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Page 1: Leseprobe Faller. Kleine Welt ganz groß - Delius Klasing · Meine Erinnerungen an den ersten Aufbau harter WettbeWerb mit reNNbahNproduzeNteN ... Das kreative Mosaik ... Alte Hausfassaden
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Ulrich Biene

DeliUs Kl asing Verl ag

Kleine Weltganz gross

Page 3: Leseprobe Faller. Kleine Welt ganz groß - Delius Klasing · Meine Erinnerungen an den ersten Aufbau harter WettbeWerb mit reNNbahNproduzeNteN ... Das kreative Mosaik ... Alte Hausfassaden

InhaltVerträumte Gebirgslandschaften und Einfamilienhaus-Idylle

W i e d i e G e b r ü d e r Fa l l e r d i e N a c h k r i e G s W i r r e N m e i s t e r N

Schwarzwälder Erfindergeist

s o h a N d W e r k l i c h k a N N d e r h 0 - m a s s s ta b s e i N

Die Faller-Welt der 1950er-Jahre

m o d e l l b a u m i t a l l e m , Wa s d e r s c h Wa r z Wa l d z u b i e t e N h at

Solide Schreinerarbeit mit unverwechselbarer Aura

m o d e l l b a h N W e G v o m t e p p i c h i N d i e l a N d s c h a F t

Vom Streugut bis zum Kleber: Vollsortimentler erobert Handel

1 9 5 2 ü b e r r a s c h t s c h Wa r z - W e i s s i l l u s t r i e rt e r k ata l o G

Über 50 Häuser verführen zu Fantasielandschaften

b l e c h F u s s , h o l z s ta m m u N d e i N e k l e b r i G e m a s s e a u s s p ä N e N

Der Traum vom Baum

d i e e v o l u t i o N e i N e s u N v e rW e c h s e l b a r e N m a r k e N z e i c h e N s

Ganz am Anfang steht die Tanne

W i e m o d e l l b a h N e r d i e h e r a u s F o r d e r u N G a N N e h m e N

Der Ruf der Großstadt

e i G e N e r F o r m e N b a u s c h a F F t N e u e F i l i G r a N i t ä t

Mehr Details, mehr Lebensnähe

d i e G e l b e Wa N d i m s p i e lWa r e N r e G a l

Evolution der Unverwechselbarkeit

a u F d e m W e G z u r b e s t e N p r o d u k t W e r b u N G

Modernes Schwarz kontrastiert den ersten farbigen Markenauftritt

d e m m o d e l l b a u - h a N d W e r k e r F e h lt e s a N N i c h t s

Damit der Faller’sche Bauboom nicht erlahmt

s c h o N 1 9 5 8 m i t 3 0 0 a rt i k e l N i m h a N d e l

Plastik sei Dank – mehr Details, mehr Farbe

s h e l l - s tat i o N W i r d z u m b e s t s e l l e r

Bitte Volltanken fürs Wirtschaftswunder

F l u G z e u G m o d e l l e i N G e l b - b l a u e r v e r pa c k u N G

Auch ein Luftfahrtpionier

a c t i o N t h r i l l e r & p u b l i k u m s m a G N e t

»Die Brücke am Kwai«

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v o m m i l c h - k i o s k b i s z u r h o l l ä N d i s c h e N m ü h l e

Auf der Suche nach den Vorbildern ist Wirklichkeit zum Greifen nahe

F e rt i G a N l a G e N m a c h e N t r ä u m e Wa h r

Verzauberte Modellbahnwelt auf Schiene und Straße

1 9 6 3 s ta rt e t d i e ä r a d e r m o t o r i s i e rt e N a u t o s t r a s s e

Die große AMS-Revolution

a m s - b a h N G e h t a u c h i N W i r k l i c h k e i t

Mit Edwin Fallers Kapitän durch die »Grüne Hölle«

a m s e r s c h e i N t s o a N d e r s a l s d i e ü b r i G e N r e N N b a h N e N

Meine Erinnerungen an den ersten Aufbau

h a rt e r W e t t b e W e r b m i t r e N N b a h N p r o d u z e N t e N

Basteln und Spielen mit AMS

N u r d e r b u s k a N N d a s a N t r i e b s a G G r e G at v e r s t e c k e N

Mobilmachung in der Spur N

Fa l l e r c a r s Y s t e m d i G i ta l m i t N e u s t e r s at e l l i t e N t e c h N i k

Modellbahner sind sich einig: Ohne Auto geht es nicht

l o r e N z s i W e k e r i N N e rt a N b e W e G t e J a h r e

Wie der erste Berliner in Gütenbach Wurzeln schlägt

e r s t b r a u N a u , d a N N b r o G G i N G e N u N d d e N z l i N G e N

Rasantes Wachstum macht Standortexpansion unumgänglich

m i t h i t- c a r k o m m e N W i l d e r e N N e N i N s k i N d e r z i m m e r

Flower-Power-Jahre: rasant, rasant …

e i N e c l e v e r e s p i e l i d e e m i t i m m e r N e u e N i m p u l s e N

Das kreative Mosaik

s c h a u a N l a G e N b i s h e u t e Fa s z i N i e r e N d

Für nur einen Groschen zum Lokomotivführer

s ta d t b a u s ä t z e ü b e r z e u G e N d u r c h v i e l Fa lt

Alte Hausfassaden und die bunte Welt der Werbung

e i N s t i G e W e t t b e W e r b e r h e u t e u N t e r d e m Fa l l e r - d a c h

Klassiker bewahren

W i e e i N e m m o d e l l b a u e r a r c h i t e k t o N i s c h e m e i s t e r s t ü c k e G e l i N G e N

Entgrenzte Gigantomanie der neuen Faller-City

l a N d s c h a F t s v i e l Fa lt, m o d e l l b a u u N d v i e l a r c h i t e k t u r

So sehen Faller-Träume aus 70 Katalogjahren aus

1 4 0 0 b a u t e i l e F ü r d a s J u b i l ä u m s m o d e l l

Bilderbuch-Idylle und ein Hauch von Klosterleben

b e G e i s t e r u N G F ü r b u d e N u N d k a r u s s e l l s u N G e b r o c h e N

Rauschender Kirmesrummel überwindet Ländergrenzen

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Editorial

as wäre die Welt von Märklin, Fleisch-mann, Liliput & Co. ohne Faller? Lei-denschaftslos, wirklichkeitsfern, auf

jeden Fall sehr, sehr langweilig. Hermann und Edwin Faller – die Gebrüder Faller – haben deut-sche Wirtschaftswundergeschichte geschrieben. Mit ihrem unternehmerischen Engagement, ihrem kreativen Enthusiasmus und ihrer grenzenlosen Begeisterung für Miniaturwelten. Auf der Suche nach einer Geschäftsidee wurden sie gleich nach Kriegsende fündig und schöpften im Herzen des Schwarzwalds aus der handwerklichen Kraft der Menschen.

diE Villa im tEssin – die wunderschöne Bausatz-Legende der 1960er-Jahre. Hermann Faller baute das Original am Rehbühl in Gütenbach.

Gebirgslandschaftenund

Verträumte

Einfamilienhaus-Idylle

Der furiose Aufstieg von Faller seit den 1950er-Jah-ren ging einher mit der wachsenden Begeisterung der Menschen für die Modelleisenbahn – viele Jahrzehnte in Deutschland und Europa das liebste Spielzeug unter den Weihnachtsbäumen. Faller modellierte die verträumte Welt von Gebirgsland-schaften, die Idylle der Einfamilienhaus-Siedlun-

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modelle, erst aus Holz, dann aus Plastik, standen am Anfang, geblieben sind die Bausätze, die auch heute Jahr für Jahr Menschen begeistern. Längst ist aus Detailreichtum perfektionierte Filigranität geworden – Faller-Miniaturwelten sind lebendig geblieben und schlagen unverändert die wunder-voll miniaturisierte Brücke zur Wirklichkeit.

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gen, aber auch die Turbulenz prosperierender Großstadt-Schlagadern. Tonnenschwerer For-menstahl lagert heute in Gütenbach und gilt als ein unvergängliches Symbol für das kreative Gesamtwerk, das einst in den gelben Fotokar-tons unverwechselbar in Bastlerhand gelangte. Dazu zählt auch die AMS-Bahn, jenes Pendant zur Rennbahn, die in den 1960er-Jahren urplötz-lich der Modelleisenbahn den Rang abzulaufen drohte. Faller gelang es, beides sinnfällig zusam-menzuführen. Unvergessen die Villa im Tessin, jenes markante Designhaus, dessen Vorbild Her-mann Faller am Gütenbacher Rehbühl baute. Es schmückt Modelleisenbahnen bis heute und ziert viele tausend Berghänge.Die 70-jährige Geschichte von Faller erzählt viele dieser Episoden, die sich hinter den Menschen und Modellen verbergen. Dabei gilt der besondere Dank Dirk Christeinicke, der als Ideengeber, Fal-ler-Kenner und ambitionierter Sammler das Buch mit wertvollem Know-how begleitet hat. Die Fertig- Ulrich Biene

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diE anfängE

W i e d i e G e b r ü d e r Fa l l e r d i e N a c h k r i e G s W i r r e N m e i s t e r N

SchwarzwälderErfindergeist

Zurück in ihrEr hEimat, steHen HeRmann und edwin FaLLeR vOR e inem neuanFanG. es ist das JaHR 1946, aLs die GeBRüdeR FaLLeR wiRkLicHes unteRneHmeRtum Beweisen und inmitten des scHwaRz-waLdes kRaFt FüR den neuanFanG scHöpFen. die ze iten sind BescHei-den – kämme HeLFen aLs eRste pROdukte aus deR kLemme. dOcH es sOLL aLsBaLd kReativeR weRden.

o die Technik aufhört, beginnt die Kunst. Aufgrund des Zusammen-wirkens der technischen Kennt-

nisse meines Bruders und meinen Fähigkeiten der künstlerischen Darstellung ist es kein Zufall, dass Faller als erste Firma passendes und umfangrei-ches Bastelmaterial für den Modelleisenbahnbau bereitstellte«, urteilt Edwin Faller im Rückblick auf den Beginn und die so herausfordernden ersten drei Jahrzehnte der Unternehmensent-

wicklung. Sein Bruder Hermann und er hätten frühzeitig die richtigen Weichen gestellt. Nach dem Abitur 1934 hatte Edwin Faller eine zwei-jährige Zeit beim Militär absolviert, dann in sei-ner Ausbildung in der Reichsfinanzverwaltung die Arbeit im Innen- und Außendienst kennenge-lernt. Nach dem Kriegsdienst dann die Rückkehr nach Stuttgart, wo Hermann Faller mit seiner jun-gen Familie lebt und bei der Firma Bosch arbeitet. Zwischen beiden herrscht schon nach kurzer Zeit Einigkeit darüber, die Produktion aus Holz und Pappe zu forcieren – im Fokus Baukästen für Häu-sermodelle. Hermann Faller erhält sogleich die Genehmigung der Alliierten, eine Firma zu grün-den. Einzige Hemmschwelle: Die französischen Besatzer wollen anfangs für die Rückkehr nach Gütenbach keine Zuzugsgenehmigung erteilen. Dann nehmen die Gebrüder Faller aber auch diese Hürde, und dank der unerlässlichen französischen

Einfach, pfiffig und kindgErEcht: die schon in vorkriegsjahren so beliebten Holzbaukästen finden in Güten-bach eine neuinterpretation. die Gebrüder Faller stellen erst-mals die marathon-Baukästen mit ganz individueller spielidee vor. mit ihnen lassen sich aus bunt bedruckten papp- und Holzplatten kreative Häuser bauen – passend zur modell-bahn, aber auch als solitäres spielzeug nutzbar.

ganZ am anfang stEhEn diE kämmE – mit fein aus-gesägten zähnen. in einer zeit des mangels in den ersten Jahren nach dem krieg setzen Hermann und edwin Faller auf den werkstoff Holz, der inmitten des schwarzwaldes aus-reichend vorhanden ist.

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dEr marathon-BaukastEn beruht auf einer quadratisch gefrästen Grundplatte mit nuten, in die ganz nach wunsch des Bastlers die seitenwände eingesteckt werden können. die Bauteile fallen durch leuchtende Farben und stilisierte Hauswand-bedruckung auf. sogar mehrere Geschosse lassen sich so zusammenstellen.

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diE anfängE

Sprachkenntnisse gelingt auch die Genehmigung für den Materialbezug. Noch gilt die Reichsmark, als das Unternehmen 1946 im Elternhaus an der Kreuzstraße inmitten von Gütenbach an den Start geht. Rasch sollen die aus der Not geborenen All-tagsgegenstände, die ebenfalls zum Fertigungs-programm zählen, der Vergangenheit angehören. Schnell wird vergessen, dass es große Holzkämme sind, die der Faller-Produktion entstammen. Jeder Zahn für Zahn ausgesägt. Beim Einsägen nicht aufgepasst, und schon springen die abgesplitter-ten Holzspitzen in alle Himmelsrichtungen – der Kamm ist dahin und nur noch zum Warmheizen geeignet. Selbst alltagstaugliche Wäscheklam-mern aus Holz sollen gleich nach dem Krieg nur

eine Episode bedeuten. Hunderte Unternehmen in Deutschland starten so in die Zukunft, indem sie mit kleinen Haushaltsartikeln den dringenden Bedarf der Menschen ringsherum befriedigen. Nicht selten, um auch vor der Währungsreform Tauschware für den florierenden Schwarzmarkt in der Hand zu haben. Die Gebrüder Faller den-ken weiter, hegen ihre Vision – und das soll Erfolg bringen.Hermann Faller baut die Werkstatt aus, gemein-sam heben die beiden Brüder das Konzept für die Marathon-Baukästen aus der Taufe. Es soll ein Materialmix einfacher, kostengünstiger und dennoch robuster Rohstoffe werden – Holz und Pappe, mehr nicht. Ein Kriegskontakt hilft, sodass

schon nah an dEr modEllEisEnBahn: der erste Bahnhof beweist, wie detailverliebt die teile des marathon-Baukas-tens gestaltet werden. die seitenwände erscheinen in kellenputzoptik, sogar an die darstellung von Bahnschalter, Briefkasten und Bahnhofsuhr ist gedacht. der erste kompakte Bahnhofsbausatz gilt als motivation, in den Folgejahren noch vorbildgerech-ter und modellhafter zu werden.

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die 1880 gegründete Firma Pfäffle, die aufs Kar-tonstanzen spezialisiert ist, helfen kann. Während das heimische Sägewerk die Holzbretter anliefert, kommen von Pfäffle die gestanzten und bedruck-ten Wände. Die Jungunternehmer lassen Kreati-vität walten – die Marathon-Bauteile überzeugen mit wunderschöner, ansprechender Gestaltung. Wände, Dächer, aber vor allem Türen, Fenster mit buntem Blumenschmuck und verspielte Fenster-läden zählen dazu – alles erscheint sehr kindge-recht. Die glatt gehobelte, hölzerne Grundplatte erhält rings herum eine Fase, auf der Fläche selbst erscheint ein zwei Millimeter tiefes Kastenraster, das das Einstecken der Pappwände auch für Kin-derhände problemlos möglich macht. Und auch die hölzerne Zwischendecke mit beidseitigem Ein-steckraster verhilft dem Bauwerk zu bemerkens-werter Stabilität. Mehr noch: Dadurch kann auch

noch eine zweite Etage, egal, ob als Satteldach oder als Turm, draufgesetzt werden. Der farbig bedruckte Stülpkarton mit dem anregenden Haus-motiv kann auf dem Ladentresen ohne Wenn und Aber dem Wettbewerb der gleich nach dem Krieg wieder aktiv gewordenen Baukastenanbieter wie Anker oder Mentor Paroli bieten. Es erweist sich als Glücksfall, dass die Gebrü-der Faller gleich in den Nachkriegsjahren diesen enormen Tatendrang an den Tag legen. Unterneh-mertum par excellence. Sie erkennen die Gunst der Stunde – die Wiederaufbaujahre bedeuten den Neuanfang Deutschlands, die Karten werden neu gemischt. Nachdem der Krieg die verläss-lichen Strukturen in der Wirtschaft über viele Jahre nahezu völlig zerstört hat, stehen die Signale auf Grün. Sicher auch mit allen Risiken, die ein jun-ges Unternehmen bedeutet. Aber die stehen für

auch dEr marathon-BausatZ erfährt bis 1950 eine evolution. die Gestaltung der kartons erfährt mehr aufwand, die Bauteile erhalten eine noch attraktivere Bedruckung. inzwischen gehören auch tiere und Bäume zum Bausatzkasten, um die szenerie zu beleben.

diE gEBrüdEr fallEr: Hermann (l.) und edwin (m.) gründen 1946 in Gütenbach die Firma Faller. die schuhmacherwerk-statt ihres vaters (r.) blieb bis heute erhalten und kann im Heimatmuseum besucht werden – das Handwerk ist den Gebrüdern Faller in die wiege gelegt. Hermann Faller *17.6.1915, †10.12.1982; edwin Faller *6.2.1914, †30.5.2006.

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Vorbilder

v o m m i l c h - k i o s k b i s z u r h o l l ä N d i s c h e N m ü h l e

EntstammEn siE dEr fantasiE, OdeR HaBen diese Bausätze tat-säcHLicHe vORBiLdeR? mit diesen FRaGen BescHäFtiGen sicH GeneRa-tiOnen vOn mOdeLLeisenBaHneRn. nuR weniG dRinGt duRcH, und seHR seLten GiBt FaLLeR seLBst einen diRekten Hinweis auF das autHenti-scHe vORBiLd. daBei Hätten es vieLe mOdeLLe veRdient, dass man um iHRe HistORie weiss. acHt deR unGewöHnLicHsten vORBiLdGescHicHten steHen FüR die FacettenReicHen mOdeLLBauaktivitäten vOn FaLLeR.

m Programmjahr 1961 purzelt erstmals ein Modell aus neuen Faller-Formen, das allein schon wegen seiner ungewöhn-

lichen, gar auffälligen Optik ein Beststeller werden muss: Zum Kiosk-Duo B-135 gehört von nun an der legendäre Pilz-Kiosk dazu, der fortan auf nahezu keiner Modellbahn fehlen soll. Das runde Mini-häuschen mit dem leuchtend roten Dachrund und den weißen Fliegenpilzpunkten fußt tatsächlich auf einer pfiffigen Geschäftsidee aus den Nach-

kriegsjahren, als Milch als elementares Grund-nahrungsmittel gilt. Und genau darauf hat sich die Firma Waldner aus Wangen spezialisiert. Deren

den Vorbildern

zum Greifen naheAuf der Suche nach

ist Wirklichkeit

am falZÀrEgopass in den südtiroler dolomiten steht diese schmucke kapelle – sie markiert auf modellbahnen zumeist den Gebirgsgipfel. auch in sachen detailkraft ein kleinod. ein abziehbild macht den vers über der eingangs-pforte auch beim modell möglich.

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dEr fliEgEnpilZ-kiosk findet sich auf nahezu allen modellbahnen – gleichsam ein roter Leuchtpunkt mit sym-pathischem Blickfangcharakter. dabei macht sein vorbild in den 1950er-Jahren nicht nur in deutschland, sondern auch in österreich, der schweiz, in Frankreich, Belgien und Hol-land karriere. als »milchpilz« wird er von der Firma waldner für parks und ausstellungen angeboten. Freilich wirkt das dach beim großen vorbild deutlich erhabener als beim Faller-modell. einige der so unverwechselbaren kioske haben tatsächlich die zeit überstanden und sind auch heute noch zu finden.

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Vorbilder

Inhaber Anton Waldner sorgt immer

wieder mit findigen Ideen für Auf-merksamkeit – die Geschäfte laufen gut. Bei der einen Neuschöpfung handelt es sich um einen ovalen Melkeimer, der besser zwischen die Beine des Bauern passt. Die andere Konstruktion betrifft den optisch eindrucksvollen Milchpilz, der aller-orts schnell aufgestellt als Absatzturbo fürs Milch-geschäft dienen soll. Die ersten Milchkioske und -bars entstehen an unterschiedlichen Standorten, und tatsächlich gilt Waldner als Komplettanbieter für das gesamte gastronomische Inventar. Milch-bars sind in den 1950er-Jahren deutschlandweit hipp – da passt der Kiosk absolut ins Konzept. Am Waldner-Stammsitz in Wangen sprechen die Menschen nur noch vom »Milchpilz«; die Fußball-mannschaft trifft sich dort, bevor der Bus sie zum Auswärtsspiel bringt. Einige der runden Kioske – im Laufe von fünf Jahrzehnten angebotsseitig längst breiter aufgestellt – haben gar bis heute überlebt: In Borgholzhausen, Bregenz, Kaisers-

lautern oder Regensburg und natürlich Wangen lassen sich die Faller-Vorbilder noch bewundern. Purer Retrokult eben. Was das Faller-Modell bis heute so beliebt macht, darf gut und gern der gelungenen Formensprache zugeschrieben wer-den. Die Faller-Konstrukteure haben 1961 ein H0-Modell filigranisiert, das durch seine Detail-treue auf Anhieb überzeugt. Die ästhetische Form-gebung des Kunststoffs – das rote Dach und die runde Bauform – beweist, dass die Plastikbausätze in jener Faller-Epoche eine neue Dimension des Modellbaus erreicht haben. Hinzu kommen die Bedruckungsoptionen, die die Gütenbacher mit ihrem Gestaltungsvorschlag beilegen. Der Kiosk beginnt auch als Modell zu leben.In die gleiche Qualitätskategorie »sehr gelungen«

original VErpackt Zählt dEr Bahnhof »nEu-stadt« zu den begehrten Bausätzen ambitionierter Faller-sammler. zum preis von 12,75 mark ist der »B-111« damals die teuerste Bahnstation. Faller stellt ihn 1966 mit einem vorbildfoto vor.

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fällt die kleine Dolomitenkapelle. Der Bausatz B-234 der Bergkapelle erobert sich ebenfalls seit 1961 mit aller Regelmäßigkeit ein einsames Plätzchen auf den Gebirgsmassiven der Modell-bahnanlagen. Auch diesmal beweist Faller for-malästhetisch bei der Wahl des Vorbilds ein glückliches Händchen. Das kleine Kirchenge-mäuer mit dem windschiefen Türmchen und den frei geputzten Bruchsteinen steht auf der Höhe des Passo di Falzàrego. Gleich neben einem Berghotel,

einem kleinen Souvenirlädchen findet der vorbei-fahrende Reisende die kleine, schmucke Kapelle, die im Sonnenlicht strahlend weiß leuchtet. Frei-lich erscheint das Modell auf den Faller-Motiven auf Karton und im Katalog stets inmitten unbe-rührter Berglandschaften. Und das immer so, als sei die Kapelle in der Einsamkeit der Dolomiten zu finden. Doch tatsächlich führt unmittelbar an der Kapelle die Passstraße vorbei. Auf diese Weise dürfte das Vorbild zum Ende der 1950er-Jahre auch

inZwischEn Ein wErtVollEs BaudEnkmal der nie-derrheinischen stadt Goch: auffällig dreiteilig gebaut, betont der erhabene mittelteil als Bahnhofshalle den im vorbild ver-blendeten stahlbetonbau. vor allem die zur stadtseite groß-zügige verglasung steht zum ende der 1950er-Jahre für die neue Gebäudetransparenz. Rechtsseitig erstreckt sich das Restaurant, linksseitig sind weitere diensträume zu sehen. Faller miniaturisiert auch das interieur mit dem Bahnschalter, und sogar die Gocher Lokalpresse berichtet in den 1960er-Jahren über das vorbild und das zugehörige Faller-modell.

so schlicht kann Ein modEllklassikEr sEin: eine längst vergessene Feldscheune aus der nähe von Reut-lingen – inzwischen längst den weg alles irdischen gegangen und aus der Landschaft verschwunden – steht einst pate für den detailfein gravierten Bausatz B-282.

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Für nur einens c h a u a N l a G e N b i s h e u t e Fa s z i N i e r e N d

VorführanlagE

LokomotivführerGroschen zum

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Ohne den Bahnhof Lindental ging nichts: das Faller-Gebäude war buchstäblich ein ausdruck seiner zeit. Gerade Linien und nach außen geneigte Fensterfronten standen für den aufbruch und die moderne zeit der deutschen Bundesbahn in den 1960er-Jahren.

diEsEs ErlEBnis BlEiBt unVErgEssEn: aLs deR GROscHen im münz-scHLitz veRsank, setzte s icH deR peRsOnenzuG unteR deR mäcHtiGen GLasHauBe wie vOn GeisteRHand in BeweGunG. auF BaHnHöFen FüHLten s icH die JünGsten vOn e ineR sekunde zuR andeRen wie deR dienst-HaBende LOkOmOtivFüHReR. die scHauanLaGen üBeRaLL in deutscH-Land sOLLten zuR LeGende weRden.

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Faller Modellbau

ie ersten Sonnenstrahlen durchdringen den Bahnsteig 6 im Dresdener Haupt-bahnhof. Zwischen Prellbock und

Bäckerladen spiegelt sich das Glas einer mächtigen Vitrinenhaube. An diesem noch kühlen Märztag im Frühling 2016 scheint genau an dieser Stelle die Zeit stehen geblieben zu sein. Immer wieder machen dort Menschen halt – junge, ältere, alte. Sie bleiben eine Weile stehen, gehen ringsherum, und ihre Blicken lassen nicht ab von dem, was dort hinter den vier Glasscheiben geschieht. Für einen Euro im Münzschlitz setzt sich die Modellbahn in Bewegung, dreht lange Zeit ihre ovalen Runden. Es hat den Eindruck, als sei von jetzt auf gleich

im hektischen Bahngetümmel etwas geschehen, das die Menschen in eine Oase des Innenhaltens ruft. Nicht nur Kinder staunen über die faszinie-

rende Welt, die so bunt, so bilderbuchhaft erscheint. Und tatsächlich sieht es dort nicht anders aus als vor 50 Jahren, als der Düsseldorfer Hans-Dieter Hoernig sich mit einer scheinbar spinnerten Idee ein

Geschäftsmodell ausmalt, das freilich auch seine persönliche Herzensangelegenheit ist.

Hoernig ist schon in den 1960er-Jahren begeister-ter Modellbahner – ein Hobby, das die Deutschen damals eint. Anders als heute soll es den Menschen in der DDR damals nicht vergönnt sein, solche Schauanlagen

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frEiE fahrt für EinEn schnEllEn groschEn: in den 1970er-Jahren prägten die schauanlagen auf allen deutschen Bahn-höfen das Geschehen zwischen kiosk und Fahrkartenausgabe. Bes-sere werbung konnten Faller und die modellbahnhersteller gar nicht bekommen – die Faszination des maßstabs 1:87 war allgegenwärtig. Ganz oben die erste schauanlage, darunter der spätere stand.

diE modEllBahnanlagEn entstanden vielfach in den 1970er-Jahren und wurden späterhin vom Betreiber wartungsgemäß aktualisiert. es blieb aber bei der grund-sätzlichen anordnung von Gebäuden und streckenfüh-rung. diese schauanlage war nach der Grenzöffnung viele Jahre im s-Bahnhof an der Berliner Friedrichstraße zu sehen.