABC-Schutzanzügen verkleidete Sanitäter im Zimmer, verpassten mir instantan einen Mundschutz und karrten mich blitzartig auf die Münchner AIDS-Station. Dort verblieb ich nun eingesperrterweise für die nächsten zwei Wochen, untergebracht in einem relativ normalen, aber abgeschlossenen Zweibettzimmer, und musste wiederum zahllose Untersuchungen (u.a. eine absolut unangenehme, schmerzhafte und widerliche starre Bronchoskopie) und bis zu drei Blutabnahmen täglich (je zehn bis fünfzehn Röhrchen) über mich ergehen lassen – ich war nach der ersten Woche auf der Quarantänestation schon regelrecht blutarm. Und da im gesamten gesammelten Untersuchungsmaterial leider keine andere medizinische Ursache für die Erkrankung gefunden wurde und auch mein Körper keine suspekten Einstichstellen zu bieten hatte (denn sie wollten mir ursprünglich als primären Krankheitsauslöser einen massiven Drogenkonsum und den damit verbundenen unsachgemäßen Gebrauch unsteriler Kanülen anhängen), versuchten die Stationsärzte verzweifelt, mir eine Homosexualität – zumindest eine latente – einzureden, die ich jedoch zu ihrem

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Bedauern weder hatte noch zugab; geglaubt haben sie mir trotzdem nicht. Das Bett neben mir wurde währenddessen permanent mit irgendwelchen spindeldürren, kachektischen Halbleichen belegt, die, kaum hatte ich mich ein wenig an sie gewöhnt, auch schon wieder wegstarben. Als nun die dritte Woche anbrach, kam zur täglichen Visite erstaunlicherweise nur ein einzelner Arzt zu mir (und das ohne den obligatorischen Mundschutz) und meinte lapidar, ich könne jetzt meine Sachen packen und nach Hause gehen, ich hätte wohl doch kein AIDS und alles beruhe nur auf einem unbedeutenden, marginalen Missverständnis – das Labor des Krankenhauses meiner Heimatstadt hätte wohl unerfreulicherweise die relevanten Blutröhrchen verwechselt (die einzige bescheidene Sanktion, die völlig unzureichende Konsequenz auf diesen offensichtlichen Kunstfehler, denn das mutmaßlich positive Ergebnis hätte zumindest noch einmal verifiziert gehört, war die aktionistische Suspendierung der betreffenden Mitarbeiterin; obwohl meiner Meinung nach der für die Untersuchung verantwortliche Arzt seinen Hut hätte nehmen müssen). Doch zur persönlichen Absicherung solle ich mir doch noch für ein Jahr monatlich das Blut auf das AIDS-Virus testen lassen, denn vielleicht habe mich ja zufällig einer meiner verstorbenen Zimmergenossen angesteckt. Doch zu meinem Glück blieb auch in Zukunft alles negativ (im wahrsten Sinne des Wortes) – bis dato wurden bei mir schon über 40 HIV-Tests durchgeführt.

Was meine Eltern, meine damalige Freundin und ich während den darauffolgenden Monaten durchleben mussten, ist mit Worten kaum zu beschreiben – es war die oft zitierte Hölle auf Erden. Zum Glück war es damals mit den öffentlichen Medien und dem üblen Investigativjournalismus noch nicht so pervers und penetrant wie heute, doch in einer bayrischen Kleinstadt, einem größeren Dorf in der Provinz mit etwas mehr als zehntausend Einwohnern, veranstaltete die höchst unsensible, neugierige und attraktionslüsterne Bevölkerung alleine schon eine penetrante Hexenjagd, denn schließlich wusste, dank der Fama, die mit wehenden Fahnen in Windeseile und mit Feuereifer unter das inquisitorisch veranlagte Volk gebracht wurde, jeder, aber wirklich jeder bis hin zum letzten Dorfdeppen Bescheid, als ich aus der Münchner Klinik kam – und letzten Endes war ich nun einmal das erste AIDS-Opfer in der näheren Umgebung, welch herrliche Sensation! Zuerst war es für mein persönliches Umfeld ein Grauen, mich in der Klinik auf den offenbar nahen Tod warten zu sehen (verständlicherweise inklusive einiger körperlicher wie auch geistiger Zusammenbrüche; vermutlich hatten sie noch mehr seelische Probleme, da ich aber nicht wirklich mit der Gabe der interpersonellen Empathie gesegnet bin, wäre alles weitere nur inakkurate und unpräzise Spekulation), danach ging das Grausen aber weiter, da keiner wirklich glaubte, dass ich nicht an AIDS erkrankt war. Wir wurden gemieden wo es nur ging, man weigerte sich, uns die Hand zu geben, und wenn mich die Leute in der Stadt kommen sahen, deuteten sie offen und ohne Skrupel mit dem Finger auf mich und wechselten flugs die Straßenseite – ich könnte sie ja mit meinem hochtoxischen Odem des Todes anatmen. Meine ohnehin wenigen Bekanntschaften aus der Schule wurden noch weniger, da ihre hypersensiblen, übervorsichtigen Eltern ihnen strikt jeden direkten Umgang mit mir verboten; denn, wenn ich schon kein AIDS hatte, dann sicher irgendetwas anderes infizierendes, tödliches, und wenn es nur giftige Läuse und Flöhe sind. Schließlich steckt in jedem Gerücht ein Körnchen Wahrheit – und ich war ja auf der Sterbestation in der Hauptstadt, da muss doch was gewesen sein! Und so mutierte ich zur von allen gemiedenen Persona ingrata Nummer Eins in meiner eigenen Heimatstadt – ein wahrlich elendes, scheußliches Gefühl. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis ich zumindest mein näheres soziales Umfeld (Schule etc.) einigermaßen davon überzeugen konnte, dass ich weder schwul, krank noch ansteckend sei (zumindest mit dieser speziellen Unpässlichkeit), und dass ich nicht hic et nunc tot umfallen würde (obwohl das manche sicher gern gesehen hätten – ein wandelnder Problemfall weniger). Dies war auch die Zeit meiner ersten zaghaften Suizidversuche,

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die, wie man wohl merkt, allesamt fehlschlugen, nur einige der äußeren und inneren Narben sind bis heute zurückgeblieben. Besser wurde die gesamte verfahrene Situation eigentlich erst dann, als ich der perfiden Kleinstadt und ihren rechtschaffen kleingeistigen und impertinenten Bürgern endgültig den Rücken kehrte und in die damals noch geteilte Stadt Berlin dislozierte. Dort, fern der Heimat in meiner kleinen anachoretischen Eremitage, absolvierte ich schließlich mit Erfolg das Staatsexamen zur Erlaubnis der Führung des beruflichen Titels ‚Medizinischer Präparator‘. Anschließend zog ich der Arbeit wegen nach München, der bayrischen Metropole (– fast hätte ich ‚Nekropole‘ geschrieben –) an der Isar und Regierungssitz Bayerns; ich habe meine mikrologische, aporetische Heimatstadt seit nunmehr über fünfzehn Jahren nicht mehr richtig gesehen, höchstens noch dann und wann für einen ausnehmend seltenen ein- bis zweistündigen Blitzbesuch zur Erledigung irgendwelcher amtlicher oder halbprivater Formalitäten. Und wenn ich die Ergebnisse der massiven städtischen Umbaumaßnahmen sehe, muss ich zugeben, dass ich mich dort einfach nicht mehr zurechtfinde und alles ziemlich fremd und absolut nicht mehr heimatlich auf mich wirkt; selbst mein Elternhaus, in dem ich mehr als zwanzig Jahre wohnte, gibt es so nicht mehr, wie ich es in Erinnerung habe – und das alles nur wegen einer einstmals im Laboratorium versehentlich verwechselten Blutprobe; und wenn man schon den angeblich sicheren offiziellen Laborergebnissen nicht vertrauen kann, wie dann den Ärzten und Doktoren allgemein?

Während meiner Studienzeit in Berlin West von 1987 bis 1988 konfrontierten mich die dort ansässigen Medizinmänner mit der nächsten unglaublichen, niederschmetternden Fehldiagnose, denn auf einmal hatte ich TBC, eine hochinfektiöse, offene Lungentuberkulose! Und das kam so: eines schönen Morgen im Oktober – die Sonne schien, die Vögel zwitscherten – hustete ich beim obligatorischen Zähneputzen ein wenig Blut aus. Ohne mir etwas böses dabei zu denken, erzählte ich diesen kleinen, in meinen Augen relativ unbedeutenden, nebensächlichen Zwischenfall vor der ersten Vorlesung meinem damaligen Physiologiedozenten, doch das war, wie ich sofort bemerken sollte, ein extraordinär großer Fehler – denn binnen einer Stunde war ich in Quarantäne und eine weitere Stunde später wusste die gesamte Universitätsklinik bis hin zur letzten Aushilfsputzfrau, dass ich todkrank, hochansteckend und absolut zu meiden war. Meine – zu ihrem Glück weit entfernt weilenden – Eltern waren diesen medizinisch inszenierten Zirkus mittlerweile einigermaßen gewohnt und regten sich nicht weiter auf, vor allem auch, weil ich ihnen während des informativen Telefongesprächs nur das unbedingt nötigste erzählte, doch ich wartete wieder einmal auf meinen baldigen Tod – und irgendwie kam mir die ganze phantasmagorische Situation seltsam bekannt, ja, geradezu vertraut vor, ein lupenreines Déjà-vu-Erlebnis. Während der weiteren Untersuchungen wurde als Zufallsdiagnose noch ein manifester Morbus Crohn verifiziert, doch in Sachen TBC waren alle zur Verfügung gestandenen und durchgeführten Tests (Röntgen, Blutuntersuchungen, Bronchoskopien inklusive diverser Biopsien etc.) negativ ausgefallen, zum höchsten Erstaunen – und einigem Unmut – der versammelten Fakultät. Schließlich konnte der mysteriöse Fall doch noch zufriedenstellend (vor allem für mich) gelöst und vollständig aufgeklärt werden: in meiner Nase bzw. in einer Nebenhöhle saß ein einsamer Polyp, der in besagter Nacht wohl ein wenig traurig vor sich hin blutete, das Blut lief mir in den Hals-Rachen-Raum, von wo ich es am Morgen wieder heraus hustete – das war’s. Wie dem auch sei, für den Rest dieses Semesters wurde ich von meinen mitfühlenden Dozenten und verständnisvoll sensiblen Kommilitonen gemieden, wo sie nur konnten (um nicht zu sagen: gemieden wie die Pest – das wäre näher an der trostlosen Realität), denn, wie ich bereits weiter oben geschrieben habe: in jedem Gerücht steckt ein Körnchen Wahrheit. Meine psychische Konstellation während dieses äußerst bitteren, verwirrenden und in sich malignen Envenements kann man sich sicherlich vorstellen (es wurde mal wieder höchste Zeit für einen

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zünftigen Suizidversuch), so dass ich sie aus hoffentlich verständlichen Gründen nicht weiter und ausführlicher darlegen möchte.

Das nächste deprimierende, skandalöse Erlebnis mit der ärztlichen Gilde ließ nicht lange auf sich warten – es geschah anno 1990, knappe zwei Jahre nach meiner Pseudotuberkulose, und war eine weitere katastrophale, äußerst schmerzhafte und zudem höchst lebensbedrohliche Fehldiagnose. Im Sommer, es war etwa Ende Juli, Anfang August, begann urplötzlich und ohne Vorankündigung mein linkes Bein an, auf grausame, unmenschliche Art und Weise zu schmerzen, es wurde feuerrot und schwoll bis auf fast den doppelten Normalumfang an; es passte kaum mehr in eine Hose, doch auch die reine, leichteste Berührung des Stoffes auf der Haut ließ mich vor Qualen schreien, aber in diesem jämmerlichen Zustand konnte ich ohnehin nicht mehr gehen. Für meinen Hausarzt, ja, der von vorhin, war die Sache sonnenklar; es wäre eine simple Muskelentzündung, konstatierte er voller Elan und Überzeugung, und verschrieb mir als Therapie der Wahl zwölf Lymphdrainagen und zwei Krücken. Um es vorauszuschicken: dieses war das letzte Mal in meinem Leben, dass ich einem Mediziner vertraute – es soll nie wieder vorkommen! Doch weiter im Text: nach etwa zwei Monaten wurden die Verhältnisse ganz langsam besser, zumindest konnte ich einigermaßen mit den Gehhilfen laufen, wenn auch keine längeren Strecken, und die Schwellung ging gleichfalls ein wenig zurück. Nachdem aber schließlich ein halbes Jahr ohne deutliche Besserung verstrich, kam der Arzt endlich auf die glorreiche Idee, mich zu jemandem zu überweisen, der sich vielleicht etwas besser damit auskennt. Als ich dann bei diesem Kollegen vorstellig wurde und ihm die ganze tragische Misere berichtete, warf er einen kurzen, prüfenden Blick auf das Bein, schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen, wies mich umgehend in ein Krankenhaus ein und meinte zu mir, dass ich unendlich froh sein könne, überhaupt noch zu leben oder mein Bein noch zu haben; die demoralisierende Diagnose: tiefe Bein- und Beckenvenenthrombose mit einem frei flottierenden Thrombus im oberen Bereich; d.h. wenn die weiland verschriebene Lymphdrainage nur eine kleine Nuance fester angewandt worden wäre, hätte sich das lockere Teil mit Sicherheit gelöst und wäre entweder ins Herz, in die Lunge oder ins Gehirn geschossen, und hätte so eine massive, hundertprozentig letale Embolie ausgelöst! Auch hätte das betroffene Bein wegen des anfangs akuten und dann permanenten, chronifizierten Sauerstoffmangels nekrotisieren und letztendlich amputiert werden können! Die durchgängig heftigen Schmerzen entstanden u.a. durch die mechanische Weitung der Blutgefäße bei der Bildung sogenannter Umgehungskreisläufe, dem körpereigenen Versuch, die erkrankte Extremität ausreichend mit Blut und dem damit verbundenen Sauerstoff zu versorgen, und dieses auch wieder vollständig zurück in Richtung Herz zu transportieren. Und wieder einmal war ich an einem psychischen Endpunkt angelangt, der mich über Monate hinweg von meinem ‚normalen‘ Leben ausschloss. Natürlich konnte man mir bei der schweren Thrombose nicht mehr helfen, da sie eindeutig ein halbes Jahr zu spät diagnostiziert wurde, und so bekam ich ein postthrombotisches Syndrom (PTS), ein hochpotentes Cumarin-Derivat zur Blutverdünnung und einen unbequemen Gummistrumpf, einen prophylaktischen Kompressionsstrumpf, auf das ich künftig keine Thrombose mehr bekäme, zumindest nicht in diesem ohnehin schon lädierten Bein…

Die nun folgenden Jahre, wie sollte es auch anders sein, wenn man die dramatische und indignierende Vorgeschichte betrachtet, verliefen ähnlich desolat und trostlos wie die vielen vorangegangenen, wenn ich so allgemein an meine freiwilligen wie unfreiwilligen Begegnungen mit Ärzten oder ähnlich weißgekleideten Personen zurückdenke. Die nächste kolossale Fehldiagnose ließ dann auch nicht lange auf sich warten – genauer gesagt, nur etwa vier Jahre –, kam von einer angeblich renommierten Universitätsklinik und lautete diesmal auf systemischen Lupus erythematodes, i.e. eine sogenannte Autoimmunerkrankung, eine Kollagenose aus dem

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rheumatoiden Formenkreis, von dem die dithyrambisch motivierten Doktoren diesmal so hellauf begeistert und grenzenlos überzeugt waren, dass ich mich sogar einigermaßen zuversichtlich auf einen Rechtsstreit auf Anerkennung einer Behinderung gegen den Freistaat Bayern vor dem Sozialgericht einließ. Eigentlich hätte ich es ja aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen besser wissen müssen – denn als es dann ernst wurde und an meinen ach! so stringent enthusiasmierten Ärzten war, mir ein wenig wohlwollend und unterstützend zur Seite zu stehen, zogen sie sich mit diversen menschlich fragwürdigen und fachlich fadenscheinigen Argumenten aus dem laufenden Verfahren, dem gesamten gerichtlichen Vorgang zurück; es wäre wohl alles nicht so gemeint gewesen wie es jetzt offiziell präsentiert werde, außerdem bestehe ja nur ein dringender Verdacht auf, so hätten sie es nie gesagt, wir sind noch in der abschließenden Untersuchungsphase, tatsächlich verifiziert sei noch gar nichts, Blablabla (und ähnlich deprimierendes, intrigantes und überflüssiges Geseiere mehr). Und so stand ich wieder einmal völlig allein im Regen (metaphorisch gesprochen) und von allen guten und bösen Geistern verlassen (ebenfalls metaphorisch gemeint). Dass ich mich in dem unangemessen hochgelobten Krankenhaus bei diesen rückgratlosen Quacksalbern und hinterhältigen Scharlatanen nie wieder blicken ließ, versteht sich wohl von selbst, und von einem etwaigen systemischen Lupus erythematodes hat seither kein Mensch oder Mediziner mehr gesprochen – und wieder einmal eine enigmatische, spontane Selbst- bzw. Wunderheilung; ich bin eben ein medizinisches Rätsel.

Um nun die unglaublich abenteuerlichen und seelisch äußerst belastenden Geschehnisse noch einmal retrospektiv klar und deutlich zu explizieren: die bis hierher in diesem Kapitel Meine Ärzte deskribierten unfassbaren Ereignisse aus meinem maroden, gesundheitlich ziemlich angeschlagenen Leben repräsentieren nur einige rudimentäre Fragmente, einen absolut minimalen Teil meiner im Prinzip permanent negativen und zutiefst deprimierenden Erfahrungen mit Krankheiten, Kliniken und Doktoren (wobei so mancher Doktor selbst auch eine Krankheit ist; nicht umsonst wird so manche Erkrankung nach einem Mediziner benannt, z.B. Morbus Bechterew); diese empörende Kollektion des kalten Grauens, dieses haarsträubende Sammelsurium der evident lebensbedrohlichen Fehldiagnosen und unerhört skandalösen Kunstfehler illustriert sozusagen nur die horrende Spitze eines gigantischen Eisbergs. Auf die kleineren Debakel, Katastrophen und Desaster der heilkundlichen Disziplin, die man mir über die verstrichenen Jahrzehnte hinweg angedeihen ließ, bin ich also bis dato noch gar nicht weiter bzw. tiefgreifender eingegangen und werde es auch nicht mehr tun, denn es würde diesen – ursprünglich als kleine anamnestische Autobiographie gedachten – Text zu einem tragischen, riesigen, übermütig detailreichen und zumindest mehrbändigen Mammutprojekt aufblähen, welches sicherlich auch einige straf- oder zivilrechtliche Prozesse nach sich zöge, die ich aber auf diese anonymisierende, andeutende Art und Weise zu verhindern suche. Immerhin lässt sich aus dem bisher Niedergelegten wieder einmal eindeutig und offensichtlich erkennen, dass die hochgelobte medizinische Disziplin mitnichten eine definitive, apodiktische Wissenschaft verkörpert, eher ein mehr oder weniger halbblindes Suchen und Stochern in Myriaden von bekannten und unbekannten Krankheiten, die dann letztlich meist wieder auf die gute, alte, relativ bewährte Ausschlussdiagnostik zurückgreift. Auf alle Fälle hatte ich nach der letzten himmelschreienden Geschichte erst einmal mehr als genug von alledem und verweigerte in der darauffolgenden Zeit bewusst und vehement jegliche medizinische Intervention in mein gesundheitlich angeschlagenes Leben – bis es dann im weiteren Verlauf der ersten Jahre des neuen Millenniums schließlich nicht mehr gefahrlos durchzuführen war und das Ganze in einem kompletten, alles tangierenden psychischen und physischen Zusammenbruch endete, ich also ungebremst in eine vollumfängliche Dekompensation stürzte. Alles, was danach mit mir geschah und

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immer noch geschieht, gehört zum aktuellen Krankheitsbild und wurde bereits ausführlich im Rest dieser Niederschrift präsentiert und präzisiert.

An dieser dafür prädestinierten Stelle möchte ich noch einmal ein wenig genauer auf jene anthropomorphen Kreaturen eingehen, die trotz allgemeiner fachlicher Unwissenheit und offensichtlicher humaner Defizite die aberwitzige Frechheit besitzen und völlig unverfroren ein euphemistisches ‚Dr.med.‘ vor ihren Namen auf das Türschild setzen, sich aber ihren bedauernswerten Patienten gegenüber so geben und benehmen, als hätten sie dieses akademische Prädikat irgendwo auf dem Schwarzmarkt gekauft oder in einer Tombola gewonnen – sozusagen ein echter Titel ohne wahren Wert. Es sind dies die Ärzte, die einen Kranken frohgemut und ohne weiter nachzudenken als psychotischen Hypochonder und/oder als arbeitsscheuen Simulanten hinstellen und beleidigen, nur weil sie selbst keine Ahnung von der speziellen Krankheit des armen Betroffenen haben, und ohne auch nur im Ansatz zu ahnen, was für menschliche Tragödien sie mit solchen unbedachten Expressionen auslösen können; ich spreche da aus eigener leidvoller Erfahrung. Manches Mal haben sie mit dieser devastierenden Diagnose sicherlich recht, oftmals aber auch nicht, zum Leidwesen der Betroffenen, und dementsprechend sollte bei solch unsicheren Aussagen immer, und zwar ohne Ausnahme, eine zweite Meinung gehört werden, und wenn es sei muss, auch eine dritte – kein Arzt kennt alle Erkrankungs- und Symptomformen. Auch der weiter oben bereits erwähnte Satz: ‚Nun stellen Sie Sich mal nicht so wehleidig an, anderen Menschen geht es viel schlechter als Ihnen.‘ beweist eine geradezu himmelschreiende Missachtung des menschlichen Lebens und eine unzulängliche, niveaulose, vulgäre Primitivität sondergleichen, denn es gibt immer jemanden, dem es schlechter geht – außer Leichen, denen kann es naturbedingt nicht mehr schlechter gehen. Diesen personifizierten Eisblöcken fehlen fraglos diverse, unbedingt benötigte Eigenschaften und positive Qualitäten, die einen wirklichen Arzt und Mediziner erst richtig ausmachen und die er zur beidseitig zufriedenstellenden Berufsausübung notwendigerweise besitzen muss; hier nur die wichtigsten:

Respekt: Dies ist der erste und wichtigste Punkt in dieser kleinen Liste. Ohne aktiven, wirklichen Respekt verliert der Arzt den Draht, die menschliche Verbindung zu seinen Patienten. Bei vielen Medizinern musste ich leidvoll miterleben, wie die Menschen, die ihrerseits höchst respektvoll und voller Vertrauen in die moderne Medizin und deren offizielle Vertreter ihre kostbare Gesundheit, ja, ihr einzigartiges Leben in ärztliche Hände legten, von diesen arrogant und menschlich unaufmerksam fast ausschließlich als Arbeits-, Versuchs- und Testmaterial behandelt und wie seelenlose Objekte be- und ausgenutzt wurden; es gibt ihrer ja so viele, und wenn die diskutierte Therapie nicht anschlägt und einer wegstirbt, kommt ohnehin gleich der nächste – außerdem kann man die Leiche, den Kadaver, immer noch als Obduktions- und Anschauungsmaterial an der Universität, beispielsweise im Präparationskurs, verwenden; so ist er wenigstens nicht umsonst gestorben…

Aufmerksamkeit: Es wäre sicherlich von großem Nutzen, wenn Ärzte ihren Patienten auch wirklich und mit konsequenter Aufmerksamkeit zuhören würden, und zwar nicht nur dem, was sie sagen, sondern auch dem, was sie nicht sagen; damit ließen sich mit Sicherheit viele Missverständnisse, Fehldiagnosen und falsche Therapien a priori vermeiden. Denn die grundsätzliche Problematik ist hier, dass fast alle Kranken in jeder Beziehung medizinische Laien sind, die manches Mal (um nicht zu sagen: meistens bis immer) nicht einmal wissen, was sie eigentlich haben, wo es genau schmerzt, wie es sich anfühlt und vor allem, wie sie es einigermaßen verständlich beschreiben und kundtun sollen. Bedauerlicherweise herrscht mittlerweile auch bei den Medizinern akuter Zeitmangel, und so kommt es eben des Öfteren

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vor, dass aufgrund dieses Aufmerksamkeitsdefizits einige Patienten fehlerhaft diagnostiziert und therapiert werden – mit anderen Worten: dass sie nach dem Arztbesuch kränker sind als vorher…

Ehrlichkeit: Ein wenig zurückhaltende, aber trotzdem offenherzige Ehrlichkeit würde manchem Mediziner auch gut zu Gesichte stehen, was aber nicht gleich heißt, dass er bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine persönliche Meinung ausposaunen soll – schließlich gibt es einen immensen Unterschied zwischen objektiver Wahrheit und subjektiver Betrachtungsweise. Bevor also ein ohnehin phobischer und labiler Patient überstürzt und unbedacht mit irgendwelchen todbringenden Diagnosen konfrontiert wird, sollte man sie erst ausreichend und u.U. sogar mehrfach (soll heißen, mit unterschiedlichen Verfahrensweisen) verifizieren, sonst springt der fälschlich Todgeweihte vielleicht umsonst aus dem Fenster. Ebenso verhält es sich mit der pseudodiagnostischen Verbalinjurie ‚Simulant‘ bzw. ‚Hypochonder‘, denn nur weil Arzt A keine Erkrankung feststellt, heißt das noch lange nicht, dass nicht Arzt B doch eine findet; denn niemand, auch kein Doktor, ist infallibel…

Freundlichkeit: Ich denke, zu diesem letzten Passus in dieser kurzen Enumeration muss ich nicht allzu viel erklären – ich hoffe es zumindest inständig; es sollte eigentlich eine nicht erwähnenswerte Selbstverständlich sein, dass ein wenig bilaterale Freundlichkeit im sozialen interpersonellen Umgang einfach mit dazugehört. Das ich dieses aber extra aufführen muss, zeugt davon, dass sie im Allgemeinen leider nicht am normalen zwischenmenschlichen Modus in der Praxis oder im Krankenhaus, also dem existentiellen, höchst relevanten Arzt-Patient-Verhältnis, partizipiert.

Es sind dies alles Punkte der im Prinzip allseits bekannten Humanität, die jeder Mediziner noch aus der Studienzeit, der Famulatur etc. weiß, nur werfen viele im Laufe der berufstätigen Jahre ihre einstmals guten Vorsätze über Bord, stumpfen seelisch ab oder brennen innerlich aus. Einige bräuchten mit Sicherheit selbst eine psychotherapeutische Behandlung und medizinische Therapie, nur sind sie sich selbst gegenüber nicht ehrlich genug, um sich das auch einzugestehen. Ein kranker Arzt – ein Paradoxon, das nicht sein darf. Also werden sie zynisch und nihilistisch und lassen ihre privaten Probleme an den Patienten aus, die letzten Endes aber auch nichts dafür können.

Was ich zum Schluss dieses Kapitels, in dem unsere einheimischen Mediziner nicht wirklich positiv charakterisiert wurden (wobei sie die ganze blamable Kalamität, diese fatale, extraordinär peinliche Malaise, wie gesehen bzw. gelesen, ungewöhnlich intensiv und sua sponte selbst provoziert und somit auch einzig und allein sich selbst zuzuschreiben haben – außerdem deskribierte ich auch nur jene insuffizienten Doktoren, mit denen ich persönlich das exklusive Missvergnügen hatte, ihnen zu begegnen und mich von ihnen untersuchen und so etwas ähnliches wie behandeln (‚therapieren‘ wäre hier wohl die faktisch falsche, übertrieben euphemistische Expression) lassen zu müssen; es gibt sicher noch andere, qualifiziertere, doch je länger ich nach diesen suche, desto öfter stelle ich frustriert und demoralisiert fest: ein wirklich fachlich versierter und menschlich kompetenter Doktor ist ohne Frage ein rara avis, sozusagen), doch noch anmerken möchte: Ärzte, die tatsächlich so mutig sind, ehrlich zuzugeben, dass sie bei einem speziellen Krankheitsfall keine Ahnung und dementsprechend auch keine passende Diagnose anzubieten haben, sind mir tausendmal lieber als solche, die mir irgendeine Diagnose aufstempeln und als gesichert aufschwatzen wollen, obwohl sie ebenfalls keine Ahnung haben; denn jeder mehr oder weniger interpretationsfähige ‚Verdacht auf‘ bleibt auch ein solcher, bis er in toto verifiziert werden kann oder eben nicht. Doch für viele unserer

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Doktoren geht es wohl gegen ihren akademischen Ehrenkodex und/oder ihren intellektuellen Stolz, eine potentielle Unwissenheit offiziell zu konzedieren und zu akzeptieren – Schade.

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NachwortDie realen Namen der vielen Ärzte und Therapeuten, die – aus wohlüberlegtem Selbstschutz (und ein wenig Paranoia) durch mich anonymisiert – in dieser schwarzen Tragödie meines schmerzerfüllten Lebens mitspielen, sind mir zumeist noch einigermaßen geläufig, viele sind aber auch bereits seit langem dem tiefen, endgültigen Vergessen anheimgefallen oder wurden schon kurz nach Abschluss der traurigen Begegnung mit ihren Trägern erfolgreich verdrängt. Auch manche Kliniken und anderweitige Institutionen sind mir mittlerweile entfallen, sowohl ihre explizite Bezeichnung als auch ihre geographische Lokalität; doch wenn es tatsächlich sein müsste, denke ich, könnte man sie immer noch qua intensiver investigativer Recherche eruieren, da die gesammelten medizinischen Befunde bei meinen jetzigen oder ehemaligen Hausärzten, bzw. deren Nachfolgern vermutlich noch zu finden sind. Doch ich glaube, die meisten dieser laienhaften Akteure dürften tief in ihrem Inneren froh sein, wenn man sich, ob ihrer dilettantischen Arbeitsweise und stümperhaften Quacksalberei, ihrer nicht erinnert. Der eben erwähnte Selbstschutz bezieht sich darauf, dass ich, da ich meine persönliche, durch viele selbst erlittene Begebenheiten solide fundierte Meinung über manche der hier vorgestellten Personen recht offenherzig, teilweise auch ziemlich drastisch und mit plakativen Expressionen zum Ausdruck brachte, keine Klagen hören und mich auch keinen Klagen ausgesetzt sehen möchte. Die Ärzte und Therapeuten, die ich in meinem Manuskript mit partiell negativen, eventuell auch leicht insultierenden Worten bedachte, erkennen sich, obwohl ich weder ihre Namen noch ihre Praxisadressen preisgab (höchstens noch die Stadt ihres suspekten Wirkens), vielleicht wieder – aber wenn sie sich tatsächlich und hundertprozentig wiedererkennen sollten, beweist das doch nur klar und eindeutig, dass ich mit meinen schriftgewordenen Deskriptionen recht hatte bzw. habe; aber zur Einleitung rechtlicher Schritte gegen mich oder meinen Text (z.B. zur Erwirkung einer einstweiligen Verfügung gegen die Publizierung meines Buches) sollte es in meinen Augen nicht ausreichen, denn die medizinisch akademisierten Attentäter sind zwar persönlich gemeint, aber nicht persönlich genannt worden.

All das, was ich hier niedergelegt habe, ist praktisch nur ein Resümee, ein Syllabus meines bisherigen Lebens und eine determinierte Momentaufnahme aus dem Sommer des Jahres 2009, d.h. das tragische Ende des bereits etliche Dezennien andauernden Trauerspiels ist mit Abschluss dieser kleinen Elukubration noch längst nicht erreicht. Je nachdem, was dereinst noch alles geschieht und wie lange ich noch auf Erden weile, noch weilen möchte, gibt es vielleicht irgendwann noch einen zweiten Teil; und danach? – eventuell schreibe ich damit ja meinen eigenen Nachruf (mit dem ihm eigenen bitteren Nachgeschmack einer chronisch kranken Existenz), der dann erst postum publiziert wird; wer weiß denn schon, was die Zukunft, wenn es denn eine gibt, so alles mit sich bringt?

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DanksagungDiese kleine Niederschrift widme ich meiner geliebten Frau S., die mir mit ihrer gefühlvollen Zuneigung und dem größtmöglichen Verständnis seit vielen Jahren schon protegierend zur Seite steht; ohne sie wären diese autobiographischen Texte auf sehr reale und drastische Weise wohl nie geschrieben worden. Sie hat mir zu meinem Glück immer hilfreich beigestanden, obwohl ich bereits seit längerem diese – hier deskribierten – unangenehmen, teilweise schwer verständlichen physischen und psychischen Leiden habe, die fatalerweise zudem eine unerquickliche, prekäre Progredienz ihr unseliges Eigen nennen. Sie half mir durch dunkle, schmerzhafte Tage, an denen ich mich nicht einmal selbständig ankleiden konnte, geschweige denn laufen oder auch nur eine Flasche öffnen. Auch während der schwarzen, trostlosen Zeiten meiner depressiven Episoden war und ist sie mittlerweile ein unentbehrlich gewordener, ungemein konstruktiver und außerordentlich stabilisierender Faktor meines ansonsten tristen Bestehens. Das persönliche Zusammensein, das tägliche Leben mit mir ist nicht einfach geworden, vor allem, wenn ich wieder einmal Nächtens recht lärmintensiv schlafwandele oder gar unglücklich stürze und um Hilfe rufen muss. Nicht selten war sie gezwungen, bei nachtschlafender Zeit aufzustehen und mir wieder auf die Beine zu helfen, ab und zu kommt sie sogar nicht umhin, mich und meine Wunden ärztlich sowie pflegerisch zu versorgen, obwohl sie selbst zur Arbeit geht und bei Schichtdienst um fünf Uhr früh antreten muss. Sie ist die unschätzbare, unersetzliche Stütze meines morbid-maroden Daseins, und ich weiß nicht einmal ansatzweise, wie und ob ich ihr das jemals zurückgeben oder angemessen honorieren kann. Ihr danke ich aus vollstem Herzen.

Ich bedanke mich recht vielmals und auf das denkbar herzlichste bei Frau G.W., deren höchst saturierende Bekanntschaft ich während eines (für mich ansonsten ziemlich trost-, reiz- und erfolglos gebliebenen) Krankenhausaufenthalts in einer nahe des Chiemsees gelegenen psychosomatischen Klinik machen durfte. Bei ihr fühle ich mich in besonderem Maße verstanden und geborgen, außerdem empfinde ich eine tiefe, angenehme Seelenverwandtschaft, die ich bereits mein ganzes Leben suchte, und die sich beispielsweise auf unseren partiell relativ ähnlich gelagerten psychischen Indispositionen gründet (aber nicht nur). Mit ihr gründete ich auf privater Basis eine kleine, aber höchst erfolgversprechende und positiv aufbauende (natürlich unmoderierte) Selbsthilfegruppe, da wir der grundlegenden Meinung sind, dass wir uns aufgrund unserer mehr oder weniger vergleichbaren Erlebnisse und Erfahrungen besser verstehen und eventuell auch besser helfen und unterstützen können als jeder noch so versierte externe Therapeut, der im Prinzip noch nie solch tiefgreifende und lebensverändernde Erfahrungen durchmachen musste, sondern sich nur aus einigen diesbezüglichen Fachbüchern und über Patientenerzählungen darüber informieren konnte. Einige spezielle Redewendungen und sozietären Konstellationen im vorliegenden Text habe ich direkt aus unseren therapeutischen Zwiegesprächen übernommen, da ich sie alleine nicht treffender hätte formulieren können. Ich glaube, Du wirst sie erkennen…

Vielen Dank!

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Anhang

Meine Diagnosen1. Chronisches Schmerzsyndrom2. Antiphospholipidsyndrom (APL; auch APS, seltener Hughes-Syndrom)3. Raynaudsyndrom4. Morbus Crohn, incl. Reizdarm5. Primärbiliäre Leberzirrhose (PBC) bei [4.]6. Tiefe Beinvenenthrombose links bei [2.]7. Postthrombotisches Syndrom (PTS) bei [6.] 8. Alopecia areata9. Lymphadenopathie10. Rezidivierende Abszesse (Achseln, Kniegelenke, Leiste) bei [2.]11. Chronische Gehörgangsekzeme bei [2.]12. Pruritus13. Migräne14. Mittelgradige depressive Episoden15. Dysthymia16. Schizoide Persönlichkeitsstörung17. Dissoziative Bewegungsstörung18. Zwangshandlungen bei [14.]19. Schlafstörungen bei [14.]:

a. Ein- und Durchschlafstörungenb. Vorzeitiges Erwachen incl. Pavor nocturnusc. Albträumed. Somnambulismus, z.T. mit Selbstgefährdung

20. Dissoziative Störungen wiea. Depersonalisationb. Derealisation

21. Parästhesien der unteren Extremitäten22. Taubheit beider Großzehen23. V.a. Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS)

Stand: II. Quartal 2009

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Literatur

Cioran, E.M.: Lehre vom Zerfall; Stuttgart 1978

Deleuze, Gilles/Guattari, Fèlix: Anti-Ödipus, Kapitalismus und Schizophrenie I; Frankfurt/Main 1977Deleuze, Gilles/Guattari, Fèlix: Tausend Plateaus, Kapitalismus und Schizophrenie II; Berlin 2005

Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft, Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft; Frankfurt/Main 1973

Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes, USA 1981, Regie: Steven SpielbergIndiana Jones und der Tempel des Todes, USA 1984, Regie: Steven SpielbergIndiana Jones und der letzte Kreuzzug, USA 1989, Regie: Steven Spielberg

Serres, Michel: Der Parasit; Frankfurt/Main 1987

Spreewinkl ,Kain L. von: Gedanken zur Todesstrafe, Eine Gesellschaftskritik; Hamburg 2006Spreewinkl ,Kain L. von: Gedankensplitter, Aphorismen und Fragmente; Hamburg 2006Spreewinkl, Kain L. von: An manchen Tagen…; unveröffentlicht

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Mein Abschlussstatement

Leave me alone!

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