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BERLIN, APRIL 2004 2 ´2004 Kompetenzentwicklung zur Selbstorganisation nähern. Die Fähigkeit, spontan auf Kundenwünsche einzugehen, insbesondere auf solche, die nicht vorgesehen sind, wird von den Kunden honoriert. Dies setzt aber voraus, dass ein Mitarbeiter handeln kann, ohne dass klare Verfahrensanweisungen vorliegen. Wie oft haben wir schon die Aussage gehört: „Ich muss erst meinen Chef fragen, der ist aber erst übermorgen wieder erreichbar.“ Ein Qualitätsproblem schnell und realitätsnah mit Zulieferern zu klären, erfordert, dass dieses Problem als solches erkannt wird, dass durch Selbstorganisationshandeln Wege zur Lösung gefunden werden. Auch das Erkennen von Marktchancen und das darauf abgestimm- te Handeln kann nicht durch Arbeitsanweisungen und Algorithmen vollständig beschrieben werden. Die Bedeutung der Eigeninitiative und der intelligenten Interpretation von Anweisungen sowie des Sich-über-Regeln-Hinwegsetzens wird deutlich, wenn man sich einmal mit dem Phänomen des „Dienstes nach Vorschrift“ ausein- Im Wissenswettbewerb bestehen Rascher Wandel von Märkten und steigende Innovationsgeschwin- digkeit, die unter anderem in Preisverfall, kürzeren Produktlebens- zyklen, Individualisierung von Kundenbedürfnissen und neuen Ge- schäftsfeldern manifest werden, fordern von Unternehmen, schnel- ler besser zu werden. Solche Veränderungen verlangen beschleu- nigte Lernprozesse und Problemlösungen nahe am Kunden, die jedoch nicht von zentral gesteuerten, mit einem deterministischen Managementansatz geführten Unternehmen erreicht werden kön- nen. Die Komplexität der Informationsverarbeitung und Wissensge- nerierung kann nur durch Selbstorganisation der Einheiten und deren Vernetzung beherrschbar werden. Daher ist es nicht verwun- derlich, dass der Begriff der Selbstorganisation zunehmend Ein- gang in die populäre Management-Literatur findet. Eine tieferge- hende, empirisch fundierte Analyse des Phänomens der Selbstor- ganisation aus Sicht der Kompetenzforschung fehlt jedoch bisher. Ausgangspunkt für unser Projekt war die Beobachtung, dass Unternehmen sowohl eine Sensibilisierung als auch vielfach Me- thoden und Instrumente fehlen, um Selbstorganisation zu „organi- sieren“ und um die Entwicklung der für die Selbstorganisation wichtigen Kompetenzen zu unterstützen. Das Ende 2002 abgeschlossene Projekt will einen Beitrag leisten zum Verständnis und zur Entwicklung von Kompetenzen zur Selbst- organisation durch die Erforschung tatsächlich vorhandener Lern- kulturen und Kompetenzentwicklungswege, um darauf aufbauend aktuelle und künftige Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten. Bedeutung der Selbstorganisation für Unternehmen Wollen wir die Bedeutung der Selbstorganisation für Unternehmen erfassen, so scheint es sinnvoll, sich der Thematik situativ zu Im Rahmen von Organisationsveränderungen im Bun- desministerium für Bildung und Forschung wurde Herr Ministerialdirigent Ulrich Mittag mit der Leitung des Referats „Berufliche Kompetenzentwicklung und Weiterbildung, Arbeitsmarkt“ betraut und ist in die- ser Funktion auch für das Forschungs- und Entwick- lungsprogramm „Lernkultur Kompetenzentwick- lung“ zuständig. Herr Johannes Sauer hat im Januar 2004 die Leitung des Referats „Bildungsforschung, Innovationen im allgemeinen Bildungswesen“ übernommen. Wir danken Herrn Sauer – dem Initiator und jahrelan- gen Begleiter von QUEM – sehr herzlich für die erfolg- reiche Zusammenarbeit und die wirkungsvolle Un- terstützung unserer Arbeit. Wir freuen uns, dass er als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung auch in Zukunft sein fun- diertes Wissen und seine wertvollen Erfahrungen zur Bewältigung künftiger Aufgaben einbringen wird.

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QUEM-BULLETIN 2/2004 1

B E R L I N , A P R I L 2 0 0 4 2 ´ 2 0 0 4

Kompetenzentwicklung zur Selbstorganisation

nähern. Die Fähigkeit, spontan auf Kundenwünsche einzugehen,insbesondere auf solche, die nicht vorgesehen sind, wird von denKunden honoriert. Dies setzt aber voraus, dass ein Mitarbeiterhandeln kann, ohne dass klare Verfahrensanweisungen vorliegen.Wie oft haben wir schon die Aussage gehört: „Ich muss erst meinenChef fragen, der ist aber erst übermorgen wieder erreichbar.“ EinQualitätsproblem schnell und realitätsnah mit Zulieferern zu klären,erfordert, dass dieses Problem als solches erkannt wird, dass durchSelbstorganisationshandeln Wege zur Lösung gefunden werden.Auch das Erkennen von Marktchancen und das darauf abgestimm-te Handeln kann nicht durch Arbeitsanweisungen und Algorithmenvollständig beschrieben werden. Die Bedeutung der Eigeninitiativeund der intelligenten Interpretation von Anweisungen sowie desSich-über-Regeln-Hinwegsetzens wird deutlich, wenn man sicheinmal mit dem Phänomen des „Dienstes nach Vorschrift“ ausein-

Im Wissenswettbewerb bestehen

Rascher Wandel von Märkten und steigende Innovationsgeschwin-digkeit, die unter anderem in Preisverfall, kürzeren Produktlebens-zyklen, Individualisierung von Kundenbedürfnissen und neuen Ge-schäftsfeldern manifest werden, fordern von Unternehmen, schnel-ler besser zu werden. Solche Veränderungen verlangen beschleu-nigte Lernprozesse und Problemlösungen nahe am Kunden, diejedoch nicht von zentral gesteuerten, mit einem deterministischenManagementansatz geführten Unternehmen erreicht werden kön-nen. Die Komplexität der Informationsverarbeitung und Wissensge-nerierung kann nur durch Selbstorganisation der Einheiten undderen Vernetzung beherrschbar werden. Daher ist es nicht verwun-derlich, dass der Begriff der Selbstorganisation zunehmend Ein-gang in die populäre Management-Literatur findet. Eine tieferge-hende, empirisch fundierte Analyse des Phänomens der Selbstor-ganisation aus Sicht der Kompetenzforschung fehlt jedoch bisher.Ausgangspunkt für unser Projekt war die Beobachtung, dassUnternehmen sowohl eine Sensibilisierung als auch vielfach Me-thoden und Instrumente fehlen, um Selbstorganisation zu „organi-sieren“ und um die Entwicklung der für die Selbstorganisationwichtigen Kompetenzen zu unterstützen.

Das Ende 2002 abgeschlossene Projekt will einen Beitrag leistenzum Verständnis und zur Entwicklung von Kompetenzen zur Selbst-organisation durch die Erforschung tatsächlich vorhandener Lern-kulturen und Kompetenzentwicklungswege, um darauf aufbauendaktuelle und künftige Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten.

Bedeutung der Selbstorganisationfür Unternehmen

Wollen wir die Bedeutung der Selbstorganisation für Unternehmenerfassen, so scheint es sinnvoll, sich der Thematik situativ zu

Im Rahmen von Organisationsveränderungen im Bun-desministerium für Bildung und Forschung wurdeHerr Ministerialdirigent Ulrich Mittag mit der Leitungdes Referats „Berufliche Kompetenzentwicklung undWeiterbildung, Arbeitsmarkt“ betraut und ist in die-ser Funktion auch für das Forschungs- und Entwick-lungsprogramm „Lernkultur Kompetenzentwick-lung“ zuständig.

Herr Johannes Sauer hat im Januar 2004 die Leitungdes Referats „Bildungsforschung, Innovationen imallgemeinen Bildungswesen“ übernommen.

Wir danken Herrn Sauer – dem Initiator und jahrelan-gen Begleiter von QUEM – sehr herzlich für die erfolg-reiche Zusammenarbeit und die wirkungsvolle Un-terstützung unserer Arbeit. Wir freuen uns, dass erals Mitglied der Arbeitsgemeinschaft BetrieblicheWeiterbildungsforschung auch in Zukunft sein fun-diertes Wissen und seine wertvollen Erfahrungen zurBewältigung künftiger Aufgaben einbringen wird.

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ander setzt. Mitarbeiter haben schon lange erkannt, dass dassklavische Befolgen von Arbeitsanweisungen und Vorschriftendazu führt, dass eine Organisation nicht mehr handlungsfähig ist.

Versuchen wir der Erklärung und Beschreibung des PhänomensSelbstorganisation in der Theorie nachzugehen, so hat Probst(1987) „Selbst-Organisationsprozesse in sozialen Systemen ausganzheitlicher Sicht“ ausführlich analysiert und beschreibt humane,soziale Systeme als Systeme vieler Wirklichkeiten, die individuellund sozial konstruiert sind. Sie verändern sich mit den Erwartun-gen, Wahrnehmungen, Auffassungen und Wertstrukturen. DieseCharakterisierung hat für die Selbstorganisationsfrage zwei Impli-kationen. Die erste Implikation ist, dass Ordnung bzw. Selbstorga-nisation subjektiv definiert wird. Zweite Implikation für die Selbstor-ganisationsforschung humaner Systeme ist das Versagen vonAnalogien zu biologischen und physikalischen Modellen, die inso-fern ungenügend bleiben, als sie bewusste Wahl und Entschei-dungsmöglichkeiten, die Individuen in humanen Systemen haben,nicht berücksichtigen können (Probst 1987, S. 69). Wir definierenmit Probst Selbstorganisation als ein Metakonzept für das Verste-hen der Entstehung, Aufrechterhaltung und Entwicklung von Ord-nungsmustern.

Bezogen auf die Praxis stellt Probst die Frage, was Organisierenoder Führen eines selbstorganisierenden Systems bedeutet oderwie gestaltende und lenkende Prozesse Selbstorganisation fördernund zu Selbstorganisation werden. Eine zumindest partielle Ant-wort auf diese Frage findet sich bei North (2002) in seinem Konzeptzur wissensorientierten Unternehmensführung bzw. im Ansatz dessystemischen Wissensmanagement von Willke (1998). North gehtin seinem Konzept der Wissensökologie davon aus, dass wissens-orientierte Unternehmensführung vor allem bedeutet, Rahmenbe-dingungen zu gestalten, d. h. die Ökologie, in der Lösungen fürKundenprobleme „heranwachsen“, in der in einer Forschungs- undEntwicklungsökologie neue Produkte entstehen, als nicht determi-nistisch steuerbare Prozesse.

Unternehmensführung in der Praxis kann vielfach als ein Zusammen-spiel von deterministischen Ansätzen, die durch Selbstorganisationerst funktionsfähig werden, moduliert und weiterentwickelt werdenund dem Gestalten von Rahmenbedingungen bezeichnet werden,die Mitarbeiter und Mitarbeitergruppen Freiheit lassen, Entscheidun-gen und Handlungen im Rahmen ihres impliziten und explizitenWissens zu treffen. Aufgabe eines wie auch immer gearteten „Orga-nisators“ in humanen, sozialen Systemen ist damit die Schaffung undErneuerung von Kontexten, die die Freiheitsgrade oder Wahlmöglich-keiten erhöhen und damit das Potential für die Selbstregulierung undInnovation für alle Beteiligten vergrößern (Probst 1987, S. 113).

Selbstorganisation auskompetenztheoretischer Sicht

In den vorangegangenen Überlegungen zum Begriff Selbstorgani-

sation wurde deutlich, dass damit die Handhabung des Unbekann-ten, des plötzlich Sich-Verändernden, des Veränderlichen gemeintist. Dabei ist klar, dass die Beschreibung der Entwicklung vonKompetenzen an sich, d. h. die Abgrenzung niedrigerer von höhe-ren Stufen einer Kompetenz, das Thema nicht erschöpfend behan-delt, sondern es geht darum, diesen Prozess kompetenztheore-tisch zu beschreiben und zu erfassen. Es treten dabei aber mindes-tens drei Probleme auf, zu der die bisherige psychologische For-schung kein akzeptierbares erklärungsfähiges Theoriengebäudeliefern konnte. Einerseits geht es um die theoretische Abgrenzungverschiedener Stufen von Kompetenz innerhalb desselben Kompe-tenzbereichs; andererseits um ein theoretisches Modell, dass denÜbergang von einer Stufe zur nächsten erklären kann; drittens umdie Erklärung der Übertragbarkeit von Kompetenzen zwischenverschieden Kontexten.

Wir glauben, dass die Lösung für einen theoretischen Ansatz zurErklärung, Beschreibung und Analyse von Selbstorganisation alsKompetenz darin liegt, diese drei Überlegungen zu integrieren. Umuns einer solchen Lösung zu nähern, werden im Folgenden unter-schiedliche Aspekte der Fähigkeit zur Handhabung von Veränder-lichkeit im Spannungsfeld Individuum – Organisation diskutiert.Diese Aspekte müssen letztendlich beachtet werden, falls wir zueinem kompetenztheoretischen Konzept für das Konstrukt Selbst-organisation kommen wollen.

Selbstorganisation als Veränderungskompetenz?

Die vorgeschlagene Differenzierung notwendiger Kompetenzenerfolgt mit der Zielsetzung, Unternehmen und deren Personal-,Organisations- und Wissensentwicklung dahin zu entwickeln, dasssie nicht nur mehr in der Kategorie „Anpassungskompetenzen“(Anpassung an sich ändernde Gegebenheiten) denken, sondernsich dafür einsetzen „Veränderungskompetenzen“ zu entwickeln.Mit Veränderung ist dabei gemeint, sich selbst als auch die Dimen-sionen der einzelnen Handlungsfelder zu entwickeln. Anpassungs-kompetenzen zielen darauf, sich an von außen vorgegebene Anfor-derungen anpassen zu können. Veränderungskompetenzen zielendarauf hin, Individuen, Gruppen und Unternehmen so zu entwi-ckeln, dass sie Agenten sein können, die aktiv nach neuen Situa-tionen und Bedingungen suchen oder sie schaffen (alleine oderzusammen mit anderen).

Selbstorganisation – die Kompetenz um Kompetenzenzu übertragen?

In vielen Arbeiten zur Kompetenz wird die Kontext- und Erfahrungs-gebundenheit von Kompetenzen betont, d. h. es wird mehr oderweniger davon ausgegangen, dass bestimmte Kompetenzen kaumoder nur unter großen Schwierigkeiten in anderen Zusammenhän-gen genutzt werden können. Der hier vertretene Ausgangspunkt ist,dass – wenn Kompetenzlernen situativ ist – eine Loslösung desWissens und von Kompetenzen (Dekontextualisierung), die dann

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wiederum die Wissens- und Kompetenzanwendung in anderenZusammenhängen (z. B. anderen Arbeitsplätzen, anderen Situatio-nen) ermöglicht, denkbar sein sollte. Dieser Prozess ist nichtselbstverständlich, sondern muss gezielt gewollt und unterstütztwerden. Diese Dekontextualisierungsleistung bzw. -handlung kannunserem Verständnis nach gerade ein Zeichen von Selbstorganisa-tionskompetenz sein.

Selbstorganisationskompetenz als Interaktion undKombination von Kompetenzen?

Die unterschiedlichen Kompetenzfelder stehen in einer bestimmtenRelation zueinander. Kompetenzen zur Handhabung der organisa-torischen Voraussetzungen, Kompetenzen zur Zusammenarbeitund Kommunikation als auch Kompetenzen zur Prioritätensetzungund Koordination haben „Mittelcharakter“, sie dienen zur Zielerrei-chung von Wertschöpfungshandlungen, zur Handhabung von Stö-rungen, zur Qualitätsarbeit und der Handhabung der physischenUmgebungsbedingungen; d. h. dazu, andere Kompetenzen bessernutzen zu können.

Aufbauend auf diesen Überlegungen folgern wir, dass Selbstorga-nisationskompetenz und deren Entwicklung sich folgendermaßenmanifestiert:– Selbstorganisation als eine besondere Qualität von Kompetenz,

die neben anderen Kompetenzen (z. B. Fach-, Methoden-,Sozial- oder Selbstkompetenz) existiert und/oder

– Selbstorganisation als ein Niveau (Stufe) von Kompetenz; d. h.als ein Grad von Expertise, der in allen Kompetenzfeldern (z. B.Fach-, Methoden- usw.) vorkommen kann und/oder

– Selbstorganisation als eine Kompetenz, die die Entwicklungvon einem Kompetenzniveau zum nächsten beschreibt und/oder

– Selbstorganisation als eine besondere Form der Interaktionund Kombination (des Interaktions- und Kombinationshan-delns) zwischen verschiedenen Kompetenzbereichen.

Selbstorganisation in Zulieferbeziehungen:ein exemplarisches Tatsachenfeld

Um unsere theoretischen Überlegungen zumindest ansatzweiseempirisch zu überprüfen, war ein praktisch exemplarisches Tatsa-chenfeld auszuwählen, in dem einerseits die Notwendigkeit zurEntwicklung von Kompetenzen zur Selbstorganisation von denUnternehmen gesehen wird und zweitens Selbstorganisationshan-deln von Außenstehenden gut beobachtbar ist.

Wir haben uns für die Untersuchung von Zulieferbeziehungenentschieden, in denen selbst organisiertes Handeln in einem oft nurvage abgesteckten Rahmen beobachtbar wird. Das empirischeTatsachenfeld wurde bestimmt von einem schwedischen Industrie-roboter-Hersteller, dem wir das Pseudonym „Robotic“ geben undzwei deutschen Zulieferern, die Robotergetriebe fertigen. Mit dem

Unternehmen „Rex“ wurde über die gesamte Projektlaufzeit inten-siv zusammengearbeitet, während „Getra“ nur in der ersten Erhe-bungsphase mitwirkte. Erhoben wurden u. a. Situationen, dieSelbstorganisation erfordern, Definition von Rollen, daraus abge-leiteten Kompetenzen für Selbstorganisation. Analyse von Rah-menbedingungen, die Selbstorganisation behindern bzw. fördern.

Die hohe praktische Relevanz der Thematik zeigte sich in derengagierten Mitwirkung und Unterstützung des Projekts seitensder Unternehmen. So hat sich die Geschäftsleitung von „Rex“einschließlich der für die Zulieferbeziehung zuständigen Mitarbei-ter einen ganzen Tag Zeit genommen, um das Thema der Selbst-organisation in einem Workshop zu erarbeiten. Im Dezember 2001fuhren fünf Führungskräfte von „Rex“ mit der Nachtfähre von Kielnach Göteborg und in der folgenden Nacht zurück, die „Robotic“-Vetreter quer durch Schweden, um ein gemeinsames CriticalEvents Forum, moderiert vom deutsch-schwedischen Projektteam,zu gestalten.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse des empirischenProjektteils dargestellt werden.

Potential der Selbstorganisation inZulieferer-Abnehmer-Beziehungen

In unseren Interviews zeigte sich, dass Probleme der Zusammen-arbeit insbesondere durch zu geringen Austausch impliziten Wis-sens entstehen. Es mangelt vor allem an einem gemeinsamenVerständnis des „know why“, d. h. der implizit vorhandenen Nor-men, Werte, Annahmen der Zusammenarbeit. Es wurden insbeson-dere vier Themen deutlich, die enorme Verbesserungspotentialebergen, die sich dann in kürzeren Antwortzeiten, kostengünstige-ren und qualitätsvolleren Lösungen niederschlagen können. AusZulieferersicht setzt selbst organisierte Lösungsfindung insbeson-dere voraus:– Verstehen, wie die Partner bei ‘Robotic’ denken und arbeiten.

(Qualitätsleiter: „Für mich ist ‘Robotic’ eine Black Box, ich weißnicht, wie sie arbeiten.“)

– Nutzungsbedingungen der Robotergetriebe bei den Kundenvon „Robotic“ sind dem Getriebehersteller nicht bekannt. Es istdeswegen schwer, gemeinsam Anforderungen und Produkt-standards abzustimmen. (Qualitätsleiter: „Wir haben unter-schiedliche Auffassungen, was eine Reklamation ist.“)

– Gemeinsame Verantwortung tragen für Problemlösungen undÄnderungen am Produkt. (Entwicklungsleiter: „Es hat ein hal-bes Jahr gedauert, bis die Konturänderung am Gehäuse desGetriebes abgesegnet wurde, durch ein gemeinsames ValueEngineering könnten beide Unternehmen Kosten sparen.“ Qua-litätsleiter: „Wir handeln zum Teil nach dem Prinzip: Der Kundewird’s nicht merken.“)

– Betriebswirtschaftliche Rahmenbedingungen nicht ständig inFrage stellen. (Vertriebsleiter: „Die von ‘Robotic’ veranstaltetenZuliefertage vermitteln uns weniger eine Vision der Zukunft,

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sondern machen noch mehr Druck. Da kann kein Vertrauen undkeine Offenheit entstehen.“)

Es zeigte sich auch, dass eine Zusammenarbeit dadurch er-schwert wird, dass Zulieferer und Abnehmer nicht genau wissen,wer für welche Fragestellungen denn ein kompetenter Ansprech-partner sein könnte. Aus dieser Sicht ist es sinnvoll, Rollen in derZulieferer-Abnehmer-Beziehung zu definieren und Mitarbeiternbewusst zu machen, welche Rolle sie ausfüllen. Erst diesesBewusstsein über die eigene Position in einem Gesamtsystemermöglicht die Strukturierung selbst organisierten Handelns. Un-sicherheit über die eigene Rolle scheint selbst organisiertesHandeln zu verhindern.

Welche Rahmenbedingungen fördern bzw. behindernSelbstorganisation?

Wenn Unternehmensführung zunehmend bedeutet, Kontexte zuschaffen, damit Potentiale erkannt und genutzt werden können,sowie Probleme einer Lösung zugeführt werden oder allgemeinVerhaltensmöglichkeiten erhalten und vergrößert werden, so stelltsich für praktisches Führungshandeln die Frage, welcher Art dieseKontexte denn sein sollten.

In unserem Projekt haben wir daher im Rahmen eines Workshopsbei „Rex“ mit Mitgliedern der Geschäftsleitung und Vertretern der

Rollen Systemdefinition, operative Abwicklung, Schaffung juri-stisch kommerzieller Rahmenbedingungen erfragt, welche Fakto-ren Selbstorganisation fördern oder behindern. Anhand des ausdem Qualitätswesen bekannten Fishbone- oder Ishikawa-Dia-gramms wurden die Aussagen strukturiert und in einer Feedback-präsentation am Ende des Workshops den Teilnehmern vorgestellt,die Ergänzungen bzw. Begriffsklärungen vornehmen konnten (vgl.Übersicht 1). In einem zweiten Workshop in Schweden im Rahmendes Critical Events Forums wurde eine englische Übersetzungdieses Fishbone-Diagramms vorgestellt und von „Robotic“, d. h.den Vertretern der Abnehmerseite validiert.

Wir haben daher aufgrund unserer empirischen Erhebungen einenTest entwickelt, in dem Organisationsmitglieder aus ihrer individu-ellen Sicht einstufen können, wie sie die Rahmenbedingungen zurSelbstorganisation in ihrem Tätigkeitsumfeld einschätzen. Der Testist nicht als eine objektive Analyse von Rahmenbedingungen,sondern als ein Instrument zur Sensibilisierung für die Gestaltungs-optionen von Rahmenbedingungen zur Selbstorganisation gedacht.

Zuliefererbeziehungen – ein System von Kompetenzen

Für die Erfassung der untersuchten Zuliefererbeziehungen wurdenhalbstandardisierte Einzelinterviews mit sechs Personen beim Ab-nehmer und ein Gruppeninterview mit vier Personen beim Zuliefe-rer durchgeführt.

Übersicht 1Rahmenbedingungen für Selbstorganisation – Ergebnisse der empirischen Analyse mit OEM und Zulieferer

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Die Analyse der Zuliefererbeziehung aus kompetenztheoretischerPerspektive macht deutlich, dass diese Beziehung in erster Linieals ein System der Arbeitsteilung bzw. als Abhängigkeitsverhältnis(Abnehmer – Zulieferer) betrachtet wird (wo Probleme und Informa-tionen und eventuelle Lösungen hin- und hergeschickt werden),ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob die einzelnen Teileeiner gemeinsamen Logik folgen und wie diese in Arbeitsteilungaufgeteilten Teile wieder zusammengefügt werden. Die Realität ist,dass die einzelnen Experten nicht das Gesamtsystem sehen, bzw.ihre Rolle im Gesamtsystem, sondern man sieht nur seine Funktionim Teilsystem.

Diese Kompetenzerwartungen verhalten sich kontraproduktiv zu

Übersicht 2Die Schritte zur Durchführung eines CEF

Im Folgenden sollen rezeptartig die Schritte zur Durchführung eines CEFerläutert werden.

Schritt 1: Benennen Sie jeweils für Zulieferer und OEM einen CEF-Koordinator.

Schritt 2: Die CEF-Koordinatoren identifizieren die betroffenen Mitar-beiter in jedem Unternehmen und laden sie zur Mitarbeit im CEFein.

Schritt 3: Über eine festzulegende Zeit notieren die Beteiligten aufbeiden Seiten so genannte Critical Events, das sind Vorkommnis-se, die ein Problem für die Zusammenarbeit darstellen, ungelöstetechnische Fragestellungen oder auch Potentiale, die genutztwerden könnten. Die Prozessdimension sollte herausgestellt wer-den (was ist in welcher Abfolge passiert und was ist die Konse-quenz?). Es sollten Vorschläge für eine mögliche Lösung gegebenwerden und weiterhin sollte angegeben werden, welche die rich-tige Person auf der „Gegenseite“ ist, die zu einer Lösung beitragenkönnte.

Schritt 4: Zu einem gegebenen Termin werden die Critical EventsReporting Sheets zu den jeweiligen CEF-Koordinatoren per Mailgesandt und zwischen beiden Firmen ausgetauscht bzw. in eingemeinsames Diskussionsforum eingestellt. Die Koordinatorenerstellen eine Liste der Critical Events und ordnen sie den dreioben genannten Rollen Systemdefinition, operative Abwicklung,kommerzielle und rechtliche Rahmenbedingungen zu. Die CEF-Koordinatoren bitten ihre entsprechenden Kollegen, die CriticalEvents Reporting Sheets der jeweiligen anderen Seite zu kommen-tieren und direkt zum betroffenen Kollegen zurückzuschicken (mitKopie an den CEF-Koordinator). So kann ein direkter Dialog zwi-schen den Partnern etabliert werden und einige Probleme könntenbereits auf dieser Ebene gelöst werden. Ziel ist, ein Vorgehen aufbeiden Seiten abzustimmen, dass das Entstehen eines ähnlichenCritical Events in der Zukunft vermeidet. Die CEF-Koordinatorenrichten eine Datenbasis ein, in der die Critical Events ReportingSheets nach Rollen und Themen abgelegt werden, so dass diegelösten Probleme mit den vereinbarten Vorgehensweisen derZukunft dokumentiert werden. Ein Critical Events Forum kann auchneben der diskontinuierlichen Durchführung wie oben beschrie-ben als ein moderiertes Diskussionsforum zwischen Zuliefererund OEM ablaufen. Durch den Koordinator ist jedoch sicherzustel-len, dass aufgeführte Critical Events auch weiterverfolgt werden.

Schritt 5: Durchführung eines Critical Events Forums entweder alsVideokonferenz oder besser mit physischer Präsenz der beteilig-ten Personen von Zulieferer und Abnehmer, um bedeutsame Criti-cal Events zu diskutieren und anhand dieser über die Art und Weiseder Zusammenarbeit zu reflektieren. Ein solches Forum sollte voneinem neutralen externen Moderator geleitet werden.

dem Anspruch Selbstorganisation. Kompetenzen, die mit der Hand-habung organisatorischer Voraussetzungen, mit Zusammenarbeitund mit Prioritätensetzung zu tun haben, werden dadurch kaumBeachtung finden. Erst die Auflösung dieses Vorbestimmtseinsdurch ein „System von Kompetenzen“, ermöglicht es, die Hand-lungsfähigkeit der einzelnen Personen in Selbstorganisation umzu-setzen. Durch die Entwicklung/Veränderung gemeinsamer Ziele,der Kenntnis und das Bewusstmachen sämtlicher Kompetenzenkann der nächste Schritt getan werden, die vorhandenen Kompe-tenzen durch Selbstorganisationshandeln auf neue Bereiche/Si-tuationen zu übertragen. Eine mögliche Infrastruktur für die Umset-zung eines solchen Systems von Kompetenzen ist das CriticalEvents Forum (CEF) als ein Forum für Selbstorganisation.

Selbstorganisation lernen:Critical Events Forum als Lerndesign

„Wir sitzen in Gräben und schießen aufeinander. Bei jeder Mail von‘Robotic’ denke ich, welche Absicht steckt dahinter? Das CriticalEvents Forum hat mir gezeigt, dass wir mehr darüber reden sollten,wie wir miteinander umgehen und gemeinsame Lösungen findenkönnen. Das CEF ist nützlich Fronten aufzubrechen und besserzusammenzuarbeiten. Jetzt kennen sich die Partner persönlich undverstehen, wie jeder denkt und warum er in gewissen Situationenwie gehandelt hat. Darauf aufbauend können wir jetzt viel freier undoffener handeln und auch bei Unsicherheit Entscheidungen verant-worten.“ So fasste sinngemäß der Geschäftsführer des Zulieferers„Rex“ seine Eindrücke vom CEF zusammen, das im September2001 gemeinsam mit „Robotic“ in Göteborg durchgeführt wurde.

Vielen Zuliefernetzwerken fehlen Mechanismen der effizientenProblemlösung und des gemeinsamen Lernens über Organisati-onsgrenzen hinweg. Hier setzt das CEF an, es möchte gemeinsa-me Problemerkennungs-, Wahrnehmungs- und Lösungsmechanis-men entwickeln. Fragestellungen sollten möglichst dort gelöstwerden, wo sie auftreten, durch diejenigen, die das Wissen haben,die Fragestellungen zu beantworten, informelle und direkte Kontak-te der betroffenen Personen (denen oft gar nicht bewusst ist, dasssie den Schlüssel zur Lösung tragen) sollten genutzt werden. DasCEF will insbesondere erreichen, dass Fragestellungen auf derniedrigstmöglichen Hierarchieebene in einer selbst organisiertenForm in einem Klima von Vertrauen und gemeinsamer Verantwort-lichkeit beantwortet werden können. (vgl. Übersicht 2).

Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass Selbstorga-nisationskompetenz eine Art resultierende Kompetenz des Zusam-menwirkens einer Reihe unterschiedlicher Kompetenzfacetten ist:Selbstorganisationskompetenz kann in unterschiedlichen Hand-lungsfeldern wirken. Sie setzt aber voraus, dass auf individuellerEbene in einem oder mehreren Handlungsfeldern veränderungsori-entierte Handlungen ausgeführt werden können; d. h. es müssen

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bereits Kompetenzen (auf Veränderungsniveau) vorhanden sein,die darauf gerichtet sind, zu neuen/veränderten Zielen beizutragen.Erst wenn Personen dieses Niveau erreicht haben, kann Selbstor-ganisation initiiert werden. Der Einzelne kann in Selbstorganisationmitwirken, wenn in seinen Handlungen die Ziele im jeweiligenHandlungsfeld aktiv berücksichtigt werden, d. h. Kompetenzen aufZielorientierungsniveau vorhanden sind. Selbstorganisation benö-tigt das Zusammenwirken beider „Phänomene“, erst dann könnenvorhandenes Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten auf neue Zu-sammenhänge übertragen werden. Für die Kompetenzentwicklungbedeutet dies, dass Kompetenzen zur Selbstorganisation kaumTeil der Kompetenzstruktur von einzelnen Personen sein können,sondern sich situationsadäquat zwischen verschiedenen Personentransversal zu rein fachlichen Spezialisierungen entwickeln. Mankönnte argumentieren, dass Kompetenzen zur Selbstorganisationeine Metakompetenz darstellen, die das Überleben in und Entwi-ckeln von selbst organisierten Systemen sichern, die aber auch ersteinmal in selbstorganisierenden Systemen oder Situationen imRahmen der schulischen und beruflichen Biographie entwickeltwerden müssen. Daher untersuchen die Autoren derzeit in einemweiteren Projekt, ob Selbstorganisation als eventuelle Metakompe-tenz zu betrachten ist.

Literatur

Erpenbeck, J.; Heyse, V.: Die Kompetenzbiographie. Strategiender Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lernen undmultimediale Kommunikation. edition QUEM, Band 10. Münster,New York, München, Berlin 1999

Friedrich, P.; Lantz, A.: ICA – Instrument for Competence As-sessment. In: Erpenbeck, J.; von Rosenstiel, L.: Handbuch Kompe-tenzmessung. Stuttgart 2003, S. 81-96

North, K.; Romhardt, K.; Probst, G.: Wissensgemeinschaften –Keimzellen lebendigen Wissensmanagements. IO-Management 7/8, 2000, S. 52

North, K.: Wissensorientierte Unternehmensführung. Wiesbaden2002

Probst, G. J. B.: Selbst-Organisation: Ordnungsprozesse in sozia-len Systemen aus ganzheitlicher Sicht. Berlin, Hamburg 1987

Willke, H.: Systemisches Wissensmanagement. Stuttgart 1998

Klaus North und Peter Friedrich

QUEM-BULLETINJg. 2004, Heft 2

herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungs-forschung e.V., Berlin

gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschungsowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds

Verleger: Beate EveslageRedaktion: Gabriele Kossack (verantwortlich), Peggy PrienZuschriften und Bestellungen an die Arbeitsgemeinschaft BetrieblicheWeiterbildungsforschung e.V. (ABWF)

Anschrift: Storkower Str. 158, 10407 BerlinTel.: 0 30 / 42 187 515, Fax: 0 30 / 42 187 305E-Mail: [email protected]: http://www.abwf.de

Satz und Layout: ESM Satz und Grafik GmbHWilhelminenhofstr. 83-85, 12459 Berlin

ISSN 1433-2914

Nachdruck bei Quellenangabe gestattet, Beleg erbeten.Das QUEM-Bulletin wird kostenlos abgegeben.

Unsere Autoren

Dr. Peter Friedrich, FritzChange AB, Stocksund (Schweden)

Andreas Heimer, Prognos AG, Berlin

Prof. Dr. Klaus North, TBW GbR, Darmstadt

Prof. Dr. Hans-Jürgen Weißbach, Fachhochschule Frankfurtam Main

Prof. Dr. Martina Voigt, Fachhochschule Frankfurt am Main

Empirische Befunde zum Verhältnisvon Know-how-Transferund KompetenzentwicklungIm Programmbereich „Lernen im Prozess der Arbeit“ werdenbetriebliche Gestaltungsprojekte zur Einführung einer neuenLernkultur wissenschaftlich begleitet. Die Aufgabe der Wissen-schaftler ist dabei die Analyse der konkreten Formen und Ent-wicklungen kompetenzbasierter Lernkultur. Dabei spielt die Eva-luation der Effekte der Kompetenzentwicklung, die durch dasProjekt ausgelöst wurden, eine zentrale Rolle. Bislang erfolgtedie Evaluation der Gestaltungsprojekte in jedem Sample nacheinem eigenen Verfahren. Aussagen auf einer die einzelnen Un-ternehmenssamples übergreifenden Ebene konnten daher nichtgemacht werden. In Ergänzung – nicht als Ersatz – haben diewissenschaftlichen Begleiter nun das Vorhaben in Angriff ge-nommen, ein einheitliches Instrumentarium zu entwickeln, dases ermöglicht, einzelbetriebliche Ergebnisse der Kompetenz-entwicklung in einen größeren Zusammenhang zu stellen undvergleichend zu analysieren.

Die beiden Instrumente, um die es hier geht, wurden bereits imQUEM-Bulletin vorgestellt. Das erste, die „Kompetenzbilanz“,zielt auf die Bewertung der Ergebnisse betrieblicher Vorhaben zurKompetenzentwicklung (Hardwig, T., QUEM-Bulletin 3/2003, S.8-13). Das zweite Instrument „Know-how-Transfer“ dient dazu,die Quellen des Wissens und die Instrumente des Know-how-Transfers zu identifizieren, um die Instrumente anschließend dif-ferenziert hinsichtlich ihrer Eignung und Wirkung zu bewerten(Böhm, J./Israel, D./Pawellek, J., QUEM-Bulletin 4/2002, S. 2-6).

Im QUEM-Material Nr. 56 „Empirische Befunde zum Verhältnisvon Know-how-Transfer und Kompetenzentwicklung” werdendie Ergebnisse aus der Erprobung der beiden Instrumente erläu-tert.

QUEM-Material Nr. 56 steht als PDF unter www.abwf.de zurVerfügung.

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Kompetenzentwicklung von Start-upsForschungsergebnisse und Perspektiven

Im Oktober 2001 startete im Rahmen des Programmbereichs„Lernen im Prozess der Arbeit“ (LiPA) am Fachbereich Wirtschaftund Recht der Fachhochschule Frankfurt am Main das Forschungs-projekt „Kompetenzentwicklungsstrategien von Start-ups“, das vorseinem Abschluss steht. Im Sample sind 12 Unternehmen aus demRhein-Main-Gebiet und 11 aus Berlin/Brandenburg vertreten. DasSpektrum reicht von IT-Unternehmen bis hin zu personenbezoge-nen Dienstleistungen. Das Projekt hat eine Reihe von Arbeitser-gebnissen auf einer eigenen Website dargestellt (www.codes-up.de). Nachfolgend werden wesentliche Ergebnisse in thesenar-tiger Form vorgestellt und zukünftige Forschungs- und Handlungs-perspektiven aufgezeigt.

Ziele und Design des Forschungsprojekts

Qualifikation und Kompetenz von Existenzgründerinnen und Exi-stenzgründern wurden in der Gründungsforschung als wesentlicheEinflussfaktoren für den Erfolg von neu gegründeten Unternehmenherausgestellt. Weitgehend unbeantwortet blieb jedoch die prozess-orientierte Forschungsfrage, wie sich die Kompetenzen von Start-ups im Verlauf der Gründungs- und Wachstumsphasen am Marktverändern und entwickeln.

Das Arbeitsmodell, das wir unserem Forschungsvorhaben zugrun-de legten, war das eines dynamischen Kompetenz-Portfolios: Ler-nen in Start-ups lässt sich unseres Erachtens nicht als kontinuier-licher Erfahrungsprozess beschreiben, sondern als feedbackge-steuerter, selektiv-dynamischer Prozess des Erwerbs von Know-how.

Überprüft werden sollte dieses Modell mittels einer Beschreibungvon Verläufen der Kompetenzentwicklung in Abhängigkeit vonEreignissen, Erfahrungen und Feedback während und nach derGründungs-, Wachstums- bzw. Konsolidierungsphase. Im Zentrumdes methodischen Designs stand eine Paneluntersuchung mit dreiErhebungswellen, die mit Hilfe halbstandardisierter Interviews inden Start-ups durchgeführt wurden. Flankiert wurde diese Erhe-bungsmethodik, die auf die Selbstbeobachtung und Selbstein-schätzung der Probanden setzt, durch 19 Expertengesprächesowie durch ein Rating der Unternehmen durch einen externenExperten. Dabei unterlag auch unser methodischer Ansatz einemEntwicklungsprozess: Eine stärker quantitativ orientierte Vorge-hensweise wurde in der letzten Erhebungswelle durch einen qua-litativ ausgerichteten Ansatz ergänzt, der die einzelnen Fallstudienbeleuchtet bzw. „Geschichten“ zum Verständnis der untersuchten„Fälle“ protokolliert.

Ergebnisse zur Kompetenzentwicklungvon Start-ups

Im Folgenden bringen wir wesentliche Forschungsergebnisse aufden Punkt, um anschließend aus den Befunden Schlussfolgerun-gen für unterschiedliche Adressatengruppen zu ziehen.

Es gibt nicht die erfolgreiche Kombinationentrepreneurialer Kompetenzen

Diese These dürfte grundsätzlich schon immer gegolten haben.Trotzdem ist festzuhalten, dass es aufgrund des rascheren Wan-dels der Märkte und der Unternehmensstrategien zunehmendschwerer fällt, allgemein erforderliche Kompetenzen und Erfolgs-bedingungen von Start-up-Unternehmen anzugeben.

Unternehmensgründungen sind Gründungen ins Ungewisse. Schondaraus ist abzuleiten, dass es die typische entrepreneuriale Kern-kompetenz gar nicht gibt. Vielmehr handelt es sich bei den erfolgs-entscheidenden Kompetenzen um ein komplexes Bündel oder umein Kompetenzportfolio (vgl. den Begriff der „Kompetenzbiografie“– Erpenbeck, Heyse 1999). Dazu gehören relativ leicht zu erlernen-de und empirisch zu erfassende fachliche Kompetenzen, ebenfallsmittelfristig trainierbare und gut messbare sozial-kommunikativeKompetenzen, ferner eher unspezifische, nur schwer messbareund trainierbare (aber förderbare!), dabei situativ hoch relevanteanalytische und kreative Fähigkeiten und schließlich gewachsene,lebensgeschichtlich tief verankerte, also nur schwer zu trainierendePersönlichkeitsmerkmale und Motive.

Entsprechend der unterschiedlichen Zugangswege in die Selbst-ständigkeit gibt es zahlreiche tragfähige Kompetenzprofile vonStart-ups – vielfältig kombinierte „Kompetenzportfolios“ sind grund-sätzlich erfolgversprechend. Einige ihrer Elemente können ihreHerkunft aus der Lebenswelt nicht verleugnen, andere stehen ihrferner. Über die Kernkompetenzen des Gründerteams hinaus kön-nen wir den Begriff auf das Kompetenzportfolio des Start-ups, d. h.auf Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter ausdehnen.

Wichtig erscheint es uns auch, zwischen entrepreneurialen undmanagerialen Kompetenzen zu trennen. Entrepreneurship lässtsich beschreiben als die Fähigkeit zum Erkennen und Nutzen vonChancen auf bestehenden oder neu geschaffenen Märkten – undzwar durch Unternehmer, die ein persönliches Risiko tragen. DerEntrepreneur hat zwar auch eine Reihe von genuinen Manage-mentfunktionen wahrzunehmen; doch ist das auf die Innovations-phase oft folgende Routinemanagement kein typisches Element

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des Entrepreneurship mehr. Ein Entrepreneur kann sich nach derkreativen Aufbauphase seiner Organisation durchaus in einenRoutinemanager verwandeln, ohne dass sich das von ihm produ-zierte Produkt irgendwie verändert. Die erforderlichen Kompeten-zen unterscheiden sich jedoch erheblich (Schumpeter 1934).

Start-ups lernen unsystematisch,inkremental und situativ

Kompetenzentwicklung vollzieht sich in Start-ups unsystematischund ungeplant. Strategien im Sinne mittel- oder langfristig geplanterzielorientierter Personalentwicklungskonzepte lassen sich nur an-satzweise identifizieren. Dies gilt vor allem wenn kein massiverZufluss von Fremdkapital erfolgt, der eine langfristige Entwick-lungsplanung von Kompetenzen ermöglicht, was aber nach derKrise der New Economy die absolute Ausnahme geworden ist.

Entweder stellen die befragten Geschäftsführer einen unbewuss-ten und graduellen Kompetenzzuwachs über einen längeren Zeit-raum hinweg fest, der sich als „schleichender Prozess“ vollzieht undschließlich im „Funktionieren eines Bereichs“ den erfolgreichenErwerb neuer Fähigkeiten deutlich werden lässt. Oder Lernenerfolgt als deutliche Reaktion auf einzelne Ereignisse, wobei eseher die Schwierigkeiten, Krisen oder Fehler sind, die Anstoß undAnlass für Kompetenzzuwachs geben. Verlorene Aufträge, Kun-denbeschwerden, missglückte Präsentationen oder nicht gewährteKredite sind typische Situationen, die der Selbstbeobachtung derBefragten zufolge entscheidende Impulse gegeben haben. Das istnicht verwunderlich, ist doch die Unternehmensgründung in derRegel eine erstmalige und oft einmalige Handlung, bei der kaum aufVorerfahrung zurückgegriffen werden kann (North 1992). Besonde-re Unsicherheit besteht in sozialen Umfeldern, in denen Gründun-gen selten sind (neue Bundesländer, geistes- und sozialwissen-schaftliche Fakultäten der Hochschulen, Söhne und Töchter ausBeamtenfamilien usw.). Doch auf unvollständiger Information beru-hen fast alle relevanten Aktivitäten, die die Start-ups planen, alleVerträge, die sie abschließen müssen usw. Jedes negative Feed-back wirkt hier erfahrungs- und handlungsprägend – und kann dochzu falschen Schlussfolgerungen führen. Typisch ist die Lernfigurdes Übergeneralisierens in verschiedene Richtungen, bis die Er-fahrung auf eine „mittlere Linie“ einschwenkt.

Kompetenzportfolios basieren aufvielfältigen Aneignungsformen

Entsprechend variieren auch die Aneignungsformen der Kompe-tenzen. Kompetenzportfolios sind zunächst einmal durch vomGründungsteam „mitgebrachte“ oder „sozial vererbte“ Kompeten-zen bestückt, vor allem durch das „soziale Kapital“, das Selbststän-dige mit entsprechenden Erfahrungen und Kontakten aus ihrerFamilie mitbringen. Als wesentlicher Einflussfaktor kristallisiertesich das Elternhaus heraus – gut die Hälfte aller Geschäftsführervor allem in den alten Bundesländern äußerte die Einschätzung,hier wesentliche Impulse erhalten zu haben. Schul- und Hochschul-

ausbildung wurden für die spätere Existenzgründung sehr ambiva-lent eingeschätzt: Wenn überhaupt fördernde Einflüsse genanntwurden, dann waren sie am ehesten den „Soft Skills“ zuzuordnen.

Der Kompetenzaufbau in den Start-ups vollzieht sich teils phasen-spezifisch, indem in verschiedenen Phasen (von der Orientierungs-bis zur Expansionsphase, vom Entrepreneur zum Manager usw.)unterschiedliche Herausforderungen oder Defizite wahrgenommenwerden, auf die mit Lernprozessen oder aber mit Personaleinstel-lung reagiert wird. Besonders in der Expansionsphase spielt derZukauf von Qualifikationen, insbesondere durch Rekrutierung neu-er Mitarbeiter, aber auch in Form von Beratern eine entscheidendeRolle (vgl. These 2.6). So wird z. B. das Defizit an Vertriebskompe-tenz in der Regel erst spät erkannt; man begegnet ihm oft durchEinstellung eines Vertriebsprofis, was jedoch nicht immer zumErfolg führt. Teils geschieht der Kompetenzerwerb auch „schlei-chend“ im Prozess der Arbeit (z. B. durch Habitualisierung vonKundenkontakten), wobei sich dies nicht auf Arbeitsprozesse be-schränkt, sondern andere soziale Prozesse einschließt. GrößereLernschritte erfolgen vor allem in Form des ereignisinduziertenLernens durch „Pleiten, Pech und Pannen“.

Einschätzungen der Relevanz entrepreneurialerKompetenzen divergieren erheblich

Die Relevanz und (formale) Erlernbarkeit von Kompetenzen wirdaus Sicht verschiedener Typen von Start-ups sehr unterschiedlicheingeschätzt. Noch stärker weicht die Wahrnehmung der Ge-schäftsführer von Start-ups von der der befragten Gründungsbera-ter ab. Die Geschäftsführer der Start-ups – insbesondere in denalten Bundesländern – sehen als wichtigste Kompetenz die Fähig-keit zur Selbstmotivation und zum Selbstmanagement in wechseln-den Situationen an. Das sind Fähigkeiten, die sie als schwererlernbar beurteilen. Hingegen halten sie soziale und kommunika-tive Kompetenzen für relativ leicht trainierbar und sich selbst fürrelativ kompetent auf diesen Feldern (besonders in den altenBundesländern).

Die befragten Gründungsberater halten demgegenüber betriebs-wirtschaftliches Wissen für den entscheidenden Erfolgsfaktor beiGründungen. Daneben sehen sie auch andere kognitive Faktorenfür erfolgsentscheidend an, z. B. Analysefähigkeit. Darin folgenihnen nur ein Teil der Start-ups vor allem in den neuen Bundeslän-dern, die im betriebswirtschaftlichen Instrumentarium ein wichtigesElement der Reduzierung der (im Osten allgemein höher einge-schätzten) Risiken sehen. Die Relevanz von Kompetenz in denBereichen Führung und Personalentwicklung wird hingegen kaumerkannt – weder von Start-ups noch von der Beraterzunft.

Als Hintergrund dieser Überbetonung formalen, vor allem betriebs-wirtschaftlichen Wissens vermuten wir einen kognitivistisch-ratio-nalistischen Bias der Gründungsberater, denen angesichts der –durch Businessplan-Wettbewerbe noch geförderten – steigenden

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Bedeutung der „Papierform“ der Start-ups die Kompetenz zurBeurteilung der Gesamtpersönlichkeit der Gründer bzw. der Ausge-wogenheit des Komptenzportfolios abgeht. Dies könnte auch erklä-ren, warum Informationen der Deutschen Ausgleichsbank (jetztKfW) zufolge 70 Prozent der gescheiterten Start-ups angeblich anFinanzierungsfragen gescheitert sind, während sie doch gleichzei-tig zu 80 Prozent Bank- und Sparkassenberater als wichtigsteBeratungsquellen angeben.

(Zu) stark ausgeprägte Partialkompetenzenbergen Risiken

Alle Lern- und Aneignungsformen der Realität sind immer auchpotenzielle Fehlermodi, stellen doch besonders ausgeprägte Kom-petenzen zugleich auch Risiken dar. Visionäre, die den Blick fürDetails verlieren, Detail- und Methodenversessene, die das Großeund Ganze nicht mehr im Blick haben, Perfektionisten, die nichtpragmatisch genug und Pragmatiker, die nicht kreativ sind – sie allesind Beispiele dafür, dass Partialkompetenzen durch Übertreibungin Schwächen „umkippen“ können (Gloor 2002).

Generell stellen sich die Fähigkeiten erfolgreicher Entrepreneursbzw. Teams als äußerst widersprüchlich dar. Einerseits müssen sieunter den Bedingungen von Unsicherheit ein hohes Durchhaltever-mögen in der Verfolgung einmal gesetzter Ziele aufweisen unddürfen sich nicht zu leicht irritierbar durch ihr Umfeld zeigen;andererseits benötigen sie die Fähigkeit, auch schwache Signalezu interpretieren (und zwar eher als ihre Mitbewerber), also einehohe Irritationsfähigkeit und das Vermögen, kreative Visionenbereits auf vage Umweltinformationen gründen zu können. Einer-seits müssen sie extrem durchsetzungsfähig sein, andererseitsbenötigen sie die Fähigkeit, sich außerhalb der Konkurrenz zustellen, um Marktlücken und Nischen zu erkennen.

Zu hohe Intelligenz oder Kreativität sind möglicherweise mit sinken-der Bereitschaft verbunden, sich ermüdenden Routinen auszuset-zen, oder sie korrelieren negativ mit Durchhaltevermögen. DerWunsch, angefangene Sachen stets zu Ende zu bringen, kann denBlick für kritische Situationen trüben und das rechtzeitige Einleitenvon Strategiewechseln verhindern. Zu hohe Flexibilität jedoch, diesich in allzu häufigen Strategiewechseln äußert, hindert wiederumviele Start-ups daran, die Früchte geduldiger Aufbauarbeit zuernten.

Selbstähnlichkeit als Rekrutierungskriteriumführt zu Kompetenzengpässen

In der Expansionsphase vollzieht sich Kompetenzentwicklung vonStart-ups häufig durch „Einkauf“ zusätzlicher Kompetenzen in Formvon Neueinstellungen. Hier zeigt sich die Tendenz, neue Mitarbeiternach dem Kriterium der Selbstähnlichkeit auszuwählen. Dies führtdazu, dass Start-ups oft signifikante Qualifikations- und Kompetenz-engpässe aufweisen, die erfolgskritisch werden können.

Allerdings konnten wir zu diesem Thema bei den befragten Ge-schäftsführern im Untersuchungszeitraum ein Umdenken beobach-ten. War zum Zeitpunkt der ersten Befragungswelle (Frühjahr 2002)das „Bauchgefühl“ ein ausschlaggebender Faktor, so wurde dieseszum Zeitpunkt der zweiten Befragung (Winter 2002/03) durch mehrund intensivere Jobinterviews ergänzt. Die Ausschreibungen vonStellen wurden spezieller, Freunde und Bekannte wurden seltenereingestellt und auch der Kunde durfte zunehmend darüber mitre-den, welche Mitarbeiter er als Service- oder Vertriebspartner be-kommt (vgl. ähnliche Erfahrungen in Grüner, Steiner 2002).

Vor allem infolge enger finanzieller Limits mangelt es Start-upshäufig an Marketing- und Vertriebskompetenzen, darüber hinausauch an Führungskompetenzen. Letzterer Mangel macht sich aller-dings oft erst beim Überschreiten der Wachstumsschwelle von überacht bis zehn Mitarbeitern bemerkbar. Vorher ist er durch relativeHomogenität und intensiven persönlichen Kontakt des Gründungs-teams verdeckt. Es ist freilich nicht zu erwarten, dass Führungs-kompetenzen in sehr kleinen Organisationen oder gar in Ausbil-dungsinstitutionen ausgebildet und eingeübt werden können, domi-niert doch dort ein Sozialmodell, das als das der „liberalen Familie“oder der „Wohngemeinschaft“ bezeichnet werden könnte. So wirddie Notwendigkeit zur intensivierten Mitarbeiterführung oft erstschlagartig in kritischen Situationen deutlich. Auch dann flüchtensich aber viele Geschäftsführer (besonders: Geschäftsführerinnen)in Routinen und „Systembasteleien“, indem sie z. B. Organisations-handbücher zur Einarbeitung ihrer neuen Mitarbeiter schreibenstatt sie persönlich anzuleiten. Gelegentlich rufen selbst „Vollblut-Entrepreneurs“ nach (angestellten) Managern, weil sie ihre Gren-zen erkennen.

Zu teurer und unflexibler Personaleinsatzist ein kritischer Faktor

Viele Start-ups – vor allem fremdfinanzierte – überfordern sichschon in der Anlaufphase, d. h. vor dem Markteintritt durch Aufbaueines teuren Personalstamms, der wichtige Anforderungen jedochletztlich nicht erfüllt, weil die Geschäftsführung nicht gelernt hat,den Faktor Arbeit flexibel zu managen, etwa durch Zeitarbeit,400 €-Verträge u. a. „Atypische“. Die riskante Tendenz, von An-fang an teures Vollzeitpersonal einzustellen und Kompetenzdefizi-te durch Einkauf von Spezialisten, nicht durch interne Qualifizie-rung zu kompensieren, hängt mit der fixen Idee der „Cash-Burn-Rate“ und dem „Time-to-Market“-Argument der New Economyzusammen; eine Minderheit von Start-ups scheint auch heute nochvon deren Folgen in Form überhöhter Fixkosten betroffen.

Allerdings waren auch hier im Laufe unserer Untersuchung Ver-änderungen zu beobachten. Zum Zeitpunkt der zweiten Erhe-bungswelle wurden ungeeignete Mitarbeiter häufiger entlassen;Probezeiten wurden ernster genommen, Qualifikations- und Kom-petenzmängel aufmerksam registriert, auch die Kontrollbedürf-nisse stiegen. Die Entlohnung wurde verstärkt leistungsbezogenorganisiert und das Personalkarussell rotierte heftiger als noch im

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Frühjahr 2002. Vor allem die Leistungen von Mitarbeitern mitGehältern von über 50.000 €, vor allem im Vertriebsbereich,standen auf dem Prüfstand. Vom Arbeitsamt vermittelte Perso-nen, Praktikanten und Berufsanfänger wurden seltener akzeptiertals noch ein Jahr zuvor.

Expansionsphasen und Routinisierung fördernAuseinanderdriften der Kompetenzentwicklung

In der eigentlichen Start-up-Phase entwickeln sich die Kompeten-zen von Gründerteam und Organisation weitgehend parallel. InWachstumsphasen fallen die Lernprozesse des Gründerteams, derOrganisation und der Mitarbeiter immer stärker auseinander. Diezunehmende Fähigkeit der Organisation, ihre eigenen Strukturenzu gestalten, geht dann nicht mehr einher mit individuellen Kompe-tenzzuwächsen.

Der Einsatz des im Rahmen von „Lernen im Prozess der Arbeit“entwickelten Instruments zur Ermittlung von Kompetenzbilanzen inden Start-ups unseres Samples verdeutlicht dieses Paradox: DieEntwicklung der Kompetenzen der Geschäftsführung und der Mit-arbeiter verläuft ab einem gewissen Punkt nicht mehr parallel. Sozeigt sich, dass jenseits der Grenze von ca. acht bis zehn Mitarbei-tern mit zunehmendem Wachstum der Organisation eine Professio-nalisierung der Geschäftsführung erforderlich ist, während dieKompetenzen der einzelnen Mitarbeiter sich nicht notwendig paral-lel dazu entfalten. Vielmehr setzen Formalisierung-, Routinisie-rungs- und Arbeitsteilungstendenzen ein, die trotz der Evolution derKompetenzen der Gesamtorganisation geradezu zu einer Involuti-on der Kompetenzen von Einzelnen führen, die mit einem Verlust anÜberblick oder Partizipationsmöglichkeiten einhergeht. Zum Teilfordern die Geschäftsführungen sogar offensiv, dass es zu einemweiteren Kompetenzzuwachs auf Mitarbeiterebene nicht mehr kom-men solle und dürfe. Solche Kompetenzbegrenzungsstrategienwerden z. B. mit Blick auf die Lohnsumme oder auch auf dieNotwendigkeit, die Routinen abzuarbeiten und dabei „nicht nachlinks und rechts“ zu schauen, formuliert.

Auch innerhalb des Geschäftsführungsteams differenzieren sichdie Rollen: Entrepreneurs werden zunehmend durch Managerergänzt oder ersetzt. Doch bleibt eine systematische Personalent-wicklung ein Desiderat. Auch wenn Ziele und Methoden modernerPersonalentwicklung verbal akzeptiert werden, wird diese Funktionhäufig „nebenbei“ vom Geschäftsführungsteam wahrgenommenoder im günstigsten Fall an „Halbprofis“ (z. B. Lehrer) delegiert. DieArbeit von Mitarbeitervertretungen spielt für die Kompetenzent-wicklung keine Rolle.

Schlussfolgerungen und Perspektiven

Im Folgenden sollen einige praktische Schlussfolgerungen für diesteigende Anzahl von Akteuren skizziert werden, die sich mitGründerausbildung und Gründungskompetenzen befassen.

Schlussfolgerungen für weitere Forschung

Um Prozesse des Umgangs von Start-ups mit Unsicherheit bzw. mit„Singularitäten“ und die dafür immens wichtige Vermittlung vonSekundärerfahrung durch das Kernteam an die Mitarbeiter erhellenzu können, halten wir die Arbeit mit qualitativen Methoden auch inder Kompetenzforschung für notwendig. Unseres Erachtens sto-ßen außerhalb von Routinesituationen quantitative Methoden zurKompetenzmessung (Erpenbeck, Rosenstiel v. 2003) auf engeGrenzen. Vor allem die verschiedenen Funktionen von „Geschich-ten“, die Rolle des sog. „Storytelling“ in Organisationen (Gabriel2000) gilt es zu verstehen, spielen doch Geschichten im Kompe-tenzerwerb gerade von Start-ups eine strukturierende und erwar-tungsnormierende Rolle. Sie bilden gewissermaßen den Erwar-tungshorizont bei der Bewertung und nicht-routinisierten Verarbei-tung seltener, irritierender oder gar einmaliger Ereignisse undHandlungsfehler, wie sie in jedem Start-up laufend auftreten.Geschichten sind an Intersubjektivät gebunden und verändern sichbei jeder Weitergabe. Sie erfüllen mobilisierende, legitimierendeund exkulpierende Funktionen im Unternehmen z. B. als Grün-dungs- oder identitätsbildende Mythen („woher wir kommen“, „war-um wir so sind“), als Opfermythen („warum das schief gehenmusste“) oder als didaktische Instrumente (best practice; lessonslearned). Sie dienen etwa als Verstärker bei Erfolgen oder alsTrostspender bei Misserfolgen, aber ihre permanente Weitergabeverstärkt auch die Fixierung des Teams an Erfolg bzw. Misserfolg.

In den Geschichten, die die Führungskräfte in der Rhein-Main-Region über ihre eigenen Kompetenzen erzählen, stehen „aktivisti-sche“ Begriffe im Vordergrund: Eigendynamik, eigenständiges Ar-beiten, eigene Entscheidungen. Im Kontext von Führung werdenhauptsächlich Verben genannt wie schaffen, fördern, weitergeben,geben, vermitteln, reden, lassen, Perspektiven öffnen, erkennen,optimal einsetzen, gewährleisten, unterstützen. Adjektive sind z. B.sozial angemessen, leistungsorientiert. Dieses Selbstbild der Start-ups lässt sich als Unterstützungsmodell der Mitarbeiter charakteri-sieren. An der Umsetzung sind trotzdem Zweifel angebracht, fehltes doch den Führungskräften oft an praktischer Personalentwick-lungs- und Führungserfahrung. In Berlin/Brandenburg finden sichweitaus häufiger „dominante“ Begriffe wie delegieren, organisieren,auch mal autoritär sein, Durchsetzungsfähigkeit, Entscheidungentreffen, kontrollieren, im Sinne des Unternehmens anleiten, durch-greifen, Ziele setzen, Belohnung, Manipulation, führen ohne dassdie Mitarbeiter es merken, daneben „positiv besetzte“ Verben wievermitteln, klar definieren und kommunizieren, austauschen, moti-vieren, richtig einsetzen, mit anpacken, anleiten, reflektieren. DasBild, das diese Geschichten zeichnen, lässt sich ohne Übertreibun-gen als Fürsorge-gegen-Gehorsam-Modell kennzeichnen.

Schlussfolgerungen für Training und Beratung

Der Zukauf von Kompetenzen in der Wachstumsphase von Start-ups bleibt stets riskant. Die schlechten Ergebnisse von Jobinter-

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views, die nur eine geringe Validität aufweisen (Rosenstiel v. 2003,S. 192 ff.), oder gar von Rekrutierungsverfahren „aus dem Bauchheraus“ könnten durch Assessment Center oder ähnliche Instru-mente erheblich verbessert werden, sofern es gelingt, diese zuniedrigen Kosten anzubieten und bedarfsgerecht bzw. profilspezi-fisch zu konfigurieren. Ähnlich gestaltet sich die Situation derinternen Personalentwicklung bei der Beurteilung der Eignung undEntwicklungschancen von Nachwuchskräften, die durch Develop-ment Center optimiert werden könnte.

Da die Validität auch aufwändiger standardisierter Verfahren, diemit Eignungstests arbeiten, wohl immer noch weit unter 50 Prozentliegt, mithin der Grenznutzen gemessen an den entstehendenKosten für Kleinunternehmen gering ist, liegt es nahe, nach wenigeraufwändigen Verfahren zu suchen, die bessere Ergebnisse liefernals reine Jobinterviews bzw. Karrieregespräche und zugleich weni-ger Aufwand erfordern als Assessment Center, die mit teurenTestlizenzen arbeiten. Solche Rekrutierungs- und Personalent-wicklungsinstrumente müssen unternehmens- und tätigkeitsspezi-fisch konfiguriert werden; d. h. auf ihre Standardisierung mussteilweise zugunsten des spezifischen Anwendungsbezugs verzich-tet werden. Hierzu entwickelt das Team derzeit ein Modell einesMini-Assessment- bzw. Development Centers, das auf folgenderVorgehensweise beruht:– Durchführung eines halbtägigen Workshops zur Bildung von

unternehmens- tätigkeitsspezifischen Profilen durch Auswahlvon maximal acht bis zehn aus ca. 24 Kompetenzdimensio-nen, die sich in drei Gruppen gliedern (Energie/Motivation,Fähigkeit zum Aufbau von Sozialbeziehungen, Analysefähig-keit) – die fachlichen Kompetenzen stehen hierbei nicht imVordergrund;

– Festlegung von Ausprägungsniveaus jeder Dimension undZuordnung von beispielhaften (und beobachtbaren) Situatio-nen zu diesen Ausprägungsniveaus;

– Zuordnung von Instrumenten, wobei jede Kompetenz durchmehrere Instrumente abgebildet werden soll und umgekehrtkomplexe Aufgaben und Rollenspiele ein breites Spektrum vonKompetenzen abdecken – daneben können spezielle „Ein-Zweck-Tools“ zur Erfassung anwendungsspezifischer kogniti-ver Fähigkeiten bereitgehalten werden;

– Beobachterschulung durch das Beratungsteam, Durchführungdes Assessment Centers bzw. Development Centers und Aus-wertung durch das Führungsteam.

Die Instrumente sollen die Führungsteams in die Lage versetzen,Aussagen über die Eignung und den optimalen Einsatzort vonMitarbeitern im Unternehmen bzw. über die Möglichkeiten derWeiterentwicklung ihres Profils zu erleichtern. Einzelne Elementedes Assessment bzw. Development Centers wurden bereits mitErfolg getestet, so z. B. ein komplexes Rollenspiel, in dem dieÜbernahme eines Hotels durch ein neues Management simuliertwird, sowie Tools zum Testen von dispositiven Fähigkeiten beiknappen Ressourcen und einer Fülle von Constraints.

Schlussfolgerungen für die Ausbildungan der Hochschule

Hochschulen betrachten die Gründerausbildung in jüngster Zeit alseine ihrer Kernkompetenzen. Wenn sie in diesem Bereich erfolg-reich sein wollen, müssen sie neben der Vermittlung von formalemWissen und Managementtechniken verstärkt entrepreneuriale Ori-entierungsleistungen erbringen und erfolgreiche Rollenmodelle prä-sentieren. Es käme dabei eher darauf an, Studierende im Ideenent-wicklungs- und Problemlösungsprozess situationsangemessen zucoachen als etwa Masterstudiengänge in Entrepreneurship aufzule-gen. Von solchen Lernformen könnten auch Studierende profitieren,die später in kleinen und mittleren Unternehmen arbeiten, wo sieweitgehend auf sich allein gestellt sind. Niederländische Fachhoch-schulen können uns hier mit ihren Studiengängen für Mittelständ-lernachwuchs interessante Anregungen bieten. Einen Engpass wiefehlende Führungskompetenzen kann eine Hochschulausbildungkaum entschärfen. Derartige Kompetenzen müssen nach wie vorweitgehend im Arbeitsprozess erworben werden. Bezüglich derkünftigen Mitarbeiter von Start-ups wäre es eine wichtige, bisher sogut wie gar nicht akzeptierte Aufgabe der Hochschulen, Ängste undBedenken gegenüber einer Arbeitsaufnahme in „unsicheren“, we-gen der geringen Verdienstchancen „unattraktiv“ erscheinendenUnternehmensformen abzubauen z. B. durch Praktikumsvermitt-lung von Studierenden in Start-ups. Allerdings ist die Hochschuleselbst als großbetrieblicher und relativ bürokratisierter Lernort nichtprädestiniert dazu, den Wunsch nach selbstständigem Arbeiten inprekären, nicht großbetrieblichen Strukturen zu wecken.

Literatur

Bruner, J.: Actual Minds, Possible Worlds. Cambridge, Mass. 1986

Erpenbeck, J.; Heyse, V.: Die Kompetenzbiographie. Strategiender Kompetenzentwicklung durch selbstorganisiertes Lernen undmultimediale Kommunikation. edition QUEM, Band 10, Münster,New York, München, Berlin 1999

Erpenbeck, J.; Rosenstiel, L. v. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmes-sung. Stuttgart 2003

Gabriel, Y.: Storytelling in Organizations. Oxford, New York 2000

Gloor, A.: Die AC-Methode. Zürich 2002

Grüner, H.; Steiner, M. (Hrsg.): Personalmanagement in der Zeitnach der New Economy. Künzelsau 2002

North, D. C.: Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschafts-leistung. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Band 76.Tübingen 1992

Rosenstiel, L. v.: Grundlagen der Organisationspsychologie. Stutt-gart 2003

Schumpeter, J. A.: The Theory of Economic Development. Cam-bridge, Mass. 1934

Martina Voigt und Hans-Jürgen Weißbach

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Schlüsselfaktoren für dielernförderliche Gestaltung des sozialen Umfelds

Erfahrungen aus der Begleitung von vier Gestaltungsprojekten

Der Potenzialerhalt Arbeitsloser und die Bewältigung des demogra-fischen Wandels sind zwei Themenfelder, die im Rahmen desProgramms „Lernkultur Kompetenzentwicklung“ u. a. in vier Gestal-tungsprojekten bearbeitet werden. Das breite Spektrum der Pro-jektansätze verdeutlicht die Vielfalt und Komplexität der Lernmög-lichkeiten außerhalb von Schule, Beruf und Weiterbildungseinrich-tungen. Die Übersicht 1 veranschaulicht die Ansätze der geförder-ten Projekte.

Die Prognos AG hat im Zuge der Begleitung dieser Projekte in einerübergreifenden Perspektive die wichtigen Elemente für den Erwerbberufsrelevanter Kompetenzen im sozialen Umfeld herausgearbei-tet. Die Leitfrage der Begleitung lautet: Welche Gestaltungsansät-ze und -elemente sind transferierbare Beispiele für eine aktiveMitgestaltung der sich verändernden Arbeitswelt und sollten inzukünftigen Praxisprojekten besondere Beachtung finden? Im Fol-genden werden einige Schlaglichter auf die Erkenntnisse derBegleitung geworfen.

Erschließung neuer Lernorte

Ein wesentliches Ziel des Programms „Lernkultur Kompetenzent-wicklung“ ist es, Wege zur Sicherung und Verbesserung der indivi-duellen Selbstorganisationsfähigkeit und damit zum langfristigenErhalt der Beschäftigungsfähigkeit zu untersuchen. Dieses Zielbekommt vor dem Hintergrund schnell wechselnder Anforderungenan die Erwerbsarbeit seine besondere Bedeutung. Hieraus entstehtdie Notwendigkeit, neben Spezialwissen und formalen Qualifikatio-

nen auch die Basis des Wissens kontinuierlich zu verbreitern,methodische Fähigkeiten sowie soziale und personale Kompeten-zen zu stärken.

Neben dem institutionalisierten Lernen in Schulen, Universitätenund Weiterbildungseinrichtungen und dem Lernen in der Arbeits-welt ist das soziale Umfeld prädestiniert, um solche Fähigkeitenund Kompetenzen zu erwerben. Im sozialen Umfeld halten sich dieMenschen auf, um Geselligkeit zu erleben, Neuigkeiten zu erfah-ren, ihren Hobbys nachzugehen, kreativ oder karitativ tätig zu seinetc. Kurzum: Das soziale Umfeld ist der Ort, an dem persönlicheInteressen organisiert werden. Damit ist es sehr gut geeignet, umaus eigenem Antrieb Neues zu erlernen, es auch gleich auszupro-bieren und so tätigkeitsbegleitend Methodisches und Faktischesaufzunehmen und zu entwickeln sowie Kompetenzen auszubauen.

Die Beobachtungen in allen vier Gestaltungsprojekten stützen diein den theoretischen Überlegungen erwartete Wirksamkeit vonLernprozessen im sozialen Umfeld und belegen damit den spezifi-schen Wert dieser Strategie als wichtige Ergänzung zur formalenund institutionalisierten Weiterbildung. Insbesondere bestätigensie, dass im sozialen Umfeld lernförderliche Bedingungen geschaf-fen und Prozesse gestaltet werden können, wie es in formalenLernsituationen kaum möglich ist:– Mit formalen Angeboten der institutionalisierten Weiterbildung

für Erwachsene wären die hier erreichten Zielgruppen (alters-gemischte Gruppen, multiproblematische Jugendliche, Dorfge-meinschaften) in dieser alltags- und problemnahen und gleich-

Übersicht 1Ansätze geförder-ter Projekte

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zeitig entwicklungsorientierten Zusammensetzung kaum er-reichbar gewesen.

– Die herkömmlichen Formen der Weiterbildung stoßen bei derFörderung von Kompetenzen, auf die es beim Erwerb undErhalt der Beschäftigungsfähigkeit besonders ankommt, schnellan ihre Grenzen. In den Gestaltungsprojekten konnte demgegenüber durch die Anknüpfung des Lernens an Tätigkeitenund durch die Unterstützung der individuellen Reflexionsarbeitim Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten die Entwicklung derSelbstorganisationsfähigkeit spürbar gefördert werden.

– Die positiven Wirkungen der Gestaltungsarbeit hängen engzusammen mit der alltagsnahen Themenauswahl, den Lernan-lässen und den sich daraus ergebenden Motivationsstrukturen,die sich im sozialen Umfeld ergeben und aufgreifen lassen.

Entwicklung und Erprobungeines Instrumentariums

Wie kann das soziale Umfeld nun gezielt genutzt werden, umberufsrelevante Kompetenzen zu erwerben? Wie müssen Situatio-nen beschaffen sein? Welche Instrumente können wie eingesetztwerden und welches ist die Rolle der Weiterbildner im sozialenUmfeld?ZurBeantwortungdieserFragenmussteein Instrumentariumgeschaffen und eine Methode entwickelt werden, die die systemati-sche Sammlung und Auswertung von Daten und Informationen überGestaltungsprozesse und -ergebnisse erlaubte.

Die Evaluation der Gestaltungsprojekte fand als formativer Prozessstatt. Die Offenheit des Verfahrens hat explizite Vorteile bei der hierumzusetzenden Evaluation von laufenden Gestaltungsprojekten:– Mit einer formativen Evaluierung kann im Sinne eines respon-

siven Verfahrens auf die Interessenlagen relevanter Beteiligterreagiert werden. Es kann auf Vorstellungen über wichtigeFragestellungen, akzeptierte Erhebungsmethoden und Infor-mationswege eingegangen werden.

– Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, Evaluationsergebnissefrühzeitig in die Gestaltungsprojekte zurückzuspielen und da-

mit Gelegenheit zur produktiven Verwertung dieser Ergebnisseim laufenden Entwicklungs- und Gestaltungsprozess zu geben.

Die Evaluation trägt somit zur Steuerung, Selbstevaluation undQualitätssicherung der Gestaltungsprojekte bei. Gleichzeitig rücktsie die Evaluatoren in eine Doppelrolle: Einerseits müssen Projekt-ergebnisse neutral erfasst und bewertet werden, andererseits wirddurch die Rückkopplung der gewonnenen Erkenntnisse Einflussauf die Projektgestaltung genommen. Dieser Widerspruch wirdbewusst in Kauf genommen und lässt sich im vorliegenden Falldadurch rechtfertigen, dass es sich bei den zu evaluierendenProjekten um Modelle handelt, die in einem breit angelegtenSuchprozess eingebettet, erprobt und verbessert werden. Ober-stes Primat für die Evaluatoren ist es dabei, das Untersuchungsfeldnicht negativ zu beeinflussen und die Beziehung zwischen denProjektverantwortlichen und den Zielgruppen nicht zu stören.

Bei der Gestaltung des Evaluationsprozesses bestehen die we-sentlichen Aufgaben für das Evaluatorenteam zum einen in derEntwicklung von Wirkungsindikatoren und Instrumenten zu ihrerkontinuierlichen Erhebung im Projektverlauf und zum anderen inder Strukturierung und Moderation eines kontinuierlichen Dialog-prozesses mit den Gestaltungsprojekten. Der Evaluierungsprozesslässt sich, wie die Übersicht 2 zeigt, in die drei Arbeitsphasen Kick-off, operative Phase (Wirkungsdialog) und Analysephase gliedern.

In der Kick-off-Phase sind die grundlegenden Fragen zu klären, wiesich die Wirkung von Modellen zur außerberuflichen Kompetenz-entwicklung feststellen und ihr Erfolg im Projektverlauf bewertenlässt. Das Ziel dieses Abschnitts ist die Erarbeitung eines Leitfa-dens mit Evaluierungsindikatoren, die den weiteren Gang derUntersuchung inhaltlich strukturieren.

In der operativen Phase des Wirkungsdialogs begleitete Prognosdie Modellprojekte bei der Umsetzung ihrer Vorhaben. Die Themen-schwerpunkte der Begleitung wurden in Zusammenarbeit mit denGestaltungsprojekten entsprechend ihres Beratungsbedarfs fest-

Übersicht 2Arbeitsphasen des Evaluierungsprozesses

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gelegt. Prognos stand den Gestaltungsprojekten zur Verfügung,um ihnen bei der eigenen Schwachstellenanalyse behilflich zu seinund zur Qualitätssicherung im Projektverlauf beizutragen. Dieoperative Phase war somit durch einen intensiven Dialog überWirkungen und Hemmnisse der Projekte gekennzeichnet.

In der dritten, der Analysephase, wurden die Modellprojekte an-hand der in der Kick-off-Phase festgelegten und fortlaufend bear-beiteten und erhobenen Evaluationsindikatoren abschließend aufihre Wirkung hin untersucht und die Ergebnisse dokumentiert.Wichtig für die Analyse war dabei, das Erreichen oder Nichterrei-chen anvisierter Ziele mit den Gestaltungsprozessen in Verbindungzu bringen und so wichtige Hinweise für Erfolg oder Hemmnisse zuerhalten. Weiterhin kam es darauf an, aus einer projektübergreifen-den Perspektive darüber hinaus verallgemeinerbare Erkenntnisseaus den Projekten herauszuziehen und Handlungsempfehlungenbezüglich der zukünftigen Förderung und Verbreitung von Modellenzur außerberuflichen Kompetenzentwicklung zu formulieren.

Im Einzelnen ergaben sich bei der Durchführung dieser drei Arbeits-phasen die in Übersicht 3 dargestellten Meilensteine.

Im Sinne einer Good-Practice-Analyse gilt es, neben der individu-ellen Begleitung der Gestaltungsprojekte, aus den diversen Ansät-zen Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Gestaltungsarbeit zuidentifizieren und damit einen Beitrag zum zielgerichteten methodi-schen Handeln in diesem spezifischen Bereich der Erwachsenen-bildung zu leisten. Hierbei stellen sich die folgenden Themenfelderals besonders wichtig heraus: Gestaltung einer spezifischen Lern-situation, Gestaltungsinstrumente und lernende Organisation.

Von der Vermittlung zur Ermöglichung

Die Gestaltungsarbeit zeigte, dass die spezifischen Lernsituatio-nen bei den Projektteilnehmern besonders dann zu positiven Ent-wicklungen führen, wenn sie Alltagsbezüge aufweisen. Damit istgemeint, dass sich die Handelnden in den Projekten mit Sachver-halten auseinander setzen, die ihre Relevanz aus der unmittelbarenalltäglichen Lebensführung der Beteiligten gewinnen bzw. eng mitAlltagsabläufen verbunden sind. Mit der Anknüpfung an Alltagsbe-züge geht beim Lernen im sozialen Umfeld oftmals einher, dass dieTeilnehmer bereits vor der Initiierung der Projekte die gleicheLebenswelt miteinander teilten, sei es als Schulklasse, als Dorfbe-wohner, als Angehörige einer Jugendszene o. Ä. Bei den Projekt-teilnehmern handelt es sich daher um natürliche Gruppen. Diesesind zentraler Bestandteil von Lernprozessen im sozialen Umfeld,denn hier geht es nicht um die individuelle Aneignung einesvorgefertigten Lernstoffs, sondern um die Auseinandersetzung mitgesellschaftlich verteiltem Wissen und um den Aufbau bzw. dieNutzung von neuen, personenübergreifenden Wissensstrukturen.Individuelles Lernen ist daher sehr stark an Kommunikationspro-zesse in Gruppen und an die direkte Auseinandersetzung vonPerson zu Person gebunden. Der wichtige Beitrag der Projekte istes, neue Impulse für das Gemeinschaftsleben oder -erleben zusetzen. Dies geschieht nicht zuletzt über die Schaffung neuer,regelmäßiger Bezugspunkte (Personen, Zeitpunkte, Räume), dieden Gruppenmitgliedern zur Verfügung stehen und über die sich diebestehenden sozialen Beziehungen vertiefen und neue aufbauenkönnen.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die im sozialen

Übersicht 3Meilensteine beider Durchführungder Arbeitspha-sen

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Umfeld gegebene Freiwilligkeit des Engagements und das großeAusmaß an Zeitsouveränität, über das Teilnehmer verfügen unddas ja auch ein wesentliches Merkmal von non-formalen Lernpro-zessen ist. Hierdurch können Intensität und Zeitpunkt der Projekt-aktivitäten mit Aufgaben in anderen Lebensbereichen abgestimmtwerden. Durch sie kann aber auch eine kontinuierliche Projektarbeiterschwert und eine Gruppendynamik gebremst werden. Ein Pro-blem stellt insbesondere die Wahrnehmung der gegebenen Aus-stiegsoption durch die Teilnehmer dar. Neben der gewünschtenFluktuation, z. B. aufgrund einer erfolgreichen Vermittlung vonTeilnehmern auf den ersten Arbeitsmarkt oder ihres altersbeding-ten Ausscheidens aus einem Schülerprojekt, stellt der spontaneTeilnahmeabbruch die Projektleitungen immer wieder vor Proble-me. Gründe für das Aussteigen waren in den begleiteten Projektenin der Regel darin zu suchen, dass die Teilnehmer nicht „ihren Platz“fanden, an dem sie sich ihren Interessen und Zielen entsprechendeinbringen konnten. Dies führte zu nachlassender Teilnahmebe-reitschaft und zu der individuell nachvollziehbaren Entscheidung,die Priorität für das eigene (Freizeit-)Engagement anders zu set-zen. Für die Gestalter stellten sich daraufhin die Fragen, wie dieInteressen Einzelner und die Ziele der Prozessgestaltung im Kon-fliktfall in Übereinstimmung zu bringen sind und wo der Gradzwischen individueller Förderung und Verantwortung für den Grup-penprozess verläuft.

Durch die starke Anbindung der Lernsituationen an die Lebensfüh-rung der Projektteilnehmer ist die Einstiegshürde in die Projektesehr niedrig und informell gehalten. Jeder, der sich angesprochenfühlt, kann Zugang zu den Projekten bekommen. In diesem Sinnsind die Angebote vorwissen- und statusunabhängig, die Akteuretreten sich gleichberechtigt als Erfahrungsträger in einer bestimm-ten Angelegenheit gegenüber. Hierin besteht ein wesentlichesMerkmal aller vorgefundenen Lernsituationen. Statusunterschiede,die vom Alter oder der beruflichen Stellung der Teilnehmer herrüh-ren, sind von nachrangiger Bedeutung. Diese Hierarchielosigkeiterleichtert die Entstehung einer toleranten, kooperativen und freund-lichen Atmosphäre. Die Scheu der Teilnehmer vor der Übernahmevon Verantwortung schwindet, weil die Gefahr des Scheiterns undeine damit einhergehende negative Sanktionierung gering bewer-tet werden. Für die Gestaltungsarbeit lässt sich hieraus die Konse-quenz ziehen, dass die Öffnung von Möglichkeitsräumen, die vonden Teilnehmern gestaltet und durch die sie zum ausdauerndenTätigsein animiert werden können, von großer Wichtigkeit ist.Hierbei bieten ganzheitliche Handlungszusammenhänge die besteVoraussetzung für die Motivation der Teilnehmer. In den Lernpro-zess sollten sowohl entwickelnde als auch gestaltende, umset-zungsorientierte und reflektierende Elemente integriert sein. Ersollte Problemlagen nicht punktuell aufgreifen, sondern sie in einenZusammenhang mit der sozialen Umwelt setzen. Mit der Verknüp-fung verschiedener Tätigkeitsbereiche und -orte können Bezügehergestellt werden, die realitätsnah sind und die den Projektteilneh-mern ein Bewusstsein für komplexe Gesamtzusammenhänge ver-mitteln. Weiterhin entsteht die Möglichkeit, sich entsprechend den

persönlichen Interessen und Dispositionen in diese Zusammen-hänge einbringen und Teilaufgaben übernehmen zu können, denensich die Teilnehmer gewachsen fühlen, für die sie Verantwortungübernehmen und an denen sie wachsen können.

Auf der Grundlage der in den Gestaltungsprojekten gemachtenErfahrungen kann ferner festgestellt werden, dass es bei derAuswahl und dem Einsatz von Gestaltungsinstrumenten für denaußerberuflichen Kompetenzerwerb das strategische Ziel seinmuss, die Reflexionsarbeit in den Projekten zu unterstützen. Inselbst organisierten Lernprozessen bzw. solchen, die der Entwick-lung von Selbstorganisationsfähigkeiten dienlich sind, stellt dieReflexionsarbeit ein zentrales Instrument dar. Dabei geht es um dieMöglichkeit, unbewusst stattfindende Lernprozesse ins Bewusst-sein der Teilnehmer zu heben. Die reflexive Vergegenwärtigungvon Lernprozessen ist wiederum nötig, um bei den Projektteilneh-mern kognitives Lernen in Gang zu setzen. Im Hinblick auf dasLernen in Gruppen hilft es, Kommunikations- und Interaktionspro-zesse zu klären, Orientierung in Entscheidungsprozessen zu ge-ben und die gemeinsamen Aktivitäten zu beleben. Als gestalteri-sches Instrument ist die Reflexionsarbeit von daher in allen Projek-ten stark ausgeprägt. Die Wahl der Gestaltungsinstrumente isthierauf abgestellt, sei es in Form von spielerischen Instrumentender Inszenierung und Verfremdung oder von formalen Instrumentenwie verschriftlichten Förderplänen, aber auch durch die Anwen-dung von Moderationstechniken in Gruppentreffen.

Dem Gestalter fällt hierbei die Rolle des Katalysators für Kommu-nikationsprozesse zu, der die offene Kommunikation unter denTeilnehmern möglich macht und Hemmschwellen überwinden hilft,ohne selbst zum „Vorturner“, Animateur oder Lehrer zu werden. ImZusammenhang damit ist festzustellen, dass beim Lernen imsozialen Umfeld auch ein neues Kompetenzprofil für diejenigenentsteht, die Lernprozesse initiieren und begleiten. So wurden denProjektteams im Wesentlichen kommunikative und moderierendeFähigkeiten abverlangt, durch die sie es den Teilnehmern erleich-terten, ihre Bedürfnisse und auch ihre Handlungsressourcen selbereinzuschätzen und hierüber zu kommunizieren. Um bei den Projekt-teilnehmern selbst gesteuerte Lernprozesse in Gang zu setzen,bestand die Rolle der Gestalter also darin, kommunikative Anlässezu schaffen und zur Reflexion anzuregen. Ihre Funktion knüpft sicheher an initiierende, beratende, unterstützende, moderierende oderbeobachtende Tätigkeiten als an vermittelnde, die in formalenLernsituationen dominierend sind. Sie mussten Probleme undSachverhalte strukturieren und wirkten als Impulsgeber, nicht alsKorrektoren. Für das professionelle Planen, Gestalten und Imple-mentieren selbst gesteuerten Lernens im sozialen Umfeld bedeutetdies, dass die bestehenden erwachsenenpädagogischen Berufs-bilder sich dementsprechend anpassen müssen. Dies bestätigenauch die Erfahrungen in einigen der begleiteten Projekte. So war esinsbesondere in den Teamsitzungen der Gestalter immer wiederein zentrales Thema, die eigene Handlungsorientierung zu über-prüfen, die urteilsbasierte Vermittlung von Werthaltungen zu hinter-

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fragen, sich die eigenen Zielvorstellungen für die jeweiligen Projek-te zu vergegenwärtigen und sich ggf. zurückzunehmen und in dieDynamik des Gruppenprozesses einzufinden. Es galt immer wie-der, die Lernprozesse und nicht ein wünschenswertes Ergebnis inden Mittelpunkt der Gestaltungsarbeit zu rücken.

Als ein wesentliches Instrument für die Gestaltungsarbeit in denProjekten stellte sich die Auswahl eindeutiger Kristallisationspunk-te heraus. Damit sind Orte oder Themengebiete gemeint, an denensich die Interessen der Projektteilnehmer festmachen. Die Kristal-lisationskerne zeichnen sich dadurch aus, dass sie Gemeinsamkei-ten betonen, Motivation schaffen, Sinn stiften, Spaß machen sowieChancen und Perspektiven für eine kontinuierliche Erschließungvon Tätigkeitsfeldern eröffnen. Sie stellen in diesem Sinne einenStimulus für Lernprozesse dar, indem sie die Teilnehmer in denProjekten zunächst zum Mitmachen und dann zum eigenständigenHandeln anregen. Beispielhaft seien hier aus den Gestaltungspro-jekten das Internet-Café, das Dorfzentrum, das Theaterspielenoder auch der PC mit seinen vielfältigen Nutzungsmöglichkeitengenannt. Die Beobachtungen in den Projekten können auch dahin-gehend zusammengefasst werden, dass sich die Teilnehmer durchdie Erschließung von Tätigkeitsfeldern und das Ausprobieren vonTätigkeiten in aktiven Situationen erleben und so die Gelegenheiterhalten, eigene Fähigkeiten und Grenzen direkt zu erfahren undneues Erfahrungswissen zu generieren. Die Tätigkeiten in denProjekten werden gleichsam zum Auslöser für die Nutzung desbereits vorhandenen Erfahrungswissens der Projektteilnehmer undfür die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen. Sie ermögli-chen es den Projektteilnehmern, aus der Praxis heraus zu reflektie-ren, ob sie Ziele erreichen und ob sie sich in der betreffendenSituation wohl fühlen.

Spezifisches Transferpotenzialin die Erwerbsarbeit

Die volkswirtschaftlichen Impulse, die z. B. vom Ehrenamt in derfreien Wohlfahrtspflege, in Vereinen, Stiftungen etc. ausgehen,werden nicht zuletzt aus wohlfahrtsökonomischer Sicht gepriesen.Doch wie wirkt sich der Tätigkeitsmix aus Bürgerengagement,Eigenarbeit und Ehrenamt auf die persönliche Erwerbssituation derBeteiligten aus? Hiermit drängt sich die Frage nach der Transferier-barkeit des Gelernten in andere Tätigkeitszusammenhänge undinsbesondere in die Arbeitswelt auf.

Aufgrund der in den Gestaltungsprojekten gesammelten Erfahrun-gen kann festgestellt werden, dass sich die dort ausgeführtenTätigkeiten nicht immer unmittelbar im Erwerbsleben wiederfinden,dass die Projektteilnehmer aber durchaus Praxiserfahrungen in(unbezahlten) Tätigkeitsfeldern machen konnten, denen konkreteStellen-, Qualifikations- oder Kompetenzprofile zugrunde lagen.Die Gestaltungsprojekte boten den Teilnehmern die Möglichkeit,diese Tätigkeiten zunächst ohne ökonomischen Verwertungsdruckauszuprobieren und dadurch zu lernen – und zwar inhaltlich, metho-

disch oder sozial – und dann ggf. eine an den individuellen Interessenund Fähigkeiten orientierte Berufswahl zu treffen. Der aufgrund derAnforderungsprofile durchaus berufsähnliche oder berufsvorberei-tende Charakter der Tätigkeiten wird besonders bei der Aneignungvon Managementkompetenzen verdeutlicht. Darüber hinaus botendie Projekte auch unmittelbare Ansatzpunkte für die Schaffung neuerErwerbsarbeitsplätze, so dass das Handeln in den Gestaltungspro-jekten auch unmittelbaren Einfluss auf die Erwerbssituation derBeteiligten haben konnte. Dies geschah z. B. dann, wenn aus denThemen im sozialen Umfeld ein Einkommenspotenzial entstand bzw.wenn wirtschaftlich sich selbst tragende Projektstrukturen entwickeltwerden mussten, um sich von öffentlichen oder privaten Zuwendun-gen unabhängig zu machen und die neu entwickelten Handlungszu-sammenhänge gestalten zu können.

Modellprojekte im Kontextder Gestaltung regionaler Lernräume

Das spezifische Charakteristikum der Modellprojekte zum Lernenim sozialen Umfeld liegt darin, dass sich die für die Lernbereitschaftund -öffnung unverzichtbare Motivation bei den Teilnehmern unmit-telbar aus dem Tätigkeitsfeld und dem dort herrschenden sozialenKontext ergibt. Die konkret verfolgten Tätigkeitsinhalte sind einverständliches Mittel für den eigentlichen, eher abstrakten undschwerer nachvollziehbaren Zweck der Bildungsmaßnahmen, näm-lich die Teilnehmer beim Erhalt oder der Steigerung ihrer Beschäf-tigungsfähigkeit auch außerhalb des sozialen Umfelds zu unterstüt-zen.

Das zentrale Ziel des LisU-Konzepts, der Erhalt bzw. die Steige-rung der Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmer, lässt sich umsoleichter erreichen, je stärker in den Projekten das regionale institu-tionelle und Arbeitsmarktumfeld einbezogen wird. Dies gilt zumeinen für die Projektkonzeption, durch die die Teilnehmer sogefördert werden, dass sie sich in dem für sie relevanten Arbeits-marktumfeld (z. B. Arbeitsverwaltung, Arbeitsvermittlung, Betriebe,Suche nach Selbständigkeit) eigenständig bewegen, Hilfestellun-gen nutzen und Gelegenheiten ergreifen können. Es gilt zumanderen auch für die Art der Projektdurchführung: Durch diefrühzeitige Vernetzung mit dem regionalen Umfeld (z. B. Öffentlich-keitsarbeit, persönliche Kontakte, Kooperation) gilt es, dort dievorhandenen Ressourcen zu mobilisieren und die notwendigeAnerkennung für die Bildungsarbeit zu erreichen, um damit schonim Vorfeld den Teilnehmern „die Türen zu öffnen“, durch die siedann eigenständig gehen können. Die begleiteten Modellvorhabenzeigen bereits deutlich auf, welche Ausstrahlungseffekte auch vonrelativ kleinen Interventionen ausgehen und zu einer lernförderli-chen Gestaltung regionaler Räume beitragen können. Dieses Po-tenzial sollte bei der zukünftigen Förderung von Modellvorhabenzum außerberuflichen Kompetenzerwerb weiter genutzt und aus-gebaut werden.

Andreas Heimer