loeffler argumentationsstruktur

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5/28/2018 LoefflerArgumentationsstruktur-slidepdf.com http://slidepdf.com/reader/full/loeffler-argumentationsstruktur 1/18 Albert J.J. Anglberger, Paul Weingartner (Hrsg.) Neuer Atheismus wissenschaftlich betrachtet i ontos verlag !rurkArl1 Pti6  I. I N,,wff: ia . k 

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  • Albert J.J. Anglberger, Paul Weingartner (Hrsg.)

    Neuer Atheismuswissenschaftlich betrachtet

    i

    ontos

    verlag!rurkArl1 Pti6. I. I N,,wff: ia . k

  • Bibliographie information published b) Deutsche Nationalbibliothek'fhc Deutsche Nast ionalbibliothek li%ts this publication in thc Deutsche Nationalbibliographie;

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    ISBN 978-3-86838-098-9

    2010

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    Priintd in (iertnmirr buch bcher dd ag

    Inhalt

    Vorwort ............................... ..............................I

    1. Neuer Atheismus: Was ist wirklich neu daran?

    ARMIN KREINER: Was ist neu am ,,Neuen Atheismus"? ............. 1

    WINFRIED LFF[.ER: Zur Argumentationsstruktur und Pragmatik ge-genwrtiger

    atheistischer Positionen ............................... 21

    ERNST PETER FISCHER: Die Wissenschaft zittert iti(tht"- Die skularenNaturwissenschaften und das moderne Lebensgefhl ................ 51

    2. Neuer Atheismus und die Evolutionstheorie

    WOLFGANG ACHTNER: Evolutionstheorie und Atlieismus ...........71

    WOLFGANG WICKLER: Theologische Rede vom Schpfer-Gott im Wi-derspruch zur Schpfung: Eine Argumenten-Falle .................. 101

    3. Neuer Atheismus und ein gottloser Kosmos?

    LOHNLENNOX: Geplantes Universum? ............................ 123

    HANS J.FAIIR: Die kosmische Evolution - eine schiere Mechanik desWerdens? ............................. ............................151

    4. Neuer Atheismus: Wissenschaftsmethodologische Schwach -stellen

    ALBERT J.J. ANGLBERGER, CHRISTIAN J. FELDBACHER, STEFAN H.GUGERELL: Richard Dawkins Hauptargument wissenschaftstheoretischbetrachtet ........................................................ 181

    PAUL WEINGARTNER: Regressus ad infinittutt und Zufall als Kritikpunk-

  • am

    te an Gottesbeweisen und ain Schpfiuigsgedanken .................199 Vorwort

    5. Moderner Theismus: Mgliche logische Begrndungen

    EDWARD NIEzNANSxi: Philosophische Auswahl unter den mglichen Er-klrungender Wirklichkeit ........................................225

    JOHANNES CZERMAK: berlegungen zum Thema: Gott und Logik 235

    DieAutoren ....................................................263

    Der Atheismus erlebte in den letzten Jahren eine Renaissance. Das BuchDer Gotteswahn des englischen Biologen Richard Dawkirrs wurde berNacht ein Bestseller. Ebenso Brief a.n ein christliches Land des Neuro-wissenschafters Sam Harns. Dadiu ch wurde der Atheismus in cler ffent-lic likeit und in den Wissenschaften wieder zum Thema.

    Heute gibt es zahlreiche ffentliche Diskussionen ber Atheismus. Je-(Loch beschrinkt sich die Debatte nicht mehr auf'die in der Vergangenheitdafr zustndigen Gebiete der Theologie und Philosophie: Es liefern sichAtheisten verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen mit Glubigenunterschiedlicher Konfessionen medienwirksame Streitgesprche. In ei-nigen Lndern gibt es Werbekainpagnerr fr ein atheistisches Weltbild.Religiser Glaube sei mit einem wissenschaftlichen Weltbild nicht ver-einbar, so viele Atheisten.

    Diese Bewegung fasst man unter den Namen "Moderner Atheismus"bzw. "Neuer Atheismus" zusammen. Aber ist tatschlich etwas neu amneuen Atheismus"? Gibt es in den modernen Naturwissenschaften wirk-

    liclr keinen Platz fr Gott? Knnen Argumente der neuen Atheistenberzeugend zeigen, dass es unvernnftig und unwissenschaft lieh ist, andie Existenz eines Gottes zu glauben? Dies sind nur einige Beispielfra-gen, die die Autoren dieses Bandes versuchen werden zu beantworten.Die Autoren kommen aus unterschiedlichen Disziplinen: Aus der Physik,der Biologie, der Mathematik, der Philosophie und der Theologie. Durchdiese Interdisziplinaritt soll eine in den populrwissenschaftlichen Bei-trgen beider Parteien oft anzutreffende Oberflchlichkeit vermieden undeine exakte Behandlung dieser Fragen erreicht werden.

    Diesem Band ging eine Tagung zu dem gleichen Thema im November2008 voraus. Zur Tagung eingeladen waren auch Gerhard Streminger undHorbert Hoerster. die aber leider abgesagt habenn. John Lennox konnteim letzten Augenblick nicht mehr teilnehmen hat aber erfreulicherweiseeinen Beitrag zur Verfgung gestellt.

    Die Konferenz htte ohne die finanzielle Untersttzung folgender In-stitutionen nicht stattfinden knnen. Wir danken dem Bundesniiuiste-riun

    fr Wissenschaft und Forschung, der Stifttrogs- und Frderungs-gesellschaft der Univ. Salzburg und dem Intern. Forschungszentruni Salz-burg fr die finanzielle Untersttnmg.

    Die HerausgeberSalzburg, Sommer 2010

  • Zur Argumentationsstruktur und Pragmatikgegenwrtiger atheistischer Positionen

    Winfried LfflerUniversitt Innsbruck

    1 Worum es geht

    Religionskritik ist ein sich durchziehender Topos der intellektuellen De-batten seit der Aufkl^irungszeit. Allerdings ist in den letzten Jahrzehn-ten eine gewisse Verschiebung in den Grundkoordinaten der religions-kritischen Diskurse zu beobachten. Whrend bis 1989 in weiten TeilenOsteuropas - zumindest offiziell - noch ein an Marx, Engels und Leninanschlieender wissenschaftlicher Atheismus" einigen Einfluss ausbte,so herrschte unter Intellektuellen in der westlichen Welt eine agnosti-sehe Mehrheitseinstellung - mehr oder minder religions-unfreundlich, invielen Fllen auch einfach gleichgltig. Das Augenmerk in Bezug auf dieReligionen, sofern es denn berhaupt vorhanden war, galt eher politisch-praktischen Fragen (etwa der Stellung der Religionen im demokratisch-skniaren Staat) als theoretischen Uberle;ungen. Deklarierte Atheis-ten` allerdings waren im Westen bis weit in die 1990er Jahre hinein sel-ten. 1 In den letzten Jahren hat sich dies grundlegend gendert. Ein neu-er Atheismus" ist nicht nur unter professionellen Philosophen in d an-deren Wissenschaftlern. sondern auch in breiteren Bevlkerungskreisenzu einer deutlich merkbaren Gre und einer attraktiven intellektuel-len Option geworden. Die vier Protagonisten, die man zuerst mit derGruppenbezeichnung neue Atheisten" zusamm9ngefasst hat, stammendabei aus dem angelschsischen Raum: Der Oxforder Biologe und Profes-sor fr Public Understanding of Science" Richard Dawkins, der Philo-soph Daniel C. Dennett, der junge Kognitionswissenschaftler Sam Harnsund der Publizist Christopher Hitchens (letztere drei smtlich dem US-amerikanischen Raum zuzuordnen, wenngleich Hitchens bis 1981 in Eng-land lebte). 2

    Allen vieren ist gemeinsam, dass sie eine umfassende media-A. J.J. Anglberger, 1'. Weingartner (llrsg.): Neuer Atheismus wissenschaftlich betrachtet,pp. 21--49, Ontos Verlag, Frankfurt 2010.

    1 Als bekanntere atheistische" Philosophen aus dieser Zeit wren etwa AntonyFlew, .lohn Mackie und Quentin Smith zu nennen.

    2 Die Bezeichnung New Atheists" drfte erstmals von Gary Wolf in seinem Ar-tikel The Church of the Non-Believers" in der Novemberausgabe 2006 (14) des US-

  • 22 Argumentationsstruktitr und Pragrn,itik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried Lffler 23

    le Ttigkeit entwickeln, die sich ganz bewusst an breite Bevlkerungs-kreise richtet; beim Umfang dieser Ttigkeit drfte allerdings RichardDawkins alle anderen in den Schatten stellen, und sein Werk The GodDelosion / Der Gotteswahn fungiert fr viele als der zentrale Bezugs-pwtkt. o Ein ungefhres Bild dieser Aktivitten - inklusive ausfhrlicherVortrags-, Interview- und Streitgesprchvideos, al ei auch umfangreicherTextsasnnthuigen - kann man sich mhelos mit Suchmaschiiwii im Inter-net verschaffen; dem aufk1ii.rerischen Impetus Dawkins' und der anderenAutoren entspricht auch ihr relativ liberaler Umgang mit Urheberrech-ten, die dein Verbreitungsanliegen nur entgegen stehen wrden. Konti-nentaleuropische Autoren haben im Vergleich mit den vier groen" Au-toren bislang vor 211ein regionale Bedeutung entfaltet: Michael Schmidt.Salomon und die mageblich von seinen Aktivitten geprgte Giordano-Bruno-Stiftung haben vor allem in Deutschland in ihrem Kanipf ge-gen die etablierten christlichen Konfessionen und den Islam einige Auf-merksa.mkeit erregt.' t Der italienische Mathematiker und Religionskriti-ker Piergiorgio Odifreddi hat mangels bersetzungen bislang kaum einegrere ffentlichkeit auerhalb von Italien erreicht (ist dort allerdingssehr prsent''), whrend etliche Werke des Franzosen Michel Onfray auchauf Deutsch vorliegen und daher auch im deutschen Sprachraum einbreiteres Publikum haben. 6 Mag es zwischen diesen Autoren im Detailauch etliche Differenzen geben, so ist doch auch das hohe Ma an ge-genseitigen Bezgen und Verweisungen wiffllig, vor allem der Bezug

    amerikanischen Techuologickulturmagazins Wired geprgt worden sein, war damalsaber nur auf Richard Dawkins, Daniel Dennett und Sam I-larris gemnzt. Es hatsich aber weithin eingebrgert, auch Christopher Hitchens als vierte Zentralfigur zubetrachten. Fr ein auch eigenes Identittsbewusstsein dieser Vierergruppe sprichtu.a. ihre Erwhnung in Dawkins' Der Gotteswahn (siehe Anm. 3), 527. Fr nhereInformationen ber die Werke dieser Autoren sei auf den Beitrag von Armin Kreinerin diesem Band verwiesen.

    London u.a.: Bantam Press 2006, dt. Berlin: Ullstein 2008.Besonders durch die mediale und juristische Auseinandersetzung um das religi-

    onskritische Kinderbuch Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel (Aschaf-fenburg: Alibri 2007), Dokumente siehe unter www.ferkelbuch.de (Stand Mrz 2009).Siehe auch M. Schmidt-Salornic,n, Manifest des evolutionren Humanismus. Pldoyerfr eine zeitgeme Leitkultur, Aschaffenburg: Alibri 22006.

    Siehe u.a.: 1l Vangelo secondo la scienza. Le religioni alla prova dcl nove, Torino:Einaudi 4 2000; P. Odifreddi, 1l matematico impertinente, Milano: Longanesi 2005;Perche non possiamo essere cristiani (e meno ehe mai cattolici), Milano: Longanesi6 2007; 1l matematico impeniten.te, Milano: Longanesi 2008.

    6 Die beiden wichtigsten religionskritischen Werke des beraus produktiven Autorssind: M. Onfray, Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein mussMnchen: Piper 4 2008; Die reine f%reude am Sein: Wie man ohne Gott glcklichwird, Mnchen: Piper 2008.

    der Kontinentaleuroper auf die angelschsischen Vorbilder. Insbesonde-re Richard Dawkins gilt vielfach als eine Art Leit- und Identifikations-figur, besonders unter jenen, die den Atheismus vor allem als geboteneKonsequenz einer wissenschaftlichen, sich besonders auf die Evolutions-biologie sttzenden Weltanschauung sehen.

    F reilich sollte man die Einheitlichkeit und Geschlossenheit des neu-en Atheismus" auch nicht berschtzen. berdies gibt es seitens der ge-nannten Autoren selbst gewisse Bedenken darber, ob ein solches Selbst-verstndnis mglicherweise zu kurz greifen knnte, um nachhaltige pro-grammatische Kraft zu entfalten. In einem neueren Programmtext et-wa erachtet Michael Schmidt, Salonion den neuen Atheismus" als be-reits berholt und pldiert stattdessen fr die Forcierung eines thema-tisch breiteren neuen Humanismus ,7 der inzwischen auch Gegenstandzahlreicher einschlgiger Tagungen war. Begrndung fr diese Neuaus-richtung ist im Wesentlichen die Einschtzung, (lass das Programm derBekmpfung einer so widersinnigen wie obsoleten Weltsicht wie der Re-ligionen nicht zu einer lngerfristigen positiven Identittsstiftung hinrei-ehe. Fr eine adquate Einschtzung der neueren atheistischen Autorensticht auer Acht bleiben sollte auch die Frage, ob es sich dabei um eingdnuin europisches oder doch auch stark von aktuellen nordamerika-nischen Verliii11 wissen geprgtes Phnomen handelt. Sam Harns' BuchDas Ende des Glaubens8

    etwa ist ersichtlich von politischen Debattenber (las US-Engagement im Irak und in Afghanistan mitgeprgt. Eswird dort z.B. die These verteidigt, dass es wirklich um einen Kriegmit. dem Islam" gehe (nicht etwa nur mit irgendwelchen radikalen mus-limischen Randgruppen), und es geht auch um praktisch-ethische Fra-gen wie die Zuliissigkeit von Rettungsfolter und der Inkaufnahme vonKollateralschden an zivilen Einrichtungen und der Zivilbevlkerung.Daniel Dennetts religionskritisches Werk wiederuni ist ersichtlich starkvon der Ent rstung ber den zeitweiligen Vormarsch des Kreationis-mus in der US-amerikanischen Schulpolitik und ber die sonstigen reli-gisen Prgungen des ffentlichen Lebens motiviert, wie sie fr die USA(von der Verfassung her eigentlich einem der Lnder mit den radikalsten

    Sein Text Vom neuen Atheismus zum neuen I-Iwuanismus?" ist leicht berSuchmaschinen auffindbar; auf die Anfhrung der umfangreichen (und mglicherweisekurzlebigen) URL wird hier verzichtet. Siehe auch das Manifest des evolutionrenHumanismus (oben Atnn. 4).

    ri S. l-Iarris, Das Ende des Glaubens. Religion, '!'error und das Licht der Vernunft,Winterthu r : Edition Spuren 2007 (amerik. Original 2005); Brief an ein christlichesLand. Eine Abrechnung mit dem religisen 1'undamentalismus, Mnchen: Bertels-utanu 2008 (amerikan. Original 2006).

  • 24 Argumentationsstruktur und Pragmatik gegenwiirt.ig'r atheistischer Positionen Winfried Lfller 25

    Trennung zwischen Politik und Religion!) eigentmlich sind.' Einem gu-ten Teil des europischen Lesepublikums mag der Dringlichkeitsgestusmancher Einlassungen cler neuen Atheisten" daher etwas exotisch undberzogen vorkommen.

    Auf diesen wenigen Seiten eine ausfhrliche ut1(1 detaillierte Analy-se der Werke der neuen Atheisten" anzustellen, wre kein sinnvollesUnterfangen, wenngleich sie durchaus wnschenswert wre. Insgesamtgibt es nmlich - zumal in deutscher Sprache bislang relativ wenig aneinlsslicher werkanalytischer Literatur zu diesen Autoren,

    1

    0 und iitsbe-sondere seitens der akademischen Theologie bleiben bislang die Reaktio-nen weitgehend aus. Ich vermute, dass dies u.a. an manchen jener Eigen-arten der Texte der neuen Atheisten liegt, die im Folgenden errtert wer-den. Es fallen nmlich hei Anerkennung aller Unterschiede im Einzel-nen doch auch eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf der Ebeneder Argumentationsstruktur und der Argumentationspragmatik dieserTexte auf; sie nher herauszuarbeiten tmcl kritisch zu diskutieren, sollGegenstand der nachfolgenden berlegungen sein." Dazu soll zunchstauf einige irritierende prima-facie-Merkmale dieser Texte hingewiesenwerden (2.). Das wirft die Frage auf, ob das Charakteristikum der neu-en atheistischen Positionen vielleicht nur argumentationspragrnatisch zubestimmen ist, nmlich in Form einer bewusst angriffigeren Gangart mitweniger Respekt fr religise Befindlichkeiten (3.). Da diese Frage mei-nes Erachtens nicht uneingeschrnkt zu bejahen ist und doch auch eineinhaltliche Auseinandersetzung angezeigt erscheint, wird (4.) eine deutli-chere Klassifikation des neuen Atheismus versucht, die wesentlich auf ar-

    a Siehe dazu R. Prtorius, In God We Trust. Religion und Politik in den USA,Mnchen: C.H. Beck 2003. - Wie sich die Rolle und Auftnerksamkeitswert der neuenAtheisten nach dem Wegfall eines ihrer Hauptfeinde - der deutlich religis geprgtenUS-Regierung unter Prsident George W. Bush - entwickeln wird, kann momentannoch schwer abgeschtzt werden.

    t o R. Langthaler / K. Appel (Hgg.), Dawkins' Gotteswahn. 13 kritische Antwor-ten auf seine atheistische Mission, Wien: Bhlau; Th. Schrtl, Neuer Atheismus.Zwischen Argument, Anklage und Anmaung, in: Stimmen der Zeit 226 (2008), 147-161; K. Mller, Atheismus als Gegetu eligion, in: M. Striet (Hg.), Wiederkehr desAtheismus. Fluch oder Segen fr die Theologie? Freiburg: Herder 2008, 29-56; A.)\,lcGrath/J. Collicutt McGrath, Der Atheismus-Wahn. Eine Antwort auf RichardDawkins und den atheistischen Fundamentalismus, Asslar: Gerth Medien 2007 (engl.Originaltitel: The Dawkins Delusion. Atheist fundamentalisin and the denial of thedivine (2007)).

    2t Wenn in diesem Aufsatz von dem" neuen Atheismus die Rede ist, dann ge-schieht dies jeweils in dem erwhnten Bewusstsein, dass die damit angesprochenenAutoren im Einzelnen unterschiedliche Akzente setzen. Die gemeinsamen Merkma-le und Absichten sind aber breit genug, sie idealtypisierend als neuen Atheismus"zusammenzufassen.

    guinentationsstrukturelle Merkmale abhebt. In Abschnitt 5 wird als dastltnuinierende Argument des neuen Atheismus jenes aus der Schdlichkeitn lii

  • 26 Argumentationsstruktur und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried Lffier 27

    tigstellung jede weitere Diskussion auf unsicherer Basis stnde. hnlicharbeitet. Christopher Hitchens' Buch God is not Great l4 an etlichen Stel-len mit auffllig tendenzis zusammengestellten Beispielsmengen, uni dieSchdlichkeit der Religion(en) in schrillsten Farben vor Augen zu fhren.Nun wird freilich niemand in Abrede stellen, dass es zahllose Beispielefr irrationales oder grausames Verhalten im Namen einer (wie auchimmer verstandenen) Religiositt gab und gibt und solche Zusammen-stellungen daher ebenso leicht mglich wie historisch funclierbar sind;allerdings liee sich mit ebensolcher Leichtigkeit auch eine Beispielmen-ge an prima facie ntzlichen und erfreulichen Folgeerscheinungen vielerReligionen konstruieren, die man - sofe r n man schon Schaden/Nutzen-Erwgungen anstellen und dabei einem Postulat der complete evidence"folgen mchte, eigentlich auch ins Kalkl ziehen msste. Hinweise auf dieEinseitigkeit solcher Zusammenstellungen pflegen an markant religions-kritischen Autoren aber abzuprallen oder auf endlose Debatten ber dieGewichtung einzelner Beispiele als relevant oder irrelevant hinauszulau-fen.

    (2.2) Der absehbare Aufwand an solchen vorgngigen Richtigstellun-gen scheint fr viele Interpreten in keinem Verhltnis zum intellektuel-len Gewinn zu stehen, den eine ernsthafte Auseinandersetzung mit demneuen Atheismus verspricht. Denn letztlich scheint der neue Atheismusmit Varianten einiger weniger altbekannter Argumente zu arbeiten, zudenen der jeweilige Gegeneinwand aber ebenso auf der Hand liegt. Diezwei zentralen Einwand/Gegeneitnvand-Paare sind vermutlich diese:

    Religion ist ein Produkt der Evolution" - Aber: ..Die Kenntnis derGenese religiser berzeugungen impliziert ja nichts ber deren Gel-tung";

    Religion ist (in irgendwelchen Hinsichten) schdlich" - Aber: DieSchiicllichkeit einer berzeugung impliziert ja nichts ber deren Wahr-heit oder Falschheit"; und die einzu umende Schdlichkeit mancherZerrformen einer Religion impliziert zunchst noch nichts ber clie Schd-lichkeit der Hochform einer Religion".

    wegig erscheinen drfte. Die Darstellung der mutmalichen Quellen der vier Evange-lien (136) zeugt von profunder Unkenntnis und widersprche jeglichem wissenschaft-lichen Konsens. Die suggerierte Behauptung schlielich, man knne eine ernsthaftehistorische Argumentation dafr entwickeln, dass Jesus gar nie gelebt habe (ebd.,hnlich brigens Hitchens, Der Herr ist kein Hirte (siehe Anm. 14), 143), muss zu-mindest als extrem randstndig eingeschtzt werden. Dasselbe gilt fr die suggerierteNhe Hitlers zum Katholizismus (378-388).

    L4 C. Hitchens, Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet, Mnchen:Blessing 2007 (amerik. Original: God is not great: How religion poisons everything(2007).

    (2.3) Die neuen Atheisten arbeiten an vielen Stellen mit argtmlenta-1 Iven double binds, schaffen also - bewusst oder unbewusst - Dfalogsze-inrien, in denen der Religionsverteidiger mit jedem seiner Antwortver-

    iui he in ein schiefes Licht gert. So etwa wird ein grob-buchstblichest ^Iaubensverstndnis, das allenfalls noch im 19.Jh. seine Anhnger hatte,uls normativ auch fr das heutige Christentum suggeriert. Theologischt'i figerinaen kompetente Christen unserer Zeit wrden daraufhin re-N,t'l uii.ig antworten, es sei nach heutigem theologischem Wissensstanddoch nicht mehr z l issig, etwa smtliche Gesetzesvorschriften der alttes-1 nuitelut lichen

    Bcher Leviticus und Deuteronoinium wrtlich zu nehmen,nn eine allzu simple biologische Interpretation der Jungfrauengeburt zugliuiben oder die Wunderberichte des Alten und Neuen Testaments ohnehistorisch-hermeneutische Besinnung auf die Eigenart dieser Texte zu le-seit, und hnliches mehr. Diesen Aufgeklrten unter den Christen wirddann allerdings von Dawkins, I-Iitchens u.a. beschieden, sie seien nur un-'rlfte Weichspler-Christen, die die wesentlichen Inhalte des Glaubensaiifgegeben htten.' Je nach Reaktionsweise erscheinen Christen ausdieser Sicht also entweder als intellektuell rckstndig oder unaufrichtig.;in iihnlfches double bind wird bezglich der Stellungnahme zur Evoluti-

    iaisbiologie errichtet. Dem Christentum insbesondere fnteressanterwei-tie dein katholischen, obwohl die Hauptstorichtung der neuen AtheistentIier evangelikale Kreise in den USA sind - wird hartnckig vorgewor-It'ii, es leugne die Evolutionsbiologie. Dass es seit den 1930er Jahren einegimze Reihe an kirchlichen Dokumenten gibt, die das genaue Gegenteil(telegen, und die Frage Schpfung oder Evolution" lngst kein theo-logisches Problem mehr ist, wird ignoriert. Allenfalls werden noch die1)llsitfven Stellungnahmen Papst Johannes Pauls II. wahrgenommen, diewich in des US-amerikanischen Kreationisnu sdebatte einige RelevanzIu,tl, ,' ' allerdings wird auch hier wieder die Aufrichtigkeit in Frage ge-stellt: Wenn etwa Johannes Paul II. die Evolution anerkannt habe, dannIahe er nur geheuchelt und einen Schein der geistigen Zeitgenossenschaftwahren wollen. 17

    In Wirklichkeit sei das Christentum eben nicht verein-bar uit der Evolutionstheorie. Das Christentum wird also auch hier wie-

    t'' Dawkins, Der Gotteswahn (siehe Anm. 3), 87; hnlich Sam IIarris, Das Ende

    des Glaubens (siehe Anm. 8), 17f.t6 Vor allem: Johannes Paul II., Christliches Menschenbild und moderne Evoluti-

    uustheorien. Botschaft an die Teilnehmer der Vollversammlung der Ppstlichen Aka-deinie der Wissenschaften am 22.Oktober 1996, L'Osseruatore Romano, Wochenaus-gabe in deutscher Sprache, 1. November 1996, Nummer 44, S. lf. (Der Text ist imInternet leicht auffindbar.)

    14 I)awkins, Der Gotteswahn (siehe Anm. 3), 97;

  • 28 und und Pragmatik gcgenwiirt..igar atheistischer Positionen \\ inf ied Lffler 29

    clerum vor allem in den Augen des Lesepublikums vor die Alternativezwischen Rckstndigkeit und Unaufrichtigkeit gestellt.

    Es ist verstndlich, dass solche argumentative Zge vielfach als rger-lich empfunden werden, nicht zur intellektuellen Auseinandersetzung ein-laden und Zweifel erwecken, ob den neuen Atheisten berhaupt an einerergebnisoffenen, ernsthaften Diskussion (mit mglicher Revision auchder eigenen Meinungen) gelegen ist oder ob nicht vielmehr das Missio-nierungsanliegen im Vordergrund steht. Das mag teilweise auch die ver-breitete Einschtzung erklren, die man bezglich des neuen Atheismusunter seinen potentiellen Gegnern hufig zu hren bekommt: Es handlesich sachlich gesehen um nichts Neues, es seien vielmehr durchwegs Ar-gumente, die aus den klassischen religionskritischen Debatten des 19.Jhs.bekannt seien. Teilweise stt man auch auf undifferenzierte Diagnosenwie etwa jene, die neuen Atheisten vertrten einen atheistischen Fun-damentalismus"; r8 das ist insofern wenig hilfreich. als die BezeichnungFundamentalismus" sachlich gesehen fr Positionen reserviert bleibensollte, die irgendwelche an sich hermeneutikbedrftige Erkenntnisquel-len (etwa religise Schriften aus alter Zeit) wortwrtlich heranziehen undso bentzen, als wren sie ein unproblematisches, kontextbergreifendesFundament weiteren Denkens. Es ist allerdings nicht recht zu erkennen,was am neuen Atheismus in diesem Sinne fundamentalistisch" sein soll-te. Freilich mag man die geschilderten Eigenheiten der Texte der neuenAtheisten und deren Unwillen zu wissenschaftstheoretischen Differenzie-rungen als epistemische Untugenden und als wenig frderlich fr einesachliche Diskussion einschtzen mit Fundamentalismus" hat all diesnichts zu tun.

    3 Nur verschrfte Gangart oder mehr?

    Worum geht es also, sachlich gesehen, beim neuen Atheismus, und wasist. von dem eben geschilderten Verdacht zu halten, es handle sich imGrunde nur uni die Neuauflage altbekannter religionskritischer Argu-mente? Nach einer verbreiteten Selbsteinschtzung der neuen Atheistenist der Unterschied des alten" zum neuen" Atheismus wirklich nur

    ls Siehe etwa den (englischen ebenso wie deutschen) Untertitel des an sichhilfreichen, da inhaltlich differenzierten Buchs The Dawkins Delusion? / DerAtheismus-Wahn von A. McGrath und J.Cullicott. McGrath (siehe Anm. 10). DenA'undamentalismus-Verdacht scheint auch Th. Schort] (siehe Anni. 10) zu erheben(157), relativiert ihn aber auch wieder (159). Dawkins ( Der Gotteswahn (siehe Anm.3), 528ff) geht auf den E unclamentalismus"-Vorwurf zwar ein, bleibt dabei aber aucheinem unspezifischen Funclamentalisrnus-Begriff verhaftet.

    in pragmatischer und weniger ein inhaltlicher: Neu sei vor allem dieAufkndigung cles stillschweigenden Respekts vor den etablierten Reli-gionen, ihren Anhngern als Personen und deren religisen Gefhlen. Esgehe heute legitimer Weise um einen offensiven Kampf gegen die Religi-onsgemeinschaften und ihre Restbestnde an Privilegien irrt ffentlichenRaunt. Dies legitimie rt nach Ansicht mattcher Vertreter des neuen Athe-isnuis nicht nur die neue Angriffigkeit ii^i Stil der Auseinandersetzung,sondern auch bewusst und ffentlichkeitswirksam inszenierte Provokati-on sakte mit dem Ziel, religise Denkformen zu verunsichern und im Ein-zelfall sogar Gefhle zu verletzen (von atheistischen Werbeplakaten aufStraenbahnen bis hin zu vereinzelten und ihrerseits merkwrdig ana-clironistisch anmutenden Unternehmungen wie Schndungen von Hosti-en und Koranexemplaren).

    Unter Anhngern des neuen Atheismus verbreitet ist auch die Ein-stellung. class man als moderner Atheist oder Humanist keine intellek-tuelleu Biindnisse

    mehr mit moderaten, aufgeklrten Anhngern derReligionen schmieden solle, in der bislang vergeblichen I-Ioffnung, eineUntersttzung dieser moderaten Krfte werde langfristig die radikalenund gefhrlichen Formen der Religion zurckdrngen. Gerade das vongemigt-religisen Menschen meist vertretene Ideal der religisen To-leranz habe clem Anwachsen religiser Radikalismen im Ergebnis zu-gearbeitet.' 9

    Eine praktische Auswirkung dieses Gesinnungswandels istz.B. das deutlichere Auftreten gegen die Existenz konfessionell gebunde-ner theologischer Fakultten und Konkordatslehrsthlen an deutschenUniversitten. Der Grund fr diese gewandelte Einstellung ist die Ein-schtzung der Gefhrlichkeit der Religion in der heutigen Welt, verbun-den finit der Einschtzung, dass die Unterscheidung zwischen radikalen"und nioderateri" Ausprgungen der Religion letztlich irrelevant sei: Esgehe immer um ein und dieselbe gefhrliche D^i kforrn, die auch in ihrenmoderateren Ausprgungen gefhrlich und daher zurckzudrngen sei.

    Iiii Groen und Ganzen drfte diese Fremd- und Selbsteinschtzung,dass der neue Atheismus im Wesentlichen mit altbekannten Argumen-ten arbeite, aber pragmatisch gesehen neue Wege einschlage, auch zu-treffen. Aber es sollten zwei Einschrnkungen bedacht werden: Erstenssollte man nicht allzu leichtfertig ausschlieen, dass es punktuell nichtdoch auch sachlich Neues und damit auch Analyse- und Kommentar-bedrftiges am neuen Atheismus geben knnte. Am ehesten drfte diesbeint Argument aus der evolutionren Entstehung der Religion der Fallsein, das heute zuweilen doch erheblich komplexer foritutiliert wird als bei

    19 S. Harns, Das Ende des Glaubens (siehe Anm. 8), 17f.

  • 30 iiizd und I'ragmat.ik gegeuwrt:iger atheistischer Posili -^ueu Wi nfried Lffler 31

    seinen Vorlufern im 19. und frhen 20.Jahrl,nndert. Zweitens knntenmanche Argumente zwar im Kern alt, aber in der konkreten Strke neuzu evaluieren sein. Vor allem gilt dies fr das Schdlichkeitsargument:Ob und inwieweit Religionen ntzen oder schaden, ist eine empirischeFrage, die im Licht neuer Fakten neu errtert werden knnte (nichtzufllig hat ja. die Konjunktur des neuen Atheismus durch die Ereig-nisse des 11.September 2001 und ihre weltpolitischen Folgen einen deut-lichen Schub erhalten). Mit dem evolutionren und (vor allem) mit demSchdlichkeitsargument sind aber auch die beiden Hauptargumente desneuen Atheismus berhrt. Bevor in den Abschnitten 5 bis 7 diese beidenArgumente kritisch errtert werden, sei aber eine allgemeine berlegungvorausgeschickt, welche Argumentationsstrukturen eigentlich hinter demneuen Atheismus stehen.

    4 Begrndender oder erluternder Atheismus? EinKlassifikationsansatz

    (4.1) Wie eingangs erwhnt, ist das Spektrum an gegenwrtigen atheis-tischen" Stellungnahmen breit und in seinen Unterschieden, Ahnlicltkei-ten und berlappungen auch unbersichtlich. Erster Schritt einer plti-losophischen Auseinandersetzung damit wre also eine aufschlussreicheI

  • 32 Argu mentationsstruktur und P ragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried Lffler 33

    Erlittternder Atheismus [E-Atheismus] ist die vorausgesetzte ber-zeugung, dass es keinen Gott im Sinne des Theismus (oder Deismus)gibt, verbunden mit der Vorlage von (einem)

    Argument(en), dass Theismus schdlich ist, oder

    Erluterung(en), warum er schdlich ist, oder

    Erl.uterung(en), wie die Entstehtutg des Theismus erklrbar ist.

    (4.3) Vermutlich sind die meisten der bisher genannten neuen Athe-ismen" de facto E-Atheismen. Mit Sicherheit gilt dies fr Hitchens undHarns und im Wesentlichen wohl auch fr Dennett. Die Charakteristikals E-Atheismus gilt brigens auch fr die meisten als klassisch gelten-den Religionskritiker des 19. imd 20.Jahrhunderts, etwa Marx, Nietzscheund Freud. Man wird bei diesen Autoren kaum ein Argument finden,dass der Theismus falsch ist, dafr aber eine Reibe von Argumentenund Erluterungen im Sinne des E-Atheismus. 22 Richard Dawkins' Wer-ke dagegen enthalten - neben etlichen und quantitativ berwiegendenKomponenten des E-Atheismus - auch Argumente im Sinne eines B1-Atheismus. Die Konklusion ist, dass Gott im Sinne des Theismus mitziemlicher Sicherheit nicht existiert.23

    (4.4) Zur richtigen Einordnung des neuen Atheismus ist weiters dar-auf hinzuweisen, dass viele der Argumente des B-Atheismus (etwa Daw-kins' viel zitiertes Boeing-747-Argument, siehe dazu sogleich) nur indi-rekt atheistisch sind. Indirekter begrndender Atheismus legt Argumen-te nicht direkt fr die Falschheit des Theismus (das wre direkter be-gruiclender Atheismus), sondern Argumente gegen die Gltigkeit oderStichhaltigkeit eines oder mehrerer der bisher vorliegenden Argumen-te fr den Theismus vor. Auch diesen indirekten Charakter teilt derneue Atheismus mit vielen lteren Autoren, soweit sie B-atheistischeberlegungen vorgelegt haben, etwa Bertrand Russell. Indirekt B-atheis-tisch sind im weiteren Sinne auch jene Positionen, die - wie etwa AntonyFlew in seinem klassisch gewordenen Aufsatz The Presumption of Athe-

    22 Auf einer Meta-Ebene argumentativ" kann der E-Atheismus dabei natrlichdurchaus sein, wenn er etwa ein Publikum von der Schdlichkeit des Theismusberzeugen mchte, das diese Einschtzung zunchst nicht teilt.

    23 Diese Konklusion war Anfang 2009 brigens auch Gegenstand von atheistischenWerbekampagnen in London und anderen Stdten, wo der Schriftzug There's pro-bably no God. So stop worrying and enjoy your life." auf Straenbahnzgen u.a.affichiert wurde.

    isii i (1976) - schon die kognitive Sinnhaftigkeit der theistisch-religisenIt('

  • 34 Argumentationsstruktw- und Pragmatik gegenw irtigen

    ;mt.heistischer Posit Ionen Winfried Lffler 35

    so dreht Dawkins - brigens in Anlehnung an berlegungen bei .lohnL. Mackie - die Storichtung dieser Vergleiche also genau um und rich-tet sie gegen den Theismus: Ebenso unwahrscheinlich wie das zuflligeZustandekommen eines Flugzeugs wre die Hypothese eines gttlichenWeltordners.

    Eine nahe liegende klassisch-theistische Reaktion auf dieses Argu-ment bestnde nun natrlich in dem Hinweis, dass der eigentliche plti-losophische Witz`' (tun einen Wittgensteinschen Ausdruck zu gebrau-chen) hinter der Annahine eines weltbegrndenden Gottes doch darinbestehe, dass ein solcher Gott die kontingenten, erklrungsbedrftigenEigenschaften der Welt gerade nicht mehr haben drfe, wenn er denn einebefriedigende Erklrung fr die Existenz der Welt sein soll. Traditionellhat malt dies etwa unter der Lehre von der Einfachheit Gottes gefasst,die mit der Komplexitt cler von ihm begrndeten Welt durchaus verein-bar sei. Wer - wie Dawkins - die erklrungsbedrftigen Komplexittender Welt in Gott hineintrage, der rede eben gerade noch nicht von Gott(in einem philosophisch befriedigenden Sinne), sondern von irgendeinermenschlichen Projektion oder einer innerweltlichen Zwischeninstanz.

    Dawkins wrde solchen berlegungen zweifellos nicht nher tretenwollen, sondern sie wohl als jene unwissenschaftliche Spekulationen zu-rckweisen, in die der Theismus hufig verfalle. Es ist aber darauf hinzu-weisen, dass auch Dawkins selbst an anderer Stelle in ganz hnlich gela-gerte Spekulationen verfllt, um den Atheismus zu verteidigen. Dawkinsgehrt nmlich zu jenen Autoren, die mit. spekulativen Multiversentheo-rien sympathisieren, 27 nun mit zwei irritierenden Eigenschaften des ge-genwrtig herrschenden kosmologischen Standardmodells eines expan-dierenden Universums fertig zu werden: dein anscheinenden fine-ttuting",d .h. der erstaunlichen Feinabstimmung wichtiger Naturkonstanten undParameter aufeinander (ohne die es keine Weiterexpansion, keine stabi-len Atomkerne, kein Leben auf Kohlenstoffbasis etc. gbe), und der so-genannten Anfangssingularitt des Universums, d.h. dem fr die Physikgrundstzlich unzugnglichen Anfangszustand, an dein alle naturgesetz-liche Erklrung endet. Das kosurologische Standardmodell wurde daherimmer wieder verdchtigt, von krypto-theistischen Annahmen gespeistzu sein. Multiversentheorien (in ihren verschiedensten Formen) wurdennun gerade ersonnen, uni diese beiden genannten Unzukmnrliclrkeitenin den Griff zu bekommen: Unser zugngliches Universum sei nur einesvon unabsehbar vielen anderen und ein Teil eines wesentlich umfassen-deren kosmischen Geschehens. Die Feinabstimmung ist dann nicht mehr

    27 Der Gotteswahn (siehe Anm. 3), 199-211, 219, 223, besonders 204-207.

    iltl t kw iirclig (denn das eine oder andere feinabgestimmte Universum un-ticr zahllosen anderen ist zu erwarten, und zufllig leben wir eben int-iiiem solchen), und der Urknall ist nur ein Diiichgangsstadituu, das au firgendwelche anderen kosmischen Verhltnisse folgt, die lins eben epis-tm iitisch nicht zugnglich sind.1 tic wissenschaftstheoretisch interessante - und so weit ich sehe offene

    Frage ist, nach welchen Gtekriterien man seine Abwgung zwischen(k rlei Groraumhypothesen treffen soll. In unserem Fall haben beideKandidaten Vor- und Nachteile. So kann das kosmologische Standard-It uxlell auf seine Vorzge der guten empirischen Sttzung (durch dieliltt.verschiebung, clie 3K-Hintergrundstrahlung u.a.) und seine ontolo-gische Sparsamkeit durch Beschrnkung auf ein Universum verweisen,^ ii iiss allerdings die unschne Anfangssingularitt einrumen. Multiver-sentheorien dagegen sind prinzipiell transempirisch (Paralleluniversensind per definitionem unzugnglich) und reich an extravaganten ontolo-gischen Annahmen, sie knnen dafr prinla. facie die Anfangssingularitt.vermeiden. (Bei nherer Betrachtung klafft allerdings auch hier eine phy-sikalische Erklrungslcke, denn mehr als ein Postulat, dass der Urknallnur eine Episode eines greren kosmischen Prozesses ist, knnen auchMultiversentheorien nicht bereitstellen: die Anfangssingularitt ist. undbleibt dein Zugriff physikalischer Methoden entzogen.)

    Wie man solche Vor- und Nachteile gegeneinander gewichten sollte,ist wie gesagt. offen. .Jedenfalls scheint die Kombination des kosmologi-sehen Standardmodells (sogar mit der ergnzenden Annahme eines einzi-gen Schpfergottes) ini Vergleich zu den Multiverseiltheorien nicht allzuextravagant - sofern man sich freilich der Tatsache bewusst bleibt, dasses sich hier jeweils nicht tttlt zwingende Konsequenzen der Physik han-delt, sondern uni weltanschauliche Ausdeutungen der Physika=s

    WennDawkins also weint, im Sinne eines wissenschftlichen Weltbildes undder Vermeidung von Affinitten zurr Theismus solche Multiversentheo-rien forcieren zu mssen, so verlsst er ebenso den wissenschaftlichenBoden der Physik, wie es jemand tut, der fr den Theismus als fr ihnplausibelste Einbettung der Physik optiert. Und sofern die Einscltit zuttg(auch der weiten Mehrheit der Physiker) stimmt, dass Multiverselltheori-en insgesamt urplausible Spekulationen sind und eher Glas Standardmo-dell mit seiner Anfangssingularitt akzeptiert werden sollte, dann bietetDawkins sogar ein Beispiel fr jene Denkform, die er selbst so vehement

    25 Ausfhrlicher ausgearbeitet habe ich diese berlegungen in: Was msste ein

    Argument fr die Existenz Gottes eigentlich leisten? In: A. Fidora / E. Bidese / P.Renner (Hgg.), Philosophische Gotteslehre heute: Der Dialog der Religionen, Darm-stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, 55-70.

  • 36 Argumcntat ionsstruktnr und Pragmatik gegenwrtig(r atheistischer Positionen Winfried Lffler 37

    kritisiert: dass nmlich eine weltanschauliche 1-uittergrundannahme zumMastab dessen wird, was man als wissenschaftlich" akzeptiert.

    5 Das dominierende Schdlichkeitsargumentund vier Gegeneinwnde

    Innerltall) der Religionskritik der Neuzeit sind vier grundlegende Strate-gietypen erkennbar, die sich bei manchen Autoren auch durchaus ber-lagern knnen: (1) Autoren wie Rudolf Carnap, Antony Flew u.a. ar-gumentierten, dass religise berzeugungen berhaupt kognitiv sinnlosseien; (2) Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Sigmund Freud, aber auchz.B. manche Vertreter der gegenwrtigen Neurotheologie" halten re-ligise berzeugungen fr falsch; (3) Bertrand Russell u.a. hielten reli-gise berzeugungen fr schlecht begrndet und/oder unwissenschaft-lich (dieser Gedanke hat eine wichtige Wurzel schon bei Kant); undschlielich hielten (4) viele Autoren religise berzeugungen fr indi-viduell und/oder sozial schdlich, etwa durch Freiheitseinschrnkung,Erzeugung von Jenseitsngsten und die Begnstigung repressiver politi-scher Systeme (zu nennen wren auch hier z.B. wieder Feuerbach, Marx,Russell und Freucl).29

    Bei den neuen Atheisten kehren - in unterschiedlicher Gewichtungbei den einzelnen Autoren - alle genannten Strategien wieder, sachlichbei weitem dominierend ist aber das Schdlichkeitsargument. Es wirddurch breite Zusammenstellungen drastischer Beispiele von inhumanenGrausamkeiten, Unsinnigkeiten, Ressourcenverschwendungen u.a. fun-diert, die im Namen religiser berzeugungen begangen wurden. Dassdie Religions- und Kirchengeschichte bis in die Gegenwart einen reichenFundus an solchem Material bietet, wurde bereits oben erwhnt und istseit. Jahrhunderten Basis religionskritischer berlegungen.

    Das Schdlichkeitsargument drfte nicht zufllig die argumentativeHauptlast des neuen Atheismus tragen, da es fr ein breiteres Puhli-ktutt clie grte berzeugungswirkung hat und -- anders als etwa dasArgument der kognitiven Sinnlosigkeit - ohne grere Vorleistungen anphilosophischer Reflexion in Gang kommen kann. Bei nherer Betrach-tung liegen freilich auch vier Einwnde gegen dieses Argument nahe.Einige davon werden von den neuen Atheisten zwar vorweggenommenund pointiert beantwortet, allerdings nicht in berzeugender Weise: ih-

    29 'Zu diesen Strategien siehe W. Lffler, Einfhrung in die Religionsphilosophie,

    Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, Kap. 4.

    tt Antworten basieren jeweils auf denn Postulat eines gemeinsamen undt Iidlichen Wesens aller Religionen.

    Erster Einwand: Ist es die Ideal-/Hoclilorm einer Religion oder ir-gendeine depravierte Zerrform, die die schdliche Wirkung entfaltet?(I)ics ist auch der Gedanke, der im Hintergrund steht, wetut sich Re-lip,ittttsgemeinschaften fr ihr frheres Fehlverhalten entschuldigen.)

    Zweiter Einwand: Ist es wirklich die Religion oder sind es nicht viel-iia lti

    irgendwelche andere, kulturell bedingte berzeugungen und Prak-1 ilcen, die schdlich sind, die sich aber mit religisen berzeugungenund Praktiken zu einem schwer entwirrbaren Konglomerat verbinden?-;iii erstes. drastisches Beispiel 30

    fr solche Vermengungen ist die Pra-xis der weiblichen Genitalverstnnnelung, die liiiufig als schdliche Folgedes Islam eingeordnet wird, was aber kaum plausibel ist. 31

    hnliche1h'i piele bilden die verschiedenen Erscheinungsformen der Blutrache,die tt.a. in manchen Balkanlndern, in einigen Regionen der Osttrkei,So malias und Tschetscheniens vereinzelt vorkommt. Auch hier ist derreligise Hintergrund durchaus uneinheitlich, und die historischen Spu-me i des Herkommens dieser schrecklichen Bruche verlieren sich in zumTeil fernster Vergangenheit. Ein drittes und viertes Beispiel bilden vierNordirlandkonflikt und die Konflikte im Libanon, die nicht primr alsreligise Konflikt zu interpretieren sind, sondern ohne die historischen,nationalistischen und konomischen Motive dahinter kaum zu verstehensind. Die religise Zuordenbarkeit mancher Konfliktgruppen mag hiervielleicht als zustzlicher Identitt stiftender Faktor wirken, aber reli-gise Ursachen sind in all diesen Konflikten sicher nicht zentral.32

    Die neuen Atheisten haben auf diese beiden - miteinander verwand-ten -- Einwnde eine klare Antwort. 33

    Derlei Differenzierungen seien ir-relevante Ausflchte, denn es sei immer die Religion an und fr sich, die

    io Meine vier Beispiele werden auch von Hitchens u.a. bentzt, dort aber eben alswe esc

    enl ]ich religis motiviert gedeutet.

    31 Dies kann schon deshalb kaum stimmen, weil sie z.B. in Eritrea, einem eindeu-tig gemischtreligisen Land, extrem hufig praktiziert wird und angeblich bis in die

    ,jlhigere Vergangenheit ber 90% der Frauen betraf. Hchstrangige islamische Theo-logen htten aber eigentlich klargestellt, dass diese Praxis genuin wtislamisch undJedenfalls zu unterlassen ist (fr die christlichen Kirchen gilt dasselbe) - eine Position,die sich allerdings nicht berall Gehr verschafft, sodass die Genitalverstmmelungweithin immer noch als religises Gebot missverstanden wird.

    :{l Punktuell wird allerdings doch auch eingerumt, dass Religion nur einverstrkender Faktor bei diesen Problemen ist, siehe etwa R. Dawkins, Der Got-tcswahn (siehe Anm. 8), 359ff.

    's'3 C. Hitchens, Der Herr ist kein Hirte (siehe Anm. 14), 247 und fters; R. Dawkins,

    Per Gotteswahn (siehe Anni. 3), 424, 426 und fters. Etwas weniger deutlich auchbei S. Harns, Das Ende des Glaubens (siehe Anm. 8), 79f.

  • 38 Argumentationsstruktur und Pragma tik gegenwrtiger atheistischer Positionen j Winfried Lf er 39

    schdlich ist: weil sie nmlich blinde Autoritts- und Traditionsglubigkeit frdert (damit z.B. auch unsinnige kulturelle Praktiken am Lebenhlt taut bestehende Konfliktpositionen als gerechtfertigt legitimiert).Weil die Religion an Wahrheiten von unbedingter Bedeutung fr alleglaubt, fhrt sie letztlich notwendig zu Gewalt gegenber jenen, die an-dere Einstellungen haben.

    Dritter Einwand: Wie, so knnte man weiter einwenden, sind darinaber Flle zu veranschlagen, wo die Religion augenscheinlich ntzt? Ne-ben den oft behaupteten individuellen Wohlbefindens- und Zufrieden-heitswirkungen wird hier regelmig auf soziale Wohlfahrtswirkungen,die Ausbildung des Menschenrechtsethos als Abkmmling der Schp-fungslehre, die Frderung von gesellschaftlicher Solidaritt und hnlichemmehr verwiesen. 34 Die Religions- und Kirchengeschichte ist bekanntlichauch voll von ambivalenten Entwicklungen, wo religise berzeugungenin die Erzeugung eines Schadens ebenso involviert waren wie in des-sen berwindung. Etwa mgen der friilineuzeitliche Hexenwahn und derGenozid an den Bewohnern des neu entdeckten Amerika durch religiseberzeugungen mitbedingt gewesen sein, die berwindung solcher irr-witziger und menschenverachtender Praktiken durch Figuren wie Fried-rich von Spee SJ und Bartolomc? de las Casas war aber eben auch we-sentlich religis motiviert.

    Auch auf diesen Einwand haben die neuen Atheisten eine klare Ant-wort: Die ntzlichen Konsequenzen knnte ebenso gut auch ein atheis-tischer Humanismus erzielen, die spezifischen Grausam- und Widersin-nigkeiten aber erzeugt nur die Religion durch ihre vermeintliche Legiti-mation durch eine weltjenseitige Autoritt. Plakativ ausgedrckt: GuteMenschen werden durch Religion nicht besser, allenfalls werden schlechteMenschen durch sie noch schlechter, und zuweilen bringt sie gute Men-schen dazu, Bses zu tun.

    Vierter Einwand: Ein generelles methodisches Problem, das von denneuen Atheisten aber, soweit ich sehe, nicht diskutiert wird, ist die Frage,wie man berhaupt so etwas wie die Gesamt-Nutzens/Schadensbilanz"einer einzelnen berzeugung bzw. eines kleinen Ausschnitts aus demberzeugungssystem eines Menschen oder einer Gruppe erheben kann.Dies wre zuni einen mit schwer traktablen Gewichttuigsproblemen zwi-schen kaum vergleichbaren Gren verbunden: Wie wre z.B. die Kultur-leistung einer Religion gegen gewisse Freiheitseinbuen etwa durch rituel-le Vorschriften, Speiseverbote u.. zu gewichten, oder wie das Hoffinmgs-

    3`

    t Zur Einfhrung iu die Problematik um solche Ntzlichkeitsargumente siehe WLffler, Einfhrung in die Religionsphilosophie (siehe Anm. 24), Kap. 3.10.

    und Sinnstiftungspotenzial einer Religion gegen die Jenseits- und Ver-diii unungsngste, die sie bei einzelnen Mitgliedern auslsen niag? Wiedie Wirtschaftsgesinnung, die man seit Max Weber vor allem dem pro-It est.antischen Christentum zuschreibt, mit der dadurch verstrkten Um-weltbelastung? Zum anderen bedingen solche berlegungen schwer kon-1 rullierbare kontrafaktische Spekulationen: Nicht allein, dass es schwerIst, sich einzelne berzeugungen aus seinem berzeugungssystem weg-zticlenken (also sich z.B. sein berzeugungssystem ohne alle religisenBezge zu denken), weil die kognitiven Zusammenhinge innerhalb einesNleinungs- und berzeugungssystems beraus komplex sind und weil dieLebensgeschichte eines Menschen auf unberschaubare Weise von seinenberzeugungen und Praktiken beeinflusst wird; auch z.B. die Kultur-,Wissenschafts- und Allgemeine Geschichte Europas und des Mittelmeer-raums htte ohne die Religionen des Judentums, des Christentums unddes Islams vermutlich vllig anders ausgesehen. Man kann auch nicht se-ris abschtzen, welche anderen berzeugungen vielleicht die Leerstelleder Religionen eingenommen htten, wie ntzlich/schdlich diese ihrer-seits wiederum gewesen wren, und hnliches mehr.35

    6 Eine Spannung im zugrunde gelegtenReligionsbegriff

    Iii (bisherigen Reaktionen auf den neuen Atheismus wurde des fteren -und zu Recht der undifferenzierte Religionsbegriff kritisiert, der hin-ter den Angriffen des neuen Atheismus steht. Diese Kritik ist in gro-ben Zgen auch berechtigt, bei nherer Betrachtung zeigt sich im Re-ligionsbegriff der neuen Atheisten aber auch eine Spannung. Auf dereinen Seite ist dieser Begriff in der Tat konturenlos weit: Selbst Hitler,Stalin, Mao und andere explizit religionsfeindliche Massenmrder wa-ren nach der Auffassung des neuen Atheismus insofern religis", als sieeinem blinden Glauben an irgendwelche abstrusen Theoriegebiiude ver-fallen waren, die sie ohne hinreichende Beweise akzeptierten." Erst recht

    'ts Ein frher Beleg fr dieses Problem findet sich brigens in Bernard Bolzanos

    Iiinfiihrung in die Religionswissenschaft (Sulzbach: Seidel 1834; Kritische Ausgabe(hg. von J. Louiil und E. Winter): Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog1994ff), wo er die einzelnen Glaubensartikel des Christentums nach vier Kriterienuntersucht: (1) Fundierung in der Tradition, (2) innere Widerspruchsfreiheit, (3) sitt-licher Nutzen und (4) faktischer historischer Nutzen (bzw. Schaden hei denjenigenVlkern, die diesen Glaubensartikel nicht kennen oder bestreiten). Es fiel auch schon13olzano selbst auf, dass seine Erluterungen zum vierten Punkt an Umfang undNiveau deutlich abfallen.

    ';t' S. flarris, Das Ende des Glaubens ( Anm. 8), 80.

  • 40 Argumentationsstruktur und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Wiufrie l Lther 41

    sollen natrlich religis motivierte Terroristen, absurde und schdlicheRituale, unterdrckende religise Gruppenstrukturen etc. unter dem ge-ineinsamen Begriff der Religion" suhsumierbar sein womit friedliche,unschdliche, gesellschaftlich konstruktive Formen von Religion" frei-lich in Sippenhaft genommen und diskreditiert werden. Der Religions-begriff des neuen Atheismus umspamit, plakativ zusammengefasst, also(las gesamte religise" Spektrum zwischen Bonhoeffer und Bin Laden,und jedes Mehr an religionsphnomenologischer Differenzierung wrdevermutlich das handliche, aber inhaltlich vllig diffuse Feidbild namensReligion" zmtichte machen.

    Dies ist die eine Seite. Auf der anderen Seite wird die Schdlichkeitder Religion durch die neuen Atheisten aber sehr stark mit einzelnen De-tails einzelner Religionen begrndet. Die hierbei zugrunde gelegte Au-enwahrnehmung z.B. des Christentums37 muss aber jedem auch nureinigermaen Sachkundigen als uerst erstaunlich erscheinen: Als zen-trale theoretische Inhalte am (katholischen) Christentum scheinen z.B.,wenn man dem neuen Atheismus glauben darf, etwa ein naiv-biologischesVerstndnis der Jungfrauengeburt, (hie Unfehlbarkeit des Papstes (dienach der Einschtzung des neuen Atheismus fr jede einzelne Aussagedes Papstes zu gelten scheint 38 ), ein magisch-kannibalisches Verstndnisdes Eucharistiegeschehens, behauptete Wunderheilungen, der Leib-Seele-Dualismus (den das kirchliche Lehramt de facto brigens durchwegs ver-urteilt hat!), absurde Jenseitsngste und hnliches mehr. Die Kernbot-schaft des Christentums (von der Erlsungsbedrftigkeit des Menschenund der von Gott zugesagten Erlsung, vom unverlierbaren Wert je-des Einzelnen und von der Solidaritt mit den Schwcheren und Ausge-grenzten) gert vllig auer Blick. Nun mag es sein, dass das religiseBewusstsein mancher frherer oder auch extrem ungebildeter heutigerChristen von solchen Nebenaspekten geprgt war bzw. vereinzelt nochist, eine signifikante Anhngerzahl haben solche Auffassungen aber nichtund die offiziellen Stellungnahmen der Grokirchen sind ihnen geradezuentgegengesetzt.

    Dass die neuen Atheisten die Schdlichkeit (los Christentums iiicelitauf dessen abstrakten Charakter als Religion, sondern auf konkrete, ci ii

    -zelne Traditionsinhalte sttzen, wird besonders am Gottesbild und ant

    37 Ich nehme an, dass dasselbe fr das Islam-Bild des Neuen Atheistnc ns (etwain Kap. 4 von Sain Ilarris' Das Ende des Glaubens) gelten drfte, ma,' mir abermangels deutlicherer Binnenkenntnis kein festeres Urteil an.

    38 Bislang hat erst zweimal in der Kirchengeschichte ein Papst zum qualifizier-

    ten Sprechakt der unfehlbaren ex-cathedra-Aussage. gegriffen: 1854 und 1950. DiesesInstrument ist fr die kirchliche Praxis vllig bedeutungslos.

    1 u nigang mit der Bibel deutlich. Die Gefahr des Christentums sttzt sichtw't sentlich auf dessen Gottesbild: Nicht nur der Gott des Alten aa , son-dern auch jener des Neuen Testaments ist eine durchaus gewaltttige undzynische Person. Dieses Gottesbild habe aber eben ganz konkrete Kon-sequenzen: So etwa sei die Inquisition mit ihren Grausamkeiten nicht et-wa wir ein bedauerlicher historischer Betriebsunfall" des Christentums,tler aus kontingenten kirchen- und allgemeinpolitischen Umstunden her-nus erklrbar ist, sondern folge mit innerer Logik aus den biblischenSchriften, wenn man einzelne Fragmente naiv-wrtlich auslegt, aus ih-riii Kontext reit und neu kontextualisiert: Sain Harns etwa erinnertI, ran, dass der alttestamentliche Text aus dein Buch DcuterononiitnnI.i, 12-16 die unnachsichtige Ttung von Gtzenverehrern befiehlt, unddass .Jesus ja laut Matthus 5, 18 gefordert habe, man solle jedes Jota"iiid Tpfelchen" des alttestamentlichen Gesetzes erfllen; 40

    so gesehen.liee sich eine schnelle Legitimation der Inquisition zimmern. Eine der-rl. wrtliche Auslegung mag einzelnen fundamentalistischen, theologisch

    I i lclungsfernen Randgruppierungen mglicherweise nahe liegen, sie bewe-gen sich insgesamt aber und zwar quer ber alle christlichen Grokon-1 ssionen hinweg! fern jeden hermeneutischen Konsenses. Derlei verzer-reucle Argumentationen sind mithin unschwer als Polemiken, die sich anein wenig informiertes Publikum richten, durchschaubar. Das Mhsameihiran ist, dass ein Gesprchspartner wie oben unter 2.1 erwhnt vielAufwand darin legen msste, zunchst einmal solche krausen Verzer-rungen zu korrigieren und die Debatte auf einen einigermaen aktuellenStand cles exegetischen Wissens zu bringen.

    7 Das prekre evolutionre Argument

    (7.1) Von den Argumenten des neuen Atheismus drfte jenes aus derEvolutionstheorie den grten Neuigkeitswert besitzen. F'eilich ist derGedanke, Religion hnlich wie Moral aus einer evolutionren Vorge-

    3a Dieser ist fr Dawkins berhaupt die unangenehmste der gesamten Literatur"(R. Dawkins, Der Gotteswahn (siehe Anm. 3), 45). hnliche Thesen finden sich im7. ^cucl B. Kapitel von Hitchens' Der Herr ist keine Hirte (siehe Anm. 14), sowie im3. Kapitel von Harns' Das Ende des Glaubens (siehe Anne. 8). Das Gottesbild wirddurch eine Aneinanderreihung grausamer Episoden vor allem aus den alttesta.ment-lichen Landnah metexten und kultischen Reinheitsgeboten erzeugt; Texte, in denendie liebende, zugngliche und beinahe zrtliche Seite Jahwes zum Ausdruck kommt,werden nicht bercksichtigt.

    40 S. Harns, Das Ende des Glaubens (siehe Anne. 8), 83f.

  • 42 Argumentationssl ruld iu und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried 1,m, r 43

    schichte zu erklren, alt und bereits hei Darwin angelegt,` 11 Durch dieEntwicklung der Soziohiologie im 20.Jh. sowie des Gedankens der Ko-Evolution biologischer und sozial-verhaltensmiger Merkmale42 hat erjedoch erhebliche Ausdifferenzierungen erfahren. Als ein weiterer wich-tiger Ideenstrang auf dem Weg zu den gegenwrtigen biologischen Deu-tungen der Religion sind die funktionalistischen Religionsauffassungenzu nennen, die seit dem spten 19.,111. vor allem von Religionssoziologenentwickelt wurden.

    Ein umfassender Konsens in der neueren evolutionsbiologischen Deu-tung von Religion hat sich bislang nicht herausgebildet. Ich lege mei-ner Darstellung zwei Vortrge des Gieener Philosophen und BiologenEckart Voland in Mainz und Nrnberg im April und Juni 2008 zugrun-de, der die verututlich differenziertesten berlegungen zu diesem The-menkreis angestellt hat und dessen Thesen wohl weithin auf Akzeptanzunter den evolutionsbiologisch motivierten Religionskritikern der Gegen-wart stoen wrden, auch wenn Voland selbst sich mit religionskritischenuerungen zw ckhlt. 43 Seine berlegungen knpfen zwar teilweise anDawkins, Dennett u.a. an, sind aber erheblich ausgewogener und vor al-1em kenntnisreicher und sensibler in Bezug auf die Phnomenologie desReligisen.

    (7.2) Nach Voland sind religise berzeugungen ein Nebenproduktbiologisch an sich ntzlicher Funktionen; die religise Denkweise ist einRelikt kindlicher dualistisch-animistischer Denkweisen, die unter bestimm-ten Kontextbedingungen und im kindlichen Lebensalter durchaus ntzlichgewesen sind. Ein agency detccting device", d.h. die Neigung, unsere

    41 Charles Dar in, The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex, London:John Murry 1871, besonders Kap. 2, 4 und 5.

    42 Paradigmatisch etwa in der - seltsamerweise immer noch nicht ins Deutschebersetzten - Monographie The Extended Phenotype von Richard Dawkins, Oxford- New York: Oxford University Press 1982, 21999.

    n3 Voland ist Beiratsmitglied der Giordan o-Bruno-Stiftung, bleibt in seinen Arbei-ten aber von Polemik im Stile Dawkins' u.a. fern. - Eine erste Zusammenfassungseiner berlegungen zum Thema findet sich in E. Voland, Das Wissen vom Glauben-- ein naturwissenschaftlicher Blick auf Religion, in: E. Grub-Schmidt / W. Acht-ner (Hgg.), Was ist Religion? ber das Verstndnis von Menschenbild und Religi-on, Gieen: Evangelische Hochschulgemeinde 2008; abgedruckt auch in: B. Schwarz-Boenneke (Hg.), Wei der Glaube? - Glaubt das Wissen? Diskussion ber eine um-strittene Beziehung ( Materialien Heft 4/2008), Mainz: Erbacher Hof - Akademie desBistums Mainz 2008. In Krze erscheinen wird E. Voland, The adaptationist perspec-tive an religiosity, religiousness and religion, in: E. Voland / W. Schiefenhvel (Hgg.),The. Biological Evolution of Religious Mind and Behavior, Berlin: Springer 2008. -Zu einem biologischen Deutungsversuch der Religion siehe auch R. Vaas / M. Blu-me, Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube ntzt - Die Evolution der Religiositt,Stuttgart: l Iirzel 2008.

    iii wr lt als mit quasi beseelten lind handelnden Akteuren (statt mitIiIi,li iiatrlichen Objekten) bestckt. zu denken, sowie der blinde Glaube

    ' ,inber lteren Populationsmitgliedern sowie Traditionen erleichtern^ i uuitirli die

    Orientierung sowie die schnelle Reaktion und sichern so einen1Il t'rlebensvorteil. (Reste dieses agency detecting device" schlagen bei

    i uv,u lisenctt etwa durch, wenn man hartnackig funktionsverweigernden l,uiter, Autos oder andere Gerte anbrllt oder schlgt. Dass klei-

    (^. ii Kindern diese personifizierende Denkweise nahe zu liegen scheint, istatwit bei Zeichentrickfilmen und Mrchen offensichtlich.) Problematischwird es, wenn diese Denkweisen auch im reiferen Alter nie hinterfragttw rden und vor allem dann, wenn sie in einen jenseitigen Bereich pro-llt'rt werden. So entsteht als ein rtselhaftes evolutionres Nebenpro-llijlcl, die religise Vorstellungswelt, die itt manchen ihrer Ausprgungeniliir(haus zerstrerisches Potenzial hat.

    Versucht man dieses Argument. zu klassifizieren und in das Spektrum^ l er bekannten religionskritischen Strategien44

    einzuordnen, so gehrt esIii erster Linie zur Sorte jener Argumente, clie religise berzeugungenutls irrational, da falsch einordnen. Falsch wiederuni sind sie deshalb, weilr es fr ihre Entstehung eine natrliche Erklrung gibt.

    Iic^ligionen sind bekanntlich beraus komplexe Phnomene mit sozia-II t I , kognitiven, psychischen, historischen und anderen Dimensionen.

    Vola i nl zieht als phnomenologische Basis fr seine Analyse folgendeMr rl:itta.lc der religisen Praxis heran: Ihre metaphysischen berzeugun-F;r n, ilire Mystik. ihre Gemeinschaftsrituale, ihre Mythen, ihre Zereino-i^ii , i^ und Tabus und die religisen Menschen eigene GewissenhaftigkeitIII bestimmten Volleiigen. Diese sechs Merkmale werden sechs allgemei-^^^ n r^ I)iinensionen der Religion zugeordnet (das ist die Spalte links),sowie auf ihre absehbare biologische Funktion hin befragt (dritte Spal-tt'). Die letzte Spalte ist dein evolutionsbiologischen Status dieser Merk-iwile gewidmet, ob es sich um ein adaptives, d.h. unter Selektionsdruckla gnstigtes Merkmal handelt, oder nur urn ein Nebenprodukt (vierteSpalte). Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Religionen natrlich nichtsbiologisch fix Verdrahtetes" sind (das wre mit ihrer faktischen Vielfalt^-henso wenig vereinbar wie mit. der Existenz areligiser Menschen!), son-d r 11 berwiegend wohl der kulturellen Evolution zuzurechnen wren, inder Meine" (das sind in erster Nherung Ideen, Praktiken, Vorstellttu-gen, Techniken etc.) in hnlicher Weise entstehen und nach AusbreitungsI re gen wie Gene in der biologischen Evolution.`' Voland schlgt fol-

    r 'Zu diesen Strategien siehe oben Anm. 29.

    nn' Das Konzept des Mems geht auf Richard Dawkins zu r ck: Das egoistische Gen,

    It rinn u.a,: Springer 1978, diverse Nachauflagen (engl. Original: The Selfish Gene

  • 44 A rgu mentation sstruktur und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried Lllltr 45

    gende Einordnungen und Bewertungen der einzelnen Facetten religiserPraxis vor:

    Roligl,.o Prnxln DloloKlecho Fnnkt Ion LvolutlontlrorStatut.

    Kognition Metnphvn Lmh. K. i, , . Nil . prudukcbor .uxungcn

    S p Iritonlltllt MIvntlk Ii , ^nfI g,'uih.w111t IKuuK Adnptly??

    Soziale Bindun g Cc i n.Innchnft,., tnnlo Alllunr.hllilunY.' Adaptiv

    r'oreonulu Iduntitt Afych.n Untern i,.fd ' niK AdnPtlyin-grat.. S: out-Kroup

    Komm,, n ikntlon Ehrlich. teuro Signal Lnwig dos Schwurz L.h r.r- Adnpi ir

    ( %on,monlon. Tnbue) w,blomn 1. Ordmuu:

    Moral Cewleecnhnftlgkolt. LOmng den Schwer(nlu.a- Ad+.ptivC ottaefurchc 'ruhl.rnn 2. Orclnung^

    Erluterungen:* Allianzbilching meint den schon von Darwin postulierten Sach-

    verhalt, dass eine koordiniert und solidarisch auftretende grere Grup-pe erheblich erfolgreicher im Kampf um Umweltressourcen und gegenmgliche rivalisierende Gruppen ist.

    ** Das so gcn ^ante Schwarzfahrerproblem 1. Ordnung" ist die Fra-ge, wie die Gruppenteilnaliine von Individuen verhinderbar ist, die zwardie Schutzwirkung der Gruppe in Anspruch nehmen, aber selbst nichtszu den Gruppcna.ktivitten beitragen und somit die Gruppe insgesamtschwchen. Voland schlgt vor, dass sogenannte ehrliche und teure Si-gnale", wie sie aus der Verhaltensforschung bekannt sind, dieses Problemlsen knnen: hnlich wie etwa auffllige und aufwndige Krper- undVerhaltensmerkmale im Tierreich die Reproduktionschancen erhhen (z.B. denke man an Prachtgefieder, Hahnenkumme, vor der Paarung er-folgende auffllige Nestbauten und andere ba.lz-erhellliche Merkmale),iu diesem Sinne ehrlich" sind, weil sie den Trger als voraussichtlichreproduktiv erfolgreich ausweisen und damit auch tatschlich strkerweitergegeben werden, so knnte dies auch inn der Mem-Sphre mensch-lichen Verhaltens gelten. Umgelegt auf die Religion wrde das bedeuten:Religise (aruppenpraktiken, die den Mitgliedern aufwndige, verzichts-reiche Rituale, Tabus etc. nahe legen, ziehen nur jene Individuen an, dieauch wirklich religis leistungsfhig" und ernsthaft daran teilzunehmen

    (1976)). Verfechter der Mem-Konzeption sind auch etwa Daniel Dennett, Darwinsgefhrliches Erbe. Evolution und der Sinn des Lebens, Hamburg: Hoffmann und Cam-pe 1997 (amerik. Original: Darwin's Dangerous 1dea. Evolution and the Meanings ofLife (1995); ders., Den Bann brechen. Religion als natrliches Phnomen, Frankfurt:Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag 2008 (amerik. Original: Breaking the Spell.Religion as a Natural Phenomenon (2006), Appendix A.

    imstande sind. So wird die Gruppenstruktur profiliert und die religisePraxis rein erhalten. Ehrliche und teure Signale, so ausgefallen sie auf li i i ersten Blick auch erscheinen mgen, sind daher adaptive Merkmaleuni beruhen auf einer evolutionren Erfolgsgeschichte.

    *** Das ..Schwarzfahrerproblem 2. Ordnung" besteht darin, wie dasI;inclringen von Schwarzfahrern und das Platzgreifen von AbweichungenIn

    liehst effizient kontrolliert werden kann (jede Kontrolle ist ja InitI,il tlogischein Aufwand verbunden, insofern Zeit und Energie auch anders,Illoziert werden knnten). Moralvorstellungen, wie sie typischerweise inl'ligionen anzutreffen sind, sind dazu ein besonders probates Mittel, dasie quasi von selbst, durch ihr bloes Vorhandensein wirken und keinaufwndiges Verhalten der Individuen erfordern.

    Religion, so kann zusammengefasst werden, stabilisiert also Gruppen-strukturen, lst Schwa.rzflahrerprobleme mit wenig Aufwand und frdertdie Langzeitkooperation in Ca-uppen. Je teurer" die Signale dabei sind.desto effizienter scheint dies fr die Gruppensolidaritt zu sein. Fr (lie-se Deutung scheinen auch etliche enll)irische Belege zu sprechen, unteranderem jener, dass religise Gesellschaftssegmente sich zumindest inden westlichen Kult Uren durch eine etwas hhere Kinderzahl und da-Iiiil

    ihren Fortpflanzungserfolg auszeichnen. Als rtselhaftes, da ohneeIkc,u baren Selektionswert existierendes Nebenprodukt der kulturellenEvolution bleibt aus dieser Sicht die religise Vorstellungswelt brig, alsojener merkwrdige kognitive Aspekt der Religionen, der sich in metaphy-sischen berzeugungen (ber die Existenz welt-transzendenter Personen,Gesetzlichkeiten etc.) niederschlgt. Aber jener Aspekt ist es auch, derfr die schdlichen Seiten der Religion in erster Linie verantwortlich ist.

    (7.3) Wenngleich Volands Deutung der Religion erheblich differen-zierter ist als andere einschlgige Versuche, so begegnet doch auch sie ge-wichtigen wissenschaftstheoretischen und argumentationslogischen Ein-wnden aus mehreren Richtungen.

    (7.3.1) Zunchst wird man Volands Ansatz wohl ihnlich wie Dawkill,. Extended Phenotype" (siehe Annl. 42) lesen drfen: weniger als eineempirisch berprfbare wissenschaftliche Hypothese, sondern eher alsdie Einladung Volands, die Dinge einmal miter dieser Gesamtperspektivezu sehen, also eine Art spelmlative Biologie des Entstehens der Religion.11eilich werden zur Plausibilisierung vier Teilanalysen zu den Merkmalender Religiositt (siehe die Tabelle) empirische Untermauerungen beige-bracht, die, einzeln betrachtet, zunchst auch durchaus berzeugend er-scheinen mgen. Voland verweist hier etwa auf die Literatur zur psycho-logischen Ntzlichkeit religiser Kontingenzbewltigungsmuster oder auf

  • 46 Argumentationsstrukt in und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried Lffler 47

    die Tatsache, dass die stark religisen Einwandererkommunitten in denUSA (die ihren Mitgliedern teure Signale" abverlangten) durchschnitt-lich lngerlebig waren als nichtreligise. `ts Im Sinne des Prinzips dermglichst vollstndigen Belegmenge msste aber z.B. auch bercksichtigtwerden, dass zahllose religise Kulte und Gruppen mit beraus teurenSignalen" und homogenen Gruppenstrukturen ebenso wieder verschwiin-den sind, wie sie auftauchten. Ebenso und darauf hinzuweisen, werdenja gerade die neuen Atheisten nicht mde niuss man ins Kalkl ziehen,dass es auch Formen von Religiositt gibt, die man eher als destruktivoder zumindest belastend einordnen wrde, denn als ntzlich.

    (7.3.2) berhaupt mag es nach denn bisher Gesagten als seltsam er-scheinen, warum die evolutionsbiologische Betrachtung eigentlich auf einreligionskritisches Argument zulaufen sollte: Wenn Religiositt anschei-nend deshalb eine evolutionre Erfolgsgeschichte hat, weil sie fr Popu-lationen irgendwie ntzlich ist, dann kann sie doch nichts per se Abzu-lehnendes sein. 47 Die religionskritische Spitze der evolutionren Deutungder Religion kommt erst dadurch zustande, dass ihre kognitiven Seiten(d.h. die metaphysischen berzeugungen) von allen anderen Aspektender Religion abgetrennt werden. Whrend alle anderen Aspekte 48 eineplausible evolutionre Vorgeschichte haben und adaptiv sind, gelte diesfr die metaphysischen berzeugungen nicht. Sie bleiben ein rtselhaftesNebenprodukt. Gerade sie seien es aber, die so irrational an der Religionund fr ihre negativen Auswirkungen verantwortlich sind.

    Ein Blick auf die sechs Dimensionen der Religiositt, wie sie bei Vo-land unterschieden werden, lehrt, dass diese scharfe Abtrennung aus zweiGrnden nicht funktionieren kann. Erstens sind auch etliche andere Di-mensionen der Religion deutlich kognitiv aufgeladen bzw. sie erhaltenerst dadurch ihre Funktion, dass sie mit bestimmten metaphysischenberzeugungen gekoppelt sind: Kontingenzbewltigende Mystik etwaist kaum denkbar ohne irgendwelche berzeugungen darber, warumbelastende Kontingenzen nicht das letzte Wort sein sollen; die mythen-gesttzte in-group/out-group-Unterscheidung funktioniert typischerwei-

    ' hnliche empirische Daten werden bei Vaas / Blume, Gott, Gene und Gehirn(siehe Amts. 13) zusammengestellt.

    "t7

    Voland tendiert auch zu der - sachlich durchaus konsequenten - Einschtzung,dass Religiositt ein anthropologisches Universale sein drfte. Die augenscheinlicheExistenz vllig a-religiser Menschen wird dann natrlich erklrungsbedrftig. Vo-land neigt diesbezglich zu der Meinung, dass sich Religiositt auch anders manifes-tieren kann, etwa in der Anhnglichkeit an Sportvereine, life-styles, Ideologien oderPseudowissenschaften.

    48 Nur fr die Spiritualitt scheint es Voland in der Tabelle fraglich (siehe oben),in seinem Beschreibungstext erscheint dagegen auch die Spiritualitt als ntzlich.

    se deshalb, weil sich die Gruppe durch irgendwelche berzeugungenIWer Gottheiten etc. definiert; Rituale. Zeremonien und Tabus erhaltentlt shalb ihren Verpfiichtungscha.rakter, weil man an irgendwelche trans-/viidente Instanzen glaubt, die Regelverste ahnden; religise Mora-Icu funktionieren deshalb, weil man an normsetzende Instanzen glaubt(Vttlamid erwhnt die Gottesfurcht"!), und hnliches mehr. Sich einenMenschen oder eine Population zu denken, die zwar smtliche fnf ande-ttvt Merkmale der Religiositt zeigt, aber dabei keinerlei metaphysischeI1 erzeugungen hegt, kme also einem kaum durchfhrbaren Gedanken-

    experiment gleich. Sofern die fnf anderen Dimensionen der Religiositteinen biologischen Nutzen haben, msste das also auch fr die metaphy-sischen berzeugungen gelten, weil man diese Dimensionen zwar begriff-lit li Butterscheiden, aber sachlich und entstehungsma.ig kaum trennenlouin. Zweitens ist nicht plausibel, warum es einzig und allein die ko-^

    ,

    .nit iven Dimensionen der Religion sein sollen, die Religion so gefhrlichtn^tl irrational machen. Sind dies nicht eher manche ihrer sozialen Di-intnsionen, die laut den vorstehenden berlegungen eigentlich biolo-gisth ntzlich sind? Die Gewaltbereitschaft. gegenber religis Anders-dvukeiiden ist etwa eine extreme Ausformung der in-group/out-group-

    Interscheidung, Ressourcenverschwendung fr sinnlose religise Rituale

    Ist eine vielleicht etwas bertriebene Erscheinungsform teurer Signale,ii ud die unterdrckende religise Moral knnte eben als der Preis fr dieLsung des Schwarzfahrerproblems zweiter Ordnung gesehen werden.

    (7.3.3) Aber nehmen wir einmal an, diese Abtrennung zwischen denkognitiven und den anderen Aspekten der Religiositt und die Zuord-iniug von Schdlichkeitswirkungen sei tatschlich mglich. Dann bestehtttltt,r immer noch ein weiterer Einwand, der mit der Unterscheidung zwi-nrhen evolutionren Merkmalen und evolutionren Nebenprodukten zu-r+ui uimenhngt: Gibt es nmlich so etwas wie schrt.dlit he Nebenprodukte"der Evolution, zumindest stabile solche Nebenprodukte? Was schdlich"Ist, (las macht evolutionsbiologisch betrachtet irgendeinen Unterschied,initerliegt daher per definitionem dem Selektionsclruck und wre daherkein bloes Nebenprodukt der Evolution, sondern ein negativ selegier-

    F^` h s Merkmal. Wenn es nun die kognitiven Seiten der Religion sind, die

    l'tlr ihre Schdlichkeit verantwortlich sind, dann mssten sie eigentlichda Religiositt eine anthropologische Konstante zu sein scheint seit

    langen diesem Selektionsdrnck unterliegen. Sie wren daher kaum stabilund vermutlich schon verdrngt worden.49

    Genau betrachtet, tut sich noch ein weiteres Problem mit dieser Schdlichkeits-ilics auf. Es betrifft die Ebene, auf der die schdlichen Bestandteile de Religion

  • 48 Argumentnti onsstruktur und Pragmatik gegenwrtiger atheistischer Positionen Winfried LBHIer 49

    (7.4.4) Auf einer tieferen wissenschaftstheoretischen Ebene liegt, einProblem, das die vorausgesetzte Idee einer kulturellen Evolution belas-tet. Egal ob man den vorn Dawkins und Dennett, aber auch z.B. vonden Biologen John Maynard Smith und Ers Szathmry 5 dafr favo-risierten Begriff des Mems und der Memetics" nun akzeptieren magoder nicht, immer erscheint kulturelle Evolution als eine Fortsetzungund/oder ein Begleitprozess zw biologischen Evolution. Nhere Betraclt-tung frdert allerdings auch massive Umhnlichkeiten der kulturellen mitder biologischen Evolution zutage: Die kulturelle Evolution verluft. imWesentlichen nicht nach darwinistischen, sondern nach lamarckistischenGrundstzen, d.h. erworbene Ideen, Praktiken etc. knnen weitergege-ben werden. Meme sind grundstzlich auch bewusst nderbar (man den-ke an religise Reformbewegungen und Abspaltungen), whrend Genesich zufllig verndern. Meme sind auch ganz im Gegensatz zu Ge-nen - ziemlich beliebig miteinander kombinierbar (man denke an diesogenannte Auswahlreligiositt"). Fr Gene aus verschiedenen Zeitenund Zweigen der evolutionren Entwicklung gilt, dass sie nicht mehrmiteinander mischbar sind (bzw. gilt dies nur in Ausnahmefllen), frMeine gilt dies nicht: Man denke an religise Synkretismen oder bewuss-te Wiederbelebung frherer religiser Ideen etwa in Erneuerungsbewe-gungen). Solche und hnliche Unhnlichkeiten51 nhren den Verdacht,dass es sich hei der kulturellen Evolution" und insbesondere ihrer Aus-gestaltung als Memetik" um nicht viel mehr handeln knnte als einepara-wissenschaftliche Metapher.

    (7.3.5) Ein letzter und fr Kern altbekannter Einwand ergibtsich aus der Unterscheidung von Genese und Geltung. Klammern wirdie vorstehenden Einwnde einmal aus und nehmen wir an, die evolu-tionre Erklrung fr die Entstehung metaphysischer berzeugungen,angesiedelt sind. Was nmlich an den kognitiven Seiten der Religion ist genau dasschdliche Merkanal (oder eben: Nebenprodukt) daran: (a) einzelne schdliche Meme(etwa die Idee religis legitimierter Gewalt, wie sie in manchen Religionen vorkommt,oder die Idee eines Rchergottes) oder (b) die Fhigkeit zur Bildung irgendwelchermetaphysischer berzeugungen? Da Religiositt eine anthropologische Konstante istund da sich Religionen inhaltlich extrem unterscheiden, kann eigentlich nur (b) dasschdliche Merkmal sein. Die Kritik des neuen Atheismus richtet sich aber gegen dieFolgen einzelner schdlicher Meine in konkreten Religionen.

    'i John Maynard Smith / Ers Szathmry, The Origins of Life. Profi the. Birth of

    Life to the Origins of Language, Oxford: Oxford University Press 1999, Kap. 12.51 Zu einer hnlichen Diagnose kommt jngst O. Rauprich, Charles Darwin tun!

    die evolutionre Ethik, in: E.-M. Engels (Hg.), Charles Darwin und seine Wirkung.Frankfurt: Suhrkamp 2009, 369-396. Rauprich mchte allerdings daran festhalten,die kulturelle und die natrliche Selektion als analoge Formen von Selektion" zubezeichnen: 386.

    att wie sie Voland u.a. vorschlagen, sei richtig. Damit wre allerdingsIll,t'r die Geltung des in diesen berzeugungen Ausgesagten noch keinUrteil gesprochen, es sei denn, nraar wrde sich auf folgendes tiplausi-IIt Prinzip berufen: Wenn das Entstehen einer berzeugung eineiial iirliche Erklrung hat, dann ist falsch (bzw. irrational bzw. hat U;t li tt Wirklichkeitsbezug)." Dass dieses Prinzip aber nicht korrekt seink,ntn. lehrt bereits der Vergleich mit berzeugungen ber mathemati-sc'he Zusammenhnge oder mit Wahrnehmungsberzeugungen. Fr dieset ^rnppen von berzeugungen lassen sich ebenfalls evolutionre Vorge-sc hichten angehen (vermutlich sogar einfachere, lckenlosere und insge-sinnt. plausiblere als fr die Entstehung religiser berzeugungen). Dar-ttus wrde aber niemand den Schluss ziehen wollen, dass z.B. unsereWaltruehmungsberzeugungen oder unsere berzeugung von der Rich-tigkeit einer Gleichung falsch, irrational oder ohne Wirklichkeitsbezugwaren. Nun wre es natrlich kin zschliissig, diese Einsicht ohne jedeI?iuschrnktuig auf religise metaphysische berzeugungen umzulegen,I'un dazu widersprechen sich die Religionen inhaltlich zu stark. whrenditt Bezug auf mathematische und Wahrnehmungsberzeugungen relativI1((1uer Konsens herrscht. Religise berzeugungen drfen also nicht derkritischen Prfung entzogen werden (dazu haben einige Religionen so et-was wie eine wissenschaftliche Theologie entwickelt); es wre umgekehrtaber auch ein vordergrndiger genetischer Trugschluss, aus dem Vor-Htidensein einer natrlichen Erklrung fr sie auf ihre grundstzlicheuic ht-Geltung zu schlieen.