max weber 20.12.2014

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Max Weber und die Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg ? X X X Wolf Reinbach

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  • Max Weber und die

    Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg

    ?

    X X X

    Wolf Reinbach

  • Max Weber und die Burschenschaft Allemannia Heidelberg

    von Dr. med. Wolf-Diedrich Reinbach

    Burschenschaft Allemannia Heidelberg, (SS 1968, GB. 1321)

    Heidelberg, 1999 - 2014

  • 1. Auflage: Juni 2000 (20 Exemplare) 2. (korrigierte) Auflage: November 2000 (20 Exemplare) 3. (unvernderte) Auflage: Januar 2003 (20 Exemplare)

    4. (illustrierte) Auflage: (2014 - ungedruckt)

    Dem Andenken meines Vaters

    Prof. Dr. med. Wolfgisbert Reinbach (11. Oktober 1911 1. Mai 1994),

    aktiv bei der Burschenschaft Allemannia Heidelberg SS 1931, Ehrenband der Burschenschaft Germania Erlangen SS 1977,

    der mir das Archiv der B. Allemannia erschlossen hat

    und der die hier dargestellten Zusammenhnge nicht mehr erfahren konnte.

  • Inhaltsverzeichnis

    Vorwort Teil I: Familire Bindungen Max Webers an Heidelberg

    und die dortige Burschenschaft Allemannia S. 1 - Die Shne des Komponisten Felix Mendelssohn

    Bartholdy, die Beschreibung der Geschichte Griechenlands, die Firma "AGFA", familire Zusammenhnge, eine reprsentative Villa am Heidelberger Neckarufer und die Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg S. 1

    - Bedeutende Mitglieder der Allemannia Heidelberg S. 1 - Die Verwandtschaft der Mendelssohn Bartholdys mit

    Max Weber S. 2 - Die verwandtschaftlichen Beziehungen, die die Brder

    Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy sowie Max Weber zu ihrem Eintritt in die Allemannia fhrten S. 3

    - Die Familie Mendelssohn Bartholdy S. 3 - Die Anfnge der jetzigen Burschenschaft Allemannia

    zu Heidelberg S. 5 - Die Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy am

    Beginn der Geschichte der Allemannia S. 9 - Werdegang und Bedeutung von Karl Mendelssohn

    Bartholdy S. 12 - Werdegang und Bedeutung von Paul Mendelssohn

    Bartholdy S. 14 - Das Fallensteinsche Haus in Heidelberg Ziegelhuser

    Landstrae 17, familirer und gesellschaftlicher Treffpunkt S. 16

    - Verwickelte Verwandtschaftsverhltnisse S. 20 - Die Beziehungen zur Familie von Georg Weber S. 22 - Drei Allemannen gleichzeitig als Universittsrektoren S. 32 - Die weiteren Zusammenhnge in Berlin S. 33

    - Franz Oppenheim, Generaldirektor der AGFA 1898-1925 S. 33

    - Max Webers Beziehungen zur B. Allemannia vor seinem Eintritt S. 34

    - Die Bedeutung Albrecht Mendelssohn Bartholdys S. 38

    Verwandtschaftsverhltnisse der Familien Souchay, Mendelssohn Bartholdy, Wach, Oppenheim, Fallenstein, Weber (2 x) und Schnitger (graphische bersicht) S. 40/41

    Teil II: Max Webers Weg zur Burschenschaft Allemannia S. 42 - Die Verantwortung Marianne Webers bei der

    Herausgabe der Jugendbriefe - Marianne Webers Unkenntnis der Verhltnisse in Burschenschaften S. 42

    - Marianne Weber - Tochter eines Burschenschafters (Eduard Schnitger, B. Teutonia Jena 1863) S. 44

    - Max Webers Kontakte zu Verbindungen in Heidelberg zu Beginn seines Studiums im SS 1882 S. 45

    - Max Webers ambivalentes Verhltnis zur Burschenschaft Allemannia vor seiner Aktivenzeit (SS 1882) und whrend seiner Aktivenzeit (WS 1882/83 und SS 1883) S. 63

    - Die Hintergrundsituation in der Burschenschaft Allemannia (1871-1886) S. 77

    - Die gespannte Situation im SS 1883 S. 79 - Zwei Berichte aus authentischer Quelle S. 81 - Die Bedeutung des langsam wachsenden

    Antisemitismus S. 89 - Die innere Situation in der Allemannia seit 1871 S. 93 - Die finanzielle Situation der Allemannia S. 95 - Die Burschenschafter in Max Webers nherer

    Verwandtschaft S. 102 - Max Webers weiterer Weg als Allemanne S. 102

  • - Max Webers Austritt aus der Burschenschaft Allemannia S. 103

    - Reaktionen aus der Allemannia auf den Austritt Max Webers S. 104

    Zeittafel SS 1882 - SS 1883 S. 111 25. Stiftungsfest der Allemannia SS 1882 S. 120 Namenregister S. 126 Literatur und Quellen S. 135 Der Autor S. 143

    Vorwort

    Max Weber ist wohl das berhmteste Mitglied der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg gewesen. Seine geistesgeschichtliche Bedeutung ist unumstritten. Seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft Allemannia ist in der ffentlichkeit bekannt. Wenig bekannt sind heute aber Korporationen und das Leben in ihnen. So kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Anfragen bei der Burschenschaft Allemannia, was denn ber die Zugehrigkeit Max Webers bei ihr bekannt sei, ob es denn Dokumente gebe, die seine Aktivitt bei der Allemannia belegen, was denn die Burschenschaft Allemannia fr eine Vereinigung sei und nach vielem anderen mehr. Seine Mitgliedschaft lt sich nicht mehr durch Originaldokumente belegen, da das Archiv der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg seit der Besetzung Heidelbergs durch die Amerikaner 1945 entwendet worden ist. Es gibt jedoch sehr unterschiedliche Zeugnisse, welche zusammengebracht doch ein Bild von Max Webers Aktivenzeit erstehen lassen, auch ein Bild von seiner nicht ganz gewhnlichen Haltung zu seiner Verbindung. Der Verfasser ist in der glcklichen Lage, erstens das Leben in derselben Korporation seit 1968 erfahren zu haben und immer noch zu erleben und das Archiv der Allemannia dadurch genau zu kennen. So war es mglich, eine Reihe von Zusammenhngen aufzudecken. Besonders aufschlureich fr Wax Webers Weg zur Allemannia sind die verwandtschaftlichen Beziehungen zu neun frheren Mitgliedern dieser Verbindung, vor allem zu den Brdern Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy, den Shnen des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, und zur Familie des Gymnasialprofessors und Geschichtsschreibers Georg Weber. In der ffentlichkeit waren diese Beziehungen bisher nicht bekannt (Teil I dieser Abhandlung). Vor allem aber ein Vergleich der "Jugendbriefe" Max Webers mit den Daten aus dem Personalarchiv der Allemannia bringt einige interessante Aspekte ans Licht (Teil II dieser Abhandlung).

  • Der Zweck dieser Abhandlung ist, den Max-Weber-Forschern, die immer wieder nach der Beziehung des Gelehrten zu der Allemannia fragen, eine Informationsschrift gerade zu diesem Thema zu geben. Da dabei manchmal korporationsspezifisches Grundwissen erklrt werden mu, bitte ich alle Leser aus den Reihen der studentischen Korporationen zu entschuldigen.

    Heidelberg, 7.11.1999 Wolf-Diedrich Reinbach

    Vorwort zur illustrierten Neuauflage

    Im Jahre 2001 erhielt der Verfasser die Bitte des Vereins der Studentenhistoriker, fr diesen im Herbst in Soest einen Vortrag ber den Inhalt dieser Schrift zu halten. Zu diesem Zweck wurden einige Bilder zur Illustration des Vortrags angefertigt. Der Vortrag wurde im April 2002 noch einmal auf dem Haus der Allemannia gehalten. Es entstand die Idee, diese Bilder bei einer Neuauflage in den Text einzubeziehen. Das erfordert Zeit, die einem beruflich am Krankenhaus ttigen Assistenzarzt nicht in dem Mae zur Verfgung steht, in dem es fr diesen Zweck erforderlich ist. Weiterhin hat der Verfasser zwischen 1984 und 2006 das gesamte Personalarchiv der Burschenschaft Allemannia berarbeitet und zum 150. Stiftungsfest im April 2006 als Goldenes Buch der Burschenschaft Allemannia herausgegeben (ca. 1200 Seiten mit fast 2000 Personaleintrgen). In der Neuauflage dieser Arbeit ber Max Weber sind bei Erwhnung von Mitgliedern der Allemannia die Referenznummern im Goldenen Buch (GB. + Zahl) der Allemannia angegeben; z.B. Max Weber (GB. 334). Das Goldene Buch der Allemannia kann bei dieser zum Preis von 40,- erworben werden. Im brigen wurden nur einige kleine Fehler ausgebessert, minimale Ergnzungen vorgenommen sowie die zahlreichen Funoten vom Ende des Textes in den laufenden Text auf das Ende der jeweiligen Seite verschoben.

    Heidelberg, den 7.11.2007 Der Verfasser

  • 1

    Teil I Familire Bindungen Max Webers an Heidelberg

    und die dortige Burschenschaft Allemannia

    Die Shne des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, die Beschreibung der Geschichte Griechenlands, die Firma "AGFA", familire Zusammenhnge,

    eine reprsentative Villa am Heidelberger Neckarufer und die Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg

    Bedeutende Mitglieder der Allemannia Heidelberg In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war eine ausgesprochen hohe Anzahl spterer berhmter Gelehrter oder auch fhrender Persnlichkeiten aus Verwaltung und Wirtschaft als Studenten in der Burschenschaft Allemannia Heidelberg aktiv. Die bekanntesten Namen sind (die hier genannten Wissenschaftler sind allesamt Ordinarien gewesen): Name Ttigkeit - Franz Adickes (GB. 168 b / 351) Oberbrgermeister in Frankfurt - Friedrich Berwerth (GB. 260) Mineraloge - Gerhard Bunnemann (GB. 124) Oberbrgermeister in Bielefeld - Theodor Eimer (GB. 171) Zoologe - Adolph Emmerling (GB. 104) Agrikultur- und Biochemiker - Theobald Fischer (GB. 166) Begrnder der wiss. Geographie - Otto (von) Gierke (GB. 55) Rechtsgelehrter und -lehrer - Hermann Hitzig (GB. 108) klassischer Philologe - Hugo Kronecker (GB. 71) Physiologe - Otto Lenel (GB. 205) Rechtsgelehrter und -lehrer - Moritz Litten (GB. 188) Internist - Edgar Loening (GB. 168 a / 193) Rechtsgelehrter und -lehrer - Richard Loening (GB. 199) Rechtsgelehrter und -lehrer - Otto Lubarsch (GB. 322) Pathologe

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    - Otto Mayer (GB. 192) Begrnder des Verwaltungsrechts - Karl Mendelssohn Bartholdy (GB. 38) Historiker (neuzeitliche

    Geschichte Griechenlands) - Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 65) Grnder und Chef der

    "AGFA" - Konrad Oebbeke (GB. 272) Mineraloge - Franz Oppenheim (GB. 258) Generaldirektor der "AGFA" - Jakob Schipper (GB. 144) Philologe (Anglist) - Reinhold (von) Sydow (GB. 222) Preuischer Handelsminister - Alfred Voeltzkow (GB. 317) Zoologe - Adolf Wach (GB. 132) Rechtsgelehrter und -lehrer - Emil Warburg (GB. 159) Physiker - Heinrich Weber (GB. 88) Mathematiker - Max Weber (GB. 334) Jurist, Begrnder der Soziologie - Hans Wibel (GB. 428) Historiker (Monumenta

    Germaniae Historica) - Karl Winkelmann (GB. (338 a / 377) Chirurg, OP nach Winkelmann Eine betrchtliche Anzahl der eben Genannten waren Juden oder stammten aus jdischen Familien: Kronecker, Lenel, Litten, E. und R. Loening, Lubarsch, K. und P. Mendelssohn Bartholdy, Oppenheim und Warburg. Der Anteil der akademischen Oberschicht in Deutschland war wesentlich geringer als heute. So kamen Akademiker oft durch Familienbande zusammen. Die Studentenverbindungen waren eine selbstverstndliche Erscheinung an den Universitten, so da ihnen ein groer Prozentsatz der Studentenschaft angehrte. Eine logische Folge war, da bedeutende Mnner mit grerer Wahrscheinlichkeit als heute durch Familie oder Studentenverbindung oder gar beides miteinander bekannt waren. Die Bedeutung dieses Phnomens fr das geistige Leben in Deutschland sollte man nicht unterschtzen. Ein Beispiel, wie sich ein solcher familir-korporativer Zusammenhang bedeutender Gelehrter in der Burschenschaft Allemannia Heidelberg entwickelt hat, soll im folgenden dargelegt werden.

    3

    Die Verwandtschaft der Mendelssohn Bartholdys mit Max Weber Die Namen von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) und Max Weber (1864-1920) sind in der ffentlichkeit im allgemeinen bekannt. Wenig bekannt dagegen ist, da sie (durch Heirat) miteinander verwandt waren: Felix Mendelssohn Bartholdys Frau Ccile, geb. Jeanrenaud (1817-1853) war eine Cousine von Max Webers Mutter Helene, geb. Fallenstein (1844-1919); bzw. deren Mtter, Elisabeth Jeanrenaud, geb. Souchay (1796-1871), und Emilie Fallenstein, geb. Souchay (1805-1881), waren Schwestern. In der ffentlichkeit wei man im allgemeinen, da Max Weber in seiner Studentenzeit einer Studentenverbindung angehrte. Bei dem heute geringen Interesse an den tatschlichen Verhltnissen in Studentenverbindungen wird diese Tatsache eher beilufig zur Kenntnis genommen, zumal Weber ja, wie von der ffentlichkeit wieder zur Kenntnis genommen wird, aus der Studentenverbindung, der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg, am 18.10.1918, also weniger als zwei Jahre vor seinem Tode ausgetreten ist. Die Shne Felix Mendelssohn Bartholdys, Karl und Paul, sind einer breiteren ffentlichkeit heute nicht mehr gelufig. Aber auch sie haben Bedeutendes geleistet; und beide waren sie Mitglieder der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg (GB. 38 und GB. 65). Nach den oben erwhnten Verwandtschaftsbeziehungen waren sie Vettern zweiten Grades von Max Weber. Max Weber trat also auch in die selbe Studentenverbindung ein wie sie (GB. 334)!

    Die verwandtschaftlichen Beziehungen, die die Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy sowie

    Max Weber zu ihrem Eintritt in die Allemannia fhrten:

    Die Familie Mendelssohn Bartholdy Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy stammten vterlicherseits aus einer jdischen Familie, die in fnf Generationen zwischen Aufklrung und Nationalsozialismus bedeutende Persnlichkeiten des deutschen Geisteslebens hervorbrachte. Ihr Urgrovater war Moses Mendelssohn (1729 - 1786), der sich einen Namen als jdischer Religionsphilosoph machte. Moses Mendelssohn trat

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    fr die Integration und Emanzipation der Juden in Deutschland ein. Entscheidende Anste hierzu gingen von der Aufklrung aus. Die Gleichheit aller Brger, die als Idee dann auch in der Franzsischen Revolution die zentrale Rolle spielte, lie ihn die Integration der Juden fordern. In der Konsequenz dessen sprach Moses Mendelssohn ein gepflegtes Deutsch im Gegensatz zum Jiddisch seiner Vorfahren. Gotthold Ephraim Lessing setzte Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal in der Gestalt seines "Nathans des Weisen". Moses' Sohn Abraham Mendelssohn (1776 - 1835) war Bankier und weniger bekannt als sein Vater und auch als sein Sohn Felix. Demzufolge soll er von sich gesagt haben: Ich bin nur der Sohn meines Vaters und der Vater meines Sohnes. Abraham Mendelssohn ging mit dem Gedanken der Integration der Juden in Deutschland noch einen Schritt weiter: er lie seine Kinder evangelisch taufen, spter auch seine Frau und sich. Mit dem bertritt zum Christentum nahmen Abraham und seine Kinder den Familiennamen Mendelssohn Bartholdy an, dessen beide Bestandteile er ohne Bindestrich schrieb - zum Zeichen, da die jdischen und christlichen Wurzeln gleichberechtigt nebeneinander stehen. Sein Sohn Felix bernahm diese Schreibweise, der andere Sohn Paul und seine Nachkommen schrieben sich mit Bindestrich. Abrahams Sohn Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 - 1847) ist der bekannteste Vertreter der Familie. Als bedeutender Komponist der deutschen Romantik hat er einen unsterblichen Namen. Die Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21 und 61, das Violinkonzert in e-moll op. 64, die Italienische Symphonie (Nr. 4 A-Dur op. 90), die Schottische Symphonie (Nr. 3 a-moll op. 56) und das Oratorium Elias op. 70 - um nur eine unvollstndige Auswahl zu nennen - sind Werke der musikalischen Weltliteratur. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy hinterlie bei seinem Tode am 4.11.1847 in Leipzig fnf unmndige Kinder:

    Karl (geb. 1838, neun Jahre alt; eig. Carl; er schrieb ab 1860 Karl), Marie (geb. 1839, acht Jahre alt), Paul (geb. 1841, sechs Jahre alt), Felix (geb. 1843, vier Jahre alt; er starb 1851 als Kind) und Lilli (geb. 1845, zwei Jahre alt).

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    Die Mutter der Kinder, Ccile Mendelssohn Bartholdy, geb. Jeanrenaud, stammte aus einer Frankfurter Hugenottenfamilie. Sie wohnte mit ihren Kindern weiter in Leipzig, reiste schwerkrank im Sommer 1853 zu ihren Verwandten nach Frankfurt und starb dort am 25. September 1853. Die verwaisten (vier) Kinder wurden bei Verwandten untergebracht, und zwar die Shne beim Bruder des Vaters, Paul Mendelssohn-Bartholdy, in Berlin (dieser Familienzweig schreibt den Namen Mendelssohn-Bartholdy mit Bindestrich, der Bruder, also der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Nachkommen, jedoch ohne Bindestrich), und die Tchter bei der Frankfurter Gromutter Elisabeth Jeanrenaud, geb. Souchay. Die in Berlin lebenden Shne Karl und Paul M. B. fhlten sich jedoch auch bei der Frankfurter, der mtterlichen, Verwandtschaft wohler als bei der Berliner, der vterlichen. Bei Besuchen in Frankfurt lernten sie in den Jahren 1853 - 1857 die dortige Verwandtschaft kennen, die Beziehungen zu Burschenschafter-kreisen hatte; Elisabeth Jeanrenauds Bruder Eduard Souchay de la Duboissire (1800 - 1872) war Mitglied der Heidelberger Urburschenschaft 1819.

    Die Anfnge der jetzigen Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg Die Burschenschaft Allemannia in Heidelberg wurde am 7.11.1856 gegrndet. Zu ihren Grndern gehrte ein Zirkel junger Studenten, der sich bereits in den Semestern zuvor getroffen hatte, und der nach der Herkunft der meisten seiner Mitglieder die Manhemia-Francofurtia genannt wurde. Die elf Mannheimer Mitglieder der Allemannia, die zu ihren Grndern gehrten oder noch im Laufe des selben Semesters (WS 1856/57) beitraten, gaben Anla zu der Anekdote, da die Allemannia Heidelberg sich deshalb mit ll und nicht mit l - wie viele andere Verbindungen gleichen Namens - schreibe, weil ihre Grnder alle Mannemer (Heidelberger Dialekt, auf Deutsch: alle Mannheimer) gewesen seien. Die elf Mannemer waren: Karl Diffen (GB. 2; 1836-1902, zuletzt Kaufmann in

    Mannheim, Sohn des Mannheimer Oberbrgermeisters Heinrich D.)

    Viktor Lenel (GB. 6; 1838-1916, zuletzt Kommerzienrat in Mannheim, Mitinhaber der Rheinischen Gummi- und

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    Die Bilder dieser Seite

    Oben das Caf Boley neben dem westlichen Brckentorturm der Alten Brcke. Hier wurde im Obergescho am 7.11.1856 um 10 h die Burschenschaft Allemannia gegrndet. Die Allemannia benutzte das Lokal aber nur ein Semester lang. Das Haus wurde im Mai 1897 abgebrochen. Rechts: Blick von der anderen Neckarseite auf Alte Brcke und das Caf Boley. Im Haus im Vordergrund (Neuenheimer Landstrae 8) lebte von 1841-1888 der Geschichtsschreiber Georg Weber, der zum 30. Stiftungsfest der Allemannia die Ehrenmitgliedschaft bekam. Vgl. das Bild auf S. 23

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    Celluloid-Fabrik (Markenname: Schildkrt-Puppen), Stifter des Kinderheims Viktor-Lenel-Stift in Neckargemnd)

    Jakob Reichert (GB. 11; 1836-1896, zuletzt Bezirksarzt in Durlach)

    Albert Schoch (GB. 13; 1837-1916, zuletzt geh. Oberfinanzrat in Karlsruhe)

    Leo Weller (GB. 15; 1838-1889, zuletzt prakt. Arzt in Baden-Baden)

    Otto Weller (GB. 16; 1836-1886, zuletzt Vorstand der Dngerfabrik in Kaiserslautern)

    August Herrschel (GB. 21; 1837-1906, zuletzt Kaufmann in Mannheim)

    Leopold Schmidt (GB. 22; 1836-1905, zuletzt Geh. Oberregierungsrat in Karlsruhe)

    Heinrich Seelos (GB. 24; 1836-1901, zuletzt Medizinalrat in Lichtenthal bei Baden-Baden)

    Wilhelm Glaser (GB. 26; 1835-1889, zuletzt Obereinnehmer, Vorstand des Finanzamtes in Buchen)

    Die Frankfurter Mitglieder dieses Kreises waren: Paul Reinganum (GB. 12; 1836-1885, zuletzt Rechtsanwalt in

    Frankfurt) Ferdinand Klein (GB. 5; 1836-1909, zuletzt Fabrikbesitzer in

    Kronberg/Ts.) Eduard Oppenheim (GB. 9; geb. 1837, ausgetreten 1904,

    Advokat, Aktuar in Frankfurt bis 1873, dann freischaffend) Gustav Adolf Humser (GB. 4; 1835-1818, spter Rechtsanwalt,

    Stadtverordneten-Vorsteher in Frankfurt, Geh. Justizrat. Humser starb 1918 als letzter der Grnder der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg. In Frankfurt ist eine Strae nach ihm benannt)

    Dieser lockere Kreis, der Manhemia-Francofurtia genannt wurde, bildete den Hauptstamm der Grnder der Allemannia. So ist es in den bundeseigenen Darstellungen der Allemannia ber ihre Grndung beschrieben. Die brigen, weder aus Mannheim noch aus Frankfurt stammenden Grndungsmitglieder der Allemannia, waren:

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    Ludwig Bohm (GB. 1; geb. 1836, ausgesch. 1861, aus Rastatt) Friedrich Hack (GB. 3; 1837-1897, aus Weinheim, zuletzt prakt.

    Arzt in Leimen bei Heidelberg) Wilhelm Ostertag (GB. 10; 1834-1857, aus Pforzheim, als

    Jurastudent bei einem Blitzunfall am 6.9.1857 ums Leben gekommen)

    Ludwig Stocker (GB. 14; 1832-1900, aus Weiler am Steinsberg, zuletzt Pfarrer a.D. in Mingolsheim)

    Anton Bauer (GB. 19; 1837-1892, aus Grombach bei Sinsheim, zuletzt prakt. Arzt in Untermnstertal)

    Karl Forschner (GB. 20; geb. 1838, ausgesch. 1857, spter hoher badischer Finanzbeamter)

    Jakob Schtz (GB. 23; 1835-1896, aus Edingen bei Mannheim, zuletzt prakt. Arzt in Ladenburg)

    Fritz Corten (GB. 25; 1836-1862, aus Vechta, zuletzt Dr. jur. der einzige Norddeutsche der Grnder der Allemannia)

    Im zweiten Semester des Bestehens der Allemannia, SS 1857, kamen noch folgende Frankfurter zu ihr: Anton Giar (GB. 36; 1837-1918, zuletzt Amtsgerichtsrat i.R. in

    Frankfurt) Karl Kornelius Souchay (GB. 39; 1835-1910, zuletzt i.R. in

    Marburg, zuvor Gutsbesitzer in Knzell bei Fulda) Im brigen trat im SS 1857 abermals eine Reihe von Studenten der Allemannia bei, die wiederum zum grten Teil aus einer Stadt kamen: neun von dreizehn Zugngen kamen aus Berlin: Ludwig Bellermann (GB. 27; 1836-1918, zuletzt Direktor des

    Gymnasiums zum Grauen Kloster i.R. in Berlin) Theodor Dielitz (GB. 28; 1836-1918, zuletzt Direktor des

    Sophien-Gymnasiums i.R. in Berlin) Ernst Haack (GB. 29; 1836-1909, zuletzt Rechtanwalt in Berlin) Ferdinand Voigt1 (GB. 30; 1836-1905, zuletzt Stadtrat i.R. in

    Berlin)

    1 Ferdinand Voigt lebte spter als besoldeter Stadtrat in Berlin und war offenbar mit der Familie Wilhelm Maximilian Webers, des Vaters von Max Weber, bekannt. Durch seine Empfehlung an die Allemannia konnten Anfang SS 1882 zwei Aktive dieser Burschenschaft bei Max Weber einen Besuch machen, um ihn fr die Allemannia zu keilen. Siehe auch Kapitel II, Funote 16 (S. 52)!

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    Joachim Kummert (GB. 31; 1837-1914, zuletzt Brgermeister i.R. in Kolberg/Pommern)

    Otto Schallehn (GB. 32; 1834-1912, zuletzt Amtsgerichtsrat i.R. in Stettin)

    Emil Bouvier (GB. 33; 1838-1902, zuletzt Senatsprsident am Kammergericht in Berlin)

    Friedrich Brose (GB. 34; 1837-1877, zuletzt Stadtgerichtsrat in Berlin)

    Karl Mendelssohn Bartholdy (GB. 38; 1838-1897, spter Ordinarius fr Geschichte in Freiburg)

    Die Genannten waren entweder seit der Kindheit oder der Gymnasialzeit in Berlin oder hatten zumindest direkt vor dem SS 1857 dort studiert. Zwei Allemannen des SS 1857 kamen, weder aus Frankfurt noch aus Berlin: Otto Gerhard (GB. 35; 1837-1816, aus Gandersheim, zuletzt

    Rechtsanwalt und Notar in Braunschweig) Wilhelm Lindau (GB. 37) geb. 1839, aus Heidelberg, ausgesch.

    1859, spter Direktor der grflich-von-Quad-Isnyschen Glasfaberik in Eisenbach bei Isny)

    Die Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy

    am Beginn Geschichte der Allemannia Der Frankfurter Karl Souchay (GB. 39) trat in die Allemannia am 27.7.1857 ein. Am selben Tag trat auch sein Neffe zweiten Grades (Sohn seiner Cousine Ccile Mendelssohn Bartholdy geb. Jeanrenaud) Karl Mendelssohn Bartholdy (GB. 38) aus Berlin ein, der oben genannte, lteste Sohn von Felix M. B.. Mit ziemlicher Sicherheit kannten die beiden den oben genannten Frankfurter Kreis der Allemannia schon aus Frankfurt. Und Karl Mendelssohn Bartholdy kannte wohl einige der mit ihm aus Berlin nach Heidelberg kommenden jungen Studenten schon von dort. Ernst Haack (GB. 29), Ferdinand Voigt (GB. 30), Joachim Karl Kornelius Souchay

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    Kummert (GB. 31), Otto Schallehn (GB. 32), Emil Bouvier (GB. 33) und Friedrich Brose (GB. 34) hatten wie er im WS 1856/57 in Berlin Jura studiert. Da sie sich kannten, ist sehr wahrscheinlich. Auerdem lebte in Heidelberg eine Tante Karl Souchays, Emilie Fallenstein, geb. Souchay, die auch die Grotante der Brder Mendelssohn Bartholdy war. Die lteste Tochter von Emilie Fallenstein, Ida, war bereits seit 1855 mit Hermann Baumgarten verheiratet, der 1842 in Jena bei der Burschenschaft auf dem Burgkeller aktiv war. Auch dieser Burschenschafter kann einen Einflu darauf gehabt haben, da Karl Souchay (GB. 39) und die Brder Mendelssohn Bartholdy (GB. 38 und 65) in eine Burschenschaft eintraten. Am 9.5.1859 trat Karl M. B.s jngerer Bruder Paul (GB. 65) in die Allemannia ein. Karl blieb (mit kurzen Unterbrechungen) bis 1868 in Heidelberg, Paul bis 1864; im WS 1861/62 waren beide in Gttingen.

    Beide Brder haben sich in der damals noch jungen Verbindung (gegrndet 1856) beraus stark engagiert: beide waren sie zweimal Sprecher ihrer Verbindung (Karl im WS 1859/60 und SS 1860 und Paul im WS 1860/61 und SS 1861) und beide fochten eine hohe Zahl von Mensuren (Karl 16 und Paul 17 auf die Farben der Allemannia in Heidelberg). Da sie bei der damaligen hohen Zahl von Aktiven Sprecher wurden, beweist ihre Anerkennung bei den Bundesbrdern, aber vielleicht auch ihr Draufgngertum und Durchsetzungs-vermgen. Daneben mssen sie im Umgang mit anderen Korporierten nicht gerade zimperlich gewesen sein, denn eine so hohe

    Karl Mendelssohn Bartholdy

    Paul Mendelssohn Bartholdy

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    Anzahl von Mensuren konnte nicht von ungefhr kommen; es galt ja damals noch das Prinzip der unbedingten Satisfaktion, nach dem eine Mensur nur zur Wiederherstellung der verletzten Ehre gefochten wurde. Ihre Conaktiven haben grtenteils keine, manche nur wenige (1 bis 4 Mensuren) und einzelne bis 8 Mensuren gefochten. Da fallen die 16 bzw. 17 Mensuren von Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy schon aus dem Rahmen! Beide Brder weilten im WS 1861/62 in Gttingen und grndeten dort mit etwa zehn anderen Mitgliedern von Burschenschaften des Sddeutschen Kartells am 11.1.1862 die Burschenschaft Normannia Gttingen, in der Karl der Sprecher und Paul der Fechtwart war; beide fochten dort ebenfalls noch mindestens eine Mensur. Da nach diesem Semester nicht nur die Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy, sondern auch die anderen Mitglieder der Normannia Gttingen verlieen, lste sich diese Burschenschaft nach kurzem, strohfeuerhaftem Bestehen am 1.5.1862 wieder auf. Folgender Passus aus der Allemannengeschichte von 1886 wirft ein Licht auf den draufgngerischen Charakter von Paul Mendelssohn Bartholdy:

    "Infolge eines groen Skandals, den Mendelssohn II und Reichenheim mit Voorhies2 hatten, wobei letztere Satisfaktion verweigert und die gemeinsten Beleidigungen gebraucht hatte, beschlo jedoch der Convent, von Leidenschaft hingerissen (der Skandal geschah am 14. Mai 1861 abends, und der Sprecher (Paul Mendelssohn Bartholdy, Anm. d. Verf.) berief den Convent am 15. morgens frh 7 Uhr)3, das

    2 Charles Howard Voorhies, Corps Saxoborussia, aktiv 1861, Nr. 583, aus Lexington / Kentucky, gest. 1905 (laut Ksener Corpslisten 1960) 3 Anhand verschiedener Dokumente lt sich folgender Zeitplan der Allemannia fr die Ereignisse in der Woche vom 13.5. bis zum 20.5.1861 aufstellen: 13.5.1861: Aufnahme des Fuchsen Hermann von Gehren (GB. 96) 14.5.1861: Georg Reichenheim (GB. 84) und Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 65) geraten

    abends mit Voorhies (C. Saxoborussia) in Streit (ein "Skandal"!) 15.5.1861: Morgens um 7 h findet ein Konvent statt, der die Ereignisse des Vorabends zum

    Thema hat. 15.5.1861: Die Allemannia zieht um: von der Stadt Dsseldorf, Kettengasse 11 in die Vier

    Jahreszeiten, Haspelgasse 2. 18.5.1861: Das Sddeutsche Kartell (SK) wird in Eisenach unter dem Namen Allgemeine

    Deutsche Burschenschaft gegrndet. Die Allemannia ist durch ihren Sprecher Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 65) vertreten.

    20.5.1861: Aufnahme des Fuchsen Ludwig Glich (GB. 99).

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    ganze Corps Saxoborussia in Verruf zu stecken. Das bereilte dieses Verfahrens wurde von den Frankfurter Philistern in einem Brief gergt, und allmhlich kam der Convent zu der Einsicht, da ein Fehler begangen sei. Mendelssohn, der die Verrufserklrung bewirkt hatte, stellte den Antrag, 'man solle den S.C. auffordern: die bei dem Skandal beteiligten Allemannen vor dem Convent der Allemannia zu verklagen, wogegen wir die Angelegenheit mit den Saxoborussen durch eine Klage vor dem S.C. ordnen wrden.' - Bereits aber hatte der S.C., der in der ganzen Angelegenheit groe Ruhe entfaltete, das Verrufsverfahren sowohl gegen Mendelssohn und Reichenheim wie gegen Voorhies angestrengt; und da Resultat war, da alle drei auf eine bestimmte Zeit in den Verruf gesteckt wurden. Es verstand sich von selbst, da, solange zwei Mitglieder der Allemannia im Verrufe waren, nicht gepaukt werden konnte."

    Das Paukbuch der Allemannia weist daher im SS 1861 keine Partie auf!

    Werdegang und Bedeutung von Karl Mendelssohn Bartholdy Karl Mendelssohn Bartholdy (GB. 38) hatte bereits im WS 1856/57 ein Semester in Berlin studiert, Geschichte und Jura waren seine Studienfcher. Von SS 1857 bis SS 1860 war er in Heidelberg, die ganzen sieben Semester bei der Allemannia aktiv (16 Mensuren brauchen ja auch ihre Zeit!). Im SS 1859 promovierte er zum Dr. iur. Im SS 1860 war er das zweite Mal Sprecher - als Dr. iur.! Die Jurisprudenz verfolgte er nicht weiter. Zwischen 1860 und 1864 vervollkommnete er seine historischen Studien. Im WS 1861/62 weilte er zu diesem Zwecke in Gttingen. Hier wurde er noch einmal fr die Burschenschaft aktiv: zusammen mit seinem Bruder Paul war er Mitgrnder der

    Gttinger Burschenschaft Normannia im Sddeutschen Kartell, die allerdings nur vom 11. Januar bis zum 1. Mai 1862 bestand. Auf die Farben der Normannia Gttingen focht er seine 17. und letzte Mensur.

    Karl Mendelssohn Bartholdy

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    Nach der Aktivenzeit bei der Gttinger Normannia unternahm er im Frhjahr 1862 seine erste Griechenlandreise. Von 1862 bis 1864 promovierte er ber ein geschichtliches Thema zum Dr. philos. und habilitierte sich gleichzeitig als Dozent fr Geschichte in Heidelberg. 1867 wurde er a.o. Professor der Geschichte in Heidelberg und 1868 Ordinarius fr Geschichte in Freiburg - mit 30 Jahren also! Sein Spezialgebiet war die Geschichte Griechenlands - doch nicht die des klassischen Griechenlands sondern die Geschichte des gegenwrtigen Griechenlands. Die Gedanken der Aufklrung und der Franzsischen Revolution, die schon bei seinem Urgrovater bedeutsam waren, kamen hier ebenfalls wieder zum Tragen, weil es ja bei der Befreiung Griechenlands von den Trken um hnliche Ideale ging! Insgesamt vier Mal hat Karl Mendelssohn Bartholdy Griechenland bis 1872 besucht, um seine Studien vor Ort zu vertiefen. Er verffentlichte erst kleinere Werke - u.a. ber den Rastatter Gesandtenmord (am 28. April 1799 waren zwei franzsische Gesandte bei der Abreise vom Rastatter Diplomatenkongre ermordet worden. Die ffentlichkeit vermutete, da die nie gefaten Mrder aus sterreich stammten. Mit Scharfsinn wies Mendelssohn Bartholdy nach, da allein Frankreich Interesse am Tod seiner eigenen Diplomaten haben konnte.). - 1870 erschienen der erste Band und Anfang 1874 der zweite Band der Geschichte Griechenlands. Ein dritter, abschlieender Band, in dem die Geschichte Griechenlands von der Krnung Knig Ottos I. (1832) bis zur damaligen Gegenwart behandelt werden sollte, war mit dem zweiten fr das Jahr 1875 angekndigt worden, doch ihn konnte Karl Mendelssohn Bartholdy nicht mehr vollenden. Die Geschichte Griechenlands gilt als das Hauptwerk des Historikers Karl Mendelssohn Bartholdy. Gleichzeitig wird das Werk auch heute noch

    Karl Mendelssohn Bartholdy als Ordinarius in Freiburg

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    - besonders in Griechenland selbst - als die grundlegende Darstellung des Freiheitskampfes der Griechen zu Anfang des 19. Jahrhunderts angesehen. Im Herbst 1873 erkrankte er; eine Geisteskrankheit verhinderte fortan jede weitere geordnete geistige Ttigkeit. Er mute sich fr das WS 1873/74 beurlauben lassen, war zur Kur in Baden Baden. Am 31.3.1874 wurde ihm auf seinen Wunsch die Entlassung aus dem Staatsdienst gewhrt. Ab Mai 1874 war er bei Prof. Karl-Ludwig Kahlbaum (1828 1899) in Grlitz in Behandlung, der einer der bedeutenderen Psychiater der damaligen Zeit war. Die Diagnose lautet Katatonie; Kahlbaum definierte sie als ein Spannungs-Irresein, wobei es sich wohl um eine Art der Schizophrenie handelte. Nachdem seine Krankheit nach zwei Jahren Beobachtungszeit fr unheilbar gehalten wurde, kam er - erst 38 Jahre alt - auf Wunsch der in Karlsruhe lebenden Angehrigen, seiner zweiten Frau Mathilde, geb. Merkl, in eine psychiatrische Anstalt nach Knigsfelden in der Schweiz. Hier lebte er noch ber 20 Jahre und starb im Alter von 59 Jahren am 23.2.1897. Als junger Philister der Allemannia war er in seinen letzten Heidelberger Jahren noch hufig mit den Aktiven zusammen gewesen, besuchte Paukboden und Mensuren, Kneipen und Spritztouren. Franz Adickes (GB. 168 b / 351), der sptere Frankfurter Oberbrgermeister, der im SS 1864 bei der Allemannia aktiv war, schildert ihn in einem Brief an seine Eltern vom 7. Mai 1864 als einen sehr begabten, ungemein liebenswrdigen jungen Mann, mit einem sehr interessanten, anziehenden Gesicht, mit teilweise mdchenhaften und dann doch wieder festen Gesichtszgen. Adickes, der fr das Fechten nicht sonderlich viel brig hatte, hat ihn wegen seiner Begeisterung fr das studentische Fechten einmal unmutig einen rechten Pauksimpel genannt.

    Werdegang und Bedeutung von Paul Mendelssohn Bartholdy Sein Bruder Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 65) hatte eine ganz andere Begabung: er studierte Naturwissenschaften, vorzugsweise Chemie. Daneben hatte er offenbar noch einen Sinn fr Wirtschaft und Technik. Bereits mit 16 Jahren hatte er die Schule unterbrochen, um sich als Kaufmann ausbilden zu lassen. Er kehrte dieser Ausbildung allerdings nach einem Jahre den Rcken, um dann doch das Abitur zu machen. Als

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    er dann vom SS 1859 bis SS 1861 und von SS 1862 bis SS 1864 in Heidelberg studierte, hrte er naturwissenschaftliche Vorlesungen von Robert Bunsen und Gustav Kirchhoff. Wie sein Bruder engagierte er sich berdurchschnittlich fr die Allemannia, focht ebenfalls 17 Mensuren und war im SS 1860 Fechtwart und im WS 1860/61 und SS 1861 Sprecher der Verbindung. Paul Mendelssohn Bartholdy vertrat die Allemannia auf der Grndungsversammlung des Sddeutschen Kartells am 18.5.1861 in Eisenach als Sprecher. Er unterzeichnete fr die Allemannia die erste Kartellsatzung. Im WS 1861/62 war er Mitgrnder der SK-Burschenschaft Normannia Gttingen. Von 1862 bis 1864 war er wieder in Heidelberg und beendete das Chemiestudium 1864 mit dem Dr. philos., also mit 23 Jahren.

    Die sptere Haupt-bedeutung Paul Mendelssohn Bar-tholdys liegt in der Grndung einer chemischen Firma mit seinem Freund Carl Alexander von Martius zusammen in Berlin im Jahre 1867. Die Firma hie zunchst Gesellschaft fr Anilinproduktion, ab 1873 Aktiengesellschaft fr Anilinproduktion (A.G.F.A.). Da die Firma AGFA von seinem spteren Schwager und Bundesbruder Franz Oppenheim (GB. 258), vorzugsweise durch den Ausbau der Firma zum fhrenden Hersteller von photographischen Platten und Filmen entwickelt

    Paul Mendelssohn Bartholdy

    Paul Mendelssohn Bartholdy als Chef der Firma AGFA in Berlin

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    wurde, erlebte er nicht mehr; Paul Mendelssohn Bartholdy starb an einer rasch fortschreitenden Herzkrankheit am 17.2.1880 im Alter von 38 Jahren.

    Das Fallensteinsche Haus in Heidelberg, Ziegelhuser Landstrae 17,

    familirer und gesellschaftlicher Treffpunkt In Heidelberg wohnte zu dieser Zeit (1845-1881) im heutigen Max-Weber-Haus, in der Ziegelhuser Landstrae 17, Frau Emilie Fallenstein, geb. Souchay, die Grotante der Brder Mendelssohn Bartholdy und Tante von Karl Souchay. Das Haus war 1845 von ihrem Mann, dem Juristen und politischen Schriftsteller Georg Friedrich Fallenstein (1790-1853) erbaut worden. Max Weber und seine Frau Marianne wohnten spter, von 1910 bis 1919, in dem Haus. Frau Fallenstein war seit dem 31.12.1853 verwitwet und hatte vier Tchter und einen Sohn, Eduard Fallenstein (GB. 204).

    Letzterer war als jngstes der Geschwister am 11.12.1848 geboren worden. Im dem Haus lebte auch ein Freund Georg Friedrich Fallensteins, der Historiker Georg Gottfried Gervinus, einer der Gttinger Sieben4. Hier, in seinem Elternhaus, lernte Eduard Fallenstein im Alter zwischen acht und sechzehn Jahren durch seine Verwandten, den Vetter Karl Souchay (GB. 39) und die Brder Mendelssohn Bartholdy (GB. 38 und 65) sowie die in der Nhe wohnenden Vettern Heinrich (GB. 88), Friedrich Percy (GB. 133) und Karl Weber (GB. 133 a / 330), deren Verbindung, die Burschenschaft Allemannia, kennen. Das Fallensteinsche Haus liegt nur wenige Gehminuten von der Heidelberger Altsstadt ber 4 Der neue hannoversche Knig Ernst August I hob die 1833 gewhrte Verfassung mit der festen Absicht, die monarchistische Machtvollkommenheit zu restaurieren, wieder auf und ordnete Wahlen zur Stndeversammlung nach der Verfassung von 1819 an. Die sieben Gttinger Professoren: Jakob und Wilhelm Grimm, Friederich Christoph Dahlmann, Georg Gottfried Gervinus, Heinrich Ewald, Wilhelm Albrecht und Wilhelm Eduard Weber verweigerten die Teilnahme an der Wahl, protestierten und wurden abgesetzt.

    Emilie Fallenstein geb. Souchay

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    die Alte Brcke. Die Ausdehnung Heidelbergs beschrnkte sich damals fast ganz auf die heutige Altstadt. Die Allemannia hatte ihre Treffpunkte in Lokalen der Altstadt zwischen Universitts- und Marktplatz in den dort liegenden Gassen5. So war ein Besuch bei der Tante den jungen Studenten jederzeit mglich. Eduard Fallensteins lteste Schwester Ida (1837-1899) war seit 1855 mit Hermann Baumgarten verheiratet, der in Jena Geschichte studiert hatte und 1842 in der Jenaer Burschenschaft auf dem Burgkeller aktiv war. Seine zweitlteste Schwester Henriette (1840-1895) war seit 1864 mit dem Theologen Adolf Hausrath verheiratet, der im WS 1856/57 in Jena ebenfalls in der Burschenschaft auf dem Burgkeller aktiv war. Und war schlielich seine drittlteste

    5 Die Treffpunkte der Burschenschaft Allemannia Heidelberg waren von 1856 bis 1889: 1.) Caf Bolley, altes, zweistckiges Haus neben dem westlichen Brckentorturm, das im

    Mai 1897 zur neuen Straenanlage des Neckarstadens abgebrochen wurde. Hier, in einem abgesonderten Zimmer im zweiten Stock, erfolgte am 20. Oktober 1856 der Beschlu zur Grndung der Allemannia und ihre Grndung am 7.11.1856.

    2.) Diemerei, Schloberg 7 (1899 abgebrochen), Ende 1856 bis 15.10.1857. 3.) Schiff, Schiffgasse 11 (heute Backmulde); 15.10.1857 bis 3.12.1858. 4.) Stadt Dsseldorf, Kettengasse 11; 3.12.1858 bis 15.5.1861, 5.) Vier Jahreszeiten, Haspelgasse 2. 15.5.1861 bis 10.12.1862 . 6.) Gundtei, Zwingerstrae 18, der sptere "Faule Pelz", heutiges Sinti- und Roma-

    Dokumentationszentrum. 10.12.1862 bis 1865 7.) Der Schlssel, Kettengasse 21 (bis vor einiger Zeit: Bierbrunnen; dann: Wespennest; vor

    kurzem zeitweise wieder: Schlssel). 1865 bis 5.2.1866. 8.) Gundtei (Fauler Pelz). 5.2.1866 bis Ende SS 1869. 9.) Goldenes Fchen, Ingrimstrae 16 (heute: Simplicissimus), WS 1869/70 bis WS

    1870/71. 10.) Gundtei, jetzt zum Rappen genannt, vom SS 1871 bis ins WS 1872/73. 11.) Der Schlssel, Kettengasse 21, SS 1873 bis 16.2.1880 12.) Zum Goldenen Lwen, Heumarkt 3 (heute Studentenwohnheim "Gustav-Radbruch-

    Haus"). 16.2.1880 bis Juli 1886. 13.) Zum Falken, Hauptstrae 204, Juli 1886 - 31.10.1887. 14.) Essighaus (eigenes Zimmer im Obergescho), Plck 97, 31.10.1887 bis Dezember 1889. 15.) Allemannenhaus, Karlstrae 10, das eigene Haus, ab Mitte Dezember 1889.

    Ziegelhuser Landstrae 17

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    Schwester Helene seit dem 23.6.1863 mit Wilhelm Maximilian Weber verheiratet, der ab WS 1854/55 in Gttingen Jura studiert hatte und in der dortigen Burschenschaft Hannovera aktiv war. Drei Schwager (Baumgarten, Hausrath und Weber) waren Burschenschafter, sein Vetter Karl Souchay und die Shne seiner Cousine Ccile Mendelssohn Bartholdy, Karl und Paul, waren Mitglieder der Burschenschaft Allemannia Heidelberg. Ebenso die in der Nhe (Neuenheimer Landstrae 8, s.u.) aufgewachsenen Vettern 2. Grades Heinrich, Friedrich Percy und Karl Weber waren Mitglieder der Heidelberger Allemannia. Die so gewonnene Bekanntschaft drfte Eduard Fallenstein zum Eintritt in die Burschenschaft Allemannia bei Beginn seines Jurastudiums am 22.10.1866 bewogen haben (GB. 204). Nach drei Semestern Aktivenzeit bereitete sein Gesundheitszustand der Familie Sorgen. Seine Tante Ida Baumgarten berichtete Ostern 1868 ihrem Mann von dem unerfreulichen Eindruck, den das Befinden Eduard Fallensteins ihr bereitete. Blutarmut und Nervositt fhrte sie auf die nchtlichen Kneipereien und auf berarbeitung zurck. Eduard Fallenstein ging unmittelbar danach, im SS 1868, nach Gttingen, um dort zu intensiverem Studium zu kommen. Am 20.10.1868 trat er aus der Allemannia Heidelberg wieder aus, denn er war mit dem Prinzip der unbedingten Satisfaktion nicht mehr einverstanden. Eduard Fallenstein setzte sein Studium in Gttingen fort und fiel als cand. jur., wahrscheinlich am 11.1.1871, bei Orlans im Krieg gegen Frankreich, nachdem er zuvor noch in Feldpostbriefen seinem Onkel Eduard Souchay gegenber seine Ernchterung ber den Krieg zum Ausdruck gebracht hatte. Andererseits lernte der angehende Historiker Karl Mendelssohn Bartholdy und Allemanne im Hause seiner Grotante, der Witwe Emilie Fallenstein, den Historiker Gervinus kennen. Gervinus gab Karl Mendelssohn Bartholdy den Ansto zur Beschftigung mit der Geschichte Griechenlands in der neueren Zeit, die zur Herausgabe von Karl M. B.s Hauptwerk, der zweibndigen Geschichte Griechenlands von der Eroberung Konstantinopels durch die Trken im Jahre 1453 bis auf unsere Tage fhrte. Viermal besuchte der Autor Griechenland zwischen 1862 und 1873.

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    Heidelberg, Ziegelhuser Landstrae 17, Anfang des 20. Jahrhunderts

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    Verwickelte Verwandtschaftsverhltnisse Im WS 1862/63 wurde Adolf Wach (GB. 132; 1843-1926) bei der Allemannia aktiv, also noch zur Zeit der Anwesenheit beider Brder Mendelssohn Bartholdy in Heidelberg. Da Wach spter ihre Schwester Lilli (1845-1910), die nach dem Tod der Eltern bei der Gromutter in Frankfurt aufgewachsen war, heiratete, kann man annehmen, da er sie ebenfalls im Hause der Witwe Fallenstein kennengelernt hat. Die Aktivenzeit Adolf Wachs in der Allemannia fllt gerade in die Zeit, als sich die vierte Tochter der Witwe Fallenstein, Helene, von Heidelberg nach Berlin begab, um dort im Hause ihrer Schwester Ida Baumgarten (1837-1899) einen gewissen Wilhelm Maximilian Weber (1836-1897, Mitglied der Burschenschaft Hannovera Gttingen seit WS 1854/55) kennenzulernen, den sie im Juni 1863 in Heidelberg heiratete. Das erste Kind dieser Ehe war der berhmte Max Weber (1864-1920). Da auch Paul Mendelssohn Bartholdy in seiner Heidelberger Zeit Helene Fallenstein, die Cousine seiner Mutter, gekannt hat, drfte selbstverstndlich sein; sie war zwischen 15 und 20 Jahren alt und wuchs in dem genannten Haus, Ziegelhuser Landstrae 17, auf. Ebenso kann man annehmen, da Paul M. B. spter dieselbe, nun verehelichte Helene Weber, geb. Fallenstein in ihrer gemeinsamen Berliner Zeit zwischen 1868 und 1880 getroffen hat. Adolf Wach (GB. 132) war ab 1869 ordentlicher Professor der Rechte, ab 1875 in Leipzig. 1886 und 1903 war er Rektor der Universitt Leipzig. Wach war besonders mit seinem Schwager Karl befreundet. Als Karl Mendelssohn Bartholdy (GB. 38) ab 1874 krank in einer Anstalt lebte, kmmerten Adolf Wach und seine Frau Lilli sich um ihren Neffen, Karls Sohn Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874-1936), der bei seiner Mutter, Mathilde Mendelssohn Bartholdy, geb. Merkl, in Karlsruhe aufwuchs. Mathilde M. B. (1848-1937), war die zweite Frau von Karl M. B.; seine erste Frau, Bertha, geb. Eisenhardt (1848-1870), war nach der Geburt der Tochter Ccile M. B. (1870-1943) gestorben.

    Adolf Wach

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    Ein hnliches Schicksal - Tod der ersten Frau nach der Geburt des ersten Kindes - hatte Karls Bruder Paul M. B.: seine erste Frau Else, geb. Oppenheim (1845-1868) starb wenige Monate nach der Geburt des Sohnes Otto M. B. (1868-1949). Paul M. B. heiratete auch ein zweites Mal, die Schwester seiner ersten Frau, Enole, geb. Oppenheim (1873-1939). Mit dieser hatte Paul M. B. noch vier Kinder. Der jngste Sohn, Robert Paul

    Heidelberg, Ziegelhuser Landstrae 17, im Sommer 2001, Max-Weber-Haus

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    Hugo (1879-1956) war auch Chemiker bei der AGFA, der Firma seines Vaters; er lebte zuletzt in der Emigration in London. Spter gab es zwei Ehen unter Vettern und Cousinen: Otto M. B., der Sohn Pauls, heiratete 1893 seine Cousine Ccile, die Tochter Karls (also jeweils die Kinder aus den ersten Ehen ihrer Vter). Und Albrecht M. B., der Sohn Karls aus dessen zweiter Ehe, heiratete 1905 seine Cousine Dora, geb. Wach (1875-1949), die Tochter von Adolf Wach und Lilli, geb. M. B. Verwandtenheiraten waren auch in der weiteren Familie durchaus blich. Die Flle hier alle aufzuspren, wrde hier zu weit fhren.

    Die Beziehungen zur Familie von Georg Weber Aber noch eine andere Verwandtschaftsbeziehung der bisher genannten Heidelberger Allemannen Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy, Kornelius Karl Souchay, Eduard Fallenstein und Max Weber zu weiteren Heidelberger Allemannen scheint in diesem Zusammenhang bedeutsam zu sein. Nur etwa 350 m westlich des Fallensteinschen Hauses in der Ziegelhuser Landstrae 17 liegt - genauso wie dieses am Neckarufer - das Haus Neuenheimer Landstrae 8, in dem in der Mitte des letzten Jahrhunderts der Heidelberger Gymnasialprofessor und historische Schriftsteller Georg Weber (1808-1888) seit 1843 lebte. Sein Familienname hat mit dem Max Webers nichts zu tun. Max Webers vterliche Vorfahren stammten aus dem Bielefelder Raum, Georg Webers Vorfahren stammten dagegen aus Bergzabern in der Sdpfalz bzw. aus Idar-Oberstein. Georg Webers Frau jedoch, Ida Weber, geb. Becher, ist mit den oben genannten Allemannen verwandt: ihre Mutter war Caroline Becher, geb. Schunck, verheiratet mit dem Frankfurter Rechtsanwalt Georg Becher. Caroline Schunck aus Schlchtern hatte fnf Brder und fnf Schwestern; eine der Schwestern war Frau Helene Souchay, geb. Schunck. Helene Souchay, geb. Schunck, war die Gromutter von Ccile Mendelssohn Bartholdy, geb. Jeanrenaud, der Frau des Komponisten Felix M. B., und damit die Urgromutter der Allemannen Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 38 und 65). Sie war die Gromutter der Allemannen Kornelius Karl Souchay (GB. 39) und Eduard Fallenstein (GB. 204) und sie war die Gromutter von Helene Weber, geb.

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    Neuenheimer Landstrae 8 im Jahre 2001. Das Haus wurde nach der Zeit, als Georg und Ida Weber mit ihren Kindern dort lebten, erheblich erweitert und umgebaut.

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    Fallenstein, der Mutter des Allemannen Max Weber (GB. 334), also dessen Urgromutter. In der Ziegelhuser Landstrae 17 lebte seit 1845 Emilie Fallenstein, geb. Souchay, eine Tochter der Helene Souchay, geb. Schunck. Und nur 350 m weiter westlich am Neckarufer, in der Neuenheimer Landstrae 8, lebte ihre Cousine, Ida Weber, geb. Becher, die Tochter der Caroline Becher, geb. Schunck. Die Freundschaft der beiden Cousinen und ihr lebenslanger verwandtschaftlicher Verkehr sind bezeugt.

    Ida Weber, geb. Becher, und ihr Mann Georg Weber (GB. 354) hatten fnf Kinder, eine Tochter und vier Shne. Drei der Shne wurden Mitglieder der Heidelberger Burschenschaft Allemannia: Heinrich Weber, der lteste Sohn, (GB. 88; 1842-1913) trat der Allemannia am 16.10.1860 bei. Nach der Darstellung der verwandtschaftlichen Zusammenhnge drfte es wahrscheinlich sein, da Heinrich Weber unter dem Einflu seiner zwar entfernteren, aber in der Nhe (350 m entfernt) lebenden Verwandtschaft zur Allemannia

    Blick vom Heidelberger Schlo ber die Altstadt und den Neckar auf die nrdliche Neckaruferstrae. Links (westlich) der Alten Brcke heit sie Neuenheimer Landstrae,

    Das Haus Nr. 8 ist etwa hinter den Brckentortrmen zu erkennen (linker Pfeil). Rechts der Brcke (stlich) heit sie Ziegelhuser Landstrae;

    die Nr. 17 ist direkt hinter dem Baum im Vordergrund zu erkennen (rechter Pfeil).

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    gekommen ist: 1857 wurden Karl Mendelssohn Bartholdy und Kornelius Karl Souchay Mitglieder der Allemannia, 1859 Paul Mendelssohn Bartholdy. Heinrich Weber war Mathematiker, ab 1875 Ordinarius fr Mathematik in Knigsberg, ab 1883 in Berlin, ab 1884 in Marburg, 1892 in Gttingen und von 1895 bis zu seinem Tode im Jahre 1913 in Straburg. Im Jahre 1900 war er Rektor der Straburger Universitt. Er hinterlie ein bedeutsames wissenschaftliches Werk. Heinrich Weber schrieb auch den Nachruf auf den ebenfalls bedeutenden Mathematiker Leopold Kronecker (1823-1891, Mitglied der Burschenschaft Fridericia Bonn), den lteren Bruder des anfangs erwhnten Heidelberger Allemannen Hugo Kronecker (GB. 71), Ordinarius fr Physiologie in Bern.

    Am 15.10.1862 wurde Heinrich Webers jngerer Bruder Friedrich Percy Weber (GB. 133; 1844-1895) Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg, also im selben Semester wie Adolf Wach (GB. 132), der sptere Schwager der Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy. Er studierte Geschichte und Philologie. Friedrich Percy Weber lebte ab 1872 als Schriftsteller und Redakteur in Berlin. Zum 500. Universittsjubilum in Heidelberg und dem gleichzeitigen 30. Stiftungsfest der Burschenschaft Allemannia in Heidelberg im Jahre 1886 dichtete er Reicht mir das alte Burschenband, reicht mir die alte Klinge, da ich zum Ritt gen Heidelberg mich jetzt auf s Rlein schwinge, das von Vinzenz Lachner vertont wurde und das

    Heinrich Weber

    Friedrich Percy Weber

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    auch heute noch eines der beliebteren und bei der Allemannia gesungenen Studentenlieder ist. Er starb am 19.1.1895 in Berlin. Ein dritter Bruder, Karl Weber (GB. 133 a / 330; 1843-1898) war in der Aktivenzeit seines Bruders Friedrich Percy Konkneipant der Allemannia (WS 1862/63 und SS 1863). Er konnte sich zu einer verpflichtenden Aktivenzeit offenbar nicht entschlieen und schied nach den damaligen Regelungen als Konkneipant mit seinem Weggang aus Heidelberg 1864 aus der Allemannia aus. Karl Weber studierte Cameralia, ein Studium, das es in Baden bis 1918 gab, und dessen Absolventen spter zumeist in der badischen Finanz- und Steuerverwaltung ihre Ttigkeit fanden. Karl Weber studierte aber nicht zu Ende und ging von 1864 bis 1867 als Kaufmann nach London; vermutlich wird er in den dortigen Unternehmen seiner Souchayschen und Schunckschen Verwandtschaft seine Ttigkeit gehabt haben. Von 1867 bis 1884 lebte er in St. Petersburg, erst als Geschftsteilhaber und ab 1878 als Deutscher Vizekonsul. Karl Weber erhielt aus Anla des 25. Stiftungsfestes der Allemannia am 2.8.1882 - zuflligerweise am Ende von Max Webers erstem Studiensemester - die Ehrenmitgliedschaft der Allemannia, nachdem er die knapp 20 Jahre zuvor seit seiner Zeit als Konkneipant der Allemannia 1862/63 in stetem Konnex zu ihren Mitgliedern geblieben war. Gleichzeitig erhielt sein am 17.7.1872 aus der Allemannia ausgeschiedener lterer Bruder Heinrich (GB. 88) das Band der Allemannia zurck. Von 1884 bis 1891 lebte Karl Weber als Privatmann in Berlin und ab 1891 bis zu seinem Tode am 4.9.1898 in Heidelberg. Offenbar hatten ihn seine vorherigen Geschfte in den Stand gesetzt, von seinen Ersparnissen mehr als gut zu leben. Er bettigte sich in dieser Zeit noch als Landtags- und Reichstagsabgeordneter. Denn als die Burschenschaft Allemannia in Heidelberg im Jahre 1889 das Grundstck und das Haus in der Karlstrae 10 kaufte, um es fr ihre Zwecke als Verbindungshaus zu nutzen, war es Karl Weber, der die Summe von 50.000,- Mark vorstreckte. Die Allemannia konnte die

    Karl Weber

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    Summe erst ihm und nach seinem Tode seiner Frau Lilly innerhalb von 17 Jahren bis zum Jahre 1906 zurckzahlen. Das 1889 erworbene Haus der Burschenschaft Allemannia war alt und zum Teil in nicht mehr gutem Zustand. Die Allemannia lie es nach einer versuchten notdrftigen Renovierung 1904 im Jahre 1912 abreien und an seiner Stelle einen reprsentativen Neubau errichten, der im April 1913 eingeweiht wurde und heute noch der Aktivitas der Allemannia zur Verfgung steht und der als eines der schnsten und zweckmigsten Verbindungshuser in Deutschland gilt. Somit hat das von Karl und Lilly Weber grozgigerweise zur Verfgung gestellte Darlehen die Grundlage fr den heutigen Besitz der Allemannia bedeutet. Und Karl Weber htte dies nicht tun knnen, wenn er nicht ein erfolgreicher Geschftsmann

    Altes Haus der Burschenschaft Allemannia Heidelberg, Karlstrae 10, 1889-1912

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    Neues Haus der Burschenschaft Allemannia Heidelberg, Karlstrae 10, seit 1913

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    gewesen wre. So haben die Souchay- und Schunckschen Unternehmen vor 200 Jahren heute immer noch eine Bedeutung fr die Allemannia, wenn dies auch wohl kaum einem der heutigen Mitglieder der Allemannia bewut ist. Dennoch ist es den Verantwortlichen der Allemannia bis heute immer eine Verpflichtung gewesen, das Kleinod des Hauses in bestem Zustand zu erhalten. Eine von Karl und Lilly Webers Tchtern, Else Weber (1875-1933), heiratete 1898 einen Heidelberger Allemannen, Georg von Silany aus Graz (GB. 386; 1866-1945), der ab 1893 durch Adoption von einem Onkel den klangvollen Namen Georg von Wirkner, Edler von Torda bekommen hatte. Georg von Wirkner war von 1902 bis 1932 Direktor der AG fr Chemische Industrie in Gelsenkirchen. In der Allemannia galt er laut Aussage des Archivars Theodor Plock (GB. 421) bis zur vorlufigen Auflsung am 2.11.1935 als die geistig fhrende Persnlichkeit.

    Der Vater der drei eben vorgestellten Allemannenbrder Heinrich, Friedrich Percy und Karl Weber war Georg Weber (GB. 354; 1808-1888). Georg Weber stammte aus einfachen Verhltnissen aus Bergzabern an der Weinstrae. Er studierte von 1828-1829 in Erlangen Theologie und Geschichte und war dort Mitglied der damaligen Burschenschaft Teutonia Erlangen. Spter war Georg Weber Gymnasiallehrer und Schulprofessor in Heidelberg (ab 1839). Die Heirat mit der einzigen Tochter der vermgenden Witwe Caroline Becher, geb. Schunck, Ida Becher, sicherte ihm gesellschaftlichen Aufstieg.

    Georg Weber besa eine immense historische Bildung. Neben kleineren Werken entstand sein Hauptwerk, die Allgemeine Weltgeschichte unter besonderer Bercksichtigung des Geistes- und Kulturlebens der Vlker und mit Benutzung der neueren geschichtlichen Forschungen fr die

    Georg von Wirkner, Edler von Torda

    Georg Weber

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    gebildeten Stnde bearbeitet. Leipzig 1857-1880. 15 Bnde, 4 Registerbnde (in 1 Band). Georg Webers Allgemeine Weltgeschichte ist die umfangreichste Weltgeschichte, die je aus einer Autorenhand geschrieben wurde. Georg Weber war Lehrer. So fate er auch seinen schriftstellerischen Auftrag auf. Ihm ging es darum, didaktisch die bekannten Tatsachen der Geschichte den gebildeten Stnden nahezubringen. Im heutigen Sinne wrde man sein Werk also als populrwissenschaftlich einordnen. Damals brachte ihm seine Vorgehensweise die Kritik der ernsthaften, wissenschaftlichen Historiker ein. Doch er hatte Erfolg damit. Seine Allgemeine Weltgeschichte wurde zu seinen Lebzeiten in ber 100.000 Exemplaren verkauft und in alle europischen Kultursprachen bersetzt, sogar ins Arabische, Persische, Indische, Japanische und Chinesische. Kurz vor seinem 80. Geburtstag erhielt er am 25.1.1888 die Ehrenbrgerschaft von Neuenheim, unmittelbar bevor Neuenheim eingemeindet wurde. Heidelberg folgte mit der Ehrenbrgerschaft am 80. Geburtstag am 10.2.1888. Die Stadt Heidelberg nannte eine Strae nach ihm, der Weberstrae in Neuenheim (von der Handschuhsheimer Landstrae zur Werderstrae); ein Brunnen im Heidelberger Stadtwald heit nach ihm Webersbrunnen (an der Verlngerung des Philosophenwegs oberhalb des Haarla) und auf dem Bergfriedhof steht ein Gedenkstein, der seine Lebensmaxime zeigt:

    Gerecht ein gegen jede aufrichtige Bere- bung i wahre Humanitt.

    Dr G. Weber.

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    Im Garten des Hauses der Burschenschaft Allemannia steht eine Marmorbste Georg Webers, der durch die Ehrenmitgliedschaft in hherem Lebensalter der lteste Heidelberger Allemanne war (geb. 10.2.1808; die Grndungsmitglieder der Allemannia waren zwischen 1832 und 1835 geboren). Nachdem drei Shne Georg Webers Mitglieder der Burschenschaft Allemannia in Heidelberg waren, verlieh die Burschenschaft Allemannia anllich ihres 30. Stiftungsfestes am 5.7.1886 dem Vater Georg Weber das Allemannenband ehrenhalber (GB. 354). Er war damals bereits 78 Jahre alt und war dann noch zwei Jahre Mitglied der Allemannia bis zu seinem Tode am 10.8.1888. Zu diesem Jubilum, dem 500. der Heidelberger Universitt und dem 30. der Burschenschaft Allemannia erhielten mit Georg Weber noch einige andere das Band der Allemannia ehrenhalber bzw. das Band der Allemannia wieder zurck.

    Das Band ehrenhalber erhielten am 5.7.1886: - Georg Weber (GB. 354), B. Teutonia Erlangen 1828 - Bernhard Erdmannsdrffer (GB. 353), B. Teutonia Jena 1852 - Julius Engel (GB. 352), B. Teutonia Kiel 1862 - Franz Adickes (GB. 351), Konkneipant der Allemannia 1864

    (GB. 168 b)

    Das Band der B. Allemannia Heidelberg erhielten am 5.7.1886 zurck:

    - Max Weber, aktiv in der Allemannia WS 1882/83 und SS 1883 (GB. 334)

    - Theodor Eimer, aktiv in der Allemannia WS 1864/65 (GB. 171)

    Steinbste Georg Webers im Garten des Allemannenhauses

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    Drei Allemannen gleichzeitig als Universittsrektoren Nach dem Exkurs zur anderen Familie Weber, deren Name nichts mit dem Max Webers zu tun hat, wobei die Familien ber die weibliche Linie doch in verwandtschaftlichen Verhltnis stehen, kehre ich in meiner Betrachtung wieder zu dem Mendelssohn Bartholdyschen - Max Weberschen Teil zurck. Als Adolf Wach (GB. 132)6, der Schwager der Brder Karl und Paul Mendelssohn Bartholdy, 1903 zum zweiten Male Rektor der Leipziger Universitt war, waren gleichzeitig mit ihm noch zwei weitere Heidelberger Allemannen amtierende Universittsrektoren: Der Jurist Otto Gierke (spter ab 1909 von Gierke) in Berlin (GB. 55) und der Anglist Jakob Schipper (GB. 144) in Wien. 1903

    fand in Heidelberg die Jubilumsfeier zur 100-jhrigen Wiedergrndung der Universitt durch Kurfrst Karl-Friedrich im Jahre 1803 statt. Auf der Feier saen Adolf Wach, Otto Gierke und Jakob Schipper als amtierende Universitts-rektoren mit der Mtze und dem Band der Burschenschaft Allemannia Heidelberg ber dem Talar zusammen in der Nhe des Groherzogs von Baden in der gerade erbauten Stadthalle auf dem Podium. (In der Zeit des Groherzogtums Baden war der Groherzog von Amts wegen immer der Rektor der Universitt; derjenige, der die eigentliche Rektorfunktion ausbte, hie Prorektor, zumindest an Universitten im Groherzogtum Baden.)

    6 Adolf Wach war in Leipzig auch im Vorstand des Gewandhauses. In dieser Funktion verhalf er dem Komponisten Max Reger (1873-1916) zu dessen Stellung in Leipzig. Reger widmete seinem Freunde Wach sein Streichquartett Nr. 4 Es-Dur op. 109, das auch bei Wachs Trauerfeier 1926 erklang.

    Otto (von) Gierke

    Jakob Schipper, Relief im Arkadenhof der Wiener

    Universitt

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    Die weiteren Zusammenhnge in Berlin 1867 hatte Paul Mendelssohn Bartholdy Else Oppenheim aus Berlin geheiratet. Sie starb bald darauf nach der Geburt des Sohnes Otto 1868. Elses Bruder Franz Oppenheim drfte durch seinen Schwager Paul M. B. auf die B. Allemannia Heidelberg aufmerksam geworden sein. So wurde auch er mit Studienbeginn in Heidelberg im SS 1872 Mitglied der Allemannia.

    Franz Oppenheim, Generaldirektor der AGFA 1898 - 1925 Oppenheim (GB. 258) studierte ab SS 1872 in Heidelberg, Berlin und Bonn Chemie. Nach seinem Examen sammelte er Erfahrungen von Oktober 1877 - Februar 1878 als Assistent am chem. Institut der Universitt Bonn, dann im Sommer 1878 durch eine kurze Aushilfsttigkeit in der Dngemittelfabrik Vorster & Grnberg in Kalk bei Kln und von Oktober 1878 - Ende 1879 als Volontr-Chemiker bei derselben Firma (stellv. Leiter der Salpeter-produktion). Im Herbst 1873 heiratete Paul Mendelssohn Bartholdy ein zweites Mal, und zwar die Schwester seiner ersten Frau Else und seines Schwagers Franz Oppenheim, Enole Oppenheim. Ende der 70er Jahre machte sich bei Paul M. B. eine Herzkrankheit bemerkbar, die sich rasch verschlimmerte. Unmittelbar vor seinem Tod am 17.2.1880 sprang fr den schwer Erkrankten im Januar 1880 sein Schwager und Bundesbruder Franz Oppenheim in der Firma ein. Oppenheim verlegte den Schwerpunkt der AGFA von der Anilinproduktion auf die Herstellung photographischer Platten und Filme und fhrte ab 1886 die AGFA, spter Franz Oppenheim im SS 1874

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    ab 1898 als Generaldirektor spter zu Weltgeltung, bis diese 1925 in der IG Farben aufging. Auf Oppenheims Initiative geht der Aufbau des Industriegebietes Wolfen-Bitterfeld bei Leipzig zurck. In einem Nachruf auf Walter Rathenau7 schrieb Oppenheim: Er und ich haben zusammen Bitterfeld fr die chemische Industrie erschlossen. Die Industrieneubauten in Wolfen wurden vom Architekten Prof. Hugo Wach (1872-1939), einem Sohn von Adolf Wach (GB. 132), geplant. In der Geschichte der Firma AGFA heit es weiter: Wenn Oppenheim auf Reisen in fernen Lndern allerorts am Wegrand oder auf Rastpltzen den wohlbekannten Hllen der Agfa-Filme begegnete, so gab er sich Rechenschaft, wie vielen Menschen seine Fabrikate dienten und wie vielen sie Freude gaben. Oppenheim trat im Mrz 1922 aus der Allemannia aus, weil die Burschenschaft mittlerweile auf einen sehr antisemitischen Kurs geraten war. Er starb am 13.2.1929 auf einer gyptenreise.

    Max Webers Beziehungen zur B. Allemannia vor seinem Eintritt Paul Mendelssohn Bartholdy (GB. 65) lebte von 1864 bis zu seinem Tode 1880 wieder in Berlin. Die Cousine seiner Mutter, Helene Weber, geb. 7 Franz Oppenheim (GB. 258), Schwager von Paul Mendelssohn Bartholdy und gleichzeitig Enkel eines Vetters des Komponisten Felix M. B., war in erster Ehe mit Elsbeth (Elsa) Wollheim, einer Tochter des damals sehr bekannten Kohlemagnaten Csar Wollheim verheiratet. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er 1904 die Witwe seines Bundesbruders Georg Reichenheim (GB. 84), Frau Margarete Reichenheim, geb. Eisner, die sich als Kunstsammlerin einen Namen gemacht hat. Georg Reichenheims jngerer Bruder und Bundesbruder Max Reichenheim (GB. 256), Augenarzt in Berlin, war mit Martha Wollheim verheiratet, der Schwester der o.g. Elsbeth Wollheim, der Frau Franz Oppenheims. Eine Cousine der Brder Georg und Max Reichenheim (GB. 84 und 256), Antonie (Toni) Liebermann, geb. Reichenheim war mit dem Allemannen Karl Liebermann (GB. 93) verheiratet, einem bedeutenden Chemiker in Berlin, nach dem in Ludwigshafen / Rhein eine Strae benannt ist. Karl Liebermann (1842-1914) war ein Vetter des berhmten Malers und Graphikers Max Liebermann (1847-1935), und des letzteren Groneffe war Rolf Liebermann (1910-1999), ein bekannter Komponist und Opernintendant des 20. Jahrhunderts.

    Karl Liebermanns Vater Benjamin Liebermann (1812-1901) hatte eine Schwester Teibchen (Therese) Rathenau, geb. Liebermann (1815-1895), die mit Moser (Moritz) Abraham Rathenau (1799-1871) verheiratet war. Deren Sohn Emil Rathenau (1838-1915), der Grnder der AEG, war der Vater des ermordeten Reichsauenministers Walter Rathenau (1867-1922). Walter Rathenau war also der Sohn eines Vetters des Allemannen Karl Liebermann (Nr. 93). Und dessen Frau war ja nach dem oben Geschilderten mit der zweiten Frau von Franz Oppenheim verwandt. Dieser Zusammenhang mge als Erklrung dienen, da Franz Oppenheim einen Nachruf auf Walter Rathenau geschrieben hat.

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    Fallenstein, lebte ab 1869 mit ihrer Familie ebenfalls in Berlin. Die beiden kannten sich zwangslufig aus Paul Mendelssohn Bartholdys Heidelberger Zeit 1859-1864. Es ist davon auszugehen, da Paul Mendelssohn Bartholdy und Helene Weber, geb. Fallenstein, in ihrer gemeinsamen Berliner Zeit von 1869 bis 1880 weiter familiren Kontakt pflegten. Wie weit dieser Kontakt ging, ist dem Verfasser nicht bekannt. Doch drfte der heranwachsende lteste Sohn von Helene Weber, der spter berhmte Max Weber jun., in Berlin Paul Mendelssohn Bartholdy als Verwandten der Mutter gekannt haben, zumindest mu er von seiner Existenz gewut haben. Ihm, Max Weber jun., drfte auch bekannt gewesen sein, da Paul M. B. (GB. 65), sein Bruder Karl (GB. 38), deren Schwager Adolf Wach (GB. 132) und der Bruder seiner Mutter, Eduard Fallenstein (GB. 204), sowie die entfernteren Verwandten Heinrich (GB. 88), Friedrich Percy (GB. 133) und Karl Weber (GB. 133 a / 330) Angehrige der Heidelberger Burschenschaft Allemannia waren. Sicherlich drfte er auch Franz Oppenheim (GB. 258), den Schwager von Paul Mendelssohn Bartholdy, der seit Anfang 1880 in Berlin in die A.G.F.A. eingestiegen war und der seit SS 1872 Heidelberger Allemanne war, sptestens zwischen Januar 1880 und April 1882 in Berlin kennengelernt haben, wahrscheinlich jedoch schon frher. Die zweite Hochzeit von Paul Mendelssohn Bartholdy, mit Enole Oppenheim, der Schwester von Franz Oppenheim, war am 27. Oktober 1873 in Berlin. Max Weber war damals neun Jahre alt. So ein Familienfest knnte zum Beispiel eine Gelegenheit gewesen sein, die entfernteren Verwandten kennenzulernen. Franz Oppenheim, einundzwanzig Jahre alt, der Bruder der Braut, hatte im WS 1872/73 und im SS 1873 in Berlin studiert und mute sich nach der Hochzeit zu Beginn des WS 1873/74 nach Heidelberg begeben, wo er seine unterbrochene Aktivenzeit bei der Allemannia fortsetzte. Meine Spekulation, Max Weber knnte als neunjhriger Junge an der Hochzeitsfeier seines Vetters zweiten Grades Paul Mendelssohn Bartholdy teilgenommen haben, soll nicht den Eindruck erwecken, da es auf jeden Fall so war. Meine Absicht ist es nur, die familire und gesellschaftliche Situation zu verdeutlichen, die das Kennenlernen der Verwandtschaft bei solchen und hnlichen Gelegenheiten ermglicht. Doch selbst wenn Max Weber Paul Mendelssohn Bartholdy und Franz Oppenheim in Berlin nie

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    oder nur sporadisch getroffen haben mag, so bin ich doch sicher, da ihm irgendwann in seiner Jugend die Tatsache bewut geworden ist, da die Genannten sowohl der B. Allemannia Heidelberg angehrten als auch mit ihm verwandt waren. Auerdem hat Max Weber bei Besuchen in der Kindheit bei seiner Gromutter Emilie Fallenstein, geb. Souchay in Heidelberg, deren in der Nachbarschaft wohnende Cousine Ida Weber, geb. Becher, die Frau des Gymnasialprofessors und Geschichtsschreibers Georg Weber gekannt. Da drei ihrer vier Shne ebenfalls Heidelberger Allemannen waren, drfte ihm auch bekannt gewesen sein. Zur Zeit von Max Webers Abitur (1882) gab es also folgende Mitglieder seiner Familie, die Mitglieder der Burschenschaft Allemannia Heidelberg waren oder gewesen waren:

    Name geb. aktiv Beruf im Jahre 1882 Karl Mendelssohn Bartholdy 1838 1857 (geisteskrank in einer Klinik in

    der Schweiz) Karl Kornelius Souchay 1835 1857 Gutsbesitzer in Knzell bei

    Fulda Paul Mendelssohn Bartholdy 1841 1859 (gestorben 17.2.1880) Heinrich Weber 1842 1860 Ordinarius fr Mathematik

    in Knigsberg Adolf Wach 1843 1862 Ordinarius der Rechte in

    Leipzig Friedrich Percy Weber 1844 1862 Schriftsteller in Berlin Eduard Fallenstein 1848 1866 (ausgetreten 20.10.1868,

    gefallen 11.1.1871) Franz Oppenheim 1852 1872 Abteilungsleiter bei der

    AGFA Karl Weber 1843 1863 Vizekonsul in St. Petersburg

    Max Weber 1882

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    Letzterer, Karl Weber, war allerdings zur Zeit von Max Webers Abitur noch nicht wieder Mitglied der B. Allemannia; er war 1862/63 Konkneipant der Allemannia und erhielt das Band als Philister nachtrglich kurze Zeit spter, am 2.8.1882. Die genannten drei Brder Heinrich, Friedrich und Karl Weber gehren wie oben dargelegt einer anderen Familie Weber an als Max Weber. Nach dieser Darstellung war die Burschenschaft Allemannia Max Weber mit Sicherheit ein Begriff, als er im SS 1882 nach Heidelberg kam. Im brigen waren sein Vater (Wilhelm Maximilian Weber) und zwei Schwager seiner Mutter (Hermann Baumgarten und Adolf Hausrath) sowie ein Bruder seiner Gromutter (Eduard Souchay de la Duboissire) Burschenschafter, darber hinaus auch der Vater der Brder Heinrich, Friedrich und Karl Weber, der Geschichtsschreiber Georg Weber. Der Eintritt in eine Burschenschaft war also fast selbstverstndlich, der Eintritt in ein Corps wre in der Familie fast eine Provokation gewesen. Die Behauptung von Max Webers Witwe Marianne, geb. Schnitger, Max Weber sei in die Verbindung seines Vaters eingetreten8, entbehrt jeder Grundlage. Die Mitgliederlisten der B. Allemannia Heidelberg sind von

    Anfang an sehr genau gefhrt worden. Max Weber (sen.) aus Bielefeld ist bei der Allemannia Heidelberg nicht nachweisbar. Zudem hat dieser nicht in Heidelberg, sondern in Gttingen, Straburg und Berlin studiert. Wilhelm Maximilian Weber (Max Weber sen.) war nachweislich im WS 1854/55 bei der Burschenschaft Hannovera Gttingen aktiv geworden. Im SS 1904 wurde Hans Schnitger (1885-1916), stud. jur. aus Detmold, bei der Burschenschaft Allemannia Heidelberg aktiv. Im Jahresbericht der Allemannia ist erwhnt, da er auf Empfehlung des Philisters Prof. Max Weber kam. Ein Jahr

    8 So in einer Funote in den von ihr nach seinem Tode herausgegebenen Jugendbriefen. Wrtlich: Der Vater war Alemanne., obendrein noch in dieser falschen Schreibweise.

    Hans Schnitger

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    spter wurde sein Bruder Wilhelm Schnitger (1886-1972), ebenfalls Jurist, aktiv. Sie waren spter beide Rechtsanwlte in ihrer Heimatstadt Detmold. Derselbe Familienname wie der von Max Webers Frau, die gleiche Gegend der Herkunft und die Empfehlung Max Webers legen die Annahme nahe, da es sich um nahe Verwandte von Frau Marianne Weber, geb. Schnitger handelte. Im brigen war der Vater Marianne Webers, Eduard Schnitger, im SS 1863 bei der B. Teutonia Jena aktiv geworden, also einer Kartellburschenschaft der B. Allemannia Heidelberg. Mglicherweise hat Marianne Weber das nicht gewut, denn sie wuchs nach dem frhen Tod ihrer Mutter nicht bei ihrem Vater auf.

    Die Bedeutung Albrecht Mendelssohn Bartholdys Max Weber hat im Laufe seines Lebens auch den Sohn von Karl M. B., Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874-1936) kennengelernt. Albrecht M. B. wurde von seinem Onkel Adolf Wach (Mitglied der Allemannia Heidelberg, Schwager der Brder Karl und Paul M. B.) betreut und gefrdert, nachdem sein Vater Karl geisteskrank in einer Anstalt lebte. Aufgrund ihrer Verwandtschaft drfte es kein Zufall gewesen sein, da Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Max Weber 1919 in der Versailler Delegation zusammen waren. Albrecht Mendelssohn Bartholdy hat seinen Vater Karl M. B. nur als Pflegefall in einer psychiatrischen Anstalt erlebt. Auch bei ihm wurde wie bei seinem Vater und seinem Grovater frhzeitig eine groe Begabung offenbar. Er studierte Jura - er wurde jedoch nicht Burschenschafter oder sonstiger Verbindungsstudent -, er verfate Lyrik und Opernlibretti sowie kleine Kompositionen, doch die knstlerischen Ambitionen traten zurck, nachdem er sich bei seinem Onkel Adolf Wach in Leipzig habilitiert hatte ber die Grenzen der Rechtskraft. 1905 - 1920 war er Ordinarius fr Jura in Wrzburg. In dieser Zeit trat er auch noch als Pianist ffentlich auf.

    Wilhelm Schnitger

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    Sein Hauptgebiet wurde jedoch die fachwissenschaftliche Publizistik. Besonders interessierte ihn der Vergleich verschiedener (nationaler) Rechtssysteme. Von Albrecht Mendelssohn Bartholdy mitgetragen wurde die Deutsche Gesellschaft fr Vlkerrecht. Seine Hauptarbeit begann nach dem Ersten Weltkrieg, als ihn die Reichsregierung 1919 mit der Herausgabe der deutschen Akten zur Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs beauftragte. Auerdem war Albrecht Mendelssohn Bartholdy mit Johannes Lepsius und Friedrich Thimme Herausgeber des 40-bndigen Werkes Die groe Politik der europischen Kabinette 1871 1914 (1927). Ab 1923 arbeitete er am Institut fr auswrtige Politik mit folgenden Schwergebieten: - Historische Aufarbeitung der Ursachen des Ersten Weltkriegs - Vlkerrechtliche Regelung der Kriegsfolgen - Erarbeitung der Grundlagen fr die wissenschaftliche Fundierung

    der Weimarer Auenpolitik 1933 wurde Albrecht Mendelssohn Bartholdy zwangsemeritiert, im Zuge der Judenreinigung schied er als Herausgeber juristischer Periodika aus u.s.w. Im September 1934 emigrierte er nach Oxford. Am 26. November 1936 starb Albrecht Mendelssohn Bartholdy im Alter von 62 Jahren in Oxford an Magenkrebs. Sein Tod wurde in Deutschland kaum mehr zur Kenntnis genommen.

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    Verwandtschaftverhltnisse der Familien Souchay, Fallenstein, Weber

    Johann Carl Schunck * 24.3.1745 Hanau + 20.12.1800 Major, Klosteramtmann 12 Kinder

    Cornelius Carl Souchay Helene Elisabeth Schunck *1.12.1768 Frankfurt * 10.12.1774 Schlchtern + 27.5.1838 Frankfurt + 8.3.1851 Frankfurt Grohndler in Frankfurt 7 Kinder, darunter: 1. Elisabeth Wilhelmine Souchay Franz August Jeanrenaud 4. Eduard Franz Souchay Joh. Helene Schmidt * 23.9.1796 Frankfurt * 2.8.1788 La Chaux de Fonds * 16.12.1800 Frankfurt * 23.12.1804 Frankft. + 5.8.1871 Freiburg + 16.4.1819 Frankfurt + 1.7.1872 Frankfurt + 6.6.1888 Frankfurt Prediger in Frankfurt Dr. jur, Senator 4 Kinder, darunter 7 Kinder, darunter: 3. Ccile Jeanrenaud Felix Mendelssohn Bartholdy Cornelius Carl Souchay* Amalie Pauline Louise Winter * 10.10.1817 Lyon * 3.2.1809 Hamburg * 10.10.1835 Frankfurt * 14.6.1841 Heidelberg + 25.9.1853 Frankfurt + 4.11.1847 Leipzig + 7.10.1910 Marburg + 9.5.1930 Marburg Komponist Gutsbesitzer in Knzell (Vater: Buchh. Ch. Winter HD) 5 Kinder, darunter: 1. Karl Mendelssohn Bartholdy* 3. Paul Mendelssohn Bartholdy* 5. Lilli Mendelssohn Bartholdy * 7.2.1838 Leipzig 18.1.1841 Leipzig * 19.9.1845 Leipzig + 23.2.1897 Knigsfelden (Schweiz) 17.2.1880 Berlin + 10.10.1910 Wilderswil Historiker (Geschichte Griechenlands) Chemiker, Grnder der Fa. AGFA Er war verheiratet in 1. Ehe mit Else Oppenheim und nach deren frhem Tod mit ihrer Schwester Enole Oppenheim. Deren Bruder Franz Oppenheim (*) * 13.7.1852 Berlin, + 13.2.1929 Kairo, fhrte die Firma AGFA zur Weltgeltung

    * Mitglieder und (*) ausgesch. Mitglieder der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg.

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    Mendelssohn Bartholdy, Wach, Oppenheim, Schnitger und Schunck

    Wilhelmine Hartmann * 12.10.1746 Schlchtern + 12.1.1830 Haunau darunter

    Caroline Schunck Georg Becher * 16.12.1779 Hanau * 7.2.1775 Hanau + 23.3.1878 Heidelberg + 30.3.1815 Heidelberg Rechtsanwalt in FfM

    Emilie Souchay Georg Friedrich Fallenstein Ida Becher Georg Weber* * 22.9.1805 Frankfurt * 2.9.1790 Cleve * 13.8.1804 Frankft. * 10.2.1808 Bergzabern + 25.5.1881 Heidelberg + 31.12.1853 Heidelberg + 8.5.1888 Heidelbg. + 10.8.1888 Heidelberg Geh. Finanzrat, Pol. Schriftsteller Geschichtsschreiber 6 Kinder, darunter: 5 Kinder, darunter: 4. Helene Fallenstein Max Weber sen. 6. Eduard Fallenstein (*) 2. Heinrich Weber* 3. Carl Weber* 4. Fr. P. Weber* * 14.5.1844 Berlin * 31.5.1836 Bielefeld * 11.12.1848 Heidelberg 5.3.1842 Heidelbg. * 10.4.1843 HD * 20.12.1844 HD + 15.10.1919 Berlin + 10.8.1897 Riga + 11.1.1871 bei Orlans 17.5.1913 Strabg. + 3.9.1898 Bln + 19.1.1895 Bln.

    8 Kinder, darunter:

    Adolf Wach* Max Weber(*) Marianne Schnitger Else Weber Georg v. Wirkner* 11.9.1843 Kulm 21.4.1864 Erfurt * 2.8.1870 Oerlinghausen * 1875 St. Petersburg * 19.6.1866 Graz 4.4.1926 Leipzig 14.6.1920 Mnchen + 12.3.1954 Heidelberg + 26.4.1933 Mnchen + 6.2.1945 Solln Rechtslehrer Begrnder der Soziologie Frauenrechtlerin Chemiker

    Zu Marianne Weber, geb. Schnitger: ihre Mutter Anna, geb. Weber, war eine Nichte ihres Schwiegervaters Max Weber sen. Marianne Webers Mutter war also eine Cousine ihres Mannes Max Weber. Marianne Webers Vater Eduard Schnitger gehrte seit 1863 der B. Teutonia Jena an, einer Kartellburschenschaft der B. Allemannia Heidelberg. Durch Max Webers Vermittlung kamen spter Verwandte der Schnitgers zur B. Allemannia, die Brder: Hans Schnitger* Wilhelm Schnitger* * 7.1.1885 Detmold * 17.7.1886 Detmold + 12.9.1916 Frankreich + 3.5.1972 Detmold beide Rechtsanwlte in Detmold * Mitglieder und (*) ausgesch. Mitglieder der Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg.

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    Teil II

    Max Webers Weg zur Burschenschaft Allemannia Der Ausgangspunkt dieser Betrachtung war die Frage, wie Max Weber bei seinem Studienbeginn zur Burschenschaft Allemannia Heidelberg gekommen ist. Die Beziehungen seiner mtterlichen Verwandtschaft zu Heidelberg und der B. Allemannia sind im ersten Teil dargestellt worden. Wie Max Weber tatschlich zur Allemannia kam, beschreibt er in seinen Jugendbriefen. Zusammen mit Unterlagen aus dem Archiv der Allemannia lassen sich die damaligen Vorgnge recht gut verfolgen.

    Die Verantwortung Marianne Webers bei der Herausgabe der Jugendbriefe

    Marianne Webers Unkenntnis der korporativen Zusammenhnge Seine Witwe hat zwar seine Jugendbriefe herausgegeben und spter sein Werk verwaltet und ein Lebensbild verfat, doch was die Zugehrigkeit ihres Mannes zur Burschenschaft Allemannia betraf, scheint sie wenig Ahnung gehabt zu haben. Immerhin hat sie 25 Jahre an der Seite eines Mitgliedes der Burschenschaft Allemannia verbracht. In dieser Zeit sind etwa 20 Jahresberichte der Allemannia (von 1893 bis 1913) per Post ins Haus gekommen, dann im Jahre 1914 fnf Allemannen-Zeitungen - die hufiger erscheinende Allemannenzeitung lste die Jahresberichte als Mitteilungsblatt ab - und von 1915 bis 1918 elf sogenannte Kriegsberichte, welche neben den Kriegsschicksalen der Allemannen auch im Sinne der Allemannenzeitung ber

    Bundesinterna berichteten. Im zwlften und letzten Kriegsbericht von Februar 1919 ist Max Webers Austrittserklrung vom 17.10.1918 verffentlicht.

    Marianne Weber, geb. Schnitger

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    Neben diesen etwa 35 offiziellen Rundschreiben, die die Allemannia zwischen 1893 und 1918 jedem Mitglied zuschickte, gab es natrlich noch diverse andere Schreiben, wie Einladungen zu Veranstaltungen, Festen, Beitragserhebungen und vieles andere mehr. Man mu davon ausgehen, da Frau Weber auch diese Dinge irgendwann einmal in der Hand gehabt hat. Offenbar hat sie dennoch nicht bemerkt, da sich die Burschenschaft Allemannia zu Heidelberg mit ll schreibt, im Gegensatz zu anderen Verbindungen gleichen Namens. Man kann daraus schlieen, da sie sich nicht sonderlich dafr interessiert hat, ja vielleicht sogar, da sie die Verbindung ihres Mannes von Anfang an ablehnte, und sich deshalb auch nicht darum bemhte, die die Verbindung betreffenden Dinge richtig darzustellen. Frau Weber behauptet, da Max Weber nur oder fast nur Briefe an Familienmitglieder geschrieben hat. Der Verfasser hlt das fr unwahrscheinlich. Wer je das Leben in einer studentischen Korporation mitgemacht hat, wei, da die aktiven Mitglieder sich derart nah kennenenlernen, da sie sich auch gegenseitig Mitteilungen zukommen lassen. Zu Webers Aktivenzeit blieb da ber grere Distanzen nur die briefliche Verbindung. Es mu einfach Briefe geben oder gegeben haben, die Weber in seiner Aktivenzeit und danach von etwa gleichaltrigen Bundesbrdern bekommen hat, und solche, die er ihnen geschrieben hat! Frau Weber schreibt ja in der Einfhrung zu den Jugendbriefen, da sie eine Auswahl getroffen hat in der Hinsicht, da sie nur das verffentlichte, was von politischem oder ffentlichem Interesse sei. Mglicherweise hielt sie den Gedankenaustausch mit seinen Bundesbrdern fr nicht so wesentlich. Da sie bewut Briefwechsel aus dem Bereich der Verbindung ausgeklammert hat, ist eine Vermutung, die sich dem aufdrngt, der den verbindungsspezifischen Hintergrund kennt, der Frau Weber aber ganz offensichtlich nicht bekannt war! Sie schreibt ja, da Max Weber in die Alemannia (sic!), die Verbindung seines Vaters eingetreten sei. Sie bemerkte nicht, da das nicht stimmen kann. Sie wute also nicht, da ihr Schwiegervater gar nicht in Heidelberg studiert hatte, sondern in Gttingen und dort bei der Burschenschaft Hannovera im WS 1854/55 aktiv geworden war. Sie selbst verffentlicht nun Jugendbriefe ihres Mannes, welche genau beschreiben, zu welchen Verbindungen Max Weber zu welchem Zeitpunkt nach seiner Ankunft in Heidelberg Kontakt hatte. Aus diesen geht eindeutig hervor, da der Vater nicht Heidelberger Allemanne war.

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    Frau Weber lt den Namen der Burschenschaft ihres Mannes konsequent Alemannia (statt Allemannia) schreiben, auch in den Briefen aus der Feder ihres Mannes. Angesichts der konsequent angewandten Schreibweise Allemannia durch deren Mitglieder selbst, damals wie heute, kann sich der Verfasser nicht vorstellen, da Max Weber in seinen Briefen Alemannia und nicht korrekt Allemannia geschrieben hat. In Marianne Webers Herausgabe der Jugendbriefe ihres Mannes taucht auch das Wort Verbindungsbruder zur Bezeichnung eines Mitgliedes derselben Burschenschaft auf. Die korrekte Bezeichnung lautet - damals wie heute Bundesbruder. Der Verfasser hlt es fr sehr unwahrscheinlich, da Max Weber dieses bei Burschenschaften vllig ungebruchliche Wort9 benutzt hat, zumal seine nhere Verwandtschaft ja mehrere Burschenschafter aufwies, so da ihm der Begriff Bundesbruder von frhester Kindheit an vertraut gewesen sein drfte. Auch Marianne Webers Vater, Eduard Schnitger, war Burschenschafter. Doch Marianne Schnitger wuchs nicht bei ihrem Vater auf, so da sie in ihrer Jugend diese Begriffe nicht mitbekommen haben mag. Die Darstellung von Frau Marianne Weber ber das Verhltnis ihres Mannes zu den Heidelberger Verbindungen offenbart ganz eindeutig ihre Unkenntnis hinsichtlich des korporationsspezifischen Hintergrundes. Wegen des falsch verwendeten Begriffs "Verbindungsbruder" und der durchgngig falschen Schreibweise des Namens der Burschenschaft ihres Mannes zweifelt der Verfasser generell an einer korrekten redaktionellen Wiedergabe der Jugendbriefe Max Webers.

    Marianne Weber - Tochter eines Burschenschafters (B. Teutonia Jena)

    In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, da Marianne Weber selbst Tochter eines Burschenschafters war: ihr Vater, Eduard Schnitger, geboren am 28.10.1844 in Lemgo, war im SS 1863 bei der B. Teutonia Jena aktiv. Er war damit ein Bundesbruder des Historikers Bernhard Erdmannsdrffer, den Max Weber SS 1882 in Heidelberg als Dozenten kennenlernte. Als Max Weber in

    9 In burschenschaftlichen Kreisen hat der Verfasser noch nie etwas anderes als Bundesbruder zur Bezeichnung eines Mitgliedes derselben Burschenschaft gehrt oder im entsprechenden auch lteren Schrifttum gelesen. Bei den Corps ist allerdings der entsprechende Begriff Corpsbruder. Bei Landsmannschaften, Turnerschaften, Sngerschaften, konfessionellen Verbindungen wieder Bundesbruder. Es gibt in Heidelberg allerdings Verbindungen, die nicht Farben tragen, die Verbindungen Karlsruhensia, Leonensia und Rupertia, die das Wort Verbindungsbruder benutzen.

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    die B. Allemannia Heidelberg eintrat, war sein zuknftiger Schwiegervater bereits sein Kartellbruder! (vgl. Funote 24, S 63) Da Marianne Weber durch ihren Vater nicht viel von Burschenschaften gehrt haben drfte, erklrt sich aus ihrer und ihres Vaters Biographie: Eduard Schnitger ging SS 1863 zum Studium nach Jena, war zwei Semester bei Teutonia aktiv, studierte ab SS 1864 weiter in Marburg und dann in Wrzburg, wo er im WS 1865/66 zum Dr. med. promovierte. Im WS 1866/67 ging er noch nach Berlin. Von 1868 bis 1877 war er praktischer Arzt in Oerlinghausen bei Bielefeld. Hier heiratete er Anna Weber, eine Nichte von Wilhelm Maximilian Weber, dem Vater Max Webers. Die Tochter Marianne10 wurde am 2.8.1870 geboren. Anna Schnitger, geb. Weber starb 1873 bei der Geburt des zweiten Kindes. Der Vater konnte sich allein nicht um die Tochter kmmern. Er war noch bis 1877 in Oerlinghausen, verlegte dann seine Praxis nach Uhlstdt bei Rudolstadt und ab 1878 nach Lage bei Detmold, wo er am 17.5.1903 starb. Seine Tochter Marianne lebte erst bei ihrer Gromutter Schnitger in Lemgo, besuchte vom im Alter von 17 bis 19 Jahren ein Bildungsinstitut und lebte von 1889 bis 1890 bei einer Tante mtterlicherseits in Oerlinghausen, bevor sie Ende 1890 in das Haus ihres Groonkels (Bruder ihres Grovaters mtterlicherseits) und spteren Schwiegervaters Wilhelm Maximilian Weber nach Charlottenburg kam. Marianne Weber hat ihren Vater in der Jugend also nicht oft sehen knnen.

    Max Webers Kontakte zu Verbindungen in Heidelberg (SS 1882). Um die folgenden Zeilen auch als Nicht-Korporierter besser verstehen zu knnen, sei vorausgeschickt:

    1. Max Webers Vater erwartete von seinem Sohn natrlich, da er in Heidelberg zu der Burschenschaft Frankonia gehen wrde, die mit seiner eigenen Burschenschaft Hannovera Gttingen in einem Kartellverhltnis steht (Grn-Wei-Rotes Kartell, GWRK). (Ein Kartell verbindet

    10 Marianne Weber, geb. Schnitger war also eine Gronichte ihres Schwiegervaters.

    Eduard Schnitger und Frau Anna, geb. Weber

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    mehrere Burschenschaften an verschiedenen Orten zu einem Freundschaftsbund.)

    2. Webers mtterliche Verwandtschaft erwartete natrlich, da er - wenn berhaupt - in ihrer Verbindung, der Burschenschaft Allemannia, aktiv werden wrde.

    3. Es war klar, da Max Weber, wenn er aktiv werden sollte, zu einer der zwei Heidelberger Burschenschaften (es gab damals nur die beiden Burschenschaften Allemannia und Frankonia) gehen wrde. Ebenso, da er niemals zu einem der fnf Corps in Heidelberg gehen wrde (Suevia, Rhenania, Vandalia, Guestphalia, Saxo-Borussia) oder gar zu noch einer anderen Verbindung.

    4. Das Wissen um die Unterschiede dieser Verbindungen war Weber klar, so wie das jeder Student wute. Ebenso war ihm natrlich das Aussehen der Couleur11 der einzelnen Verbindungen gelufig - die Allemannencouleur kannte er natrlich auch aus seiner Verwandtschaft.

    Gleich im ersten Brief aus Heidelberg (vom Montag, dem 24.4.1882) an den Vater schreibt er u.a.:

    Hier in Heidelberg angekommen, entging ich glcklich den Nachstellungen mehrerer Allemannen (in der Herausgabe von Frau Weber steht natrlich "Alemannen"!. Vermutlich drfte Max Weber im Original "Allemannen" geschrieben haben, denn bei seiner anzunehmenden Kenntnis ber die Korporationen drfte er die richtige Schreibweise gekannt haben. Anm. d. Verf.), die sich ostensibel auf dem Bahnhof herumtrieben, und fuhr in den Ritter (= Hotel Ritter, Hauptstrae, Anm. d. Verf.), wo ich gut und billig wohnte. Ich besuchte Hausraths sofort, gab die Papiere von der Gromutter ab und blieb zu Mittag bei ihnen.12 und spter: Am Sonntag abend (23.4.) rckten mir

    11 Couleur bedeutet hier "Band und Mtze" der Verbindung. In jener Zeit wurde der Begriff "Couleur" aber auch als Synomym fr Verbindung benutzt. 12 Im Hause der ein Jahr zuvor, am 25.5.1881 verstorbenen Gromutter Max Webers, Frau Emilie Fallenstein, geb. Souchay, lebte deren zweitlteste Tochter, also eine Tante Max Webers, Henriette Hausrath (1840-1895) zusammen mit ihrem Mann Adolf Hausrath (1837-1909), Ordinarius fr Kirchengeschichte und neutestametarische Exegese in Heidelberg. Adolf Hausrath hatte ab WS 1856/57 in Jena Theologie studiert und war dort Mitglied der "Burschenschaft auf dem Burgkeller" geworden, der Vorluferin der spteren (1859) "Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller", die seit 1890 Mitglied des "Roten Verbandes" (RV) ist und welche von 1949/50 an ihren Sitz in Mainz hatte und 1992 nach Jena zurckkehrte und nun ihren Sitz in der "Grnen Tanne", dem Grndungslokal der Burschenschaft vom 12.6.1815 hat.

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    zwei Rhenanen (Mitglieder des Corps Rhenania) auf die Bude (offenbar noch im Hotel, denn in die Bude, die er in der Ziegelhuser Landstrae 21 in der Nhe des Hauses seiner Gromutter gemietet hatte, zog er erst am Montag, dem 24.4.). Nachdem ich sie mit dem Bedeuten, da mein Wec