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24 Menschen und Logistik Die Menschen sind einerseits Handelnde und Produzenten und andererseits Kun- den und Nutznießer der Logistik. Als Produzenten und Handelnde bestimmen sie maßgebend Service, Leistung und Kosten. Als Kunden und Nutznießer kommen sie in den Genuss von Leistung und Service. Sie sind aber auch die Betroffenen von Leis- tungsmängeln, schlechtem Service und hohen Kosten. Die vielfältigen Auswirkungen des menschlichen Handelns und Verhaltens in der Logistik sind den Beteiligten selten bewusst. Sie wurden in den vorangehenden Kapiteln mehrfach angesprochen (s. Abschn. 1.10, 2.8, 2.4, 3.1, 3.4, 13.6). Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung wird die Rolle des Menschen in der Logistik in diesem Abschlusskapitel vertieſt und zusammenhängend behandelt. Wenn nur wenige Menschen an der Produktion und Leistungserstellung betei- ligt sind, hängen Menge und Qualität der Leistung primär von den Menschen in der Aufbauphase eines Systems ab. Je mehr Menschen an der betrieblichen Leistungs- erzeugung mitwirken, umso stärker bestimmen die Menschen im Betrieb die Menge und die Qualität der Leistung. Nach einer Betrachtung von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaſt sowie von Eigennutz und Schwächen des Menschen wird das Wirken der Menschen zu- erst in der Aufbauphase und dann in der Betriebsphase der Anlagen und Systeme analysiert. Aus der Analyse ergeben sich Maßnahmen und Verhaltensregeln zur Ver- meidung der negativen und zur Förderung der positiven Wirkungen des Menschen in der Logistik. Einsicht und Verhaltensregeln können Menschen dazu bewegen, au- ßer zum eigenen auch zum Nutzen der Mitmenschen, des Unternehmens und der Kunden zu handeln. Zwischen den Anbietern und den Kunden bestehen häufig Zielkonflikte über die Leistungsinhalte und über die Angemessenheit der Preise. Die Leistungspreise sol- len sich auf einem freien Markt bei fairen Rahmenbedingungen durch Angebot und Nachfrage regeln (s. Kap. 22). In der Praxis aber wird die faire Preisbildung in der Logistik durch staatliche Eingriffe, ungünstige Rahmenbedingungen und nutzungs- ferne Preise verfälscht und behindert (s. Abschn. 7.7). Hier setzt die Kritik am Verhalten der Menschen in Forschung und Lehre, in den Unternehmensleitungen und in der Politik an. Ihr Einfluss ist für die langfristige Entwicklung der Logistik entscheidend. In der strategischen Logistik sind noch viele Handlungsmöglichkeiten ungenutzt, auf die in den beiden letzten Abschnitten dieses Kapitels hingewiesen wird. T. Gudehus, Logistik 2, VDI-Buch, 1105 DOI 10.1007/978-3-642-29376-4_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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24 Menschen und Logistik

Die Menschen sind einerseits Handelnde und Produzenten und andererseits Kun-den und Nutznießer der Logistik. Als Produzenten und Handelnde bestimmen siemaßgebend Service, Leistung und Kosten. Als Kunden und Nutznießer kommen siein denGenuss von Leistung und Service. Sie sind aber auch die Betroffenen von Leis-tungsmängeln, schlechtem Service und hohen Kosten.

Die vielfältigen Auswirkungen des menschlichen Handelns und Verhaltens inder Logistik sind den Beteiligten selten bewusst. Sie wurden in den vorangehendenKapitelnmehrfach angesprochen (s.Abschn. 1.10, 2.8, 2.4, 3.1, 3.4, 13.6).Wegen ihrergrundsätzlichen Bedeutung wird die Rolle des Menschen in der Logistik in diesemAbschlusskapitel vertieft und zusammenhängend behandelt.

Wenn nur wenige Menschen an der Produktion und Leistungserstellung betei-ligt sind, hängen Menge und Qualität der Leistung primär von denMenschen in derAufbauphase eines Systems ab. Je mehr Menschen an der betrieblichen Leistungs-erzeugung mitwirken, umso stärker bestimmen dieMenschen im Betrieb die Mengeund die Qualität der Leistung.

Nach einer Betrachtung von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft sowievon Eigennutz und Schwächen des Menschen wird das Wirken der Menschen zu-erst in der Aufbauphase und dann in der Betriebsphase der Anlagen und Systemeanalysiert. Aus der Analyse ergeben sichMaßnahmen und Verhaltensregeln zur Ver-meidung der negativen und zur Förderung der positiven Wirkungen des Menschenin der Logistik. Einsicht und Verhaltensregeln können Menschen dazu bewegen, au-ßer zum eigenen auch zum Nutzen der Mitmenschen, des Unternehmens und derKunden zu handeln.

Zwischen den Anbietern und den Kunden bestehen häufig Zielkonflikte über dieLeistungsinhalte und über die Angemessenheit der Preise. Die Leistungspreise sol-len sich auf einem freien Markt bei fairen Rahmenbedingungen durch Angebot undNachfrage regeln (s. Kap. 22). In der Praxis aber wird die faire Preisbildung in derLogistik durch staatliche Eingriffe, ungünstige Rahmenbedingungen und nutzungs-ferne Preise verfälscht und behindert (s. Abschn. 7.7).

Hier setzt die Kritik am Verhalten der Menschen in Forschung und Lehre, inden Unternehmensleitungen und in der Politik an. Ihr Einfluss ist für die langfristigeEntwicklung der Logistik entscheidend. In der strategischen Logistik sind noch vieleHandlungsmöglichkeiten ungenutzt, auf die in den beiden letzten Abschnitten diesesKapitels hingewiesen wird.

T. Gudehus, Logistik 2, VDI-Buch, 1105DOI 10.1007/978-3-642-29376-4_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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24.1 Erfolgsbeeinflussende Eigenschaften der Menschen

In der Planung, bei der Realisierung und imBetriebwirken sich auf der strategischen,der dispositiven und der operativen Ebene sehr unterschiedliche Eigenschaften desMenschen auf die Leistung, die Ergebnisse und damit auf den Unternehmenserfolgaus. Auch in der Forschung und Lehre, in der Beratung und in der Politik ist die Ab-hängigkeit der Ergebnisse vom Menschen unübersehbar, obgleich sie von den Ak-teuren nur selten zugegeben wird.

24.1.1 Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft

Die Leistungsfähigkeit des Menschen ist entscheidend für die Qualität der Arbeitin der Aufbauphase und in der Betriebsphase. Seine Leistungsbereitschaft ist primärmaßgebend im laufenden Betrieb eines Logistiksystems, in dem vieleMenschen ope-rativ tätig sind.

Die Leistungsfähigkeit des Menschen hängt ab von seiner Eignung für die ihmübertragenen Aufgaben. Die Eignung resultiert aus der persönlichen Dispositionund der fachlichen Qualifikation:

• Die persönliche Disposition umfasst Veranlagungen und Eigenschaften, wie Kraft,Fleiß, Ausdauer, Geschicklichkeit, Intelligenz, Denk- und Urteilsvermögen,Kommunikationsfähigkeit, Interesse, Lernbereitschaft, Entscheidungskraft undCharakter.

• Die fachliche Qualifikation umfasst Fachwissen, Verständnis für die Zusammen-hänge, Ausdrucksvermögen und richtiges Verhalten.

Zu den Charaktereigenschaften, die sich positiv auf die Leistungsfähigkeit auswir-ken, zählen Einsichtsfähigkeit, Verständnis und Menschlichkeit. Negative Charak-tereigenschaften sindDesinteresse, Verlogenheit, Ignoranz, Selbstüberschätzung undÜberheblichkeit. Sie beeinträchtigen auch das Wirken mancher Manager, Politiker,Berater und Forscher.

Der Charakter eines Menschen und seine persönliche Disposition lassen sichkaum ändern oder beeinflussen. Fachliche Qualifikation lässt sich hingegen erwer-ben durch Lernen und Erfahrung und vermitteln durch Schulung und Anleitung.Hier ist in der Logistik noch manches zu tun [179, 180].

Die Leistungsbereitschaft des Menschen wird beeinflusst von seinem Befindenund seiner Motivation:

• Das Befinden des Menschen und damit seine Leistung werden beeinträchtigtdurch Ermüdung, Erschöpfung, Hitze, Kälte und Langeweile.

• Die Motivation des Menschen lässt sich fördern durch Erfolgserlebnisse, Aner-kennung und Lob sowie durch eine faire Vergütung seiner Leistung.

Ergonomische Arbeitsabläufe steigern unmittelbar die Leistung. Gegen Ermüdungund Langeweile können Arbeitsplatzwechsel (job rotation) und Funktionsanreiche-rung (job enrichment) helfen. Angenehme Arbeitsbedingungen verbessern das Be-finden und die Motivation. Auf die Motivation zielen auch Programme zur Beteili-

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24.1 Erfolgsbeeinflussende Eigenschaften der Menschen 1107

gung der Mitarbeiter an den Veränderungsprozessen im Unternehmen, wie Kaizenund KVP.

Bis heute ungelöst ist das Problem der fairen Leistungsvergütung. Die Lösungs-ansätze der Güterproduktion, wie Akkordlohn und Leistungsprämien, sind auf Lo-gistikbetriebe und andere Leistungsbereiche wegen der stochastischen Prozesse, derSchwierigkeit der Leistungsmessung und der schwankenden Anforderungen nichtdirekt übertragbar.

24.1.2 Eigennutz und Schwächen

Die stärkste Triebkraft des Menschen ist der Eigennutz: Eigennutz zur Befriedigungseiner existentiellen Bedürfnisse, wie Hunger, Durst, Wärme, Sicherheit und Arter-haltung, und Eigennutz zur Erfüllung seiner innigsten Wünsche, wie Liebe, Aner-kennung und Lebensfreude.

Der natürliche und faire Eigennutz, gebändigt durch Recht und Gesetz, ist grund-sätzlich etwas Positives. Er ist Leistungsansporn und Quelle allen persönlichen Be-darfs [196, 199]. Ohne den natürlichen Eigennutz würde die Wirtschaft nicht funk-tionieren, ja sie wäre sinnlos, denn:� Das Ziel des Menschen als Konsument und als Produzent ist die Befriedigung

seines Eigennutzes.Aus dem eigennützigen Bestreben, mit minimalem Einsatz möglichst viel zu erhal-ten, erwächst das ökonomische Prinzip oderWirtschaftlichkeitsprinzip:� Das Ziel des wirtschaftlichen Handelns des einzelnen Menschen und der Unter-

nehmen sind maximale Erlöse und Leistungen bei minimalen Kosten undMittel-einsatz.

Negativ sind Eigennutz und Gewinnstreben erst, wenn sie rücksichtslos zu Lastenanderer verfolgt werden. Der unfaire und rücksichtslose Eigennutz wird zur Gefahr inVerbindung mit anderen Schwächen des Menschen, wie Faulheit, Dummheit, Neid,Machtgier, Ignoranz und Selbsttäuschung [196, 199].

Am schwersten zu bekämpfen ist der eingebildete oder vorgetäuschte Gemeinnutz,denn das Gegenteil von gut ist bekanntlich nicht schlecht, sondern gut gemeint. Daserkennbar Schlechte lässt sich abwehren. Gegen die verordnete gute Absicht sindZahlende und Begünstigte oft hilflos. Die fatalen Folgen der Devise Gemeinnutz gehtvor Eigennutz hat der kommunistische ebenso wie der faschistische Sozialismus ge-zeigt.

Von den Gefahren des vorgetäuschten Gemeinnutzes sind wir bis heute nichtfrei. Das zeigt sich auch in der Logistik: Von den Unternehmen angeblich zum Nut-zen der Kunden erdachte Bonus- und Rabattsysteme, Meilenprämien und andereZugabeprogramme wirken sich in Wahrheit zum Nachteil der Kunden aus, da keineAblehnung möglich ist, die Preistransparenz verloren geht und alle, auch die nichtBegünstigten, dafür höhere Preise zahlen. Kostenlose Hauszustellung, 24-Stunden-Service, extremkurze Lieferzeiten, Just-In-Timeoder Tracking andTracing sind frag-würdige Fortschritte, wenn sie nur vonwenigen benötigt oder gewünscht werden, dieMehrkosten aber von allen getragen werden sollen.

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Eigennutz und Schwächen des Menschen lassen sich nicht ändern. Wer die Ver-änderung in den Köpfen fordert und damit mehr als bessere Einsicht meint, will denneuen Menschen. Er unterliegt damit einer Selbsttäuschung oder will – bewusst oderunbewusst – von seinem persönlichen Eigennutz ablenken. Daher ist Vorsicht gebo-ten gegen Devisen wie ,,Teamgeist ist wichtiger als Einzelleistung“ oder ,,Das Unter-nehmen geht vor“.

Was für den Einzelnen, seine Angehörigen oder das Unternehmen gut und nütz-lich ist, wissen die Menschen meist selbst am besten. Was ihnen und anderen scha-det, können oder wollen viele Menschen nicht wissen. Darüber müssen alle Men-schen nachdenken. Rücksichtslosen Eigennutz und menschliche Schwächen wird esimmer geben. Sie können jedoch durch Verhaltensregeln eingedämmt und ihre Aus-wirkungen durch Gesetze begrenzt werden.

Einige nützliche Verhaltensregeln werden nachfolgend für die Aufbauphase undden Betrieb logistischer Systeme vorgeschlagen. Ein begründeter Vorschlag für einegesetzliche Regelung sind die Grundsätze der Preisgestaltung aus Abschn. 7.1.

24.2 Erfolg und Verhalten in der Aufbauphase

Das Management der Unternehmenslogistik ist ein iterativer Prozess, der niemalszum Stillstand kommt. Die Aufbauphase für ein Logistiksystem, ob mechanischeAnlage, System oder Unternehmensnetzwerk, beginnt mit der Zielplanung und en-det mit der Inbetriebnahme. In allen Phasen der Planung und während der Reali-sierung werden Ergebnisse und Erfolg von den beteiligten Menschen bestimmt (s.Abschn. 3.2 und 3.3).

Besondere Probleme entstehen durch den Zeitdruck, unter dem viele Projektegeplant und realisiert werden. Arbeiten und Entscheiden unter Zeitdruck erfordertErfahrung, Urteilsvermögen, Entscheidungsbereitschaft und Charakterstärke. Nurmit diesen Fähigkeiten gelingt es, unter Zeitdruck gute Arbeit zu leisten, Planungs-und Bearbeitungsschritte möglichst parallel auszuführen, Unwichtiges zu beschleu-nigen und das Wichtigste ausreichend zu bedenken, ohne in Hektik zu verfallen, dieNerven zu verlieren und Fehler zu machen.

24.2.1 Menschliche Einflüsse auf die Zielplanung

In derTheorie steht am Projektbeginn ein Auftraggeber, der die Anforderungen undZiele vorgibt und die Realisierung auslöst. In der Praxis beginnt bereits hier die Ab-hängigkeit des Projekterfolgs vomMenschen. Die externen und internen Auftragge-ber, also die Kunden oder das Management, sind sich oftmals selbst nicht klar überihre Ziele und Prioritäten. Die Leistungsanforderungen für den Planungshorizontsind häufig nur unzureichend bekannt. Überzogene Erwartungen, vorgefasste Mei-nungen, allgemeine Trends und persönliche Interessen beeinflussen die Vorgabenfür ein Projekt.

Hieraus können gravierende Fehler, erhebliche Leistungsmängel und unnötigeKosten resultieren, die erst im laufenden Betrieb zutage treten, dann aber kaum noch

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24.2 Erfolg und Verhalten in der Aufbauphase 1109

korrigiert werden können. Das lässt sich weitgehend vermeiden, wenn alle Beteilig-ten die Verhaltensregeln für die Phase der Zielplanung beachten:

� Keine Planung ohne klare Zielvorgaben.

� Das Hauptziel, Erfüllung der benötigten Leistungen zuminimalen Kosten bei an-gemessener Qualität, darf in keiner Projektphase aus dem Auge verloren werden.

� Soweit ein Projekt die Kunden des Unternehmens betrifft, ergeben sich die Zieleaus dem Kundennutzen.

� Die Projektziele müssen schriftlich und eindeutig formuliert sein. Die Leistungs-,Qualitäts- und Serviceanforderungen müssen für den Planungshorizont quanti-fiziert werden und vollständig sein.

� Ziele und Anforderungen sind vor Beginn der Planung zwischen Auftraggeberund den Projektverantwortlichen einvernehmlich zu verabschieden.

Die Zukunft ist stets ungewiss. Es ist unmöglich, die Anforderungen für einen Pla-nungshorizont auch nur von 3 bis 5 Jahren genau festzulegen. Daraus ergibt sich dieNotwendigkeit, bei Ungewissheit zu planen und zu entscheiden. Aus Ängstlichkeitoder Gewissenhaftigkeit sind viele Menschen dazu nicht fähig. Sie fordern Gewiss-heit, wo es keine geben kann, statt flexible Systeme zu schaffen, die Veränderungengewachsen sind. Sie sehen nicht die Chancen, die sich bei flexibler Reaktion undDis-position während des laufenden Betriebs ergeben können [199].

24.2.2 MenschlichesWirken in der Systemplanung

In der Systemplanung werden dieWeichen für den Erfolg oderMisserfolg eines Pro-jektes gestellt. Außer falschen Vorgaben können in dieser Projektphase ein unsyste-matisches Vorgehen, unzureichende Kenntnisse, Voreingenommenheit, mangelndeErfahrung und fehlende Einsicht zu falschen Entscheidungen mit irreparablen Feh-lern führen. Die aussichtsreichsten Handlungsmöglichkeiten werden übersehen, diegrößten Potentiale bleiben ungenutzt, die besten Optimierungsstrategien sind nichtbekannt. Damit werden oft große Chancen vertan.

Hiergegen helfen die Verhaltensregeln für die Phase der Systemplanung:

� Phantasie, Kreativität, Kompetenz und Offenheit sind ausschlaggebend für denErfolg der Systemplanung.

� Nur mit Unvoreingenommenheit, nicht mit Benchmarks oder durch Nachma-chen lassen sich neue Lösungen finden undDurchbrüche erzielen, die einenwirk-lichen Fortschritt bewirken.

� Methodik, Wissen und Erfahrung sind wichtiger als persönliche Interessen, Tak-tik, Macht und Hierarchien.

� Alle denkbaren K.O.-Kriterien und alle unverrückbaren Randbedingungen sindbereits bei der Lösungsauswahl, Systemauslegung und Dimensionierung zu be-rücksichtigen.

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1110 24 Menschen und Logistik

Die Ergebnisse der Systemplanung mit Investitionsbedarf, Wirtschaftlichkeitsrech-nung und Realisierungszeitplan müssen als Vorgabe für die Detailplanung vollstän-dig dokumentiert und vom Auftraggeber verabschiedet werden.

24.2.3 Verhalten bei Detailplanung und Ausschreibung

Manche gute Systemlösung scheitert an einer unzureichenden Detailplanung odermangelhaften Ausschreibung. Wegen fehlender Qualifikation einzelner Fachleutewerden wichtige Punkte, wie Bedienungsfreundlichkeit, Arbeitsbedingungen, Si-cherheit oder Schnittstellen, nicht bedacht oder nicht ausreichend detailliert geplant.Andere Punkte werden infolge der Dominanz eines Managers oder eines Fachbe-reichs, etwa der Bauabteilung, der DV oder des Finanzbereichs, unnötig kompliziertoder verzögert.

Der Erfolg der Ausschreibung ist gefährdet, wenn keine qualifizierte Ausschrei-bungsunterlage mit vollständigen Lastenheften, ausreichend differenzierten Preis-blanketten und klaren Vergabebedingungen vorliegt. Gründe dafür sind oft Zeit-druck, falsche Sparsamkeit, ein forsches Management oder ein mächtiger, aber inder Logistik unerfahrener Einkauf. Aus gleichen Gründen werden häufig auch diefalschen Bieter ausgewählt und qualifizierte Lieferanten übergangen.

Um das zu vermeiden, sind folgende Verhaltensregeln für die Detailplanung undAusschreibung hilfreich:

� Das Projektteam muss für die Detailplanung und Ausschreibung einem erfahre-nen Projektleiter unterstellt werden undmit qualifizierten Fachleuten aller betrof-fenen Fachbereiche besetzt sein. Dazu gehören auch die Verantwortlichen für denspäteren Betrieb.

� Für Detailplanung und Erstellung der Ausschreibungsunterlagen muss ausrei-chend Zeit vorhanden sein.

� Ergebnisse, Berechnungen, Lastenhefte und Ausschreibungsunterlagen müssenverständlich dokumentiert sein. Sie sind von den Betriebsverantwortlichen aufVollständigkeit und Richtigkeit zu prüfen.

� Bieter müssen nach objektiven Kriterien ausgewählt werden, wie Qualifikation,Kompetenz und Referenzen.

24.2.4 Menschliche Einflüssewährend der Realisierung

Auch nach dem Point of no Return, wenn die Hürden der Planung und Ausschrei-bung genommen sind und das Management über die Realisierung und Vergabe ent-schieden hat, können Menschen noch viele Fehler machen und Hindernisse errich-ten. Unerwartete, meist kostenwirksameWiderstände kommen von Genehmigungs-beamten, vom Betriebsrat, aus dem IT-Bereich oder aus den Betriebsbereichen, diespäter mit der geplanten Anlage oder dem neuen System arbeiten sollen.

Während der Realisierungsphase werden viele Punkte entschieden, die für denProjekterfolg und für die Effizienz des späteren Betriebs ausschlaggebend sind. In der

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24.3 Leistung und Qualität im Betrieb 1111

letzten Phase vor dem Betriebsbeginn ist der menschliche Einfluss besonders groß.Fähigkeiten und Schwächen, Interessen und Sorgen, Motivation und Arbeitsfreude,Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft entscheiden über Erfolg oder Misser-folg.

Häufig sind Missverständnissee, Verständigungsprobleme und fehlende Kom-munikation zwischen den Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen die Ursache vonFehlern oder Verzögerungen. Die Fachsprache der Informatiker, der Ingenieure, derOR-Fachleute und der Betriebswirte ist heute derart spezialisiert, dass nur ein recht-zeitiger Abgleich der Begriffe Missverständnisse verhindern kann.

Viele Probleme lassen sich vermeiden oder meistern durch folgende Verhaltens-regeln für die Realisierungsphase:

� Einsatz eines qualifizierten Projektteams unter Leitung eines erfahrenen Projekt-managers mit angemessenen Entscheidungsbefugnissen

� Auswahl der richtigen Realisierungspartner, die durch faire Auftragsbedingun-gen, realistische Termine und auskömmliche Preise motiviert sind, gute Arbeit zuleisten und sich für den Erfolg des Gesamtprojekts und des Auftraggebers einzu-setzen

� Organisation undDurchführung eines qualifizierten Projektmanagementmit lau-fender Termin-, Leistungs- und Kostenkontrolle

� Frühzeitige Auswahl und Einbindung der späteren Betriebsverantwortlichen

� Rechtzeitige Einstellung, Schulung undEinweisung derMitarbeiter, die in derAn-lage und mit dem System arbeiten

� Kompetente Planung, Vorbereitung und Durchführung der Tests, Abnahme undInbetriebnahme von Einzelgewerken, Teilleistungen und Gesamtsystem

� Vorbeugende Organisation von Wartung, Instandsetzung und Ersatzteilhaltung

� Interesse am Projektfortschritt, Anerkennung der Leistung und Rückendeckungin schwierigen Situationen durch Management und Unternehmensleitung.

Wenn Auftraggeber und Management die Projektbeteiligten unter fairen Bedingun-gen selbständig arbeiten lassen, lösen sich viele Fragen wie von selbst. Spaß an derSache, Stolz auf die Leistung undVorfreude auf das gemeinsameWerk führen schnel-ler zu nachhaltigen Erfolgen als ein allzu aufwendiges Controlling und Reporting.

24.3 Leistung und Qualität im Betrieb

Messgrößen für die Leistungsfähigkeit einerAnlage oder eines Systems sind dieMen-ge und dieQualität der erzeugten Leistungen und Produkte. Für eine weitgehend au-tomatisch arbeitende Anlage hängen Menge und Qualität der erzeugten Güter undLeistungen von der Qualifikation des Bedienungspersonals sowie von den Mitarbei-tern derQualitätskontrolle, Wartung und Instandhaltung ab. Sie bestimmen die tech-nische Verfügbarkeit. Deren Produkt mit der technischen Grenzleistung ergibt daseffektive Leistungsvermögen.

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Die technischeVerfügbarkeit einer richtig konzipierten und vorschriftsmäßig ge-warteten Anlage, wie ein automatisches Hochregallager oder ein Sortersystem, liegtheute über 98%. Die Leistungsminderung durch Nichtverfügbarkeit ist also mini-mal. Die Fehlerquote liegt deutlich unter 0,1%, die Leistungsqualität also weit über99,9%.

In einem System, in dem Menschen wesentliche Arbeitsschritte der Produktionoder Leistung erbringen, werden Menge und Qualität ganz entscheidend bestimmtvon der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit der gewerblichen Mitarbei-ter, von der Kompetenz der Disponenten und vom Verhalten des Management imoperativen Betrieb.

So liegt die Verfügbarkeit des Menschen beim Kommissionieren, abhängig vonArbeitsbedingungen und Belastung, zwischen 80 und 95%. Bei schlechter Führungund fehlender Leistungskontrolle kann die Verfügbarkeit einzelner Mitarbeiter auchweitaus geringer sein (s.Abschn. 17.11.4). Die Positionsfehlerquote eines Kommissio-nierers liegt unter normalen Umständen im Bereich von 0,5 bis 2% (s.Abschn. 17.4).

Allgemein gilt für Logistik- und Leistungssysteme:

� Verfügbarkeit und Qualität der von Menschen abhängigen Systeme sind weitausschlechter als von automatischen Systemen.

Die Unterschiede von Verfügbarkeit und Qualität zeigen, welche Verbesserungspo-tentiale bei den von Menschen abhängigen Systemen bestehen.

24.3.1 Maßnahmen im gewerblichen Betrieb

Die Verfügbarkeit eines gewerblichen Mitarbeiters ist das Verhältnis zwischen pro-duktiver Zeit und Arbeitszeit in den Zeiträumen, in denen Aufträge vorliegen. Auchbei genügend Aufträgen vermindert sich die produktive Zeit um die sogenannte per-sönliche Verteilzeit [96]. Die persönlicheVerteilzeit ist erforderlich für das regelmäßi-geAusruhen nach den produktivenArbeitsschritten und für persönlicheVerrichtun-gen. Sie kann sich durch Ermüdung, Ablenkung, Desinteresse, fehlende Motivationund schlechtes Befinden erheblich erhöhen.

Zur Verbesserung der Verfügbarkeit und Steigerung der effektiven Leistung sindfolgende Maßnahmen der Verteilzeitsenkung geeignet:

keine zu schweren Lastenkeine dauerhafte Überbelastunggute Beleuchtungwenig Ablenkunghohe Sicherheitmenschliche Behandlungangemessene Bezahlung.

Das Leistungsvermögen desMenschen wird nicht nur durch eine geringe Verfügbar-keit beeinträchtigt. Auchder Zeitbedarf für die produktivenVerrichtungen bestimmtdie Leistungsmenge. Das Leistungsvermögen lässt sich daher durch folgende Maß-nahmen zur Taktzeitsenkung verbessern:

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24.3 Leistung und Qualität im Betrieb 1113

ergonomische Arbeitsplatzgestaltungergonomisch optimale Prozessabläufeminimale TotzeitenSchulung und Training.

Eine große Leistungsmenge ist nur von Wert, wenn auch die Qualität hoch ist. Feh-ler und Leistungsmängel verursachen meist erheblich größere Schäden als nur derLeistungsverlust durch Korrektur und Nacharbeit. Fehler können durch eine Qua-litätssicherung oder von den nachfolgenden Stellen erfasst und kontrolliert werden.Doch hier gilt der Qualitätssicherungsgrundsatz:

� Besser Fehler vermeiden als Fehler kontrollieren.

Zur Fehlervermeidung tragen folgendeMaßnahmen der Selbstkontrolle bei:

Kontrollmessungen am ArbeitsplatzKontrollmeldungen durch den Mitarbeiterpersönliche Kennzeichnung der Arbeitsergebnisseregelmäßige Weiterbildung.

Mit derartigen Maßnahmen lässt sich im Rahmen eines Null-Fehler-Programms,wie das Zero Defect Picking, die Fehlerquote eines Kommissionierers unter 1%0 sen-ken [85].

Die Wirkung anonymer Leistungs- und Qualitätskontrollen auf das Leistungs-vermögen und auf die Fehlerquoten wird häufig überschätzt, der dafür notwendigeAufwand zu wenig berücksichtigt und die demotivierende Wirkung nicht gesehen.Eine selbstregelnde Lösung ist die ergebnisabhängige Leistungs- und Qualitätsvergü-tung der Mitarbeiter. Hierfür aber ist eine Lösung der Probleme der Leistungsmes-sung und der Belastungsschwankungen erforderlich.

24.3.2 Einfluss der Bedienung und der Disponenten

Das Leistungsvermögen einer hochtechnisierten Anlage hängt vom Bedienungsper-sonal ab. Für dessen Arbeit sind Aufmerksamkeit, Qualifikation undMotivation aus-schlaggebend. Die Aufmerksamkeit lässt sich durch gute Anzeigetechnik und einenoptimal gestalteten Leitstand fördern. Die fachliche Qualifikation muss durch rich-tige Mitarbeiterauswahl gesichert und durch Aus- undWeiterbildung gefördert wer-den. Die Motivation bestimmt imWesentlichen das Management.

Über den effizienten Einsatz einer Anlage und der Ressourcen eines Logistiksys-tems entscheiden dieDisponenten. Die Aufgaben, die erforderlicheQualifikation, dieHandlungsmöglichkeiten und die Verantwortung der Disponenten werden in vielenUnternehmen nicht angemessen wahrgenommen. Viele Disponenten arbeiten nachErfahrungsregeln, die weder schriftlich fixiert noch untereinander abgestimmt sind.

Die Dispositionsprogramme der ERP-Standardsoftware bieten zwar eine Vielzahlvon Dispositionsverfahren und Fertigungsstrategien sowie zahlreiche Parameter. Siegeben dem Benutzer jedoch keine Entscheidungshilfen für den Einsatz der angebo-tenen Verfahren und die Festlegung der freien Parameter. Viele Standardprogramme

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1114 24 Menschen und Logistik

sind außerdem unvollständig, verwenden unzulängliche oder falsche Berechnungs-formeln und arbeiten weitgehend statisch.

Die meisten Disponenten wirken im Stillen. Sie leisten oft bessere Arbeit, als un-ter den gegebenen Umständen erwartet werden kann. Manche Disponenten abersind auch überfordert und demotiviert. Das Management sollte wissen:

� Der Schaden, den ein unqualifizierter oder demotivierter Disponent anrichtet,kann immens sein.

Auf dem Gebiet der Ausbildung der Disponenten, der Unterstützung ihrer Arbeitdurch Programme und der Würdigung ihrer Leistung durch das Management istnoch viel zu tun [167].

24.3.3 Verhalten derManager

Die verheerendsten Auswirkungen auf das Leistungsvermögen eines Logistik- oderLeistungssystems haben unqualifizierte Manager. Unkenntnis, Desinteresse, Über-heblichkeit und Selbstüberschätzung führen zu Fehlentscheidungen und zu Fehlver-halten gegenüber den Mitarbeitern.

Fehlentscheidungen des Management können manchmal durch die unterstelltenManager undMitarbeiter korrigiert oder ignoriert werden. Abgesehen vom Schadenfür das Unternehmen sind die Folgen meist Frustration und Demotivation. Nochdemotivierender aber wirken sich Fehlverhalten und Charakterschwäche eines Ma-nagers aus. Ein häufiges Fehlverhalten von Führungskräften ist ihre seltene Anwe-senheit in den operativen Betriebsbereichen. Hier gilt auch heute noch das biblischeWort: Nur das Auge des Herrn macht die Kühe fett.

Manche Manager meinen, sie könnten Ihre Führungsaufgaben von Manage-mentsystemen ausführen lassen, an die Mitarbeiter delegieren oder durch ein auf-wendiges Controlling ersetzen. Doch wer nicht entscheiden kann, wer den direktenUmgang mit den Menschen scheut, keine Konflikte austragen und nicht ausgleichenkann, sollte nicht Manager werden.

24.4 Forderungen anWissenschaft und Politik

In der Logistik ebenso wie in anderen Bereichen unserer modernen Leistungsgesell-schaft sind wir von funktionierenden Märkten noch weit entfernt [234]. StaatlicheEingriffe, ungünstigeRahmenbedingungen undnutzungsferne Preise verhindern diefaire Preisbildung und führen zu einer volkswirtschaftlich unerwünschten Fehllei-tung der Ressourcen [159, 196, 199].

Wenn die EU für den Autoverkauf in ganz Europa gleiche Bedingungen vor-schreibt, das Porto eines grenzüberschreitenden Briefes, der vom Standard abweicht,dagegen auch bei geringerer Entfernung viermal so hoch sein darf wie für eine In-landszustellung, so ist dies ein typisches Beispiel für den Rückstand der Dienstleis-tungswirtschaft im Vergleich zur Warenwirtschaft (s. Abschn. 22.4). Das heißt (s.Kap. 23):

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24.5 Ausblick 1115

� Europa benötigt in derMikrologistik undMakrologistik allgemeingültige Verhal-tensregeln, wirksamere Gesetze und bessere Rahmenbedingungen.

Diese Forderung ist kein Plädoyer für eine Flut von Gesetzen, die alles bis ins kleinsteDetail regeln. Im Gegenteil: Benötigt werden allgemeingültige Verhaltensregeln undgrundsätzlich anwendbare Gesetze, die Einzelfallregelungen überflüssig machen (s.Abschn. 23.6).

Dazu können die Logistiker und Wirtschaftswissenschaftler durch Erforschungder Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten beitragen. Die weit verbreitete his-torisch-deskriptive Logistik reicht dafür nicht aus [17,36,158,165,171,177,231]. Auchdas viel geprieseneWissensmanagement hilft nicht weiter. Allein das Dokumentierenund Verwalten vorhandenen Wissens bringt weder Fortschritt noch neue Erkennt-nisse. Zu kurz kommen heute die Wissensgewinnung und das Finden neuer Lösun-gen.

Gefordert ist eine analytisch-konstruktive Logistik, die praktisch umsetzbare Lö-sungsvorschläge, begründeteHandlungsanweisungen und brauchbare Verfahrensre-geln erarbeitet. Diese sind Grundlage und Voraussetzung, um gemeinsam mit Juris-ten und Politikern allgemein verbindliche Verhaltensregeln zu vereinbaren, wirksa-meGesetze zu formulieren und bessereRahmenbedingungen zu schaffen (s.Kap. 23).Dabei sollte die Devise sein:

� Die Logistik ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Logistik.

Alles Nachdenken über wirtschaftliche Zusammenhänge und über die Logistik solltevom einzelnen Menschen ausgehen [232].

24.5 Ausblick

Jeder Mensch unterliegt der Gefahr der Selbsttäuschung. Sie kann die eigenen Fä-higkeiten betreffen und zu Überheblichkeit und Selbstüberschätzung führen oderdas eigene Wissen und eine Fehleinschätzung der Risiken und Auswirkungen vonEntscheidungen zur folge haben. Die größte Gefahr einer Selbsttäuschung bestehtbei den eigenenHandlungsmotiven. Hinter vorgeblicher Sachlogik, Gemeinnutz undNächstenliebe verbirgt sich oft reiner Eigennutz [199].

Die Selbsttäuschung ist auch Ursache von Übertreibung und Einseitigkeit. Wennsich nach langemWiderstand gegen Veränderungen eine neue Erkenntnis oder Ein-sicht durchgesetzt hat, wird diese oft als allein richtige Lösung hartnäckig verfolgt,auch wenn sich frühere Lösungen bereits bewährt haben. In den Unternehmen wer-den neue Strategien überzogen. In der Politik werden neue Gesetze gemacht und Re-geln erlassen ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen und unerwünschte Folgen. Erstwenn der Schaden offensichtlich ist, werden die neuen Strategien verworfen undGe-setze geändert. Das hat wiederum eine übertriebene Umkehr zur folge [232].

Beispielhaft dafür ist das endlose Hin und Her zwischen Zentralisierung undDe-zentralisierung, das sich in der Logistik ebenso wie in den Unternehmen und in derPolitik abspielt. Generationen vonBeratern leben davon, Systeme,Unternehmenund

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1116 24 Menschen und Logistik

Organisationen zu zentralisieren, um sie danach wieder zu dezentralisieren (s. Ab-schn. 2.4). Weitere Beispiele sind die einseitigen Therapien und vielen Patentlösun-gen, die aus der Betrachtung eines komplexen Problems unter nur einem Aspekt re-sultieren. Das zeigt das ständige Aufkommen und Verschwinden neuer Modeworteund Abkürzungen, die meist Ausdruck kurzlebiger Trends sind (s. Abschn. 1.10.4).

Gegen die Gefahren der Selbsttäuschung, Einseitigkeit und Übertreibung helfenfolgende Verhaltensempfehlungen:

sachliche Klärung der angestrebten Zielegemeinsame Priorisierung divergierender ZieleBerücksichtigung aller relevanten AspekteOffenheit gegenüber Ideen und Lösungsvorschlägensystematische Entwicklung geeigneter Strategiennüchterne Untersuchung der Kompatibilität und Konflikteobjektive Analyse der Folgen und Nebenwirkungenpragmatisches Abwägen der Vor- und Nachteileselbstkritische Suche nach WidersprüchenRespekt vor begründeten EinwändenAkzeptieren und Berücksichtigen von Ungewissheit und RisikenAbwägen zwischen Freiheit und SicherheitBegrenzung der Zentralisierungfairer Ausgleich der Interessenausgewogene Kombination von Altem und Neuem.

Diese Verhaltensempfehlungen gelten über die Logistik hinaus auch für andere Un-ternehmensbereiche ebenso wie in der Wissenschaft und für die Politik.

Die vergleichsweise überschaubare Logistik ist ein gutesArbeits- undÜbungsfeldzur Entwicklung und Erprobung von Strategien, Verhaltensregeln und Konzepten,von denen sich viele auf die Ökonomie, die Politik und andere Lebensbereiche über-tragen lassen [234]. Einige allgemein gültige Strategien und Grundsätze sind in die-sem Buch zu finden. Vieles ist jedoch noch ungelöst, manches lässt sich verbessern.In einigen Branchen liegt die operative Logistik noch immer viele Jahre zurück hin-ter den Erkenntnissen, Handlungsempfehlungen und Lösungen der theoretischenLogistik.

Permanente Herausforderungen an die theoretische Logistik sind das Gewinnenweiterer Erkenntnisse zur Verbesserung der logistischen Leistungs- und Wettbe-werbsfähigkeit und das Überzeugen der Praktiker vom Nutzen theoretischer Er-kenntnisse. Herausforderungen für die Praktiker in Wirtschaft und Politik sind dierasche Umsetzung der lohnenden Strategien, Handlungsempfehlungen und Lösun-gen in der operativen Logistik. Das erfordertVerständnis für die Ergebnisse undEmp-fehlungen der theoretischen Logistik, aber auch Risiko- und Investitionsbereitschaft.