indikationen und outcome beatmeter patienten einer neurologischen intensivstation

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Nervenarzt 2012 · 83:741–750 DOI 10.1007/s00115-011-3411-7 Online publiziert: 22. Januar 2012 © Springer-Verlag 2012 D. Steffling 1  · M. Ritzka 2  · W. Jakob 3  · A. Steinbrecher 4  · S. Schwab-Malek 1  ·  B. Kaiser 1  · P. Hau 1  · S. Boy 1  · K. Fuchs 1  · U. Bogdahn 1  · F. Schlachetzki 1 1  Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Regensburg, Bezirksklinikum Regensburg 2  Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Regensburg 3  Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, HELIOS Klinikum Erfurt 4  Klinik für Neurologie, HELIOS Klinikum Erfurt Indikationen und Outcome  beatmeter Patienten einer  neurologischen Intensivstation Die neurologische Intensivmedizin in Deutschland wurde unter anderem in den Universitätskliniken Hamburg, Aachen, Gießen und nicht zuletzt durch die Arbeiten der Würzburger Neurolo- gie um Prof. Dr. G. Mertens geprägt. Die rasante Entwicklung neuer Tech- niken, insbesondere differenzierter Be- atmungstechniken, ermöglichte es, Pa- tienten mit neurologischen Erkrankun- gen zu therapieren, deren Erkrankun- gen in den Jahren vorher noch als in- faust eingestuft wurden [5, 23, 25]. Da- zu bedient sich die neurologische Inten- sivmedizin der üblichen intensivmedi- zinischen Therapien wie invasive Beat- mung, differenziertes kardiovaskuläres Monitoring und den Hämofiltrations- verfahren u. a. Darüber hinaus existie- ren vor allem technische Möglichkei- ten, die auf die besonderen Bedürfnisse akut neurologischer Erkrankungen aus- gerichtet sind. Zu einer solchen Ausrüs- tung einer neurologischen Intensivsta- tion (NITS) gehören differenzierte Be- atmungsverfahren, Monitoringverfah- ren wie intrakranielle Druckmessung, neurovaskuläre Ultraschallverfahren, EEG-Video-Telemetrie und die Mes- sung des intrakraniellen Sauerstoff- partialdruckes sowie Therapieverfah- ren wie Hypothermie, Hirndruckthe- rapie inkl. dekompressiver Hemikrani- ektomie, Plasmapherese und Immun- adsorption, denen pathophysiologisch begründete Therapieansätze zugrunde liegen [10]. Typische auf neurologischen Intensivstationen behandelte Krank- heitsbilder sind unter anderem das Gu- illan-Barré-Syndrom (GBS), schwe- re vaskuläre Erkrankungen (maligner, raumfordernder Mediainfarkt, Basila- risembolien, Blutungen), infektiöse Er- krankungen (Meningitiden, Enzephali- tiden), Bewusstseinsstörungen, myast- hene Krisen sowie der Status epilepti- cus. Harms et al. klassifizierten 1998 die neurologischen Intensivstationen je nach Ausrüstung und Klinikstruktur in Beatmungsstationen, Monitoringein- heiten und interdisziplinäre Stationen [10]. Insgesamt existieren in Deutsch- land etwa 500 neurologische Intensiv- betten, welche allerdings meist integ- riert sind in die Intensivstationen an- derer Fachdisziplinen. 1998 waren es in der Umfrage von Harms et al. noch 30 neurologisch geleitete Intensivstationen mit 247 Betten und zusätzlich 173 Bet- ten auf interdisziplinären Intensiv- und Überwachungsstationen [10]. Die stren- ge Trennung zwischen Beatmungs- und Überwachungsstation erscheint aller- dings nur in Ausnahmefällen möglich, da in den meisten Krankenhäusern dies aus Kapazitätsgründen nicht mög- lich ist bzw. eine Nichtauslastung nicht wirtschaftlich scheint. Dies gilt im Be- sonderen für eine neurologische Inten- sivstation, die auch räumlich von an- deren somatischen Kliniken (meist auf einem Gelände mit Psychiatrien, welche aus den Landesheilanstalten bzw. Be- zirkskrankenhäusern hervorgegangen sind) getrennt ist. Auf interdisziplinä- ren Überwachungs- oder Beatmungs- stationen ist der Neurologe zudem häu- fig nur als Konsiliar tätig. Daher ist eine Abgrenzung einer NITS zu anästhe- siologischen und internistischen bzw. neurochirurgischen Intensivstationen oft schwierig. Auch die Prognose der rein neurologischen Patienten wird in diesen Fällen oft nicht getrennt erfasst. Informationen über das Outcome und die Lebensqualität nach Entlassung und Abschluss aller therapeutischen und re- habilitativen Maßnahmen liegen bislang daher nur wenige vor. An der neurologischen Klinik der Universität Regensburg wurde 2005 eine NITS mit 6 Beatmungsplätzen neben der Stroke-Unit eröffnet. Die Klinik be- findet sich zusammen mit dem Institut für Neuroradiologie im Bezirksklinikum Regensburg und somit vom Hauptklini- kum mit anderen Fachrichtungen wie Neurochirurgie und Innere Medizin räumlich getrennt. Diese „Stand-alone- Situation bedingt, dass die Klinik prak- tisch alle Verfahren der differenzierten Intensivmedizin selbst vorhält und die Station unter neurologischer Führung sowie einem fest angestellten Anästhe- sisten und einem Kardiologen betreibt. Bei Notwendigkeit zur unterstützenden Zusatzmaterial online Dieser Beitrag enthält zusätzliche Tabellen  zum Behandlungsverlauf und zu Nachunter- suchungen. Dieses SUPPLEMENTAL finden  Sie unter dx.doi.org/10.1007/s00115-011- 3411-7 741 Der Nervenarzt 6 · 2012| Originalien

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Page 1: Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

Nervenarzt 2012 · 83:741–750DOI 10.1007/s00115-011-3411-7Online publiziert: 22. Januar 2012© Springer-Verlag 2012

D. Steffling1 · M. Ritzka2 · W. Jakob3 · A. Steinbrecher4 · S. Schwab-Malek1 · B. Kaiser1 · P. Hau1 · S. Boy1 · K. Fuchs1 · U. Bogdahn1 · F. Schlachetzki1

1 Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Regensburg, Bezirksklinikum Regensburg2 Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Regensburg3 Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, HELIOS Klinikum Erfurt4 Klinik für Neurologie, HELIOS Klinikum Erfurt

Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

Die neurologische Intensivmedizin in Deutschland wurde unter anderem in den Universitätskliniken Hamburg, Aachen, Gießen und nicht zuletzt durch die Arbeiten der Würzburger Neurolo-gie um Prof. Dr. G. Mertens geprägt. Die rasante Entwicklung neuer Tech-niken, insbesondere differenzierter Be-atmungstechniken, ermöglichte es, Pa-tienten mit neurologischen Erkrankun-gen zu therapieren, deren Erkrankun-gen in den Jahren vorher noch als in-faust eingestuft wurden [5, 23, 25]. Da-zu bedient sich die neurologische Inten-sivmedizin der üblichen intensivmedi-zinischen Therapien wie invasive Beat-mung, differenziertes kardiovaskuläres Monitoring und den Hämofiltrations-verfahren u. a. Darüber hinaus existie-ren vor allem technische Möglichkei-ten, die auf die besonderen Bedürfnisse akut neurologischer Erkrankungen aus-gerichtet sind. Zu einer solchen Ausrüs-tung einer neurologischen Intensivsta-tion (NITS) gehören differenzierte Be-atmungsverfahren, Monitoringverfah-ren wie intrakranielle Druckmessung, neurovaskuläre Ultraschallverfahren, EEG-Video-Telemetrie und die Mes-sung des intrakraniellen Sauerstoff-partialdruckes sowie Therapieverfah-

ren wie Hypothermie, Hirndruckthe-rapie inkl. dekompressiver Hemikrani-ektomie, Plasmapherese und Immun-adsorption, denen pathophysiologisch begründete Therapieansätze zugrunde liegen [10]. Typische auf neurologischen Intensivstationen behandelte Krank-heitsbilder sind unter anderem das Gu-illan-Barré-Syndrom (GBS), schwe-re vaskuläre Erkrankungen (maligner, raumfordernder Mediainfarkt, Basila-risembolien, Blutungen), infektiöse Er-krankungen (Meningitiden, Enzephali-tiden), Bewusstseinsstörungen, myast-hene Krisen sowie der Status epilepti-cus.

Harms et al. klassifizierten 1998 die neurologischen Intensivstationen je nach Ausrüstung und Klinikstruktur in Beatmungsstationen, Monitoringein-heiten und interdisziplinäre Stationen [10]. Insgesamt existieren in Deutsch-land etwa 500 neurologische Intensiv-betten, welche allerdings meist integ-riert sind in die Intensivstationen an-derer Fachdisziplinen. 1998 waren es in der Umfrage von Harms et al. noch 30 neurologisch geleitete Intensivstationen mit 247 Betten und zusätzlich 173 Bet-ten auf interdisziplinären Intensiv- und Überwachungsstationen [10]. Die stren-ge Trennung zwischen Beatmungs- und Überwachungsstation erscheint aller-dings nur in Ausnahmefällen möglich, da in den meisten Krankenhäusern dies aus Kapazitätsgründen nicht mög-lich ist bzw. eine Nichtauslastung nicht wirtschaftlich scheint. Dies gilt im Be-

sonderen für eine neurologische Inten-sivstation, die auch räumlich von an-deren somatischen Kliniken (meist auf einem Gelände mit Psychiatrien, welche aus den Landesheilanstalten bzw. Be-zirkskrankenhäusern hervorgegangen sind) getrennt ist. Auf interdisziplinä-ren Überwachungs- oder Beatmungs-stationen ist der Neurologe zudem häu-fig nur als Konsiliar tätig. Daher ist eine Abgrenzung einer NITS zu anästhe-siologischen und internistischen bzw. neurochirurgischen Intensivstationen oft schwierig. Auch die Prognose der rein neurologischen Patienten wird in diesen Fällen oft nicht getrennt erfasst. Informationen über das Outcome und die Lebensqualität nach Entlassung und Abschluss aller therapeutischen und re-habilitativen Maßnahmen liegen bislang daher nur wenige vor.

An der neurologischen Klinik der Universität Regensburg wurde 2005 eine NITS mit 6 Beatmungsplätzen neben der Stroke-Unit eröffnet. Die Klinik be-findet sich zusammen mit dem Institut für Neuroradiologie im Bezirksklinikum Regensburg und somit vom Hauptklini-kum mit anderen Fachrichtungen wie Neurochirurgie und Innere Medizin räumlich getrennt. Diese „Stand-alone-Situation bedingt, dass die Klinik prak-tisch alle Verfahren der differenzierten Intensivmedizin selbst vorhält und die Station unter neurologischer Führung sowie einem fest angestellten Anästhe-sisten und einem Kardiologen betreibt. Bei Notwendigkeit zur unterstützenden

Zusatzmaterial onlineDieser Beitrag enthält zusätzliche Tabellen zum Behandlungsverlauf und zu Nachunter-suchungen. Dieses SUPPLEMENTAL finden Sie unter dx.doi.org/10.1007/s00115-011-3411-7

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neurochirurgischen Therapie müssen die Patienten allerdings in die entspre-chende, mit uns eng zusammenarbei-tende Abteilung im Hauptklinikum ver-

legt werden, da operative Verfahren wie beispielsweise die dekompressive Hemi-kraniektomie in unserem Hause nicht durchführbar sind.

In der hier vorgestellten retrospekti-ven Studie über Patienten unserer NITS für den Zeitraum von Oktober 2006 bis Dezember 2008 charakterisierten wir das Kollektiv der beatmeten Patienten und führten mittels Fragebögen eine Nachuntersuchung über Lebensquali-tät und im Weiteren affektive psychia-trische Störungen der Intensivpatien-ten durch.

Studiendesign und Erhebungsinstrumente

Die deskriptive retrospektive Studie mit Erfassung des Langzeitverlaufs mit-tels Fragebögen wurde durch die Ethik-kommission der Universität Regens-burg genehmigt. Sie umfasst alle beat-meten Patienten aus dem Zeitraum von Oktober 2006 bis Dezember 2008. Be-ginn des Erfassungszeitraums war so-mit der Tag der Aufnahme auf Intensiv-station und endete pro Patient entweder spätestens im Juni 2009 bzw. am Tag des Todes. Wir analysierten anhand der Pa-tientendaten den Intensivaufenthalt und charakterisierten die behandelten Inten-sivpatienten.

Basisdaten und Einteilung nach Diagnose

Wir erfassten die endgültigen Diagno-sen, das Alter der Patienten, die Indi-kation zur Intubation, Dauer der In-tensivpflichtigkeit und Beatmung, re-levante Komplikationen (vor allem re-spiratorisch, kardial, neurologisch und Infektionen) sowie die Anzahl der Pro-zeduren (kraniale Computertomogra-phie [cCT], CT-Angiographie, Thorax-CT, kraniale Magnetresonanztomogra-phie [cMRT], Elektroenzephalographie [EEG], Elektrophysiologie, Doppler-/Duplexsonographie, Echokardiogra-phie und digitale Substraktionsangio-graphie [DSA]) während des Aufent-haltes.

Anhand der Diagnosen wurden die Patienten in Gruppen eingeteilt: vasku-lär (z. B. maligner Mediainfarkt, Basila-risverschluss, intrazerebrale Blutungen, Sinus- und Hirnvenenthrombose, Klein-hirninfarkt), immunologisch vermit-telt (z. B. Meningitiden/Enzephalititiden,

Tab. 1 Gruppenverteilung und Diagnosenspektrum der beatmeten Patienten

Erkrankung Anzahl Pa-tienten

Medianes Al-ter (Range)

Mediane Liegezeit

CMI-Mittel (min./max.)

SAPS-II-Mittel (min./max.)(Jahre) (Tage)

Vaskulär (gesamt) 96 (48%) 72 (36–95) 12 5,46 (0,17/19,13) 32 (0/63)

    Vorderer Kreislauf 33 71 (45–95) 13 5,5 (0,24/16,66) 36 (0/61)

    Hinterer Kreislauf 32 74 (36–93) 15 6,82 (0,26/19,13) 33 (0/51)

    Blutungen 24 63 (36–93) 10 4,11 (0,17/14,65) 25 (0/63)

    Sonstige 7 76 (60–85) 5 3,59 (0,32/8,2) 30 (0/38)

Entzündlich (ge-samt)

46 (23%) 58 (18–85) 18 6,56 (0,14/15,9) 32 (0/68)

    Viral/bakteriell 18 32 (21–81) 19 5,27 (0,24/9) 28 (0/57)

    MG 9 76 (18–85) 29 9 (0,33/15,9) 31 (0/46)

    GBS 7 68 (50–84) 16 6,2 (6,57/10,65) 46 (34/68)

     Sonstige (u. a. je ein MS, LES)

12 66 (33–79) 16 7,2 (3,8/15,9) 36 (0/62)

Degenerativ 7 (3,5%) 69 (30–85) 26 6,66 (0,77/15,1) 42 (15/63)

Hereditär 3 (1,5%) 39 (27–51) 35 9,25 (3,58/14,92) 32 (26/38)

Epileptisch 26 (13%) 55 (19–84) 5 3,41 (0,25/18,47) 25 (0/51)

Sonstige 23 (11%) 57 (31–87) 6 4,59 (0,15/22,25) 28 (0/60)

Gesamt 201 (100%) 66 (18–95) 16 5,43 (0,14/22,25) 31 (0/68)

GBS Guillan-Barré-Syndrom, LES Lambert-Eaton-Syndrom, MS Multiple Sklerose, MG Myasthenia gravis.

Tab. 2 Beatmungsindikation und Beatmungsdauer der Patienten

Erkrankungsgrup-pen

Mediane Beatmungs-dauer

Indikation für Intubation

(Tage) Respirato-rische In-suffizienz

Intubiert über-nommen

Schutz-intuba-tion

Elektiv Sonstiges

Gesamt (n = 201) 9 65 (32,3%) 68 (33,8%) 36 (17,9%) 7 (3,5%) 25 (12,4%)

Vaskulär (n = 96) 8 31 (32,3%) 37 (38,5%) 16 (16,7%) 4 (4,2%) 8 (8,4%)

    Vorderer Kreislauf 10 10 16 2 2 3

    Hinterer Kreislauf 12 9 8 11 2 2

    Blutungen 3 9 9 3 – 3

    Sonstige 5 3 4 – – –

Entzündlich (n = 46) 12 16 (34,8%) 15 (32,6%) 4 (8,7%) 1 (2,2%) 10 (21,7%)

    Viral/bakteriell 10 8 6 1 – 3

    MG 15 2 3 1 – 3

    GBS 11 1 2 1 – 3

Sonstige 11 5 4 1 1 1

Degenerativ (n = 7) 14 3 (42,9%) 3 (42,9%) – – 1 (14,2%)

Hereditär (n = 3) 21 2 (66,7%) 1 (33,3%) – – –

Epileptisch (n = 26) 2 6 (23,1%) 7 (27,0%) 11 (42,3%) 2 (7,7%)

Sonstige (n = 23) 6 7 (30,4%) 5 (21,7%) 5 (21,7%) – 6 (26,1%)

GBS Guillan-Barré-Syndrom, MG Myasthenia gravis.

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Originalien

Page 3: Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

GBS, Myasthenia gravis/myasthene Kri-se, Multiple Sklerose [MS], Lambert-Ea-ton-Syndrom [LES]), neurodegenerativ (z. B. amyotrophe Lateralsklerose [ALS], Parkinson-Syndrom, Multisystematro-phie), hereditär (z. B. Muskeldystrophie, Niemann-Pick-Erkrankung), Epilepsien (insbesondere Status epilepticus, Grand-Mal-Anfall, generalisierte und komplex-fokale epileptische Anfälle) und sonstige (diverse Intoxikationen, Tumoren, Pneu-monie, Urosepsis, Synkope).

SAPS-II-Score und Case-Mix-Index

Zudem wurde der jeweils höchste SAPS-II-Score (Simplified Acute Phy-siology Score) der Patienten während des gesamten Intensivaufenthaltes er-fasst, welcher die Einschätzung der Er-krankungsschwere von Intensivpatien-ten ermöglicht. Er basiert auf der Erfas-sung von 17 Variablen, davon 12 physio-logischen Parameter, das Alter des Pa-

tienten, die Aufnahmeart (elektive Ope-ration, Notoperation, internistisch) und 3 allgemeine Grunderkrankungen (me-tastasierendes Tumorleiden, AIDS, hä-matologisches Malignom). In diversen Studien wurde eine hohe Validität zur Klassifizierung der Erkrankungsschwe-re beschrieben [1, 16]. Aus dem Kran-kenhausinformationssystem (KIS) wur-de für jeden Patienten der Case-Mix-In-dex (CMI) als Hinweis auf die ökonomi-sche Bedeutung ermittelt, insbesonde-re im Hinblick auf die Kosten des ver-sorgten Patienten für die behandelnde Klinik. Als Maß für die wirtschaftliche Bedeutung wurde zudem der durch-schnittliche CMI pro Tag anhand des hiesigen Patientenkollektivs errechnet.

Nachuntersuchung

Wir kontaktierten die Patienten bzw. deren Angehörige mittels Fragebögen und ggf. Telefoninterview. Von den Pa-

tienten, bei denen auf die intensivme-dizinische Therapie eine Rehabilita-tion folgte, forderten wir zusätzlich die Abschlussberichte der entsprechenden Kliniken an. Falls kein Kontakt zum Pa-tienten herzustellen war, wurde der letz-te Hausarzt telefonisch befragt, soweit dieser bekannt war.

Funktionelles Outcome und Depression

Des Weiteren wurden die Patienten zur Erfassung der jetzigen Lebensqualität in den Jahren 2009/2010 kontaktiert und gebeten, das Beck-Depressionsinventar (BDI), den Barthel-Index (BI) und die modifizierte Rankin-Skala (mRS) zu be-antworten.

Das BDI ist ein Selbstbeurteilungsver-fahren zur Erfassung des Ausmaßes einer depressiven Symptomatik in der deut-schen Bearbeitung von Hautzinger et al. [11]. Bei der Beantwortung aller 21 Items

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mit einer jeweils 4-stufigen Skala ergeben sich Punkte zwischen 0 und 63. Dabei gel-ten Punktwerte zwischen 0 und weniger als 11 als unauffällig, zwischen 11 und 17 als milde depressive Ausprägung und Werte über 17 wurden als relevante Depression definiert.

Der BI nach Mahony et al. ist ein Mess-instrument zur Beurteilung der Selbstän-digkeit im Alltag bzw. der Pflegebedürf-tigkeit [18]. Er umfasst 10 Items und be-wertet zum einen die Unabhängigkeit bei Verrichtungen im alltäglichen Leben und zum anderen die Mobilität mit einem ma-ximalen Wert von 100 Punkten bei kom-pletter Selbstständigkeit. In der Studie be-werteten wir die Daten im BI mit folgen-der Dichotomisierung: 100 bis 75 Punkte

keine/leichte Beeinträchtigung, 70 bis 35 Punkte mittelschwere und 30 bis 0 Punk-te schwere Beeinträchtigung.

Die mRS ist ein Erhebungsverfahren zur Erfassung der funktionellen Fähig-keiten. Diese 6-stufige Skala misst die all-gemeine Unabhängigkeit der Patienten, indem diese subjektiv ihre Residuen be-urteilen. Hier wurden die Werte 0 und 1 als leichte/keine Restsymptomatik gewer-tet, 2 und 3 als mäßige und 4 und 5 als schwere Restsymptomatik bzw. Tod.

Ergebnisse

Insgesamt wurden im beobachteten Zeit-raum von 27 Monaten 512 Patienten auf unserer Intensivstation behandelt, von

denen 201 beatmungspflichtig wurden. Unsere Studie bezieht sich ausschließ-lich auf diese beatmeten Patienten. Die mediane Nachuntersuchungszeit lag bei 19 Monaten (Mittel 16,8 Monate, Range 7–32 Monate).

Patienten

Gruppenverteilung und DiagnosenspektrumDie Verteilung in den einzelnen Grup-pen zeigt sich wie folgt (. Tab. 1): 96 Pa-tienten (48% des Gesamtkollektivs) zeig-ten vaskuläre Erkrankungen; davon sind vorderer zerebraler (34,4%) und hinte-rer zerebraler Kreislauf (33,3%) zu jeweils einem Drittel gleichermaßen betroffen. Intrazerebrale Blutungen machten 25% der Fälle aus und weitere 7,3% der Patien-ten dieser Gruppe wiesen hauptsächlich eine Sinusvenenthrombose (SVT) oder, selten, sogar transitorisch-ischämische Attacken (TIA) noch vor ihrer komplet-ten Rückbildung auf, die prästationär in-tubiert und beatmet wurden.

In der Gruppe der Beatmeten mit ent-zündlichen Erkrankungen befanden sich 46 Patienten (23%), davon 18 Patienten mit Meningitis bzw. Enzephalitis, 9 Pa-tienten mit einer myasthenen Erkrankung bzw. Krise und 7 mit Guillan-Barré-Syn-drom sowie 10 Patienten mit Sepsis, zereb-ralen Abszessen oder Arteriitis temporalis mit beidseitiger Beteiligung der A. verte-bralis. Die weitere Verteilung zeigt 26 Pa-tienten mit epileptischen Erkrankungen, 7 Patienten in der neurodegenerativen Gruppe und 3 Fälle hereditärer Erkran-kungen. Die verbleibenden 23 Patienten fallen in die Gruppe der sonstigen Krank-heitsbilder, vor allem Intoxikationen mit diversen Substanzen und Tumoren.

Alter und GeschlechtDas durchschnittliche Alter in der Ge-samtgruppe (n = 201 Patienten) betrug im Median 66 Jahre (Range 18–95 Jahre). Das mediane Alter der Patienten mit vaskulä-ren Erkrankungen lag erwartungsgemäß weit höher ist (72 Jahre) als bei hereditä-ren Erkrankungen oder Epilepsien (Me-dian 39 bzw. 55 Jahre). In unserer Patien-tengruppe befanden sich 121 Männer und 80 Frauen (Verhältnis männlich/weiblich 60:40). Die Gruppe der entzündlichen Er-

andereSchutzintubationrespiratorische Insu zienzintubiert übernommenelektive Intubation

19%

12%

4%

34%

31%Abb. 1 9 Grund der Aufnahme auf die In-tensivstation

Letalität auf NITS

Letalität nach 19 Monaten

Gutes funktionelles Outcome(mRS bis 2)

60,0%

50,0%

40,0%

30,0%

20,0%

10,0%

0,0%

Ischämie n=65

Blutung n=24

Meningoenzephaliti

s n=18

Myasthenia gravis n

=9

GBS n=7Epile

psie n=26

Neurodegenerativ

n=6

Sonstige n=17

Intoxikatio

n n=5

Proz

ent d

er P

atie

nten

Abb. 2 8 Letalität und Outcome nach Aufenthalt auf einer neurologischen Intensivstation (NITS). GBS Guillan-Barré-Syndrom, mRS modifizierte Rankin-Skala

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Originalien

Page 5: Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

Zusammenfassung · Summary

Nervenarzt 2012 · 83:741–750   DOI 10.1007/s00115-011-3411-7© Springer-Verlag 2012

D. Steffling · M. Ritzka · W. Jakob · A. Steinbrecher · S. Schwab-Malek · B. Kaiser · P. Hau · S. Boy · K. Fuchs · U. Bogdahn · F. Schlachetzki

Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

ZusammenfassungHintergrund.  In dieser Studie charakterisier-ten wir die beatmeten Patienten einer neuro-logischen Intensivstation (NITS) im Zeitraum 2006 bis 2008 in einer rein neurologischen Klink in einer sog. „Stand-alone-Situation. Zu-dem untersuchten wir die Langzeitprognose und Lebensqualität der Überlebenden.Methoden.  Diese retrospektive Studie um-fasst alle beatmeten Patienten von 10/2006 bis 12/2008 einer neurologischen Intensivsta-tion, analysiert mit prospektiv definierten Kri-terien anhand der Aktenlage den Intensivauf-enthalt und erfasst die aktuelle Lebensqua-lität. Wir ermittelten unter anderem die end-gültigen Diagnosen, Dauer der Intensivpflich-tigkeit und Beatmungsdauer sowie den je-weils höchsten SAPS-II-Score und die Kompli-kationen während des Aufenthaltes. Anhand der Diagnosen wurden die Patienten in Grup-pen eingeteilt: vaskulär, entzündlich, neurode-generativ, hereditär, epileptisch und sonstige. Zusätzlich wurden die Patienten kontaktiert und per Fragebogen der Barthel-Index (BI) so-wie die Werte auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS) ermittelt.Ergebnisse.  Insgesamt wurden im beobach-teten Zeitraum 201 von 512 Patienten auf der 

NITS beatmet. Vaskuläre Erkrankungen waren führende Ursache für die Therapie auf der In-tensivstation (47,8%), gefolgt von entzünd-lichen Erkrankungen (22,8%) und Epilepsien (13%). Die Dauer der Beatmung betrug me-dian 9 Tage bei einer mittleren Behandlungs-dauer von 16 Tagen (Range 1–57). Bereits während des Aufenthaltes verstarben 31 Pa-tienten (entsprechen15,4% aller Behandel-ten). Weitere 32 der 170 überlebenden Patien-ten (entsprechen 18,8% der entlassenen Pa-tienten) verstarben im Median von 2 Mona-ten nach Entlassung. Outcomedaten konnten anhand von 67 von 170 versandten Fragebö-gen und 86 Rehabilitationsabschlussberichten erhoben werden, sodass letztendlich Nach-untersuchungsdaten von insgesamt 121 Pa-tienten der 170 überlebenden beatmeten In-tensivpatienten vorlagen. Davon gaben 42,2% keine bzw. leichte Beeinträchtigungen/Pflege-bedürftigkeit im Alltag, allerdings auch 38,0% schwere Beeinträchtigungen/dauerhafte Pfle-gebedürftigkeit laut BI an. Die Auswertung der mRS ergab, dass immerhin noch 49,6% der 170 nachuntersuchten Patienten subjek-tiv eine schwere Restsymptomatik aufweisen. Das impliziert, dass vorhandene Residuale 

nicht zwangsläufig zu einer entsprechenden Pflegebedürftigkeit führen.Schlussfolgerung.  Mehr als ein Drittel der Pa-tienten der hier analysierten NITS wurden be-atmungspflichtig, wobei der Schwerpunkt bei den vaskulären Erkrankungen liegt und so-mit die Überschneidung zwischen Stroke-Unit und Intensivstation verdeutlicht. Trotz lan-ger Beatmungs- und Intensivdauer zeigt mehr als ein Drittel der überlebenden Patienten nur leichte oder gar keine Beeinträchtigungen bei Aktivitäten des täglichen Lebens, wobei doch scheinbar ein Teil der Patienten trotzdem sub-jektiv unter einer nicht unerheblichen Rest-symptomatik leidet. Ein weiteres Drittel über-lebte mit schweren Einschränkungen bis hin zur kompletten Pflegebedürftigkeit. Die Daten unterscheiden sich bez. den wenigen Publika-tionen über NITS trotz der besonderen Stand-alone-Situation kaum. Der Case-Mix-Index betrug im Mittel 0,3/Tag und zeigt die wirt-schaftliche Bedeutung im Vergleich zu ande-ren neurologischen Behandlungsformen an.

SchlüsselwörterNeurologie · Intensivmedizin · Beatmung ·  Liegedauer · Outcome

Indications and outcome of ventilated patients treated in a neurological intensive care unitSummaryObjective.  This study characterized artifi-cially ventilated patients in a neurological intensive care unit (NICU) between 2006–2008 in a purely neurological clinic and a so-called stand-alone situation. In addition the long-term prognoses as well as the quali-ty of life of surviving patients were investi-gated.Methods.  All ventilated patients from Oc-tober 2006 to December 2008 were enrolled in this descriptive, retrospective study. The duration of stay in intensive care was ana-lyzed and the current quality of life was pro-spectively assessed based on the patient re-cords. Final diagnoses, duration of intensive care unit and ventilation as well as the high-est score in SAPS II (simplified acute physi-ology score) and complications during hos-pitalization were determined. The patients were divided into groups based on the di-agnoses as vascular, inflammatory, neuro-degenerative, hereditary, epileptogenic and others. Additionally patients were contacted and asked to respond by completing ques-

tionnaires on the Barthel index (BI) and the modified Rankin scale (mRS).Results.  During the study period a total of 512 patients were treated in the NICU of whom 201 required artificial respiration. Cerebrovascular diseases were the main reason for therapy in the NICU in 96 out of 201 cases (47.8%), followed by inflammato-ry diseases in 46 (22.8%) and epileptogen-ic diseases in 26 patients (13%). The medi-an duration of artificial respiration was 9 days with a mean treatment duration of 16 days (range 1–57 days). Of the patients 31 (15.4%) died in the NICU and an addition-al 32 patients (18.8%) died within a median of 2 months after discharge. Outcome data were available from 67 out of 170 sent ques-tionnaires and rehabilitation reports of 86 patients, which enabled the outcome of 121 surviving patients to be analyzed (71.2%). Of these 42.2% showed no or mild impair-ment in everyday life. However, the remain-ing 38% had severe impairments according to the BI. The evaluation of the mRS showed 

that 49.6% of the patients still had severe symptoms.Conclusions.  More than one third of the pa-tients treated in the NICU required artifi-cial ventilation with an emphasis on cerebro-vascular diseases, which illustrates the over-lap between stroke unit and NICU care. De-spite a lengthy duration of ventilation and a long stay in the intensive care unit more than one third of surviving patients showed no or only mild impairment. However, an addition-al third suffered from severe disability up to nursing care dependency. The study data dif-fer little from the few publications in this field despite the stand alone situation of the NICU. The case mix index per day averaged around 0.3 and underlines the economic importance with respect to other forms of neurological treatment.

KeywordsNeurology · Intensive care · Mechanical  ventilation · Length of stay · Outcome  assessment

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krankungen, speziell der bakteriell oder viral bedingten, zeigt einen Altersmedian bei 58 Jahren, allerdings weist diese Grup-pe 2 Erkrankungsgipfel auf: zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr sind vor allem die Meningitiden zu finden, zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr eher die Enzepha-litiden.

Behandlungsdauer, SAPS-II und CMI

Die Auswertung der Behandlungsdauer (. Tab. 1) zeigt eine mediane Liegezeit von 16 Tagen aller Patienten (n = 201) auf der NITS. Hereditäre und neurodegene-rative Erkrankungen benötigen eine we-sentlich längere Intensivtherapie (durch-schnittlich 35 bzw. 24 Tage), wohingegen Epilepsien mit einer mittleren Liegedau-er von 11,3 Tagen (Median 5 Tage) deut-lich kürzer verweilen. Bei Betrachtung der SAPS-II-Scores ist zu erkennen, dass Epilepsien auch weniger schwer verlau-fen (mittlerer SAPS-II = 25) als beispiels-weise degenerative Erkrankungen (mitt-lerer SAPS-II = 42). Im Vergleich der ent-zündlichen und der vaskulären Gruppe stellen sich ähnlich hohe SAPS-II-Sco-res dar ( jeweils mittlerer SAPS-II = 32), die durchschnittliche Behandlungsdauer unterscheidet sich aber deutlich: 21,1 Ta-ge bei entzündlichen vs. 15,3 Tage bei vas-kulären Erkrankungen (Median jeweils 12 Tage).

Die wirtschaftliche Bedeutung der je-weiligen Erkrankung auf der NITS kann man annähernd über den CMI pro Tag charakterisieren. Im Durchschnitt betrug der CMI 0,33 Punkte pro Tag mit einem Maximum bei vaskulären Erkrankungen und einem Minimum bei hereditären Er-krankungen (0,36–0,26 CMI-Punkte/Tag).

Beatmungsindikation und Beatmungsdauer

Die Notwendigkeit zur Beatmung er-gab sich überwiegend aus der Entwick-lung einer respiratorischen Insuffizienz (32,3%) oder aus der Zuverlegung be-reits intubierter Patienten (33,8%). Auch sog. Schutzintubationen (17,9%), die vor Einweisung bei Epilepsien oder präventiv bzw. häufig vor interventioneller neurora-

diologischer Behandlung bei vaskulären Verschlüssen besonders im hinteren zere-bralen Kreislauf erfolgten, waren Grund für die Aufnahme auf die Intensivstation (. Abb. 1).

Von den 201 beatmeten Patienten wa-ren 80% (n = 161) endotracheal intubiert, 14% (n = 28) wurden im Verlauf tracheo-tomiert bzw. 4% (n = 8) über ein bereits vorhandenes Tracheostoma beatmet. In nur 4 Fällen (2%) wurde initial nichtin-vasiv über CPAP („continuos positive airway pressure“) -Maske beatmet. Die mediane Beatmungsdauer betrug 9 Ta-ge (min. 1 Tag, max. 56 Tage), insgesamt 60 Patienten (29,8%) wurden ≥ 14 Ta-ge und davon wiederum 20 Patienten (9,9% aller Fälle) sogar ≥ 30 Tage beatmet (. Tab. 2). Dabei wich die mediane Be-atmungsdauer bei entzündlichen Krank-heitsbildern weit nach oben ab (12 Tage), speziell bei autoimmunen Erkrankungen wie Myasthenia gravis und Multipler Skle-rose mit 15 Tagen Beatmungspflichtig-keit. Auch die 3 Patienten mit hereditärer neurologischer Grunderkrankung hatten eine wesentlich längere Beatmungsdauer von 21 Tagen. Epileptische Erkrankungs-bilder benötigten hingegen sichtbar weni-ger Beatmungstage (Median 2 Tage). Bei einer detaillierten Betrachtung der Be-atmungspflicht in der vaskulären Grup-pe fallen zudem erhebliche Unterschiede in der Beatmungsdauer auf, z. B. weisen Blutungen im Vergleich zu vaskulären Er-krankungen im hinteren Kreislauf nur ein Viertel an Beatmungstagen auf (Median 3 vs. 12 Tage).

Letalität

Bereits während des Intensivaufenthal-tes verstarben 31 Patienten, was einer unmittelbaren Letalität von 15,4% ent-spricht. Ursächlich dafür waren vor al-lem zentrales Herz-Kreislauf-Versagen oder Herniation infolge von Hirnschwel-lungen. Betroffen waren zu 74% (n = 23) die Patienten der vaskulären Gruppe, nur 13% (n = 4) der Patienten der entzündli-chen und 9,7% (n = 3) der Patienten aus der Gruppe der sonstigen Erkrankungen. Weitere 32 der 170 lebend entlassenen Pa-tienten verstarben bis zum Zeitpunkt der Befragung (. Abb. 2). Für sie ergab sich eine mediane Überlebenszeit von 2 Mo-

naten nach Entlassung aus der Intensiv-station. Die Todesursache konnte in die-sen Fällen nicht ermittelt werden. Damit betrug die Gesamtletalität der betrachte-ten Patienten 31,3% (n = 63) innerhalb von 17 Monaten (mittlere Behandlungsdauer plus Nachuntersuchungsspanne).

Diagnostik

An median 16 Behandlungstagen (min. 1 Tag, max. 57 Tage) wurden bei 201 Pa-tienten insgesamt 1099 diagnostisch-the-rapeutische Prozeduren durchgeführt, dies entspricht median 5 Prozeduren pro Patient (Zusatzmaterial online: . Tab. 3). Der größte Anteil (47,4%) dieser Diag-nostik entfällt auf die Patienten in der vas-kulären Gruppe und hier stehen vor allem cCT und Thorax-CT mit 31,5% und 19,8% von insgesamt 521 diagnostischen Ver-fahren im Vordergrund. In der Gruppe der entzündlichen Erkrankungen kamen auf jeden Patienten 6 Prozeduren, insge-samt somit 294 apparative Untersuchun-gen vor allem per Thorax-CT, cCT, EEG und Elektrophysiologie. Vergleicht man nun die Anzahl der diagnostischen Ver-fahren in beiden Gruppen mit ihrer jewei-ligen Liegedauer, so zeigt sich, dass zere-brovaskulär erkrankte Patienten häufiger Untersuchungen bekamen als entzünd-lich-neurologisch Erkrankte, alle 2,8 Tage vs. alle 3,3 Tage. Bei epileptischen Erkran-kungen überwiegt erwartungsgemäß das EEG (n = 59) in der Diagnostik, aber auch cCT (n = 30) sind nicht selten. Im Median wird bei jedem Patienten dieser Gruppe (n = 26) ein cCT und ein EEG während des Aufenthaltes durchgeführt.

Komplikationen

Insgesamt beobachteten wir 209 Kom-plikationen bei 201 beatmeten Patien-ten (Zusatzmaterial online: . Tab. 3). Neurologische Komplikationen (n = 38) waren epileptische Anfälle, sekundäre Einblutungen oder die immer wieder auf-tretenden Durchgangssyndrome mit ty-pischen Symptomen wie Agitiertheit, Ta-chykardien und quantitativen oder qua-litativen Bewusstseinsstörungen. Bei den respiratorischen Problemen (n = 109) wa-ren vor allem prolongiertes oder frustra-nes Weaning aufgrund neuromuskulärer

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Originalien

Page 7: Indikationen und Outcome beatmeter Patienten einer neurologischen Intensivstation

Erkrankungen, kardialer Vorerkrankun-gen, bekannter COPD („chronic obstruc-tive pulmonary disease“) oder als phar-makologische Nebenwirkung sowie lange Beatmungszeiten inklusive Anlage eines Tracheostomas führend. Selten waren Komplikationen beim Wechsel des Tra-cheostomas oder die Entwicklung eines ARDS („acute respiratory distress syndro-me“). Als kardiale Komplikation (n = 64) werteten wir beispielsweise auch die An-lage eines passageren Schrittmachers oder kreislaufwirksame Rhythmusstörungen. Renale Komplikationen im Sinne von akutem Nierenversagen mit Anwendung von Nierenersatzverfahren waren sehr sel-ten (n = 2). Während der intensivmedizi-nischen Therapie traten insgesamt 106 In-fektionen auf, von denen 69,8% auf noso-komiale Pneumonien entfielen. Das wie-derum heißt, dass 36,8% aller Patienten (n = 74) betroffen waren. Harnwegsinfek-te und katheterassozierte Infektionen wa-ren mit 18 bzw. 14 Fällen weitaus seltener.

Da unser Haus getrennt vom Hauptkli-nikum liegt, konnten wir spezielle Kom-plikationen nach neurochirurgischen Interventionen nicht erfassen. Diese Pa-tienten wurden nicht zu uns zurückver-legt.

Barthel-Index und modifizierte Rankin-Skala

Die mediane Nachuntersuchungszeit der Patienten, die nicht während des Kran-kenhausaufenthalt (= 170) verstarben, lag bei 19 Monaten. Von 170 versendeten Fra-gebögen erhielten wir 67 (44,7%) adäquat beantwortet zurück. Einige dieser Patien-ten wurden allerdings mehrfach auf unse-rer NITS behandelt, erhielten aber nur einen Fragebogen von uns, sodass wir tat-sächlich jeden überlebenden Patienten nach Intensivbehandlung anschrieben. Weiterhin erhielten wir von 86 Patienten die Abschlussberichte der entsprechenden Rehabilitationskliniken oder Auskunft durch den behandelnden Hausarzt, sodass uns letztendlich die BI- und mRS-Werte von insgesamt 121 Patienten (80,7%) bei der Auswertung des Outcomes zur Ver-fügung standen (. Abb. 2).

Eine nur leichte bis keine Beeinträchti-gungen im Alltag hatten 42,2% aller beat-meten neurologischen Intensivpatienten

laut definierter BI-Punktzahl (Zusatzma-terial online: . Tab. 4). Allerdings wiesen 38,0% auch schwere Beeinträchtigungen bis hin zur Pflegebedürftigkeit auf. Im-merhin 49,6% gaben eine nach mRS de-finierte schwere Restsymptomatik an, die verbleibende Hälfte klagte jeweils über leichte bis mäßige Restsymptome.

Ein gutes Outcome wurde vor allem bei Epilepsien und entzündlichen Erkran-kungen erreicht: Die Prognose der über-wiegend jungen Patienten mit Meningitis war exzellent. Dies ist auch bei den Wer-ten der mRs nachvollziehbar: Bei jun-gen Patienten bestanden nach Meningi-tis meist nur geringe Symptome (75%). Ähnliches ließ sich bei epileptischen Er-krankungen feststellen mit milden Symp-tomen bei 58,8%.

Bei vaskulären Erkrankungen zeigt sich eine heterogene Verteilung residua-ler Beeinträchtigungen. 32,8% der Patien-ten wiesen keine bis leichte Beschwer-den auf und 39,7% waren nach BI stark beeinträchtigt bzw. schwer pflegebedürf-tig. Außerdem haben mehr als die Hälf-te dieser Patienten (56,9%) laut mRS eine schwere Restsymptomatik, diese Patien-ten sind allerdings nicht zwangsläufig mäßig- bis schwergradig eingeschränkt in ihrem Alltag oder trotz der schweren Re-siduen ständig pflegebedürftig. Diese An-nahme würde die starke Diskrepanz zwi-schen den angegebenen Werten im BI und mRS erklären. Lediglich 5 Patienten gaben leichte Residuen an. In der Gruppe der hereditären und neurodegenerativen Erkrankungen gaben viele Patienten er-wartungsgemäß mittlere und schwere Be-einträchtigungen im Alltag sowie schwe-re Restsymptome an.

Leider beantworteten nur 36 Patienten das BDI. Allerdings wiesen von diesen Pa-tienten 36,1% eine klinisch relevante De-pression auf, weitere 13,9% zeigten eine milde depressive Ausprägung.

Diskussion

Die neurologische Intensivmedizin ist eine vergleichsweise junge Disziplin und Ziel dieser Arbeit war es, das Patienten-kollektiv unserer NITS zu charakterisieren und in Relation zu den Daten einer reinen neurologischen Intensivmedizin bzw. zu den in der Literatur der letzten 30 Jahre

publizierten intensivmedizinischen Stu-dien zu setzen [2, 13]. Insgesamt belegen auch unsere Daten bez. Letalität und Mor-bidität der auf einer NITS behandelten Pa-tienten eine Drittelung: ein Drittel der Pa-tienten verstarb während des Intensivauf-enthaltes bzw. innerhalb von 2 Monaten nach Entlassung von der NITS, ein Drit-tel der Patienten überlebte mit geringen oder keinen Einschränkungen, während ein Drittel auf dauerhafte Hilfe im Alltag angewiesen ist. Dabei bestehen deutliche Unterschiede innerhalb der zugrunde lie-genden neurologischen Krankheitsbilder, insbesondere der neurovaskulär erkrank-ten Patienten, die auch deutlich älter wa-ren. Der durchschnittliche CMI pro Tag betrug 0,33, unterschied sich nicht we-sentlich in den Behandlungsgruppen und ist ein gutes Maß für die gesundheitsöko-nomische Leistungsfähigkeit in dem be-obachteten Zeitraum.

Die bislang größte retrospektive Stu-die über das Überleben und den Lang-zeitverlauf von Patientin auf einer NITS wurde von den Kollegen der Universi-tät Innsbruck (Untersuchungszeitraum 2002–2005) veröffentlicht [2]. Dabei wa-ren Grunderkrankung, Geschlecht, Al-ter > 70 Jahre, TISS („therapeutic inter-ventions scoring system“) > 40 bei Auf-nahme, TISS > 40 bei Entlassung sowie die Aufenthaltsdauer mit einem schlech-ten Langzeitverlauf assoziiert. Auch Ki-puth et al. analysierten die Daten ihrer Erlangener Intensivstation in der Zeit von 2006 und 2007 und identifizierten Alter, Dauer der Beatmung und die Punktzahl des TISS an Tag 1 als prädiktiven Marker für das Outcome in ihrem Patientenkol-lektiv [13].

Beatmung, Liegezeit und wirtschaftliche Aspekte der NITS

In der hier vorgestellten Arbeit wurden nur die Patienten analysiert, die beat-mungspflichtig waren oder wurden. Wir charakterisierten somit 201 von 521 Fällen (40%). Im Vergleich dazu betrug der An-teil an beatmeten Patienten in der Arbeit von Kiphuth et al. über die NITS der Uni-versität Erlangen von 2006 bis 2007 61% [13]. Dieser Unterschied ist am ehesten in der Stand-alone-Situation der NITS in Regensburg begründet, welche sich zu-

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dem in der Kliniklandschaft in und um Regensburg erst noch weiter etablieren musste. Aufgrund fehlender Pufferkapa-zitäten (infolge der eingangs erwähnten Stand-alone-Situation der Klinik) können Überwachungspflichtige nicht kurzfristig z. B. auf eine internistische oder chirur-gische Überwachungsstation „ausgela-gert“ werden und müssen im Bedarfsfall zur Überwachung auf ein freies Bett der NITS aufgenommen werden. Dagegen liegen die Aufnahmekriterien der NITS in Erlangen in der Beatmungspflichtig-keit, intravenöser Katecholaminapplika-tion, Ventrikel- bzw. lumbale Drainagen, ein Glasgow Coma Scale von ≤9 sowie Va-sospasmen nach Subarachnoidalblutung.

Die Beatmungsdauer lag in Erlangen laut der Studie von Kiphuth et al. im Me-dian bei nur 3 Tagen (von 0 bis 89) ver-glichen mit im Median 9 Beatmungstagen (von median 16 Tagen Gesamtverweildau-er) unserer Patienten. Dafür könnten z. B. Patienten nach endovaskulärem Coiling nach Subarachnoidalblutung verantwort-lich sein, die auf der NITS in Erlangen, aber nicht in Regensburg behandelt wer-den. Rund 80% (n = 161) der hiesigen Ko-horte waren endotracheal intubiert, 14% (n = 28) wurden tracheotomiert bzw. 4% (n = 8) über ein bereits vorhandenes Tra-cheostoma beatmet und nur 2% (n = 4) wurden initial nichtinvasiv über CPAP-Maske beatmet. Ein relativ hoher Anteil der hiesigen Patienten wurde länger als 30 Tage beatmet (20 von 201 Fällen). In Übereinstimmung mit der Regressions-analyse von Kiphuth et al. hatten diese Pa-tienten ein schlechtes Outcome bzw. ver-starben während oder kurz nach dem sta-tionären Aufenthalt (15 von 20).

Neilson et al. zeigten, dass der An-teil der Kurzlieger auf Intensivstationen mit weniger als 7 Tagen immerhin 83% der Patienten beträgt und die Langlie-ger mit mehr als 20 Tagen nur 3% aus-machen [20]. Letztere beanspruchen al-lerdings 23% der finanziellen Ressour-cen. Die Intensivmedizin wird bei neuen Behandlungsmethoden immer mehr fi-nanzielle, personelle und materielle Res-sourcen benötigen, die jedoch im lernen-den DRG-System besser vergütet werden. Durchschnittlich wurden pro Tag 0,33 CMI-Punkte erwirtschaftet. Die Varianz des CMI/Tag war recht gering mit höchs-

ter Vergütung für vaskuläre Erkrankun-gen (0,36 CMI/Tag), hingegen erreichten entzündliche Erkrankungen ein CMI von 0,31, degenerative von 0,28, hereditäre von 0,26, epileptogene von 0,3 und sons-tige Erkrankungen von 0,32.

Pro Patient waren durchschnittlich 5,5 diagnostische Verfahren zu verzeichnen. Inwieweit die Anzahl der Prozeduren die Liegedauer beeinflusst, ist natürlich von den einzelnen Krankenhausstrukturen abhängig, aber jede Diagnostik bedeutet einerseits eventuell unnötige Kosten und unter Umständen sogar eine unnötig ver-längerte Intensivdauer [17] bzw. das Risi-ko von Komplikationen, spiegelt anderer-seits aber auch die Komplexität des einzel-nen Falles wider.

Krankheitsgruppen beatmeter NITS-Patienten

Nahezu die Hälfte der Patienten (96/201, 48%), die auf der hiesigen NITS behan-delt wurden, hatte vaskuläre Erkrankun-gen und scheint im Vergleich zu einer historischen Kohorte aus den 1980er Jah-ren in einer Studie von Prange et al. [22], bei der 51,2% der Patienten ischämische oder hämorrhagische Infarkte aufwie-sen, nahezu unverändert. Im Jahr 1998 wurde nochmals eine Erhebung der Si-tuation der neurologischen Intensivme-dizin von Harms et al. durchgeführt [10]. Auch hier stammt der größte Anteil der Patienten aus der Gruppe der vaskulä-ren Erkrankungen, gefolgt von entzünd-lichen Krankheitsbildern und Epilepsien. Die Untersuchung von Brössner et al. aus dem Jahr 2007 ergab, dass zerebrovaskulä-re Ereignisse der häufigste Grund für eine Intensivbehandlung waren und in der Studie von Kiphuth et al. betrug der An-teil gar 60% [2, 13]. Der hohe Prozentsatz dieser Krankheitsgruppe verdeutlicht die enge Vernetzung bzw. den Übergang zwi-schen Stroke-Unit und NITS, wie es schon von Diedler et al. und Steiner et al. formu-liert wurde [8, 24]. Auch in Studien von Suarez et al. und Varelas et al. konnte ein positiver Einfluss auf Letalität, Liegedauer und Outcome neurologisch und neuro-chirurgisch Erkrankter gezeigt werden, wenn diese Patientengruppe von speziali-sierten Teams der Neurologie bzw. Neuro-chirurgie betreut werden [25, 26, 29].

Nach vaskulären Erkrankungen folgen Patienten mit entzündlichen Erkrankun-gen (46/201, 22%) und Epilepsien (26/201, 13%), die häufig auf Intensivstation zu fin-den sind. Allerdings sind auch seltenere Pathologien vertreten, wie beispielswei-se ein 27-jähriger Patient mit tuberkulö-ser Meningoenzephalitis, der insgesamt 33 Tage behandelt wurde, davon 11 Tage beatmet war und 22 diagnostische Proze-duren erhielt.

Letalität

Die Letalität ist ein robuster und gut ver-gleichbarer Endpunkt in Beobachtungs-studien. Während des Aufenthaltes auf der Station verstarben 15,4% (n = 31) der Patienten, weitere 18,8% (n = 32) der Ent-lassenen innerhalb von durchschnittlich 2 Monaten nach Entlassung. Es ergibt sich somit eine Überlebensrate von 68,7% bei einer medianen Nachuntersuchungs-zeit von 19 Monaten. Prange et al. berich-teten für ihr Kollektiv, dass insgesamt 33% der neurologischen Patienten wäh-rend des Intensivaufenthaltes verstarben und 2 Jahre nach Entlassung die Mortali-tät bei insgesamt 39% lag. Dies ist in weite-ren Publikationen über NITS sehr ähnlich [2, 13, 22]. Anderseits existieren Studien, die eine erhöhte Letalität neurologischer Intensivpatienten auf internistischen In-tensivstationen zeigen, z. B. von Fata et al. mit einer Klinikletalität von 46% und wei-teren 25% innerhalb von 6 Monaten nach Entlassung bei über 70-jährigen Patien-ten [9]. Wesentlicher Unterschied zu rein neurologischen Intensivstationen scheint ein hoher Anteil (80%) von Schlaganfall-patienten zu sein, die gleichzeitig auch in unserem Kollektiv die älteste Patienten-population mit hoher Letalität von 74% war. Das Alter hat einen deutlichen Ein-fluss auf die Letalität zu haben, wie Knab et al. in ihrer Studie (19% Klinikletalität und weitere 48% innerhalb von 6 Mona-ten) zeigen konnten [14].

Nimmt man die Gruppe der Schlag-anfallpatienten aus dem Kollektiv der NITS-Patienten, kann sich die neurologi-sche Intensivmedizin durchaus mit ande-ren Intensivstationen bez. dieses Parame-ters vergleichen. Eine Analyse von Merla-ni et al. [19] aus einer allgemeinchirurgi-schen Intensivstation mit einem Kollektiv

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der über 70-jährigen Patienten zeigte ein Überleben von 79%. Wunsch et al. berich-teten eine Mortalitätsrate von 14,1% bei den aus den Intensivstationen eines Kran-kenhausverbundes entlassenen Patienten nach 6 Monaten und eine Rate von 39,5% nach 3 Jahren [30]. Bei beatmeten Patien-ten lag die Mortalität nach 3 Jahren so-gar noch weit höher bei 57,6%, was wahr-scheinlich durch die höhere Zahl von Ko-morbiditäten zu begründen ist.

Des Weiteren ist natürlich die maschi-nelle Langzeitbeatmung von mehr als 14 Tagen selbst ein negativer Prädiktor für das Überleben [3]. Unsere mediane Beatmungsdauer von 9 Tagen liegt dem-entsprechend recht hoch und birgt zusätz-lich ein hohes Risiko für die Patienten, die häufig neben ihren schweren neurologi-schen Erkrankungen gravierende Komor-biditäten mitbringen. Somit ist die Leta-litätsrate von 15,4% während des Inten-sivaufenthaltes verglichen mit den ge-nannten Studien und unter Berücksichti-gung der Schwere der Erkrankungen ein-schließlich vorbestehender Beschwerden und auftretender Komplikationen eher niedrig. Weitere Risikofaktoren für eine erhöhte Mortalität von mehr als 14 Tage langzeitbeatmeten Patienten auf Inten-sivstationen sind das Alter über 65 Jah-re, vorbestehende kardiale Erkrankungen oder nosokomiale Infektionen [3].

Alters- und Geschlechtsverteilung

Das durchschnittliche Alter in der Ge-samtgruppe (n = 201 Patienten) betrug median 66 Jahre (Range 18–95 Jahre) bei einem Anteil von 40% weiblichen Pa-tienten und ist den Daten der Erlangener NITS sehr ähnlich, liegt jedoch deut-lich über dem der Innsbrucker NITS mit 55 Jahren [2, 13]. Das mediane Alter der Patienten mit vaskulären Erkrankungen lag erwartungsgemäß weit höher (72 Jah-re) als bei hereditären Erkrankungen oder Epilepsien (Median 39 bzw. 55 Jahre). So-wohl auf neurochirurgischen als auch in-ternistischen bzw. interdisziplinären In-tensivstationen ergeben sich ähnliche Geschlechtsverteilungen [27, 28]. Aller-dings ist entsprechend der demographi-schen Entwicklung unserer Gesellschaft eine Zunahme des Durchschnittsalters bei uns sowie auch in den NITS der Uni-

versität Innsbruck und der Universität Erlangen erkennbar [2, 13]. Dieses liegt in unserer Arbeit bei 61,8 Jahren (Range 18–95 Jahre), während es 1989 in der Studie von Prange et al. bei 52 Jahren (Range 15–90 Jahre) lag [21].

Morbidität nach Behandlung auf einer NITS

Zur Diskussion des Outcomes neuro-logischer Intensivpatienten liegen bis-her leider nur wenige Daten vor. Pran-ge et al. untersuchten 1989 das Outcome von 88 Patienten hinsichtlich Pflegebe-dürftigkeit und subjektiver Beschwerden [22]. Immerhin 58% gaben keine Pflege-bedürftigkeit an, 13% waren ständig von Pflege abhängig. Es zeigten sich allerdings bei 67% aller Patienten vorhandene Be-schwerden, nur ein Drittel war beschwer-defrei. Laut gleichzeitig erhobener Arzt-auskunft über 75 dieser Patienten konn-ten diese subjektiven Angaben nachvoll-zogen werden: 51% hatten ausgeprägte Re-sidualsymptome, 39% mittelgradige und nur 10% keine bis leichte Restsymptoma-tik. Ebenso zeigte die Studie von Brössner et al. [2], dass annähernd 50% der Patien-ten 2,5 Jahre nach Entlassung selbständig sind und somit laut Studiendesign eine mRS von 0–1 aufweisen. Diese Zahlen lie-gen über unseren Ergebnissen mit 42,2% der Patienten mit keinen bis leichten Ein-schränkungen im Alltag laut BI, welche ihrerseits über denen des Erlangener Kol-lektivs mit 28,4% liegt [13]. Zudem zei-gen unsere Untersuchungen auch einen höheren Prozentsatz an Restsymptoma-tik: 49,6% geben schwere Restsymptome an, wobei unsere mittlere Nachuntersu-chungszeit bei nur 19 Monaten liegt. Dies könnte der Tatsache geschuldet sein, dass wir hier nur die beatmeten Patienten in die Studie einschlossen. Interessanter-weise konnte auch Karth et al. [6] in der Gruppe der Patienten mit langer Verweil-dauer einer kardiologischen Intensivsta-tion zeigen, dass diese zwar ein hohes Le-talitätsrisiko haben, aber trotzdem 28 von 31 Langzeitüberlebenden im BI keine oder nur mäßige Einschränkungen im Alltag aufweisen. In einer Studie von Merlani et al. über das Outcome älterer Patienten nach Aufenthalt in einer chirurgischen In-tensivstation zeigt sich bei einer 2-Jahres-

Überlebensrate von 37%, dass dennoch 57% (n = 30/52 Überlebenden) völlig un-abhängig im Alltag sind, 33% sind teil-weise und 10% vollständig abhängig von Pflege [19]. Weiterhin wurde beschrieben, dass 81% der Überlebenden nach Hause entlassen werden konnten. Dagegen schil-derten Wunsch et al., dass beatmete Pa-tienten wesentlich öfter in ein Pflegeheim entlassen werden (61,7%), während nur 33,0% nichtbeatmeter Intensivpatienten dorthin übergeben wurden [30].

Ein Faktor, der einerseits möglicher-weise zu verlängerter Intensivdauer führt und andererseits ein erhöhtes Risiko für die Mortalität birgt, ist die nosokomiale Infektion und die Sepsis [7]. Vacca et al. sowie Dettenkofer et al. konnten eine In-zidenz von 20,7% nosokomialer Infektio-nen auf einer neurochirurgischen Inten-sivstation nachweisen [7, 27]. Es fanden sich insgesamt 49 Fälle von Pneumonien, wobei allerdings 29 davon nicht beat-mungsassoziiert waren. Als zweithäufigste Infektion wurde der Harnwegsinfekt an-gegeben. Wir ermittelten eine Infektions-rate von 36,8%, was eher dem Ergebnis von Laborde et al. entspricht [15]. Bei uns ergab die genaue Betrachtung 74 Fälle von Pneumonien, die entsprechend unse-rem Studiendesign demnach alle beat-mungsassoziiert sein müssten. Bei einem neurologischen Patientenkollektiv treten allerdings häufig im Rahmen ihrer Er-krankung andere Komplikationen z. B. Schluckstörungen auf, sodass hier die Pneumonie auch auf dem Boden einer Aspiration erfolgen kann.

Depression nach Intensivstation

Ein oft übersehener Punkt in der Behand-lung und Nachbeobachtung von Intensiv-patienten ist das psychische Befinden ge-rade nach NITS und Rehabilitationsauf-enthalt. Aufgrund weniger Rückantwor-ten und somit einer nicht repräsentativen Anzahl an Patienten ist zwar eine kon-krete Aussage zur Entwicklung einer De-pression nach Intensivaufenthalt anhand unserer Daten nicht möglich, aber viele Studien haben einen Zusammenhang auf-gezeigt. So konnte beispielsweise in einem Review von Davydow et al. aus 14 Studien zur Entwicklung von klinisch relevanten Depressionen nach Intensivaufenthalt ein

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Median von 28% errechnet werden [4]. In Studien über Post-Stroke-Depressio-nen wurde eine Inzidenz von 20–25% für ausgeprägte Depressionen und zusätzlich 10–20% für milde depressive Symptoma-tik angegeben [12]. Kronenberg et al. wei-sen sogar darauf hin, dass Stroke-Patien-ten eher noch unterdiagnostiziert sind und geben eine Inzidenz für die Post-Stroke-Depression von 50% an. Von den 36 Patienten, die dass BDI in unserer Stu-die beantworteten, wiesen 36,1% eine kli-nisch relevante Depression auf, weitere 13,9% zeigten eine milde depressive Aus-prägung. Obwohl die wenigen Daten si-cher nicht repräsentativ sind, muss man bedenken, dass eher die gesundheitlich besser gestellten Patienten diese Frage-bögen beantworteten und wahrscheinlich eine deutlich höhere Prävalenz an De-pressionen nach Erkrankung und Thera-pie vorliegen könnte.

Fazit

Mehr als ein Drittel der Patienten auf unserer Intensivstation war beatmungs-pflichtig, wobei der Schwerpunkt bei vaskulären Erkrankungen lag und somit die Überschneidung zwischen Stroke-Unit und neurologischer Intensivstation verdeutlicht. Einschränkungen der Stu-die liegen im retrospektiven Design und in der Tatsache, dass es sich um eine von wesentlichen anderen Fachdisziplinen getrennte neurologische Intensivstation als Stand-alone-Einheit handelt. Trotz langer Beatmungszeiten und entspre-chend hoher Risiken überlebt ein Drit-tel der Patienten diese teilweise langwie-rige Intensivtherapie mit nur geringen respektive keinen Beeinträchtigungen und ist im Alltag selbständig. Das zeigt uns, dass unsere Bemühungen auch um schwer neurologisch Erkrankte Erfolg ha-ben. Allerdings verstirbt auch ein Drittel der Patienten während der stationären Behandlung auf der NITS bzw. in den da-rauffolgenden 2 Monaten und ein weite-res Drittel überlebt mit erheblichen Ein-schränkungen. Ein wertvoller Aspekt für die Nachbehandlung bzw. die Phase der Rehabilitation ist die Entwicklung einer relevanten Depression nach Intensivauf-

enthalt, wie die Zahlen unserer Studie annehmen lassen.Weitere multizentrische und prospektive Datenerhebungen sind wichtig, um die-ses immer wichtiger werdende Teilgebiet der Neurologie zu stärken, auch im DRG-System entsprechend abzubilden, die Prognose des einzelnen Patienten besser zu stellen und letztendlich signifikant zur Lebensqualität nach NITS beizutragen.

Korrespondenzadresse

PD Dr. F. SchlachetzkiKlinik und Poliklinik für Neurologie der  Universität Regensburg,  Bezirksklinikum RegensburgUniversitätsstr. 84, 93053 [email protected]

Danksagung.  Vielen Dank an alle Patienten und An-gehörigen und an das Team der neurologischen Inten-sivstation für die Mitarbeit an der Nachbefragung.

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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