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Page 1: Julia Hildermeier Ist Der Zweite Libanonkrieg Ein Krieg Der Zukunft

Student i s che Untersuchungen der Po l i t ikwissenscha f t en und Sozio log i e , Jg. 1, Heft 1, Dezember 2009, S. 20-34. © Julia Hildermeier 2009

Julia Hildermeier Ist der zweite Libanonkrieg ein Krieg der Zukunft?

Anhand einer Fallstudie des Zweiten Libanonkrieges im Sommer 2006 erörtert die Arbeit die analytischen Mög-lichkeiten und Grenzen des Konzepts der neuen Kriege. Der Konflikt zwischen der israelischen Armee und der südli-banesischen Miliz Hizbollah weist zwar bezüglich seiner Intensität, der Konstellation der Akteure, den medialen und militärischen Strategien, der uneindeutigen Rechtslage sowie der Mobilisierung Asymmetrien auf, die für zukünf-tige Kriege typisch sind. Aufgrund seiner Einbettung in den israelisch-palästinensischen Konflikt kann er aber weder als ein Ressourcen- oder Pazifizierungskrieg, noch als eine Form des Terrorismus klassifiziert werden. Angesichts der faktischen Machtlosigkeit völkerrechtlicher Instrumente und der Identitätspolitik der Hizbollah scheint ein „Dritter Libanonkrieg“ keineswegs ausgeschlossen. Dieses Fazit verdeutlicht, dass das Konzept der neuen Kriege viel zu ihrer Beschreibung und zum strategischen Umgang mit ihnen, aber ebenso wenig wie das Völkerrecht zur Klärung ihrer Ursachen oder gar ihrer Befriedung beitragen kann. Vielmehr handelt es sich bei der Debatte um die Legitimität des Völkerrechts um eine kritische Reflexion der friedenspolitischen Kompetenz westlicher Staaten.

1 Der Zweite Libanonkrieg1

Der Krieg Israels gegen die Hizbollah im Südliba-non im Sommer 2006 (auch der Zweite Libanonkrieg oder 33-Tage-Krieg genannt) kündigte sich über einen längeren Zeitpunkt an und überraschte den-noch viele internationale Beobachter. Die schiiti-sche Miliz Hizbollah, die im Süden des multiethni-schen Libanon beheimatet ist, nahm israelische Siedlungen unter Raketenbeschuss. Trotz ihrer militärischen Überlegenheit gelang es der israeli-schen Armee nicht, die Hizbollah entscheidend zu schwächen. Sie musste sich schließlich unter inter-nationalem Druck zurückziehen. Der UN-Sicherheitsrat forderte in der Resolution 1701 die „sofortige Einstellung aller Angriffe durch die Hisbollah und […] aller offensiven Militäropera-tionen durch Israel“ (Resolution 1701 von 2006: 2), die seit dem 14. August 2006 auch eingehalten wurde. Dennoch ist es keineswegs unwahrschein-lich, dass es einen „Dritten Libanonkrieg“ geben könnte. Stellt man an diesen Krieg die üblichen Fragen nach Sieger und Unterlegenem, nach Beginn und Ende, wird deutlich, dass sich anhand der gängi-gen Kategorien das Geschehene nur ungenügend erklären lässt. Die Hizbollah betrachtet sich als Sieger, da sie den Angriffen der israelischen Armee (Israeli Defence Force, IDF) sechs Wochen lang standhalten konnte. Für die israelische Armee war die Messlatte, um von „Sieg“ sprechen zu können, dagegen höher angelegt: nicht nur die Entwaff-nung und internationale Diskreditierung der Hiz-

1 Grundlage der Fallstudie ist die politische Situation Liba-nons und Israels im Sommer 2008. Die Arbeit konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen Israel und der Hizbollah und kann nicht näher auf den Israels (Außen-)Politik stets überlagernden israelisch-palästinensischen Konflikt eingehen.

bollah war zunächst ihr erklärtes Kriegsziel, son-dern auch ihre Vertreibung aus dem Südlibanon. Auch Beginn und das Ende dieses Krieges sind nicht eindeutig markiert: Begann er am 12. Juli 2006 mit der Entführung zweier israelischer Solda-ten durch die Hizbollah, die die heftige israelische Reaktion provozierten?2 Oder schon mit dem Rückzug Israels aus dem Südlibanon im Jahr 2000, der seitens der Hizbollah als Schwäche gewertet wurde und diese eher mobilisierte, als beruhigte? Ab wann lässt sich hier von „Krieg“ sprechen, wenn es in der Region keinen stabilen „Frieden“ gibt? Verschiedene Maßstäbe für Sieg und Niederlage, unterschiedliche politische Ordnungsvorstellungen und militärische Strategien in der Auseinanderset-zung sowie fließende Grenzen zwischen „Krieg“

2 Die Entführung mag für Israel Anlass für den militärischen Angriff, aber wohl kaum Ursache gewesen sein. Die Hizbol-lah übergab die Leichen von Ehud Goldwasser und Eldad Regev am 16. Juli 2008 nach langen, auch unter deutscher Vermittlung geführten Verhandlungen an Israel. Nach dem verlustreichen Krieg wirkte die Rückführung der Toten für Israel wie eine erneute Provokation, was die Hamas prompt bestätigte: Dies sei der Beweis, dass die Entführung von israelischen Soldaten der beste Weg sei, um die Gefangenen in israelischer Haft frei zu bekommen, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri (FAZ, 16.07.08). Israel ließ im Gegenzug fünf libanesische Gefangene frei.

Julia Hildermeier studiert seit 2004 Sozialwis-senschaften (MA). Die vorliegende Hausarbeit wurde im Rahmen des Moduls „Der Wandel des Krieges“ bei Prof. Herfried Münkler im Sommersemester 2008 geschrieben. Kontakt: [email protected]

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und „Nicht-Krieg“ kennzeichnen viele Konflikte der Gegenwart. Diese Kriege, an denen irreguläre Akteure wie die Hizbollah beteiligt sind, entsprin-gen anderen Vorstellungen und Zielen als die klas-sischen Staatenkriege, auf die sich die europäische Kriegstheorie vor allem mit Clausewitz gründete. Dies wird daran deutlich, dass ihr Verlauf nicht mit der nationalstaatlich-territorialer Logik erfasst und ihre Beendigung nicht durch juristische In-strumente erzwungen werden kann. In der Ende der 1990er im englischsprachigen Raum (Kaldor 2007 [2000]) entstandenen Debatte um die Fragen, mit welchen Mitteln gegenwärtige Kriege be-schrieben werden können, welche Charakteristika sie tragen und ob sie dabei als „neu“ zu verstehen sind, vertritt Münkler (Münkler 2003, 2006a) aus-gehend von Clausewitz’schen Kategorien die The-se vom „Wandel des Krieges“. Dabei gelte es, die Realität des Kriegsgeschehens und seiner Akteure mit Begriffen zu beschreiben, die sich unabhängig von historischen und kulturellen Epochen anwen-den lassen (Münkler 2008: 2). Dennoch muss die Analyse jedes Krieges seinen speziellen Kontext berücksichtigen. In dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Libanonkrieg ein neuer Krieg war. Dafür muss zunächst die These vom Wandel des Krieges hin zu neuen Formen vorgestellt werden (2) Mit Hilfe der erörterten Kategorien wird der Libanonkrieg 2006 in den Blick genommen (3). Im letzten Teil wird die Untersuchung kritisch bewer-tet (4). 2 Merkmale neuer Kriege

Mit den Formen künftiger Kriege beschäftigen sich die Politik- und Sozialwissenschaften aus so unterschiedlichen Perspektiven wie der Friedens-forschung, Gewalt- und Konfliktforschung und der strategischen Kriegsforschung. Untersucht man den Libanonkrieg als möglichen „neuen Krieg“, folgt man keiner wertgeleiteten oder (mo-ral-)philosophischen, sondern einer deskriptiven Perspektive, die nach Akteuren, Räumen, Strategi-en und Semantik des Krieges fragt. Im Gegensatz zu einer normativ geleiteten Friedensforschung etwa, geht es vor allem darum, eine „illusionslose Bestandsaufnahme der Gewaltkonstellationen im Weltmaßstab“ (Münkler 2006a: 276) vorzuneh-men. Dabei spielt der unmittelbare politische und soziale Kontext des untersuchten Krieges ebenso eine Rolle wie globale Entwicklungen und Kon-frontationen. Dennoch ist die These der neuen Kriege keine Globalisierungs- oder Modernisie-rungstheorie, sondern versucht in erster Linie, charakteristische Merkmale gegenwärtiger Kriege aufzuspüren. Ein Schlüsselbegriff dieses Ansatzes

ist die Asymmetrie, die als Ungleichgewicht der Kräfte, Ungleichzeitigkeit der Aktionen und Un-terschiedlichkeit der Rechtfertigungen, Zwecke und Motivationen in vielen gegenwärtigen Kriegen zu beobachten ist. Diese und weitere Merkmale werden im Folgenden dargestellt, bevor das Bei-spiel des Zweiten Libanonkrieges in den nachfol-genden Dimensionen auf mögliche asymmetrische Konstellationen untersucht wird. 1. Dauer/Intensität 2. Akteurskonstellation 3. Strategie/Taktik 4. Legitimation/Rechtslage 5. Mobilisierung/Motivation

2.1 Dauer und Intensität

Während sich in den symmetrischen Kriegen der europäischen Kriegstheorie nach Clausewitz die Kräfte in Raum und Zeit konzentrieren und die gegnerischen staatlichen Armeen eine schnellst-mögliche Entscheidungsschlacht anstreben, ist diese Annahme in vielen gegenwärtigen Konflik-ten keineswegs mehr voraussetzbar. Vielmehr entstehen viele der gegenwärtigen Kriege aus be-reits schwelenden Konflikten zwischen (ethni-schen) Gruppen, Bürgerkriegen und an der „Peri-pherie von Wohlstandszonen“ (Münkler 2008: 11). In diesen low intensity wars (Creveld 1998: 45) bilden sich Kriegsökonomien („Gewaltmärkte“), in de-nen verschiedenartige Akteure, oft in Form von Waffenhandel oder organisierter Kriminalität, vom Krieg profitieren. Auf diese Netzwerke wird auch mit dem Begriff „Schattenglobalisierung“ verwie-sen. Insofern ist nicht wie in der klassischen Kriegstheorie davon auszugehen, dass Akteure an einem schnellen Ende eines Krieges interessiert sind, sondern vielmehr an seiner zeitlichen und räumlichen Ausdehnung. Die Intensität der Aus-einandersetzungen kann über die Zeiträume dieser Kriege erheblich schwanken. Aufgrund der oft starken Vernetzung mit den kämpfenden Akteu-ren ist vor allem die Zivilbevölkerung Opfer, aber auch Täter in diesen „neuen Kriegen“. 2.2 Akteurskonstellation

Beteiligt sind irreguläre Akteure (Warlords, Mili-zen, Söldnertruppen, Guerillakämpfer, Terrori-sten) sowie Staaten bzw. reguläre Soldaten staatli-cher Armeen. Dabei handelt es sich im Unter-schied zu den Staatenkriegen des 19. Jahrhunderts um eine Konfrontation unter „Gleichen“, d.h. formal gleichartigen Akteuren (Symmetrie). Je weniger die beteiligten Gruppen über eigene öko-nomische Strukturen verfügen, desto größer ist ihre Abhängigkeit von Dritten. Besonders für Partisanengruppen oder Milizen sind Allianzen mit

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Staaten oder anderen einflussreichen Akteuren existentiell. Anders als reguläre Armeen sind Kombattanten und Non-Kombattanten, Militär und Zivilbevölkerung, nicht durch Uniformierung und Kennzeichnung visuell voneinander unter-scheidbar. Irreguläre Akteure wie z.B. Partisanen-truppen oder terroristische Organisationen nutzen die zivile Infrastruktur für ihre Ziele. Nicht nur im Kriegsgeschehen, sondern auch in der gesamten politischen Ordnung betroffener Regionen wird die rechtliche Unterscheidung zwischen Kriegs- und Friedenszustand aufgeweicht. „Neue Kriege“ finden in der Regel in Gebieten statt, in denen staatliche und institutionelle Strukturen schwach ausgebildet sind. Loyalitäten und politische Macht liegen also oft in den Händen von ethnischen Gruppen, Stammesführern und Familien. 2.3 Strategie und Taktik

Gemäß den unterschiedlichen Interessenlagen, beispielsweise in einem Krieg um Ressourcen oder um die Sezession eines Gebietes, wenden Akteure unterschiedliche Strategien und Taktiken an. Irre-guläre Akteure nutzen dabei die asymmetrischen Konstellationen zu ihrem Vorteil. Partisanen ha-ben in der Regel großen Rückhalt in der Bevölke-rung und können sich der Infrastruktur des ver-trauten Terrains bedienen. So kompensieren sie strategisch ihre technische Unterlegenheit gegen-über einer fremden, weniger flexiblen regulären Armee. Ziel dieser Asymmetrierung aus Schwäche ist es, den Gegner zu erschöpfen. Mit dem defensi-ven Mittel des „Durchhaltens“ zielen Partisanen darauf ab, die Kosten zur Weiterführung des Krieges beim Gegner zu erhöhen und ihn so zum Rückzug zu zwingen (Münkler 2008: 10). Eher offensiv setzen dagegen terroristische Gruppen ihre asymmetrische Aufstellung gegenüber regulä-ren Akteuren ein. Mit hoher Opferbereitschaft – gipfelnd in der Figur des Selbstmordattentäters – und der Unberechenbarkeit kleiner, beweglicher Gruppen instrumentalisieren sie ihre militärische Unterlegenheit, um missliebige Personen der poli-tischen Elite zu treffen (klassischer Terrorismus) oder die auf flächendeckender Sicherheit basieren-de politische Ordnung von Staaten anzugreifen (transnationaler Terrorismus) (10f). Opfer ist bei letzterer Form tendenziell die gesamte Bevölke-rung. Gemeinsam ist diesen beiden Formen des Terrorismus, dass hier eher auf der psychologi-schen Ebene Krieg geführt wird, während Partisa-nen sich auf physische Effekte ihres Kampfes konzentrieren (11). Als Asymmetrien der Stärke bezeichnet Münkler vor allem waffentechnische und/oder militärorganisa-torische Überlegenheit (Münkler 2006a: 140). Als Vorreiter der Rüstungstechnik nehmen die USA

eine weltweit führende Position ein. So sehr mili-tärische Aufrüstung eine Investition in politisches Prestige und in die Abschreckungsfähigkeit des eigenen Staates darstellt – der Blick auf die Stärke-Schwäche-Relation verdeutlicht auch, gegenüber welchen Herausforderungen die militärtechnologi-sche Entwicklung sich behaupten muss: Die hohe Opferbereitschaft von religiös oder ideologisch motivierten Kämpfern kann die des staatlich aus-gebildeten und besoldeten Soldaten übertreffen und eine Durchsetzungskraft entwickeln, die regu-läre Akteure nicht auf gleiche Weise kompensieren können. In der Konsequenz müssen diese auf technologische Effizienzsteigerung setzen – mit der Folge, dass sich die Asymmetrie der Akteure vergrößert. 2.4 Legitimation und Rechtslage

Staaten müssen ihre militärischen Aktionen anders rechtfertigen als Terrororganisationen, Partisanen-gruppen oder Warlords. Unter dem Aspekt der Legitimation wird deutlich, wie unterschiedlich Maßstäbe der Kriegsführung, und damit auch von Sieg und Niederlage, für die Akteure sind. In der europäischen Kriegsgeschichte rechtfertigten (Na-tional-)Staaten Kriege in der Regel damit, dass es Gebiet zu erobern oder zu verteidigen gelte. Durch Gebietszuteilungen wurden Friedens-schlüsse erreicht. Irreguläre Akteure verfolgen in den „neuen Kriegen“ andere Zwecke. Vor dem Hintergrund religiöser, ethnischer, geostrategi-scher und ökonomischer Konfliktfaktoren bilden sich Identitäten, deren Machtansprüche in Kriegen durchgesetzt werden sollen. Auf diese „Politik der Identität“, die in Regionen mit schwachen staatli-chen Strukturen entstehen, verweist Kaldor als eine Ursache der neuen Kriege (Kaldor 2007: 133f). Besonders nach Ende des Kalten Krieges sind hierbei ethnisch-nationale Argumentationen an die Stelle sozialrevolutionärer Legitimationsmuster getreten. Häufig verselbständigen sich die Kampf-handlungen in lang andauernden Kriegen. In den entstehenden Gewaltökonomien wird die Erhal-tung des Kriegszustandes schließlich zum Selbst-zweck. Während Staaten3 einen Krieg auf der Grundlage geltenden Rechts führen müssen, und dabei im Prinzip gehalten sind, humanitäre Standards und völkerrechtliche Grundsätze (Haager Landkriegs-ordnung und Genfer Konventionen) einzuhalten, bewegen sich irreguläre Akteure außerhalb eines

3 Staaten, die nicht Vertragsparteien des geschriebenen huma-nitären Völkerrechts (Haager Landkriegsordnung, Genfer Konventionen und Zusatzprotokolle) sind, sind dennoch Völkerrechtssubjekte nach Völkergewohnheitsrecht.

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(säkularen) rechtlichen Rahmens4. Staaten unter-liegen als Kriegsakteure einer Selbstbindung, irre-guläre Truppen nicht. Dass viele gegenwärtige Kriege keine eindeutig bestimmbaren Anfangs- und Endpunkte haben, ist auch Folge dieser recht-lichen Asymmetrie. Denn Kriege beginnen statt mit einer formalen Kriegserklärung eines Staates an einen anderen eher mit dem faktischen Aus-bruch von Gewalt. Friedensschlüsse können nur schwer vermittelt werden, da für die (irregulären) Beteiligten keinerlei Rechtsbindung besteht. Ent-zieht sich das Kriegsgeschehen rechtlichen In-strumenten, verbleiben diese ohne Wirkung. Das Problem, dass faktische politische Macht(-ergreifung) den Verbindlichkeitsanspruch des Rechts bricht, spiegelt sich auf begrifflicher Ebene in der Tatsache, dass für die unterschiedlichen Formen des Kriegsgeschehens keine eindeutigen, abgrenzbaren Kategorien gefunden werden kön-nen. So lösten sich bereits mit dem Ersten Welt-krieg die mit der westfälischen Ordnung installier-te Trennung zwischen Staaten- und Bürgerkrieg auf (Münkler 2008: 3). Ohne einheitliche Begriffs-grundlage aber hat auch der rechtwissenschaftliche Zugriff auf das Kriegsgeschehen enge Grenzen. Auch deshalb besteht hier Potential für die poli-tikwissenschaftliche Beschreibung und Analyse von Kriegen, die sich auf die vorliegenden Macht-strukturen und -dynamiken im Kriegsverlauf und zwischen Akteuren selbst konzentriert (1). 2.5 Motivation der Akteure

In nicht-symmetrischen Auseinandersetzungen sind auch die Beweggründe der beteiligten Akteure sehr unterschiedlich: Handelt es sich um die Be-rufspflicht des Soldaten oder um die Verteidigung der persönlichen Ehre? Geht es um einen militäri-schen Stärkebeweis, um geschichtliche Vergeltung

4 Irreguläre Akteure folgen dabei durchaus ihrem eigenen (religiösen) Gesetz. So schreibt die Hizbollah: “Our behavior ist dictated to us by legal principles laid down by the light of an overall political conception defined by the leading jurist [faqih].” (Hizbollah 1988). [Alle im Text zitierten Angaben der Hizbollah beziehen sich auf das im Jerusalem Quarterly 1988/48 abgedruckte „Pro-gramm” der Hizbollah; der Text ist auf zahlreichen Internet-seiten veröffentlicht und hat keine einheitlichen Seitenanga-ben. Auch der Wortlaut ist in einigen Fällen abgeändert. Zum Status des Dokuments bemerkte die Zeitung: „This is a slight-ly abridged translation of ‚Nass al-Risala al-Maftuha allati wajahaha Hizballah ila-l-Mustad'afin fi Lubnan wa-l-Alam’, published February 16, 1985 in al-Safir (Beirut), and also in a separate brochure. It carries the unmistakable imprint of Sheikh Muhammad Hussein Fadlallah, the Hizballah mentor, and is inspired by his book Ma'maal-Quwma fi-l-Islam (Beirut 1979). See also his article in al-Muntalak (Beirut), October 1986.“ Dieser Arbeit liegt die auf der Homepage des Interna-tional Institute for Counter-Terrorism veröffentlichte Version zugrunde, die auch Wunder (2006) verwendet.]

unter Berufung auf das eigene Existenzrecht oder um einen Krieg im Namen des „rechten Glau-bens“? Mit der Fassung in rechtliche und begriffli-che Kategorien (mit Carl Schmitt der „Hegung“) des Krieges in der europäischen Tradition ging auch seine Rationalisierung einher. Ideologisierung und Irrationalität in Kriegen (Märtyrerglauben, Heldenverehrung, Ehrenkodizes) wirken auf diese „alten Krieger“ befremdlich und „entgrenzen“ Gewalt in dem Maße, in dem ihr politischer Zweck zu verschwinden droht (Barth 2008: 49). Für Intensität und Ziel der Gewaltausübung ist der Grad der Opferbereitschaft der Akteure ent-scheidend. Münkler schlägt für dieses Merkmal den Begriff der „Heroismus“ vor. Dieser lässt sich definieren als „erhöhtes persönliches Bewusstsein, berufen zu sein, unter Einsatz aller Kräfte bis zur Selbstaufgabe an der Verwirklichung einer allge-meinen Aufgabe mitzuwirken“ (Huizinga zit. n. Münkler 2006: 310). Heroische Kriegsdeutungen und entsprechendes Verhalten sind bei vielen irregulären Akteuren in höherem Maße vorhanden als bei staatlichen Akteuren, deren institutionelle Verankerung ihre Aufgabe in einen öffentlichen, rational verwalteten Kontext stellt. Opferbereit-schaft wird nicht nur durch Ideologie und Religi-on, sondern – postuliert Gunnar Heinsohn – auch demographisch bedingt: Gibt es in einer Bevölke-rung kinderreiche Familien und viele junge Män-ner, die willens sind, sich an solchen Auseinander-setzungen zu beteiligen und anders nicht versorgt werden können, steige die Opferbereitschaft mit ihrer bloßen Anzahl (Heinsohn 2008: 69). 2.6 Rolle der Medien

Dennoch ist die Feststellung multidimensionaler Asymmetrien nicht einziges Merkmal gegenwärti-ger Kriege. Auch spielt die mediale Berichterstat-tung eine kaum zu überschätzende Rolle. In dem Maße, wie Aufmerksamkeit zur globalen Ressour-ce wird, kann die Gewalt der Bilder mitunter kriegsentscheidend sein: Bilder aus dem Vietnam-krieg ließen die Unterstützung in der amerikani-schen Bevölkerung schwinden. Mit Hilfe von „embedded journalists“ wurde der Irakkrieg 2003 zum Medienkrieg. Mit wachsendem Einfluss der Medien auf das Kriegsgeschehen werden Journali-sten selbst zu Kriegsakteuren; ihre Anwesenheit entscheidet oft darüber, ob Gefechte ausbrechen oder nicht.

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3 Der Zweite Libanonkrieg – Ge-schichte und Kontext

Die Untersuchung unter oben erörterten Ge-sichtspunkten konzentriert sich auf den „Zweiten Libanonkrieg“ im Sommer 2006. Dieser steht in engem Zusammenhang mit dem ungelösten palä-stinensisch-israelischen Konflikt. Der Kontext des arabischen Widerstandes gegen die Existenz Isra-els müsste ausführlicher beleuchtet werden, fragte man nach den Ursachen des Krieges. Die Frage nach den Merkmalen des Krieges vor dem Hinter-grund der Vermutung, dass sie Eigenschaften neuer Kriege aufzeigen, erlaubt jedoch den hier gewählten Fokus auf das Geschehen während des Krieges im Sommer 2006. Das Territorium, auf dem sich der Sommerkrieg 2006 abspielte, der seit 1943 unabhängige Staat Libanon, ist ein multiethnisches Produkt französi-scher Kolonialherrschaft. Als solches verfügt er über eine republikanische Verfassung nach franzö-sischem Vorbild, die die Regierungsämter seit 1989 proportional nach der Stärke der verschiede-nen ethnischen Bevölkerungsgruppen aufteilt. Im Libanon treffen westlich geprägte christliche Gruppen (40-45% der Gesamtbevölkerung, deren größte Gruppe mit 20-25% katholische Maroniten sind) auf eine muslimische Mehrheit (55-60%). 25-30% der Gesamtbevölkerung sind Schiiten, 20-25% Sunniten5. Die politische Diskussion im Li-banon kreist um die politische Identität als multi-ethnischer, okzidentalen wie arabischen Einflüssen ausgesetztem Staat, den die Verfassung als „ara-bisch“ definiert und gleichzeitig den dort lebenden Christen ihre Zugehörigkeit garantiert. Trotz der tiefen konfessionellen Spaltungen war der Bürger-krieg 1975-1990 kein in erster Linie konfessionel-ler Krieg. Extreme soziale Ungleichheiten ver-stärkten die Gewalt ebenso wie der Einfluss der PLO (Palestine Liberation Organisation), die die hohe Zahl von palästinensischen Flüchtlingen mobilisierte. Eher ging es um Machtpositionen im Staat und um politischen Einfluss der jeweiligen Gruppen. Dabei sprach aber im Unterschied z.B. zum Krieg in Bosnien 1992-95 keine Bevölke-rungsgruppe der anderen ihre Zugehörigkeit zum Staat grundsätzlich ab (Perthes 2006: 270).

5 Über die konfessionelle Zusammensetzung des Libanon gibt es keine präzisen Daten, die obigen Angaben beruhen auf Schätzungen, ausgehend von der formellen, durch Geburt entstehenden Zugehörigkeit zu einer Konfessionsgruppe (Perthes 2006: 464, Fn. 231). Zu den weiteren ethnisch-konfessionellen Gruppen zählen griechisch-orthodoxe, grie-chisch-katholische Christen, Protestanten und armenische Christen verschiedener Konfessionen. Kleinere muslimische Gruppen sind Drusen und die heterodox-schiitische Gruppe der Alawiten.

Seit 1978 ist Israel im Libanon militärisch aktiv – die umfangreichste Intervention war der soge-nannte Erste Libanonkrieg 1982, auf den die Be-zeichnung Zweiter Libanonkrieg Bezug nimmt (Wunder 2006: 55). In der Folge gründete sich die Hizbollah mit syrischer und iranischer Unterstüt-zung und opponierte gegen die israelische Präsenz im Südlibanon mit einem langwierigen Guerilla-krieg. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass staat-liche Strukturen im Libanon seit seiner Unabhän-gigkeit labil gewesen sind. Viele Faktoren spielen bei dieser Entwicklung eine Rolle, in erster Linie permanente regionale Unruhen aufgrund des israe-lisch-palästinensischen Konflikts – Hunderttau-sende palästinensische Flüchtlinge leben in Lagern im Südlibanon –sowie die Herausforderung einer postkolonialen multiethnischen Staatsgründung. Die demographische Entwicklung nährt als weite-rer entscheidender Faktor den prekären Status der Regierung und wird zum politischen Motiv: die gewachsene muslimische Bevölkerung fordert eine „Korrektur“ der proportionalen Ämterverteilung zu ihren Gunsten. Innerhalb des Libanon vertritt die Hizbollah die schiitisch-muslimische Mehrheit als politische Partei wie als soziale Organisation, die im strukturschwachen Süden des Landes staat-liche Institutionen faktisch ersetzt. Nicht nur die innenpolitische Situation im Libanon, sondern vor allem die Israels war für die Eskalation des Kon-flikts im Jahr 2006 entscheidend: Die radikalisla-mische Hamas verbuchte einen Wahlerfolg bei den Parlamentswahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten. Aus den Wahlen zur Knesset ging die Partei Kadima als Wahlsieger und Ehud Olmert als Ministerpräsident Israels hervor: die innenpolitische Lage Israels verschärfte sich. Auf die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die Hamas reagierte Israel mit Angriffen im Gaza-streifen und im Westjordanland. Das provozieren-de Verhalten der Hizbollah, das den Zweiten Li-banonkrieg auslöste, ist auch durch ihre Solidari-sierung mit der Hamas zu erklären.

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3.1 Die 33 Tage des „Israel-Hizbollah-Krieges“

Der Zweite Libanonkrieg 2006 dauerte 33 Tage6, vom 12. Juli bis 14. August 2006. Nicht nur der Hintergrund der dauerhaften Konfrontation, son-dern auch Kürze und Intensität der Auseinander-setzung legen nahe, dass dieser Zeitraum nur eine Phase eines lang anhaltenden low intensity war bilde-te, dessen Ursachen fortbestehen. Insofern könnte man, die Kontinuität der Auseinandersetzung betonend, die seit der Gründung der Hizbollah anhält, von einem langen „schwelenden“ Krieg seit 1982 sprechen. Dieser „Israel-Hizbollah-Krieg“ zu nennende Krieg wäre insofern ein neuer Krieg, als er nicht nur in Raum (Angriffe jüdischer Einrichtungen im Ausland durch die Hizbollah) und Zeit ausdehnte, sondern auch als existentielle Konfrontation in der politischen Ordnung selbst verankert ist – eine Lösung ist hier nicht in Sicht. Dennoch ist diese Perspektive nicht die vorherr-schende. In den internationalen Medien wie in der Literatur wird der Zweite Libanonkrieg, wie die Bezeichnung nahe legt, oft als separates Ereignis betrachtet – die Bezeichnung als „Krieg“ erscheint den meisten Beobachtern dann angemessen, wenn auf beiden Seiten militärische Aktionen mit dem Ziel der Vertreibung oder Zerstörung des Gegners stattfinden. In den Jahren 2000 bis 2006 griff His-bollah immer wieder vereinzelt israelische Ziele an (Wunder 2006: 25). Auch Entführungen von Is-raelis sind ein häufiges Drohmittel der Hisbollah, um Gefangene freizupressen – die letzte Ver-schleppung dreier israelischer Soldaten datierte vom Oktober 2000 (26). Erst als Israel eine „harte Reaktion“ auf die erneute Geiselnahme im Som-mer ankündigte, eskalierte die Situation und die internationale Aufmerksamkeit richtet sich auf den „Krieg“ in der Region. Auch schließt die Bezeich-nung Zweiter Libanonkrieg nicht aus, dass es einen dritten geben wird. Obwohl sich also in diesem 33tägigen Krieg die Formation der Akteure, das Kriegsgebiet und der Zeitraum der Auseinander-setzungen klarer als z.B. in einem Bürgerkrieg umreißen lassen, ist dennoch kein „Ergebnis“ der Kampfhandlungen festzustellen. Die Situation nach Kriegsende bestätigt im Wesentlichen nur die bereits vorhandenen Konfliktlinien: Es wurde

6 Unter diesem Namen wird in arabischen Ländern auf den Krieg Bezug genommen. Die Bezeichnung Zweiter Libanon-krieg, die sich in westlichen Medien durchgesetzt hat, ist insofern irreführend, als der Krieg zwar hauptsächlich auf libanesischem Territorium stattfand, der Staat Libanon, bzw. die reguläre libanesische Armee jedoch nicht direkt an dem Krieg beteiligt war. Interessanterweise berücksichtigt diese „westliche“ Bezeichnung die Trennung von Akteuren und Territorium nicht, die für neuere Kriege jedoch charakteri-stisch ist.

weder Territorium erobert, noch wurde ein Akteur so geschwächt, dass er als Gegner nicht mehr in Frage käme. In diesem Sinne endete der Krieg nicht mit einer „Entscheidung“, sondern viel mehr mit einer Bestätigung des anhaltenden Problems. Daran ändert auch die Resolution 1701 nichts, solange die enthaltenen Forderungen nicht umge-setzt werden. Keine neue Ordnung, sondern die Perpetuierung der alten ist die Folge. Dennoch blieb der Krieg nicht ohne politische Konsequen-zen. Eher als eine faktische Veränderung brachte er eine symbolische Wende hervor: Die Hizbollah suchte einen Beweis ihrer Stärke zu erbringen und fügte Israel, das sich inmitten von arabischen Staa-ten gezwungen sieht, seinen Unbesiegbarkeitsmy-thos aufrecht zu erhalten, eine Niederlage zu. In der Kontinuität des Ersten Libanonkrieges und des endgültigen Rückzugs aus dem Libanon im Jahr 2000 scheint Israel in der Region zunehmend an militärischer Handlungsfähigkeit einzubüßen – was angesichts seiner Aufrüstung paradox er-scheint, im Zuge der Entwicklung gegenwärtiger Kriege jedoch charakteristisch ist. Diese Konfron-tation war, trotz der fundamentalistischen Rheto-rik der Hizbollah, nicht primär religiös motiviert, sondern diente – sofern man überhaupt von einem politischen Zweck sprechen kann – auf beiden Seiten dem Aufbau eines möglichst realistischen Bedrohungsszenarios und der Erhaltung der eige-nen Glaubwürdigkeit. 3.2 IDF und Hizbollah

Die Konstellation der Akteure dieses Krieges weist eine für viele militärische Konflikte der Ge-genwart typische Asymmetrie auf. Die Auseinan-dersetzung verlief zwischen der israelischen staat-lichen Armee (IDF) und der Hizbollah-Miliz, ei-nem im Staat Libanon (politisch) zunehmend „etablierten“, aber dennoch (militärisch) „irregulä-ren Akteur“. Entstanden aus Zusammenschlüssen mehrerer milizartiger Gruppen, die die islamische Revolution zu exportieren versuchten, verübte sie zunächst terroristische Anschläge auf israelische, jüdische und US-amerikanische Ziele weltweit7. Als Sprachrohr der libanesischen Schiiten vergrö-ßerte die Organisation ihren Einfluss und leitete ab 1992 mit der Teilnahme an den Parlaments-wahlen einen Transformationsprozess ein, wobei sie zwar ihre Organisationsstruktur änderte, ihre fundamentalistische Ausrichtung jedoch beibe-hielt. Die „Partei Gottes“ errichtete im Südlibanon

7 Vermutet wird die Beteiligung an Anschlägen auf die US-Botschaft in Beirut 1983 und ein jüdisches Zentrum in Bue-nos Aires 1994, an Bombenattentaten 1985 und 1986 in Paris sowie die Entführung des US-Geheimdienstoffiziers W.R. Higgins.

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einen „Staat im Staat“: Sie verfügt sowohl über eine breit verankerte zivile Infrastruktur (Bauun-ternehmen, Schulen, Waisenhäuser, eigener Fern-sehsender Al-Manar TV) als auch über militärische Ressourcen und Netzwerke. Als politische Partei stellte sie zu Kriegsbeginn zwei Regierungsämter im libanesischen Staat. Der militärische Flügel kann bezüglich seiner Gewaltorientierung am ehesten als „Miliz“ bezeichnet werden (Schnecke-ner 2006: 32ff). Schneckener bezeichnet als Mili-zen Gruppen, die von staatlichen Regimes ausge-rüstet, finanziert und geschult werden und in de-ren Interesse z.B. gezielte Entführungen oder andere politische Gewaltakte vollziehen. Die durch sie ausgeübte Gewalt ist eher politisch als ökonomisch ausgerichtet, aber gleichermaßen psychischen (Terrorismus) als auch physischen Charakters (Guerillakrieg). Sie kämpfen zwar mit Ansprüchen auf Gebietseroberung (territorial), der Krieg ist aber in gleichem Maße ein symbolisch-legitimatorischer, ein Merkmal, das sie wiederum vom „klassischen“ Guerillakampf abgrenzt. Ob-wohl die Hizbollah aus vergangenen Aktionen über Erfahrung mit (konventionellen) terroristi-schen Strategien verfügt, setzte sie diese im Zwei-ten Libanonkrieg nicht ein. Problematisch an dieser Art der Charakterisierung irregulärer Akteure ist, dass viele Gruppen sich nicht eindeutig in ein solches Schema einordnen lassen und überdies mit der Zeit Profil und Struk-tur ändern. So treffen andere Merkmale von Schneckeners Beschreibung von „Milizen“ auf die Hizbollah nicht zu. Die Hizbollah kämpfte ur-sprünglich als „exportierte“ Miliz des iranischen Regimes, ist aber längst souveräner Akteur im Libanon. Aufgrund dieser Besonderheit ist sie nicht an der Erhaltung des „Status quo“, sondern eher an der Erweiterung des arabisch-schiitischen Einflusses im Libanon und der Bekämpfung Isra-els interessiert. Zu diesem Zweck verwenden sie Strategien, die nach Schneckeners Schematisierung eher für Rebellen, Partisanen und Guerillatruppen zutreffen. Bezieht man die gesamte Organisation der Hizbollah in die Beschreibung ein, entzieht sie sich durch ihr breites Aktionsspektrum sowie ihre wachsenden militärischen Möglichkeiten jeder eindeutigen Kategorisierung. Die Hizbollah hat sich vielmehr politisch wie militärisch durch eine spezifische Kombination von Gewalt und Sozial-politik als singulärer Akteur etabliert. Israel und die USA (die EU seit 2008 nicht mehr8) stufen sie als „Terrororganisation“ ein. Militäri-

8 In der sogenannten „EU-Terrorliste“ vom 15. Juli 2008 (Beschluss des EU-Ministerrats 2001/931/GASP) wird die Hizbollah nicht als Terrororganisation aufgeführt. Hiermit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Hizbollah eine in der libanesischen Regierung präsente politische Partei ist.

scher Führer ist Hassan Nasrallah, der offiziell dem iranischen staatlichen und geistlichen Ober-haupt Ayatollah Ali Khameini untersteht (Wunder 2006: 6). Darüber, wie viel Freiraum die Führung der Hizbollah dem iranischen Regime gegenüber hat, kann nur spekuliert werden. Anzunehmen ist jedoch, dass sie sich mit dem Ende des Kalten Krieges und mit dem Tode Khomeinis teilweise säkularisiert und sich anstatt auf die Einführung eines Gottesstaates nach iranischem Vorbild auf den Kampf gegen Israel konzentriert hat: „There-fore our struggle will not end only when this entity [Israel] is obliterated“ (Hizbollah 1988). An diesem Kernziel hält Hassan Nasrallah bis heute fest. Wie für irregulären Akteure charakteristisch, besteht innerhalb der Hizbollah eine untrennbare Verbin-dung zwischen zivilen und militärischen Einheiten. So schreibt die Hizbollah in ihrem politischen Programm: “No one can imagine the importance of our military potential as our military apparatus is not separate from our overall social fabric. Each of us is a fighting soldier. And when it becomes necessary to carry out the Holy War, each of us takes up his assignment in the fight [...]” (Hizbol-lah 1988) Die IDF ist eine der modernsten Armeen welt-weit9 (Richter 2006: 175). Richter weist darauf hin, dass sie „eine über Jahre erworbene Erfahrung in einer asymmetrischen Konfliktumgebung“ besitze (175). Seit der Gründung Israels ist Abschreckung ein zentraler Bestandteil israelischer Sicherheitspo-litik, mit deren Hilfe es auch de facto seine Exi-stenz und die Stabilität vieler Friedensverträge mit arabischen Staaten behauptet (Wunder 2006: 55). Die israelische Armee hat die Aufgabe, den My-thos der Unverwundbarkeit aufrecht zu erhalten. Ihr Abzug aus dem Libanon 2000 wurde auf ara-bischer Seite als Zeichen von Schwäche gedeutet – so bot die provozierende Entführung durch Hiz-bollah Israel auch eine Gelegenheit, seine Ab-schreckungswirkung mittels massiven militäri-schen Vorgehens wieder herzustellen (55). Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass zunächst keine der beiden Parteien ein ernsthaftes

Zum anderen wird damit deutlich, dass sie ihre strategischen Kompetenzen nicht im Hinblick auf terroristische Aktionen, sondern im Hinblick auf regionale Kriegführung gegen Israel ausgebaut hat. Daraus lässt sich jedoch wiederum nicht schließen, dass die Hizbollah inhaltlich-politisch gemäßigten Charakter angenommen habe. Den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde die interessante Frage nach dem Wandel der Definition der Bezeichnung „Terrororganisation“ der EU, nicht zuletzt in Verbindung mit dem 11. September 2001. 9 Nach Richter (2006: 175) kann der Militärhaushalt im Jahr 2004 mit knapp 9.7 Mrd. $ beziffert werden, hinzu kommt eine Unterstützung durch die USA mit 2,2 Mrd. $. Die IDF verfügt über 168.000 aktive Soldaten und eine große Anzahl an Reservisten (408.000).

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Interesse an der Beendigung des Krieges hatte. Die Hizbollah als Miliz legitimiert ihre Aktionen durch das grundsätzliche Ziel, Israel als ideologi-schen Feind und unrechtmäßigen Besatzer arabi-schen Landes zu vertreiben. Die Hizbollah lebt davon, den Konflikt aufrecht zu erhalten: Je grö-ßer die Bedrohung durch Israel auf der Seite liba-nesischer Schiiten, Syriens und Irans sowie ihrer Unterstützer weltweit wahrgenommen wird, desto mehr materielle und soziale Unterstützung erfährt die Hizbollah. Auch aus taktischen Gründen hatte sie an der schnellen Beendigung des Sommerkriegs 2006 kein besonderes Interesse, schließlich konnte sie umso größeren symbolischen Gewinn verbu-chen, je länger sie der IDF standhielt. Der Staat Israel dagegen behauptet durch starke militärische Präsenz sein Existenzrecht. Er musste zwar aus taktischen Gründen seine Offensive einstellen. Interesse an der Beendigung des Gesamtkonflikts, des Prinzips der Konfrontation, lässt sich jedoch nicht erkennen.10 Insofern kann man auf lange Sicht durchaus von einem sich selbst alimentie-renden Konflikt sprechen, wobei diese Nährung vor allem ideologisch-symbolisch betrieben wird. Auch drei Wochen nach Beginn des Krieges er-klärte die Regierung Olmert zwar nicht mehr die Vernichtung der Hizbollah, wohl aber ihre „Ver-drängung aus dem Südlibanon“ zum Kriegsziel (58). Die provokative Rhetorik, derer sich die Regierung noch zu Beginn des Krieges bediente, ließ die Niederlage Israels im August noch drasti-scher erscheinen: Weder die Wiederherstellung der israelischen Abschreckungsfähigkeit, noch die dauerhafte Veränderung der Situation im Südliba-non zugunsten Israels waren erreicht worden. Des Weiteren zielte Israel auf die Freilassung der Gei-seln und internationale Diskreditierung der Hiz-bollah als „Terrororganisation“. (58) Vor allem Letzteres macht deutlich, dass der Sommerkrieg 2006 vor allem ein Krieg um die Glaubwürdigkeit der beiden Gegner war. Insofern sind in besonde-rem Maße die internationale Gemeinschaft und die globale mediale Öffentlichkeit Adressaten des Kriegsgeschehens. Israel und die Hizbollah stehen als Akteure in großer Abhängigkeit von anderen Staaten, ein Vorzeichen globaler Abhängigkeiten und Ver-pflichtungen, unter dem die meisten der gegenwär-tigen Kriege stehen. Diese – mit Carl Schmitts Worten – „interessierten Dritten“ (Schmitt 1992: 78) sind auch in dem hier betrachteten Krieg von großer Bedeutung: Syrien hat starkes Interesse an

10 Dies gilt für offizielle Positionen beider Seiten. Umso bedeutsamer ist deshalb die aktive Friedensarbeit zahlreicher Organisationen auf beiden Seiten der Konfliktparteien, die einen politisch realisierbaren Kompromiss anstreben.

einem kontinuierlichen Einfluss und baut seine regionale Vorherrschaft mit Hilfe der Loyalitäten im Libanon aus (259). Gemeinsam mit dem Iran ist Syrien Schutzmacht der Hizbollah und unter-stützt diese finanziell und durch Waffenlieferun-gen. Die syrische Regierung Bashar al-Assads be-findet sich offiziell im Kriegszustand mit Israel und fordert die Rückgabe der Golanhöhen. Der Iran verstärkte unter Präsident Ahmadinedschad seinen radikalen Konfrontationskurs gegenüber „dem Westen“ und Israel. Die USA unterstützten gemäß ihrer traditionell israelfreundlichen Außen-politik die bewaffnete Reaktion Israels unter Ver-weis auf dessen Selbstverteidigungsrecht, mussten diese Politik jedoch infolge der internationalen Kritik an den Angriffen auf Kanaa korrigieren. Bei diesem Kurswechsel spielte sicherlich auch eine Rolle, dass die USA von verbündeten arabischen Regierungen unter Druck gesetzt wurden, nach-dem absehbar war, dass Israel diesen Krieg nicht würde gewinnen können (235).

3.3 Asymmetrierung aus Schwäche

Da eine staatliche Armee und ein irregulärer Ak-teur jeweils über unterschiedliche Stärken, Schwä-chen und Mittel verfügen, lag zu Beginn dieser Auseinandersetzung eine strategische und taktische Asymmetrie vor. Diese machte sich die Hizbollah zu Nutze und verfuhr gemäß dem Prinzip der Asym-metrierung aus Schwäche (Münkler 2006: 140f). Tak-tisch konnte dies aufgrund der effizienten Nut-zung bekannten Terrains realisiert werden. Die Hizbollah verfügte über ein System aus Bunkern und Waffenlagern und war bestens auf die israeli-sche Offensive vorbereitet: „Die Hizbollah verstand es moderne Bewaffnung […] mit asym-metrischen Strategien zu kombinieren.“ (Richter 2006: 183) Die Kämpfer koordinierten ihre Aktio-nen via Mobiltelefon, Funkgerät und Kurier – ein Kommunikationssystem, dass auch am letzten Kriegstag fast vollständig intakt war. Aufgrund ihrer partisanenartigen Struktur ist die Hizbollah sehr flexibel: ca. 700 ständig präsente Kämpfer können durch ca. 7000 teilaktive Kämpfer ver-stärkt werden, die zu großen Teilen die „zivile Infrastruktur“ der Bevölkerung darstellen und deren Solidarität eine unverzichtbare Ressource darstellt. „Die eingesetzten Kämpfer wohnten zu großen Teilen in Ortschaften des Südlibanon und gingen einer zivilen Tätigkeit nach.“ (Wunder 2006: 29) Im Kontrast zu dieser erfolgreichen Asymmetrie-rung wirkt die Kriegführung der IDF geradezu schwerfällig. Sowohl bezüglich der Kriegsziele (Vertreibung der Hizbollah) als auch bezüglich des strategischen Vorgehens agierte Israel gemäß einer

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symmetrischen Logik. Und dies, obwohl die Ar-mee Israels im Umgang mit asymmetrischen Kon-flikten „geübt“ sein müsste (so Richters Einschät-zung). Die schnelle Reaktion der Luftwaffe sollte – möglichst ohne personelle Verluste – die Ent-scheidung über den Ausgang dieses Krieges schnell herbeiführen. Ehud Olmert formulierte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „In Kürze werden Sie erleben, dass die Hisbollah völlig aus dem Südlibanon verschwunden ist“ (SZ, 3.8.06). Doch die Hizbollah aus dem Südlibanon zu ent-fernen hieße vermutlich, die gesamte Bevölkerung aus diesem Gebiet zu vertreiben. Dass dies vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit nicht zu realisieren war, auch wenn man wie Israels Justizminister Ramon alle im Libanon ansässigen Personen zu Terroristen erklärte, muss der israeli-schen Regierung zu diesem Zeitpunkt deutlich gewesen sein. Unterschätzt wurden auf israelischer Seite Ausrüstung und Widerstandskraft der Hiz-bollah sowie letztlich auch die Wirksamkeit des Einsatzes der ansässigen „Zivilbevölkerung“ als menschliche Schutzschilde. Die Hizbollah nutzte den Raum zur Diffusion und bot so der israeli-schen Luftwaffe keine Ziele, deren Bombardie-rung keine hohen Verluste der Zivilbevölkerung mit sich gebracht hätte. Als Exponent staatlicher Macht ist die IDF hier verwundbar: Die Legitima-tion ihres Einsatzes schwindet in dem Maße, wie Zivilbevölkerung zu Schaden kommt. Die Hizbol-lah konnte Israel zudem durch massiven Einsatz von Artillerieraketen – täglich wurden im Durch-schnitt ca. 100 Raketen auf Nordisrael abgefeuert – nicht nur materiell, sondern auch psychologisch erheblich schaden. Die Hizbollah verfügt über iranische „Zelzal-2“-Raketen, die alle Bevölke-rungszentren Israels erreichen können und erhält damit ein realistisches Bedrohungsszenario auf-recht. Auch wenn man die Kriegsrhetorik Israels nicht für bare Münze nimmt, ist festzustellen, dass seiner Armee keine andere Alternative blieb, als die Flexibilität der Hizbollah-Partisanen mit der Massivität von Luftangriffen zu beantworten. Der wenig erfolgreiche Einsatz der Luftwaffe machte schließlich für Israel den Angriff mit Bodentrup-pen nötig, die jedoch auf die Konfrontation nicht optimal vorbereitet waren (Wunder 2006: 70). Nach dem Krieg wurde in Israel heftige Kritik an der Vorgehensweise der Armee geübt. Auf den Rücktritt Olmerts folgte ein Aufschwung der kon-servativen radikalen Kräfte und eine breite Unter-stützung konfrontativer Politik (78). Spätestens im Jahr 2008 hat die Hizbollah alle ihre Kriegsziele erreicht: nicht nur die Schwächung der Legitimation Israels und den durch die Entfüh-rung provozierten Gefangenaustausch, sondern vor allem auch eine Stärkung der eigenen Glaub-

würdigkeit. Mit jedem Angriff Israels kann die Hizbollah die (innerlibanesische) Forderung nach ihrer Entwaffnung faktisch kontern und ihre Stel-lung in der libanesischen Politik sowie internatio-nal behaupten. Israel dagegen hat in diesem Krieg keines der angegebenen Ziele realisieren können. 3.4 Völkerrecht vs. Machtanspruch

Offensichtlich ist zunächst, dass der Krieg mit dem Ausbruch von Kämpfen begann, genauer: mit Israels militärischer „Selbstverteidigung“ ge-gen eine Entführung auf fremdem Territorium – und nicht, wie in klassischen Staatenkriegen zu erwarten, mit einer formalen Kriegserklärung. Während die Hizbollah sich außerhalb eines recht-lichen Rahmens bewegt, finden die Aktionen des Staates Israel automatisch innerhalb einer völker-rechtlichen Ordnung statt. Dieses hat für eine solche asymmetrische Ausgangslage jedoch „keine geschlossenen Lösungen“ parat (Tomuschat 2006: 180). Gemäß dieser Rechtslage gestalten sich auch die Rechtfertigungen für diesen Krieg: Israel argumen-tierte, auf eigenem Staatsgebiet angegriffen wor-den zu sein. Nach geltendem Völkerrecht (UN-Resolution 2625 von 1970) darf Israel Libanon zur Verantwortung ziehen, weil es die eigenständigen militärischen Aktivitäten auf seinem Territorium nicht unterbindet und so die territorialen Integrität des Nachbarlandes Israel nicht gewährleistet wer-den konnte (Tomuschat 2006: 181). Schon hier wird deutlich, dass rechtliche Kategorien in diesem Fall die faktische politische Situation nicht erfas-sen können, da sie von einer staatlich durchsetzba-ren Rechtsordnung ausgehen. Dass der Staat Li-banon nicht in der Lage ist, die Aktivitäten der Hizbollah zu unterbinden, ist für die rechtliche Einschätzung zunächst nicht relevant. Zumal es seit dem 11. September 2001 Staaten erlaubt ist, das Recht der Selbstverteidigung gegen solche Staaten in Anspruch zu nehmen, die „Urheber eines bewaffneten terroristischen Angriffs“ beher-bergen (Tomuschat 2006: 182 mit Bezug auf UN-Resolutionen 1368 vom 12.9.2001 und 1373 vom 28.9.2001). So kann sich der Staat Israel auf völ-kerrechtlich gesicherter Grundlage verteidigen. Israel darf laut Tomuschat auch zivile Siedlungen angreifen, sofern dort Raketenabschussgeräte vermutet werden. Denn gemäß Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen (ZP1 von 1977) darf keine Kriegspartei, also auch nicht die Hizbollah, Stellungen in dicht bevölkertem Gebiet aufbauen. Erneut wird dieser Bestimmung real widerspro-chen: die Hizbollah bediente sich der Zivilbevöl-kerung als medienwirksames Schutzschild. Die einzige rechtliche Einschränkung der israeli-schen Angriffe besteht im Grundsatz der Verhältnis-

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mäßigkeit, der bei solchen Reaktionen gewahrt werden muss (Tomuschat 2006: 182). Während die taktische Unterlegenheit Israels in dieser Be-trachtung recht schnell deutlich wurde, fällt der rechtliche Handlungsspielraum für Israel im Ver-gleich größer aus. Dass Israel an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheiterte, zeigt, dass man in diesem Krieg aus dem rechtlichen Handlungs-spielraum eines Akteurs nicht auf die Realitäten eines neuen Krieges schließen konnte. Das international zunächst akzeptierte Argument der „Selbstverteidigung“ bot Israel Gelegenheit, diesen vermutlich geplanten Krieg zu legitimieren, ohne zunächst auf internationale Aufrufe zur Mä-ßigung Rücksicht nehmen zu müssen. Hinter der Rechtfertigung, die Integrität eines Staates vertei-digen zu müssen (staatlich-territoriale Argumenta-tion) stand der machtpolitische Imperativ, die eigene Glaubwürdigkeit und Abschreckungsfähig-keit zu erhalten. Auch die Hizbollah kämpfte um Glaubwürdigkeit und – anders als im Ersten Liba-nonkrieg – nicht um Gebiete. Deshalb bietet auch das territoriale Argument „Land für Frieden“ in diesem Krieg, anders als im Jahr 2000, keine Lö-sungsperspektive. Im Gegensatz zu Israel unterfüttert die Hizbollah ihren machtpolitischen Anspruch mit radikal-islamischer Rhetorik. Einerseits längst effizient organisierte, rational wirtschaftende Massenpartei, begründet ihr Bestehen andererseits noch immer auf dem Existenzkampf gegen Israel. Die politi-sche und religiöse Radikalität der Hizbollah hat damit eine strategische Funktion: Abschreckung des Gegners, Mobilisierung und Motivation ihrer Anhänger auf der einen, die Legitimation der Or-ganisation selbst auf der anderen Seite. So lässt sich auch erklären, dass sie entgegen eigenen Be-hauptungen keinen Religionskrieg geführt hat, sondern um politischen Einfluss in der Region kämpfte. Auch nach dem Waffenstillstand auf Basis der UN-Resolution 1701, der am 14. August begann, ist nicht klar, ob der Krieg beendet ist oder nicht. Denn die Konfliktparteien, so urteilt Wunder, stellten die Kämpfe nur ein, weil sie vorüberge-hend erschöpft waren. So ist auch zu erklären, dass die Hizbollah nach dem Waffenstillstand nicht angriff, obwohl Israel in den folgenden Ta-gen ca. 20 Kämpfer tötete (Wunder 2006: 93). Folgende Forderungen der Resolution 1701 sind bisher nicht oder nur teilweise erfüllt worden: • Ausweitung der Kontrolle der libanesischen

Regierung (durch die Armee) im Süden des Landes

• Ende der Präsenz bewaffneter Kräfte der Hizbollah im Südlibanon

• Stärkung der UNIFIL11 • Klärung der Frage der Shebaa-Farmen12

Die Resolution 1701 enthält jedoch kein realisti-sches Lösungsangebot für den Konflikt, und kann deshalb leicht zur Rechtfertigung der eigenen Po-sition instrumentalisiert werden. So sieht die israe-lische Regierung den vereinbarten Waffenstillstand als nicht erfüllt an, solange Hizbollah nicht ent-waffnet wird und kann unter Berufung darauf erneut angreifen. Da alle Versuche, eine Entwaff-nung durchzusetzen, bislang gescheitert sind, und ihre Legitimationsgrundlage mit der konfrontati-ven Politik Israels stetig schwindet, mündet die Argumentation in einen – beabsichtigten – Kreis-lauf. Wunder hält im Ergebnis eine Einhaltung des Waffenstillstandes für mittelfristig wahrscheinlich, langfristig jedoch eher unwahrscheinlich (93). Die entscheidende Frage sei, wie lange die Hizbollah zur Wiedererstarkung brauche. Deutlich ist an dieser Situation abzulesen, wie die Logik der Abschreckung und Bedrohung die des Rechts verdrängt und inkorporiert. Das „legitime staatliche Gewaltmonopol“, also in diesem Fall die libanesische Regierung und Armee, musste sich auf eine „neutrale“ Position zurückziehen, weil sie militärisch und politisch nicht in diesen Krieg eingreifen konnte. So gelang es der Hizbollah, sich als nicht-staatlicher Akteur politisch und militä-risch durchsetzen. Die Tatsache, dass sich viele gegenwärtige Konflikte mithilfe internationalen Rechts nicht lösen lassen, da Rechtsverbindlichkeit immer von der Durchsetzungskraft des Staates abhängt, hat weit reichende Konsequenzen. Wo politische Macht durch faits accomplis entsteht, kehren sich die Kräfteverhältnisse mithilfe der strategischen und rechtlichen Asymmetrien um: ein (möglicherweise militärisch starker) Staat schwächelt, während irreguläre Akteure, mögli-cherweise militärisch schwächer, erstarken (Münk-ler 2006b: 62).13

11 Die in der ersten UNIFIL-Mission eingesetzten 2000 Sol-daten zur Unterstützung der staatlichen libanesischen Armee konnten, auch aufgrund des Zuschnitts ihres Mandats, wenig substantielle Ergebnisse erzielen. Das Ende ihres Einsatzes ist daher nicht abzusehen. Auch wenn sich nach dem Sommer-krieg 2006 mehr Soldaten der libanesischen Armee wie der Vereinten Nationen im Südlibanon aufhalten, müssen diese sich, allein um die eigene Sicherheit zu gewährleisten, mit der Hizbollah indirekt arrangieren (Wunder 2006: 90). So ist auch der Verlauf der UNIFIL II Mandats ungewiss. 12 Bei dem wasserreichen, aber ansonsten nicht ökonomisch genutzten Gebiet der Shebaa-Farmen handelt es sich um einen kleinen Landstreifen an der Grenze zwischen dem Libanon, Israel und Syrien. Seit 1967 ist das Gebiet israelisch besetzt, wurde jedoch von Syrien dem Libanon mündlich zugesprochen, der es zusammen mit der Hizbollah seitdem einklagt. Die Zugehörigkeit ist rechtlich nicht eindeutig ge-klärt. 13 Deshalb, so argumentiert Münkler, ist auch die Analyse des Krieges zum einen deskriptiv entlang realer Machtverhältnisse

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3.5 Heroismus und Berufssoldatentum

Ein weiterer Aspekt der asymmetrischen Ausein-andersetzung in diesem Krieg ist die Opferbereit-schaft der Soldaten bzw. Hizbollah-Kämpfer. Der Wille, für die Sache der Organisation auch das eigene Leben zu lassen, ist für die Hizbollah wich-tiges Potential. Zur Erhaltung der Opferbereit-schaft der einzelnen Kämpfer propagiert sie vor allem radikale religiöse Argumente und einen aus-geprägten Märtyrerkult. In diesem Sinne bilden der militante Flügel der Hizbollah, wie auch die solida-rischen ‚zivilen’ Reservekämpfer im Südlibanon heroische Gemeinschaften, in denen Hassan Nasrallah als charismatischer Führer und Chefstratege fun-giert. Dass Opferbereitschaft und Heldenkult auch stra-tegische Funktion haben, wird an einer Aussage Hassan Nasrallahs deutlich: Die Juden seien nicht zu Opfern bereit, während Muslime den Tod lieb-ten (Al-Manar TV, 19.08.2000, zit. n. Wunder 2006: 9). Nasrallah setzt die aus seiner Sicht gerin-gere Opferbereitschaft Israels mit „psychischer, geistiger, ideologischer und religiöser Schwäche des Volkes Israel“ gleich (9). So schürt er nicht nur Hass, Rassismus und Vorurteile, sondern be-schreibt präzise, worin die stärkste Waffe, wenn nicht die „Unverwundbarkeit“ seiner Kämpfer liegt: darin, dass ihr eigener Tod im Krieg gegen Israel bedingungslos eingesetzt, im Falle der als Märtyrer verehrten Selbstmordattentäter sogar erwünscht wird. Gegen diese Opferbereitschaft kann der Berufssoldat oder Wehrpflichtige einer staatlichen Armee nur schwer angehen. Organisa-torisch nährt und nutzt die Hizbollah den Märty-rerkult, in dem sie eine „Märtyrer-Stiftung“ unter-hält.14 Diese versorgt die im Süden Libanons oft sozial schwachen Hinterbliebenen des Attentäters lebenslang. So verknüpft die Hizbollah den ideo-logischen mit einem materiellen Anreiz der Selbst-opferung. Diese Motivation der Kämpfer, die Krieg führen, um dem Gegner den maximalen Schaden beizufü-gen und nicht um einer schnellen Entscheidung willen, fordert den Staat und die Gesellschaft Isra-els auf besondere Weise heraus. Denn Israel ist (trotz seines unter anderem religiös begründeten

zu führen. Zum anderen sind Disziplinen gefragt, die fakti-sche Machtverhältnisse beobachten, so zum Beispiel Soziolo-gie und Politikwissenschaften. 14 Neben dieser unterhält die Hizbollah noch zahlreiche weitere Stiftungen, so zum Beispiel „Stiftung Jihad des Wiederaufbaus“, die die mögliche Unzufriedenheit der Bevölkerung nach Kriegen, die die Hizbollah auch provoziert, durch raschen Wiederaufbau schlichtet. Weiterhin gibt es ideologische Schulungseinrichtungen für Jugendliche.

Existenzanspruches) als eine postheroische Gesell-schaft zu begreifen. Auch wenn Israel weder wie Europa nach dem Zweiten Weltkrieg entmilitari-siert, noch vergleichbar säkularisiert erscheint, ist seine Gesellschaft doch geprägt von einem über-wiegend „westlichen“ Lebensstil, verfügt über eine ausdifferenzierte Sozialstruktur und weitgehend gemäßigte Vorstellungen von „Ehre“ und sozialer Anerkennung. Diese Faktoren geistiger Mobilisie-rung (wie in diesem Fall oft, aber nicht immer im Zusammenhang mit ausgeprägter Religiosität zu sehen), sind entscheidend für den persönlichen Einsatz von Soldaten und die Solidarität der Be-völkerung im Kriegszustand. Ein Indikator für eine abnehmende Opferbereitschaft der israeli-schen Gesellschaft kann auch die rückläufige Ent-wicklung der Kibbuzim und der dort kultivierten Solidarität sein (Münkler 2006b: 64). Sie stehen für die letzten „heroischen Gemeinschaften“ inner-halb der israelischen Gesellschaft. Der von Gunnar Heinsohn vermutete direkte Zusammenhang zwischen junger Bevölkerung und erhöhter Opferbereitschaft kann hier nicht bestä-tigt werden: obwohl für die schiitische Bevölke-rungsgruppe keine verlässlichen Zahlen vorliegen, spricht gegen seine These, dass sowohl die Alters-struktur als auch die Anzahl der Kinder pro Frau sich in Israel und im Libanon nahezu gleichen.15 Dennoch ist zu vermuten, dass andere sozialstruk-turelle Faktoren wie Einkommen und Zukunfts-chancen eine größere Rolle spielen. Mit Hilfe ef-fektiver Organisation und ideologischer Beeinflus-sung kann die Hizbollah Söhne aus sozial schwa-chen Familien gezielt mobilisieren und durch die Schaffung ebensolcher heroischen Gemeinschaf-ten einen strategischen Vorteil gegenüber Israel ausbilden. Sind diese Kämpfer an Vorstellungen von Ehre durch Selbstopferung heransozialisiert worden (für diese Arbeit betreibt die Hizbollah paramilitärische Kinder- und Jugendorganisatio-nen „Mahdi-Scouts“, Einrichtungen für Bedürftige sowie ein Bildungsbüro, Wunder 2006: 16), entfal-tet sich ein Zerstörungspotential, das postheroi-sche Gesellschaften, in denen jeder gut ausgebilde-te und ausgestattete Soldat teuer ist, nicht auf die-selbe Weise kompensieren können. In diesem

15 Nach Schätzungen von 2008 liegt der Bevölkerungsanteil der 0-14jährigen in Israel bei 28%, mit leichtem Männerüber-schuss, bei den 15-64jährigen 62.2%, jeweils mit einem leich-ten Männerüberschuss. 65 Jahre und älter sind 9.8%. Die durchschnittliche Anzahl von Kindern pro Frau liegt bei 2,77. Im Libanon sind 26 % 0-14 Jahre alt, zwischen 15 und 64 Jahren sind 66.8%. Während in der jungen Alterskohorte ein leichter Männerüberschuss gezählt wurde, sind in der mittle-ren Gruppe mehr Frauen als Männer gezählt. Ebenfalls ein geringer Bevölkerungsanteil ist älter als 65 Jahre. Eine Frau hat hier durchschnittlich weniger (1,87) Kinder als in Israel (Angaben aus Worldfactbook 2008).

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Zusammenhang ist auch die innenpolitische De-batte um die verlustreiche Bodenoffensive Israels zu verstehen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich dort eine Schwäche Israels, wo es nach staatlicher Logik agiert: Der Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000 hatte nicht etwa eine nach rationalen Erwartungen und dem Prinzip „Land für Frieden“ mäßigende Wirkung gehabt, sondern im Gegen-teil: die Hizbollah sah sich aufgrund der „Schwä-che“ Israels in ihrem Krieg motiviert. Sie folgen deutlich einer „heroischen“ Logik, die in staatli-chen Zusammenhängen nicht plausibel erscheint. Auch dass ihre weiteren Gebietsansprüche gegen-über Israel „jeder völkerrechtlichen Grundlage entbehren“ (Wolffsohn 2006: 192), hindert die Hizbollah nicht daran, sie zu stellen. 3.6 Die Bombardierung von Kanaa

Der Zweite Libanonkrieg illustriert den Einfluss der Medien, der in vielen gegenwärtigen Kriegen eine zentrale Rolle spielt. Der israelische Luftangriff am 30. Juli auf den Ort Kanaa, bei dem 28 Menschen ums Leben kamen, löste weltweit die Diskussion um die Verhältnismäßigkeit der israelischen An-griffe aus. Israel griff die Stadt an, da aus deren Umgebung im Vorfeld ca. 150 Raketen abgefeuert worden waren. Die Hizbollah hatte in Kanaa of-fensichtlich Stellungen aufgebaut und Israel damit zu Angriffen auf „Zivilisten“ provoziert. Dass diese Angriffe das israelische Vorgehen insgesamt international diskreditieren konnten, ist vor allem auf die Berichterstattung der Medien zurückzufüh-ren. Die Bilder von zerbombten Wohnhäusern verfehlten ihre Wirkung nicht. Infolge internatio-nalen Drucks stoppte Israel die Luftangriffe für einige Tage und verlor nach der medial „bewiese-nen“ Unverhältnismäßigkeit seines Vorgehens die internationale Unterstützung. Wunder stellt die Aufnahme und Verbreitung der Bilder als „größ-ten Erfolg der Informationsarbeit der Hizbollah“ dar (Wunder 2006: 42). Die Hizbollah habe „den Vorfall als Massaker dargestellt, überhöhte Opfer-zahlen angegeben und getötete Kinder Fotografen präsentiert“ (42). Die Grenze zwischen Beeinflus-sung und Information in der Kriegsberichterstat-tung kann generell nicht klar gezogen werden. Dennoch lässt sich hier eine für aktuelle Kriege typische Instrumentalisierung der Medien zeigen: die Verbreitung von Bildern wird selbst Mittel im Krieg.

4 Ist der Zweite Libanonkrieg ein Krieg der Zukunft?

Die Analyse des Libanonkrieges 2006 hat gezeigt, dass es sich um einen Krieg handelt, der in Hin-sicht auf die Akteure, die angewandten Strategien, die Rechtslage und die Motivation dem Typus des neuen Krieges entspricht. Dennoch lässt sich der hier analysierte Krieg nicht in eine der drei Varianten neuer Kriege einordnen, die Münkler (Münkler 2008: 12) beobachtet. Es handelt sich nicht um einen Ressourcenkrieg, in dem lokale Gruppen um ökonomische Macht kämpfen. Zwar ist anzunehmen, dass die Hizbol-lah als irregulärer Akteur in Netzwerken aktiv ist, die mit dem Begriff „Schattenglobalisierung“ um-schrieben werden. Auch kann im Südlibanon in keiner Weise von einer intakten wirtschaftlichen Infrastruktur gesprochen werden. Aber als struk-turell verankerte, politisch und militärisch mächti-ge Organisation im Libanon geht ihre Aktivität jedoch weit über das Handlungsspektrum hinaus, das z.B. von Warlords geführte Stämme oder an-dere Gruppen in einem „peripheren Krieg“ oder Bürgerkrieg entwickeln könnten. So war auch die Ressource, um die dieser Krieg geführt wurde, politischen Charakters, ging es doch vor allem um (internationale) Glaubwürdigkeit. Dennoch hat sich im gesamten israelisch-palästinensischen Krieg, wie auch in Ressourcenkriegen üblich, ein Pro-zess der Selbstalimentierung eingestellt. Zwar verfügt die Hizbollah über Kompetenzen einer (klassischen) Terrororganisation, nutzt diese aber im Zuge ihrer regionalpolitischen Etablierung und sozialstrukturellen Verankerung nicht mehr. Hier ist ihre Rhetorik vom Handeln deutlich zu tren-nen. Ihr Profil stimmt nicht mit dem der Akteure des transnationalen Terrorismus überein, denen die USA nach dem 11. September 2001 einen „Krieg“ ankündigten. Der Zweite Libanonkrieg ist also auch dieser Variante neuer Kriege nicht zuzuordnen. Ebenfalls und am deutlichsten ist auszuschließen, dass es sich um einen Pazifizierungskrieg in der Re-gion handelt, da dieser Krieg weder in der Absicht geführt wurde, ein Gebiet oder eine Region zu befrieden, noch eine Intervention Dritter (OECD Staaten) mit ähnlichen Motiven stattfand. Die Auseinandersetzung trägt deutlich regionale Züge und betraf zwar Sympathien, aber nicht „vitale“ (etwa Rohstoff-) Interessen dieser Staaten. Inso-fern ist zwischen den UNIFIL-Truppen, der liba-nesischen Armee und der Hizbollah kein Krieg, sondern eher ein Arrangement zu erwarten. Da es wenig wahrscheinlich ist, dass die UNIFIL-Truppen die Hizbollah werden entwaffnen kön-nen, schwelt dieser low intensity war weiter fort. Diese drei Varianten beschreiben auch die häufig-sten Ursachen gegenwärtiger Kriege und implizie-

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ren, dass zu ihrer Beendigung ebenso unterschied-liche politische Strategien gefunden werden müss-ten. Der Zweite Libanonkrieg weist zwar die Charak-teristika einer asymmetrischen Konfrontation auf, ist aber ursächlich im historisch sehr spezifischen israelisch-palästinensischen Konflikt verwurzelt. Dessen existenziell-symbolische Dimension, die in der globalen politischen Ordnung verankert ist, macht jeden Lösungsansatz so überaus schwer realisierbar. Da der Zweite Libanonkrieg sich als keine gängige Variante neuer Kriege beschreiben lässt, kann es hilfreich sein, weitere in der Debatte um den Wandel des Krieges ins Feld geführte Aspekte aufzugreifen, anhand derer sich seine Spezifika erklären lassen. Richtet sich die Feststellung, dass „Krieg“ stattfin-det, also nach der empirischen und nicht etwa nach der rechtlichen Situation, müssten die ver-schiedenen Gewaltintensitäten im Konzept „Krieg“ einen Ausdruck finden. Die journalisti-sche Berichterstattung misst die Unterscheidung von „Krieg“ und „Konflikt“ häufig an der Intensi-tät der Gewalt. So hätte es in der Beschreibung des historischen Verlaufs der Auseinandersetzun-gen zwischen Israel und der Hizbollah erhellend sein können, wie unter anderen Sven Chojnacki vorschlägt, „Krieg im Kontext konflikttheoreti-scher Überlegungen und in Abgrenzung zu schwä-cheren Formen der organisierten Gewalt und an-deren Gewaltphänomenen zu konzeptualisieren“ (Chonjacki 2008: 54). Die Beschreibung und Begriffsbildung entlang der Intensität von Gewalt ersetzt jedoch nicht den Blick auf die Konstellation von Akteuren und ihre Effekte auf die politische Ordnung bzw. die staat-lichen Strukturen. Kaldor sieht die Entstehung neuer Kriege in engem Zusammenhang mit Staaten-zerfallsprozessen im Zuge globaler Integration. In der Konsequenz seien die Akteure in den gegen-wärtigen Kriegen an regionale Identitäten gebun-den, die sich mit der Globalisierung ebenfalls stär-ker ausbildeten. Unser Fall bestätigt diese Beob-achtungen: Der Zweite Libanonkrieg vollzog sich unter den Vorzeichen eines regionalen Konflikts und der Identitätspolitik der Hizbollah. Shmuel Eisenstadt schlägt in seiner weiterführenden Deutung ge-wandelter Kriegsformen vor, in neue Kriege invol-vierte lokale Kollektive als Anti-Modernisierungs-Bewegungen zu sehen. Die Hizbollah bedient sich dabei identifizierender Symbole und Semantiken, meist religiöser oder ideologischer Natur. Die anti-westliche Profilbildung in „sectors dispossessed by processes of globalization“ (Eisenstadt 2008: 58) mag ein weiteres – strategisch reflektiertes – Mobi-lisierungsinstrument für die Hizbollah sein. In diesem Sinne wäre Bakonyi zuzustimmen, dass in

den gegenwärtigen Kriegen eine „spezifische Ver-klammerung internationaler und lokaler interner wie externer politischer wie ökonomischer und kultureller Sphären“ stattfindet (Bakonyi 2008: 45). Der Zweite Libanonkrieg ist kein Fall von erodieren-den, sondern von dauerhaft schwachen staatlichen Strukturen. Postkoloniale Staaten sind stärker vom westlichen Markt, Modernisierungsschüben und militärischer Kontrolle abhängig (Bakonyi 2008: 45). Wie stark strukturverändernd sich in diesem Fall Globalisierungsprozesse auswirken, bleibt fraglich. Zwar ist der Zweite Libanonkrieg im Gan-zen wohl kaum als ein Produkt der Globalisierung zu sehen, genauso wenig, wie einige Kritiker für viele der „neuen“ Kriege einfordern, als direktes Ergebnis der Dekolonisierung. Dennoch sind einzelne Elemente (sei es die Selbstverteidigung Israels gegen „Terrororganisationen“ oder die komplexe Vermengung der Interessen dritter Ak-teure) Folge einer globalen Vernetzung und damit auch vernetzter Bedrohung. In diesem Sinne bleibt zumindest festzustellen, dass unter anderen Krie-gen auch der Zweite Libanonkrieg Folge einer Plura-lisierung der Machtverteilung in einer Welt ist, in der europäische Ordnung und Rationalitätsstan-dards nicht mehr dominieren. Damit ist auf ein weiteres ungelöstes Problem in der Debatte um neue Kriege hingewiesen: die Rolle des Völkerrechts. Wie die Untersuchung zeigte, sind den internationalen Instanzen, die normative und rechtsverbindliche Urteile aussprechen, ange-sichts der faktischen Machtkonstellationen die Hände gebunden. Bisher verteidigen Völkerrecht-ler und Institutionen des Völkerrechts jedoch seinen normativen Anspruch auf ‚Wahrung des Weltfriedens’ und halten es weiterhin für ein ge-eignetes politische Instrument, „allen Beteiligten eine subsidiäre Bemühensverantwortung […] für die Gewährleistung zumindest des Menschen-rechts auf physische Sicherheit zuzuschreiben.“ (Nolte 2009: 2016). So verteidigt Nolte in einer Auseinandersetzung mit den neuen Kriegen die Be-rechtigung des Instruments Völkerrecht unter anderem mit dem Argument, dass es als „eine als einigermaßen neutral angesehene dritte Instanz“ fungieren könne (19). Diese Funktion des ‚unin-teressierten Dritten’ setzt allerdings voraus, dass sie von den Konfliktakteuren akzeptiert wird. Im Fall des Libanonkrieges konnte das Völkerrecht zwar seine Sprache zur Benennung des verübten Unrechts – so ein weiteres Argument Noltes – in Form der Erinnerung an den Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit zur Verfügung stellen. Doch erst der Druck der medialen Weltöffentlichkeit brachte

16 Da es sich um einen Text im Erscheinen handelt, beziehen sich die Seitenzahlen auf das Manuskript.

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Israel dazu, einzulenken. Die anhaltende Debatte zeigt, dass es fraglich ist, ob hier überhaupt eine „Lösung“ oder gar eine praktikable politische Praxis gefunden werden kann. Insofern löst der Blick auf Kriege als neue Kriege zwar nicht das Pro-blem ihrer Existenz, unterzieht aber die friedens-politischen Kompetenzen, die sich der Westen bislang zuschrieb, einer kritischen Reflexion. Die Untersuchung des Libanonkrieges wirft je-doch auch im Blick auf die postulierten Asymme-trien einige Fragen auf. Wie der oben diskutierte Begriff der „Entstaatlichung“ legt auch die Be-schreibung einer Konstellation als „asymmetrisch“ den Bezug auf das begriffliche Gegenstück nahe: Spricht man von Entstaatlichung in der Regel aus der Perspektive der Staatlichkeit, impliziert die Bezeichnung eines Krieges als „asymmetrisch“ eine Perspektive aus Sicht symmetrischer Kriege, bzw. der europäischen Kriegstheorie. Gestalten sich Konflikte vor dem Hintergrund der europäi-schen Kriegsgeschichte, die von starken staatli-chen Strukturen sowie vom Prinzip nationalstaatli-cher Territorialität ausgeht, zum Beispiel in der „Postkolonie“, nicht notwendig als „asymme-trisch“, da anders strukturiert und seit jeher nicht „symmetrisch“? Hier liegen die Grenzen des Asymmetriebegriffs, der zur analytischen Be-schreibung von Kriegen dient, nicht aber zur Er-forschung ihrer Ursachen. Denn sonst müsste man dem „binär codierten“ Konstrukt von Sym-metrie und Asymmetrie einen (ungewollten) Euro-zentrismus vorwerfen: Die „binäre Codierung“ wäre mit Hartmut Behr, da sie nur für die europäi-sche Moderne angenommen werden könne, ihrer-seits „Resultat territorialitätsfixierten Exklusions- und Inklusionsdenkens sowie dazugehöriger Machtstrategien“ (Behr 2008: 52). Um über Kriegsursachen, „Neuheit“, Gewaltin-tensität und Entwicklung von Kriegen sowie über Möglichkeiten der Befriedung zu urteilen, müsste jede Untersuchung, wie dieses Fallbeispiel auch, historische Vergleiche heranziehen. Dennoch konnte mithilfe des gewählten Analyserahmens deutlich werden, welche Herausforderungen sich in vielen Dimensionen asymmetrisch strukturierter Kriege für reguläre Akteure stellen. In Verbindung damit sind ebenfalls die Grenzen rechtlicher Kate-gorien und Instrumente im Kriegsgeschehen sichtbar geworden – was nicht zuletzt auf die un-gelöste Problematik des Begriffs „Krieg“ selbst und seiner „Inklusionsfähigkeit“ verweist.

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