magazin zum richard strauss schwerpunkt 2013/14

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MAGAZIN Richard Strauss 1864 –1949 zugeeignet Ich wollt ein Sträuß- lein binden Saison 2013 / 14 No. 3

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Das Magazin ist Bestandteil der Jahresbroschüre 2013/14.

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Page 1: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

M a g a z i n

Richard Strauss

1864 –1949

zugeeignet

ich wollt ein Sträuß-lein binden

Saison

2013 / 14no. 3

Page 2: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

2 Essay

Strauss

RichaRd StRauSS und Sein dReSdneR »uRauffühRungS-

doRado«Katrin Böhnisch

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Strauss

Wie ein Leittier stürmt dieser Strauss voran, beritten, dirigiert, gelenkt vom ehrenwerten Generalmusikdirektor Ernst von Schuch und dem lang-jährigen Intendanten des Königlichen Hoftheaters Nikolaus Graf von Seebach. Der Dresdner Maler und Karikaturist Georg Oskar Erler gestaltete den Komponisten als Vogel Strauß, dem anstelle seiner Schwanzfedern eine silberne Rose wächst und dessen Hals sicher Bezug nimmt auf die erotisch aufgeheizten Stoffe seiner Opern. Im engen Blickkontakt mit dem General-musikdirektor, begleitet von den Figuren seines »Rosenkavalier«, springt der komponierende »Überflieger« zu seinem nächsten Welterfolg. – Das war seine Komödie für Musik, »Der Rosenkavalier«, tatsächlich: In Sonderzügen der Reichsbahn strömten die Besucher nach Dresden, Zigaretten der Marke »Rosenkavalier« verkauften sich rasend, und während eines Faschingsum-zugs ritten Rosenkavaliere auf Pferden durch Dresden, denen ein karneva-listisch geknickter Richard Wagner samt seiner pompösen Bühnenfiguren weinend folgte. Gleichzeitig entstanden Satiregedichte oder eben jene Kari-katuren aus dem Jahre 1912, die das künstlerische Dreigespann Strauss, von Schuch und von Seebach oder die an Marionettenfäden hängenden Opernfiguren (S. 7) karikierend auf die Schippe nahmen.

Richard Strauss (1864 –1949) gehört zu den großen deutschen Musiker-persönlichkeiten der ausklingenden spätromantischen Epoche. In seinen Kompositionen spiegelt sich das von Pathos und Modernität geprägte Lebensgefühl seiner Zeit wider. Als der 85-jährige Richard Strauss am 8. September 1949 in Garmisch starb, hinterließ er ein Lebenswerk, das Sinfonische Dichtungen, Lieder, Kammermusikwerke, Ballettmusiken, Opern und viele andere musikalische Zeugnisse umfasst. Seine Kompositi-onen bereichern bis heute die Konzert- und Opernspielpläne der Welt. Doch immer assoziiert man mit den Strauss-Werken auch die Dresdner Semperoper – mit ihrem Herzstück, der Staatskapelle –, die der Komponist selbst als ein »Dorado« für Uraufführungen bezeichnete. Hier wurden neun seiner insgesamt fünfzehn Opern zwischen 1901 (»Feuersnot«) und 1938 (»Daphne«) aus der Taufe gehoben. Kein anderes Opernhaus ist seit dieser Zeit mit dem Komponisten so eng und freundschaftlich verbunden wie die Dresdner Semperoper.

Zum ersten Mal kam Richard Strauss durch den Tonkünstlerverein mit dem musikalischen Leben Dresdens in Berührung. Hier fand unter dem Dirigat von Franz Wüllner am 27. November 1882 erstmals die »Serenade für 13 Blasinstrumente« von Strauss statt. Zu diesem Zeitpunkt zeigte der als Kapellmeister verpflichtete Ernst von Schuch noch kein besonderes Inter - esse an dem damals 18-jährigen Komponisten. Auch Aufführungen weiterer

bedeutender Orchesterwerke überließ er seinen Kollegen.Doch das Verhältnis von Strauss und Schuch veränderte

sich. Während der ersten gemeinsamen Arbeit an »Feuersnot« begann eine über viele Schaffensjahre hinweg währende künstlerische Freundschaft. Ihr sind die Uraufführungen von »Feuersnot« (1901), »Salome« (1905) »Elektra« (1909) und »Rosenkavalier« (1911) zu verdanken. Trotzdem gab es zwischen Komponist und Dirigent immer wieder auch harte Interessens-konflikte. Bekannt ist beispielsweise, dass Richard Strauss seine künstlerischen und vor allem finanziellen Forderungen

Karikatur von Georg Oskar Erler: Richard Strauss, GMD Ernst von Schuch, Intendant Graf Nikolaus von Seebach, Max Hasait (Technischer Oberinspektor des Opernhauses) sowie die Opernfiguren aus dem »Rosenkavalier« (Mohr, Octavian, Ochs), Dresden 1912 Magazintitel: Richard Strauss bei der Arbeit an der »Schweigsamen Frau«, 1934

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Strauss

entsprechend seinem wachsenden Bekanntheitsgrad immer vehementer und unnachgiebiger formulierte. »Ich soll die Erstaufführung Euch verschreiben und ihr wollt gar nichts für mich thun? … Geht eben die Sache nicht, dann wandre ich eben nach Wien zu Mahler, der Alles thun will, wenn ich ihm die Erstaufführung gebe. Ich werde mich Ricardo Straussino umtaufen u. bei Sonzogo verlegen, dann bewilligt ihr alles!« 1 Doch die Freundschaft zwischen Strauss und Schuch überdauerte so manche Krise und begründete die eigentliche Richard-Strauss-Tradition in Dresden.

Während der Einstudierung der »Salome« nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Oscar Wilde stieß Richard Strauss mitunter auf heftigen Widerstand der Sänger. Einerseits waren es die neuartigen Klänge und hohen musikalischen Anforderungen, die die Partien stellten. Andererseits rief auch der erotisch aufgeheizte Stoff um die launische Prinzessin Salome, die zugleich makabre Tochter der Sünde und männermordender Vamp ist, Irritationen hervor: »Auf den Arrangierproben streikte die hochdramatische Frau Wittich … – so etwas schreibt man halt nicht, Herr Strauss … Das tue ich nicht, ich bin eine anständige Frau.« 2 Trotz allem war die Uraufführung dieser Oper am 9. Dezember 1905, besonders auch wegen der schillernden und rauschhaften Musik, ein sensationeller Erfolg.

Knapp drei Jahre später, im Herbst 1908, teilte Strauss Ernst von Schuch mit, dass seine Komposition »Elektra« nach der gleichnamigen Tragödie von Hugo von Hoffmannsthal abgeschlossen sei. Diese Oper wurde jedoch bei der Uraufführung am 25. Januar 1909 von Publikum und Kritik wesentlich

distanzierter aufgenommen als die vorangegangene »Salome«. Aber das änderte sich schnell, und der Erfolg der »Elektra« schmiedete Schuch und Strauss noch enger aneinander. Am 11. Juni 1909 schrieb Strauss an Schuch: »Zu meinem heutigen Ge- burtstag konnte ich keinen schöneren Morgengruß bekommen, als ihren lieben Brief!« 3

Vor der Uraufführung des »Rosenkavalier« am 26. Januar 1911 – dem sicher glanzvollsten und für die Dresdner Oper als Urauffüh-rungsort Strauss’scher Werke bedeu-tendsten Ereignis – lag ein durchaus steiniger Weg. Intendant Nikolaus Graf von Seebach beanstandete einige anstößige Textpassagen des Barons Ochs auf Lerchenau über die »Frauenzimmer« und deren kurz-weilige Liebesnächte mit ihm, die Strauss und sein Librettist Hofmanns-thal letztlich ein wenig »ab milderten«. Und immer noch blieb die »Charakte-risierung des Ochs« schwierig, »da es

Karikatur von Georg Oskar Erler: GMD Ernst von Schuch, Intendant Graf Nikolai von Seebach und Kapellmeister

Adolf Hagen, Figuren aus Wagneropern, Dresden 1912

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Strauss

sich darum handelt, Perron [Sänger der Uraufführung, Anmerk. Red.] die Vornehm-heit der Sangesweise u. Tongebung ab- u. den breitmauligen, hellen Wiener Fiakerton beizu-bringen« 4. Auch Georg Oskar Erler schien sich besonders für den baronesken Ochs zu interessieren und karikierte einige Monate nach der Uraufführung den Bassisten Ludwig Ermold in dieser Partie.

Was die Vereinbarungen zum »Rosenkava-lier« betraf, gab es harte Auseinanderset-zungen. Strauss beschimpfte den Vertrag in einem Brief an Schuch als eine »Spottgeburt aus Dreck und Feuer« 5, weil Dresden ihm nicht die darin geforderten Aufführungs-zahlen zusichern wollte. Auch beim künstleri-schen Personal stieß Strauss auf Empfindlich-keiten, als er neben dem Wiener Bühnenbilder Alfred Roller auch den prominenten Berliner Regisseur Max Reinhardt hinzuzog. »Wenn Sie (!!!) nicht wären«, schreibt Strauss im November 1910 an seinen Unterstützer Ernst von Schuch, »könnte mir das ganze Dräsden gestohlen werden. Ärger von Anfang bis Ende«. 6

Aus dem Ärger wurde ein Triumph. Der grandiose Erfolg der »Rosenkavalier«-Uraufführung ist auch darauf zurückzuführen, dass Strauss – anders als bei »Salome« und »Elektra« – eine durch Mozart inspirierte, rokokohafte Musik schuf, die melancholische Momente ebenso beinhaltet wie schwelgerische Walzerseligkeit.

Als der namhafte Dirigent am 10. Mai 1914 unerwartet starb, bekannte Strauss betroffen: »Ich glaub nicht, dass es viele Menschen gibt, denen Schuch das gewesen ist, was er mir war … Freund, Förderer, Schützer.«

Auch nach Schuchs Tod fand Strauss in Dresden immer wieder Mitstreiter und Förderer seiner Arbeit. Fritz Busch, von 1922 bis 1933 Generalmusikdirektor in Dresden, nahm mit »Intermezzo« (1924) und »Die ägyptische Helena« (1928) die Tradition der Strauss-Uraufführungen wieder auf. Der Erfolg der lyrischen Komödie »Arabella« am 1. Juli 1933 war über-schattet von der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Fritz Busch emig-rierte nach Argentinien, und die musikalische Leitung der »Arabella« über-nahm als Gast aus Wien Clemens Krauss. Auch über der von Karl Böhm dirigierten Uraufführung der Oper »Die schweigsame Frau« (1935) lag der Schatten des Dritten Reiches. Strauss konnte zwar die Namensnennung des jüdischen Textdichters Stefan Zweig auf dem Theaterzettel – gegen politi-schen Widerstand – durchsetzen, aber das Werk wurde nach vier Vorstel-lungen abgesetzt und durfte bis zum Ende des Weltkrieges in Deutschland nicht mehr gespielt werden. In einem freimütigen Brief an Zweig bekannte sich Strauss zu dem Librettisten: »Ich gebe Sie nicht auf, auch nicht, weil wir jetzt eine antisemitische Regierung haben.« 7 Als das Schriftstück jedoch

Karikatur von Georg Oskar Erler: Ludwig Ermold als Baron Ochs auf Lerchenau

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Strauss

von der Geheimen Staatspolizei abgefangen wurde, war sein Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer besiegelt.

Die neunte der Dresdner Uraufführungen am 15. Oktober 1938, die bukolische Tragödie »Daphne« nach einem Text von Joseph Gregor, widmete Strauss Karl Böhm.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung der Semperoper begeisterten vor allem Joseph Keilberth und Rudolf Kempe mit den Kompo-sitionen des Meisters und dessen schillernd-virtuosem Orchesterzauber. »Aus der Fülle der herrlichsten Erinnerungen meiner künstlerischen Lauf-bahn«, schreibt Richard Strauss 1948, »rufen die Klänge dieses Meisteror-chesters stets von neuem Gefühle innigster Dankbarkeit und Bewunderung wach«. 8 Bei der Einweihung der wieder aufgebauten Semperoper 1985 stand neben Webers »Freischütz« auch der »Rosenkavalier« auf dem Spiel-plan. Richard Strauss war sozusagen bei der Wiedereröffnung seines Tradi-tionshauses »mit dabei«. Und auch die Bronzebüste des Komponisten, 1908 kreiert von Hugo Lederer, kann seither im zwingerseitigen Vestibül der Semperoper betrachtet werden.

Der Komponist und Dirigent würde am 11. Juni 2014 seinen 150. Geburtstag feiern: »Ein Ehrentag, ein heilger Tag!« – wie die Opernfigur Herr von Faninal den II. Akt des »Rosenkavalier« eröffnet. Mit einem viel-seitigen Geburtstagsprogramm gratuliert die Semperoper ihrem komponie-renden »Überflieger« Richard Strauss.

feuersnot 21. November 1901

Salome 9. Dezember 1905

elektra 25. Januar 1909

der Rosenkavalier 26. Januar 1911

intermezzo 4. November 1924

die ägyptische helena 6. Juni 1928

arabella 1. Juli 1933

die schweigsame frau 24. Juni 1935

daphne 15. Oktober 1938

uraufführungen von Richard Strauss’ opern

in dresden

1 Brief von Richard Strauss an Ernst von Schuch, 1911. 2 Richard Strauss, Erinnerungen an »Salome«, 1942. 3 Richard Strauss an Ernst von Schuch, Garmisch, 11.6.1909.

4 Brief von Richard Strauss an Ernst von Schuch, 7.12.1910. 5 Richard Strauss an Ernst von Schuch, Garmisch 22.9.1910. 6 Richard Strauss an Ernst von Schuch, Garmisch, 30.11.1910.

7 Richard Strauss an Stefan Zweig, Garmisch, 26.2.1935. 8 Richard Strauss an die Staatskapelle Dresden, Pontresina, 25.7.1948.

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Strauss

Karikatur von Georg Oskar Erler: Mitglieder des Sängerensembles des Dresdner Hoftheaters – Karl Scheidemantel als Ochs, Carl Perron,

Eva Plaschke von der Osten als Octavian, Friedrich Plaschke als Wotan, Dresden 1912

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8

Strauss

Elektra

Richard Strauss an Ernst von Schuch

am 8. Dezember 1907

Ich bin fleißig an Elektra (50 Seiten Partitur sind schon geschrieben) u. ich hoffe be- stimmt, bis heute über’s Jahr fertig zu sein u. so ist der schöne Tag nicht mehr allzu-fern, wo ich bei der Dresdner Uraufführung (dass ich Ihnen treu bleibe, darauf können Sie fest rechnen trotz aller klingenden Versuchungen) von Neuem meiner Bewunderung für Sie die Zügel schießen lassen kann. Wann kommen Sie denn mal zu mir, sich was anzuhören: Ich bleibe jetzt bis

Ende Januar fest in Berlin. …

Richard Strauss an Ernst von Schuch am 11. September 1908

Hochverehrter Freund und Leibdirigent!Elektra ist fertig und der Schluss saftig geworden!Die Hauptrolle muss nun auf jeden Fall von der aller hochdramatischsten Sängerin gegeben wer-den, über die Sie verfügen. Ich habe auch bereits an Weingartner geschrieben; er möge die Elektra und nicht die Klytämnestra an Frl. von Mildenburg

übertragen, wenn sie’s noch aushält.

Ich bin am 19. und 20.ten Oktober bestimmt in Dresden u. bitte Sie mir an diesen bei-den Tagen Ihre ganze Garde, die in Betracht kommt, vor-zuführen. Die arme Wittich, deren Unfall ich sehr bedau-ere, scheidet ja nun wohl defi-nitiv aus jeder Concurrenz aus!Ich hoffe, dass das gesamte Orchestermaterial spätestens

am 15. Dezember in Ihren Händen ist: Sie können also mit ziemlicher Bestimmtheit die Première so circa 24. Januar ansetzen. Ich habe am 15. Januar noch Sinfonieconcert in Berlin u. kann vom 16.ten

ab in Dresden sein.Von Weihnachten bis 12. Januar bin ich in

St. Moritz. Also etwa 24. Elektra.25. Concert und Feuersnot26. Concert und Salome

27. ElektraPasst Ihnen das?

Am 28.ten muss ich nach Hamburg.Auf Wiedersehen also am 19.ten Oktober!

Mit herzlichsten Grüßen auch von der Todfeindin aller Musikanten Ihr alter

Dr. Richard Strauss

»elektRa iSt feRtig und deR SchluSS Saftig gewoRden!«

Von Richard Strauss und ernst von Schuch

Ernestine Schumann-Heinck als Klytämnestra und Annie Krull als Elektra in der Uraufführung

»Elektra« 1909

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Strauss

Richard Strauss an Ernst von Schuch am 2. Januar 1909

Verehrter lieber Freund!Wir sitzen in Schnee und Eis am Eibsee u. sehnen uns nach einem lieben vierten Mann. Warum sind Sie denn nicht hier? Was thun Sie denn eigentlich in Dresden? Hier ist’s doch viel schöner: diese Luft! Ich glaube gar, Sie probieren dort Feuersnot u. Elektra! Schreiben Sie mir doch ein paar Zeilen, ob Salome schon gewesen ist. Wie war Sembach? Wie laufen die Orchesterproben der Elektra? Ist’s

schwerer als Salome? Herzlichste Grüße Ihnen und Ihrer lieben Familie

u. ein fröhliches Prosit-Neujahr!Dr. Richard Strauss

Ernst von Schuch an Richard Strauss am 4. Januar 1909

Verehrtester FreundBesten Dank für die Karte und Einladung zum Eibsee – das käme mir wirklich gelegen, denn so caput war ich doch noch nie – aber es wird ausge-halten und geschafft zum Ruhme meines Leib -

componisten.Manches ist programmässig verlaufen, soweit es an mir lag – »Salome« war am 23. Dez allerdings ohne Sembach, der nicht fertig wurde – er kann aber die Rolle und wird nur eine kurze Probe brau-chen. Feuersnot hat mir große Schwierigkeiten bereitet und mich in den Electraproben sehr gestört – ich habe 7 starke Proben zur Feuersnot selbst halten müssen – es waren fast alle Solisten, außer Scheidemantel – Nast – Chavanne Erl u. Plaschke neu und alle Kinder. Gestern war die Auf-führung, allerdings sehr gut u. sowohl Scheide-

mantel u. Osten wie das Ensemble.Mit dem Orchester probirte ich also bis jetzt Electra nur an 6 Tagen d. h. zwei Mal Streicher, zweimal Holzbläser u. zweimal Blech mit Schlagzeug. Holz-bläser sehr schwer, namentlich B Clar u. Flöten – Streicher stellten sich auch sehr schwerfällig an – Tuben mit Dämpfer geradezu unmöglich – infolge dessen bestellte ich neue Tuben in Wien, die am 15ten eintreffen sollen – ich hoffe, die Herren wer-den sich darauf einrichten – unsere Instrumente sind zu schlecht. Fehler waren bedeutend mehr, wie in Salome u. Feuersnot. Stichworte fehlen ganz. Arrangirproben waren im Saal schon verschiedene. Morgen Dienstag habe ich von 10 – 12 volles Orchester – von 12 ab Arrangement auf der Bühne: Ensemble u. Chorscenen – Mittwoch ab 10 Uhr

ganze Arrangirprobe auf der Bühne (Orchester-probe kann nicht sein, da Feiertag – Vormittag u. Nachmittag Kirche – dazu noch Nachmittagvor-

stellung (Märchen) u. Abend grosse Oper.)Donnerstag zweite volle Orchesterprobe

(zweiter Theil).Freitag Sitzprobe Orchester und Solisten

Sonnabend Orchesterprobe soweit wir kommen.…

Ueber die Schwierigkeit der Electra im Verhältnis zu Salome etwas zu sagen, ist mir kaum möglich – da die Sängerinnen noch nicht dabei waren – jedenfalls klingt es jetzt schon theilweise herrlich z.B. der Streichkörper allein ganz mächtig, obwohl noch alles lahm ist u. hinkt, – ich hoffe, es wird prachtvoll werden. Leider gibt es immer Hinder-nisse u. Zwischenfälle, die zu überwinden sind. Mein erster Oboer, die erste Harfe u. Bassposau-nebläser sind krank auch Contrafagott neu besetzt

– Bassethörner dafür ganz gut.So, jetzt haben Sie in meinem bekannten, schnel-len Styl, ohne viertes Viertel, das in jedem Satz verschluckt ist, ein oberflächliches Bild, wie es bei uns aussieht – ich werde sehr glücklich sein, wenn

die große Sache gut vorübergeht.Verbindlichsten Handkuss der Gestrengen herzli-

che Grüße Herrn Levin u. Ihnenin bekannter treuer Hingebung u. Verehrung

Ihr E. Schuch

Richard Strauss an Ernst von Schuch am 6. Januar 1909

… Also Holzbläser Elektra sind wieder so schwer? Zum Teufel! Und ich bemühe mich so sehr, leichter u. einfacher zu schreiben. Ja, Ihre famosen Kam-mermusiker werden die Nüsse schon knacken.

Davor ist mir nicht bang! …Ich bin wahnsinnig gespannt, das Elektraorchester

am 18ten zum ersten Mal zu hören …

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014

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Strauss

Interview

elke heidenreich spricht mit christian thielemann über Richard Strauss

»ein auSgefuchSteR

oRcheSteR - tüftleR«

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Strauss

Herr Thielemann, in Ihrem Buch »Mein Leben mit Wagner« schreiben Sie im ersten Satz: »Wagner wurde mir in die Wiege gelegt«. Was ist mit Richard Strauss?

(lacht.) ach, den habe ich mir relativ schnell dazulegen lassen! ich habe mir den Strauss aber tatsächlich erarbeiten müssen, denn er ist doch sehr unterschiedlich, und es ist falsch, immer zu sagen: das ist ein dirigent für wagner und Strauss. klar, viele dinge überlappen sich, aber der Strauss hat diese ganz einfachen Melodien, und das stand bei wagner sicher nicht im Vordergrund.

Wagner und Strauss werden aber so oft in einem Atemzug genannt, warum?

der frühe Strauss hat eine Menge von wagner übernommen und sich inspirieren lassen , aber er ist doch ein ganz anderer komponist.

Wo ist er denn Wagner am nächsten?

Vom duktus der Musik her in den tondich-tungen. aber bei »Salome« und »elektra« und spätestens beim »Rosenkavalier« ent-fernt er sich doch sehr von wagner. Strauss kommt oft auf eine leichte einfachheit, die Melodie darf sehr unschuldig sein, während bei wagner doch immer alles mit sehr großer Bedeutung unterlegt ist. auch die Personnage ist bei wagner viel schwer - blütiger.

Strauss hat mal gesagt, er könne den Unterschied zwischen Pilsener und Kulm-bacher Bier komponieren.

und er hat gesagt, er könnte auch Speise-karten instrumentieren – und das kann er wirklich! er kann unglaublich gut instrumen-tieren, er kann klingeln, er kann stricken, er kann alles quasi in luxusgeschenkpapier verpacken. und im alter wird er immer

leichter, aber nicht harmlos im negativen Sinne, sondern wunderbar einfach.

Ist Richard Strauss nach Berlioz und Liszt der Vollender der sinfonischen Dichtung? Er hat zu seiner »Alpensinfonie« gesagt, das sei eine riesige Tonmalerei und ein »Schmarrn nach Wagner«.

er hat auch nach der »alpensinfonie« ge- sagt, er habe jetzt endlich instrumentieren gelernt. das war für ihn ganz wichtig. für mich sind Richard Strauss – und danach eigentlich henze – die raffiniertesten und ausgefuchstesten orchestertüftler. wie Strauss bei »frau ohne Schatten« mit diesem monströsen orchester diese feinst-farben zaubert! oder »daphne« – wenn daphne zum Baum wird, Sie hören die Blätter rhythmisch im wind wehen, und das hat Strauss mit augenzwinkern und humor gemacht – was sowieso so wunder-bar bei ihm ist: der humor. ich war oft in garmisch in seinem haus, da hat sich bis heute nichts verändert. da stehen die Bierkrüge, hier wohnte ein gut-bürgerlicher Mensch, schlief in gestärkter Bettwäsche, spielte Skat, und es gab einen anständigen Sonntagsbraten – das alles atmet diese atmosphäre. und dass dieser Mann dann in solche abseitigen Milieus wie »elektra« und »frau ohne Schatten« abdrif-tete, das spricht ja Bände.

Und erst recht ja bei »Salome«. Ist »Salome« eigentlich der Beginn der Moderne in der Oper? Das ist ja schon fast atonal.

Ja, auch vom Sujet her ist das ja ein starkes Stück, das allein hat schon für den Skandal gesorgt, diese lolita. und so ein Stoff braucht auch moderne klänge. da hat er alle Register gezogen, vom Schmierigen bis zum aggressiven und lasziven – das ist eine wahnsinnige Partitur.

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Strauss

Er selbst hat atonale Musik Bockmist genannt, war dann aber doch auch damit auf dem Weg in die Moderne.

Ja, aber er hat irgendwann ein-fach gesagt: ich mag das nicht! und das gefällt mir so an ihm, diese ehrlichkeit. wenn heute einer sagen würde, er findet moderne Musik atonalen Mist, dann schlachtet ihn doch sofort das feuilleton. (lacht sehr.)

Welche besonderen Herausforderungen gibt es für einen Dirigenten bei Richard Strauss?

das orchester leise zu halten, an der richti-gen Stelle durchsichtig zu sein und an der richtigen Stelle zuzuschlagen, und das ist schwer, weil das orchester bei Strauss so groß ist.

Strauss hat ja selbst die Dresdner Hofka-pelle dirigiert und von ihrem ganz besonde-ren Klang geschwärmt. Gibt es den noch immer?

Ja klar, und die dresdner sind ja auch zu Recht stolz auf ihre Strauss-tradition. ernst von Schuch hat »Salome« und »elektra« hier uraufgeführt, und da saß Strauss bei den Proben und wollte es lauter haben. lauter! der Schuch hatte es mit Respekt vor den Sängern leise gehalten, heute ist es allen immer zu laut.

Ist Richard Strauss denn nun mehr das 19. oder das 20. Jahrhundert?

Beides. er kommt aus dem 19. Jahrhundert, und dann hat er ins 20. reingerochen und sich dafür entschieden, im 20. eben nicht atonal zu schreiben, sondern tonal.

Richard Wagner hat im Grunde schon die Filmmusik des 20. Jahrhunderts vorweg genom- men. Kann man sagen, dass Strauss auch filmisch geschrieben hat? Sein »Zarathustra« ist ja in Kubricks »Odyssee im Weltraum« zu hören.

Ja, beide haben sehr illustrativ gedacht. diese Musik ruft so viele assoziationen hervor und ist daher auch leicht von jeder-mann zu missbrauchen. das ist

alles so breit gefächert bei wagner und Strauss – das Silbrige, das feingliedrige, das zarte, das Brutale – das ist alles da. wie es so blöd heißt: da ist für jeden was dabei. Bei einer Mozartsinfonie wäre keiner auf die idee gekommen, diese Musik für den Reichsparteitag zu missbrauchen.

Richard Strauss hat mal gestöhnt, er hätte zwei Leben: eins am Schreibtisch, eins am Dirigentenpult. Wie sieht das bei Ihnen aus?

ich führe auch ein leben am dirigenten-pult, und mein privates leben kommt deut-lich zu kurz. Manchmal bedaure ich das, denn bei allem beruflich erfreulichen ist ein Privatleben mit zunehmendem alter auch nicht unwichtig. Mir ist übrigens auch viel wichtiger als früher, dass zwischen dem orchester und dem dirigenten eine mensch-lich schöne atmosphäre herrscht – und da sind wir wieder bei Strauss: diese atmo-sphäre macht erst diese spielerischen und humorvollen, diese leichtfertigen Momente möglich.

Elke Heidenreich ist Journalistin, Autorin und Kolumnistin des Semper-Magazins.

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Page 13: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

13

Strauss

Lithografie von Leonhard Fanto, 1933

Page 14: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

14

Strauss

Der Rosenkavalier

1934Unter der musikalischen Leitung von

Karl Böhm singen in der Neuproduktion

von Hans Strohbach Tiana Lemnitz

(Octavian), Ludwig Ermold (Ochs),

Marta Fuchs (Feldmarschallin) und

Maria Cebotari (Sophie).

»die zeit, die iSt ein SondeRBaR ding«

die dresdner »Rosenkavalier«-geschichte in Bildern

»ein dickeR, älteReR, anMaSSendeR

fReieR, VoM VateR BegünStigt,

wiRd Von eineM Jungen, hüBSchen

auSgeStochen.«Die Handlung, nacherzählt von Richard Strauss

1911Ein Stück Operngeschichte wird gebo-

ren: Am 26. Januar 1911 betritt der

Rosenkavalier in der Regie von Georg

Toller und unter musikalischer Leitung

des Generalmusikdirektors Ernst von

Schuch erstmals die Bühne.

»Dieser Herr von Schuch! Es ist wun-

derbar! Den ganzen Opernramsch hat

er weggewischt, jetzt ist auf einmal das

musikalische Lustspiel da! Man hat

keine Worte für diese Tat!«

Richard Strauss bei der Uraufführung seiner »Komödie mit Musik«

1925inszeniert Robert Wiene (»Das Cabinet

des Dr. Caligari«) den »Rosenkavalier«

als Stummfilm, für den Richard Strauss

höchstpersönlich seine Opernmusik zu

einer rein instrumentalen Fassung

umarbeitet und sie von vier auf eindrei-

viertel Stunden einschmolz.

Gedreht wird unter anderem an den

Originalschauplätzen in Wien, die Dar-

steller sind – mit Ausnahme des Ochs’ –

keine Sänger, sondern Schauspieler.

Uraufgeführt wird der Film in Dresden,

Richard Strauss dirigiert selbst.

Page 15: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

15

Strauss

2012Christian Thielemann dirigiert die Wie-

deraufnahme dieser Inszenierung und

feiert damit als Chefdirigent der Säch-

sischen Staatskapelle seinen Opernein-

stand an der Semperoper.

200090 Jahre strapaziert: Für die Neuinsze-

nierung von Uwe Eric Laufenberg unter

der musikalischen Leitung von Semyon

Bychkov werden die Uraufführungsno-

ten aufwändig restauriert.

1985Nach dem »Freischütz« ist der »Rosen-

kavalier« am 14. Februar 1985 die

zweite Premiere im wiedereröffneten

Opernhaus. Joachim Herz inszeniert, es

dirigiert Hans Vonk.

196150 Jahre »Rosenkavalier«: 1961 wird

Heinz Arnolds Inszenierung wieder ins

Repertoire aufgenommen, am Pult der

Staatskapelle steht der junge Dirigent

Otmar Suitner.

1948In der Neuproduktion von Heinz Arnold

singt Elfriede Weidlich die Sophie, Dora

Zschille die Feldmarschallin, Kurt

Böhme den Baron Ochs auf Lerchenau

und Christel Goltz, die legendäre

Salome, den Octavian. Die musikalische

Leitung hat Jospeh Keilberth inne.

der Rosenkavalier

Musikalisc

he Leitung

christian thielemann

Inszenierung

uwe eric laufenberg

Vorstellungen

3., 6., 1

0. oktober 2013

Page 16: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

Strauss

Essay16

… und die Seele

unBewachtJürgen kesting

anmerkungen zum Strauss-gesang

Page 17: Magazin zum Richard Strauss Schwerpunkt 2013/14

17

Strauss

Die bedeutende Gesangslehrerin Blanche Marchesi zitierte vor hundert Jahren gegenüber ihren Schülerinnen die Warnung eines Stimmarztes, der an den Komponisten schrieb, er rate allen Sängern ab, die Musik von Richard Strauss zu singen, bevor dieser gelernt habe, für die menschliche Stimme zu schreiben. Dies betraf Partien, die, wie es im Jargon der Prima-donnen hieß, als »voice killers« galten wie Salome und Elektra, die in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts »erobert« werden mussten wie vier Jahrzehnte zuvor Isolde und Brünnhilde.

Mit Tenören hatte Strauss wenig im Sinn. Dem italienischen Sänger im »Rosenkavalier« hat er drei oder vier heikel-hohe Minuten gegönnt, deren Chancen nicht oft genutzt werden. Mit dem Bacchus in »Ariadne« hat allein Helge Rosvaenge überzeugen können. Von den intrikaten Schwierigkeiten einer Partie wie der des Matteo wissen wohl nur die Tenöre, die sie singen mussten, ohne die gebührende Anerkennung zu finden. Es gibt, mit einem Wort, zwar den Puccini-Tenor, aber nicht den Strauss-Tenor? Connaisseurs werden entzückt sein, wenn sie das Kontraalt-Es der Gaea hören, aber wie

selten können wir »Daphne« auf der Bühne erleben. Auch die Bässe, und nur deutschsprachige, halten lediglich zwei Strauss-Partien in ihrem Reper-toire: den verwilderten Don Juan aus dem Geschlecht der Lerchenauer und Sir Morosus.

Es war die Stimme des Soprans, mit der Strauss, der Sensualist par excellence, eine lebenslange Liebesaffäre unterhielt. Dieser Liebe brachte er mit den drei Frauenpartien im »Rosenkavalier« – Marschallin, Octavian und Sophie – die schönste Huldigung dar, ebenso mit Arabella und Zdenka, Ariadne und Zerbinetta, Helena und der »Capriccio«-Gräfin, nicht zuletzt mit etlichen seiner mehr als 150 Lieder. Die ersten hat er, in den beiden letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts, für seine Frau Pauline de Ahna geschrieben. Mit diesen melodischen Preziosen, deren filigrane Lineaturen an die Ornamente des Jugendstils erinnern, betrat er, nach dem treffenden Wort von Karl Schumann, »das Gebäude des Ruhms«.

In diesen Liedern kündigten sich die späteren Sopran-Partien an, auch die nervös-dissonanten Schärfungen des Melos in »Salome« und »Elektra«, die, dacapo für den vorerwähnten Stimmdoktor, nicht nur liebevoll mit den Stimmen umgegangen sind. Strauss selber hat betont, dass seine Gesangs-sprache sich grundlegend von der Richard Wagners unterschied. Selbst Salome und Elektra sind keine Partien für die Hochdramatischen mit dem von Wagner geforderten Mezzo-Fundament, sondern für leuchtende und, in entscheidenden Momenten, lodernde Stimmen, deren Klang nur oxymo-risch zu beschreiben ist: als silbrig rein und erotisch aufgeladen. Die »splen-

deur fatale« der Elektra etwa erleben wir eher durch Inge Borkh als durch den Trompetenglanz von Birgit Nilsson.

Mein gedanke iSt die Melodie. Sie kündet tiefeReS,

ein unauSSPRechlicheS. Flamand, der Komponist, in »Capriccio«

Richard Strauss mit Viorica Ursuleac als Arabella und Alfred Jerger als Mandryka nach der Generalprobe »Arabella« 1933

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Strauss

Auffällig, dass Strauss die Rollen seiner Protagonistinnen für hohe Stimmen schrieb. In seiner Fantasie malte er sich Soprane von zart-mädchenhafter Erscheinung mit grenzenlosen stimmlichen Ressourcen aus. In der Partie der Salome hätte er am liebsten die zarte, silbrige Stimme von Elisabeth Schumann gehört, die klug genug war, sich nicht auf den Kampf mit dem hundertköpfigen Instrumental-Apparat einzulassen und sich mit der Sophie zu begnügen. Fast alle bedeutenden Darstellerinnen dieser Partie hatten hell timbrierte, gleichsam laserhaft projizierte Stimmen: Emmy Destinn, Maria Cebotari, Ljuba Welitsch, Christel Goltz, Inge Borkh, Leonie Rysanek, Lisa della Casa, Anja Silja, Inga Nielsen, Catherine Malfitano und Karita Mattila – Stimmen mit leuchtender und, in den seelisch entschei-denden Momenten, lodernder Höhe. (Ergänzt sei: Sie alle haben, von Anja Silja abgesehen, Isolde oder Brünnhilde nicht gesungen.) In vielen Szenen – dem Duett des zweiten Aktes und dem Final-Terzett des »Rosenkavalier« oder dem Duett aus »Arabella« – schwingen sich die Stimmen auf wie Inst-rumente, wobei die Worte sich bisweilen in Vocalisen verwandeln (wie etwa auch im »Wiegenlied«). Zugespitzt ließe sich sagen, dass sich bei Mozart die Instrumente der Stimme anverwandeln, während sich bei Strauss die Stimme am Klang der Instrumente orientiert, an den hohen Violinen oder Holzbläsern mit dem Ziel eines Mischklangs, dessen euphonischer Zauber berückend ist.

Die Tessitura der meisten Partien – wie auch die der Lieder – ist heikel. Es gibt zum einen die langen, sehrenden melodischen Bögen in der hohen Lage, aber auch Momente, in denen Strauss die Stimme ins Dunkel der tiefen Lage taucht, etwa in Salomes Phrase »ist das Geheimnis des Todes«, in der das tiefe B und vor allem das Ges meist nur gehaucht und nicht als resonanter Ton gebildet werden. Die ekstatischen Entäußerungen in Salomes Schlussmonolog oder in einigen Szenen der Elektra stellen grenz-wertige Anforderungen. In diesen Szenen muss die Stimme brennen wie eine Fackel in der Nacht – bei perfekt konzentrierter Tongebung und ohne die in der Höhe aufgerissenen Töne, die nichts anderes sind als für den Hörer quälende Schreiakzente.

Der Reiz der Monologe der Marschallin wie der »Capriccio«-Gräfin beruht auf einem Sprechgesang von melodischem Zauber, bei dem die Worte, auf der Grundlage eines natürlichen Sprechtempos, in den Klang gebettet werden müssen. Die sensualistischen Schönheitsfluten der »Vier letzten Lieder« wiederum stellen die höchsten Anforderungen an die Atem-technik, wenn sich die letzte Phrase von »Frühling« über acht Takte dehnt, davon fünf allein auf dem Wort »Gegenwart«. Phrasen wie »und die Seele unbewacht« und »tief und tausendfach zu leben« (»Beim Schlafengehen«) sind, mit Blick auf die Einteilung des Atems, auf das Gelingen des Unmög-lichen abgesehen. Eben dem aber gilt alle Sehnsucht.

Jürgen Kesting ist Journalist, Musikkritiker und Stimmexperte.

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Strauss

Feuersnot

Sonnwendfeuer

drunt’n is nacht, alle liachta ausg’macht,

finsta und schwarz überall’n. Buama, laß ma’s uns g’fall’n?

Schaugt’s umanand!

herrgott, wia schö is dös land! Müaß ma’s de Schwarz’n verschreib’n?

daß uns de freud außi treib’n?

hui! Sunnawend! her mit de Scheiteln und brennt!

leucht'n halt do no amal lustige feuer ins tal!

Sehg’n sie an Schei’,

kunnt ja dös aa’r amal sei, daß sie’s spanna da drunt,

wia ma’s heller hamm kunnt.

Sunnawend

Sunnawend! Sunnawend! ’s heilige feuer brennt!

Bäu’rin, dein’ herd lösch aus! dös bringt a glück ins haus, wann drin vom Sunnawend heut a neu’s Scheitl brennt.

g’rat’n tuat’s überall,

g’sundheit hast aa’r im Stall, feit dir, und dös is wahr, nix mehr dös ganze Jahr.

deandl, du bist so jung!

trau dir mit mir an Sprung! hast mi a wengl gern,

werd's dir net z’müahsam wer’n.

feuer am Sunnawend! aba no hoaßa brennt

’s jung sei. und bei der nacht hat sie mir d’tür aufg’macht.

ludwig thoma (1867 – 1921)

feuersnot

Musikalisc

he Leitung

Stefan klingele

Premiere

7. Juni 2014

Vorstellungen

9., 10. Ju

ni 2014

Szenenbild der Uraufführung »Feuersnot« 1901

f

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o

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wenn die emotionalen feuer der erwartung manchmal gar zu hoch lodern und funken sprühen, kann das dunkel der

enttäuschung schnell hereinbrechen. Schlimm nur, wenn dieser Mantel der finsternis wie eine grantige wetterwolke über die

ganze Stadt zieht! – Richard Strauss ließ es nach seinem ungnädig aufgenommenen »guntram« über München kräftig regnen

und verpasste mit »feuersnot« seiner heimatstadt einen denkzettel. ein verheißungsvolles uraufführungs-Johannisfeuer loderte für

ihn fortan in dresden.

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Strauss

Ariadne auf Naxos

Sehnt sich zerbinetta nach mehr tragischem ernst, wie ihn ariadne kultiviert?

Zerbinetta denkt immer positiv und kann sich jeder Situation anpassen. Ich glaube nicht, dass da eine Sehnsucht nach Tiefe ist, sondern dass sie die Tiefe in sich hat, aber sie bewusst nur das Positive und Heitere nach außen hin lebt. Ich halte sie deshalb auf keinen Fall für oberflächlich – das wird auch im Duett mit dem Komponisten deutlich.

wäre ariadne auch gerne so unbe-schwert wie die heitere zerbinetta?

Der Unterschied liegt zunächst darin, dass Ariadne eine Rolle ist, welche die Primadonna in der Oper übernimmt, während Zerbinetta innerhalb der Oper eine wirkliche Person ist. Diese traurige Ariadne würde sicher gerne unbe-schwert und fröhlich sein! Aber ihr Herz wurde gebrochen, sie ist so niederge-schmettert, dass sie sich nur noch den Tod wünscht.

MuSik kann alleS

eine opera seria und eine opera buffa sollen nach dem willen eines reichen Mannes gleichzeitig in seinem haus aufgeführt

werden. deshalb bevölkert eine commedia dell’arte-truppe die insel naxos, auf der ariadne von ihrem theseus verlassen

wurde und sich nun nach dem tod sehnt. das hält zerbinetta, auch in der Realität eine fröhliche Person, nicht von ihren

Versuchen ab, die von einer Primadonna gespielte ariadne zu neuer lebenslust zu bewegen. ein gespräch mit ariadne

(Marjorie owens) und zerbinetta (Romy Petrick).

Owens

Petrick

Marjorie Owens Romy Petrick

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Strauss

ausleben, weil es zu viele Sänger gibt, als dass man es sich leisten könnte, als Diva aufzutreten. Wenn man Starallüren hat, muss man ein echter Star sein. Es gilt, in erster Linie die Kunst zu vertre-ten und eigene Bedürfnisse zurück zu stellen – sonst ist man schnell weg vom Fenster und landet auf der Insel Naxos!

hat der komponist im Stück recht mit seiner Behauptung: »Musik ist eine heilige kunst«?

Natürlich! Musik ist die heiligste Kunst! Der Gegensatz zur Bildenden Kunst ist, dass Musik etwas Flüchtiges ist, das uns aber in der tiefsten, innersten Seele trifft, das unsere Gefühle widerspiegelt und einen religiösen Charakter hat. Es gibt keine Kunst und kein Element, das so viel Emotionalität bei mehreren Men-schen gleichzeitig auslösen kann.

Musik kann heilig sein, und sie kann humoristisch und lustig sein. Musik kann alles.

Das Gespräch führte Christine Diller.

ariadne auf naxos

Musikalisc

he Leitung

omer Meir w

ellber

Inszenierung

Marco artu

ro Marelli

Vorstellungen

9., 16. M

ärz &

15., 18. april 2

014

Sie weiß um die Tragik im Leben, aber sie lebt sie nicht und überspielt sie – im Wissen, dass sie existiert.

ist naxos ein guter Platz zum trübsalblasen?

Ja, das ist eine wüste, karge Insel. Da ist kein Baum, kein Strauch, rein Garnichts. Dieser leere Ort spiegelt die Situation von Ariadne wider, verweist auf ihre Gefühle und kann nicht durch Pomp oder Schönheit ablenken. Ein Spiegel-bild ihres Seelenzustandes.

Naxos ist der richtige Ort für Trauer. Ariadne wurde auf einer Insel verlassen, die lieblos und menschenleer ist. Alles, was sie jetzt ersehnt, ist der Todesbote Hermes, um sie mitzunehmen in die Gefilde der Toten. Außerdem ärgert sie sich über Zerbinetta, die alle zehn Minuten ankommt, um sie aufzuheitern. Ariadne aber ergeht sich in ihrer Depression und braucht keine kecke Koloratursopranistin, die ihr die per-fekte Todesszene ruiniert!

ganz ehrlich: haben Sie auch schon einmal richtig rumgezickt wie die Primadonna im Vorspiel?

Ich habe keine Ahnung, wovon Sie spre-chen – niemals! (lacht) Ich habe mich an der Highschool mal so benommen, als ich die Königin der Nacht gab und mein Haar mit schwarzem Schellack gefärbt und gestylt wurde. Es dauerte Stunden, das wieder herauszukriegen, und ich führte mich deshalb schrecklich auf!

Ganz ehrlich: nein. Ich habe in einem kleinen Theater angefangen und dort großen Respekt vor der Leistung ande-rer Menschen bekommen. Theaterleben ist immer harte Arbeit. Jeder versucht, das Beste für seine Rolle und die Bühne zu schaffen. In diesem Sinne kann man heute sein Primadonnentum gar nicht

Owens

Owens

Owens

Petrick

Petrick

Petrick

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Strauss

Essay22

RichaRd StRauSS und deR tanz

Stefan Ulrich

ein komponist auf der Suche – zwischen avantgarde und Rückbesinnung

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Strauss

Ballett ist, so sei behauptet, nicht das Genre, an das man bei Richard Strauss zu allererst denken mag. »Unser« Hausgott, der Dresden neun bedeutende Uraufführungen von Bühnenwerken, darunter »Salome«, »Elektra« und »Der Rosenkavalier«, schenkte, sitzt unverrückbar auf dem Opernthron. Innerhalb seines umfangreichen und vielschichtigen Œuvres nehmen zudem sicherlich die Tondichtungen, Lieder, vielleicht sogar die Chöre einen bedeutenden Platz ein – aber Ballett?

Der Zahl nach nimmt sich Strauss’ Schaffen für diese Gattung gering aus: Nur »Josephs Legende«, »Schlagobers« und »Verklungene Feste« lassen sich als genuine Ballette seiner Feder bezeichnen – obwohl das letzt-genannte die Bearbeitung einzelner Werke von François Couperin, also einen Rückgriff auf Vorhandenes darstellt, ist die Musik doch eigenständig und geht weit über eine Bearbeitung hinaus. »Nur« drei Ballette, und doch ist festzustellen, dass sich Richard Strauss über Jahrzehnte mit dieser Gattung beschäftigte. Bereits ab den 1890er Jahren arbeitete er an ersten Projekten, wenngleich er sie nicht beendete. Über den Rahmen des in sich geschlossenen Balletts hinausblickend, ist es umso bezeichnender, dass Strauss offenbar grundsätzlich eine Affinität zum Tanz hegte. Hingewiesen sei auf die Tanzeinlage in »Capriccio«, bedeutungsschwerer der Tanz der sieben Schleier in »Salome« oder die Schlussszene der »Elektra«, die in einem mänadischen Tanz der Protagonistin gipfelt. Die inhaltliche wie musi-kalische Zentralität dieser Szenen offenbart den hohen Stellenwert, den Strauss dem Tanz innerhalb der Oper als Darstellungsform einräumte – ein vertrauensvoller Schritt auf dem Weg zu eigenen Balletten.

aller anfang …Frank Wedekind schlug Richard Strauss das Ballett »Die Flöhe oder Der

Schmerzenstanz« vor, ein Projekt, welches er 1896 anging; Richard Dehmel wollte mit dem Komponisten das Ballett »Lucifer« kreieren – Skizzen zwischen 1900 und 1901 sind erhalten; mit Paul Scheerbart versuchte sich Strauss im Jahre 1900 an »Kometentanz«, an dem sogar Gustav Mahler Inte-resse für die Uraufführung in der Wiener Hofoper zeigte. Etwa in die gleiche Zeit fiel die Idee, mit Hugo von Hofmannsthal »Der Triumph der Zeit« zu schaffen – doch dieses, wie auch alle vorangegangenen Tanz-Projekte, blieb in den Anfängen stecken. Dann, auf einer Reise im Jahre 1900 nach Paris, wo Strauss eigene Konzerte dirigierte, führte ihn sein Weg in den Louvre. Dort wurde er inspiriert von den Malern des französischen Rokoko, ins besondere von Jean-Antoine Watteau, dessen Bild »Einschiffung nach Kythera« von 1717 zur Initialzündung für sein eigenes Ballett wurde: Strauss schrieb das dreiaktiges Libretto »Die Insel Kythera«, eine Mischung aus ländlichem Reigen, Theaterwelt der commedia dell’arte und mythologi-schen Szenen. Sein Skizzenbuch enthält zahlreiche Tänze wie Gavotte, Menuett, auch den Rundtanz »Das Melken der Kühe«, doch auch diese Komposition sollte nicht vollendet werden. Befragt nach dem Grund, äußert Strauss 1939 rückblickend: »Kythere ist viel zu umfangreich. Füllt drei

Ballettabende.« Strauss schien offenbar den Teilen dieser bereits komponierten Musik zu vertrauen, denn erstaunlich viel fand daraus Einzug in spätere Kompositionen wie »Feuersnot«, »Rosenkavalier« und »Ariadne auf Naxos«. Auch profitierte ein

Szenenbild aus dem Ballett »Josephs Legende«, u.a. mit Iril Gadesco als Joseph und Ellen Petz als Potiphars Weib, 1924

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Strauss

weiteres Werk von diesem »musikalischen Steinbruch«: Es sollte nach den vielen Angängen schließlich Richard Strauss’ erstes Ballett werden – »Josephs Legende«.

»Josephs legende«Strauss’ Weg zu seinem ersten vollendeten Ballett war ein recht weiter,

aber einer, der ihn direkt zur Avantgarde des damaligen Tanzes führte: Les Ballets Russes. Mit ihrem ersten Auftreten 1909 in Paris war eine neue Ära des Tanzes angebrochen, die unangefochtene Macht der in der Spätro-mantik verhafteten Ballettdiktatoren wie Marius Petipa war gebrochen. Neue Tanzformen zu zeitgenössischer Musik, Bühne und Kostüme vereinten sich zu höchst artifizieller Modernität. »Das Neue«, die Idee des Gesamt-kunstwerkes, wurde unter dem Impresario Sergej Diaghilew durch das Zusammenwirken verkörpert von Kompositionen, Ausstattungen, Chorogra-fien und Tanz von Künstlern wie Strawinsky, Prokofjew, Bakst, Picasso, Chagall, Cocteau, Nijinsky, Karsarvina, Massine, Fokine, Balanchine. Harry Graf Kessler, der bereits in den Kreisen der Gruppe verkehrte, musste sich nicht lange zur Zusammenarbeit bitten lassen, als man gemeinsam einen Abend in Paris »en groupe« verbrachte, wie er rückblickend im Juni 1928 schrieb: »Diaghilew sprach mit einer Pascha-Geste den Wunsch aus, er möchte ein biblisches Ballett haben, aber nicht im biblischen Kostüm, sondern in einem venezianischen, etwa so wie es Paolo Veronese gemalt hat. Er wandte sich an Jean Cocteau, der neben mir saß und dann auch an Hofmannsthal und mich, ob wir ihm nicht so etwas machen und vielleicht durch Richard Strauss komponieren lassen könnten?« Kessler und Hofmannsthal schrieben 1912 das Libretto für das Gemeinschaftsprojekt mit den Ballets Russes und stießen auf Strauss’ Interesse: »Joseph ist ausge-zeichnet, wird verschluckt. Habe schon zu skizzieren angefangen.« Strauss begann für ein seiner »Elektra« ähnelndes Riesenorchester ein rauschhaftes Musikgemälde zu schreiben, ein schillerndes Fest in Potiphars Palast. Es kippt, als Potiphar seine Frau überrascht, wie sie den – als Kontrast zu ihrer auch musikalisch überbordenden Welt – klar und naiv charakterisierten Joseph zu verführen versucht. Um von sich selbst abzulenken, gibt Poti-phars Weib vor, sie sei das Opfer von Josephs Übergriff. Dem darauf folgenden, ungerechtfertigten Urteil entgeht Jospeh nur durch die Hilfe einer höheren Macht.

Der Komponist witterte in seiner Mitwirkung möglicherweise die Chance, nach »Salome« (1905) und »Elektra« (1909) wieder Anschluss an die Avantgarde zu finden, von der er sich – nach Meinung eines großen Teils der musikalischen Fachwelt – durch den »Rosenkavalier« (1911) entfernt hatte. Doch so leicht wie geschrieben war der Stoff offenbar nicht verdaut, so schrieb Strauss an Hofmannsthal im Jahr 1912: »›Joseph‹ geht nicht so schnell wie ich dachte. Der keusche Joseph selbst liegt mir nicht recht, und was mich mopst, dazu finde ich schwer Musik. So ein Joseph, der Gott sucht – dazu muss ich mich höllisch zwingen. Na, vielleicht liegt in irgendeiner atavistischen Blinddarmecke noch eine fromme Melodie für den braven Joseph.« Geprägt war die Entstehungsgeschichte durch massive Differenzen in den künstlerischen Absichten von Hofmannsthal und Kessler auf der einen Seite und Strauss auf der anderen. Tanzwissenschaftlerin

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Strauss

Vesna Mlakar schreibt hierzu: »Die Librettisten wollten auf eine Art ›geis-tiges Drama‹ mit mythologisch-biblischem Hintergrund hinaus, das sie einzig mit den abstrakten formalen Mitteln, die gerade dem Tanz in beson-derer Weise zur Verfügung stehen, verwirklichen zu können glaubten. Dem Komponisten dagegen schwebte ein praktisches Bühnenstück vor, das als solches in erster Linie aus sich selbst, aus seiner Bühnenwirkung heraus – auch in musikalischer Hinsicht – aufgefasst und erklärt werden muss.« Auch das übrige Team blieb nicht von Krisen verschont: Als Choreograf und Ideal-besetzung für den Joseph war Nijinsky vorgesehen, der den Ballets Russes allerdings im Jahre 1913 – bis auf ein kurzes Zwischenspiel – den Rücken kehrte. Michel Fokine, weltbekannter Choreograf der Uraufführungen von »Feuervogel« (1910) und »Petruschka« (1911), hatte sich ebenso von der Truppe getrennt, konnte aber zur Rückkehr bewogen und damit als Urauf-führungs-Choreograf von »Josephs Legende« gewonnen werden. Die Haupt-rolle verkörperte schließlich ein bis dahin bei den Ballets Russes unbe-kanntes Gesicht, das die Welt noch kennerlernen würde: Leonide Massine.

Die Uraufführung in Paris am 14. Mai 1914 unter der musikalischen Leitung von Richard Strauss wurde offenbar zu einem großen Fest. Der Erfolg soll rauschend gewesen sein, zehn Vorhänge, jedoch durchmischt mit Pfiffen. Kritik an der Partitur wurde laut, sie erschöpfe sich im pompösen Ornament, sei beschreibend, äußerlich statt erfühlt, zudem seien große Strecken zu pastos und barock. Doch unzweifelhaft ist das Werk prädesti-niert für den Tanz: Themen bestechen durch ihre Schlichtheit, deutlich ist der Kontrast zwischen der Hysterie des wollüstigen Weibes und der Anmut des gottesehrfürchtigen Joseph herausgearbeitet. »Josephs Legende«, (zu?) dominant als Pantomime konzipiert, verschwand zwar aus dem Repertoire der Ballets Russes, wurde aber in Mitteleuropa – nicht zuletzt wegen der Musik von Strauss – zum häufig aufgeführten Ballett und trägt, hineinge-boren in den Vorabend des Ersten Weltkrieges, unverkennbar die Züge des letzten Tanzes einer am Abgrund taumelnden Gesellschaft, wie Harry Graf Kessler verdeutlicht: »Es war das erste Mal, dass seit dem Kriege 1870 ein deutsches Werk in der Pariser Oper seine Premiere erlebte; die letzte glän-zende Parade des Vorkriegs-Europa in seinem glänzendsten Rahmen, während die Katastrophe schon hereinbrach.«

»Ballettsoirée«Erst nach dem Ersten Weltkrieg war an eine Aufführung von »Josephs

Legende« in Deutschland zu denken: Der einstige, über acht Spielzeiten in Dresden engagierte Tänzer und spätere Choreograf Heinrich Kröller brachte das Ballett 1921 schließlich in einer Neuproduktion in Berlin heraus. Ein Jahr später holte er das Werk nach Wien. Dort widmeten sich Kröller und Strauss, er war Co-Direktor der Wiener Staatsoper neben Franz Schalk, gemeinsam der »Ballettsoirée«, die 1923 uraufgeführt wurde – ein lockerer Abend, reich an Divertissements mit Musik von Ravel, Rameau, Johann Strauß Jr. und auch François Couperin – dem wohl wichtigsten französi-schen Komponisten zwischen Lully und Rameau. Das auf »Pièce de Clavecin« von François Couperin zurückgehende Divertissement von Richard Strauss sollte später als »Tanzsuite nach François Couperin« seinen Platz in der Welt des Konzertsaals finden und sich als »Gesellschafts- und

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Strauss

Theatertänze im Stile Ludwig XV.« in den 1920er Jahren im Ballettrepertoire der Wiener Staatsoper halten. Was dem »Rosenkavalier« unterlegt ist und auch »Capriccio« durchwehen würde, hinterlässt auch hier seine Spuren: die Zeit des Barock und des Rokoko, die sich Strauss in »Ballettsoirée« insbesondere über ihr tänzerisches Element erschließt.

»Schlagobers«Als hätte es der Leichtigkeit der »Ballettsoirée« bedurft: Strauss hatte

offenbar Feuer gefangen, selbst wieder für den Tanz zu schreiben, und so entstand das »heitere Wiener Ballett in zwei Aufzügen« namens »Schlag-obers«, dessen Libretto der Komponist selbst verfasste. Ein glücklicher Wurf sollte es jedoch nicht werden: Dieses exorbitant kostspielige Ballett wurde innerhalb der Wiener Strauss-Woche zu dessen 60. Geburtstag im Jahre 1924 wiederum in der Choreografie von Heinrich Kröller uraufgeführt, aber Kritik am Werk setzte schon vor der Uraufführung aus den obersten Reihen der Politik ein. Für die geplante Ausgabe von zwei Milliarden Kronen für ein Ballett, das sich finanziell gar nicht amortisieren konnte, war schwer zu plädieren, denn wie Deutschland befand sich auch Österreich in jenen Jahren in einer Hyperinflation: Arbeitslosigkeit, Elend, teils Hunger prägten die Gesellschaft. Aus dieser Sicht ist zudem die Dekadenz des Dargestellten unangemessen, auch Ironie hätte hier einen bitteren Beigeschmack: Ein Firmling »überfrisst« sich in einer Konditorei an Süßigkeiten, muss daher ins Krankenhaus und durchlebt Visionen von lebendig gewordenen Süßig-keiten. Von Prinzessin Pralinée bis Don Zuckero ist alles Backwerk auf den Beinen, um, einem traditionellen, zeitlich längst überholten Nummernbal-lett gleich, nach üppiger Musik Ländler, Polka, Menuett und Walzer in einem bunten Reigen zu tanzen. Extremer hätte der Gegensatz zwischen Strauss’ kulinarischen Tanz-Leckerbissen und seinem Postulat aus dem Jahre 1941 über »Josephs Legende« nicht ausfallen können, wonach Strauss auf der Suche war: »Ich wollte den Tanz erneuern.«

»Verklungene feste«Vom Ballett am Vorabend des Ersten Weltkrieges in Paris über die

Wiener Zerstreuungen und Leichtigkeiten der auf die Bühne gekommenen Strauss-Reigen in den 1920er Jahren bis zum letzten Ballett des Kompo-nisten verging wiederum geraume Zeit. Ebenso wie die Entstehung der ersten »Couperin-Suite« für »Ballettsoirée« auf Anregung ihres Urauffüh-rungs-Dirigenten Clemens Krauss zurückzuführen ist, folgte Richard Strauss zwei Jahrzehnte später erneut dem Wunsch des Dirigenten, »unter Zugrun-delegung der ersten Suite eine von Pino Mlakar ausgeführte Choreografie des alten französischen Ballettmeisters Le Feuillet zur Darstellung zu bringen und hierfür noch einige Stücke des französischen Meisters ihm für kleines Orchester zu bearbeiten«. Die Suite von 1923 und die hinzukompo-nierten Tänze von 1940 bildeten die musikalische Grundlage für den am 5. April 1941 im Münchner Nationaltheater uraufgeführten Ballettabend »Verklungene Feste« – vielleicht mehr als nur ein poetischer, auf den Inhalt des Werkes deutender Titel für ein Ballett in einer Zeit, in der sich Deutsch-land im Zweiten Weltkrieg befand ... Thematisch dreht sich das Werk um einen Herzog, der um 1830 von der Pracht vergangener Hoffeste

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Strauss

träumt – also ein »Ballett über Ballett«, eine Rückbesinnung. Die Choreografie von Pino und Pia Mlakar orientierte sich bei dem im Untertitel genannten Werk »Tanzvariationen aus zwei Jahrhunderten« offenbar an den notierten Schrittfolgen des Ballettmeisters Le Feuillet der Couperin-Zeit. Dabei handelt es sich nach Erich Hermann Müller von Asow aber »um eine Galerie ausgewähltester Tanz-bilder des echten Barock und die Umwand-lung dieses Stils, als er zu erstarren beginnt, in einen neuen: den romantischen Stil mit sei nen Mondscheinstimmungen, Gaze-Kostümen und – dem schwebenden Spitzentanz«.

endzeit …Richard Strauss’ langanhaltende, etwa 50

Jahre währende Beschäftigung mit der Ballettgattung spricht für sich – einge-schlossen sind auch große Unterbrechungen, wie wichtig ihm diese Art von Musik für nonverbale Bühnenkunst war. Strauss kompo-nierte zwar keine große Zahl an Balletten, zu erkennen ist aber im Über-blick das Spiel mit und die Suche nach einer eigenen Form. Überdeutlich ist dies aus seinen eigenen Verlautbarungen bezüglich »Josephs Legende« zu entnehmen – nicht weniger als die Reform des Balletts schwebte dem jungen Strauss vor. Diese Ambition wich im Verlauf seiner Beschäftigung mit Ballett, dokumentiert in der Skurrilität des »Schlagobers’«, das sich geradezu an die Tradition des Nummernballetts aus dem beendeten 19. Jahrhunderts anschmiegt; das dort zum Leben erweckte Land der Süßig-keiten scheint eine kleine Schwester des 2. Aktes von Tschaikowskys »Nuss-knacker« zu sein. Signifikant für einen Teil von »Ballettsoirée« und »Verklun-gene Feste« ist, wie sich Strauss bewusst durch Komponisten aus »alten Tagen«, vor allem von dem Franzosen François Couperin inspirieren ließ und sich so in alte Epochen mit modernen Mitteln zurückversetzte. Eine gewisse eskapistische Tendenz lässt sich kaum verleugnen, zeigt vielleicht aber nur die zunehmende Ratlosigkeit, mit der er dem Geist seiner Zeit begegnete, die die völkisch scharfgemachten Messer zum Einsatz brachte. Europa befand sich am Endpunkt einer Epoche, unzählige Stimmen der Zeit

waren verstummt, deutsche Truppen standen schon in Paris, um »germanische« Spuren zu hinterlassen – und Strauss mahnte zeit-

gleich sehr leise mit der Münchner Uraufführung seiner »Verklungenen Feste« im Jahre 1941 (sic!) an eine

vergangene Zeit und singt vor diesem dunklen Hintergrund ein melancholisches Lied auf die

Kultur unserer französischen Nachbarn.

Susanne Dombois als Sulamith in der Dresdner Erstaufführung »Josephs Legende« 1924

legenden – hommage an Richard Strauss

ChoreografieStijn celis

Musikalische Leitung

Paul connelly

Premiere28. Juni 2014Vorstellungen

30. Juni &5., 9., 11. Juli 2014

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Strauss

Salome

wilde füR

anfängeR und

foRtgeSchRittene

die werke oscar wildes sind eine fundgrube für weise Ratschläge und tiefe einsichten zur

Bewältigung schwieriger Situationen. wildes drama »Salome« ist die grundlage für das

libretto der wahrhaft erschütternden oper von Richard Strauss. Schaut man genauer hin,

scheinen Salome und Jochanaan mit wilde ganz vertraut zu sein …

Salome, Marie Wittich, bittet Herodes, Carl Burrian, um das Haupt des Jochanaan, Szenenbild der Uraufführung 1905

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Strauss

»Bei der Wahl seiner Feinde kann man nicht vorsichtig genug sein« (Das Bildnis des Dorian Gray), das muss leider auch Jochanaan erfahren, als er dem Begehren Salomes widersteht. Denn die vertritt eher die Haltung, »Mäßigung ist eine verhängnisvolle Sache. Nichts ist so erfolgreich wie der Exzess« (Eine Frau ohne Bedeutung) und verlangt nichts weniger als Jochanaans Kopf – auf einem Tablett serviert. Jochanaan zu kriegen, reizt sie natürlich ganz besonders, denn: »Ein Mann, der beharrlich ledig bleibt, macht sich zu einer fortwährenden öffentlichen Versu-chung.« (Sätze und Lehren zum Gebrauch für die Jugend) Und gegen die kommt sie nicht an: »Ich kann allem wider-stehen – außer der Versuchung.« (Lady Windermeres Fächer) Dass diese Art von Extremzuneigung nicht wirklich zu tolerieren ist, ist auch klar, denn »Eine Sache ist nicht unbedingt richtig, nur weil jemand dafür gestorben ist.« (Das Bildnis des Mr. W. H.)

Ob es anders gekommen wäre, hätte Jochanaan ein bisschen eingelenkt? Moralisch hat er gewonnen, aber tot ist er trotzdem, dennoch: »Die Basis des Charakters ist die Willenskraft.« (De Profundis) Und abgesehen davon: »Zwi-schen Männern und Frauen gibt es keine Freundschaft. Da gibt es nur Leidenschaft: Hass, Anbetung, Liebe – aber nie-mals Freundschaft.« (Lady Windermeres Fächer) Klar, Wilde muss es wissen. Und ob sie als Mann und Frau glücklich geworden wären? Man weiß es nicht: »Heutzu-tage sollte uns nichts überraschen – außer glückliche Ehen.« (Eine Frau ohne Bedeutung)

Schließlich hat Salome den Kopf des Jochanaan auf dem Tablett, aber glücklicher wird sie dadurch auch nicht: »Auf dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Wenn Wün-sche enttäuscht und wenn sie erfüllt werden. Das zweite ist viel schlimmer.« (Lady Windermeres Fächer) Und alle anderen sind auch ganz fertig. Was lernen wir daraus? »Selbstaufopferung sollte gesetzlich verboten sein. Sie wirkt so demoralisierend auf die Menschen, für die man sich aufopfert.« (Ein idealer Gatte)

Zusammengestellt von Jörg Rieker.

Salome Musikalische Leitung

cornelius Meister

InszenierungPeter Mussbach

Vorstellungen

21., 25., 27. März 2014

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Guntram

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Strauss

guntram (konzertant)

Musikalisc

he Leitung

omer Meir w

ellber

Premiere

23. februar 2014

Vorstellungen

28. februar & 2. M

ärz 2014

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32

Strauss

Lexikon

aAegypten, auf ärztliches anraten

atmete Strauss 1892 die ätherische

luft ägyptens zum auskurieren seiner

atemwegserkrankung. auch sein

arbeitseifer flammte auf: als Strauss

abschied nahm, trug er seine erste

oper ins abendland – »guntram«.

Jahre danach entsann sich Strauss

noch einmal seines auftenthalts in

der »ägyptischen helena«.

BBier, Mit besonderer Beachtung

bedachte Strauss das Bier: Mutter

Josepha entstammte der Bierbrauer-

dynastie Pschorr, seine Beliebtheit in

Bayreuth beschließt der dirigent

1889 durch eine Bier-lieferung an das

Bayreuther kurorchester zu besie-

geln. und noch 2008 gab es einen

Bier-werbespot mit bedeutenden tak-

ten aus »also sprach zarathustra«.

cCosima Wagner, charmant stellte

sich cosima den charismatischen jun-

gen künstler als Schwiegersohn vor.

doch die chose scheiterte. der coura-

gierte »Salome«-coup schockierte

cosima schließlich komplett: »das ist

der wahnsinn!«

dDirigieren, damit das dirigat nicht

daneben ging, erdachte Strauss »zehn

goldene Regeln für das dirigieren«:

Bedenke, dass du nicht zu dei-

nem Vergnügen musizierst, son-

dern zur freude deiner zuhörer.

du sollst beim dirigieren nicht

schwitzen, nur das Publikum soll

warm werden.

dirigiere Salome und elektra als

seien sie von Mendelssohn:

elfenmusik.

Schau niemals aufmunternd das

Blech an, außer mit einem kur-

zen Blick, um einen wichtigen

einsatz zu geben.

dagegen lasse niemals hörner

und holzbläser aus dem auge:

wenn du sie überhaupt hörst,

sind sie schon zu stark.

wenn du glaubst, das Blech blase

nicht stark genug, so dämpfe es

nochmals um zwei grade herab.

es genügt nicht, dass du jedes

wort des Sängers selber hörest,

das Publikum muss mühelos fol-

gen können. Versteht es keinen

text, so schläft es.

Begleite den Sänger stets so,

dass er ohne anstrengung singen

kann.

wenn du glaubst, das äußerste

tempo erreicht zu haben, so

nimm das tempo noch einmal so

schnell.

wenn du dies alles freundlich

bedenkst, wirst du bei deiner

schönen Begabung und deinem

großen können stets das unge-

trübte entzücken deiner hörer

sein.

Einem jungen Kapellmeister ins Stammbuchgeschrieben (1922)

eEhrenbürger, eine jede Stadt erwies

ihm ehre, doch dresden, wien, Salz-

burg, Bayreuth, München ebenso wie

garmisch-Partenkirchen ernannten ihn

zum ehrenbürger.

fFeuersnot, im fröhlichen Singspiel

»feuersnot« frotzelte Strauss über fri-

vole Münchner Verhältnisse. feuers-

not foppte ihn vermutlich selbst von

zeit zu zeit, frönte er doch mit

freude dem Rauchen. zur förderung

der gesundheit verordnete frau Pau-

line dafür fußmärsche im freien.

gGarderobenantrag, es geschah ganz

plötzlich – die »guntram«-Probe in

weimar war in vollem gange –, dass

sich ein heftiges verbales gefecht zwi-

schen Strauss und seiner freihild,

Pauline de ahna, entspann, woraufhin

»sie ihm den klavierauszug von der

Bühne herab an den kopf warf … und

in ihre garderobe stürzte«. Strauss

ging ihr nach, man hörte geschrei,

gezeter und geschimpf. grabesstille.

gleich darauf erschien Strauss und

gestand, dass »fräulein de ahna sich

soeben mit mir verlobt hat«.

ange-wandteR StRauSS

Von a BiS z

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Strauss

hHagebuttenmarmelade, die Rose

hatte es Strauss nicht nur musika-

lisch, sondern auch lukullisch ange-

tan. zu seinen lieblingssüßigkeiten

soll hagebuttenmarmelade gezählt

haben, wie sie auch im »intermezzo«

verewigt wurde, in dem christine

(alias Pauline) anfordert: »Bitte, liebe

frau Pritek, wann bekomme ich nun

endlich das hagebuttenmark …

natürlich zum einmachen, die einzige

Marmelade, die mein Mann gerne isst

… wissen Sie, wo er doch so ange-

strengt arbeitet, wenn er seine hage-

butten nicht hat, ist er unglücklich,

aber bitte, nicht vergessen.« – ob es

dieser konfitüre zu verdanken ist

(oder doch seiner berühmten Rosen-

oper), dass eine zart rosafarbene

Rosenart mit dem Prädikat aner-

kannte deutsche Rose »Richard

Strauss« heißt?

i»Ich sehe nicht ein, warum ich keine

Sinfonie auf mich selbst machen

sollte. ich finde mich ebenso interes-

sant wie napoleon oder alexander.«

ich-Sucht und indiskretion? Mit ironie

illustriert Strauss in »heldenleben«, in

»intermezzo« wie in »Sinfonia dome-

stica« die intrigen und geschichten in

seinem Privatleben.

JJuwelen, Jämmerlich japste Pauline,

je näher der erste liederabend mit

Richard in wien rückte: »erkältung und

fieber. Muss absagen.« Richard jedoch

jagte zum Juwelier und erstand einen

Brillantring. umjubelt standen beide

am abend auf der Bühne.

kKarten, kaum einer konnte mit kom-

ponist und kapellmeister Strauss am

kartentisch konkurrieren: »alles, was

ich sehe, die Menschen, die tiere, die

ganze natur in ihrer Vielfalt, klingt für

mich, löst musikalische einfälle aus.

zum glück gibt es etwas, das nicht

klingt – und das sind Spielkarten.«

lLeib-Haftige, lobhudelei und lor-

beeren satt – für Richard Strauss war

ernst von Schuch sein »leibdirigent«,

umgekehrt für diesen Strauss der

»leibcomponist«. clemens krauss

liebäugelte mit dem attribut des

»leibdramaturgen«. Seine »leiblibret-

tisten« dürften hofmannsthal oder

zweig gewesen sein. Viel leid dul-

dete hingegen Joseph gregor, libret-

tist der »daphne«, dem Strauss viel-

deutig auf den weg gab: »auch die

Säge des chirurgen schmerzt, wenn

sie ohne narkose arbeitet …«

MMalven, Mit »Malven« vermachte

Richard Strauss seiner lieblings-

sängerin Maria Jeritza (1887–1982),

welche mit Meisterschaft die kaise-

rin in »die frau ohne Schatten« und

ariadne (am 18. april 1917 auch

in dresden) sowie die ägyptische

helena und Mariandl (octavian)

mimte, 1948 ein magnifikes ge-

schenk. das lied war gewidmet: »der

geliebten Maria diese letzte Rose!«

und wurde erst nach ihrem tode

1985 aufgefunden. auch monetäre

Miseren linderte Maria Jeritza, wofür

Strauss ihr dankte: »der schönsten

frau der welt, der erha benen kaiserin,

großmächtigsten Prinzessin, Mari-

adne, Mari-andl – Maria Jeritza, der

gütigen …«

nNitzl, anni; nur gut, dass das dienst-

personal bei Straussens oft anna hieß

– namensverwechslungen bei Pauli-

nes häufigen wutausbrüchen waren

so ausgeschlossen. nur zwei damen

fielen vor den ansprüchen der dame

des hauses nicht in ungnade: anna

glossner von 1912 bis 1944, der im

»intermezzo« ein denkmal gesetzt

wurde, danach hausdame anni nitzl,

die das ehepaar Strauss bis zu dessen

tod begleitete und noch Jahrzehnte-

lang die Rezepte sowie die lebensart

Paulines bewahrte. Von familie

Strauss wurde sie als familienmitglied

angesehen.

oOpernmuseum, oha! originäres

opernschaffen, orakelte Strauss mit

80 Jahren, wäre nur noch illusorisch.

offensichtlich lohne sich jedoch ein

wiener »opernmuseum« zur Pflege

der Meisterwerke. laut Brief an karl

Böhm vom 27. april 1945 seien dort

»objekte« wie glucks »orpheus«,

»alceste«, »armida«, Mozarts »idome-

neo«, »figaro«, »don Juan«, »così fan

tutte«, »zauberflöte«, Beethovens

»fidelio«, webers »freischütz«, »eury-

anthe« und »oberon«, Berlioz’ »Benve-

nuto cellini« und »die trojaner«,

Bizets »carmen«, Verdis »Simon Boc-

canegra«, »aida« und »falstaff«, wag-

ners »Rienzi« (ungestrichen) bis »göt-

terdämmerung« sowie des Meisters

eigene werke »Salome«, »elektra«,

»Rosenkavalier«, »frau ohne Schat-

ten«, »friedenstag«, »daphne«, »die

ägyptische helena« sowie »die liebe

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Strauss

der danae« obligatorisch. ohne wert

für die nachwelt hingegen seien »alle

zu operntexten verunstalteten

libretti nach klassischen dramen wie

z.B. gounods ›Margarete‹, Rossinis

›tell‹, Verdis ›don carlos‹! Sie gehören

nicht auf die deutsche Bühne«.

P»Pst! Pst!«, Pauline, das »Pauxerl«,

passte pedantisch auf Richards Pflege

und Ruhe auf, patrouillierte im haus,

als gustav Mahler nachmittags plötz-

lich auftauchte: »Pst! Pst! Richard

schläft.« als putzsüchtig, aber auch

umsichtig planend war Strauss’ »ori-

ginal von frau«, aus der man »zehn

Stücke« zu einer Sinfonie puzzeln

könne, bekannt. Private empfänge

wurden im Party-Planer protokolliert,

damit kein gast je das gleiche wie

beim letzten Mal vorgesetzt bekam.

QQuerelen, Besonders kompromissbe-

reit soll Richard Strauss nie gewesen

sein, ob es sich nun um gagen für

eigene auftritte, um engagements für

seine frau, um wortklaubereien mit

seinen librettisten oder um Mei-

nungsverschiedenheiten mit seinen

diversen opernintendanten handelte.

aber auch im Privatleben konnte

Strauss für Querelen sorgen: im not-

fall beklagt er sich auch bei der Staat-

lichen Bayerischen eisenbahn, dass

der zug, der seinen Sohn zur Schule

bringen sollte, nicht vor Schulbeginn

am nahgelegenen Bahnhof hielt und

»Bubi« nun zeitiger aufstehen musste.

RRodeln, Ri-ra-rutsch! Rasante Rodel-

partien bereiteten Strauss riesiges

Vergnügen, dem Rodelspaß wird auch

in »intermezzo« Reverenz erwiesen.

Rigoros verurteilte Strauss hingegen

das Skifahren, »eine Beschäftigung für

norwegische land briefträger«.

SSalome-Schaden, »es tut mir leid,

dass Strauss diese ›Salome‹ kompo-

niert hat, ich habe ihn sonst sehr

gern, aber er wird sich damit furcht-

bar schaden«, sorgte sich kaiser wil-

helm. Strauss entgegnete selbstsi-

cher: Von diesem »Schaden« konnte er

sich die Sommerresidenz in garmisch

finanzieren.

SchSchokolade, Schokolade stand stän-

dig auf der Strausschen Speisekarte –

eierschokolade verschönerte das früh-

stück, gewürzschokolade schmeckte

zum fünf-uhr-tee. klangvolle Schoko-

lade wird im »Rosenkavalier« und »cap-

riccio« gereicht. zwischen naschwerk

schwelgten und tanzten schließlich

gefräßige Schlingel in »Schlagobers«.

tTagesablauf, tägliche Rituale trugen

zur häuslichen entspannung zwischen

turbulenten tourneen bei. gegen

neun uhr frühstückte Strauss in sei-

nem Schlafzimmer, wozu ihm anni

kaffee und eine Semmel brachte.

danach ging er in sein arbeitszimmer

und arbeitete bis 12 uhr, dann kam

Pauline, mit der er – bei jedem wetter

– eine dreiviertelstunde spazieren

ging. um 13 uhr war Mittagessen.

nach dem essen ruhte Strauss sich für

eine halbe Stunde auf dem Sofa in sei-

nem arbeitszimmer aus, und gegen

drei saß er wieder am Schreibtisch.

gegen sechs holte ihn Pauline wiede-

rum zum Spazierengehen ab, um sie-

ben gab’s abendessen. am abend

wurde gelesen oder man unterhielt

sich.

uUrheberrechte, unter dem Motto

»Verlagsrechte dem Verleger, urheber-

rechte dem urheber« forderte Strauss

seit 1898 in unterschiedlichen gre-

mien die finanzielle Beteiligung von

komponisten an den aufführungen

ihrer werke. 1901, als Vorsitzender

des allgemeinen deutschen Musikver-

eins, gelang ihm die durchsetzung

des urheberrechtsgesetzes im deut-

schen Reichstag. Mit der gründung

der genossenschaft deutscher tonset-

zer legte Strauss den grundstein für

die heutige geMa. diese verleiht seit

1953 die Richard-Strauss-Medaille an

Persönlichkeiten, die sich besondere

Verdienste um das urheberrecht

erworben haben.

VVier letzte Lieder, Vier Vertonun-

gen von Versen hesses und eichen-

dorffs gelten als Vermächtnis des

Vokalkomponisten. »frühling«, »Sep-

tember«, »Beim Schlafengehen« und

»im abendrot« verdanken wir Strauss’

resignierter Stimmung 1948, als er

sein Musikschaffen für vollendet sah

und sein leben Revue passieren ließ,

ein sehr persönlicher abschluss und

abschied von Strauss’ umfangreichem

und jahrzehntelangem liedschaffen.

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Strauss

wWilde Gungl, der waldhornist und

gefeierte wagner-interpret franz

Joseph Strauss weihte seinen Sohn

Richard früh in die wundersame welt

der Musik ein – »weihnachtslied« ent-

wirft Strauss mit sechs Jahren. der

orchesterverein »wilde gungl« –

ehrenamtlich geleitet von Richards

Vater – spielte mehrere seiner frühen

kompositionen. die »wilde gungl«

besteht bis heute, der name verweist

auf die erfolgreiche kapelle des kom-

ponisten Joseph gungl.

XXylophon und XXL-Orchester,

X-fache bahnbrechende musikdrama-

tische neuerungen brachte 1905

»Salome« – die Benutzung eines Xylo-

phons dürfte dabei noch zu den weni-

ger experimentellen Mitteln des kom-

ponisten zählen. keine fünf Jahre

später ein weiteres novum: »elektra«

(1909) wird mit einem XXl-orchester

von 120 Musikern uraufgeführt –

sogar die oft xanthippische Pauline

war begeistert.

YYankee-Land, Yes, he can! 1904

eroberte Strauss die uSa: innerhalb

von zwei Monaten, alle zwei tage in

einer anderen Stadt, stellte er bei 35

konzerten sein damaliges Œuvre vor.

Richard und Pauline wurden als Stars

gehandelt, erkannten schnell, dass

Musik auch Show ist. in new York

räumte das warenhaus wannamaker

eine etage aus, und Strauss spielte

zwei konzerte gegen horrendes

honorar – für kulturstrenge deutsche

kritiker ein Sakrileg. Strauss konterte:

»geldverdienen für frau und kind

schändet nicht mal einen künstler!«

zZeit, Mehr als acht Jahrzehnte wech-

selvolle zeitgeschichte lagen hinter

Richard Strauss, als er am 8. Septem-

ber 1949 mit 85 Jahren starb. zeit, die

ihn geprägt hatte und die auch er,

zumindest in der Musikwelt, geprägt

hatte. Mal zeigte er sich sensibel für

zeitgeschichte, mal schien es, als

wollte er ihr entkommen. nach dem

zweiten weltkrieg hielt er die zeit für

neues opernschaffen abgelaufen. und

auch die zeit seiner Stücke sei nun –

angesichts der zerstörten großen

opernhäuser – für Jahre vorüber. doch

die gebäude wurden wieder errichtet,

Strauss’ Stücke überdauerten inzwi-

schen ein gutes Jahrhundert. ewigkeit

und Vergänglichkeit der zeit greifen in

seinem leben und werk ineinander –

wie schon die Marschallin im »Rosen-

kavalier« zutreffend feststellt: »die zeit

ist ein sonderbar ding.«

Für das Lexikon aufbereitet von Anne Gerber.

Richard Strauss auf dem Weg zur Uraufführung »Intermezzo«

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Strauss

Termine

Oper und Ballett

der RosenkavalierVorstellungen 3., 6., 10. Oktober 2013

elektraPremiere 19. Januar 2014

Vorstellungen 22., 25., 28., 31. Januar & 22., 29. Juni 2014

guntram (konzertant)Premiere 23. Februar 2014

Vorstellungen 28. Februar & 2. März 2014

ariadne auf naxosVorstellungen 9., 16. März & 15., 18. April 2014

Salome Vorstellungen 21., 25., 27. März 2014

feuersnot (open air)Premiere 7. Juni 2014

Vorstellungen 9., 10. Juni 2014

legenden – hommage an Richard Strauss Premiere 28. Juni 2014

Vorstellungen 30. Juni & 5., 9., 11. Juli 2014

Osterfestspiele Salzburgarabella

Premiere 12. April 2014Vorstellung 21. April 2014

Konzerte der Sächsischen Staatskapelle Dresden

7. Symphoniekonzert 2., 3., 4. März 2014

8. Symphoniekonzert 30., 31., 1. April 2014

11. Symphoniekonzert 8., 9., 10. Juni 2014

Sonderkonzert zum 150. geburtstag von Richard Strauss

11. Juni 2014

Kammer- und Aufführungsabende runden das Programm ab.

Osterfestspiele Salzburgorchesterkonzert13. & 20. April 2014

orchesterkonzert14. & 19. April 2014

orchesterkonzert15. & 18. April 2014

Der Richard-Strauss-Schwerpunkt wird an der Semperoper Dresden in der Spielzeit 2014 / 15 fortgesetzt.

Probe zu »Arabella« 1933, Viorica Ursuleac als Arabella und Richard Strauss

RichaRd StRauSS in deR SPielzeit 2013 / 14

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Strauss

Empfehlung

Salome (1948)Dirigent Joseph Keilberth

Mit Christel Goltz, Bernd Aldenhoff, Josef Herrmann u.a.

der Rosenkavalier (1958)Dirigent Karl Böhm

Mit Marianne Schech, Irmgard Seefried, Rita Streich, Kurt Böhme u.a.

elektra (1960)Dirigent Karl Böhm

Mit Inge Borkh, Marianne Schech, Jean Madeira, Dietrich Fischer-Dieskau u.a.

der Rosenkavalier (1990)Dirigent Bernard Haitink

Mit Kiri te Kanawa, Anne Sofie von Otter, Barbara Hendricks, Kurt Rydl u.a.

Salome (1990)Dirigent Seiji Ozawa

Mit Jessye Norman, James Morris u.a.

Josephs legende (1999)Dirigent Giuseppe Sinopoli

ariadne auf naxos (2000)Dirigent Giuseppe Sinopoli

Mit Deborah Voigt, Nathalie Dessay, Anne Sofie von Otter, Ben Heppner u.a.

edition Staatskapelle dresden – Volume 18 (2007)

Dirigent Karl Böhm / Richard StraussRichard Strauss Opernszenen Der Rosenkavalier (1940),

Die Frau ohne Schatten (1942), Arabella (1942), Daphne (1939)

Mit Margarete Teschemacher, Christel Goltz, Esther Rethy, Elisabeth Höngen, Josef Herr-mann, Torsten Ralf, Mathieu Ahlersmeyer

zuR einStiMMung: aufnahMen Mit deR

SächSiSchen StaatSkaPelle dReSden

»Arabella« 1939

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OSTERFESTSPIELESALZBURG 2014

CHRISTIAN THIELEMANNSÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN

Orchester- und ChorkonzerteR. Strauss, W. A. Mozart u.a.

Konzert für SalzburgKammerkonzert

12.–21. April 2014

www.osterfestspiele-salzburg.at

KartenbüroHerbert-von-Karajan-Platz 9

5020 Salzburg • AustriaTel. +43/662/80 45-361, -362

[email protected]

OperRICHARD STRAUSSARABELLA

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