legenden und wahrheiten mit der jahreszahl 1934

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Beim Besuch von UNO-Generalsekretär Perex de Cuellar in Oshakati, Ovomboland, forderten Frauen die Beseitigung der berüchtigten Terrorgruppe „Koevoet* aus d*r Polizei Fotos: ND/Gräßler; ZB/Pressfoto Nahe der Stadt Rundu im Norden des Landes sind diese finnischen Sol- daten, die der UNO-Unterstützungsgruppe angehören, stationiert „Noch niemals zuvor haben wir Namibier uns einander so nahe gestanden. Gemeinsam entschei- den wir über die Zukunft unse- res Landes." So beschwört der Sprecher des Südwestafrikani- schen Rundfunks täglich mehr- mals die Hörer, sich für die No- vemberwahlen zur Unabhängig- keit registrieren zu lassen. Har- monie suggeriert auch der all- abendliche Fernsehwerbespot, der lachende Namibier aller Rassen in einer glücklichen Familie ver- eint zeigt. Doch in der kommerziellen Ver- packung steckt ein Stück namibi- scher Realität. Wer das Land in diesen Tagen besucht, kann die aufbrechenden Anfänge der For- mierung einer neuen, unabhän- gigen Nation beobachten, in der alle ihren Platz suchen und fin- den müssen Ovambos und Weiße, Hereros, Mischlinge und Buschmänner. Die 1,3 Millionen Namibier gehören elf größeren und einer Vielzahl kleinerer Be- völkerungsgruppen an. Ein Jahr- hundert deutscher und südafrika- nischer Kolonialherrschaft haben Namibia zudem politisch zer- stückelt, die ethnische Zersplitte- rung zementiert. Die 1987er Aus- gabe des „Political who's who of Namibia* 4 führt allein 49 politi- sche Parteien und Gruppierungen auf; inzwischen sind es noch mehr. Derzeit konzentriert sich die UNO-Hilfsgruppe UNTAG auf die Kontrolle eines freien und fairen Wahlprozesses, besonders die korrekte Wahlkampagne und Wählerregistrierung, die seit An- fang Juli laufen. Indes ist den meisten Namibiern klar, daß die UNTAG ihnen nicht die Verant- wortung für. ihre eigene Zukunft abnehmen kann. Peter Koep, 38jähriger Anwalt, hat deshalb schon vor drei Jahren eine poli- tische Gruppe-; gegründet, deren Name „Namibia Peace Plan 435" an die entsprechende Resolution des UNO-Sicherheitsrates erin- nert. Sie bemüht sich, einen Dia- log der unterschiedlichen politi- schen und ethnischen Kräfte her- beizuführen. „Ich bin nicht weißer Namibier, sondern Nami- bier", sagt Koep, das Programm der Gruppe auf die knappste For- mel bringend. Ende Juli hatte die Gruppe in einer Messehalle Windhoeks Ver- treter der SWAPO, der Demokra- tischen Turnhallen-Allianz (DTA), des progressiven Wahlbündnisses NNT und der konservativen wei- ßen Nationalen Partei zur öffent- lichen Debatte zusammenge- bracht. Wie die Sympathien ver- teilt sind, bekommt Jannie de Wet, ehemaliger Minister der von Pretoria eingesetzten und erst im Februar aufgelösten „Übergangs- regierung" Namibias, zu spüren. Hinter seiner Nationalen Partei steht ein guter Teil der weißen Geschäftswelt Namibias und nicht zuletzt die im Nachbarland Süd- afrika regierende Nationale, Par- tei.' Unangenehmen Fragen 'muß sich.auch Moses Katjiuongua.von der DTÄ erwehren, ebenfalls früherer Minister. Wie man Ver- trauen zu jemandem haben solle, der in den Diensten des Feindes gestanden habe, will ein junger Mann wissen. Es ist der einzige Moment, in dem Emotionen die Diskussion außer Kontrolle ge- raten zu lassen drohen. „Wir soll- ten uns davor hüten, andere zu beschimpfen, wenn wir eine neue Nation aufbauen wollen", appel- liert Veranstalter Koep an die Zuhörer. Sehr unterschiedlich sind die Voraussetzungen, unter denen die verschiedenen politischen Gruppen Namibias ihren Weg in den neuen Staat antreten. Die SWAPO tut es mit der Autorität und dem Selbstbewußtsein der einzigen politischen Kraft, die jahrzehntelang konsequent die Okkupanten bekämpft hat. „Gegen uns werden derzeit vie- le Mittel eingesetzt, um unseren Wahlkampf zu behindern. Aber wir glauben, daß wir dem stand- halten können", sagte mir im SWAPO-Hauptquartier in der WJndhoeker.. - Goethestraße das ZK-Mitglied Tulinane Emvula, langjährige*! OS Vertreter» ctier SWAPO in der DDR. „Unser Volk hat lange genug unter dem südafrikanischen Kolonialismus gelitten, die Menschen wissen, was sie wollen. Und wir, die SWAPO, haben eine Botschaft für sie. Wir haben Vertrauen in das Volk." „Über den Ausgang der Wah- len spekulieren zu wollen ist müßig. Sollten sie frei und fair verlaufen, werden der SWAPO von nahezu allen Beobachtern große Chancen eingeräumt, stärkste Partei in der 72köpfigen Verfassungsgebenden Versamm- lung zu werden. Die SWAPO hat zunächst alle Koalitionen vor der Wahl abgelehnt, schließt diese für die Zeit danach aber nicht aus. Das Hauptquartier des vermut- lich einzigen ernsthaften Rivalen der SWAPO, der „Demokratischen Turnhallen-Allianz", liegt schräg gegenüber dem SWAPO-Sitz. Den weißen Führer der DTA, Dirk Mudge, konnte ich nicht sprechen, er weilte gerade auf Einladung der britischen Regierung in Lon- don. Dafür stand Tanuel Kozon- guizi, ebenfalls Exminister, zur Verfügung. Nur die DTA sei in der Lage, das dringend benötigte Geld für die Entwicklung Nami- bias zu beschaffen, erklärte er mir. Sie werde Investoren anlok- ken und verfolge keine Politik, die die Weißen aus dem Land treibe. Außerdem verfüge sie über die Erfahrung einer zehn- jährigen Regierungszeit. (1978, als die SWAPO nicht an den Wahlen teilnahm, bekam die von Südafrika protegierte DTA 80 Prozent der Stimmen.) „Ob das in den Augen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit ein Plus ist?" zweifle ich. „Na- türlich, wenn Sie heute fragen, welcher Partei die Interessen der Schwarzen am "HerzeiTT'liegen, werden Sie gewöhnlich zur Ant- wort bekommen: ,der SWAPO 1 . Aber es ist das eine, im Busch zu kämpfen, etwas anderes, das Land zu regieren ..." Neben der SWAPO, der DTA mit ihren 11 Koalitionsparteien und der Nationalen Partei, haben sich nur noch wenige politische Kräfte landesweit profiliert. Das übrige Parteienspektrum widerspiegelt die ethnische Zer- splitterung. Viele Parteien haben nur regionale oder gar nur lokale Bedeutung. Die im Entwurf des Wahlgesetzes vorgesehene Bedin- gung, 2000 Mitglieder vorzuwei- sen, um an der Wahl teilzuneh- men, dürfte für viele zur Klippe werden und könnte zugleich in den nächsten Wochen zu neuen Bündnissen führen. Südafrika und seine namibi- sche Gefolgschaft konzentrieren ihr Feuer auf die SWAPO, wobei sie die Unübersichtlichkeit der Lage, vorhandene Ressentiments und Stammesgegensätze nutzen. Ungeachtet der Tatsache, daß Südafrika ein Hauptakteur bei der Verwirklichung des Namibia- planes der UNO ist und sich be- reit zeigt, die Unabhängigkeit Namibias zu akzeptieren, ist Pre- toria bestrebt, den Einfluß der SWAPO so gering wie möglich zu halten. Dabei setzt Südafrika vor allem auf die weiße Minder- heit. Es ist in Windhoek kein Ge- heimnis, daß nur wenige Weiße die SWAPO wählen werden - trotz des von ihr vorgelegten rea- listischen Wahlprogrammes, das auf Zusammenarbeit und Ver- ständigung zielt. Seine Wirkung verfehlt es dennoch nicht, der von man- chen herbeigeredete Exodus der weißen Unternehmer und Spezialisten wird wohl nicht stattfinden. „Das Land verlassen werde ich erst, wenn mir das Leben unerträglich gemacht wür- de, und das erwarte ich nicht, auch nicht unter der SWAPO", sagte mir Carl-Ludwig List. Seine Familie besitzt in Windhoek die Brauerei, die Schlachterei, die Hotelkette Namib-Sun und zwei Fischfabriken. List ist derzeit dabei, ein neues Einkaufszentrum zu errichten, und hält auch posi- tive wirtschaftliche Aspekte der Unabhängigkeit, wie größere Ex- port- und Importmöglichkeiten nach Wegfall der Sanktionen für möglieh. Auch der Farmer Ulf- Dieter Voigts von der „Interes- sengemeinschaft deutschsprachi- ger Südwester", die schon seit langem mit der SWAPO im Ge- spräch ist, denkt nicht ans Kof- ferpacken. „Wer von den weißen Nami- biern aufmerksam unser Wahl- programm gelesen hat, sieht, daß kein Grund zur Angst besteht. Wir haben für die Befreiung Na- mibias gekämpft, einschließlich der Befreiung der Weißen in die- sem Land", sagte ZK-Mitglied Tulinane Emvula in unserem Ge- spräch. Dies ist ein Angebot für die gemeinsame Zukunft. Gewarnt waren wir. „Schnee- fall über Hoher Tatra" meldeten die Zeitungen Ende Juli. der- gleichen hatte es seit 40 Jahren um diese Zeit nicht gegeben. Kein gutes Omen für den 33. Interna- tionalen Aufstieg der Jugend auf den 2499-Meter-Gipfel Rysy, zu dem sich Anfang August über 5000 junge Leute aus allen Bezirken der CSSR sowie aus acht weiteren Ländern in der Hohen Tatra tra- fen. So stand ich denn mitten im Schnee. Am Bergsee Zabie Pleso in 1919 Meter Höhe. Die Gipfel zeigten ihre kalte Schulter oder verbargen sie in dunklen Wolken, aus denen ein wenig Schnee rie- selte. Den steilen, steinigen Weg am Hang unterhalb des Sees schlän- gelte sich an diesem Vormittag unverdrossen die Schar der „Gip- festspiele von Phjöngjang ebenso wie im Zeltlager in Tatranska Lomnica am Fuße der Hohen Tatra. „Es ist nicht nur das Symbol. Es ist die Stimmung, die ich auch in Phjöngjang erlebt habe", meinte Anibal Morgado aus Mo- cambique. Er wünschte sich ein ähnliches „Gipfeltreffen" in Mo- cambique, wo es auch wunder- bare Gebirgslandschaften gebe. „Doch gegenwärtig haben wir an- dere Sorgen. Um so wichtiger ist es, daß wir die Sympathie und Solidarität spüren." Für die junge Studentin an einer Moskauer medizinischen Fachschule, Swetlana Charla- mowa, bietet das Treffen in der Hohen Tatra eine gute Gelegen- heft, Nachbarn näher kennenzu- lernen. „Zum erstenmal im Aus- land, da interessiert einen alles Eis und Schnee erzwangen hier, etwas oberhalb des Zabie Pleso, das Ende des Aufstieges - Foto: ND/Baufeld felstürmer" hinauf. So mancher kam ins Schwitzen. Dabei waren „nur" 600 Meter Höhenunterschied zu bewältigen, denn der Zabie Pleso war in die- sem Jahr bereits Endstation auf dem Weg zum Rysy. Der Organi- sationsstab hatte noch am Morgen vor dem Start mit Meteorologen und Mitarbeitern des Bergret- tungsdienstes beraten, erklärte mir Jan Kovär, Chef des Stabes. „Durch Schnee und Eis ist der wei- tere Aufstieg für Ungeübte eine gefährliche Sache. Sicherheit ist oberstes Gebot." Entlang des Weges begegneten wir immer wieder den Männern des Bergret- tungsdienstes. Trotz der Widrigkeiten — der Rysy wurde dennoch „bezwun- gen". Nicht von Hunderten in die- sem Jahr, sondern nur von zwei Bergsteigern, die dort einen Kranz zu Ehren Lenins niederlegten. Lenin hatte im Sommer 1913 den Rysy erklommen. Das inspirierte, in den Sommertagen des Jahres 1957, als sich junge Leute von allen Kontinenten in Moskau zu den VI. Weltfestspielen trafen, 40 junge Slowaken, den Aufstieg nachzuvollziehen. Damit wurde eines der größten Treffen des So- zialistischen Jugendverbandes der CSSR aus der Taufe gehoben, des- sen Kürzel „MVMR" rasch lan- desweit Popularität gewann. Von der Premiere bis heute spielen die Weltfestspiele eine zentrale Rolle. Auf den Plakaten des 33. Jahrgangs des Rysy-Aufstiegs fand sich das Symbol der Welt- von den Wegen zur Lösung ge- sellschaftlicher Probleme bis zur Rockmusik." Osman Maltreco aus Guantanamo in Kuba war aus dem böhmischen Chomutov ange- reist, wo er sich mit weiteren Ku- banern zum Facharbeiter qualifi- ziert. Unter den jungen Bergstei- gern fühle er sich wie in einer Familie, bekannte er. Das Treffen in der Hohen Tatra ist mehr als nur der Auf- stieg. Dazu gehörten auch in die- sem Jahr freiwillige Arbeitsein- sätze. Mit ihnen unterstützt der Jugendverband die großen An- strengungen zur Erhaltung der einzigartigen Landschaft des Tatra-Nationalparkes. Jährlich besuchen rund fünf Millionen Menschen das kleinste Hochgebir- ge der Welt. Und nicht jeder be- gegnet der Natur mit Achtung. Nach getaner Arbeit, nach an- strengendem Aufstieg oder Frie- densmeilen-Lauf mangelte es nicht an Möglichkeiten zur Ent- spannung. Alle Programm-Fäden in der Hand hatte Lagerleiter Ladislav FapSo, der selbst nicht mehr weiß, wie oft er auf dem Rysy war („Bei 100 habe ich mit dem Zählen aufgehört"). Von Folklore bis Rock, von Diskus- sionsrunden bis zum Schubkar- ren-Grand-Prix reichte die Ver- anstaltungspalette. Fazit von Henriette Cierna und Andrea Outratova, Schülerinnen aus dem slowakischen Kreis Mar- tin: Das Treffen war ein Erlebnis. Wer einmal dabei war, kommt wieder... Willi Mumenberg (14. August U M bis Juni 1940) D em 100. Geburtstag Willi Mün- zenbergs am vergangenen Montag war ein mehrteili- ger Report gewidmet, der neue biographische Informationen be- sonders aus den noch wenig er- forschten frühen Jahren des le- gendären deutschen Kommuni- sten in Thüringen vermittelte und dessen abschließender Teil hier erscheint. Die drei ersten Teile „Am Hügel und im Tivoli einer der besten Redner", „Eine Kind- heit zwischen Dorfschule und Schenke" sowie „In Sonneborns ,Zur Rose' keimte schon Solidari- tät" veröffentliche NEUES DEUTSCHLAND in den Aus- gaben vom 29./30. Juli (Seite 11), 5./6. August (Seite 9) und 12./13. August 1989 (Seite 11). Die für gute Bücher wie für Millionen von Menschen bedroh- lichsten Jahre deutscher Ge- schichte muß es in Erfurt über- standen haben: das stark zer- lesene, etwas vergilbte und mit mancherlei Unterstreichungen versehene Exemplar von „Die Dritte Front —. Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Ju- gendbewegung", auf dessen In- nentitel jemand ein sympathi- sches Foto des Autors Willi Mün- zenberg geklebt und mit blauer Titelblatt des Münzenberg-Budies von 1929/30 mit eingekleb- tem Foto und Eintragungen der Nichte Else Merkel geb. Blon- kenburg (links). Die Tafel an 'der „Münz" in Friemar bei Gotha (oben), enthüllt am 14. August 1989 Abb.: Gerhard Leo (1); ND/Schmidtke (1); Privatbesitz (2); ND-Repro (1); Karl-Heinz Hecker, Erfurt (1) Tinte geschrieben hat: „Onkel Willi/Mutters Bruder" sowie „In Frankreich von der Gestapo 1934 umgebracht" (siehe unsere Abbil- dung). „Mutters Bruder" — das ver- weist auf Willi Münzenbergs Lieblingsschwester Emmy Blan- kenburg, später Suckert, geb. Münzenberg (30. April 1876 bis 1944), die in Erfurt, Schmidt- stedter Straße 6 oder 61, einen Gemüseladen betrieb und unter deren vielen Kindern eine Toch- ter gewesen sein muß, die ihren „Onkel Willi" politisch verstand und sehr verehrte: Else Merkel geb. Blankenburg. Wie kam diese Nichte dazu, zwischen 1934 und 1936 ins Buch zu schreiben, Onkel Willi sei in Frankreich von der Gestapo umgebracht worden? Die Legende kann sich im Fe- bruar 1934 in Erfurt verbreitet haben, nachdem die Gestapo John Schehr, den beliebten Ar- beiterführer, sowie drei weitere KPD-Funktionäre (Eugen Schön- haar, Rudolf Schwarz und Erich Steinfurth) am 1. Februar in der Prinz-Albrecht-Straße bestialisch ermordet hatte. Die Legende könnte auch nach dem 30. Juni 1934 entstanden sein, als Hitler den sogenannten Röhm-Putsch erfand, um über 1000 Personen von der SS aus dqp Betten holen und auf der Stelle erschießen zu lassen, darunter bürgerliche Oppositionelle, aber auch zahl- lose SA-Führer wie Altnazi Ernst Röhm. Wer solchen ungeheuer- lichen Mordterror praktizierte, dem war auch die Ermordung Münzenbergs im Ausland zuzu- trauen. Doch in der „Nacht der langen Messer" des „Röhm-Putsches" befand Münzenberg sich auf dem Atlantik. Er reiste in die USA, um dort rechtzeitig einen Gegen- prozeß gegen den von den Nazis angekündigten, aber nie durch- geführten Prozeß gegen den KPD-Vorsitzenden Ernst Thäl- mann zu organisieren. Vom Röhm-Massaker schockiert, ge- statteten die US-Behörden Mün- zenberg sogar eine Versamm- lungstour durch die Staaten. Zehntausende Nordamerikaner und selbst bürgerliche Blätter wurden von Münzenberg zum Kampf um die Befreiung Ernst Thälmanns mobilisiert. Der Nazibotschafter in Wa- shington rannte Tag für Tag zur USA-Regierung, um gegen Mün- zenbergs Aktivität zu intervenie- ren. Von den Hitlerfaschisten ausgehaltene deutschsprachige Zeitungen in den USA hetzten gegen Münzenberg, den sie einen „bolschewistischen Juden" nann- ten, in der obskuren Annahme, damit eine doppelte Herabsetzung zu bewirken. Auch in dieser Hetz- kampagne log die Goebbels-Presse so schamlos wie gewohnt. Goeb- bels mußte wissen, daß Münzen- bergs Vater aller Wahrscheinlich- keit nach der Sohn eines Ritter- gut-Besitzers aus altem preußi- schem Adel war. Und wenn man heute das Gutshaus Zingst bei Nebra an der Unstrut, in dem ein Kinderheim untergebracht ist, näher betrachtet, dann fällt am Giebel neben der Jahreszahl der Errichtung (1665) die anmaßende Jahreszahl einer Teilrenovierung auf: 1934! Das Haus, in dem Willi Mün- zenbergs mutmaßlicher, aber un- ehelicher Großvater väterlicher- seits, der Freiherr Wilhelm Adolf von Seckendorff (1801 bis 1866) residierte, bis er sich im Preu- ßisch-Österreichischen Krieg von 1866 den Tod holte, gehörte 1934 zum Feudalbesitz der Grafen von Helldorf (früher: Helldorff). Einer von ihnen, Wolf Heinrich von Helldorf (1896 bis 1944), hatte sich besonders intensiv an der Hitlerbewegung beteiligt und war 1933 in den Reichstags- brand verstrickt. Als Polizeiprä- sident von Berlin tat er sich bei der Verfolgung von Kommuni- sten, Sozialdemokraten und links- intellektuellen Antifaschisten hervor. 1944 versuchte von Hell- dorf, Anschluß an die Wider- standsbewegung des 20. Juli zu gewinnen. Weil die Berliner Po- lizei am 20. Juli 1944 nicht gegen Stauffenberg vorging, wurde Helldorf am 15. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Willi Münzenberg hat das nicht mehr erlebt. Obschon 1934 fälschlich totgesagt, war ihm kein langes Leben beschie- den. Im Mai 1940, nach Beginn des „Westfeldzuges" der Nazl- wehrmacht interniert, dann in das Lager Chambaran bei Lyon übergeführt, wagte Münzenberg am 20. Juni 1940 die Flucht in Richtung Schweiz. Am 17. oder 18. Oktober 1940 wurde seine Lei- che im Wald bei Montagne im Departement Isere gefunden. Die Gendarmerie von Saint-Marcellin untersuchte den Fall, identifi- zierte den Leichnam und konsta- tierte Selbstmord 1 , Via sich ein Stück Strick noch am Hals des Toten befand. Willi Münzenbergs Schwester Emmy sowie deren Kinder in Er- furt erfuhren zwar 1936, daß die Todesnachricht von 1934 falsch war; denn etwa 1936 gelang es einer anderen Nichte Münzen- bergs, einer Tochter seines Bru- ders Karl Münzenberg, den Onkel in Paris zu besuchen. Doch was in den folgenden vier Jahren geschah, hat Schwe- ster Emmy nie verläßlich erfah- ren können. Wußte sie, daß ihr Bruder sich der kommunistischen Bewegung entfremdet und sich im März 1939 von ihr gelöst hatte? Erfuhr sie, daß es we- gen unterschiedlicher Meinun- gen über die Dimensionen der Volksfront und wegen der Mos- kauer Prozesse zum Bruch ge- kommen war? Und ahnte sie, daß er, der vom ersten sozialistischen Land der Welt immer so begei- stert gesprochen hatte, sich ab etwa 1937 weigerte, in die So- wjetunion zu reisen? Ab Som- mer 1941, nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, wird Emmy Suckert oft an den Bruder ge- dacht haben. Sie starb -1944 in Erfurt. In Friemar, wo der alkoholi- sierte Vater einst seinem Sohn einen Strick in die Hand gab mit den Worten: „Du bist zu nichts zu gebrauchen, häng' Dich auf!", erinnert jedenfalls seit Montag eine schöne Messingtafel an Willi Münzenbergs wichtigste und bleibende Leistungen für die revolutionäre Arbeiterbewegung. Und auf seinem Grab im fernen Montagne liegt seit Montag ein Kranz der Sozialistischen Ein- heitspartei Deutschlands. Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Jugendbewegung NEUER DEUTSCHER VERLAG BERLIN WS ItmuMii um einen sachlichen Dialog Namibia eine Zeit des Wagens und Wagens Angebot für die gemeinsame Zukunft Der Rysy ließ nur von oben herab grüßen Legenden und Wahrheiten mit der Jahreszahl 1934 11 1 • • Peter Koep Tulinane Emvula Von Michael B auf eld Grabstein in Montagne 1914 von WILLI MÜNZENBERG M IM m Neues Deutschland / 19./20. August 1989 / Seit« 9 Reportage Gipfeltreffen vereinte Jugendliche aus acht Ländern Augenzeugenbericht aus Windhoek: Impressionen und Gespräche vor den Novemberwahlen Von Bernd G r ä ß I e r Zum 100. Geburtstag ein illustrativer biographischer Streifzug / Von Dr. Harald Wcsscl DIE DRITTE FRONT «? 3Or m 7nJm»kTttf im äer ffesfaft OnfaL ÜXUIHüters ßrucfcr Emmy Suckert geb. Münzenberg, 1926 „Herrenhaus" Zingst heute Willi Münzenberg seine frühen Jahre in Thüringen (4/Schluß)

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Page 1: Legenden und Wahrheiten mit der Jahreszahl 1934

Beim Besuch von UNO-Generalsekretär Perex de Cuellar in Oshakati, Ovomboland, forderten Frauen die Beseitigungder berüchtigten Terrorgruppe „Koevoet* aus d*r Polizei Fotos: ND/Gräßler; ZB/Pressfoto

Nahe der Stadt Rundu im Norden des Landes sind diese finnischen Sol-daten, die der UNO-Unterstützungsgruppe angehören, stationiert

„Noch niemals zuvor haben wirNamibier uns einander so nahegestanden. Gemeinsam entschei-den wir über die Zukunft unse-res Landes." So beschwört derSprecher des Südwestafrikani-schen Rundfunks täglich mehr-mals die Hörer, sich für die No-vemberwahlen zur Unabhängig-keit registrieren zu lassen. Har-monie suggeriert auch der all-abendliche Fernsehwerbespot, derlachende Namibier aller Rassenin einer glücklichen Familie ver-eint zeigt.

Doch in der kommerziellen Ver-packung steckt ein Stück namibi-scher Realität. Wer das Land indiesen Tagen besucht, kann dieaufbrechenden Anfänge der For-mierung einer neuen, unabhän-gigen Nation beobachten, in deralle ihren Platz suchen und fin-den müssen — Ovambos undWeiße, Hereros, Mischlinge undBuschmänner. Die 1,3 MillionenNamibier gehören elf größerenund einer Vielzahl kleinerer Be-völkerungsgruppen an. Ein Jahr-hundert deutscher und südafrika-nischer Kolonialherrschaft habenNamibia zudem politisch zer-stückelt, die ethnische Zersplitte-rung zementiert. Die 1987er Aus-gabe des „Political who's who ofNamibia*4 führt allein 49 politi-sche Parteien und Gruppierungenauf; inzwischen sind es nochmehr.

Derzeit konzentriert sich dieUNO-Hilfsgruppe UNTAG aufdie Kontrolle eines freien undfairen Wahlprozesses, besondersdie korrekte Wahlkampagne undWählerregistrierung, die seit An-fang Juli laufen. Indes ist denmeisten Namibiern klar, daß dieUNTAG ihnen nicht die Verant-wortung für. ihre eigene Zukunftabnehmen kann. Peter Koep,38jähriger Anwalt, hat deshalbschon vor drei Jahren eine poli-tische Gruppe-; gegründet, derenName „Namibia Peace Plan 435"an die entsprechende Resolutiondes UNO-Sicherheitsrates erin-nert. Sie bemüht sich, einen Dia-log der unterschiedlichen politi-schen und ethnischen Kräfte her-beizuführen. „Ich bin nichtweißer Namibier, sondern Nami-bier", sagt Koep, das Programmder Gruppe auf die knappste For-mel bringend.

Ende Juli hatte die Gruppe ineiner Messehalle Windhoeks Ver-treter der SWAPO, der Demokra-tischen Turnhallen-Allianz (DTA),des progressiven Wahlbündnisses

NNT und der konservativen wei-ßen Nationalen Partei zur öffent-lichen Debatte zusammenge-bracht. Wie die Sympathien ver-teilt sind, bekommt Jannie deWet, ehemaliger Minister der vonPretoria eingesetzten und erst imFebruar aufgelösten „Übergangs-regierung" Namibias, zu spüren.Hinter seiner Nationalen Parteisteht ein guter Teil der weißenGeschäftswelt Namibias und nichtzuletzt die im Nachbarland Süd-afrika regierende Nationale, Par-tei.' Unangenehmen Fragen 'mußsich.auch Moses Katjiuongua.vonder DTÄ erwehren, ebenfallsfrüherer Minister. Wie man Ver-trauen zu jemandem haben solle,der in den Diensten des Feindesgestanden habe, will ein jungerMann wissen. Es ist der einzigeMoment, in dem Emotionen dieDiskussion außer Kontrolle ge-raten zu lassen drohen. „Wir soll-ten uns davor hüten, andere zubeschimpfen, wenn wir eine neueNation aufbauen wollen", appel-liert Veranstalter Koep an dieZuhörer.

Sehr unterschiedlich sind dieVoraussetzungen, unter denendie verschiedenen politischen

Gruppen Namibias ihren Weg inden neuen Staat antreten. DieSWAPO tut es mit der Autoritätund dem Selbstbewußtsein dereinzigen politischen Kraft, diejahrzehntelang konsequent dieOkkupanten bekämpft hat.

„Gegen uns werden derzeit vie-le Mittel eingesetzt, um unserenWahlkampf zu behindern. Aberwir glauben, daß wir dem stand-halten können", sagte mir imSWAPO-Hauptquartier in derWJndhoeker.. - Goethestraße dasZK-Mitglied Tulinane Emvula,langjährige*! OS Vertreter» ctierSWAPO in der DDR. „UnserVolk hat lange genug unter demsüdafrikanischen Kolonialismusgelitten, die Menschen wissen,was sie wollen. Und wir, dieSWAPO, haben eine Botschaft fürsie. Wir haben Vertrauen in dasVolk."

„Über den Ausgang der Wah-len spekulieren zu wollen istmüßig. Sollten sie frei und fairverlaufen, werden der SWAPOvon nahezu allen Beobachterngroße Chancen eingeräumt,stärkste Partei in der 72köpfigenVerfassungsgebenden Versamm-

lung zu werden. Die SWAPO hatzunächst alle Koalitionen vor derWahl abgelehnt, schließt diesefür die Zeit danach aber nichtaus.

Das Hauptquartier des vermut-lich einzigen ernsthaften Rivalender SWAPO, der „DemokratischenTurnhallen-Allianz", liegt schräggegenüber dem SWAPO-Sitz. Denweißen Führer der DTA, DirkMudge, konnte ich nicht sprechen,er weilte gerade auf Einladungder britischen Regierung in Lon-don. Dafür stand Tanuel Kozon-guizi, ebenfalls Exminister, zurVerfügung. Nur die DTA sei inder Lage, das dringend benötigteGeld für die Entwicklung Nami-bias zu beschaffen, erklärte ermir. Sie werde Investoren anlok-ken und verfolge keine Politik,die die Weißen aus dem Landtreibe. Außerdem verfüge sieüber die Erfahrung einer zehn-jährigen Regierungszeit. (1978,als die SWAPO nicht an denWahlen teilnahm, bekam die vonSüdafrika protegierte DTA 80Prozent der Stimmen.)

„Ob das in den Augen derschwarzen Bevölkerungsmehrheitein Plus ist?" zweifle ich. „Na-türlich, wenn Sie heute fragen,welcher Partei die Interessen derSchwarzen am "HerzeiTT'liegen,werden Sie gewöhnlich zur Ant-wort bekommen: ,der SWAPO1.Aber es ist das eine, im Buschzu kämpfen, etwas anderes, dasLand zu regieren . . ."

Neben der SWAPO, der DTAmit ihren 11 Koalitionsparteienund der Nationalen Partei, habensich nur noch wenige politischeKräfte landesweit profiliert.

Das übrige Parteienspektrumwiderspiegelt die ethnische Zer-splitterung. Viele Parteien habennur regionale oder gar nur lokaleBedeutung. Die im Entwurf desWahlgesetzes vorgesehene Bedin-gung, 2000 Mitglieder vorzuwei-

sen, um an der Wahl teilzuneh-men, dürfte für viele zur Klippewerden und könnte zugleich inden nächsten Wochen zu neuenBündnissen führen.

Südafrika und seine namibi-sche Gefolgschaft konzentrierenihr Feuer auf die SWAPO, wobeisie die Unübersichtlichkeit derLage, vorhandene Ressentimentsund Stammesgegensätze nutzen.

Ungeachtet der Tatsache, daßSüdafrika ein Hauptakteur beider Verwirklichung des Namibia-planes der UNO ist und sich be-reit zeigt, die UnabhängigkeitNamibias zu akzeptieren, ist Pre-toria bestrebt, den Einfluß derSWAPO so gering wie möglichzu halten. Dabei setzt Südafrikavor allem auf die weiße Minder-heit. Es ist in Windhoek kein Ge-heimnis, daß nur wenige Weißedie SWAPO wählen werden -trotz des von ihr vorgelegten rea-listischen Wahlprogrammes, dasauf Zusammenarbeit und Ver-ständigung zielt.

Seine Wirkung verfehlt esdennoch nicht, der von man-chen herbeigeredete Exodusder weißen Unternehmer undSpezialisten wird wohl nichtstattfinden. „Das Land verlassenwerde ich erst, wenn mir dasLeben unerträglich gemacht wür-de, und das erwarte ich nicht,auch nicht unter der SWAPO",sagte mir Carl-Ludwig List. SeineFamilie besitzt in Windhoek dieBrauerei, die Schlachterei, dieHotelkette Namib-Sun und zweiFischfabriken. List ist derzeitdabei, ein neues Einkaufszentrumzu errichten, und hält auch posi-tive wirtschaftliche Aspekte derUnabhängigkeit, wie größere Ex-port- und Importmöglichkeitennach Wegfall der Sanktionen fürmöglieh. Auch der Farmer Ulf-Dieter Voigts von der „Interes-sengemeinschaft deutschsprachi-ger Südwester", die schon seitlangem mit der SWAPO im Ge-spräch ist, denkt nicht ans Kof-ferpacken.

„Wer von den weißen Nami-biern aufmerksam unser Wahl-programm gelesen hat, sieht, daßkein Grund zur Angst besteht.Wir haben für die Befreiung Na-mibias gekämpft, einschließlichder Befreiung der Weißen in die-sem Land", sagte ZK-MitgliedTulinane Emvula in unserem Ge-spräch. Dies ist ein Angebot fürdie gemeinsame Zukunft.

Gewarnt waren wir. „Schnee-fall über Hoher Tatra" meldetendie Zeitungen Ende Juli. — der-gleichen hatte es seit 40 Jahrenum diese Zeit nicht gegeben. Keingutes Omen für den 33. Interna-tionalen Aufstieg der Jugend aufden 2499-Meter-Gipfel Rysy, zudem sich Anfang August über 5000junge Leute aus allen Bezirkender CSSR sowie aus acht weiterenLändern in der Hohen Tatra tra-fen.

So stand ich denn mitten imSchnee. Am Bergsee Zabie Plesoin 1919 Meter Höhe. Die Gipfelzeigten ihre kalte Schulter oderverbargen sie in dunklen Wolken,aus denen ein wenig Schnee rie-selte. Den steilen, steinigen Weg amHang unterhalb des Sees schlän-gelte sich an diesem Vormittagunverdrossen die Schar der „Gip-

festspiele von Phjöngjang ebensowie im Zeltlager in TatranskaLomnica am Fuße der HohenTatra.

„Es ist nicht nur das Symbol.Es ist die Stimmung, die ich auchin Phjöngjang erlebt habe",meinte Anibal Morgado aus Mo-cambique. Er wünschte sich einähnliches „Gipfeltreffen" in Mo-cambique, wo es auch wunder-bare Gebirgslandschaften gebe.„Doch gegenwärtig haben wir an-dere Sorgen. Um so wichtiger istes, daß wir die Sympathie undSolidarität spüren."

Für die junge Studentin aneiner Moskauer medizinischenFachschule, Swetlana Charla-mowa, bietet das Treffen in derHohen Tatra eine gute Gelegen-heft, Nachbarn näher kennenzu-lernen. „Zum erstenmal im Aus-land, da interessiert einen alles

Eis und Schnee erzwangen hier, etwas oberhalb des Zabie Pleso, das Endedes Aufstieges - Foto: ND/Baufeld

felstürmer" hinauf. So mancherkam ins Schwitzen.

Dabei waren „nur" 600 MeterHöhenunterschied zu bewältigen,denn der Zabie Pleso war in die-sem Jahr bereits Endstation aufdem Weg zum Rysy. Der Organi-sationsstab hatte noch am Morgenvor dem Start mit Meteorologenund Mitarbeitern des Bergret-tungsdienstes beraten, erklärte mirJan Kovär, Chef des Stabes.„Durch Schnee und Eis ist der wei-tere Aufstieg für Ungeübte einegefährliche Sache. Sicherheit istoberstes Gebot." Entlang desWeges begegneten wir immerwieder den Männern des Bergret-tungsdienstes.

Trotz der Widrigkeiten — derRysy wurde dennoch „bezwun-gen". Nicht von Hunderten in die-sem Jahr, sondern nur von zweiBergsteigern, die dort einen Kranzzu Ehren Lenins niederlegten.Lenin hatte im Sommer 1913 denRysy erklommen. Das inspirierte,in den Sommertagen des Jahres1957, als sich junge Leute vonallen Kontinenten in Moskau zuden VI. Weltfestspielen trafen,40 junge Slowaken, den Aufstiegnachzuvollziehen. Damit wurdeeines der größten Treffen des So-zialistischen Jugendverbandes derCSSR aus der Taufe gehoben, des-sen Kürzel „MVMR" rasch lan-desweit Popularität gewann. Vonder Premiere bis heute spielendie Weltfestspiele eine zentraleRolle. Auf den Plakaten des33. Jahrgangs des Rysy-Aufstiegsfand sich das Symbol der Welt-

— von den Wegen zur Lösung ge-sellschaftlicher Probleme bis zurRockmusik." Osman Maltreco ausGuantanamo in Kuba war ausdem böhmischen Chomutov ange-reist, wo er sich mit weiteren Ku-banern zum Facharbeiter qualifi-ziert. Unter den jungen Bergstei-gern fühle er sich wie in einerFamilie, bekannte er.

Das Treffen in der HohenTatra ist mehr als nur der Auf-stieg. Dazu gehörten auch in die-sem Jahr freiwillige Arbeitsein-sätze. Mit ihnen unterstützt derJugendverband die großen An-strengungen zur Erhaltung dereinzigartigen Landschaft desTatra-Nationalparkes. Jährlichbesuchen rund fünf MillionenMenschen das kleinste Hochgebir-ge der Welt. Und nicht jeder be-gegnet der Natur mit Achtung.

Nach getaner Arbeit, nach an-strengendem Aufstieg oder Frie-densmeilen-Lauf mangelte esnicht an Möglichkeiten zur Ent-spannung. Alle Programm-Fädenin der Hand hatte LagerleiterLadislav FapSo, der selbst nichtmehr weiß, wie oft er auf demRysy war („Bei 100 habe ich mitdem Zählen aufgehört"). VonFolklore bis Rock, von Diskus-sionsrunden bis zum Schubkar-ren-Grand-Prix reichte die Ver-anstaltungspalette.

Fazit von Henriette Cierna undAndrea Outratova, Schülerinnenaus dem slowakischen Kreis Mar-tin: Das Treffen war ein Erlebnis.Wer einmal dabei war, kommtwieder...

Willi Mumenberg(14. August U M bis Juni 1940)

Dem 100. Geburtstag Willi Mün-zenbergs am vergangenenMontag war ein mehrteili-

ger Report gewidmet, der neuebiographische Informationen be-sonders aus den noch wenig er-forschten frühen Jahren des le-gendären deutschen Kommuni-sten in Thüringen vermittelte unddessen abschließender Teil hiererscheint. Die drei ersten Teile„Am Hügel und im Tivoli einerder besten Redner", „Eine Kind-heit zwischen Dorfschule undSchenke" sowie „In Sonneborns,Zur Rose' keimte schon Solidari-tät" veröffentliche NEUESDEUTSCHLAND in den Aus-gaben vom 29./30. Juli (Seite 11),5./6. August (Seite 9) und 12./13.August 1989 (Seite 11).

Die für gute Bücher wie fürMillionen von Menschen bedroh-lichsten Jahre deutscher Ge-schichte muß es in Erfurt über-standen haben: das stark zer-lesene, etwas vergilbte und mitmancherlei Unterstreichungenversehene Exemplar von „DieDritte Front —. Aufzeichnungenaus 15 Jahren proletarischer Ju-gendbewegung", auf dessen In-nentitel jemand ein sympathi-sches Foto des Autors Willi Mün-zenberg geklebt und mit blauer

Titelblatt des Münzenberg-Budies von 1929/30 mit eingekleb-tem Foto und Eintragungen der Nichte Else Merkel geb. Blon-kenburg (links). Die Tafel an 'der „Münz" in Friemar bei Gotha(oben), enthüllt am 14. August 1989

Abb.: Gerhard Leo (1); ND/Schmidtke (1); Privatbesitz (2);ND-Repro (1); Karl-Heinz Hecker, Erfurt (1)

Tinte geschrieben hat: „OnkelWilli/Mutters Bruder" sowie „InFrankreich von der Gestapo 1934umgebracht" (siehe unsere Abbil-dung).

„Mutters Bruder" — das ver-weist auf Willi MünzenbergsLieblingsschwester Emmy Blan-kenburg, später Suckert, geb.Münzenberg (30. April 1876 bis1944), die in Erfurt, Schmidt-stedter Straße 6 oder 61, einenGemüseladen betrieb und unterderen vielen Kindern eine Toch-ter gewesen sein muß, die ihren„Onkel Willi" politisch verstandund sehr verehrte: Else Merkelgeb. Blankenburg. Wie kam dieseNichte dazu, zwischen 1934 und1936 ins Buch zu schreiben, OnkelWilli sei in Frankreich von derGestapo umgebracht worden?

Die Legende kann sich im Fe-bruar 1934 in Erfurt verbreitet

haben, nachdem die GestapoJohn Schehr, den beliebten Ar-beiterführer, sowie drei weitereKPD-Funktionäre (Eugen Schön-haar, Rudolf Schwarz und ErichSteinfurth) am 1. Februar in derPrinz-Albrecht-Straße bestialischermordet hatte. Die Legendekönnte auch nach dem 30. Juni1934 entstanden sein, als Hitlerden sogenannten Röhm-Putscherfand, um über 1000 Personenvon der SS aus dqp Betten holenund auf der Stelle erschießen zulassen, darunter bürgerlicheOppositionelle, aber auch zahl-lose SA-Führer wie Altnazi ErnstRöhm. Wer solchen ungeheuer-lichen Mordterror praktizierte,dem war auch die ErmordungMünzenbergs im Ausland zuzu-trauen.

Doch in der „Nacht der langenMesser" des „Röhm-Putsches"

befand Münzenberg sich auf demAtlantik. Er reiste in die USA,um dort rechtzeitig einen Gegen-prozeß gegen den von den Nazisangekündigten, aber nie durch-geführten Prozeß gegen denKPD-Vorsitzenden Ernst Thäl-mann zu organisieren. VomRöhm-Massaker schockiert, ge-statteten die US-Behörden Mün-zenberg sogar eine Versamm-lungstour durch die Staaten.Zehntausende Nordamerikanerund selbst bürgerliche Blätterwurden von Münzenberg zumKampf um die Befreiung ErnstThälmanns mobilisiert.

Der Nazibotschafter in Wa-shington rannte Tag für Tag zurUSA-Regierung, um gegen Mün-zenbergs Aktivität zu intervenie-ren. Von den Hitlerfaschistenausgehaltene deutschsprachigeZeitungen in den USA hetzten

gegen Münzenberg, den sie einen„bolschewistischen Juden" nann-ten, in der obskuren Annahme,damit eine doppelte Herabsetzungzu bewirken. Auch in dieser Hetz-kampagne log die Goebbels-Presseso schamlos wie gewohnt. Goeb-bels mußte wissen, daß Münzen-bergs Vater aller Wahrscheinlich-keit nach der Sohn eines Ritter-gut-Besitzers aus altem preußi-schem Adel war. Und wenn manheute das Gutshaus Zingst beiNebra an der Unstrut, in dem einKinderheim untergebracht ist,näher betrachtet, dann fällt amGiebel neben der Jahreszahl derErrichtung (1665) die anmaßendeJahreszahl einer Teilrenovierungauf: 1934!

Das Haus, in dem Willi Mün-zenbergs mutmaßlicher, aber un-ehelicher Großvater väterlicher-seits, der Freiherr Wilhelm Adolfvon Seckendorff (1801 bis 1866)residierte, bis er sich im Preu-ßisch-Österreichischen Krieg von1866 den Tod holte, gehörte 1934zum Feudalbesitz der Grafen vonHelldorf (früher: Helldorff).Einer von ihnen, Wolf Heinrichvon Helldorf (1896 bis 1944),hatte sich besonders intensiv ander Hitlerbewegung beteiligtund war 1933 in den Reichstags-brand verstrickt. Als Polizeiprä-sident von Berlin tat er sich beider Verfolgung von Kommuni-sten, Sozialdemokraten und links-

intellektuellen Antifaschistenhervor. 1944 versuchte von Hell-dorf, Anschluß an die Wider-standsbewegung des 20. Juli zugewinnen. Weil die Berliner Po-lizei am 20. Juli 1944 nicht gegenStauffenberg vorging, wurdeHelldorf am 15. August 1944 inBerlin-Plötzensee hingerichtet.

Willi Münzenberg hat dasnicht mehr erlebt. Obschon1934 fälschlich totgesagt, warihm kein langes Leben beschie-den. Im Mai 1940, nach Beginndes „Westfeldzuges" der Nazl-wehrmacht interniert, dann indas Lager Chambaran bei Lyonübergeführt, wagte Münzenbergam 20. Juni 1940 die Flucht inRichtung Schweiz. Am 17. oder18. Oktober 1940 wurde seine Lei-che im Wald bei Montagne imDepartement Isere gefunden. DieGendarmerie von Saint-Marcellinuntersuchte den Fall, identifi-zierte den Leichnam und konsta-tierte Selbstmord1, Via sich einStück Strick noch am Hals desToten befand.

Willi Münzenbergs SchwesterEmmy sowie deren Kinder in Er-furt erfuhren zwar 1936, daß dieTodesnachricht von 1934 falschwar; denn etwa 1936 gelang eseiner anderen Nichte Münzen-bergs, einer Tochter seines Bru-ders Karl Münzenberg, denOnkel in Paris zu besuchen.

Doch was in den folgendenvier Jahren geschah, hat Schwe-ster Emmy nie verläßlich erfah-ren können. Wußte sie, daß ihrBruder sich der kommunistischenBewegung entfremdet und sichim März 1939 von ihr gelösthatte? Erfuhr sie, daß es we-gen unterschiedlicher Meinun-gen über die Dimensionen derVolksfront und wegen der Mos-kauer Prozesse zum Bruch ge-kommen war? Und ahnte sie, daßer, der vom ersten sozialistischenLand der Welt immer so begei-stert gesprochen hatte, sich abetwa 1937 weigerte, in die So-wjetunion zu reisen? Ab Som-mer 1941, nach Hitlers Überfallauf die Sowjetunion, wird EmmySuckert oft an den Bruder ge-dacht haben. Sie starb -1944 inErfurt.

In Friemar, wo der alkoholi-sierte Vater einst seinem Sohneinen Strick in die Hand gab mitden Worten: „Du bist zu nichtszu gebrauchen, häng' Dich auf!",erinnert jedenfalls seit Montageine schöne Messingtafel an WilliMünzenbergs wichtigste undbleibende Leistungen für dierevolutionäre Arbeiterbewegung.Und auf seinem Grab im fernenMontagne liegt seit Montag einKranz der Sozialistischen Ein-heitspartei Deutschlands.

Aufzeichnungen aus 15 Jahrenproletarischer Jugendbewegung

N E U E R D E U T S C H E R V E R L A GB E R L I N WS

I tmuMii um einensachlichen Dialog

Namibia — eine Zeitdes Wagens und Wagens

Angebot für diegemeinsame Zukunft

Der Rysy ließ nur vonoben herab grüßen

Legenden und Wahrheitenmit der Jahreszahl 1934

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Peter Koep Tulinane Emvula

Von Michael B a u f e l d

Grabstein in Montagne 1914

von

WILLI MÜNZENBERG

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Neues Deutschland / 19./20. August 1989 / Seit« 9Reportage

Gipfeltreffen vereinte Jugendliche aus acht Ländern

Augenzeugenbericht aus Windhoek:

Impressionen und Gespräche vor den NovemberwahlenVon Bernd G r ä ß I e r

Zum 100. Geburtstag ein illustrativer biographischer Streifzug / Von Dr. Harald Wcsscl

DIE DRITTE FRONT«? 3Orm

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OnfaL ÜXUIHüters ßrucfcrEmmy Suckert geb. Münzenberg, 1926 „Herrenhaus" Zingst heute

Willi Münzenberg — seine frühen Jahre in Thüringen (4/Schluß)