kurt schäfer zum 70. geburtstag

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Kurt Schäfer zum 70. Geburtstag Am 21. Mai 2006 wurde mein universitä- rer Weggefährte und kollegialer Freund Kurt Schäfer 70 Jahre alt! Ich wünsche ihm alles Gute und weiter glückliche Jahre im Kreise seiner Familie mit Enkeln und Hausmusik und dazu weitere abenteuer- liche Reisen im VW-Bus mit seiner Frau Christel. Seit seiner Berufung an das In- stitut für Massivbau der Universität Stutt- gart im Juni 1976, an dem ich bereits im Oktober 1974 die Nachfolge von Fritz Leonhardt angetreten hatte, bis zu unse- rem etwa gleichzeitigen Ausscheiden im Jahre 2000 haben wir eng, vertrauensvoll und stets konstruktiv zusammengearbeitet, ich möchte behaupten, auch recht pro- duktiv und uns gegenseitig stimulierend, ohne dabei unseren dritten im Bunde, Karl-Heinz Reineck, und unsere vielen tüchtigen Mitarbeiter unerwähnt zu lassen. Kurt Schäfer stammt aus Mannheim und hat von 1954 bis 1960 an derTechnischen Hochschule in Karlsruhe studiert und dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Assistent von Professor Gotthard Franz am Lehrstuhl für Beton- und Stahl- betonbau über Kreiszylinderschalen mit Auszeichnung promoviert. Die Vielfalt der Forschungstätigkeit von Professor Franz, vom Tragverhalten des Stahlbetons über die Berechnung von Flächentrag- werke bis hin zur Auseinandersetzung mit Schwingungsproblemen haben Kurt Schäfer offenbar geprägt: Er hat sich stets neuen Herausforderungen gestellt und sich nie unnötig spezialisiert. Er genoß offenbar wegen seiner über- aus soliden Grundkenntnisse und seines fachlichen Eifers das volle Vertrauen sei- nes Professors Franz. Er machte ihn be- reits damals zum Mitverfasser seiner von der Fachwelt hochgeschätzten „Konstruk- tionslehre des Stahlbetons“, später zum maßgebenden Co-Autor des hochinter- essanten und breit angelegten Bandes II: Tragwerke, den er mir 1991 „ … nach längerer Zeit als geplant und mehr Mühe als erwartet, mit Zweifeln, ob es sich ge- lohnt hat, … aber doch erleichtert“ wid- mete, typisch für seine selbstkritische und zum Konsens neigende Art. Er genoß sehr ein einjähriges For- schungsstipendium an der Stanford-Uni- versity in den USA, wo er 1967/68 unter Professor Flügge über Schalentragwerke arbeiten durfte. Als Flügge seinen Schüler Schäfer 1982 in Stuttgart besuchte und der ihn zu mir nach Hause zum Kaffee- klatsch brachte, wurde aus dem Autor eines hoch berühmten Buches über Schalenstatik plötzlich ein liebenswerter Mensch, unvergeßlich! Von 1969 bis 1972 arbeitete Kurt Schäfer im technischen Büro der Firma Grün + Bilfinger AG in Mannheim so er- folgreich an kniffligen Berechnungen von Ingenieurbauten, daß man ihn 1972 die Leitung der Gruppen „Spannbetonbehäl- ter“ sowie „Liner und Abschlüsse“ der Firma Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH (vormals BBC Krupp) übertrug. Er entwickelte geeignete Konstruktionen 548 Termine / Persönliches Stahlbau 75 (2006), Heft 6 Persönliches

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Kurt Schäfer zum 70. Geburtstag

Am 21. Mai 2006 wurde mein universitä-rer Weggefährte und kollegialer FreundKurt Schäfer 70 Jahre alt! Ich wünscheihm alles Gute und weiter glückliche Jahreim Kreise seiner Familie mit Enkeln undHausmusik und dazu weitere abenteuer-liche Reisen im VW-Bus mit seiner FrauChristel. Seit seiner Berufung an das In-stitut für Massivbau der Universität Stutt-gart im Juni 1976, an dem ich bereits imOktober 1974 die Nachfolge von FritzLeonhardt angetreten hatte, bis zu unse-rem etwa gleichzeitigen Ausscheiden imJahre 2000 haben wir eng, vertrauensvollund stets konstruktiv zusammengearbeitet,

ich möchte behaupten, auch recht pro-duktiv und uns gegenseitig stimulierend,ohne dabei unseren dritten im Bunde,Karl-Heinz Reineck, und unsere vielentüchtigen Mitarbeiter unerwähnt zu lassen.

Kurt Schäfer stammt aus Mannheim undhat von 1954 bis 1960 an derTechnischenHochschule in Karlsruhe studiert unddort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter,später Assistent von Professor GotthardFranz am Lehrstuhl für Beton- und Stahl-betonbau über Kreiszylinderschalen mitAuszeichnung promoviert. Die Vielfaltder Forschungstätigkeit von ProfessorFranz, vom Tragverhalten des Stahlbetonsüber die Berechnung von Flächentrag-werke bis hin zur Auseinandersetzungmit Schwingungsproblemen haben KurtSchäfer offenbar geprägt: Er hat sichstets neuen Herausforderungen gestelltund sich nie unnötig spezialisiert.

Er genoß offenbar wegen seiner über-aus soliden Grundkenntnisse und seinesfachlichen Eifers das volle Vertrauen sei-nes Professors Franz. Er machte ihn be-reits damals zum Mitverfasser seiner vonder Fachwelt hochgeschätzten „Konstruk-tionslehre des Stahlbetons“, später zummaßgebenden Co-Autor des hochinter-essanten und breit angelegten Bandes II:Tragwerke, den er mir 1991 „ … nachlängerer Zeit als geplant und mehr Müheals erwartet, mit Zweifeln, ob es sich ge-lohnt hat, … aber doch erleichtert“ wid-mete, typisch für seine selbstkritischeund zum Konsens neigende Art.

Er genoß sehr ein einjähriges For-schungsstipendium an der Stanford-Uni-versity in den USA, wo er 1967/68 unterProfessor Flügge über Schalentragwerkearbeiten durfte. Als Flügge seinen SchülerSchäfer 1982 in Stuttgart besuchte undder ihn zu mir nach Hause zum Kaffee-klatsch brachte, wurde aus dem Autoreines hoch berühmten Buches überSchalenstatik plötzlich ein liebenswerterMensch, unvergeßlich!

Von 1969 bis 1972 arbeitete KurtSchäfer im technischen Büro der FirmaGrün + BilfingerAG in Mannheim so er-folgreich an kniffligen Berechnungen vonIngenieurbauten, daß man ihn 1972 dieLeitung der Gruppen „Spannbetonbehäl-ter“ sowie „Liner und Abschlüsse“ derFirma Hochtemperatur-ReaktorbauGmbH (vormals BBC Krupp) übertrug.Er entwickelte geeignete Konstruktionen

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für Spannbetondruckbehälter für Hoch-temperatur-Reaktoren, befaßte sich mitderen sicherheitstechnischen Belangenbis hin zur Erstellung der Unterlagen fürdie atomrechtliche Genehmigung desHTR-Spannbeton-Reaktordruckbehältersund wurde bald in den ad-hoc-Ausschuß„kerntechnischer Ingenieurbau“ berufen.Daneben übernahm er Lehraufträge ander Universität Karlsruhe über Flächen-tragwerke, die großen Anklang fanden.

Dieser Neigung zur Lehre und zurGrundlagenforschung nachgebend undwohl auch wegen des zunehmenden Ge-genwinds, in den die Kernenergienutzunggeriet, bewogen ihn 1976, sich auf dieStelle des plötzlich erkrankten ProfessorsEduard Mönnig am Institut für Massiv-bau der Universität Stuttgart zu bewerben– natürlich erfolgreich. Dort blieb er un-angefochten, weil kompetent und zu-packend aber nie mißgünstig und deshalbhochgeschätzt von seinen Kollegen bis zuseinem Ruhestand im Jahre 2000.

Die Studenten waren begeistert, vonseiner lebhaften und fröhlichen Art zulehren und seiner ausgeprägten Fähig-keit, selbst komplexe Sachverhalte an-schaulich zu durchleuchten, natürlichdank seines sehr soliden und tiefen Fach-wissens. Davon profitierten auch unserevielen Doktoranden, denen seine Türstets offen stand und durch die sie nieohne klare Antworten oder stimulierendeAnregungen wieder herauskamen.

Durch Professor Kurt Schäfer botsich unserem Institut die Chance, sichmit den unterschiedlichsten Fragen undThemen, weit über den Massivbau imengeren Sinne hinausgehend, zu beschäf-tigen. Gerade deshalb ist es unmöglichalles aufzuzählen, was er oder wir gemein-sam angingen und auch wieder aufgaben,wenn uns Anderes interessanter erschien.In aller Kürze: – Als er kam, beschäftigten wir uns ge-rade mit den winderregten Schwingun-gen von Fernsehtürmen und führtenMessungen am Funkturm Aufhausendurch; kein Problem für Kurt Schäfer,nachdem er sich bei Professor G. Franzin Karlsruhe bereits mit ähnlichen Fra-gen beschäftigt hatte. – Dazu gehörten auch Großversuchezur Ermittlung des Momenten-Krüm-mungsverhaltens von Stahlbetonröhrenunter Biegung mit Längskraft, einschließ-lich des Mitwirkens des Betons zwischenden Rissen zur Berechnung von Türmennach der Theorie II. Ordnung. – Hinzu kamen Versuche zum Stoß vonSchleuderbetonmasten mit Stahlrohr-manschetten. – Angeregt durch unsere Arbeit mit Glas-faserbeton und den Bau eines großenHyparschalen-Pavillons für die Bundes-gartenschau 1977 in Stuttgart und durchunsere Versuche, GFB als verlorene

Schalung einzusetzen, beschäftigte unsdas Herstellen, das Tragverhalten unddie Gebrauchsfähigkeit von Stahlbeton-elementen mit Ferrozement als Schalungund als Hautbewehrung. – Hinzu kamen klassische Themen desMassivbaus, wie Untersuchungen an 20Jahre alten Spannbetonträgern, ein Bei-trag zur Berechnung und Bemessungvon Hohlkastenbrücken, Versuche zumTragverhalten von Stahlbetonplattenbal-ken und zur Druck-Querzugfestigkeitdes Stahlbetons, Beiträge zum CEB-Mo-del Code bis unser ganzes Institut im-mer mehr von zwei Themen in Beschlaggenommen wurde:

1. dem konsistenten Bemessen undKonstruieren des Stahlbetons und Spann-betons mit Stabwerkmodellen, beruhendauf der Tatsache, daß dieser komplexeWerkstoff keineswegs induktiv mit „wirk-lichkeitsnahen“ Versuchsreihen undbest-fit-Anpassungen verstanden und be-messen werden kann, sondern aus prak-tischer Sicht nur mit deduktiv konzipier-ten anschaulichen Modellen, eben denStabwerkmodellen als Erweiterung undVerallgemeinerung der längst bekanntenFachwerkmodelle. Nach dem erstenGrenzwertsatz der Plastizitätstheorieführen sie immer zu sicheren Ergebnis-sen, wenn die Gleichgewichtsbedingun-gen erfüllt sind und nirgends die Fließ-grenze des Werkstoffs überschritten wird,während für die Verträglichkeit eine Ori-entierung der Modelle am Kraftfluß nachder Elastizitätstheorie genügt. Erst wennso ein lückenloses Bewehrungsbild ent-wickelt ist und die Knoten sauber defi-niert sind, ist es möglich und in Einzel-fällen sinnvoll, eine „genaue“ physika-lisch und gar geometrisch nichtlineareFE-Berechnung anzuschließen. Danktüchtiger Mitarbeiter und Doktorandenentwickelten sich daraus unter der Feder-führung von Kurt Schäfer u. a. ein Heftdes Deutschen Ausschusses für Stahlbe-ton, ein CEB-Bulletin, ein Journal desUS-Prestressed Concrete Institute undder regelmäßig im Betonkalender abge-druckte Beitrag „Konstruieren im Stahl-betonbau“. Das alles sind Belege fürKurt Schäfers fundiertes Wissen, Gründ-lichkeit und Fantasie. So fanden dieStabwerkmodelle ihren Niederschlagauch in den DIN-, EC-, ACI- und man-chen anderen internationalen Normenund wurden dank Karl-Heinz Reineckdie FIP Recommendations ganz auf die-ses Konzept eingestellt

Damit war nur konsequent, daß wiruns zunehmend nicht nur mit den Bau-teilen, sondern mit den Bauwerken bzw.Tragwerken als Ganzes beschäftigten,Fragen der Aussteifung von Stahlbeton-skelettbauten ebenso nachgingen wiedem fugenlosen Bauen im Brücken- undHochbau. Unser ganzes Wissen über die

Trag- und vor allem Verformungsfähig-keit des Stahlbetons unter Last undZwang macht keinen Sinn, wenn wir denvon seiner Natur her monolithischen undhomogenen Stahlbeton so zerstückelnund dafür gar noch teure und wartungs-empfindliche Lager und Übergangskon-struktionen vorsehen, um ihn zwängungs-frei zu halten.

So war es wörtlich zwangsläufig, daßwir

2. das traditionsreiche Institut fürMassivbau im Jahre 1989 in Institut fürTragwerksentwurf und -konstruktionund 1996 einschließlich dem bisherigenInstitut für Stahl- und Holzbau unterder neu berufenen Professorin Dr. Ul-rike Kuhlmann in die Institute für Kon-struktion und Entwurf I und II umbe-nannten, um uns so den richtigen Rah-men zu schaffen, werkstoffübergreifendzu lehren.

Motiviert von der Überzeugung, daßmit dem Entwurf eines Bau- oder Trag-werks die Weichen für dessen Gesamt-qualität gestellt werden und der Entwurfdeshalb unseres ganzen Wissens, unse-rer Fantasie und unserer Sorgalt bedarf,und daß ein Bauherr keine Beton-brücke, kein Stahlhaus und kein Holz-dach haben will, sondern eine guteBrücke, ein gutes Haus und ein gutesDach und daß der kreative Ingenieur er-fahrungsgemäß häufig die besten Ergeb-nisse mit Werkstoffmischungen erzielt,begann Kurt Schäfer mit Frau Kuhl-mann, ein völlig neues, eben werkstoffü-bergreifendes Lehrkonzept zu ent-wickeln und zu praktizieren – natürlichneben all den Verpflichtungen, wie De-kanat oder Studienkommissionsvorsitz,denen sich ein Professor nicht entziehenkann. Nur den Spezialisten wird überra-schen, daß durch eine solche Lehre dieWerkstoffeigenschaften keineswegs inunerwünschter Weise verwischt, son-dern durch die Parallelschaltung eherverdeutlicht und verständlich werden,um so den gemischten Einsatz mehrererWerkstoffe in einer Konstruktion zu sti-mulieren.

Die zwangsläufige Konsequenz ausdiesem Anspruch war ein zusätzlichesneues – bis heute in den Bauingenieur-lehrplänen wohl immer noch einmaliges –Lehrangebot, ein sich jeweils über einSemester erstreckendes Entwurfsseminarfür Bauingenieure mit dem Ziel, die durchdie vielen – natürlich notwendigen – theo-retischen Vorlesungen verschüttete Fan-tasie der Studenten wieder freizulegen undsie darüber hinaus auf ihre kulturelle Ver-pflichtung einzustimmen.

Begleitet wurde dieses neue Lehrkon-zept von einem DFG-Forschungsschwer-punkt „Forschungsgruppe Ingenieurbau-ten – Wege zu einer ganzheitlichen Be-trachtung“ FOGIB zur Beurteilung der

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Persönliches / Rezensionen

Stahlbau 75 (2006), Heft 6

Qualität von Ingenieurbauten, aber daswäre eine weitere lange Geschichte.

Mir persönlich war es dank KurtSchäfers Kollegialität, Engagement undPräsenz möglich, während all dieser Jahremeine Tätigkeit in der Praxis nebenheraufrecht zu erhalten, auch in der Hoff-nung, damit den Praxisbezug unsererLehre und Forschung sicherzustellen. Er selbst bewirkte dasselbe durch seineTätigkeit als Prüfingenieur.

Seiner Lust zu reisen und zu lehrenfrönte er mit Workshops in Japan undIndien und mit einem Lehrauftrag inBurma (Myanmar), und gerne folgte un-ser ganzes Institut seiner jährlichen Ein-ladung zur Radtour.

Gäbe es eine Möglichkeit, die ehema-ligen Bauingenieur-Studenten der Univer-sität Stuttgart zu fragen, welchem ihrerLehrer und wissenschaftlichen Begleitersie besonders viel verdanken, hinsicht-lich Wissen, Begeisterung und Mensch-lichkeit, dann stünde Kurt Schäfer sicherganz weit vorne.

Dem könnte ich mich nur ansch-ließen, in Dankbarkeit und mit allenguten Wünschen!

Jörg Schlaich