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Page 1: Inhaltsverzeichnis - Buch.de - Bücher versandkostenfrei · Interpretationsmodell, das Märchen als Entwicklungswege zum Selbst hin deutet, ... Dadurch ist in mir ein tiefes Vertrauen

InhaltsverzeichnisVorwort von Ingrid Riedel...........................................................................................7

Vorwort von Jakob Schneider......................................................................................8

Einleitung und Dank......................................................................................................9

1. Die Initiatische Märchenarbeit (IMA) – ein Weg der Selbstwerdung.............13

1.1 Drei Phasen im Prozess der Bewusstwerdung .......................................................16

1.2 Arbeitsmodell zum besseren Verständnis der Seele...............................................19

1.3 Fünf Phasen auf dem Initiatischen Weg der Selbstwerdung................................22

2. Fünf Phasen auf dem Initiatischen Weg der Selbstwerdung von Märchenhelden........................................................................................................25

2.1 Fünf Phasen auf dem Initiatischen Weg der Selbstwerdung einer Märchen- heldin, dargestellt am Märchen der Brüder Grimm „Die Gänsemagd“.............29

2.2 Fünf Phasen auf dem Initiatischen Weg der Selbstwerdung eines Märchen- helden, dargestellt am rumänischen Märchen „Der Drache mit den sieben Köpfen“........................................................................................................................41

3. Die Initiatische Märchenarbeit (IMA) mit Gruppen ........................................57

3.1 Erarbeitung eines Märchens als Vorbereitung für den Gruppenleiter................57

3.2 Planung der unterschiedlichen Arbeitsweisen der IMA entsprechend der Abschnitte des Märchens...........................................................................................613.2.1 Märchenabend...................................................................................................623.2.2 Märchentag .......................................................................................................633.2.3 Märchenwochenende.......................................................................................64

3.3 Planung und Durchführung eines Wochenendseminars zum Märchen „Die Gänsemagd“ mit der IMA...............................................................................66

4. Tiefenpsychologische und systemische Arbeitsweisen der IMA.....................79

4.1 Die IMA mit Kreistänzen und kreativen Tänzen...................................................80

4.2 Die IMA mit Gebärden .............................................................................................81

4.3 Die IMA mit Bildern ..................................................................................................834.3.1 Imagination........................................................................................................854.3.2 Bildgestaltung mit Farben...............................................................................904.3.3 Arbeit mit dem Geführten Zeichnen............................................................944.3.4 Acht Grundmodelle der Bildaufteilung .......................................................974.3.5 Bedeutung der Farben...................................................................................108

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4.4 Das „Stellen von Systemen“ mit menschlichen Repräsentanten und Bildern als Bodenanker ...........................................................................................114

4.5 Das Gestalten mit Märchenwolle und anderen Materialien................................119

4.6 Die Arbeit mit Masken.............................................................................................120

5. Drei Märchenseminare mit IMA – Dokumentation verschiedener Arbeitsweisen und integrierte Deutung.............................................................122

5.1 Die IMA zum Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“................................122

5.2 Die IMA zum Märchen „Hans Dumm“ ...............................................................135

5.3 Die IMA zum Märchen „Allerlei-Rauh“................................................................149

Anhang ........................................................................................................................166

1. Märchensymbole und mögliche Bedeutungen..................................................166

1.1 Menschen in den Einleitungen der Märchen........................................................166

1.2 Menschen im Hauptteil und Schluss der Märchen...............................................167

1.3 Archetypische Gestalten – als Helfer oder feindliche Herausforderer.............167

1.4 Orte .............................................................................................................................168

1.5 Tiere.............................................................................................................................169

1.6 Dinge...........................................................................................................................171

2. Themen, die in Märchen behandelt werden......................................................171

3. Arbeitsblatt – Arbeitsmodell zum besseren Verständnis der mensch- lichen Seele.............................................................................................................173

Nachwort.....................................................................................................................174

Literaturangaben.........................................................................................................175

Über die Autorin.........................................................................................................179

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Vorwort

von Ingrid Riedel

Ein inspirierendes Buch für alle, die sich durch Märchen in ihrem persönlichenEntwicklungsprozess anregen lassen, vor allem aber für jene, die Märchen weitervermitteln wollen als Wegweiser zur Selbstfindung, im Sinne einer Individuation.

Geprägt durch die Initiatische Therapie von Karlfried Graf Dürckheim, berei-chert durch Impulse aus der tiefenpsychologischen Märchenforschung im Um-kreis von C. G. Jung, entwickelt Hildegard Wiedemann ein eigenes fünfphasigesInterpretationsmodell, das Märchen als Entwicklungswege zum Selbst hin deutet,wobei sie die Märchenverläufe im Rahmen eines selbst entworfenen Persönlich-keitsmodells darstellt.

Besonders inspirierend ist das Buch als Arbeitsbuch, indem es für die Erschlie-ßung der Märchen vielfältige Methoden neu vorschlägt und erprobt, wie Imagina-tion, Malen, Geführtes Zeichnen, aber auch Gebärdensprache, den Tanz, freioder als Kreistanz – schließlich auch die reichen Möglichkeiten einer systemi-schen Aufstellung der Märchenfiguren einbezieht und deren Übertragung insHier und Jetzt der Darstellenden.

In ausführlichen, gut strukturierten Beschreibungen von Arbeitseinheiten, dievon den zeitlichen Möglichkeiten, Märchen in Gruppen zu erarbeiten – vom Mär-chenabend bis zum Märchenwochenende – bis zu den methodischen reichen,stellt Hildegard Wiedemann ihre vielseitigen Formen der Märchenvermittlungdar, die sie IMA nennt, abgeleitet von „Initiatischer Märchenarbeit“.

Zugleich werden die existentiellen Erfahrungen der TeilnehmerInnen an ihrenSeminaren und Weiterbildungskursen so anschaulich und lebendig beschrieben,dass man unmittelbar den Impuls verspürt, daran einmal teilzunehmen oder ähn-liche Erfahrungen bei der Vermittlung von Märchen zu erwarten.

Gewiss wird man sich dabei auch motiviert fühlen, die eine oder andere derMethoden, die Hildegard Wiedemann, in ihnen geschult, zur Märchenvermittlungvorschlägt, auch als solche noch gründlicher kennenzulernen, sich selbst in ihnennoch fachlich weiterzubilden.

Hildegard Wiedemann hat ein Buch vorgelegt, das ihre reiche Erfahrung bei derHebung des Märchenschatzes erweist und das seine Leser und Leserinnen dazubegeistern kann, sich an der seelischen Erschließung dieses Schatzes zu beteiligen.Mittel und Wege hierzu werden ihnen in diesem Buch reich und anschaulich auf-gezeigt.

Konstanz, den 17. Juli 2015

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Vorwort

von Jakob Schneider

Märchen sind Geschichten, die in dichter Symbolik existentiell bedeutsame The-men aufgreifen, die in Familiengeschichten vorkommen. In den meisten Märchengeht es um die Beziehungen von Mann und Frau, Eltern und Kindern, um Besitzund die Lebensgrundlagen und manchmal auch um die Schicksale, welche Einzel-ne und Familien im Kontext der größeren Geschichte, zum Beispiel den Krieg,betreffen. Was die Mythen für die Geschichte der Großgruppen und für archai-sche Menschheitsfragen bedeuten, erzählen die Märchen im Blick auf den Platzund die Entwicklung des Einzelnen in seiner Familiengruppe.

Märchen sind vor allem für Kinder sehr bedeutsam, weil sie ihnen Geschichtenund Bilder mitgeben, die zwar oft verschlüsselt aber doch erlebnisnah dem Kindeine Orientierung mitgeben in den oft schlimmen oder doch schmerzhaften Er-eignissen, die sie selbst als Kind oder ihre Familien treffen. Gleichzeitig regen siedie Kinder zu ihrem persönlichen Wachsen und dem Finden ihrer persönlichenBestimmung im Leben an. Für Erwachsene bilden sie eine Möglichkeit, zurück zugehen in die Kindheit und die persönlichen und familiären Geschehnisse von da-mals in ihren Auswirkungen auf das Leben als Erwachsenen nachzuvollziehen.

Hildegard Wiedemann legt hier ein Buch vor, das durchdrungen ist von ihrempersönlichen Lebensimpuls, anderen Menschen bei ihrer Selbstwerdung zu hel-fen. Sie benützt dafür ein reiches methodisches Instrumentarium, das ihr erlaubt,in Gruppen eine tiefenpsychologische Deutung der Märchen mit einem systemi-schen Verständnis und Vorgehen zu verbinden. Die Methode des Aufstellens vonBeziehungskonstellationen wird auf die wichtigen Figuren eines Märchens über-tragen und verhilft so den Teilnehmern über die Bewegungen der Stellvertreter zueiner Projektionsfläche für die Prägungen, die sie vor allem durch die Ereignissein der Familie ihrer Kindheit aber auch durch spätere Schicksalsschläge erhaltenhaben.

Hildegard Wiedemann bleibt aber nicht bei der Analyse stehen, sondern nütztdas methodische Instrumentarium dazu, dass die Teilnehmer ihr Leben verste-hen, annehmen, befrieden und mutig weitergehen können. Alle Therapeuten undBerater, die anderen Menschen in Krisensituationen über eine Gruppenarbeit hel-fen möchten, die Person zu werden, die man ist, mögen in diesem Buch vielfälti-ge Anregungen oder auch die Methode ihrer Wahl finden.

München, den 19. Februar 2015

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Jemand sagt zu mir:„Oh, Sie schreiben ein Buch!

Geht es über Gott und die Welt?“ „Ja, es geht um Gott in der Welt!“

Einleitung und Dank

Als Kind erfüllte mich eine tiefe Frömmigkeit. Ich erinnere mich an Momente inder Kirche neben meiner Mutter, in denen wir beide sangen. Da war es, als würdesich die Kirche weiten. Es gab für mich nur Musik, einen großen Gesang. In derJugend weigerte sich mein Verstand vieles zu glauben, was die Kirche lehrte. Ichsuchte in der Kirche Antworten auf existentielle Fragen, konnte sie nicht finden,distanzierte mich von der Kirche und begann während des Studiums zu meditie-ren. Mit meinen Fragen ging ich zu Graf Dürckheim und lernte in seiner Bil-dungsstätte die Initiatische Therapie kennen, auf die ich in Kapitel 1 näher einge-hen werde. Die Arbeit mit verschiedenen Medien in der Initiatischen Therapielöste einen Prozess bei mir aus, der mich in mein Innerstes führte. Ich erlebteMomente von Raum- und Zeitlosigkeit, erfüllt von tiefem Frieden und Ruhe. DerSatz „Ich bin“ pulsierte in mir. Ich fühlte mich durchströmt von etwas Größe-rem. Mir wurde bewusst, dass ich als Kind ähnliche Erlebnisse hatte, in denensich Zeit und Raum auflösten und ich eine Präsenz erlebte, wie manchmal beimSingen in der Kirche. Die Praxis des Herzensgebets1, das mich Graf Dürckheimlehrte, bildete eine lebendige Brücke zu meiner christlichen Erziehung.

Die bewusste Erfahrung von etwas zeitlos Seiendem verwandelte mich. Siewurde die Basis meines Lebens. Auch in Momenten, in denen ich nicht geöffnetbin für die Wahrnehmung dieser Präsenz, weiß ich darum und kann mich auf siebeziehen. Dadurch ist in mir ein tiefes Vertrauen entstanden, das mir in meinemPrivatleben und in der Begleitung von Menschen hilft.

Nach meinem Studium und der Referendarzeit war ich von 1975 bis 1995Schülerin und Mitarbeiterin von Graf Dürckheim und seiner Frau Maria Hippius-Gräfin Dürckheim. Ich arbeitete mit Fingerfarben, dem Geführten Zeichnen undentwickelte IMMA – die Initiatische Märchen- und Mythenarbeit®. Der Auslöserfür diese Arbeit war eine Märchendeutung, die ich 1977 auf einer Tagung hörteund die mich sehr bewegte. Ich begann Märchen zu erarbeiten, indem ich Bilderzu Passagen in den Märchen malte, die mich berührten. Sie zeigten mir biografi-

1 Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, Freiburg 1975.

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sche und ganz aktuelle, seelische Themen. Ich entdeckte in den Märchen hilfrei-che Kräfte und Gestalten, die mich auch im Alltag unterstützten. ArchetypischeBilder und Symbole beschäftigten mich. Mit Hilfe der Werke von C. G. Jung undin der Lehranalyse bei Ingrid Riedel lernte ich, sie zu verstehen.

Die bildreiche Märchensprache weckt in vielen Menschen innere Bilder, die ei-gene unbewusste Schichten ansprechen. Märchen berichten von ungewöhnlichenGestalten wie Zwergen, Drachen und Hexen. Verschlüsselt in Bildern erzählensie von etwas Übernatürlichem, das den Menschen begegnet und sie in ihrer Ent-wicklung herausfordert. Sie sind erfüllt von einer tiefen Weisheit, die für die SeeleNahrung und Orientierung ist.

Die Arbeit mit Märchen kann zum bewussten Erleben des ganz individuellenSeins führen, verbunden mit dem Übernatürlichen oder erfüllt davon. Sie stärktdas Vertrauen in die hilfreichen Kräfte in jedem Menschen und im Leben. DieseErfahrungen wollte ich anderen Menschen ermöglichen. So begann ich 1978 inGruppen mit der Initiatischen Märchenarbeit, abgekürzt IMA. Seit 2003 biete ichauch dreijährige, prozessorientierte Ausbildungen in der Initiatischen Märchen-und Mythenarbeit und Märchentherapie an.

Die meisten Märchen stellen den Entwicklungsprozess einer Hauptfigur dar, ei-nes Helden oder einer Heldin. Durch die Identifizierung mit dieser Gestalt beimHören eines Märchens wird unbewusst die eigene Entwicklung angeregt, der zuwerden, der man zutiefst ist.

Märchen zeigen zu Beginn ein Problem auf, für das im Laufe des Märchenseine Lösung gefunden wird. Am Ende steht das Lösungsbild, meist verbundenmit der Hochzeit, dem Sinnbild für die Liebe, die fließt. In der systemischen Ar-beit findet der gleiche Prozess statt. Am Anfang steht ein Problembild und amSchluss das Lösungsbild eines Systems, in dem die Liebe die Menschen verbindet.In der Zeit von 1987 - 1990 lernte ich die systemische Arbeit in Lindau auf denJahrestagungen der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie kennen.Bert Hellinger leitete die Workshops am Nachmittag. Ich war tief beeindrucktvon der heilvollen und lösenden Wirkung des klassischen Familienstellens, wasmich anregte, dieses Verfahren bei ihm zu lernen. Das Stellen von Systemen habeich mit der Zeit in meine Seminare mit der IMA integriert. Die Arbeitsweise vonBert Hellinger erlebte ich oftmals zu apodiktisch, weshalb ich seit 1995 meineKenntnisse zur systemischen Arbeit in Seminaren bei Jakob Schneider vertiefe.

Im ersten Kapitel dieses Buches stelle ich allgemein den Weg der Selbstwerdungvor, der die Grundlage für die IMA ist. Es ist ein Prozess, in dem sich Leiter undTeilnehmer auf den Kern jedes Einzelnen und das Geheimnis des Lebens aus-richten. Den Klienten können während der Arbeit eigene Potentiale bewusst wer-

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den, sowie auch das, was ihre Verwirklichung verhindert. Das Vertrauen in dieErfüllung des eigenen Lebensauftrags wächst durch die Identifizierung mit denHelden im Märchen, die mutig ihren Weg gehen. Im zweiten Kapitel verdeutlicheich einzelne Phasen dieses Entwicklungsweges anhand von zwei Märchen. Imdritten Kapitel geht es um die Erarbeitung eines Märchens für die Gruppenarbeitmit praktischen Anleitungen und deren Anwendungen. Im vierten Kapitel zeige ichverschiedene Arbeitsweisen auf, die die IMA in Gruppen unterstützen. Eine derArbeitsweisen ist das Stellen der Familiensysteme im Märchen mit Repräsentan-ten und Bodenankern. Zur Veranschaulichung folgen den Darstellungen einigerArbeitsweisen Fallbeispiele. Das fünfte und letzte Kapitel enthält drei Dokumentatio-nen von Seminaren, in denen die Anwendung und Wirkung tiefenpsychologischerund systemischer Verfahren deutlich wird. Die meisten Kapitel sind in sich abge-schlossen und können auch einzeln gelesen werden. Im Anhang finden sich An-regungen zum Verständnis von Märchensymbolen, eine thematisch ausgerichteteAuflistung von Märchen und ein Arbeitsblatt „Arbeitsmodell zum besseren Ver-ständnis der Seele“.

In meinem Text wähle ich der Einfachheit halber meist die männliche Formwie „der Held“, „der Klient“. Gemeint ist immer „der Mensch“ als Mann undFrau.

Seit vielen Jahren schon ermuntern mich die Seminarteilnehmer, etwas über dieInitiatische Arbeit mit Märchen und Mythen zu schreiben. Nun, wo unsere Kin-der aus dem Haus gegangen sind und es bei uns stiller geworden ist, finde ich inmir die Stille und den Raum zum Schreiben. Ich schreibe für Menschen, die aufdem Weg zu sich selbst sind, für Schüler und Kollegen und alle, die Märchen mitihren tiefen Weisheiten lieben. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie durch diesesBuch Anregungen für Ihren Lebensweg oder Ihre Arbeit bekommen.

Aus ganzem Herzen danke ich meinen inzwischen verstorbenen Lehrern Prof.Karlfried Graf Dürckheim und seiner Frau Maria Hippius-Gräfin Dürckheim. Ichhab’ mich von ihnen in meinem Wesen gesehen gefühlt. Durch ihre Begleitungund die ihrer damaligen Mitarbeiter Prof. Heinz Deuser, Friedrich Fröhlich, Vol-ker Deutsch, Anneli Petrak und Erika Prümm begann mein bewusster Prozessder Selbstwerdung. Ich bin ihnen allen zutiefst verbunden. Meine Lehranalysemachte ich bei Frau Prof. Dr. Dr. Ingrid Riedel, wodurch sich mir das Gedanken-gut von C. G. Jung erschloß. Für Deine kostbare Wissensvermittlung und dasVorwort zu diesem Buch danke ich Dir ganz herzlich, liebe Ingrid. Mein beson-derer Dank gilt Bert Hellinger, durch dessen Arbeit mit dem Familienstellen sichmein Blick und Herz für die systemischen Zusammenhänge im Leben und imMärchen öffneten. Ebenso danke ich Jakob und Sieglinde Schneider und Barbara

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Innecken für das, was ich in ihren Seminaren lernen durfte. Die systemische Ar-beit, die ich bei ihnen erlebte, hat mich tief berührt. Lieber Jakob, ich freue michsehr über dein Vorwort zu meinem Buch. Des Weiteren danke ich Gabriele Wo-sien, die 1978 in mir die Begeisterung für die Kreistänze weckte. Bei ihr machteich eine Ausbildung in „Sakralem Tanz“.

Vor allem aber danke ich allen Teilnehmern meiner Märchengruppen. Ihre Er-fahrungen haben mich sehr berührt und ich habe unendlich viel von ihnen ge-lernt. Ihre Prozesse bewegen mich immer wieder und helfen mir, die InitiatischeArbeit mit Märchen zu vertiefen. Einige Seminarteilnehmer haben mir erlaubt,ihre Bilder und Erlebnisse in diesem Buch zu veröffentlichen, weshalb ich ihnenmit besonderem Dank verbunden bin.

Meine erwachsenen Kinder haben mich ermutigt, meine Arbeit zu dokumentie-ren, was mich ebenfalls zum Schreiben motivierte. Habt vielen, lieben Dank! Vonganzem Herzen danke ich meinem Mann Stephan, der mich unterstützt hat, diesBuch zu schreiben. Er hat viele meiner Texte gelesen, so dass wir darüber spre-chen konnten, was sehr anregend war. Ebenso danke ich allen, die dieses BuchKorrektur gelesen haben.

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Wenn das Innen verkümmert und das Außen

glänzende Formen annimmt, was nützen da Gesetze?

Tschuang-tse2

1. Die Initiatische Märchenarbeit (IMA) – ein Weg der Selbst-werdung

In dem Wort „initiatisch“ ist das lateinische Verb „inire“ enthalten, was bedeutet„hineingehen“, „eintreten“. Eine initiatische Erfahrung kann erlebt werden wiedas Durchschreiten eines Tores, wie ein „bei sich Eintreten“, zu sich selbst Kom-men. Sie kann auch als Betreten eines unbekannten, geheimen Raums oder einerneuen Lebensphase wahrgenommen werden.

Prof. Dr. Karlfried Graf Dürckheim begründete mit Dr. Maria Hippius-GräfinDürckheim 1951 die Initiatische Therapie. Viele Menschen damals und auch heu-te sind in Not, da sie vor allem an der äußeren Realität orientiert sind und dabeiihrer inneren Wirklichkeit keine Berücksichtigung schenken. In der Kindheitpassten sie sich den Wünschen der Eltern und Umwelt an, um gesehen und ge-liebt zu werden. Als Erwachsene erfüllen sie pflichtbewusst die Aufgaben, die inder realen, äußeren Welt auf sie warten. Manch einer fühlt sich „im Hamsterradseines Alltags“ gefangen und hat das Gefühl, sein Leben zu verpassen. Er fragtsich: „Soll das alles gewesen sein?“ Über die Anpassung an die äußere Wirklich-keit haben viele Menschen verlernt nach innen zu horchen, ihre eigenen Bedürf-nisse3 und ihr Potential wahrzunehmen und dementsprechend ihr Leben zu ge-stalten.

Die Initiatische Therapie ist auf die Ganzheit des Menschen ausgerichtet. Wasan ganzheitlicher Wahrnehmung durch Erziehung und Sozialisation verlorenging, kann zurück gewonnen werden. Verschiedene Arbeitsweisen ermöglichen esden Klienten, mit Hilfe der Initiatischen Therapie sich von innen her auf der kör-perlichen, seelischen und geistigen Ebene zu erfahren. Es kann zu der tiefen Er-fahrung „Ich bin“ kommen und dem Wunsch, das Leben in der Welt entspre-chend der eigenen Potentiale zu gestalten, verbunden mit dem Urgrund.

2 Greenstuff / Grün, Weisheiten aus China, München 2001.3 Maslow, Online im Internet: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bedürfnishierarchie,

Stand: 16. 6. 2015.

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Graf Dürckheim entwickelte die „Personale Leibarbeit“. Dabei wendet mansich seinem „Körper zu, den man hat“ und lernt ihn wahrzunehmen als den„Leib, der er ist“.4 Der „Leib“ meint die physische Gestalt des Menschen, diedurchdrungen ist von seinen Gefühlen und seinem Sein.

Auch dem seelischen Raum mit der Vielfalt der Gefühle wird in der Initiati-schen Therapie große Aufmerksamkeit gewidmet. Der Klient übt sich in derWahrnehmung, dem Ausdruck und der Annahme seiner Gefühle, seiner innerenBewegungen und Impulse. Das geschieht während unterschiedlicher Arbeitswei-sen: im „Geführten Zeichnen“, dem Malen mit Farben, der Arbeit mit Tonerdeund Musikinstrumenten. Während der achtsamen Ausrichtung auf die eigenenGefühle und deren Ausdruck wendet sich der Klient sich selbst zu. Maria Hippiussagte, das Geführte Zeichnen ermögliche es, „durch die Gefühle zum Kern“ zugelangen. Es kann sein, dass sich während der Arbeit mit den Gefühlen plötzlichim Innern des Zeichnenden eine Öffnung ereignet, die die Erfahrung des in ihmwirkenden Seins ermöglicht, das Graf Dürckheim das Wesen5 oder den Wesens-kern nennt. Es entsteht die Wahrnehmung „im Einklang“ mit sich zu sein, beisich selbst angekommen zu sein.

Viele Menschen haben den Bezug zu ihren tiefen Gefühlen und ihrem Sein ver-loren. Sie erleben eine innere Leere und versuchen, diese mit Hilfe äußerer Akti-vitäten zu überdecken. Durch die Erfahrungen während der Initiatischen Thera-pie können sie mit dem in ihnen anwesenden Sein in Verbindung kommen. In-dem sie die Anstöße aus ihrer Tiefe in ihr Bewusstsein aufsteigen lassen und sieverwirklichen, sind sie auf dem Weg, durch ihr Gewordensein hindurch sie selberzu werden.

Mein Prozess der bewussten Selbstwerdung begann im Studium mit Meditati-onskursen im Kloster Meschede und den dort angebotenen Übungen mit der In-itiatischen Therapie. Erstmals erlebte und erkannte ich meinen „doppelten Ur-sprung“6, den irdischen und himmlischen. Ich war tief berührt von der Wahrneh-mung des Seins in mir, das mich erfüllte wie eine Liebesglut. Ich erkannte, dassich bislang der Wahrnehmung meines geistigen Ursprungs viel zu wenig Auf-merksamkeit gewidmet hatte. Bislang hatte ich mein Leben an meinem irdischenUrsprung, meinen Eltern, ausgerichtet. Ich war ihren von mir verinnerlichtenVorstellungen vom Leben gefolgt, hatte studiert und geheiratet. Unbewusst woll-te ich so leben, dass sie mit mir zufrieden waren. Durch die Erfahrungen wäh-rend der Initiatischen Therapie in Rütte spürte ich, dass ich an mir vorbei lebte.

4 Graf Dürckheim, Vom doppelten Ursprung des Menschen, Rütte 2009, S. 118.5 Ebd., S. 17.6 Ebd., S. 25.

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Mir wurde deutlich, dass ich mich und meinen Auftrag in dieser Welt verriet,wenn ich so weiterlebte. Ich erkannte, dass ich meinem inneren Prozess Raumgeben musste. Ich wollte erfahren, wer ich wirklich bin und was mein Auftrag ist.Das war mir in meinem bisherigen Alltag nicht möglich. Ich brauchte Zeit fürmich, um wahrzunehmen, wie ich stimmig weiterleben konnte. Ich folgte dieseminneren Aufruf, löste mich aus meinen beruflichen und privaten Bindungen imnördlichen Deutschland und siedelte in den Schwarzwald um, nach Todt-moos-Rütte. Dort widmete ich mich ganz meinem inneren Prozess und erlerntegleichzeitig die Initiatische Therapie. Meinen Lebensunterhalt bestritt ich durchkleine Jobs. Ich wollte meinen Weg aus eigener Kraft gehen.

Plötzlich begegnete ich den Märchen und Mythen, die eine Begeisterung undLiebe in mir weckten, die ich bis dahin nicht gekannt hatte und die immer nochlebendig ist. Seit 1978 entwickelte ich IMMA – die Initiatische Märchen- und My-thenarbeit®. Seit 2003 bilde ich Menschen darin aus. 2008 gründete ich das Insti -tut für IMMA - Initiatische Märchen- und Mythenarbeit zur Persönlichkeitsent-wicklung e.V.

In der Initiatischen Märchenarbeit ist es möglich, sich, aus der äußeren Realitätkommend, auf seine innere, seelische Realität einzulassen. Viele Menschen sind esgewohnt, nach einem klaren Zeitplan zu leben. Die Worte „Es war einmal...“ wir-ken wie ein Tor, das in einen zeitlosen Raum führt, in dem Dinge geschehen, dieuns staunen lassen. Die Zeit im Märchen verläuft im ewigen Nun. Während desHörens eines Märchens kann die Seele des Menschen in einen weiten, unbegrenz-ten Raum eintreten. Es ist der zeitlose Raum der Gefühle, Phantasie, Kreativitätund des urhaften Seins. Ohne es zu merken, können wir uns mit einer Märchen-gestalt verbinden, fühlen uns ihr nah oder verwandt. Sie erzeugt in uns eine Reso-nanz. Meistens ist es der Held oder die Heldin des Märchens. Er verlässt sein El-ternhaus und damit symbolisch die Ansichten und Meinungen der Eltern. Er gehtseinen eigenen Weg, kommt in Schwierigkeiten, wird bedroht, eingesperrt odermuss gegen einen übermächtigen Feind kämpfen. Dabei entwickelt er ungeahnteFähigkeiten und erfährt Hilfe, wenn er nicht weiterkommt. Oft sind es übernatür-liche Ereignisse wie sprechende Tiere oder Zwerge, die zu einer Lösung führen.Die Märchen vermitteln uns, dass es wichtig ist, unsere Aufgaben in der Welt zuerfüllen und gleichzeitig für das Übernatürliche, Geistige offen zu sein, das immerpräsent ist und uns hilfreich beisteht. Der Held ist dem Weltlichen und Überwelt-lichen in gleicher Weise zugewandt. Er stellt sich den Herausforderungen des Le-bens und setzt sein Leben ein, wenn es notwendig ist. So lernt er die Hingabe andas Leben, öffnet sein Herz und wird zu einem Liebenden, was im Märchen imSymbol der Hochzeit dargestellt wird.

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Durch die Worte „Es war einmal...“ gelangen wir wie durch ein Tor in die Mär-chenwelt. Einige Ereignisse im Verlauf des Märchens berühren uns. Ich nenne sie„Märchentore“, da wir durch sie in die Tiefe unserer Seele gelangen können. Wiein einem Tempel können wir ein Tor und einen Raum nach dem andern durch-schreiten und nähern uns dabei unserer Lebensquelle oder dem Göttlichen inuns7. Erinnerungen aus dem eigenen Leben mögen aufsteigen, die Ähnlichkeit ha-ben mit dem Geschehen im Märchen. Damit verbunden sind meist starke Gefüh-le. Indem wir diese Gefühle spüren, annehmen und ausdrücken, können wirdurch sie hindurch oder in der Stille danach etwas von der Präsenz eines Größe-ren spüren.

Schläft ein Lied in allen Dingen,die da träumen fort und fort.Und das Lied hebt an zu klingen,triffst du nur das Zauberwort. J. F. v. Eichendorff 8

Der Märchenheld, der seinen Weg geht, wirkt inspirierend auf den Menschen.Er weckt den Impuls, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und sich zu der Per-son zu entwickeln, die erwachen und klingen möchte.

1.1 Drei Phasen im Prozess der Bewusstwerdung

Die Initiatische Märchenarbeit regt in den Menschen einen Entwicklungsweg derSelbstwerdung an, der gleichzeitig ein Weg der Entwicklung des Bewusstseins ist.Indem wir uns in unserem Sosein wach erleben, können wir alte Verhaltens- undDenkmuster erkennen. Sie wiederholen sich oft in einer Endlosschleife. Die Er-kenntnisse helfen uns, uns im bedingten Alltag für die Präsenz des Seins zu öff-nen und verbunden mit unserem Herzen zu handeln.

In der Entwicklung des Bewusstseins lassen sich „drei Phasen“9 unterscheiden:

1. Die prämentale Phase – Einheitszustand ohne Wahrnehmung vom Bedingten und Reaktiven

Wir beginnen unser Leben prämental, d.h. in einem Zustand „vor dem Denken“.Es ist eine Phase, in der es noch kein denkendes, unterscheidendes Ich gibt. Man

7 Teresa von Avila, Die innere Burg, Zürich 1979, S. 81 ff.8 Freiherr v. Eichendorff, in: Chamisso / Schwab (Hrsg.), Deutscher Musenalmanach für das Jahr

1838, Neunter Jahrgang, Leipzig, Weidmann o.J., S. 287. Entstanden: 1835 unter dem Titel„Wünschelrute“.

9 Graf Dürckheim, Zen und wir, Frankfurt 1974, S. 112 ff.

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