katalyse xx. die beziehung zwischen der ordnung einer reaktion und ihrem temperaturkoeffizienten

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2 is N. R. Dhar. Katalyse XX. Die Beziehung twischen der Ordnung einer Reaktion und ihrem Temperaturkoeffizienten. Von N. R. DHAR.') Verschiedene chemische Reaktionen haben verschiedene Ge- schwindigkeiten, welche die Temperatur nicht in der gleichen Weise beeinflu Bt . Wenn man die Ordnung und die Temperaturkoeffizienten von chemischen Reaktionen pruft, so wird man zu der Uberzeugung gefiihrt, daB Beziehungen zwischen der Ordnung und dem Temperatur- koeffizienten einer chemischen Reaktion bestehen. Bisher hat man dem Problem, eine Beziehung zwischen der Reaktionsordnung und ihrem Temperaturkoeffizienten aufzufinden, nur wenig Aufmerksam- keit gewidmet; und die wenigen Schlusse, welche man gezogen hat, sind widerspruohsvoll. So hat von HAL BAN^) gezeigt, daB nicht nur monomolekulare, sondern auch scheinbar monomolekulare Reek- tionen (pseudo-monomolekulare Reaktionen) groBere Temperatur- koeffizienten besitzen als polymolekulare Reaktionen. Er hat die Messungen der Temperaturkoeffizienten der meisten zu jener Zeit erreichbaren Reaktionen tabellarisch zusammengestellt nnd kommt nach einer Prufung der experimentellen Ergebnisse zu dem an- gegebenen SchluB. Andererseits ist SKRABAL~) aus theoretisohen Griinden zu der Ansioht gekommen, daB der Temperaturkoeffizient um so groBer ist, je grohr die Ordnung der Reaktion. LEWIS~) zieht BUS seiner Theorie uber die Rolle der infraroten Strahlung anf die Gesohwindigkeit der chemischen Reaktionen den- selben SchluB wie SKRABAL. In zwei fruheren Arbeiten habe ich auf die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Reaktionsordnung und ihrem Temperaturkoeffizienten aufmerksam gemachts) ; in dieser Mit- 1) Aus dem Manuskript ins Deutsche ubertragen von I. KOPPEL. 2) 2. phys. Chem. 67 (1909), 1%. a) dlonatahette 86 (lala), 1157. 4) Jotma. chena. Soc. 111 (1917), 465. 6) Dm, Jorsm. h. SOC. 111 (1917). 707.

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Page 1: Katalyse XX. Die Beziehung zwischen der Ordnung einer Reaktion und ihrem Temperaturkoeffizienten

2 is N. R. Dhar.

Katalyse XX.

Die Beziehung twischen der Ordnung einer Reaktion und ihrem Temperaturkoeffizienten.

Von N. R. DHAR.')

Verschiedene chemische Reaktionen haben verschiedene Ge- schwindigkeiten, welche die Temperatur nicht in der gleichen Weise beeinflu Bt . Wenn man die Ordnung und die Temperaturkoeffizienten von chemischen Reaktionen pruft, so wird man zu der Uberzeugung gefiihrt, daB Beziehungen zwischen der Ordnung und dem Temperatur- koeffizienten einer chemischen Reaktion bestehen. Bisher hat man dem Problem, eine Beziehung zwischen der Reaktionsordnung und ihrem Temperaturkoeffizienten aufzufinden, nur wenig Aufmerksam- keit gewidmet; und die wenigen Schlusse, welche man gezogen hat, sind widerspruohsvoll. So hat von HAL BAN^) gezeigt, daB nicht nur monomolekulare, sondern auch scheinbar monomolekulare Reek- tionen (pseudo-monomolekulare Reaktionen) groBere Temperatur- koeffizienten besitzen als polymolekulare Reaktionen. Er hat die Messungen der Temperaturkoeffizienten der meisten zu jener Zeit erreichbaren Reaktionen tabellarisch zusammengestellt nnd kommt nach einer Prufung der experimentellen Ergebnisse zu dem an- gegebenen SchluB. Andererseits ist SKRABAL~) aus theoretisohen Griinden zu der Ansioht gekommen, daB der Temperaturkoeffizient um so groBer ist, je grohr die Ordnung der Reaktion.

LEWIS~) zieht BUS seiner Theorie uber die Rolle der infraroten Strahlung anf die Gesohwindigkeit der chemischen Reaktionen den- selben SchluB wie SKRABAL. In zwei fruheren Arbeiten habe ich auf die Wichtigkeit der Beziehung zwischen Reaktionsordnung und ihrem Temperaturkoeffizienten aufmerksam gemachts) ; in dieser Mit-

1) Aus dem Manuskript ins Deutsche ubertragen von I. KOPPEL. 2) 2. phys. Chem. 67 (1909), 1%. a) dlonatahette 86 (lala), 1157. 4) Jotma. chena. Soc. 111 (1917), 465. 6) D m , Jorsm. h. SOC. 111 (1917). 707.

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&dnuy einer Reaktion und ihrern Tmptn-aturkmffi%ientcn. 219

teilung werde ich dasselbe Problem weiter besprechen und auch einige neue Untersuchungen der chemischen Dynamik behandeln.

Die folgende TabeUe enthalt die mittferen Ergebnisse der Re- aktionsordnung und der Temperaturkoeffizienten yon chemischen Urnwandlungen.

Reaktionsordnung Nullmolekulare Reaktion

(Mittel von 2 Reaktionen) Monomolekulare Reaktionen (Mittel von 50 Reaktionen) Halbmolekulare Reektionen

Paeudomonomolekulare Reaktionen (Mittel von etwa 20 Reektionen)

Bimolekulare Reektionen (Mittel von etwa 40 Reaktionen)

Trimolekulare Reektionen (Xittel von etwa 10 Reektionen)

Quadrimolekulare Reaktionen (Mittel von 4 Reektionen)

Komplexe Reaktionen (Die Ordnung dieaer Reaktionen ist bie- her noch nicht festgeatellt, aber sicher

plymolekular) (Mittel von 15 Renkticmen)

Temperaturkoeffizien t zwischen 26 und 350

4.40

4.15

unbekaunt 3.84

3,02

3,02

1,79

1,78

Bei der Zusammenstellung der verfiigbaren Daten iiber die Reaktionsordnung und ihre Temperaturkoeffizienten sind die folgen- den Untenuchungen verwendet worden : DANIELS und JOHNS'CON~), JAKUBOWICZ 2), FREUNDLICR und BARTELS~), BREDIG und MICHEL4),

MITCHELL~), Coxe), PURKAYAETHA und Dam7), BANERJI und DAHR~) , ZAWIDZKI~), LEUCK~O) und andere.

Aus den angegebenen Ergebnissen folgt, daS der Temperatur- koeffizient urn so kleiner ist, je groBer die Ordnung der Reaktion. Demnach ist es klar, daf3 die Schliisse von LEWIS nnd SKRABAL irr- tiimlich sind. Uberdies wird durch ein Beispiel aus meinen eigenen Untersuchungen die obige Folgerung in interessanter Weise bestlitigt.

1) Jown. Amer. Chem. SOC. 48 (1921), 53. 1) 2. anmg. u. a&. C h . 191 (1922). 113. ') 2. phy8. c h . 101 (1922), 177. 2. phya. Chem. 100 (1922). 124.

5, Joum. c h . SOC. 119 (1921), 1286. Joum. chem. SOC. 119 (1921), 142.

7, 2. amg. u. aUg. C h . 121 (1922). 150. 2. anorg. u. dlg. Chem. 122 (1922). 73.

#) RouniW. Chemfi 1 (1921), 135. lo) J m . A m . Chem. SOC. 44 (1922). 767.

Page 3: Katalyse XX. Die Beziehung zwischen der Ordnung einer Reaktion und ihrem Temperaturkoeffizienten

220 N. R. Dhar.

Es ist beobaohtet worden, daB die Reaktion zwisohen Oxal- saure und Chromsliure monomolekular ist in bezug auf Chromsliure iind trimolekular in bezug auf Oxrtlsliure, und daB sie den Temperatus- koeffizienten 1,95 besitzt .

In Gegenwart des Katalysators Mangansulfat, welcher die Re- aktion merklioh beschleunigt , wird die Reaktion zwischen Oxalsaure und Chromsaure monomolekular in bezug auf Oxalsaure und null- molekular in bezug auf Chromsaure, wahrend der Temperatus- koeffiaient zwischen 25 und 350 2,72 isi. Demnach beleuchten diese Ergebnisse sehr gut die Tatsaohe, daB die Erniederung der Ordnung einer ohemisohen Reaktion den Temperaturkoeffizienten 1-ergroBei t . Uberdies habe ich beobachtet, daB der Temperaturkoeffizient der Oxydation von Natriumformiat cluroh Jod oder Mercurichlorid den Wert 4,05 ewisohen 25 und 350 hat, und diese beiden Reaktionen sind bimolekular. Obgleich die Oxydation von Natriumformiat durch Silbernitrat eine viel langsamere Reaktion ist, als die beiden anderen, hat der Temperaturkoeffiaient zwischen 25 und 350 den Wert 2,69, der geringer ist als die beiden anderen Temperaturkoeffi- zienten, weil die Reektion zwischen Natriumformiat und Silbernitrat trimolekular ist .

In einer friiheren Arbeitl) habe ich bemerkt, daB die Regel von VON HALBAN, nach welcher pseudomonomolekulare Reaktionen hohe Temperaturkoeffizienten besitzen, Bus den folgenden Griinden zweifelhaft zu sein scheint. Es ist leicht, eine bimolekulare Reaktion als monomolekulare erscheinen eu lassen, wenn man einen Uber- sohuB von einem der reagierendeu Stoffe verwendet. HIRNIAK~) hat die Reaktion zwisohen Dimethylanilin und Athyljodid in ver- sohiedenen Losungsmitteln untersuoht . Er fand, daB die Reaktion in Methylalkohol bimolekular verlauft und dab cler Temperatur- koeffizient groBer ist als in Dimethylanilin, wahrend die Reaktion ewisohen hhyljodid und einem groBem UberschuB von Dimethyl- anilin, das in diesem Fall auch als Losungsmittel wirkt, augenschein- lioh monomolekular verlauft, weil einer der reagierenden Stoffe in groBem UbersohuB vorhanden ist , und der Tempetaturkoeffizient in diesem Falle ist kleiner als in Methylalkohol als Losungsmittel; in diesem verlauft die Reaktion viel langsamer als in Dimethylanilin. Aus den Versuohen von HIRNIAK iiber p-Toluidin, Pyridin, a-Pioolin, Chinolin, Collidin und a-Naphthoohinolin ist zu folgern, daB die _____

l) Joum cliem. SOC. 111 (1917), 707. 2, Clsem. ZentralW. 85 (1914), 3.

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Ordvtuny einer Reaktion und ihrem Y’enq~eraturkoeffizienten. 22 1

Temperaturkoeffizienten der Reaktion zunehmen, wenn die Ge- schwindigkeit abnimmt ; mit nnderen Worten: Je grdl3er die Ge- schwindigkeit , um so geringer ist der Temperaturkoeffizient unter sonst vergleichbaren Bedingungen. HIRNIAK bemerkte, dal3 die augenscheinlich monomolekular verlaufende Reaktion zwischen Athyljodid und Dimethylanilin, welche einen kleineren Temperatur- koeffizienten besitzt, als die bimolekulare Reaktion in Nethylalkohol, eine Ausnahme von der bereits angefdirten Regel von v. HALBAN ist. Es ist beobachtet worden, dal3 in Gegenwart eines Uberschusses von Dimethylanilin die chemische Urnwandlung zwischen Athyl- jodid und Dimethyladin, die in Wirklichkeit bimolekular ist, mono- molekular erscheint , mit ancleren Worten : wahrend die Reaktion xwischen den beiden genannten Stoffen mit Methylalkohol als Losungsmittel bimolekular verlauft , erscheint sie monomolekular mit Dimethylanilin als Losungsmittel, weil dann einer der reagierenden Stoffe im Uberschusse vorhanden ist.

Wiederholt ist in f r ~ e r e n Teilen dieser Untersuchung darauf hingewiesen worden, daB der Temperaturkoeffizient einer Reaktion um so kleiner ist, je grol3er die Geschwindigkeit der Reaktion. Die Ergebnisse von HIRNIAK weisen gleichfa.lls hierauf hin. Die Re- aktion zwischen Athyljodid und Dimethylanilin, die mit dem letzten als Losungsmittel schneller verlauft, als wenn man Methylalkohol zur Losung verwendet, hat in Dimethylanilin einen kleineren Tempe- raturkoeffizienten als in Methylalkohol. Im Hinblick auf die bereits besprochenen Tatsachen ist dies Verhalten vollig normal. Demnach merden die Ergebnisse von HIRNIAK, die durch die Annahme von VON HALBAN erklart werden konnten, durch die hier geauBerte An- sicht durchaus klar.

Die Oxydation von Oxalsaure und Ameisensaure durch Chrom- saure, die in Gegenwart eines Uberschusses des Reduktionsmittels augenscheinlich monomolekular verlaufen, haben die Temperatur- koeffizienten 1,95 und 2,1, also kleine Werte; aber die wirkliche Ordnung der Reaktion ist quadrimolekular, wie friiher gezeigt wurde. Demnaoh ist es klar, daB die wirkliche und nicht die scheinbare Ordnung der chemischen Reaktion die GroBe des Temperatur- koeffizienten bedingt .

In einer friheren Arbeitl) ist festgestellt worden, daS eine h d e r u n g in der Konzentration des Reduktionsmittels, etwa Ameisen-

DHAR, 1. c.

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222 N. R Dlutr.

oder Oxalsiiure, welches in groBem UberschuB vorhanden ist, keinen EinfluB suf den Temperaturkoeffizienten bei der Oxydation durch Chromsiiure ausubt. Wenn man die Konzentration eines der re- agierenden Stoffe vergroBert, so kann eine bimolekulare Reaktion scheinbar in eine monomolekulare ubergefdxt werden ; nach der Aiisicht von VON HALBAN muSte der Temperaturkoeffizient der- selben Reaktion, wenn sie monomolekular verliiuft, anders sein, als wenn sie bimolekular vor sioh geht; dies wird aber nicht durch Ver- suche gestutzt.

Bei pseudomonomolekularen (oder scheinbar monomonemole- liularen) Reaktionen ist die wirkliche Ordnung der ganzen Reaktion nicht bekannt, da einer der reagierenden Stoffe in grohem Uber- schuB vorhanden ist; z. B. bei der Hydrolyse eines Esters oder bei tier Inversion von Rohrzucker, wenn ein UberschuB von Wasser zugegen ist, welches ja auch zu den reagierenden Stoffen gehort, wissen wir, deB die Reaktion monomolekular in bezug auf Zucker oder Ester verlauft, aber wir wissen nichts uber die Zahl der Molekeln von Wasser, welche an der Reaktion teilnehmen. Nach den chemischen Gleichungen

C,,H,,O,, + H20 = 2C6H1206 und C,H5COOCH3 + H,O = CH3C00H + C2H50H

nehmen wir an, daB nur eine Molekel Wasser beteiligt ist ; unter dieser Annahme ware die Hydrolyse eines Esters oder die Inversion von Rohrzucker bimolekular, obgleich sie monomolekular zu sein scheint, da einer der reagierenden Stoffe im UberschuB vorhanden ist.

Die meisten dieser Reaktionen, an denen das Losungsmittel teilnimmt, sind wahrscheinlich lsngsame bimolekulare Reaktionen, und demnach konnen wir erwarten, daB ihre Temperaturkoeffizienten ziemlich hoch liegen. Wenn nun an diesen Reaktionen zwei oder drei Molekeln des Losungsmittels teilnehmen, dann wird die ge- samte Reaktion tri- oder qnadrimolekular sein, und demnach ist in diesen Fallen fur die Temperaturkoeffizienten ein kleiner Wert zu erwarten. Z. B. muB man annehmen, daB an der Hydrolyse von Methylcyanid oder Athylcyanid 2 Molekeln Wasser teilnehmen und demnach ware die ganze Reaktion trimolekular und sollte einen ziemlich kleinen Temperaturkoeffizienten besitzen (vgl. den Tempe- raturkoeffizienten 2,6 fur die Hydrolyse von Methylcyanid). 1) Die meisten der scheinbar monomolekularen Reaktionen eind in Wirklich- ___-

') PESKOW u. MEYEB, 2. phye. c h . 82 (1913), 1%.

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Ordnuq eineo. Rmktion und ihrem Tempraturkoefpxienten . 223

keit langsame bimolekulare Reaktionen und nur wegen der Gegen- wart eines Uberschusses von einem der reagierenden Gtoffe scheinen sie monomolekular zu sein, und aus diesem Grunde sind ihre Tempe- rnturkoeffizienten ziemlich grol3. Es muB jedoch betont werden, daB die beiden mabgebenden Faktoren fur den Temperaturkoeffi- zienten einer chemischen Reaktion ihre Geschwindigkeit und ihre wirkliche - nicht soheinbare - Ordnung sind.

In einer neueren Arbeit hat SKRABAL~) allgemeine Fragen der chemischen Dymanik im Hinblick auf die Beziehung zwischen der Ordnung einer chernischen Reaktion und ihrem Temperaturkoeffi- zienten sowie den EinfluB von Katalysatoren auf chemisohe Re- aktionen USW. besprochen.

Ganz neuerdings haben FREUNDLICH und BARTELS~) die Re- aktionen der folgenden Art untersucht :

[CT(NH~)~B~T*+ Q O = [Cr(NH,),J&O]"+ Br', [Cr(NIf,),JI" + H20 = [CT(NH~)~H~O]"'+ J';

sie fanden bei diesen Reaktionen die Temperatorkoeffizienten ziem- lich groB, und sind zu dem SchluB gekommen, dd3 die von v. H ~ L - BAN aufgestellte Regel, daB wahre und scheinbar monomolekulare Reaktionen durch groBe Temperaturkoeffizienten charakterisiert seien, richtig zu sein scheint. Auf den vorhergehenden Seiten ist bereits darauf hingewiesen worden, daB soheinbar monomolekulare Rea ktionen sehr wahrscheinlich langsame bimolekulare Umwand- lungen sind, und daB dabei ziemlich groBe Temperaturkoeffizienten zu erwarten sind, weil diese Reaktionen langsam verlaufen und weil ihre Ordnung nicht sehr hoch ist. Diese Ergebnisse von FREUND- LICE und BARTELS k h n e n nach den hier auseimndergesetzten An- schauungen leicht erklart werden.

In einer friiheren Arbeit3) ist beobachtet worden, daB die Zer- setzung von Trichloressigsiiure in waBriger Losung eine monomole- kulare Reaktion ist, und daB sie wahrscheinlich den groBten Tempe- raturkoeffizienten von allen monomolekularen Reaktionen besitzt , wahrend die Konstante A von ARRHENIUS 8110 ist.

Eine andere Reektion mit einem sehr hohen Temperaturkoeffi- zienten ist die bimolekulare Reaktion zwischen Kaliumoxalat und Jod mit einem Temperaturkoeffizienten 7,2 und der Arrhenius-

I) Zeitschr. f. E l e k t m h . 98 (1922), 224.

3, BANERJI u. Dam, 2. m g . u. d l g . C h . lT2 (1922), 73. ') 2. &48. C&m. 101 (1922), 177.

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N. R. Dhai:

lionstanten A = 7920l); ahnlich haben die bimolekularen Reali- tionen: die Oxydation von Natriumformiat durch Jod und durch Mercurichlorid den Temperaturkoeffizienten 4,05.

Es ist demnach klar, daB eine langsame biinolekulare Reaktion pinen hohen Temperaturkoeffizienten besitzen kann.

In fruheren Teilen aus dieser Mitteilungsreihe ist auf die Existenz von nullmol~kularen Reaktionen ttufmerksam gemacht worden.2)

Es ist beobachtet worden, daB die Oxydation von Oxalsaure durch Chromsaure in Gegenmart von Mangansulfat als positivem Katalysator unabhiingig ist von der Konzentration der Chromsaure und der Konzentration der Oxalsaure proportional verlauft. Mit anderen Worten: die Reaktion ist nullmolekular in bezug auf Chrom- saure und monomolekular in bezug auf Oxalsaure. QTEELE~) hat gezeigt, daB bei der Oxydation von hypophosphoriger SSiure durch Jod die Geschwindiglieit der Reaktion in bezug auf Jod nullmolekular iind in bezug auf die hyphophosphorige Saure monomolekular isC . Ganz neuerdings lionnte MITCHELL~) nachweisen, daB cGe Reaktion zwischen hypophosphoriger Saure und Mercurichlorid so verlauft , tlaB die Geschwindigkeit von der Konzentration des letzten un- abhangig ist.

FRIEND 5 ) hat gezeigt , daB bei der Reektion zwischen Wasser- stoffsuperoxyd und Kaliumpersulfat die Geschwindigkeit von der Konzentration des Peroxydes unabhangig ist .

Eine kurze Uberlegung iiberzeugt uns, daB alle diese Reaktionen in Wirlilichkeit monomolekular in bezug auf die eine der reagieren- den Substanzen und nullmolekular in bezug auf die andere sind; demnach ist in den meisten Fallen die Gesamtreaktion in Wirklich- keit monomolekular und hat einen ziemlich groSen Temperatur- koeffizienten.

Homogene Reaktionen, bei denen die Geschwindigkeit von der Konzentration des eines der reagierenden Stoffe unabhangig ist , werden nur sehr selten beobachtet ; dies Verhalten wird gewohnlich auf Verwioklungen zuriickgefuhrt, die durch das Vorkommen von Folgereaktionen hervorgerufen werden, und wird erklart durch das

I) DEAR, Joum. Chem. BOG. 111 (1917), 707. 2) PUBK~YASTEA u. DEAR, 1. c.; BANERJI u. DEAR, 1. c.

Journ. chem. BOG. 91 (1907), 1641. ') Journ. chem. Soc. 119 (1921), 1268. ') Journ. chem. Soc. 89 (1906). 1096.

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Ordnung eiizer Reaktion und ihrela Temperaturkoeffizienten. 225

Auftreten einer Zwischenverbindung, deren Bildungsgeschwindigkeit sehr groS ist, verglichen mit der Geschwindigkeit der darauffolgen- den Zersetzung.

Es gibt noch eine andere Klasse von Urnwandlungen, die sich von den oben erwtihnten unterscheiden. VELEYS Untersuchung') uber die Bildung von Azoderivaten der Benzoldiamine, sowie die Arbeiten von FREUNDLICH und HASE~) uber die Hydrolyse von Ii,RuC15 sind Beispiele von Reaktionen dieser Art, bei denen die Gesamtreaktion nullmolekular ist . Bei der vorhergehenden Klasse von Reaktionen ist die Geschwindigkeit nullmolekular in bezug auf tinen der reagierenden Stoffe und in den meisten Fallen mono- molekular in bezug auf den anderen reagierenden Btoff, wahrend bpi der letzten Art der Urnwandlung sehr wahrscheinlich die Gesamt- reaktion nullmolekular verlauft. VELEY hat, den Ansichten von JONES und RICHARDS ON^) folgend, Reaktionen dieser Art simultane lineare Reaktionen genannt, was die simultane Bildung einer Sub- stanz aus wenigstens zwei anderen bedeutet, wahrend die Bildungs- geschwindigkeit eines jeden der letzten Stoffe direlit proportional is t den Mengen der ursprunglichen vorhandenen Stoffe. Diese Definition unterstutzt uns in keiner Weise bei der Erklarung der Reaktionen dieser Art. Diese beiden Reaktionen haben hohe Tempe- raturkoeffizienten, namlich 4,25 (FREUNDLICH und HASE) und 4,55 (VELEY). Es ist neuerdings beobachtet worden, daS die Geschwindig- hcit der Fallung einiger wenig loslicher Stoffe beim Vermischen von zwei stark dissoziierten Elektrolyten der nullmolekularen Formel folgt und den Temperaturkoeffizienten 1,5 besitzt.4)

In einer friiheren Arbeit 5 ) ist beobachtet worden, daS die Oxy- dation von phosphoriger Saure durch Mercurichlorid halbmolekular ist in bezug auf Mercurichlorid und bimolekular in bezug auf phos- phorige Saure.

STEELE~) hat gezeigt, daI3 die Oxydation der phosphorigen Saure mit Jod gleichfalls halbmolekular in bezug auf Jod und mono- molekular in bezug auf phosphorige Saure ist. In derselben Arbeit7)

1) Journ. chem. Soc. 95 (1909), 1186. 2) 2, phya. Cliem. 89 (1915), 417. *) Joum. chem. SOC. 81 (1902). 1146.

4 ) CHATTERJI u. DEAR, 2. a w g . u. al lg . C h . 121 (1922), 128. 5 , PUBMYASTEA u. DHAB, 1. c. 6, Journ. &m. SOC. 98 (1908), 2203. ') PURUYASTHA u D-, 1. c.

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226 N. R. Dhar.

ist darauf aufmerksam gemacht worden, daB verschiedene photo- chemische Reaktionen halbmolekular zu sein scheinen. Die all- gemeine Gleichung fur eine photochemische Umwandlung kann ge-

dxldt = X K i J o i ( J - e - - m c l h ) . schrieben werden :

Fiir monochromatisches Licht vereinfacht aich diese Gleichung, v enn der Absorplionslroeffizient ,,m" klein ist, auf

d xi/ d t = konst x (a - x). Die Reaktion wird scheinbar monomolekular. Wenn der Absorptions- koeffizient ,,m" grol3 wird, so geht die Gleichung uber in

d x l d t P konst., und die Reaktion wird nullmolekular, aber wenn der Absorptions koeffizient einen mittleren Wert hat, so kann die Ordnung der Re- aktion irgendeiner Zahl zwischen Null und Eins entsprechen (etwa 0,5). E:s ist von hteresse zu bemerken, da13 die photochemische Oxydation von Natriumsulfit durch Sauerstoff sowie die photo- chemische Zersetzung von NaClO der halbmolekularen Formel folgt , d. h. diese Reaktionen geben sehr ubereinstimmende Werte der Geschwindigkeitskoeffizienten, wenn man sie nach der halbmole- kularen Gleichung berechnet .

In einer friiheren Arbeit 1) ist darauf aufmerksam gemacht worden, daB die Reaktionen zwischen Natriumnitrit und Jod sowie die Reaktion zwischen Ferrosulfat und Jod im Sonnenlicht der halbmolekularen Gleichung zu folgen scheinen. Durfen wir nun hieraus folgern, daB die meisten photochemischen Reaktionen halb- molekular verlaufen, obgleich sie einen kleinen Temperaturkoeffi- zienten besitzen 3

Es wiirde von groBem Interesse sein, eine thermische Reaktion zu finden, die in Wirklichkeit halbmolekular ware, und den EinfluB der Temperatur auf diese ha,lbmolekulare Reaktion zu untersuchen. Die Temperaturkoeffizienten der zwei wirklich nullmolekularen Re- aktionen sind hoch. Tatsachlich ist der Mittelwert der beiden Temperaturkoeffizienten der nullmolekularen Reaktionen gleich 4,4, ein Wert, welcher hoher ist als die mittleren Temperaturkoeffizienten tlir die monomolekularen Reaktionen (4,15). Es wiirde von Inter- esse sein, festzustellen, ob der Temperaturkoeffizient einer hslb- molekularen Reaktion gro13er ist nls der einer monornolekularen Reaktion.

l) B A ~ B J I u. D u , 1. c.

Page 10: Katalyse XX. Die Beziehung zwischen der Ordnung einer Reaktion und ihrem Temperaturkoeffizienten

Ordnung einer Raaktion u d ,ihrenh Temperaturkoefjizienten. 227

Die hohen Werte der Temperaturkoeffizienten monomole- kularer Reaktionen sind von SIDGWICK~) qualitativ in der folgenden Weise e rk lk t worden : eine Zunahme der Temperatur vergroBert die fortschreitende Bewegung der Molekeln und im allgemeinen auch die innere Energie. Es ist wahrscheinlich, daB eine Zunahme der inneren Energie auch zu einer Vermehrung der Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion fuhren wird; aber in dem Falle von polymolekularen Reaktionen kann man sioh vorstellen, daB die Zu- nahme der fortschreitenden Bewegung der Molekeln eine Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit hervorrufen kann, weil die sich schneller bewegenclen Molelieln mit den Molekeln des anderen reagierenden Stoffes nur eine kiirzere Zeit in Berarung bleiben. Nun sind die positiven Werte der Temperaturkoeffizienten der gewohnlichen thermischen Reaktionen sicherlich zuruckzufiihren auf den vor- herrschenden EinfluB der zunehmenden inneren Energie, sowie auf die daraus folgende Zunahme der Geschwindigkeit iiber die Ab- nahme in der Geschwindigkeit, welche bedingt wird durch die Zu- nahme der fortschreitenden Bewegung der Molekeln. Wenn wir einen Stoff finden konnen, dessen innere Energie nicht mit Zunahme der Temperatur wiichst, so werden wir finden, daB die Reaktions- geschwindigkeit mit Zunahme der Temperatur abnehmen wird. Es ist bekannt, daB bei der Wiedervereinigung gasformiger Ionen Zu- nahme der Temperatur die Geschwindigkeit der Vereinigung ver- mindert. Uberdies hat die Wiedervereingung der -4tome von aktivern Stickstoff einen Temperaturkoeffizienten, der kleiner ist als die Einheit .

Andererseits hangt die Geschwindiglieit einer streng mono- molekularen Reaktion nicht vom ZusammenstoB der Molekeln ah ; demnaoh kann der negative EinfluS der Zunahme der fortschreiten- den Bewegung von Molekeln infolge von Temperatursteigerungen kaum die Geschwindigkeit einer monomolekularen Reaktion beein- flussen. Die Temperatursteigerung bewirkt hauptsachlich eine ZU- nahme der inneren Energie der Molekeln und desvegen hat die Er- hohung der Temperatur einen grol3eren EinfluB auf monomolekulare als auf polymolekulare Reaktionen. Es ist begreiflich, daB e k e starke fortschreitende Bewegung der Molekeln fur den Fortschritt einer ohemischen Umwandlung nicht giinstig ist.2)

I) British Asmciation Report8 1915, 398. ?) Vgl. SRUTT, R o c . Roy. Soc. Lo&. 86 A (1910), 319; 66 A (1911), 56,

262; 67 (1912), 179.

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228 N. R. Dhar. Ordnung einer Reaktion zcnd ihrem Temperaturkoeffixi~n~r~.

Znsammenfassnng. 1. Nullmolekulare Reaktionen haben grol3ere Temperaturkoeffi-

zienten als monomolekulare Reaktionen, wahrend die Temperatur- koeffizienten von diesen wiederum groBer sind als die der poly- molekularen Reaktionen.

2. Pseudomonomolekulare Reaktionen sind in den meisten Fallen langsame bimolekulare Reaktionen und haben ziemlich grol3e Temperaturkoeffizienten.

3. Die wirkliche nnd nicht die soheinbare Ordnung der Reaktions- geschwindigkeit bestimmt den Temperaturkoeffizienten einer Re- aktion.

4. Die Kinetili von null- und halbmolekularen Reaktionen, thermischer und photochemischer Natur, sind besprochen worden.

Allahabad, Indien. Muir Central College, Chernisths Laboratorium.

Bei der Redaktion eingegangen am 2. November 1922.