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CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Klaus Störtebeker / (nach überlieferten Sagen u. e. Buch über „Klaus Störtebeker und die Vitalienbrüder" von Gustav Schalk bearb. von Ludwig Bernhard). — 1. Auflage — Balve: Engelbert, 1983 (pEb-Bücherei) ISBN 3-536-01665-0 ISBN 3 536 01665 0 1. Auflage 1983 Gesamtausstattung: Franz Reins Nach überlieferten Sagen und einem Buch über „Klaus Störtebeker und die Vita- lienbrüder" von Gustav Schalk bearbeitet von Ludwig Bernhard Alle Rechte dieser Ausgabe 1983 beim Engelbert-Verlag, 5983 Balve Nachdruck verboten — Printed in Germany Satz: Fotosatz Bredenbeck Druck und Einband: Zimmermann GmbH & Co. KG, Engelbert-Verlag, Zimmermann-Druck, Hönne-Zeitung, 5983 Balve/Sauerl., Widukindplatz 2

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  • CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

    Klaus Störtebeker / (nach überlieferten Sagen u. e. Buch über „Klaus Störtebeker und die Vitalienbrüder" von Gustav Schalk bearb. von Ludwig Bernhard). — 1. Auflage — Balve: Engelbert, 1983

    (pEb-Bücherei) ISBN 3-536-01665-0

    ISBN 3 536 01665 0 1. Auflage 1983 Gesamtausstattung: Franz Reins Nach überlieferten Sagen und einem Buch über „Klaus Störtebeker und die Vita- lienbrüder" von Gustav Schalk bearbeitet von Ludwig Bernhard Alle Rechte dieser Ausgabe 1983 beim Engelbert-Verlag, 5983 Balve Nachdruck verboten — Printed in Germany Satz: Fotosatz Bredenbeck Druck und Einband: Zimmermann GmbH & Co. KG, Engelbert-Verlag, Zimmermann-Druck, Hönne-Zeitung, 5983 Balve/Sauerl., Widukindplatz 2

  • Die deutsche Hanse 9 Ein Zechschuldner 10 Ausfahrt des „Walfisch" 26 Norwegenfahrt 29 Die Vitalienbrüder 46 Bei Störtebecker auf Neuwerk 53 Pirat wider Willen 74 Bei den Likedeelern 90 Piratenherrschaft über Wisby 102 Der deutsche Ritterorden greift ein 114 Gelungene Flucht und daheim 121 Zum Kampf entschlossen 133 Das Ende des Seeräubers 141 Erläuterungen der seemännischen Ausdrücke

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    Einleitung

    Die deutsche Hanse

    Die Hanse, nach dem Althochdeutschen meist Hansa ge- nannt, bedeutet dem Wortsinn nach eine bewaffnete Schar. Deutsche Kaufleute hatten sich schon im 12. Jahrhundert zum Schutz ihres auf den Meeren bedrohten Handels zusam- mengechlossen. Bald bildeten sich solche Genossenschaften oder Gilden auch in Flandern und England. Im 13. Jahrhun- dert reichten sie schon von Lübeck an der Ostsee bis nach Pa- ris an der Seine und von Hamburg und Bremen an der Nord- see bis Regensburg an der Donau.

    Die deutsche Hansa im engeren Sinne entstand, seitdem sich nach der Gründung der Ostseestadt Lübeck im Jahr 1158 den Kaufleuten im Westen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation der Ostseehandel auf eigenen Schiffen (Koggen) erschlossen hatte. Die deutschen Kaufleute dran- gen als „Gotlandfahrer" bis nach Wisby auf Gotland vor. gründeten für den Pelzhandel im russischen Nowgorod ein Kontor, den Petershof, erwarben auch in Brügge und London Handelsvorrechte, besonders aber förderten sie die Grün- dung und den Ausbau deutscher Ostseestädte. Nachdem Lü- beck die Herrschaft Dänemarks abgeschüttelt hatte und 1226 deutsche Reichsstadt geworden war, wurde diese Ostseestadt für längere Zeit der Schwerpunkt des Ost- und Nordseehan- dels. Die Städte schickten ihre Ratsherren zu Tagungen vor- wiegend nach Lübeck, und seit 1358 nannten sie sich auch formell „die Stede van der dudeschen Hense", die Städte der deutschen Hanse.

    Der Hanse gehörten im 15. Jahrhundert über 160 Städte vom Niederrhein über Hamburg, Bremen, Lübeck bis nach

  • Riga und Dorpat in Livland an, ferner zahlreiche Reichsstäd- te und auch Städte außerhalb des Reichsgebiets wie Krakau und Stockholm. Die Hanse war kein politischer, sondern ein rein wirtschaftlicher Zusammenschluß. Für ihre wirtschaftli- chen Ziele führte sie jedoch zur Zeit ihrer Blüte erfolgreiche Handelskriege. Vor allem griff die Hanse gegen Dänemark zu den Waffen, wenn dieses den lebenswichtigen Schiffsverkehr durch den Sund sperrte. Als der Dänenkönig Waldemar IV. Atterdag nach der Vernichtung einer Flotte der Hanse im Jahr 1361 die Insel Gotland besetzte, schlössen sich die Nord- und Ostseestädte zu einer engeren Konföderation zusammen, schlugen die Dänen, besetzten Kopenhagen und sicherten sich ihre Vormachtstellung im Nord- und Ostseeraum. Das große geschichtliche Verdienst der deutschen Hanse war, daß sie die Nord- und Ostseeländer zu einem Wirtschaftsraum vereinigte. Dadurch blühten im mitteleuropäischen Raum Handel und Gewerbe gewaltig auf. Rheinische Eisenwaren, flandrische Tuche, der Getreideüberschuß Ostdeutschlands, der Fischreichtum Bergens und Schönens, Pelzwerk und Na- turschätze wie Honig, Wachs und vieles andere füllten die La- gerhallen der Handelsherrn und wurden auf den hanseati- schen Schiffen, den Koggen und Schniggen, von Stadt zu Stadt und Land zu Land ausgetauscht. Mit dem Handel blüh- te in den Hansestädten eine Kultur, von der die Rathäuser, Kirchen und alten stattlichen Bürgerhäuser in Lübeck, Bre- men und Hamburg bleibende Denkmäler sind.

    Ein Zechschuldner

    Man schrieb das Jahr 1387. In der Hansestadt Hamburg erzählte man sich wahre Wundergeschichten von der Körper-

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    kraft und der Trinkfestigkeit eines fremden Ritters. Im Rats- weinkeller und anderen Trinkstuben, wo die Herren vom Rat und die Aldermanden der Zünfte am Abend zusammenzu- kommen pflegten, sollte der Ritter erstaunliche Proben seiner Stärke und Ausdauer im Zechen gezeigt haben. Mit Jürgen Nyenkerken, dem Seefahrer, versäße er ganze Nächte beim Becher, und schon habe er mit dem Stadtvogt und seinen Ge- sellen, den Schlupwächtern, nächtlicherweile manch harten Zusammenstoß gehabt. Seine beiden Gefährten säßen sogar bereits wegen Zechschulden in der Fronerei hinter Schloß und Riegel.

    Solche Gerüchte schwirrten von Mund zu Mund, und Her- mann Nyenkerken, der sechzehnjährige Neffe des Kapitäns Nyenkerken, beschloß, mit seinem Vetter Paul Francke den Oheim zu besuchen, um von ihm die Wahrheit über den fremden Gast zu erfahren.

    Der Kapitän wohnte an der Ecke der Deichstraße und des Kayen, nahe am Niederhafen. Aus den Fenstern seines Hau- ses konnte er den ganzen Hafen mit seinen Schiffen, die dort überwinterten, bequem überschauen. Hermann klopfte mit dem Messingschläger an die eisenbeschlagene Tür. Es wurde auch bald aufgetan, doch die alte Muhme, die dem ledigen Seemann das Hauswesen leitete, erklärte, der Kapitän sei nicht zu Hause. Wahrscheinlich befände er sich auf dem „Walfisch", wo er zuzeiten ganze Tage und Nächte verbringe.

    Der „Walfisch", das große Seeschiff des Oheims Jürgen, war den beiden Vettern wohlbekannt. Wie ein schwarzes Unge- tüm lag das hochbordige Schiff, festgehalten von starken Ankerketten, nahe am Kai. Eine blaue Rauchsäule, die aus seinem Innern emporstieg, verriet, daß der Kapitän anwesend war.

    Aber wie sollten die beiden jungen Männer an Bord gelan-

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  • gen, da das Fallreep aufgezogen und auch keine Leiter vor- handen war? An Backbord hing ein Tau herab. Daran kletter- ten sie mit Mühe hinauf und schwangen sich über die Schanzkleidung an Deck.

    Oheim Jürgen war in seiner Kajüte. Ein würziger Grogge- ruch drang von dort durch die Türspalte und auch der Schall lauter Stimmen. Der Kapitän hatte also Besuch. Sollten die jungen Burschen es wagen anzuklopfen? - Wenn nun aber der Gast, den der Kapitän bewirtete, der Ritter selbst wäre? - Nein, sie wollten doch lieber oben bleiben, bis der Oheim herauskäme. Und so liefen sie auf Deck umher, guckten in alle Luken und durchstöberten Kabinen und Kammern und Schotten.

    In einem Kämmerchen, ganz nahe am Kabelgat im Vorder- schiff, erblickten sie eine Reihe Menschenschädel, die neben- einander auf einem Brett standen. Der Anblick war so grauen- erregend, daß die Burschen die entsetzlichen Gebilde sprach- los anstarrten. Es waren sechs Köpfe, einer so greulich wie der andere; die beinernen Stirnen gewölbt, tiefe Löcher, wo einst Augen und Nase gewesen, die Kinnbackenknochen scharf hervortretend und die Zähne wie im Grimm fest aufein- andergepreßt.

    Mit schlotternden Knien kletterten die Entsetzten wieder ans Tageslicht und ließen die Falltür herab. Dann erst wagten sie aufzuatmen, und flüsternd fragte einer den ändern: „Was war das? Wie kommen die Köpfe dort hinein? Wem mögen sie angehört haben? Sind es Seeräuber gewesen, die Oheim Jürgen im Kampf erschlagen? Und was mag ihn bewegen, die Schreckensgebilde in seinem Schiff aufzubewahren?"

    Auf alle diese Fragen fanden sie keine Antwort, aber das Geheimnis beunruhigte ihre Gemüter, und der „Walfisch" mit seiner Schreckenskammer war ihnen so unheimlich ge-

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    worden, daß sie das Schiff schnell wieder verlassen wollten. Aber da wurde die Tür der Kapitänskabine aufgestoßen, und Hai, die mächtige Dogge, kam auf Deck geschossen. In seiner blinden Wut wäre das Tier seinem guten Freund Hermann beinahe an die Kehle gefahren, doch zum Glück wurde es im letzten Augenblick seines Irrtums gewahr, und seine Wut ver- wandelte sich alsbald in lebhafte Freude.

    „Ahoi!" rief nun Oheim Jürgen aus der Tür der Kajüte mit fröhlicher Stimme, „Feinde auf Deck oder Freunde?"

    „Freunde!" antworteten die Burschen wie aus einem Mun- de.

    „So sollt ihr willkommen und gebeten sein, näher zu tre-

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  • ten", versetzte mit heiterer Würde der Kapitän. Aber als sie seiner freundlichen Einladung nachkommen wollten, reckte sich über seine Achsel das Haupt des Mannes empor, dessent- willen sie auf den „Walfisch" gekommen waren - ja, kein Zweifel, der fremde Ritter befand sich in der Kajüte.

    „Nun, was zaudert ihr?" fragte Nyenkerken befremdet. Sie schritten zögernd heran. Der Fremde rief mit dröhnen-

    der Stimme: „Bei Sankt Nikolas, der Krauskopf da ist wohl Euer Neffe?"

    „Getroffen!" antwortete der Kapitän mit Behagen, „und dieser hier mit den frommen Augen ist ein Pinselheld, so die Gelehrten Penicillatus zu heißen belieben."

    Er lachte über sein Scherzwort und nötigte die Jungen, in die Kabine zu treten. Dort stand auf dem blanken Eichen- tisch ein Gefäß mit dampfendem Grog, und die Besucher mußten die Becher heben und trinken. Aber mit verzerrten Gesichtern spien beide den ätzend scharfen Trank sogleich wieder aus, als hätten sie Feuer getrunken.

    Da lachten die beiden Männer, daß die Kabine dröhnte, und der Ritter packte Hermann an den Schultern, blickte ihn scharf an und sprach: „Ihr schaut mir aus den Augen, als kä- me wohl bald der Tag, da Ihr diesen Trank mit Behagen schlürfen werdet."

    Unter dem Druck seiner Fäuste glaubte Hermann zusam- menbrechen zu müssen, und die Schädel im Kabelgat deuch- ten ihm minder schrecklich als das Feuer in den Augen dieses Riesen.

    „Nun", sagte der Kapitän, „wenn ihr nicht teilnehmen wollt an unserm Zechgelage, möget ihr für jetzt beurlaubt sein und den Walfisch verlassen. Ein andermal könnt' sich's wohl fügen, daß ich euch mit einem echt Hamburger Mehl- beutel bewirte; gilt's, ihr Leckermäuler?"

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    Mit Freuden nahmen die Burschen die lockende Ver- heißung auf und verließen eilig das Schiff.

    „Du, Harm", sagte Paul Francke, als sie am Kai hinschlen- derten, „ob es dem Kapitän wohl ernst war mit dem Mehlbeu- tel?"

    „Wie magst du nur zweifeln!" erwiderte Harm. „OheimJür- gen hält, was er verspricht."

    „Und wie denkst du über den Ritter?" „Ein schrecklicher Kerl!" rief Harm lebhaft. „Ich werd' es

    lange an den Schultern spüren, wo er mich gepackt hatte. Nun glaub' ich schon, daß er Eisenketten wie Bindfäden zer- reißen kann."

    „Und im Trinken soll ihm kein Hamburger die Stange hal- ten können. Im Ratsweinkeller hat er sechs Herren vom Rat unter den Tisch getrunken. Claus Schocke hat's von seinem Vater gehört, der dabei gewesen ist."

    „Glaub's schon", versetzte Hermann. „Der Kerl kommt mir vor wie der leibhaftige Teufel."

    „Ist er vielleicht auch!" meinte Paul Francke mit geheimem Grauen. „Denk an die Mär von dem Doktor Faust, den der Sa- tan durch dick und dünn geführt hat! Wenn's dem Kapitän nur nicht an den Kragen geht!"

    „Oh", meinte. Harm, „mein Oheim fürchtet sich vor dem Teufel nicht, das hat er oft gesagt."

    „Drum eben!" rief Paul lebhaft. „Gerade an solche Helden pflegt sich der Höllenfürst heranzumachen; Leineweber und schwache Weiblein läßt er in Frieden."

    „Schon wahr", versetzte Hermann, „indes, um den Oheim sorge ich mich nicht; er ist, wie alle Seefahrer, ein gottesfürch- tiger Mann, obzwar derb und oftmals lästerlich in seinen Worten."

    „Ein frommer Mann ist er", pflichtete Paul bei; „hat er

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  • doch das kostbare Schottilienwerk, an dem mein Vater der- zeit arbeitet, für die Kapelle der Schiffergesellschaft in Sankt Nikolai auf seine Kosten bestellt. Hör mal, Harm, der Kapi- tän muß sehr reich sein."

    „Hm", machte Hermann mit geheimnisvoller Miene, „der Oheim soll einen Schatz in seinem Hause verwahren, wohl größer, als ihn der Kaiser besitzt."

    „Ah!" rief Paul begierig, „wo mag er den wohl gehoben ha- ben, du?"

    „Das weiß niemand. Oheim Jürgen war damals gerade in Wisby mit seinem Schiff, als König Waldemar Atterdag die gotische Stadt zerstörte und plünderte. Wohl möglich, daß der Oheim seinen Geldschatz dabei erbeutet hat. Denn weißt du, keine Stadt auf dem Erdenrund hegt solche Reichtümer wie damals Wisby. Selbst Lübeck, das doch die Königin der Hansa ist, hat sich mit ihr nicht messen können. Die Glocken ihrer Kirchen waren aus purem Silber, aus Erz ihre Tore, auf goldener Spindel spannen ihre Frauen, und die Kinder spiel- ten auf der Straße mit harten Talern. Da kannst du dir vorstel- len ..."

    „Freilich! Aber die mit Wisbys Goldschätzen befrachteten Holke König Waidemars sollen allesamt von der wilden See verschlungen worden sein."

    „So ist's!" bestätigte Hermann. „Mein Oheim aber mag ei- nen Teil der versunkenen Schätze gehoben haben; vielleicht stammen daher auch die Schädel in seinem Kabelgat."

    „Die gräßlichen Larven!" rief Paul mit Schaudern, und sie gingen eine Weile schweigend miteinander.

    „Du", begann Paul Francke wieder, „wie steht der Kapitän mit dem Klabautermann?"

    „Oh!" rief Hermann, „die beiden sind allzeit gut Freund miteinander. Der Kobold weilt gern auf dem Walfisch', warnt

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    vor dem Sturm und hat oftmals das Schiff vor dem Unter- gang behütet."

    Paul stieß einen Pfiff aus und sagte mit Bestimmtheit: „So hat auch kein anderer als der Klabautermann dem Kapitän den Schatz emporgeholt."

    Ein hochgewachsener Mann in pelzverbrämtem Mantel kam vom Hopfenmarkt daher.

    „Der Fron!" stieß Hermann erschrocken aus und ergriff sei- nen Gefährten am Arm.

    „Ja, es ist Peter Funcke in eigener Person", bestätigte Paul; „fürchtest du dich vor ihm?"

    „Nein", antwortete Hermann ausweichend, „wer begegnet denn gern dem Henker?"

    „Er tut uns gar nichts", sagte Paul guten Muts. „Ich sehe ihn oft, vernehme auch manchmal seine Stimme aus dem Garten der Fronerei, deren Mauer ich aus dem Dachfenster unseres Hauses überschauen kann. Aber laß uns doch lieber auf die andere Seite gehen!"

    Hochaufgerichtet, mit ernstem Angesicht und geradeaus- schauend schritt der gefürchtete Mann vorüber. Die Bur- schen blickten ihm nach, und Hermann sagte:

    „Er schreitet dahin wie ein König, alle weichen ihm aus, und niemand grüßt ihn. Ich möchte doch lieber jene Krähe auf dem Dach von Sankt Nikolei als der Fron von Hamburg sein."

    Drei Tage später führte Jürgen Nyenkerken die beiden Freunde auf den „Walfisch", um sie mit dem verheißenen Mehlbeutel zu ergötzen. Sie zündeten ein Feuer auf dem Herd der Kombüse an, und der Kapitän machte sich ans Werk, die leckere Speise zu bereiten.

    „Seht!" sagte er vergnügt, „diese große Schüssel streiche ich

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  • fein mit Butter aus und schütte nun dies gute Weizenmehl, das in der Obermühle gemahlen ist, behutsam hinein. - Klar! - Diese Eier haben Eure Hühner, mein Sohn Harm, gestern erst gelegt, sie sind also ganz frisch, und ich darf sie ohne Be- denken hineinschlagen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs! - Klar! - Allhier in dieser schön geblümten Tasse ist gute Sah- ne, die soll uns die Speise fetten und süßen, also hinein da- mit! - Geben wir auch noch dieses Stücklein Butter dazu? - Es wird nicht schaden. - Und was mögen wohl diese beiden Tüten enthalten, die der Krämer Richard Schmidt so kunst- voll gedreht und verschlossen hat? - Seht her: die süßesten Rosinen und Korinthen, die man in Hamburger Kramläden hat - schütten wir die Gottesgabe aus fernem Land in unsern Brei! Klar! Und jetzt reich mir die blanke Holzkelle her, mein Sohn Paul, damit ich das Ganze gehörig verrühre! - Seht, seht! es bildet sich schon ein gelblicher Teig, in dem die schwarzen Weintrauben Griechenlands wie große Fliegen wimmeln. Jetzt Würze und Duft darüber: ein wenig Salz und aus diesem Fläschchen köstlichen Arrak - aha, wittert ihr schon den Wohlgeruch, wonniglicher als von Rosen und Nä- gelein? - Das Wasser im Kessel hebt an zu strudeln und zu zi- schen gleich der Meeresbrandung, stürzen wir also den Teig auf das blütensaubere Linnen dort auf dem Tisch. Klar! Jetzt knüpfe ich die Zipfel des Tüchleins fest zusammen und hebe den Mehlbeutel in den sprudelnden Kessel - auf- hinein und den Deckel darüber! Alles klar, und nun mag das Feuer, die wunderbare Himmelskraft, das Werk vollenden. Wir drei Freunde aber können derweilen draußen auf dem Deck umherspazieren und vergnügt plaudern."

    Sie traten aus der warmen Kombüse und ergingen sich oben im Sonnenschein. Und wie sie nun an das Kabelgat ka- men, faßte Harm sich ein Herz und begann: „Oheim, jüngst, als der fremde Ritter bei Euch in der Kajüte saß, sind wir bei-

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    de hier unten drin gewesen und haben die sechs Schädel auf dem Sims gesehen - warum habt Ihr diese im Schiff?"

    „Oh! Ihr neugierigen Füchse, wie dürft ihr es wagen, die Geheimnisse des ,Walfisch' auszuschnüffeln?" rief der Kapi- tän aufbrausend.

    Erschreckt stammelten die Burschen Entschuldigungen und sagten, von ungefähr seien sie in das Kabelgat und die Kammer hineingeraten.

    Da schwand der Unmut aus dem bärtigen Antlitz des Schiffers, und er sprach begütigend: „Nun, nun, ich vertraue darauf, daß ihr das Geheimnis nicht auf den Markt tragt. So mögt ihr auch erfahren, welch eine Bewandtnis es mit den Köpfen da drinnen hat. Es steckt kein schwarzes Verbrechen noch sonstiger Teufelsspuk dahinter, wie ihr wohl argwöhnt; nein, die Schädel habe ich allesamt vom Grund der See emporgeholt und ihnen, wie sich's für menschliche Gebeine und zumal für die Köpfe von Seefahrern ziemt, das säuberli- che Mausoleum da drunten hergerichtet. Männer, die die See befahren, sind allewegs Helden und verdienen die höchsten Ehren; drum möget ihr nur vor jedem Schiffer tief die Kappe herunterziehen, ihr unerprobten jungen Landratten."

    Eindringlich fuhr er fort: „Jeder Seemann hat seine Lust daran, auf dem Schiff über die Wogen zu fahren, nicht aber drunten auf dem Meeresgrund tat- und kraftlos zu ruhen. Heb' ich nun einen Kopf aus der Tiefe ans Licht der Sonne und gebe ihm Herberg' in meinem Schiff, so wird der Geist, der vormals in dem beinernen Gehäuse wohnte, auch Woh- nung auf meinem Fahrzeug nehmen und es beschirmen vor allen Fährnissen da draußen auf der wilden See nach der Macht, die ihm von Gott gegeben. Je mehr Köpfe ich so ge- winne, desto mehr Schutzgeister werden mein Schiff um- schweben, und so wird es Sankt Nikolo, unserm obersten

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  • Schutzpatron, leichter gelingen, uns in Sturm und Not zu be- schirmen. Mithin sind die Schädel da drinnen teure Reli- quien, die mir um kein Gold feil wären. Geld und Gut kann man wohl gewinnen, nimmermehr aber das Leben, wenn's einmal dahin ist. Oft steig' ich dort hinunter, um Zwiesprache zu halten mit den stummen Gesellen. Oh, sie haben mir viel zu vermelden von Seemanns Lust und Leid und Not und Tod - mehr, viel mehr, als ihr beide wohl jemals erleben werdet, es sei denn, daß ihr Schiffer würdet. Seht einmal meinen Kopf recht genau an - wie? Er ist des Anschauens wohl wert! Nun, dereinst mag wohl auch ihn ein braver Seemann aus der Tiefe emporholen und ihm auf seinem Schiff Herberge geben - glaubt ihr denn, ich würde es dem wackeren Mann nicht Dank wissen? - Oh, freuet euch und seid fröhlich, ihr Jung- mannen, daß ihr noch grün seid und das schöne, kampffrohe Leben noch vor euch liegt! Diese Erde, und zumal die weite blaue See, ist ein gar herrlicher Tummelplatz für frischen Ju- gendmut und überschäumende Manneskraft. - Sturm und Hagel, der Mehlbeutel!" rief er plötzlich emporfahrend und eilte mit großen Schritten nach der Kombüse. Die Freunde folgten und hörten mit Freuden, daß noch nichts verdorben war. Bedächtig tat der Alte ein taubeneigroßes Stück Butter auf ein Pfännchen und setzte dieses auf den heißen Herd, da- mit es zerrinne und sich bräune. Alsdann faßte er behutsam die Zipfel des Leinentuches und hob den Mehlbeutel aus dem Kessel. Auf eine flache Schale ließ er den Inhalt des Beu- tels gleiten, und siehe: Ein dampfender, kinderkopfgroßer, lockerer Kuchen stand vor den begierigen Blicken der jungen Burschen. „Ah!" stießen beide staunend hervor; der Kapitän aber nahm das Pfännchen von der heißen Herdplatte und goß über das duftende Gebäck die geschmolzene braune But- ter.

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    „Alles klar!" sprach er befriedigt, „nun kann die Schmause- rei anheben; folgt mir in die Speisehalle des .Walfisch'!"

    Um den blanken Eichentisch setzten sich die drei und erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahl. Ja, das war ei- ne köstliche Speise! Keine Hausfrau in der Stadt Hamburg verstand einen so schmackhaften Mehlbeutel zu bereiten wie Oheim Jürgen, und nirgendwo saß man so traulich beim Mahl wie in dieser kleinen Kajüte auf dem „Walfisch".

    Der Kapitän freute sich herzlich, daß es seinen Gästen so wohl an seinem Tisch schmeckte, er nickte den Schmausen- den mit behaglichem Lächeln zu und redete zu ihnen:

    „In diesem kleinen Stübchen ißt und trinkt sich's wohl köstlicher als in prunkenden Fürstenhallen, zumal auf hoher See, wenn draußen das Wogenspiel lieblich erklingt. Da könnte der Kaiser kommen und zu mir sprechen: .Kapitän Jürgen Nyenkerken, setz dich auf meinen purpurnen Thron in meinem hohen Schloß und laß mich in deiner Kajüte hau- sen' - ich antwortete ihm: .Mit Verlaub, hoher Herr, ich kann und mag nicht mit Euch tauschen. In Eurem hohen Schloß seid von tausend Neidern und Feinden umgeben, ich in mei- nem Schiff fühle mich ganz in meines Gottes Armen, denn die See ist des Herrn, und niemand anders hat Macht über sie. Und fürder: Euer Schloß steht wohl hoch und stolz prangend da, allein es ist ein starres, totes Ding, das Eurem Herzen nichts zu sagen weiß. Wie anders mein gutes Schiff! Das ist le- bendig, folgt gehorsam meinem Wink und Willen und kämpft und ringt mit mir gegen Wind und wilde Meereswo- gen als ein treuer Kamerad.'

    So würde ich sprechen, und der Kaiser würde mir zunicken und sagen: Jürgen Nyenkerken, du hast recht. Schiffskapitän zu sein, ist wohl des Mannes höchste Lust.'

    Ja - fürwahr, so ist es, ihr jungen Prasser!" rief Nyenkerken

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  • mit glänzenden Augen. „Du, Paul Francke, mußt ja wohl ein Maler werden, weil dir die hohe Gottesgabe verliehen ist; aber dich, mein Sohn Harm, hoffe ich noch für das edle Schifferamt zu gewinnen, obwohl deine liebe Mutter es ganz anders mit dir im Sinn hat. Die deutsche Hansa braucht tap- fere Seemänner, und e i n Nyenkerken muß immerdar für sie streiten. Jetzt tue ich das, und nach mir mußt du an meinem Platz an Bord stehen - willst du das?"

    Hermann suchte den Bissen in seinem Mund rasch zu be- wältigen, aber ehe er antworten konnte, erhob sich draußen ein Lärmen, und eine Donnerstimme rief: „Kapitän Nyen- kerken! Hallo, Kapitän Nyenkerken!"

    „Wie?" fragte der Schiffer und erhob sich vom Tisch, „war das nicht die Stimme des Ritters Klaus Störtebeker?"

    „So heißt er Klaus Störtebeker?" riefen die Burschen. „Ja, so nennt er sich, weil er ein Meister in der Kunst des Be-

    cherstürzens ist; von Haus her mag er wohl ganz anders heißen."

    „Kapitän Nyenkerken!" scholl wiederum die mächtige Stimme von draußen.

    „Ahoi! er lichtet schon die Anker!" rief der Schiffer gutge- launt und eilte mit den Freunden auf Deck.

    Was sie da unten am Hafen erblickten, setzte sie in Erstau- nen. Von einer bewegten Gaffermenge umdrängt und be- wacht von dem obersten Bruchvogt der Stadt und drei hand- festen Schlupwächtern, stand da ohne Wehr und Waffen der Ritter und blickte zm „Walfisch" empor.

    Als die drei oben an Bord sichtbar wurden, ging eine leb- hafte Bewegung durch die Menge, wie wenn plötzlich ein Windstoß durch die Wipfel des Waldes fährt. „Was begehrt man von mir?" fragte der Schiffer von der Höhe herab.

    Da antwortete mit grimmiger Gebärde der Ritter:

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    „Ich bitte Euch, kommt herab, Kapitän Nyenkerken! Das Krämervolk dieser Stadt vermißt sich keck, mir Roß und Rü- stung zu rauben, ja, mich sogar mit Schuldhaft zu bedrohen, sofern nicht ein ehrbarer Bürger der Stadt durch seine Bürg- schaft mich ihren frechen Krallen entreißt."

    „Wartet eine Weile!" antwortete der Kapitän. Er warf in der Kajüte seinen Pelzmantel um, ließ die Fallreeptreppe hinun- ter und verließ mit seinen jungen Freunden den „Walfisch".

    Erwartungsvoll blickte dem hochangesehenen Alderman der Schiffergesellschaft die Menge entgegen, und einer fragte den ändern: „Was wird er tun, wird er für den ritterlichen Sau- sewind eintreten oder nicht?"

    Störtebeker streckte dem bedenklich dreinschauenden Seebären die Hand entgegen und sagte laut: „Kapitän Nyen- kerken, Ihr seid der einzige Mann in dieser Stadt, zu dem ich Vertrauen hege, Ihr werdet nicht dulden, daß einem deutschen Ritter, der an Eurem Tische Gastfreundschaft genossen hat, von habgierigen Krämern und ihren Bütteln Gewalt angetan werde."

    „Zügelt Eure Zunge, Herr Ritter!" warnte Nyenkerken mit scharfem Wort. „In dieser guten Stadt Hamburg wird keinem Ehrenmann ein Haar gekrümmt. Habt Ihr Schulden ge- macht, so müßt Ihr oder ein anderer dafür einstehen, also ist es überall in deutschen Landen Recht und Gesetz; diese Leu- te hier tun nur, was ihres Amtes ist."

    Störtebeker knirschte mit den Zähnen und rief: „Vergeßt nicht, Herr Kapitän, daß ich ritterlichen Standes

    bin!" Ruhig und fest antwortete Nyenkerken: „Euren Stand in

    Ehren, solange Ihr dem Stande nicht Unehre macht." „Herr", rief der Ritter unwirsch, „ich bin nicht zu Euch ge-

    kommen, um mich schulmeistern zu lassen!"

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  • „Was wollt Ihr denn von mir?" fragte Nyenkerken ruhig. „Bürgschaft gegen meine Ankläger, damit ich Roß und Rü-

    stung wiedererlange und frei von hinnen reiten kann!" Der Kapitän sann eine Weile nach, dann blickte er ent-

    schlossen auf und sagte: „Ihr seid mein Gast gewesen, deswe- gen muß ich Euch vor dem Schuldturm retten. Bruchvogt", wandte er sich an das Oberhaupt der Schlupwächter „geleitet den Herrn Ritter zurück nach dem Rathaus, ich folge."

    Unter lautem Hallo der Gassenbuben marschierte der Zug die Deichstraße hinan, kreuzte den Hopfenmarkt, lenkte in die gewundene Straße „An der neuen Burg" ein und staute sich endlich auf dem Platz vor dem Rathaus.

    Drinnen in der Gerichtshalle harrten schon Richter und Ankläger, und als nun Nyenkerken erklärte, er sei gekom- men, für den Ritter zu bürgen, da las der Sekretarius ihm die einzelnen Posten der Zechschulden Störtebekers vor. Der Kapitän erschrak über die Höhe der Summe, doch ließ er sich's nicht merken und übernahm die Bürgschaft für den Prasser, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

    Über diesen Ausgang waren die Kläger froh, denn sie kann- ten die Ehrenfestigkeit Nyenkerkens und wußten, daß er alle Schuld auf Schilling und Pfennig bezahlen werde. Auch Stör- tebeker hob den Blick zu seinem Befreier auf und wollte ihm danken. Der Kapitän aber schüttelte abwehrend das Haupt und sagte: „Laßt das, Herr Ritter, Ihr habt als Gast an meinem Tisch gesessen."

    Ein Blitz aus Störtebekers Augen zuckte über den stolzen Mann hin, er biß die Zähne aufeinander, daß es knackte, schwieg aber still.

    „Ihr seid frei, Herr Ritter, und werdet unten auf dem Hof Roß und Rüstung wiedererhalten: doch Ihr habt ohne Verzug

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    diese Stadt zu verlassen. Unser Bruchvogt mit seinen Gesel- len wird Euch begleiten", verkündete der Richter.

    „Des Geleites bedarf ich nicht!" rief Störtebeker grimmig. In festem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, entgegnete

    der Richter: „Es bleibt dabei!" Darauf fragte er den Kapitän, ob er auch für die beiden Gefährten seines Schützlings, die in der Fronerei säßen, Bürgschaft übernehmen wolle.

    „Nein!" anwortete Nyenkerken, „das sind, wie ich von die- sem Herrn gehört habe, zwei lose Vögel, die er auf der Land- straße aufgelesen hat. Sie mögen in Haft bleiben und erfah- ren, was Recht ist."

    Im Geleit der Büttel und einer lärmenden Volksmenge zog Störtebeker durch die Straßen nach dem Steintor und erhielt erst draußen im freien Feld, angesichts des Galgens, seine vol- le Freiheit wieder.

    Da reckte sich der gewaltige Mann hoch auf, streckte die Schwerthand drohend gegen die Stadt aus unf rief in furcht- barem Grimm: „Wehe dir, Hamburg! Wehe! Wehe! Die Schmach, die du dem deutschen Ritter heute angetan, wird Klaus Störtebeker einst schrecklich rächen! Im roten Blut deiner Söhne wird er sie von sich abwaschen tausendfältig. Merk dir, du verfemte Stadt, den Namen KlausStörtebe- ker!"

    Alle, die das sahen und hörten, entsetzten sich; der Ritter aber warf sein Roß herum und sprengte in wildem Rennen, daß Wehr und Waffen klirrten und funkelten, gleich dem leibhaftigen Satan am Galgen vorüber in den dunkelnden Abend hinein.

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  • Ausfahrt des „Walfisch"

    Die Straßen, die in der Hansestadt Hamburg zum Hafen führten, wimmelten von Wagen, die mit Fässern, Kisten, Säk- ken und schweren Ballen beladen waren. Die großen Tonnen waren mit gutem Hamburger Bier gefüllt; die Säcke enthiel- ten Salz aus Lüneburg und Korn, Gerste und Weizen, aus dem Alten Lande, aus Holstein und Sachsen; goldgelben, leckeren Honig aus der Lüneburger Heide bargen die Kisten, und die schweren Ballen umschlossen Schafwolle und Rauchwerk aus deutschen und slavischen Gauen.

    Die stolzen Kaufleute und Bierbrauer überwachten selbst das Verladen ihrer Güter, und hoch auf Deck der Handels- schiffe standen die Kapitäne mit den Steuermännern, um die Waren im Empfang zu nehmen und ordnungsmäßig in den Schiffsräumen verstauen zu lassen.

    Es war ein Freudentag für Hamburg, wenn zum erstenmal im jungen Jahr die Handelsflotte befrachtet wurde, denn vom Handel hingen Wohlfahrt und Gedeihen der Stadt ab. Daher nahm fast die ganze Einwohnerschaft lebhaften Anteil an allem, was an den Häfen vorging.

    Großes Ansehen hatte in den Augen aller Hamburger der Kapitän des „Walfisch", Jürgen Nyenkerken. Von ihm und seinen Fahrten und Abenteuern waren in der Stadt viele Ge- schichten im Umlauf.

    Nyenkerken belud seinen „Walfisch" mit schweren Bier- tonnen aus der Brauerei seines Bruders Hein. Das flüssige Frachtgut war für London bestimmt, denn das Hamburger Bier wurde von den Engländern gern getrunken und gut be- zahlt.

    An der Stadtmauer am Schartor stand in Hamburg eine kleine Kapelle mit einem Muttergottesbild, das „Sunte Maria

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    tom Schare" genannt wurde. Kein Schiffer hißte die Segel zur Ausfahrt, bevor er nicht der heiligen Jungfrau seine Opfer- spende dargebracht und sich ihrem Schutz anbefohlen hatte.

    So lenkte auch Kapitän Nyenkerken seine Schritte nach dem Schartor, trat in die Kapelle, beugte mit vielen ändern Schiffern seine Knie vor dem Bild und betete, die Mutter Gottes möge ihn und sein Schiff in den Stürmen des Meeres und vor räuberischen Angriffen behüten. Darauf tat er einen tiefen Griff in seine Gürteltasche und legte eine Spende in den Opferstock.

    Sein Antlitz sah froh und glücklich aus, als er aus dem schlichten Haus ins Freie trat. Heller Sonnenschein strahlte ihm entgegen. Dabei blies ihm ein frischer Südost durch den Bart, und er sprach zu ihm: „Willkommen, du munterer Segelbruder! Dich sendet uns die heilige Jungfrau tom Schare, und mit deiner Hilfe werden unsere Kiele heute noch in die offene See hineinfahren."

    Die Uferstraße wimmelte von Menschen. Da sah man stol- ze Ratsherren in pelzverbrämten Mänteln, den Degen an der Seite und auf dem Haupt das federngeschmückte Samtbarett; ehrbare Bürgersleute in schlichterem Gewand, doch kaum minder selbstbewußt; auch viele Frauen, vornehm und ge- ring, die Mütter, Gattinnen, Töchter, Schwestern und Bräute der Schiffer; hie und da einen Priester im langen schwarzen Rock und einen Mönch mit unbedecktem blanken Haupt. Dazwischen die Helden des Tages: Kapitäne, Steuermänner, Matrosen und Schiffsjungen.

    Kapitän Nyenkerken sah mit Wohlgefallen das bunte Volksgewimmel und daneben die große Handelsflotte, über deren Mastenwald Hunderte schwarzweißer und schiefer- grauer Möwen im Sonnenglanz schreiend schwärmten. War das nicht ein prächtiges und großartiges Bild? Durfte er ange-

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  • sichts dieses kraftvollen Lebens, das mit Macht aus den be- türmten engen Mauern hinausdrängte und seine tapferen Söhne auf das Meer hinaussandte, nicht stolz sein auf seine Vaterstadt? In leuchtendem Rot flatterte die Flagge Ham- burgs über den Toppen - war das nicht die Farbe der Morgen- röte, des Blutes und der Feuersglut ? Wie dünkte ihn das Sinn- bild so gut gewählt für die Stadt, die berufen schien, die Nord- see zu beherrschen, seit Kaiser Rotbart ihr die Hut über die Eibmündung anvertraut, ihre Schiffe von allem Zoll auf dem Strom freigesprochen und damit ihren Welthandel begrün- det hatte! Mit jedem Jahr wuchs die Flotte; jetzt zählte sie schon 300 Schiffe, die Hamburgs Namen und Bedeutung über die Meere nach England, Flandern, Frankreich, Norwe- gen und Schweden, Livland und Rußland tragen und zur Gel- tung bringen sollten.

    Ein letztes Händeschütteln, ein letztes „Fahrwohl", und alle Seeleute eilten auf ihr Fahrzeug. Alsbald erschollen dort oben die befehlenden Stimmen der Kapitäne und Steuer- männer. Bald flatterte an den Masten und Rahen die graue Leinwand, und der frische Frühlingswind blies hinein, daß sie sich blähte und rundete und von ihrem Druck das Gestänge krachte und die Schiffe ächzten und stöhnten, als erwachten sie aus tiefem Schlaf.

    Ein Schuß erdröhnte auf dem „Walfisch", daß der Donner von der Stadtmauer zurückprallte und die Menge in ein viel- hundertstimmiges Geschrei ausbrach.

    Erst seit wenigen Jahren führten die Hamburger Schiffe Donnerbüchsen und Bombarden an Bord, und wenn solch ein Ding Flammen spie und wie das Gewitter losdonnerte, schwenkten die Männer und Knaben Mützen und Baretts und riefen: „Glück zur Fahrt! Glück zur Fahrt!" Und vom

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    Verdeck der Schiffe winkten die Seeleute. Möwenschwärme tummelten sich lustig über dem buntbewimpelten Masten- wald und mischten ihre heiseren Stimmen in das Geschrei des Volkes und das Rauschen des Wassers.

    Der „Walfisch" setzte sich an die Spitze der Flotte und fuhr am Niederbaum in den offenen Strom hinein. Ihm folgten in langer Reihe die ändern Schiffe, fast hundert an der Zahl; die Bergen- und Rigafahrer blieben noch im Hafen zurück, weil die nordischen Gewässer noch im Banne der Eisriesen lagen.

    Auf dem Strom wehte der Südost mit doppelter und dreifa- cher Stärke. Hui, wie jagte der „Walfisch" so hurtig durch die hochaufrauschende Flut, als wäre er wirklich das Meerunge- tüm, nach dem er hieß. Kapitän Nyenkerken sah froh und vergnügt aus, wie er so breitbeinig im Achterschiff stand und die muntere Hantierung seiner Männer, die windgeblähten Segel, die flatternde Flagge am Fockmast beobachtete.

    Norwegenfahrt

    Wochen und Monate waren seit der Ausfahrt des „Wal- fisch" und der Flotte der Englandfahrer vergangen. Da ver- breitete sich kurz vor dem Johannisfest in Hamburg das Gerücht, die Hamburger Flotte sei schon oberhalb Stade und werde bei der steifen Nordbrise in zwei Stunden am Nieder- baum sein. Mit geröteten Wangen kam Hermann Nyenker- ken, der 16jährige Sohn des Mühlenmeisters Nyenkerken und Neffe des Kapitäns Jürgen Nyenkerken, aus der Dom- schule nach Hause und rief: „Mutter, Kinder, die Englandfah- rer sind schon am Süllberg! Viele Leute eilen schon nach dem Hafen, in einer Stunde ist die Flotte hier, und was bringt Oheim Jürgen uns mit?"

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  • „Die bunte Kuh!" riefen die Schwestern Trude und Gret- chen wie aus einem Munde.

    „Ja, die bunte Kuh von Flandern!" bestätigte Hermann. „Wie die wohl aussehen wird ? - Ich will's doch gleich dem Va- ter melden, dann laufe ich auf die Höhe am Eichholz, um nach der Flotte auszuspähen."

    Fort war er, und nach einer Stunde begab sich auch sein Va- ter mit Dirk, der einen Strick in der Hand trug, zum Hafen.

    Eine große Volksmenge flutete am Kai und Steinhöft bis zum Schartor durcheinander. Auch die Bürgermeister und Ratmannen standen auf dem Damm. Sie blickten glücklich und heiter drein, waren doch viele von den Schiffen, die nun mit Gütern aller Art befrachter von der Reise heimkehrten, ihr Eigentum.

    Siehe! dort kam schon die Flotte in Sicht. Über den Top- pen flatterten die roten Flaggen, und die grauen Segel glänz- ten im Sonnenschein. Der Anblick weckte lebhafte Freude, und in der Menge entstand eine Bewegung wie im Wald, wenn ein Windstoß durch die Wipfel der Bäume fährt.

    „Sie kommen! Sie kommen!" hörte man rufen. „Seht, das ist der Walfisch', und der hohe Mann am Bug ist Kapitän Jür- gen Nyenkerken. In den Wanten klettern die Matrosen umher, ein paar stehen oben in den Mastkörben. Jetzt werden die obersten Segel gerefft, das Schiff fährt durch den Nieder- baum, es ist im Hafen. Hohio!"

    In langer Reihe kamen die ändern Holke und Schuten hin- terdrein, das große Wasserbecken füllte sich mit Schiffen, und die Volksmenge schwenkte Mützen und Fähnlein und brach in ein tausendstimmiges Jubelgeschrei aus.

    Nach einer halben Stunde rüstiger Arbeit lagen alle Kiele vor Anker; ein Schuß auf dem „Walfisch" krachte, dann trat Stille ein. Kapitän Nyenkerken stieg auf eine aus Fässern und

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    Brettern erbaute Tribüne am Heck des „Walfisch", erhob sei- ne mächtige Stimme und sprach weithintönend:

    „Englandfahrer, wir sind glücklich im Hafen unsrer gelieb- ten Vaterstadt Hamburg. Auf Meereswogen und im fremden Land hat uns der große Kapitän dort oben treulich behütet und beschirmt. Des wollen wir jetzt dankbar gedenken und an den heiligen Stätten unserer Stadt reichliche Opferspen- den darbringen, wie es frommen deutschen Seemännern ge- ziemt. Und ist einer unter uns, der in seiner Brust Zorn, Haß und Groll wider einen seiner Brüder verstaut hat, den mahne ich als der Englandfahrer Haupt und Alderman: Bruderherz, gedenke der Güte Gottes und wirf all den unnützen Ballast deiner Seele über Bord, daß ihn die Tiefe verschlinge auf Nimmerwiederkehr! Denn mit einem freien Herzen sollen Seemänner den Heimatboden betreten. Hört ihr mein Wort auf allen Planken, Englandfahrer? - Nun denn, so gebt Raum der Mahnung eures Aldermans, reicht euch in seemännischer Treue und Freundschaft die wackere Rechte, und dann mit Gott an Land!"

    „An Land! An Land! Hohio!" tönte es nun auf allen Schif- fen, hie und da aber standen zwei, die sich die Hände schüt- telten und - Auge in Auge gesenkt - das Wort der Versöh- nung sprachen: „Vergeben - vergessen!"

    Und was war's dann für ein freudiges Grüßen und herziges Lachen und Küssen am Kai!

    Die drei Brüder Nyenkerken standen Hand in Hand bei- sammen; der Bierbrauer vernahm mit Freuden gute Bot- schaft von seinem Geschäft in London, und der Mühlenmei- ster fragte nach der Kuh, die der Kapitän aus Flandern mit- bringen wollte. Hermann aber stand schon auf Deck des „Walfisch" und rief von oben: „Vater, die bunte Kuh ist hier!"

    Mit nicht geringer Mühe wurde sie ausgeschifft. Als sie fe-

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  • sten Boden unter den Füßen fühlte, streckte und schüttelte sie sich, warf den Kopf empor und brüllte.

    Dem „Walfisch" war keine lange Ruhe im Heimathafen be- schieden. Bald nach seiner Rückkehr von der Englandfahrt grüßte von Heck des stolzen Schiffes ein Schiffsjunge in sei- ner neuen Seemannstracht zum Hafen hinunter. Es war Her- mann, der Sohn des Mühlenmeisters Nyenkerken, der sei- nem Vater, dem Bruder Dirk und den Schwestern freundlich zuwinkte.

    Nun holten die Bootsleute die Anker aus der Tiefe empor und sangen dabei: „Hei-o-ho, hei-ho-o-o-o!", und dann stürmten sie an die Brassen und entfalteten die Segel, und der Wind blies in die Leinwand, daß sie sich blähte und straffte und die schwerbeladenen Fahrzeuge aufrüttelte und durch die Wogen dahintrieb, als wären starke Rosse davorgespannt - hohio! hoio!

    Es waren nur zwei Schiffe, die aus dem Hafen segelten: Der „Walfisch" und „Isern Hinrik"; das Ziel ihrer Fahrt war die Stadt Bergen in Norwegen. Dort hatte Hamburg gleich meh- reren ändern großen Seestädten der Hansa einen Kaufhof, und die beiden Schiffe waren mit Bier, Korn, Kleidern, Tü- chern, Decken und mancherlei ändern Gütern befrachtet.

    Einen letzten Gruß noch winkte Hermann den Seinen zu, dann machte der „Walfisch" eine Wendung, der Strom nahm ihn auf, nordwärts ging die Fahrt, und das Hafenbild mit den Zuschauern am Kai und Steinhöft entschwand den Blicken der Seeleute. Der Schiffsjunge am Heck holte ein paarmal tief Atem, und der Gedanke, daß die Kinderzeit abgeschlossen hinter ihm liege und nun ein neuer Abschnitt seines Lebens anhebe, durchschauerte seine junge Seele. Da legte sich eine

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    Hand auf seine Schulter, der Kapitän stand vor ihm und blickte ihn durchdringend an.

    „Nun, mein Sohn, wie ist dir zumute?" fragte der Onkel mit freundlicher Teilnahme.

    „Glücklich, Oheim!" antwortete Hermann. „So ist's recht", versetzte Nyenkerken, „und ich meine, wen

    unser Hergott zum Seemann beruft, der hat auch wohl Ursa- che, glücklich zu sein. Aber das spielerische Leben hat nun ein Ende; von Stund an wirst du alles tun und vollbringen, was den Schiffsjungen zu tun obliegt, selbst mit Schrubber und Besen wirst du auf den Planken hantieren und jedem Wink des Steuermannes und der Bootsleute ohne Verzug ge- horsam sein. Denn von der Pike auf muß jeder dienen, der einst befehlen will."

    In rascher Fahrt ging es den Strom hinunter, und bald ent- schwand der Gipfel des Süllberges den Augen des rück- schauenden Schiffsjungen.

    Die Mannschaft des ,Walfisch' war nicht groß an Zahl, sie betrug nur zweiunddreißig Köpfe, darunter acht Schiffsjun- gen in Hermanns Alter; Steuermänner und Bootsleute aber waren auserlesene Seebären, die auch im Waffenkampf schon manche harte Probe bestanden hatten. Am Großmast hingen Eisenschilde, Blechhauben, Brustpanzer, Schwerter, Streit- äxte, Speere und Hellebarden; Wurfmaschinen, Bliden genannt, und Donnerbüchsen standen auf Deck, und kam eine Räubersnigge in Sicht, so verwandelten sich die schlich- ten Schiffer alsbald in eisenstarrende Krieger.

    Auch Hermann hatte von seinem Großvater, dem alten Schmiedemeister Francke, Schwert, Schild und Streitaxt, Helm, Harnisch und Beinschienen erhalten, und er war nicht wenig stolz auf sein treffliches Rüstzeug und trug in seinem Herzen das heiße Begehren, es möchte die Stunde bald kom-

    3 Klaus Stortebeker 33

  • men, da er das Eisengewand anlegen und Schwert und Schild zum Kampf erheben dürfte. In den letzten Jahren war's auf der See allerdings ziemlich friedlich gewesen, nur einzelne schnelle Räubersegler wagten sich hinaus aus ihren Schlupf- winkeln an den friesischen, dänischen, norwegischen und pommerschen Küsten, aber jetzt braute sich dort oben im alten Normannenland ein Wetter zusammen: König Hakon von Norwegen und sein Sohn Olaf waren gestorben, und die Königin, die ehrgeizige „schwarze Margarete", streckte ihre Hand auch nach der Krone Schwedens aus, die Herzog Albrecht von Mecklenburg auf seinem Haupt trug. Man schliff dort oben in den Felsgebirgen schon die Schwerter zum Streit, und die tapferen Normannen harrten nur auf den Wink ihrer Königin, um sich auf die Rosse zu schwingen und zum Kampf zu reiten. Auch die Seeräuber horchten hinaus, ob nicht der Nordwind Waffengetöse an ihr Ohr wehe. Dann hielt sie nichts mehr in ihren Schlupfwinkeln zurück, selbst nicht die Furcht vor den Donnerbüchsen der großen Hansa- koggen. -

    Kapitän Nyenkerken wußte das alles, aber er fürchtete sich nicht; mit einzelnen Räubersniggen, die seinen Kurs etwa zu kreuzen wagten, wollte er schon fertig werden, und von der schwarzen Margarete hatte die Hansa vorerst noch nichts zu besorgen. So hatte der wackere Kapitän ohne Bedenken den Auftrag der Kaufmannschaft übernommen, und er hoffte, wohlbehalten nach Bergen und wieder zurück nach Ham- burg zu gelangen.

    „Stade!" sagte der Kapitän zu Hermann und deutete auf die Hafenstadt zur Linken. „Viele Herren haben ihre Banner an den Ufern unseres Stromes aufgepflanzt, und jeder möch- te Gewalt über ihn haben und die ändern verdrängen oder ihre Schiffe mit schwerem Zoll belasten; aber dahinter steht

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    auf hoher Warte unsere mächtige Vaterstadt und hält scharfe Wacht, daß diese Völkerstraße ins offene Meer frei bleibt für jede Flagge, wie Kaiser Rotbart und Graf Adolf von Schauenburg es der Stadt Hamburg zugesichert und aufgetra- gen haben. Siehst du, mein Sohn, deswegen bin ich stolz auf unsere Vaterstadt und diene ihr mit meinen besten Kräften, damit sie immer größer und mächtiger emporwachse."

    Breiter und breiter wurde der Strom; das holsteinische Ufer zur Rechten wich immer weiter zurück, bis es dem Auge nur als ein ferner grüner Streifen am Horizont erkennbar war. Mit Staunen blickte Hermann auf die ungeheure Wasserflä- che und sagte: „Ist das noch die Elbe oder schon das Meer?"

    „Immer noch der Strom; erst nach einer Stunde werden wir die See vor uns sehen", erklärte sein Oheim.

    Nahe vor der Mündung reckte sich am linken Ufer ein ro- ter Turm aus grünen Baumwipfeln in die Bläue. „Das ist Schloß Ritzebüttel", sagte der Kapitän zu Hermann und einigen ändern Schiffsjungen, die auch nach dem Turm hin- überblickten. „Darin hausen die Ritter vom Lappe, große Herren, denen hier oben an der Seekante viele Dörfer gehö- ren. Zwei davon haben sie für die Summe von 240 Mark- pfennigen an unsere Stadt verpfändet, denn trotz ihres rei- chen Besitzes an schönen Gütern herrscht in ihren Schatz- kammern stets trostlose Ebbe. Sie haben sich unserm Rat gegenüber verpflichtet, für die Sicherheit und Befriedung die- ses Strandes zu sorgen, aber wie halten die edeln Herrn ihr Versprechen? - Wenn ihre Beutel leer sind, lauern sie selbst unsern Schiffen auf, um sie zu berauben, und nicht eher wird Friede herrschen an der Eibmündung, als bis im Schloß Ritzebüttel ein Hamburger Ratsherr gebietet. Seht! dort kommt einer von den Lappen dahergeritten, er will wohl spä-

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  • hen, ob bei uns nicht Beute zu erjagen ist. Haha, Herr Wolder oder Alverich, habt Ihr Mut, mit uns einen Strauß zu wagen ?"

    Hart am Ufer hielt der Reiter und faßte die Schiffe scharf ins Auge. Es war eine Hünengestalt. Auf seinem Harnisch blitzten und funkelten die Sonnenstrahlen, und mit seinem roten Helmbusch spielte der Wind.

    „Oheim!" rief Hermann in höchster Überraschung, „das ist ja der Ritter Klaus Störtebeker!"

    „Störtebeker?" fragte Nyenkerken und schirmte mit der Hand seine Augen gegen die Sonne, um besser sehen zu kön- nen. „Bei Sankt Nikolas, du hast recht, es ist der Störtebeker!"

    Da fuhr das rote Pferd des Reiters hoch, als wollte es in den Strom hineinspringen; aber der Ritter zwang es zur Ruhe, winkte mit der Rechten nach dem „Walfisch" und rief mit sei- ner mächtigen Stimme: „Heda, Kapitän Nyenkerken, wollt Ihr nicht anlegen und Einkehr halten im Schloß Ritzebüttel? Ich stehe noch in Eurer Schuld und möchte meine Rechnung bezahlen."

    „So ergeht's Euch wohl, Herr Ritter?" rief Nyenkerken. „Besser als in Eurer Krämerstadt Hamburg, die vor meiner

    Rache zittern mag!" versetzte Störtebeker und schüttelte die Faust.

    Da lachte der Kapitän und erwiderte: „Die Stadt Hamburg fürchtet sich nicht. Ihr aber, Herr Ritter, hütet Euch vor unserm Fronknecht Peter Funcke! Der Mann versteht keinen Spaß mit den Feinden Hamburgs."

    „Ha!" rief Störtebeker wild auffahrend, „das Wort sollt Ihr mir büßen!" Und er zog sein Schwert, führte mit der Klinge einen scharfen Hieb durch die Luft und schrie zornig: „Hier- mit zerschneide ich das Band unserer Freundschaft und wer- de Euch wie jeden Hamburger Pfeffersack bis zum Galgen verfolgen!"

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    „Haha!" lachte der Kapitän, „bis zum Galgen vor dem Steintor in Hamburg! Auf Wiedersehen auf dem Rabenstein, Herr Klaus Störtebeker!"

    Jetzt kam die Flut vom Meer an, die Wogen begegneten sich, rangen, hochaufwallend, miteinander, zerschlugen sich und kreisten und wirbelten schäumend und tosend um den Bug des Schiffes.

    „Riechst du den Odem der See?" fragte der Kapitän Her- mann.

    Hart an der Mündung streckte sich eine schmale Halbinsel vom Fischerdörflein Duhnen in den Strom und die See, eine Herde Rinder graste auf ihr, und Scharen von Seevögeln be- lebten die sandigen Ufer.

    „Das ist Schaarhörn", erklärte ein Bootsmann auf Her- manns Frage, „und die große Insel jenseits des Priels heißen wir Neuwerk. Sie ist hamburgisch, unserer Stadt äußerste Nordwacht."

    „Der Turm in ihrer Mitte scheint gewaltig zu sein", meinte Hermann.

    „Ja", erwiderte der Bootsmann, „er ist hoch und sehr fest, ganz aus Steinen gebaut. Unser Rat läßt auf seiner stumpfen Kuppe nachts ein helles Feuer unterhalten, das den Schiffen als Wahrzeichen dienen soll. Wenn wir von der See kommen und das Licht sehen, so ist es uns wie ein erster Gruß unserer Heimat."

    Die Schiffe entfernten sich immer weiter vom Ufer und se- gelten an der schmalen Ostseite der Insel in das offene Meer hinein. Am Vordersteven stand Hermann und nahm das erhabene Bild der wogenden See in seine junge Seele auf. Grünschillernde Wasserwogen, so weit das Auge reichte, hie und da eine Schar weißer Möwen gleich windverwehten Schneeflocken und droben in unendlicher Höhe die blaue

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  • Himmelsglocke, unter der lichte Sommerwolken langsam da-hinfuhren. Ja, das Meer war groß und gewaltig, erhaben und schön wie wohl nichts anderes auf Erden. Nach zwei Stunden flotter Fahrt zeigte sich ein leuchten- der Punkt, der immer größer wurde und heller aufleuchtete. Es war kein Schiff, wie Hermann vermutet hatte, sondern ein roter Felsen, der sich vor den Augen allmählich zu einer Insel auswuchs. Tausende silberglänzende Möwen umflatterten den Strand, in der Mitte des Eilandes erhob sich ein trotziger, viereckiger Turm, ähnlich dem auf Neuwerk; Rinder weideten vor dem grünen Wald, und auf dem Wasser kreuzten Fischerboote. „Da siehst du Helgoland", sagte der Kapitän zu Hermann. „Die Insel ist jetzt leider dänisch, die Burg dort mit dem grauen Turm hat König Waldemar der Dritte gebaut, Helgoland heißt der Wald zur Rechten, Holmbusch der zur Linken, die bebuschten Felsenlöcher sind arge Schlupfwinkel für Seeräuber, und einzeln fahrende Schiffe müssen sich hüten, der Insel zu nahe zu kommen. Ehe nicht die Flagge Hamburgs auf dem Turm dort weht, wird dieses Eiland der Schrecken unserer Handelsflotten sein, und war doch in alten Zeiten ein Hort des Friedens und ein heiliger Sitz der Götter, woher es ja auch seinen Namen Helgoland, das heißt: heiliges Land, erhalten hat. - Schau nur hin, wie friedlich und schön das Eiland mit seinen grünen Wäldern, seinen weidenden Rinder - und Schafherden, seinen stillen Hütten, seinen ausgespannten Fischernetzen und den flatternden Möwenscharen über den roten Felsen im Sonnenglanz sich aus der grünen Flut erhebt! Aber, mein Sohn, der Schein trügt; in der Burg dort waltet ein dänischer Vogt, und der hält es mit den Freibeutern, gewährt ihnen Unterschlupf und teilt mit ihnen den Raub. Wie viele Hamburger Schiffe sind hier nicht schon spurlos

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    verschwunden! Aber der Tag kommt, da wir Abrechnung hal- ten werden."

    Gegen Abend kamen zur Rechten die nordfriesischen Inseln in Sicht, rote Glut überflammte den westlichen Him- mel, und über das weithin rollende Meer ergoß sich rosiges Licht. Tümmler spielten in der purpurnen Flut um das Schiff, fünf Fuß lange Burschen mit dunklen Rücken; sie tauchten ans Licht und schössen wieder hinunter, bald hier, bald dort.

    Am folgenden Tag erreichte man Skagens Hörn, die Nord- spitze Jütlands, und dann stieg vor den Blicken der Seefahrer der dunkle Felsblock des alten Normannenlandes wie eine finstere Mauer empor. Ja, das war eine fremde Welt, an deren Klippengestade sie nun dahinfuhren. Ernste, himmelhohe, nackte Felsen und zwischen ihnen schäumende Ströme, die sich mit Brausen und Tosen in die Fjorde hinabstürzten: da- hinter schimmernde Gletscher, die wie riesige Drachen da- standen und aus den Meeresbuchten tranken; weiterhin nied- rigere, wildzerklüftete Gebirgsmauern, mit Tannen bewach- sen, umbraut vom Gischt und Nebel der Ströme, von Möwenscharen umflattert und umkreist von einzelnen Seeadlern. Hie und da erblickte man am Fuß der Felsen auch menschliche Hütten und auf den Fjorden Männer in Fischer- kähnen. Größere Ortschaften sah man jedoch nirgends, ein weltverlorener, wildprächtiger Strand.

    Die Brise war geblieben, beharrlich konnten die Schiffe den Kurs verfolgen, und die Nächte waren so hell und ster- nenklar, daß sie immerfort ohne Gefahr weitersegeln konn- ten. Hermann war von der märchenhaften Schönheit der nordischen Maiennacht so bezaubert, daß er oft auf dem Ver- deck blieb, obwohl oben ein rauher Wind wehte. In der letz- ten Nacht erscholl plötzlich aus dem Ausguck am Fockmast

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  • der markdurchdringende Warnungsruf des Matrosen: „Ahoi! Brandung voraus!"

    Was war das? Wie durch einen Schuß aufgeschreckt liefen die wachhabenden Leute zum Vordersteven, der Steuermann aber klomm eilig an der Strickleiter empor, um Auslug zu hal- ten. Ja, kein Zweifel, das Schiff fuhr geradeaus auf eine Bran- dung zu. Wie ein Wall oder eine Wolke aus Schnee stieg sie aus der See empor, bald hoch auffahrend, bald zusammen- fallend, gleich den Strahlen eines Springbrunnes, hell über- glänzt vom sanften Licht des Mondes.

    Die Stimme des Kapitäns erschallte auf Deck: „Eine Bran- dung mitten in der See, wie ist denn das nur möglich? Wohl

    zwanzigmal bin ich nach Bergen und weiter hinauf gesegelt, hab' aber in dieser weiten Entfernung vom Land niemals eine Brandung gesehen."

    Scharf spähte er aus, wandte sich um und rief dem Mann am Steuer zu: „Ruder halb Backbord!" Daraufgab er den Be- fehl, die Segel zu reffen, das Schiff machte einen Bogen nach Westen und legte sich dann schräg gegen den Wind. Seinem Beispiel folgte „Isern Hinrik", und nun konnten sie, langsam kreuzend, den Morgen abwarten.

    An Schlaf war nicht mehr zu denken, jedermann war be- gierig, wie sich das Rätsel lösen würde. Frierend standen die Männer an Deck und blickten hinüber nach dem geheimnis- vollen weißen Wogenspiel; dann rief plötzlich eine Stimme: „Jetzt ist's verschwunden!"

    „Bei Sankt Nikolas!" versetzte Nyenkerken in höchstem Erstaunen, „die Brandung ist wie fortgeblasen!"

    Alle Augen waren auf den Punkt gerichtet, aber nichts war dort zu erspähen als rollende Wogen. Nach kurzer Weile aber riefen mehrere Stimmen zugleich: „Ha! da ist sie wieder!"

    In der Tat, die steigende und fallende Schneewolke war wieder da, blieb eine Zeitlang am Horizont sichtbar, um dann so plötzlich, wie sie sich aufgetürmt hatte, wieder zu ver- schwinden.

    „Das ist keine Brandung", meinte Nyenkerken kopfschüt- telnd, „ja, ja, die See hat ihre Geheimnisse und Wunder, nie- mals wird ein Mensch sie ergründen."

    Langsam vergingen die Stunden der Nacht, fern im Westen tauchte die goldige Mondscheibe ins Meer, die Sterne verlo- ren allmählich ihren Strahlenglanz und schwanden dahin, ei- ner nach dem ändern; lichtlos, grau und kalt erschienen Him- mel und See und Luft eine Zeitlang, dann aber kam die Mor- genröte und streute leuchtende Rosen auf die Bahn, die die

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  • Königin Sonne befahren wollte. Von der Brandung war keine Spur mehr zu sehen, die Kapitäne ließen die gerefften Segel aufziehen und nahmen den Kurs nach Norden wieder auf. Nach einer Viertelstunde flotter Fahrt aber stiegen plötzlich wieder jäh emporgestoßene Wassersäulen vor den Schiffen auf. Bei dem Anblick lachte Nyenkerken laut auf und rief: „Da haben wir also des Rätsels Lösung! Walfische sind's, die uns in der Nacht genarrt haben!"

    Nach Südwesten zog die Herde der gewaltigen Seeungetü- me. Vorüberschwimmenden Bergrücken glichen die langen schwarzen Oberkörper, die über den Wogen zum Vorschein kamen und dann wieder untertauchten. Regungslos stand Hermann im Vorderschiff und blickte in sprachlosem Stau- nen dem Zug nach. Wohl hatte er von der ungeheuren Größe der Wale gehört, aber diese Kolosse übertrafen doch weit sei- ne Vorstellungen.

    Nach einer Stunde flotter Fahrt in nordöstlicher Richtung erblickte Herman über den Felsen des Gestades einen mäch- tigen grauen Turm in der klaren Morgenluft. „Schloß Bergen- huus!" meldete der Matrose vom Ausguck am Fockmast. Ny- enkerken ließ die Hamburger Flagge über Topp hissen, und auch auf dem „Isern Hinrik" stieg das rote Fahnentuch empor. So ging's in den Waagfjord hinein, und vor den erstaunten Blicken Hermanns lag das Dächergewimmel der volkreichen Stadt Bergen. In Hufeisenform zogen sich die Häuserreihen um die Bucht, überragt von hohen finstern Bergen im Hintergrund und beherrscht von dem mächtigen viereckigen Turm des norwegischen Königsschlosses zur Lin- ken. Auf der rechten Seite lag die „deutsche Stadt" mit der doppelgetürmten Marienkirche, links das ältere und größere norwegische Viertel, der Überstrand geheißen. Zwischen bei- den strömte, von einer Holzbrücke überspannt, die Elligaa in

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    den Fjord. Und dahinter standen mit ihren düstern Häusern die sieben Berge wie Riesen, die gleichgültig auf ein Kinder- spielzeug zu ihren Füßen herabschauen.

    Als die beiden Schiffe in den Fjord einliefen, füllte sich die Landungsbrücke rasch mit Menschen, die mit großer Lebhaf- tigkeit die Ankömmlinge begrüßten. Langsam segelten die Schiffe heran, legten sich an die Brücke und wurden mit Ankern und Tauen an den Pollern befestigt. Darauf kam Albert Bretling, der Alderman des Hamburger Kaufhofes in Bergen, an Bord des „Walfisch" und begrüßte mit Freude Ny- enkerken und die Mannschaft.

    Von Herrn Albert Bretling geleitet, betrat der Kapitän mit seinem Neffen das Hamburger Kaufhaus oder - wie man hier sagte: den Garten. In langer Reihe erhoben sich an der hölzer- nen Landungsbrücke die Gärten der verschiedenen Hansa- städte, bevorzugt durch ihre Lage am Fjord die von Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Bremen, Emden und Deventer. Sie waren im äußern Bau einander so ähnlich, daß der Frem- de nur an den Wappenschildern sehen konnte, welcher Stadt sie angehörten.

    Der Alderman führte seine Gäste durch die Gewölbe und Verkaufsbuden des Erdgeschosses über eine Treppe nach dem zweiten Stockwerk, wo er ihnen zwei kleine, schmucklose Stuben als Wohnung anwies. Die offenstehenden Fensterlu- ken gingen auf den Fjord hinaus, und der möwenüberflatter- te grüne Wasserspiegel mit seinen Schiffen und Fischerboo- ten, nordwärts begrenzt von der Häuserreihe des Überstran- des und dem grauen Gemäuer des Königsschlosses Bergen- huus mit seinem mächtigen viereckigen Wartturm, boten dem Auge ein großartiges Bild.

    Die Stuben selbst waren wenig behaglich eingerichtet: eine Lagerstatt mit Eisbärpelz bedeckt, Tisch, Stuhl, Leuchter, vier

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  • kahle Wände und eine rohe Balkendecke darüber - das war die ganze Herrlichkeit.

    „Müßt fürlieb nehmen", sagte Herr Bretling, „ist sicher so dürftig hier wie in der Behausung des Propheten Elias; in Hamburg herbergt man behaglicher als hier im rauhen Nord- land."

    „Wahr gesprochen", versetzte Nyenkerken, „aber sorgt Euch darum nicht, Herr Alderman! Ihr wisst, Seefahrer sind anspruchslose Gesellen. Und dann, vergeßt nicht die Augen- weide da draußen! Seht Ihr, wie der Adler dort um den Turm von Bergenhuus seine Kreise zieht? Weilt die stolze Wittib Margarete noch in dem altersgrauen Normannenschloß, das König Olaf Kyrre vor Jahrhunderten auf dem Felsen dort erbaut?"

    „Nein", antwortete der Alderman, „sie ist mit ihren Rittern nach Sonnenaufgang gezogen, um König Albrecht von Schwedens Herrscherthron zu stoßen und sich selber darauf zu setzen."

    „Sieht der Tochter des großen Waldemar Atterdag ähn- lich", entgegnete Nyenkerken, nachdenklich mit dem Kopf nickend. „Gelingt ihr das Wagnis, so kann sie sich mit drei Kronen schmücken und abwechselnd auf drei Herr- schersitzen thronen: heute in Stockholm, morgen in Kopen- hagen und übermorgen hier in Bergenhuus: alsdann aber mag die deutsche Hansa ihre Orlogschiffe zum Kampf rüsten, denn in der Dreikronenträgerin Margarete kreist das Raub- tierblut des Wisbyzerstörers Waldemar Atterdag."

    Sie gingen in den hinteren Teil des Hauses, wo über den festgewölbten Vorratskellern der große Gesellschafts- und Festsaal, Schütting geheißen, sich ausdehnte. Dort ließ der Alderman Wein auftragen und setzte sich mit dem Kapitän an einem der schweren Eichentische zum Zwiegespräch nie-

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    der. Hermann aber trat hinaus in das Gärtchen hinter dem Schütting, das wackere Hände dem Felsgrund abgerungen und mit einer Steinmauer eingehegt hatten. Gegen rauhe Winde war es durch das Haus und den hochanstrebenden Berg geschützt. Freundlich schien die Sonne herein und lock- te aus dem grandigen Erdreich das erste junge Grün hervor. Mit inniger Teilnahme betrachtete Hermann das junge Leben zu seinen Füßen. Dabei wurde er durch das Auftauchen eines jungen Menschen unterbrochen, der mit dem Freudenruf: „Hermann! Hermann!" herbeigeeilt kam.

    „Arnold!" rief der Überraschte und breitete die Arme aus, um seinen Schulkameraden Arnold von Hachede zu begrü- ßen. „Du hier in Bergen?"

    „Ja, seit einem Jahr schon, aber jetzt fahre ich mit euch nach Hamburg zurück", antwortete Arnold in strahlender Freude.

    „Auf dem Walfisch?" „Ja, es ist schon alles abgemacht mit deinem Oheim." „Prächtig!" rief Hermann erfreut. „Ich bin Schiffsjunge auf

    dem Walfisch' - hast du nicht auch Lust, Seemann zu wer- den?"

    „Ja, das ist es ja gerade, weswegen ich jetzt nach Hamburg zurückkehre. Das Leben in den Kontoren und Lagerkellern halte ich nicht aus. Ein Seemann will ich werden und mit Wind und Wogen und Seeräubern kämpfen!"

    „Das ist schön! Das ist schön!" rief Hermann und blickte dem dunkelhaarigen Burschen fröhlich in die schwarzen Au- gen.

    Am ändern Tag stiegen die beiden Freunde auf die Berge, die hinter der Stadt wolkenhoch emporragten. Sie hatten sich mit derben Stöcken und Wurfspießen versehen, denn Arnold meinte, es wäre wohl möglich, daß ihnen ein Wolf oder Bär in

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  • den Weg käme. Durch dichten Nebel klommen sie empor, aber als sie auf der Höhe anlangten, faßte der frische Berg- wind die grauen Gespinste der Nacht, wirbelte sie in tollem Tanz durcheinander und trieb sie in den Fjord und auf das Meer hinunter. Da standen in der Ferne die Berge frei und klar im Sonnenglanz, und über ihren schneeigen Gipfeln wölbte sich wie eine blaue Glocke der hohe Himmel. Sprach- los blickte Hermann in diese nie gesehene erhabene Nord- landspracht, und auch Arnold, der schon oftmals hier oben gestanden hatte, wurde mächtig von der Schönheit des Bildes ergriffen.

    Rings um sie her stürzten schäumend und brausend die Bergwasser über Steine und Klippen in den Fjord hinunter, und unten stand wie ein Kinderspielzeug die Stadt mit ihrem Dächergewirr, ihren Türmen und abgetakelten Schiffen an der dunkelblauen Bucht. In der Ferne winkten die schneebe- deckten Höhen des Kjölengebirges, am Saum eines Föhren- waldes blinkte der Spiegel eines Sees.

    Müde und wolfshungrig, aber voll von tiefen Eindrücken der erhabenen Hochlandnatur kehrten die Jungen nach Ber- gen zurück, wo der „Walfisch" und „Isern Hinrik" im Hafen auf sie warteten, um in wenigen Tagen nach Hamburg heim- zusegeln.

    Die Vitalienbrüder

    Nach drei Wochen stand Hermann mit seinem Freund Arnold von Hachede wieder an Bord des „Walfisch", um sei- ne erste Englandfahrt zu machen. In den friesischen Gewäs- sern in der Nähe der Insel Borkum sahen sie die roten Segel mehrerer Piratenschniggen flattern; doch die Räuber wagten

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    sich an die große Hamburger Flotte nicht heran, die wohlbe- halten nach London kam. Vier Wochen lagen sie in dem Themsehafen vor Anker. Die Schiffe wurden entladen und mit englischen Gütern, größtenteils wollenen Kleiderstoffen und Werkzeugen aus Eisen und Stahl, von neuem befrachtet. Alles geschah durch Vermittlung der hansischen Kaufleute des Stahlhofes, der die große Handelsmacht der deutschen Hansa in London eindrucksvoll verkörperte und den engli- schen Kaufherren ein Dorn im Auge war.

    Hermann und Arnold gingen in der großen fremden Stadt mit offenen Augen umher, und Arnold sagte einmal: „Es ist wie in Bergen: man duldet und achtet uns, weil wir mächtig sind, aber Neid und Haß blicken aus allen Augen."

    Auf der Rückfahrt hatte die Flotte heftige Stürme zu beste- hen. Während des Winters blieben die Schiffe im heimischen Hamburger Hafen, und die Seeleute hatten gute Tage. Doch gegen Ende des Winters verbreitete sich in Hamburg das Ge- rücht: bei Fallköping in Schweden sei eine große Schlacht ge- schlagen worden, in der König Albrecht, der Mecklenburger, von der schwarzen Margarete besiegt und gefangen worden sei. Die Hamburger Kaufherren standen bestürzt und frag- ten: „Kann das wahr sein? Und was hätte die deutsche Hansa alsdann von der mächtigen nordischen Königin zu erwar- ten?"

    Nicht lange, da kam von Lübeck die Bestätigung. Jetzt war die Tochter Waidemars Atterdag in der Tat Herrscherin in den drei Reichen Dänemark, Norwegen und Schweden. Nur die Hauptstadt Stockholm bot ihr noch Trotz. In ihren Mauern standen wackere deutsche Kriegsmannen, die ihrem gefangenen König Treue hielten und die Übergabe der Feste hartnäckig verweigerten. Margarete schloß nun die Stadt von der Landseite ein, konnte aber nicht verhindern, daß hansea-

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  • tische Schiffe den Belagerten Lebensmittel zuführten. Um Stockholm dem König zu erhalten, erließen die beiden meck- lenburgischen Städte Wismar und Rostock einen Aufruf, worin sie allen Freiwilligen, die die nordische Königin befeh- den und Stockholm Lebensmittel zuführen wollten, Kaper- briefe versprachen, in denen sie ihnen das Recht einräumten, in den Häfen der beiden Städte ihre Beute teilen und verkau- fen zu dürfen.

    Dieser Aufruf hatte einen ungeahnten Erfolg. In Scharen strömte Gesindel aus aller Herren Länder nach Wismar und Rostock, um die Kaperbriefe in Empfang zu nehmen, Schiffe zu bemannen und unter der schützenden Flagge der beiden Hansestädte Beutezüge zu unternehmen. Auch übers Meer kamen sie daher, verwegene Seeräuber in ihren schnellen Schniggen, um sich die Kaperbriefe aushändigen zu lassen. Und weil diese Freiwilligen sich verpflichten mußten, dem belagerten Stockholm Lebensmittel, Vitalien, zuzuführen, nannten sie sich Vitalienbrüder, später auch Likedeeler, d. h. Gleichteiler, weil sie sich untereinander verbanden, alle erbeuteten Güter gleichmäßig unter sich zu verteilen.

    Unter dem hergelaufenen Gesindel gab es wohl etliche rechtschaffene Männer, die es ehrlich meinten mit ihrem Ver- trag, aber es waren wenige, und bald lernten sie, mit den Wöl- fen zu heulen und mit Räubern zu rauben und zu brandschat- zen.

    Aus Hamburg und Lübeck gingen Ratssendboten nach Wismar und Rostock, um zu warnen vor dem bösen Begin- nen, allein sie fanden dort kein Gehör und sahen mit Schrek- ken, wie das Gesindel sich dort mit Feuereifer zu seinen Beu- tezügen rüstete.

    Als Jürgen Nyenkerken das hörte, sagte er zu seinem Bruder Hein, dem reichen Brauherrn vom Rödingsmarkt: „Jetzt wird

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    die Zeit kommen, daß du all dein Bier selbst trinken kannst; denn glaubst du, das Raubgesindel wird sich auf das Jagdge- biet der Ostsee beschränken? Vorderhand freilich wohl, aber die Ritter von Preußen werden das Unwesen dort nicht lange dulden, und dann wird sich das Kroppzeug wie eine Schar beutegieriger Haie auf unsere Küsten werfen. Auch traue ich den Herren von Lappe auf Schloß Ritzebüttel nicht über die Reling. Mit Zähneknirschen haben sie sich unter Hamburgs starke Faust gebeugt, und nun hocken sie mit dem Störtebe- ker zusammen und lauern nur auf eine Gelegenheit, um über uns herzufallen, unsere Flotten zu vernichten und uns von der See abzuschließen. Mit ihnen im Bunde sind die allezeit unruhigen, beutelüsternen ostfriesischen Häuptlinge. Ich sage dir, Hein, die Zeit ist nahe, da wir ohne kriegerische Bedeckung keine Fahrt nach England werden wagen dürfen, und manches Fäßlein deines guten Bieres werden unsere Feinde umsonst trinken."

    So wie es der Kapitän voraussah, so kam es: die Vitalien- brüder wurden bald die Beherrscher der Ostsee und machten nicht nur Jagd auf dänische und norwegische Schiffe, son- dern griffen auch die Kauffahrer der Hansa an, nur die Flot- ten Wismars und Rostocks ließen sie ungeschoren.

    In der Nordsee freilich ließ sich in den nächsten drei Jahren selten ein Piratensegel blicken, und nach wie vor fuhr Nyen- kerkens „Walfisch" an der Spitze der Hamburger Flotte nach England und Flandern. Auf ihm wuchsen die beiden Freunde Hermann Nyenkerken und Arnold von Hachede zu wacke- ren, wetterfesten Matrosen heran, an denen der Kapitän seine Freude hatte. Kein Dienst war ihnen zu schwer, keine Gefahr konnte sie schrecken, und wenn der Sturm fürchterlich tobte, lachten sie, und ihre Augen funkelten vor Lust. So rückten sie schneller, als es sonst zu geschehen pflegte, zu Bootsleuten

    4 Klaus Stortebeker 49

  • auf, und kaum einer der alten sturmerprobten Seebären über- traf die beiden flaumbärtigen Burschen an Gewandtheit und Wagemut.

    Daher ruhte das Auge des Kapitäns mit besonderem Wohl- gefallen auf seinem Neffen, und er sagte einmal zu Frau Regi- na, die ihn um sein Urteil über ihren Liebling bat: „Der Junge ist ein Seemann, als wäre er mit Salzwasser getauft. Nur noch ein paar Jahre, und ich kann ihm ruhig den ,Walfisch' anver- trauen; er wird das gute Schiff ebenso sicher führen wie ich."

    Im Spätsommer des Jahres 1392 wurde die Hamburger Flotte auf der Rückfahrt von England zwischen Helgoland und Neuwerk von Seeräuberschiffen angegriffen, und es ent- brannte ein heißer Kampf. Anführer der Piratenflotte war kein anderer als Klaus Störtebeker. Mit einem wahren Löwen- mut ging der Ritter ins Feuer, und es gelang ihm, vier Ham- burger Holke mit reichem Frachtgut zu kapern. Nyenkerken jagte mit seinem „Walfisch" unter Preß von Segeln hinter ihm her, um ihm die Beute zu entreißen. Allein er vermochte nicht ihn einzuholen und mußte endlich die Verfolgung auf- geben. Ingrimmig schüttelte er hinter dem Räuber die Faust und rief: „Frohlocke nur, Klaus Störtebeker, aber vergiß nicht, daß vor dem Steintor in Hamburg der Galgen auf dich wartet!"

    Hermann und sein Freund hatten sich in dem Kampf so tapfer bewiesen, daß der Kapitän sie nachher vor der ganzen Mannschaft lobte.

    In Hamburg entstand große Aufregung, als die Flotte in den Hafen einlief und die Kunde von der Schlacht mitbrach- te. Bürgermeister und Ratmannen traten zusammen und be- rieten, was nun zu tun sei. Es wurde beschlossen, eine starke kriegerische Besatzung in das Schloß Ritzebüttel zu legen, die die Mündung des Stromes überwachen sollte. Nach dem Ver-

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    trag mit den Rittern von Lappe hatte die Stadt Hamburg das Recht dazu; allein die Herren Wolder und Alverich nahmen eine feindselige Haltung an und verweigerten die Aufnahme der Besatzung in ihr Schloß. Nun stellte sich auch heraus, daß sie mit Störtebeker im Bunde waren und daß der Ritter mit ihrer Hilfe die Insel Neuwerk eingenommen und in dem festen Turm sein Lager aufgeschlagen hatte. Auch kam die Botschaft nach Hamburg, der Friesenhäuptling Keno ten Broke, der zu Aurich hofhielt, habe Störtebeker seine Toch- ter zum Weib gegeben und ihm die Stadt Marienhave an der friesischen Meerbucht eingeräumt. Der Ritter war also sehr mächtig geworden und beherrschte von seinem Sitz auf Neu- werk, im Bunde mit den Lappen, die Einfahrt aus der Elbe in die Nordsee und umgekehrt.

    Hamburgs Seehandel war gelähmt, und wollte die Stadt ihre Größe behaupten, so mußte sie ihre ganze Macht aufbie- ten, um die frechen Räuber von der Eibmündung zu vertrei- ben. Westlich von Ritzebüttel saß an der Küste das tapfere Volk der Wurt- oder Wurstfriesen. Mit diesem schloß die Stadt ein Bündnis zum gemeinsamen Kriegszug wider die Ritter von Lappe und die Horden Störtebekers. Nun wurden Söldner angeworben, Hamburgs Söhne übten sich im Waf- fenkampf, und im Hafen rüsteten die Schiffe ihre Fahrzeuge zur kriegerischen Ausfahrt.

    Eines Tages prüfte Kapitän Nyenkerken mit seinem Nef- fen Hermann, den er zu seinem Untersteuermann erhoben hatte, Masten und Rahen auf dem „Walfisch", als zwei Snig- gen auf dem Strom daherkamen, die die Flagge Lübecks führ- ten. Darüber verwunderte sich der Kapitän.

    „Merkwürdig!" sagte er. „Wie mögen die nur den Luchsau- gen Störtebekers entgangen sein ? Seit er auf dem ,Neuen Werk' haust, hat sich kein Kiel von draußen in den Strom gewagt."

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  • Nahe vor dem Hafen machten die beiden Schiffe halt und warfen die Anker. Ein kleines Boot wurde zu Wasser gelassen, fünf Männer sprangen hinein, vier von ihnen ergriffen die Riemen, und mir der Schnelligkeit eines durch die Fluten schießenden Tümmlers glitt das Boot heran. Der fünfte Insasse stand müßig am Heck; es war eine Riesengestalt und, wie es schien, von Kopf bis Fuß in Eisen gekleidet. Das Fahr- zeug kam geradewegs auf den „Walfisch" zu, und Hermann, der es unausgesetzt beobachtete, rief aus dem Gestänge sei- nem Oheim zu: „Ahoi! ich glaube, der Störtebeker kommt daher!" Danach kletterte er mit der Behendigkeit einer Eich- katze in den Wanten hinunter, lief in die Kabine und holte Wurfspieße und Schwerter hervor.

    „Hier!" sagte er und reichte seinem Oheim die Waffen; „ich denke, wir wollen dem Störtebeker einen heißen Emp- fang bereiten."

    Der Kapitän umgürtete sich mit dem Schwert und rief die Dogge an seine Seite. Schon nach einer Minute überzeugte er sich, daß Hermann recht gesehen hatte. Wie ein Pfeil schoß das Boot heran, legte sich an das Fallreep, und Störtebeker kam die Treppe emporgesprungen. „Halt!" rief er, den Arm gebieterisch gegen Hermann ausstreckend, der mit dem Schwert zum Schlag ausholte, und zugleich versetzte er der Dogge, die wütend auf ihn ansprang, einen so wuchtigen Fuß- tritt, daß das Tier aufheulend sich überschlug.

    „Kapitän Nyenkerken", sprach er mit seiner Löwenstim- me, „empfängt man alte Freunde an Bord des Walfisch' heuer so ungnädig?"

    „Herr", erwiderte der Alte grimmig, „für einen Feind Ham- burgs ist dies gute Schiff kein gastlicher Boden, und was hin- dert mich denn, Euch auf der Stelle über Bord zu werfen?"

    „Diese Klinge!" versetzte Störtebeker mit drohendem

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    Blick und schlug auf sein Schwert, daß es klirrte. „Zudem komme ich in friedlicher Absicht. Ihr wißt, ich bin noch Euer Schuldner. Großmütig habt Ihr mich damals aus den Fängen elender Krämer dieser Stadt befreit, und solch einen Edelmut vergißt ein edler Ritter nicht. Hier sind die Goldfüchse, nehmt sie mit meinem Dank zurück!"

    Er reichte Nyenkerken einen gefüllten Beutel; doch der Kapitän tat, als sähe er es nicht. Da warf Störtebeker den Beu- tel auf die Planken, daß es klirrte, und sprach: „Fortab sind wir quitt! Einst hatte ich mir gelobt, Euer, wofern wir damals im Kampf aufeinander stoßen sollten, zu schonen; allein damals am Strand zu Ritzenbüttel habt Ihr mich grausam gekränkt und meine Freundschaft damit verscherzt. Daher werde ich Euch künftig bis auf den Tod verfolgen wie jeden, der in diesem Krabbennest Hamburg zu Hause ist. Ihr lächelt, Herr Kapitän? Nun, beim Donner! das soll Euch vergehen! Meine Macht ist viel größer, als Ihr ahnen mögt, und diese Stadt soll fürchterlich unter meiner Geißel bluten!"

    Der Ritter winkte mit der Hand, sprang in sein Boot und fuhr davon.

    Bei Störtebeker auf Neuwerk

    Der Rat von Hamburg hatte einen Teil der waffenfähigen Bürger zu den Fahnen gerufen, um gegen die Ritter von Lap- pe zu kämpfen, die eidbrüchig geworden waren und Ham- burgs Schiffahrt bedrohten. Viele wackere Männer und Jüng- linge hatten sich auch freiwillig gestellt, so der Ratsherr Diet- rich Wrak, Heinz und Hermann Nyenkerken und Arnold von Hachede.

    Die wohlhabenden Herren legten prächtige Rüstungen an:

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  • einen blanken Stahlhelm mit wallendem Federbusch, Brust- und Rückenpanzer aus schimmerndem Erz und kunstvoll ge- schmiedete Arm- und Beinschienen; Lanze, Schwert und Schild waren die Waffen.

    Ähnlich, doch nicht so kostbar, waren die bürgerlichen Streiter gerüstet. Statt der Lanze führten die meisten von ihnen den Spieß, die Streitaxt oder den Streitkolben, der rundum mit Stacheln besetzt war und wie ein Igel aussah. Andere waren mit Pike, Armbrust und Hakenbüchse bewehrt; auch ein Fähnlein Bogenschützen gehörte zum Heer. Dazu kamen zehn Donnerbüchsen, die drei- bis zwölfpfündige Steinkugeln schössen und vom Stückmeister mit seinen Konstablern bedient wurden. Auch fehlte es nicht an Wurfmaschinen, Schirmwerken und Sturmleitern, um Mauern zu berennen.

    Die gesamte Kriegsmacht stand unter dem Oberbefehl des Bürgermeisters Kersten Miles und des Ratsherren Albert Schrey, die sich in Frieden und Krieg bewährt hatten. Sie teil- ten das Heer in Gewalthaufen von zwei- bis dreihundert Mann und setzten über jeden Haufen einen Hauptmann, dem mehrere Rottmeister untergeordnet und eine Anzahl Armbrust- und Hakenschützen zugeteilt wurden. Jeder Ge- walthaufen hatte seine Fahne, auf der das Bild des Schutzpa- trons des Gewerkes, aus dem die Truppe zusammengesetzt war, oder das der heiligen Jungfrau prangte. Die Fahnenstan- ge war nur kurz, und der Junker, der sie trug, mußte kräftig und geschickt sein, um das bunte Tuch recht kunstvoll zu schwenken.

    Hermann hatte von seinem Großvater eine ganz neue Rü- stung erhalten, die ihn prächtig kleidete. Wohlgefällig mu- sterte ihn der greise Schmiedemeister.

    Vom Spersort marschierten die Krieger mit erhobenen

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    Waffen und wallenden Fahnen zum Hafen am Niederbaum. Jedem Haufen schritten ein Trommler und ein Pfeifer voran. So ging es im Geleit einer großen Volksmenge durch die Stra- ßen zum Kai. Seeklar lagen dort die Schiffe, und lustig weh- ten ihre Wipfel im Wind. Die Kriegsmannen waren fröhlich und guter Dinge, aber ihre Mütter, Schwestern und Bräute konnten nicht lachen wie sie; ging es doch in den heißen Männerstreit, und so mancher, dessen Augen jetzt strahlten, nahm Abschied auf Nimmerwiederkehr!

    Der Schall einer Donnerbüchse auf dem „Walfisch" schreckte die Menge auf und rief die Krieger an Bord. Mit ge- wappneten Männern füllten sich die Schiffe, die Gangspille rasselten, es blähten sich die grauen Segel, und langsam setz- ten sich die Fahrzeuge in Bewegung. Tausend Hände winkten vom Uferbollwerk, zwischen den Masten blitzten die Waf- fen, und die Kriegsmannen riefen: „Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!"

    Allmählich zerstreute sich die Menge. Mit schwerem Her- zen kehrte Frau Regina nach der Mühle zurück; eine innere Stimme raunte ihr zu: „Dur wirst deinen Liebling in langer, langer Zeit, vielleicht niemals, wiedersehen!" -

    Der Oheim hatte Hermann die Führung des Schiffes über- tragen, und mit stolzer Freude versah er seinen Dienst. Nach ein paar Stunden flotter Fahrt war das Ziel erreicht; aus grü- nen Baumwipfeln grüßten die Zinnen des Schlosses Ritze- büttel.

    Waffenklirrend gingen die Krieger an Land. Mit viel Lärm und Geschrei wurden die Belagerungsgeschütze ausgeschifft und vor die Mauern der Burg geschafft. Die breiten Gräben rings um die Feste waren mit Wasser gefüllt und die Brücken aufgezogen. Hie und da tauchte über der Ringmauer eine Blechhaube auf, auch Spieße und drohende Männerfäuste

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  • reckten sich empor. Auf den hölzernen Söller des Warttur- mes traten zwei gepanzerte Recken, betrachteten das feindli- che Gewimmel vor dem Graben und brachen alsdann in ein höhnisches Gelächter aus.

    „Ha!" rief der mächtige Bürgermeister Kersten Miles, indem er die gepanzerte Rechte hob, „das Lachen soll euch bald vergehen, ihr übermütigen Ritter! Der Tag ist nahe, da von den Zinnen des Turmes, so ihr steht, Hamburgs Fahne wehen wird, und dann hat eure Macht in diesem seewind- überbrausten Land ein Ende." -

    Am folgenden Tag kamen die verbündeten Friesen heran- gezogen, achthundert kraftvolle Bauern, bewehrt mit Spie- ßen, Hellebarden, Morgensternen und Streitäxten. Nun wurde die Feste umzingelt, und so dicht war der lebendige Ring, daß keine Maus unbemerkt hindurchschlüpfen konn- te. Die Wurfmaschinen und Donnerbüchsen wurden aufge- fahren, und die Berennung der Mauern begann. Schwere Bal- ken und Steinkugeln schlugen mit Krachen an Turm und To- re, richteten aber trotz der Wucht des Anpralles keinen großen Schaden an, und die Ritter bewahrten ihren Übermut und spotteten der Angriffe. So zog sich die Belagerung in die Länge; die Besatzung der Burg zeigte sich äußerst wachsam und tapfer, und wo sie dem angreifenden Feind beikommen konnte, gab es blutige Köpfe und nicht selten den Tod.

    Auch Heinz Nyenkerken, der stolze Brauerssohn vom Rö- dingsmarkt, wurde durch einen Pfeil an der Stirn verwundet und ging eine Zeitlang mit einer Binde umher. Der Ratsherr Wark bemerkte sein mutiges Verhalten und sprach ihn manchmal freundlich an. Solche Ehre widerfuhr auch Her- mann oft.

    Eines Tages wurde eine Anzahl Leute auf die umliegenden Dörfer geschickt, um Lebensmittel herbeizuschaffen. Auch

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    Hermann und sein Freund Arnold von Hachede waren unter ihnen. Die beiden waren mit einer kleinen Schar bis nach Stickenbüttel, unweit des Stranddörfchens Duhnen, vorge- drungen und handelten dort mit den Bauern und Fischern um Brot, Eier, Mehl, Heringe und Krabben. Da kam plötzlich aus Duhnen eine Reiterschar herangesprengt und warf sich mit solchem Ungestüm auf die Hamburger, daß viele überrit- ten und von den Hufen der Pferde zerstampft, andere nieder- gestochen, Hermann und Arnold aber, die sich, Rücken an Rücken stehend, tapfer wehrten, umzingelt und hart be- drängt wurden. „Blitz und Hagel!" rief da plötzlich eine mächtige Stimme, „der Krauskopf unter dem blanken Helm ist ja mein Freund!"

    Hermann erschrak, denn der die Worte rief, war kein ande- rer als Klaus Störtebeker. Und da war auch schon der Ritter zur Stelle. Auf einem rotbraunen Hengst saß er wie damals am Ufer der Elbe. Seine Rüstung schimmerte im Sonnen- glanz, und über seinem Helm nickte der mächtige rote Feder- busch. Das Schwert wurde Hermann aus der erhobenen Faust geschlagen, und starke Arme umschlangen und rangen ihn mit Übermacht zu Boden.

    Nach kurzem Kampf war auch Arnold überwunden und entwaffnet. Beide wurden mit hänfenen Stricken gefesselt, auf den Rücken zweier Pferde gehoben und darauf so festge- schnallt, daß sie nur den blauen Himmel über sich sehen konnten. Ein peinvolles Lager war's, und aus Hermanns Brust rang sich ein dumpfes Stöhnen. Da fiel über sein Ge- sicht ein Schatten: Störtebeker hielt neben ihm, blickte auf ihn herab und sagte lachend: „Holla, auf den Rücken ge- streckt? Bei Sankt Jakob, eine putzige Lage! Nun, sei getrost! Du hast ja noch, dank meiner Großmut, das Leben behalten und wirst auch wieder aufrecht gehen."

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  • Nach diesen Worten wandte er sich ab und gab den Befehl zum Aufbruch. Ein kurzes, für die beiden Gefesselten qual- volles Hintraben; dann plätscherte Wasser unter den Hufen der Pferde - es ging über das Watt zur Insel Neuwerk.

    Dort fanden sich die beiden Freunde in einer engen Kam- mer auf dem Turm der Insel wieder. Die Kriegsknechte Stör- tebekers hatten ihnen die Fesseln gelöst, sie die hohe Leiter emporgetrieben, in das halbdunkle Gemach geschoben und dann die schwere Tür hinter ihnen zugeschlagen und verrie- gelt. Da standen sie wie betäubt eine Weile und blickten in das spärliche Licht, das durch die kleine vergitterte Fensterlu- ke hereindrang. Dann reckten sie ihre schmerzenden Glieder, ließen ihre Augen umherschweifen, sahen sich an und schaff- ten ihren beklommenen Gemütern durch ein lautes, bitteres Lachen Luft.

    „Oh!" rief Arnold, „hätte ich doch den Hammer Asathors, ich schlüge diese Mauern in Stücke und zerschmetterte dann dem Störtebeker und allen seinen Gesellen die dicken Schä- del!"

    „Ja, das wäre eine Lust!" fiel Hermann ein. „Und es kommt wohl der Tag, da wir das Heldenstück vollführen werden!"

    „Aber wann, wann?" rief Arnold ungeduldig und schlug mit der Faust an die steingemauerten Wände. „Jetzt sind wir Gefangene Störtebekers, und ich fürchte, der grimme Seead- ler wird uns so bald nicht aus den Fängen lassen. Warum hat er uns nicht einfach niedergehauen wie unsere Kameraden?"

    „Weil ich Nyenkerken heiße, das ist der Grund. Du weißt, er kennt mich lange schon und will mich zum Seeräuber ma- chen, wie er einer ist. Das soll ihm aber nicht gelingen!"

    Arnold trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter: „Siehst du das weiße Segel dort in der Ferne? - Glücklich die Schiffer, die auf dem freien Meer dahinfahren! Ich denke,

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    auch uns wird noch einmal das Glück erblühen, wenn Störte- beker uns das Leben läßt. Zwingt er uns, in den Seeräuber- bund einzutreten, so müssen wir uns fügen und eine Weile mit den Wölfen heulen. Aber bei dem schnöden Handwerk werden wir nicht lange bleiben; bei der ersten besten Gele- genheit nehmen wir Reißaus und eilen nach Hamburg. Das wird ein Aufsehen geben ..."

    Da rasselte der Riegel draußen an der Tür. Die beiden fuh- ren herum und erblickten einen struppigen Gesellen, der eine große braune Schüssel in den Händen trug. „Da!" sagte er mit breitem Grinsen, „Hamburger Aalsuppe! Laßt es euch schmecken, ihr verwöhnten Schlecker!" Damit stellte er das dampfende Gefäß auf die Diele, ging hinaus und riegelte die Tür wieder zu.

  • Es war wirklich richtige Hamburger Aalsuppe, würzig, kräf- tig, kräutergrün und voll glänzender Fettaugen. Um die Schüssel kauerten die beiden Hungrigen nieder, fuhren mit den Holzlöffeln hinein und schlürften mit Behagen das lek- ker bereitete Mahl. Als sie die große Schüssel bis auf den Grund geleert hatten, sagte Arnold mit lachendem Mund: „Sankt Nikolaus sei gepriesen, das war eine köstliche La- bung!"

    „Ja", bestätigte Hermann frohgelaunt, „so gut hat mir noch nie eine Aalsuppe geschmeckt."

    „Solcher Anfang erweckt gute Hoffnungen", fuhr der leichtblütige Freund fort. „Wen man mit Aalsuppe füttert, den gedenkt man nicht umzubringen", sagte er. „Wenn man gut gegessen hat, glaubt man wieder an das Glück."

    Ein Rasseln an der Tür schreckte sie auf. Wiederum erschien der struppige Geselle von vorhin und mit ihm ein zweiter, der eine Laterne am Strickgurt trug.

    „Ich sehe, es hat euch geschmeckt, jetzt sollt ihr auch ein königliches Nachtlager erhalten", sagte der erste mit spötti- schem Grinsen und bückte sich, um die leere Schüssel aufzu- heben. Darauf warfen die beiden drei B