indigene völker in lateinamerika und entwicklungszusammenarbeit

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Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Eschborn 2004

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Page 1: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Deutsche Gesellschaft für

Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

Eschborn 2004

Page 2: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Impressum

Der Inhalt dieser Publikation gibt nicht unbedingt die Meinung der Deutschen Gesellschaft für

Technische Zusammenarbeit (GTZ) wieder.

Herausgeber:

Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5

Postfach 5180

65726 Eschborn

Verantwortlich:

Dr. Edgar Köpsell

Regionalgruppe Andenländer OE 2120

Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika & der Karibik (KIVLAK)

Tel: 06196 79 2362

Fax: 06196 7980 2362

E-mail: [email protected]

Internet: www.gtz.de/indigenas

Autoren:

Dr. Matthias Abram, Heidi Feldt, Klas Heising, Dr. Edgar Köpsell, Christoph Kohl, Dr. Karin Naase,

Dr. Theodor Rathgeber, Sylvia Reinhardt, René Rodriguez Heredia, Dr. Lioba Rossbach de Olmos,

Dr. Sabine Speiser, Silke Spohn, Dr. Juliana Ströbele-Gregor

Redaktion:

Heidi Feldt, Dr. Edgar Köpsell, Sylvia Reinhardt, Dr. Sabine Speiser, Silke Spohn

Layout:

Sylvia Reinhardt

Fotos auf dem Umschlag:

Dr. Anita Krainer, KfW-Archiv, Sylvia Reinhardt, Silke Spohn

ISBN 3-925064-39-7

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Druck:

Kasparek-Verlag, Heidelberg

Oktober, 2004

Page 3: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die DemokratieDr. Juliana Ströbele-Gregor

1

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit Dr. Sabine Speiser

28

Indigene Völker und Staat Heidi Feldt

49

Indigene Völker und LandrechteDr. Theodor Rathgeber

61

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene VölkerDr. Lioba Rossbach de Olmos

77

Bodenschätze auf indigenem Land Heidi Feldt

100

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung Dr. Matthias Abram

118

Indigene Völker und Gesundheit Klas Heising & Sylvia Reinhardt

134

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung Heidi Feldt, Silke Spohn & Dr. Karin Naase

146

Pueblos indígenas y fondos de inversión social:Descuentros, herejías y otros éxitos René Rodriguez Heredia

159

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommenDr. Sabine Speiser

169

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika Dr. Edgar Köpsell

189

Page 4: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang

Anhang 1: Überblick: Indigene Bevölkerung in den Staaten Lateinamerikas und der KaribikDr. Sabine Speiser und Christoph Kohl

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl Christoph Kohl

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Page 5: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Vorwort

Der Anstoß für das vorliegende Buch – Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusam-

menarbeit – ergab sich aus der Arbeit der “Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und

der Karibik“ (KIVLAK), die in der Regionalgruppe Andenländer der Gesellschaft für Technische Zu-

sammenarbeit (GTZ) beheimatet ist. KIVLAK vertritt das Thema Indigene Völker im interinstitutionellen

und internationalen Dialog, koordiniert den Erfahrungsaustausch unter den Vorhaben der Technischen

Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche

Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in der Thematik.

Das BMZ hat bereits zu Beginn der von den Vereinten Nationen ausgerufenen indigenen Dekade

(1994 – 2004) ein Konzept zur Zusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen erarbeitet, das

für die GTZ und KFW Entwicklungsbank verbindlichen und für NROs orientierenden Charakter hat.

Dieses Konzept ist die Richtschnur für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und ihre adäquate

Berücksichtigung in den Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Damit lag relativ früh ein

Grundlagenpapier vor.

Davon ausgehend beleuchtet der vorliegende Reader die indigene Thematik im Kontext der deut-

schen EZ aus verschiedenen Perspektiven. Die Beiträge der Autoren und Autorinnen und die in ihnen

genannten Beispiele konzentrieren sich auf Erfahrungen in der deutschen Technischen Zusammenar-

beit, greifen aber auch solche aus anderen Institutionen der internationalen Zusammenarbeit auf. Ein

Beitrag der KFW Entwicklungsbank ergänzt die Palette um die Erfahrungen der Finanziellen Zusam-

menarbeit mit indigenen Völkern und den Sozialinvestitionsfonds.

Das vorliegende Buch möchte Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der EZ und anderen Interessierten

eine Einführung und einen Überblick zur Thematik geben. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern

eine spannende Lektüre und die Bereicherung, möglicherweise auch Veränderung ihrer Arbeit mit

indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik.

Anregungen und Rückmeldungen aller Art sind erwünscht und KIVLAK wird sie in zukünftigen Veröf-

fentlichungen, Rundbriefen und anderen Medien gerne aufgreifen.

Abschließend möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass der Inhalt der einzelnen Kapitel die

Meinung der Autorinnen und Autoren und nicht notwendigerweise die des Herausgebers wider-

spiegelt.

Dr. Sigrid Möller Dr. Edgar Köpsell

Leiterin Koordinationsstelle Indigene Völker in

Regionalgruppe Andenländer Lateinamerika & der Karibik (KIVLAK)

OE 2120 (GTZ) Regionalgruppe Andenländer

OE 2120 (GTZ)

Page 6: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit
Page 7: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

1

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

DR. JULIANA STRÖBELE-GREGOR

“Es ist falsch, wenn wir vom “Problem der indigenen Völker in unseren Staaten“ sprechen, denn

nicht die indigenen Völker sind das Problem, sondern das Problem sind die Mängel einer un-

vollständigen Demokratie.“

Führungsmitglied der CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador)

Seit den 1980er Jahren werden indigene Völ-

ker als politische Akteure in Lateinamerika

deutlich sichtbar. In einigen Ländern wurden

Reformen eingeleitet, mit denen ihr gesell-

schaftlicher Ausschluss überwunden werden

sollte. Dennoch zeigt sich, dass sich wenig an

den realen Lebensbedingungen verbessert

hat, dass die Interessen, Rechtsansprüche und

Belange indigener Bevölkerung in den Demo-

kratisierungsprozessen, der Staatsmodernisie-

rung und den Strategien zur Wirtschaftsent-

wicklung bisher noch kaum berücksichtigt wer-

den. Doch indigene Völker fordern nicht nur

ihre vollen Bürgerrechte, Verbesserung ihrer

allgemeinen Lebenslage und Anerkennung

ihrer Kulturen ein, sie machen darüber hinaus

deutlich, dass ihre Kulturen Potenziale enthal-

ten, deren Bedeutung für eine nachhaltigen

Entwicklung zwar in (internationalen) Deklara-

tionen anerkannt, aber in der Realität kaum

berücksichtigt werden. Oft werden die Potenzi-

ale vielmehr zerstört. Um dem entgegenzuwir-

ken ist die Entwicklungspolitik gefordert, im

Rahmen der Förderung von Demokratie, wirt-

schaftlicher und sozialer Entwicklung in La-

teinamerika, die indigenen Völker als gesell-

schaftliche Akteure zu stärken und ihre Le-

bensbedingungen zu verbessern.

1. Diversität und Identität

“Eine Geschichte der Zahlen“ nennt BARIÉ

(2003:43-46) zu Recht die Vielfalt der demo-

graphischen Angaben über indigene Bevölke-

rung in Lateinamerika. Die Erhebungen und

Schätzungen variieren nicht nur für jedes

Land, sondern die erheblichen Zunahmen in-

nerhalb eines Jahrzehntes (1990er Jahre)

verweisen auch auf die wesentlichen Ursachen

der Schwankungen: erstens gibt es keine ein-

heitlichen Standards bei den Erhebungen;

zweitens verändern sich die Definitionen wer

als indigen gilt. Drittens variieren auch die

Selbstbezeichnungen, und dies ist stark davon

abhängig, welche Stellung Staat und Gesell-

schaft Angehörigen eines indigenen Volkes

zuweisen. Wo die nationalstaatliche Ideologie

des “mestizischen“ Staates vorherrscht, wirkt

der Assimilationsdruck, wo es jedoch Vorteile

beinhaltet (z.B. Landrechte), sich als Angehö-

riger einer ethnischen Gruppe zu bezeichnen,

lässt sich eine Steigerung der Anzahl jener

feststellen, die sich zu ihrer indigenen Herkunft

bekennen. Viertens gibt es politische Interes-

sen seitens der dominanten “weißen“ und mes-

tizischen Gesellschaftsgruppen, die Zahlen

niedrig zu halten, denn damit lässt sich die

These der homogenen, mestizischen Nation

unter Beweis stellen. Wir werden darauf zu-

rückkommen.

Sicher sind sich die Demographen über allge-

meine Tendenzen: Der Anteil der indigenen

Bevölkerung nimmt erkennbar zu. Der Ge-

samtanteil an der amerikanischen Bevölkerung

liegt zwischen 8-12%, das entspricht etwa 40

und 50 Mio. Personen. Es gibt über 400 ethni-

sche Gruppen und Völker und 917 gespro-

chene indigene Sprachen in Lateinamerika

(LASR, 2003:2)1, ein Zeichen der außerordent-

lichen kulturellen Vielfalt der indigenen Völker.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass nicht

1 BARIÉ (2003:45) kommt auf der Grundlage von nationalen Zensi auf 657 ethnolinguistische Grup-pen.

Page 8: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

2

zahlreiche kleine indigene Gemeinschaften,

insbesondere in ökologisch sensiblen Regio-

nen mit wertvollen Naturressourcen, vom Aus-

sterben bedroht sind, weil ihre Lebensgrundla-

gen zerstört werden.

Einigkeit herrscht bei den Demographen auch

darüber, in welchen Ländern der prozentuale

Anteil indigener Bevölkerung besonders hoch

ist.2 Dies sind die Länder Bolivien, Guatemala,

Peru und Ecuador. Die Bevölkerungszahlen

variieren allerdings erheblich. In Bolivien bei-

spielsweise liegt der Anteil der indigenen Be-

völkerung nach offizieller Schätzung aus dem

Jahre 1992 bei 81,2% bzw. laut Zensus liegt

sie jedoch wesentlich niedriger bei 59,0%. Eine

detaillierte Bevölkerungsstatistik aller latein-

amerikanischen Länder befindet sich im An-

hang des Bandes.

Charakteristisch für diese Länder ist nicht nur

eine starke Präsenz der indigenen Bevölke-

rung auf dem Land, wo die Mehrheit noch im-

mer als Kleinbauern lebt, sondern auch in den

Städten. In neun weiteren Ländern Lateiname-

rikas liegt der Anteil indigener Bevölkerung

zwischen 5% und 20%: Belize, Honduras, Chi-

le, El Salvador, Guayana, Panama, Surinam,

Nicaragua und Mexiko. Ihre Präsenz konzent-

riert sich in einzelnen Regionen, in denen die

indigene Bevölkerung die Mehrheit darstellt

oder in rechtlich ausgewiesenen Territorien.

Obgleich sie weit unter 20% der Ge-

samtbevölkerung ausmacht, ist die kulturell

und ethnisch sehr vielfältige indigene Bevölke-

rung Mexikos die größte in einem Nationalstaat

des Subkontinents: Die Zahlen bewegen sich

hier zwischen 7,4% und 12,6% Anteil an der

mexikanischen Bevölkerung.

Im größten Land Lateinamerikas, in Brasilien,

gibt es zwar 210 indigene Völker, doch stellen

diese überwiegend in Amazonien lebenden

Völker mit ca. 370 000 Personen nur 0,5% der

brasilianischen Bevölkerung dar. Zugleich ist

Brasilien mit 170 indigenen Sprachen das

2 BARIÉ 2003:45 auf der Grundlage von CELAD, 1999:361. Für die abweichenden offiziellen Schät-zungen wird keine Erklärung gegeben. Zu vermuten ist, dass CELAD Daten auf den Stand von 1999 hochgerechnet und andere Quellen berücksichtigt hat.

Land mit der größten Sprachenvielfalt. In Län-

der wie Brasilien, Venezuela und zum Teil

auch Kolumbien, in denen die indigene Bevöl-

kerung weniger als 5% der Gesamtbevölke-

rung ausmacht, handelt es sich zum einen um

campesinos, zum anderen um Gruppen, die in

kleinen Gemeinschaften als Jäger, Sammler

und Waldbauern in ihren Lebensformen noch

stark an ihren Lebensraum angepasst leben

und die nur einen geringen, zum Teil auch gar

keinen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft ha-

ben. Das Vordringen der nationalen Gesell-

schaft und die Durchsetzung von Wirtschafts-

interessen externer Akteure bedrohen ihre

Lebensräume und damit ihre Existenz als indi-

gene Gemeinschaften.

Wer ist ein indio?

Die Bezeichnungen indio und indígena

(deutsch: “Indianer“) entstammen der kolonia-

len Herrschaftsideologie und sind alles andere

als eine präzise Bezeichnungen von Bevölke-

rungsgruppen oder Kulturen. “Indio“ ist ein

politisches und soziales Konstrukt, das es den

Eroberern ermöglichte, die unterworfenen Völ-

ker rechtlich und ideologisch zu einer Gruppe

zu homogenisieren. Die Beziehungen der so-

zialen Gruppen in der Kolonie waren streng

nach unterschiedlicher ethnischer Herkunft

geregelt. Auf der einen Seite standen die Spa-

nier, sonstige Europäer sowie ihre in Latein-

amerika geborenen Nachkommen (criollos,

“Kreolen“), auf der andern die indigene Bevöl-

kerung und verschleppte schwarze Sklaven.

Die förmliche Trennung in die “Republik der

Spanier“ und “Republik der Indios“ war der

begriffliche Ausdruck für die tiefe Spaltung, die

die Kolonialgesellschaft von Beginn an kenn-

zeichnete.

In den nach der Unabhängigkeit Anfang des

19. Jahrhunderts neu gegründeten Republiken

änderte sich im Kern wenig am realen Status

der vormals als indios klassifizierten Landbe-

völkerung, auch wenn sie nun zu Bürgern er-

klärt wurden. Die europäischstämmigen Oli-

garchien, die im Besitz des Landes und der

Bergwerke waren, begriffen sich als criollos,

als rechtmäßige Bewohner und Besitzer des

amerikanischen Kontinents und damit legiti-

Page 9: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

3

miert, in den neu gegründeten Staatswesen

die alleinige Macht beanspruchen zu können.

Landraub und extreme Ausbeutung verschärf-

ten sich sowohl seitens des jeweiligen Staats

als auch der herrschenden Oligarchien.

Allerdings hatte sich am Vorabend der Unab-

hängigkeitskriege der Diskurs über den indio in

einem Aspekt gewandelt: Es entstand eine

neue Hinwendung zum “Eingeborenen“ und

zur Vergangenheit des indio, die allerdings in

einem engen Zusammenhang mit den politi-

schen Interessen der criollos stand. Zur ideo-

logischen Legitimierung der Ablösung von

Spanien diente ihnen das Konstrukt des “ei-

genständigen amerikanischen Wesens“, das

die indigenen Elemente der amerikanischen

Kulturen betonte. Dies geschah allerdings mit

Rückgriff auf die Glanzzeit der präkolumbini-

schen “Hochkulturen“ der Inka, Maya oder

Azteken, nicht auf deren elend lebenden

Nachkommen und nicht auf jene Völker, die

nicht von den “Hochkulturen“ abstammten,

etwa die Bewohner der Regenwälder, Savan-

nen oder Wüsten. Sie galten den Herrschen-

den als “Wilde“, die es zu zivilisieren galt, in

dem man sie als Sklaven ausbeutete, oder bei

Widerstand bekämpfte und tötete.

Foto 1: Demonstration von Indigenen Schüler/innen in Cuzco (Peru) (S. Reinhardt)

Bei dieser Hinwendung zu den vorspanischen

Kulturen ging es darum, eine historische Kon-

tinuität von den Inka und Azteken zu den neu-

en Amerikanern herzustellen, in der Spanien

als Usurpator erschien, was – an Europa ge-

richtet – die Unabhängigkeitskriege als Be-

freiungskämpfe legitimieren sollte. Sehr deut-

lich wird diese Argumentation gerade auch bei

dem Führer des Unabhängigkeitskampfes,

Simón Bolívar.3 Trotz der Rezeption aufkläreri-

schen und revolutionären Gedankenguts aus

Europa ging es den um ihre politische Selbst-

3 BOLÍVAr, SIMÓN, 1815: Brief aus Jamaika an einen ungenannten Amerikaner vom 6. September 1815. In: KONETZKE, R., 1970, Dokument Nr. 54.

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Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

4

ständigkeit kämpfenden criollos keinesfalls um

die politische Gleichstellung aller Bewohner

des Kontinents. Vielmehr instrumentalisierten

criollos und Mestizen die “indianische Vergan-

genheit“ ebenso wie die auf ihrer Seite kämp-

fenden indios für die eigenen Interessen.

In den ersten Verfassungen, die nach der Un-

abhängigkeit entstanden, wurden zwar die

Begriffe indio, mestizo etc. aufgehoben. Je-

doch sehr bald erfanden die neuen Administ-

rationen den neuen Terminus “indígena“ für

jene ehemaligen indios, deren Integration in

die Nationalgesellschaft zunächst nicht statt-

fand.

Wie sich zeigte, waren sich die Machthaber,

kleine kreolische Eliten, durchaus nicht einig in

ihren politischen und wirtschaftlichen Ideen.

Das schlug sich nicht nur in der Gründung

konservativer und liberaler Parteien nieder,

sondern auch in politischer Instabilität,

Caudillismus d.h. der Herrschaft von

Kriegsherrn und zahlreichen – auch

innerstaatlichen – Kriegen in den

neugegründeten Staaten, in die die indigene

Bevölkerung zwangsweise einbezogen wurde.

In den meisten Ländern unterlag die indio-Be-

völkerung weiterhin einem gesonderten rechtli-

chen Status, der sie auf allen Ebenen des ge-

sellschaftlichen Lebens benachteiligte. So galt

in zahlreichen Staaten noch bis weit in das

20. Jahrhundert der Ausschluss vom Wahl-

recht für Analphabeten, in Peru beispielsweise

bis 1979, was bedeutete, dass fast die ge-

samten Aymara, Quechua und die amazoni-

sche Bevölkerung sich nicht politisch beteiligen

durfte. Auf dem Land wiederum wurden kaum

Schulen eingerichtet, vielfach unterdrückten

Grundherrn und Kirche gewaltsam Bildungsini-

tiativen der indios (Beispiele für Peru siehe u.a.

LÓPEZ, 1988; für Bolivien CARTER & MAMANI,

1982). Mit der Absicht, die rechtliche Benach-

teiligung, soziale Ausgrenzung und Ausbeu-

tung in einem Staatswesen mit einer republi-

kanischen Verfassungen zu legitimieren, wur-

de den indios mit rassistischen Argumenten

eine biologische und soziale Minderwertigkeit

zugeschrieben.4

In der mexikanischen Revolution 1910/ 1911

entstand ein Gesellschaftsprojekt, das in den

kommenden Jahrzehnten in zahlreichen weite-

ren lateinamerikanischen Ländern Fuß fassen

sollte: das Projekt des mestizischen National-

staats. Mit diesem Konzept eng verbunden ist

der integrationistische indigenismo, eine

modernisierungstheoretische Vorstellung, der

zufolge der Prozess der "nation-buildung" eine

homogenisierende Wirkung in einem evolutio-

nistischen Sinne haben werde. Es wird davon

ausgegangen, dass ethnische Identität (wel-

cher Definition auch immer) in einer modernen

Gesellschaft eine Übergangssituation sei.5

Weiterbestehende ethnisch-kulturelle Aus-

drucksformen werden als Traditionen hinge-

nommen oder als Folklore gefördert (URBAN &

SHERZER, 1991:11f), sofern sie nicht einer

Integration in das Nationalstaatkonzept entge-

genstehen.

Seit dem ersten Interamerikanischen Indige-

nisten-Kongress 1940 im mexikanischen

Pátzcuaro wurde die staatliche Politik in Me-

xiko gegenüber den indio-Gemeinschaften

vom Konzept des integrationistischen indige-

nismo bestimmt. Von Mexiko aus verbreitete

es sich auf dem gesamten Kontinent, wobei

dem in Mexiko gegründeten Instituto Indige-

nista Interamericano eine besondere Rolle des

politischen und wissenschaftlichen Austauschs

und der Kooperation zufiel.

Bei dieser indigenismo-Politik ging und geht es

weiterhin nicht darum, die indigenen Kulturen

als gleichwertig neben anderen Kulturen inner-

halb der jeweiligen Staaten anzuerkennen.

Ethnischer Pluralismus wird zwar von den

Staaten als Faktum konstatiert, jedoch nicht

als ein Gesellschaftsmodell der Zukunft ange-

sehen (BONFIL, 1981:15). Der mexikanische

Anthropologe BONFIL BATALLA stellt vielmehr

fest, dass es seitens der Staaten, Kirchen und

4 DEMELAS, 1981 belegt dies vorzüglich am Beispiel Bolivien. 5 In Lateinamerika gehört diese Position zum Mesti-zaje-Modell (siehe AGUIRRE BELTRÁN, 1956), eine Übersicht der mexikanischen Diskussion in MAIHOLD, 1986.

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Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

5

Parteien in Lateinamerika Bemühungen gab,

eigenständige Organisierungsprozesse der in-

digenen Bevölkerung zu verhindern. Je nach

politischer Situation geschah dies entweder

durch Konfrontation oder durch Manipulation

indigener Organisationen (BONFIL, 1981:13ff),

etwa von z.B. Gemeindeorganisationen, Ver-

bänden unabhängiger campesinos oder auch

ethnisch-politischer Organisationen, wie sie im

20. Jahrhundert entstanden waren. Dass die

Strategie der Assimilation oder Vereinnah-

mung von Organisationen vielfach nicht lang-

fristig erfolgreich war – wie die Beispiele der

Kuna in Panama (HOWE, 1991), der Shuar in

Ecuador (HENDRICKS, 1991), der Mapuche in

Chile u.a. zeigen – lässt sich als ein Beweis für

die kulturelle Stärke dieser Völker bewerten.

In ihrer Auseinandersetzung mit den Folgen

des integrationistischen indigenismo entwi-

ckelten kritische Anthropologen in Mexiko (die

wichtigsten Vertreter waren Bonfil Batalla, Ste-

fano Varese und Arturo Warmann), ab Ende

der 60er Jahre mit dem etnodesarrollo ein

eigenes neo-indigenistisches Modernisie-

rungskonzept, das schnell auch in den ande-

ren lateinamerikanischen Ländern bei eher

kritischen Intellektuellen Verbreitung fand:

Dieses Konzept zielte auf Anerkennung der

ethnischen Gruppen und ihrer Kulturen inner-

halb der Nationalstaaten. Statt staatlich ge-

planter Entwicklungsstrategien für die indige-

nen Völker sollte der Staat selbstbestimmte

Entwicklungsprozesse fördern und lokale Au-

tonomie zulassen. In entsprechenden Ent-

wicklungsprojekten der Vertreter des etnode-

sarrollo lagen die Schwerpunkte auf der Förde-

rung der indigenen Sprachen und der zwei-

sprachigen Schulbildung, des indigenen Wis-

sens und traditioneller Gesundheitsversor-

gung.

Bedeutungsvoll war, dass die Forderung, den

“indianischen Stimmen Gehör zu verschaffen“

praktische Konsequenzen hatte. Auf nationaler

und internationaler Ebene fanden Kongresse

mit Repräsentanten von Organisationen statt,

die sich selbst als “indigen“ bezeichneten und

eigene Konzepte vertraten, die als indianismo

zusammengefasst werden können. Im Unter-

schied zum Begriff indigenisimo, der sich histo-

risch aus dem Konzept des integrationsisti-

schem indigensimo ableitet, drückt der Begriff

indianismo eine eigenständige ideologische

Konstruktionen der indigenen Völker aus, in

denen ethnische bzw. kulturelle Aspekte vor-

rangig sind (siehe MORIN, 1982; BONFIL

BATALLA, 1991). Ein geschichtlicher Meilen-

stein wurde der 2. Kongress von Barbados

1977. Die Dokumentation der politischen Posi-

tionen und Forderungen indigener Aktivisten

(Sammlungen in BONFIL BATALLA, 1981;

GRÜNBERG, 1982; MÜNZEL, 1980) sowie gesell-

schaftskritischer Schriften einzelner indianisti-

scher Intellektueller, die teilweise bereits aus

den 60er Jahren stammten (z.B. des boliviani-

schen Quechua FAUSTO REINAGA, 1969 und

seines Sohnes RAMIRO REYNAGA, 1972 und

des Maya POP CAAL, 1974)6, zeigen nicht nur,

wie gesellschaftliche Zustände aus indianisti-

scher Position wahrgenommen wurden. Sie

vermitteln darüber hinaus einen Eindruck des

politischen Denkens und der politischen Re-

deweisen, die sich als indigen verstehen. Dass

derartige indigene politische Diskurse nicht

“das ganz andere“ Denken und Sprechen sind,

sondern sich sowohl in einer dialektischen

Form auf die hegemonialen Ideologien bezie-

hen, wie auch mit westlichen Begriffen und

Konzepten arbeiten, ist nicht zuletzt Produkt

des Bildungsweges dieser Intellektuellen in-

nerhalb christlich-abendländischer Normen.

Hinzu kommt die externe Einflussnahme (Anth-

ropologen, Solidaritätsbewegung, politikerfah-

rene nordamerikanische indianische Organisa-

tionen etc.).

In der Aktualität werden die Begriffe indio und

indígena von Staat zu Staat und teilweise auch

innerhalb eines Staates unterschiedlich ver-

wendet, sie drücken aber eine weitgehend

paternalistische Einstellung im Umgang mit der

so bezeichneten Bevölkerung aus, die biswei-

len nicht frei ist von rassistischen Zügen. Im

Bewusstsein der als indio bezeichneten Ak-

teure ist der pejorative Gehalt dieses Begriffes

fest verankert. Doch während die einen, wie

der indianistische Ideologe Ramiro Reynaga,

die abwertende Kennzeichnung zum Kampf-

begriff ummünzen (“Nos aplastaron con el

6 Sämtliche Dokumente in BONFIL BATALLA, 1981

Page 12: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

6

nombre de indios y con ese nombre nos va-

mos a levantar“, so der Titel der Schrift von

REYNAGA, 1990) und Parteien mit dem Zusatz

“Partido Indio“ gründen, lehnen andere diese

Bezeichnung strikt ab. Wenn sie sagen: “ya no

somos indios“, verweisen sie damit auf die

Geschichte ihrer grausamen Unterdrückung.

Hier zeigen sich bereits Differenzen, die nicht

nur ein Streit um Worte sind. Wenn sich heute

in der internationale Gemeinschaft der Begriff

“indigen“ durchgesetzt hat, dann ist dies der

Versuch, eine “neutrale“ Bezeichnung für die

einheimischen Völker Amerikas und auch der

anderen Kontinente zu finden (siehe ILO-Kon-

vention7).

Der “verschwommene Begriff des Ethnischen“

(MÜNZEL, 1985:6f) wird zum Angelpunkt der

Erklärungsansätze “indianischer“ Bewegungen

und politischer Organisierung, die die kulturelle

Identität in den Mittelpunkt ihrer Selbstdefini-

tion und ihrer Diskurse stellen. Die nicht-euro-

päisch-stämmigen Akteure haben zwar durch-

aus keine einheitliche politische Position und

kein gemeinsames Selbstverständnis. Den-

noch gewinnt das Konstrukt indígena, das

soziale und kulturelle Gemeinsamkeit gegen-

über europäisch-stämmigen und mestizischen

Machtgruppen konstruiert, zunehmend an poli-

tischer Bedeutung.

Im Alltagsleben fällt die Antwort auf die Frage

nach dem Selbstverständnis und der Identität

indigener Bevölkerung viel komplexer aus

als in den ethnisch-politischen Diskursen. Zwar

ist all denjenigen, die sich als indígenas oder

originarios definieren gemeinsam, dass sie

Gesellschaftsschichten angehören, die auf-

grund der kolonialen und postkolonialen Ge-

schichte von gesellschaftlicher Macht ausge-

schlossen waren. Zu Recht aber verweist

DEGREGORI (1993) mit Bezug auf das Konzept

multipler Identitäten darauf, dass indígena-

Sein ein soziales Konstrukt ist, welches in der

Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen

Bedingungen und in Interaktion mit anderen

Identitäten konstruiert wird – mit der regionalen

Identität, der Zugehörigkeit zu einer Klasse,

7 Das Dokument kann u.a. auf der Website www.gtz.de/indigenas/deutsch/internationale-instrumente/ilo169.htm eingesehen werden.

einer Generation, dem Geschlecht und als

Bürger eines Landes – und diese Identitäten je

nach gesellschaftlichem Kontext vom Indivi-

duum gewichtet werden. Die Konstruktion ei-

nes neuen politischen Subjektes, das sich

pueblo indígena, pueblo originario oder

nacionalidad nennt, entsteht also im Rahmen

gesellschaftlicher Prozesse, in denen kolonial

verwurzelte Strukturen der Ausgrenzung und

Benachteiligung der indios – trotz demokrati-

scher Staatsverfassungen – noch nicht über-

wunden sind. Die Diskrepanz zwischen dem

nationalstaatlichen Integrationsversprechen

und der von Rassismus geprägten Lebens-

wirklichkeit der ländlichen und städtischen

Bevölkerung indigener Herkunft begründet

eine Identitätssuche und den Erfolg des india-

nistischen Diskurses (vgl. STRÖBELE-GREGOR,

1992, 1997; DISKIN, 1992). Dass dabei der

Begriff nacionalidad bei der nicht-indigenen

Bevölkerung nicht selten Ängste vor separatis-

tischen Bewegungen schürt bzw. einigen Poli-

tikern als Begründung der Ablehnung eines

politischen Dialoges mit ethnisch-politischen

Organisationen dient, zeigt das Spannungs-

verhältnis zwischen den gesellschaftlichen

Gruppen.

Die neuen ethnisch-politischen Diskurse und

Definitionen finden auch Eingang in internatio-

nale Organisationen. MARTÍNEZ-COBO (1987)

kam in seiner Studie im Auftrag der UN zu

einer Definition, die zum internationalen Stan-

dard wurde:

“Indigenous communities, peoples and nations

are those which, having a historical continuity

with pre-invasion and pre-colonial societies

that developed on their territories, consider

themselves distinct from other sectors of the

societies now prevailing in those territories, or

parts of them. They form at present non-domi-

nant sectors of societies and are determined to

preserve, develop and transmit to future gen-

erations their ancestral territories, and their

ethnic identity, as the basis of their continued

existence as peoples, in accordance with their

own cultural patterns, social institutions and

legal systems“ (MARTÍNEZ-COBO, 1987:379ff).

Die 1989 von der ILO (Internationale Arbeits-

organisation) vorgelegte Konvention 169 über

Page 13: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

7

“eingeborene und in Stämmen lebende Völker

in unabhängigen Staaten“, die mittlerweile ein

Meilenstein im Hinblick auf die Anerkennung

neuer rechtlicher Schutzstandards bezüglicher

dieser Völker und zum wichtigsten Mobilisie-

rungsinstrument geworden ist (KUPPE,

2002:108), stellt zudem klar, dass der hier

verwendete Terminus Volk nicht das Selbstbe-

stimmungsrecht im Sinne des Völkerrechts

meint.

Die ILO-Konvention 169 definiert folgende

Grundrechte:

Das Recht auf traditionelles Land und Ter-

ritorien (siehe RATHGEBER in diesem Band)

Die Gewährleistung der örtlichen Kontrolle

bzw. Mitbestimmung über die Nutzung na-

türlicher Ressourcen

Das Recht auf Selbstbestimmung im Sinne

interner Selbstverwaltung

Das Recht auf Erhalt der politischen, wirt-

schaftlichen und sozialen Systeme indige-

ner Völker

Schaffung allgemeiner Arbeitnehmerrechte

Förderung lokaler Produktion

Adäquate soziale Absicherung

Zugang zu Schul- und Ausbildung - unter

Berücksichtigung indigener Sprachen -

sowie zum Gesundheitswesen

2. Gesellschaftliche Lage – Gemeinsam-keiten und Unterschiede

Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der

Wirtschafts- und Arbeitswelt, mit Glaubensvor-

stellungen, sozialen Strukturen und Organisa-

tionen sowie den wesentlichen Aspekten des

gesellschaftspolitischen Kontextes, in denen

indigene Völker Lateinamerikas leben. Auf

diese Weise sollen Eckpfeiler der indigenen

Lebenswelten knapp umrissen werden. In den

weiteren Kapiteln des Bandes werden viele der

hier angesprochenen Fragen vertieft, darüber

hinaus auch weitere Themen in den Blick ge-

rückt.

Allgemeine Merkmale

Vor dem Hintergrund der großen kulturellen

Diversität der jeweiligen indigenen Völker ha-

ben die Folgen der allgemeinen gesellschaftli-

chen Entwicklungen im letzten Drittel des

20. Jahrhunderts in Lateinamerika zu sehr un-

terschiedlichen Ausformungen in deren Le-

benswelten geführt. Damit verbieten sich Ver-

allgemeinerungen. Das gilt für die Lebensstile

in den Städten ebenso wie für die Lebens-

muster in den unterschiedlichen ländlichen

Regionen. Wenngleich die städtische indigene

Bevölkerung stetig anwächst, lebt ein Großteil

immer noch auf dem Land.8

Die Wirtschafts- und Arbeitsformen, sozialen

Strukturen und politischen Organisationen

unterscheiden sich erheblich bei den jeweiligen

Kulturen.9 Sie sind – außer bei Völkern in geo-

grafisch entlegenen Regionen, die viele ihrer

traditionellen Lebensmuster bis in die 2. Hälfte

des 20. Jahrhunderts erhalten haben – ein

Amalgam aus kolonialzeitlichen, republikani-

schen und kulturell eigenständigen Strukturen.

Wandlungsprozesse finden in einem zuneh-

mend beschleunigten Tempo statt, betreffen

viele Lebensbereiche und haben Einfluss auf

die sozialen Beziehungen und Geschlechter-

rollen. Sie eröffnen den Zugang zu neuen

Kenntnissen und Technologien, zugleich ist

der Verlust an traditionellem Wissen und Prak-

tiken beispielsweise in der Medizin, in der

8 Verlässliche Daten liegen kaum vor. Erschwerend für einen Vergleich ist zudem die Uneinheitlichkeit in den Zensi, ab wann eine Lokalität als städtisch („urbano“) bezeichnet wird. 9Der hier verwendete Begriff der Kultur basiert auf der Definition der Kulturanthropologie (HARRIS,1989; VIVELO, 1988) und bezeichnet die Gesamtheit der „Lebensweise“ eines Volkes. Es ist die von den Mitgliedern einer bestimmten Gesellschaft sozial erlernte Weise des Denkens, Empfindens und Han-deln, die Artefakte, Institutionen, Ideologien und ihrer Organisation sowie die gesamte Breite ge-bräuchlicher Verhaltensweisen, mit denen eine Gesellschaft für die Ausbeutung ihrer besonderen Umwelt ausgestattet ist. Die Kontinuität von Lebens-formen erfolgt durch Enkulturation, d.h. durch teils bewusste, teils unbewusste Lernprozesse. Lernen beinhaltet auch Veränderung. Kulturen sind nicht statisch. Die Kulturanthropologie betont die Funktion der Kultur als Anpassungsmechanismus. In der Auseinandersetzung mit der natürlichen und sozia-len Umwelt sowie durch Übernahme oder Übertra-gung von kulturellen Verhaltensweisen anderer Kulturen oder Gesellschaften vollziehen sich einfa-che Innovationen oder auch komplexe Wandlungs-prozesse. Eine Gesellschaft wird in diesem Ansatz als eine Gruppe oder Population von Menschen bezeichnet, die entweder physisch oder durch ihre Kultur von anderen, ähnlichen Einheiten getrennt ist.

Page 14: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

8

nachhaltigen Landwirtschaft und im Umgang

mit der Natur unübersehbar.

Armut und extreme Armut kennzeichnen die

Lebenssituation der Mehrheit der indigenen

Völker Lateinamerikas, wie internationale Stu-

dien z.B. der Weltbank (PSACHAROPOULOS &

PATRINOS, 1994) und der Interamerikanischen

Entwicklungsbank (DERUYTTERE, 1997) bele-

gen. Das gilt für die städtische, aber mehr

noch für die ländliche Bevölkerung. Als ein

besonders aussagekräftiges Beispiel führt DEL

ALAMO (2003:10) die Munizipien in Mexiko an.

Das Armutsniveau ist in Munizipien mit erhöh-

ter indigener Bevölkerung (über 80%) 4-mal so

hoch wie in Munizipien mit geringem Anteil und

der Anteil von extremer Armut liegt fast 20-mal

höher. In Bolivien gelten 50% der Gesamtbe-

völkerung als arm, davon sind zwei Drittel indi-

gene Völker. In Guatemala leben zwei Drittel

der Gesamtbevölkerung unter der Armuts-

grenze, davon sind über 90% Indigene (DEL

ALAMO, 2003:11). Zu den Armen gehören ins-

besondere auch die Landlosen, die in Abhän-

gigkeitsverhältnissen auf großen Landgütern

(hacienda) leben oder Saisonarbeiter, die von

einer Arbeitsstelle zur anderen ziehen müssen,

um ihr Überleben zu fristen.

Armut ist dabei nicht nur am Einkommen zu

messen, sondern auch an weiteren Sozialda-

ten wie u.a. der Zugang zum Schulwesen, zur

Gesundheitsversorgung, der Ausbildungsstand

sowie gesellschaftliche Teilhabe an Entschei-

dungen über Ressourcenverteilung und -nut-

zung. Doch die jeweiligen nationalen Gesell-

schaften ziehen aus diesen Analysen bisher

kaum ausreichende Konsequenzen, um die

Situation grundlegend zu verändern. Rassis-

mus – offen oder verdeckt – spielt dabei eine

nicht unerhebliche Rolle. Denn die Marginali-

sierung und der Ausschluss der indigenen

Bevölkerung, sind weiterhin im gesellschaftli-

chen Leben präsent. Das gilt auch für jene

Staaten, die im Verlauf der 80er und 90er Jah-

re Rechtsreformen zugunsten der indigenen

Bevölkerung verabschiedet haben. Im Prozess

von Staatsmodernisierung und De-

zentralisierung kam es in mehreren Ländern

zwar zur Stärkung von Selbstverwaltungs-

strukturen (siehe FELDT in diesem Band), je-

doch zeigt der Aufstand in Bolivien im Oktober

2003, dass sich die indigene Bevölkerung noch

weiterhin von den maßgeblichen politischen

und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen

ausgeschlossen fühlt.

Komplexe Wirtschaftsstrategien der länd-lichen Bevölkerung

Ein Großteil der indigenen Völker lebt von der

kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft, die je

nach Region ganz unterschiedliche Formen

und Ausprägungen hat und eine Markteinbin-

dung auf niederem Niveau einschließt. Hinzu

kommen Strategien, die auf vorspanischer

Tradition beruhen: etwa bestimmte Formen der

Kollektivarbeit, der Gegenseitigkeits- und Aus-

tauschbeziehungen sowie soziale Netzwerke,

die auf Verwandtschafts- und Patenbe-

ziehungen basieren. Die Kombination dieser

beiden Produktionssphären ist ebenfalls ein

Ausdruck für das kulturelle Amalgam: Eine

“traditionelle“ nicht-kapitalistische Agrarpro-

duktion auf der Grundlage von Familienwirt-

schaft samt Austausch von Gütern und Ar-

beitskraft innerhalb der Gemeinschaft wird

verbunden mit Lohnarbeit innerhalb der Ge-

meinschaft, dem Verkauf von Produktions-

überschüssen oder mit der Produktion für den

lokalen oder städtischen Markt. Dies erlaubt

den Zugang zur Geldwirtschaft und zu anderen

Produkten (siehe NAASE, FELDT & SPOHN in

diesem Band).

In einigen Ländern, in denen im Verlauf des

20. Jahrhunderts Landreformen durchgeführt

wurden (Mexiko, Bolivien, Peru, z.T. Ecuador),

erhielten indigene Bauern im Hochland zwar

eigenes Land – sei es als individuelles Privat-

eigentum, in Form von Kollektivbesitz oder

kollektiver Nutzungsrechte – doch aufgrund

des Bevölkerungswachstums bot dies bereits

für die folgenden Generationen kaum mehr

eine ausreichende Lebensgrundlage. Zudem

ist der größte Teil des für die Landwirtschaft

gut geeigneten Bodens zumeist im Besitz von

wenigen Großgrundbesitzern – auch in Län-

dern, in denen Agrarreformen durchgeführt

wurden.

Page 15: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

9

Foto: Partizipativer Taller in einer Mapuche Gemeinde in Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)

Zu den Ursachen, die die Armutssituation seit

den 80er Jahren verschärft haben, gehören die

Wirtschaftskrise der 80er Jahre, nationale und

internationale Wirtschaftspolitiken sowie die

Interessen einzelner Machtgruppen z.B. Groß-

grundbesitzer, internationale Großunterneh-

men, bisweilen auch das Militär (Guatemala).

So unterschiedlich die geografischen und kul-

turellen Kontexte auch sind, etwa zwischen

Kleinbauern-Gemeinschaften im Hochland,

Küsten-Fischern und Waldbauern in Amazo-

nien oder Zentralamerika, die negativen wirt-

schaftlichen Folgen des Raubbaus an natürli-

chen Ressourcen und die Auswirkungen neoli-

beraler Wirtschaftspolitik ähneln sich

(ALTVATER, 1992). Denn das Zusammenwirken

von Deregulierung, Privatisierung der Wirt-

schaft und staatlicher Kompetenzen, so zeigen

zahlreiche Untersuchungen, belasten insbe-

sondere arme Bevölkerungsgruppen

(ALTVATER & MAHNKOPF, 2004), vor allem auch

die indigenen Völker (zu neoliberaler Wirt-

schaftspolitik in Lateinamerika siehe u.a.

DIRMOSER ET AL., 1993). So bedeutet bei-

spielsweise der Vorrang weltmarktorientierer

Produktion vor Nahrungssicherung im eigenen

Land (FELDT & KRÄMER, 1997; WINDFUHR,

1997) auch für viele Kleinbauern eine schlech-

tere Versorgung mit Grundnahrungsmitteln;

und die großflächige Verseuchung von Böden

und Gewässern als Folgen der Alumini-

umproduktion, die internationale Unternehmen

nach Brasilien ausgelagert haben, führen zu

Gesundheitsschäden der Anwohner und Ver-

lust von landwirtschaftlich bewirtschaftbaren

Böden (MÜLLER-PLANTENBERG, 1992) (siehe

auch ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band).

Das Wirtschaften von indigenen Kleinbauern

muss notwendigerweise verschiedene ein-

kommensschaffende Tätigkeiten kombinieren,

um das Überleben zu sichern. Dazu gehört

u.a. der Handel, das Handwerk, die Saisonar-

beit in anderen Landesteilen oder Ländern

etwa in der Kaffee- oder Zuckerrohrernte, im

Bergbau und in – meist schlecht bezahlten –

Aushilfsarbeiten. Von den, verglichen mit In-

dustriegütern, niedrigen Preisen für ihre traditi-

onellen landwirtschaftlichen Produkte können

die campesinos ihre Familie immer weniger

ernähren. Verschärft wurde die wirtschaftliche

Situation der campesinos durch die Öffnung

der nationalen Märkte, verbunden mit einer

Page 16: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

10

Senkung der Zollschranken u.a. für Importpro-

dukte, eine Maßnahme der wirtschaftspoliti-

schen Anpassung seit Mitte der 80er Jahre.

Die niedrigen Einkommen aus der Landwirt-

schaft und die Schwäche des Arbeitsmarktes

erfordern also eine kombinierte Wirtschafts-

form, einschließlich der Aufrechterhaltung “tra-

ditioneller“ ökonomischer und sozialer Hand-

lungsmuster. Im Kontext dieser widrigen öko-

nomischen Bedingungen werden auf lokaler

Ebene durchaus auch Wirtschaftsstrategien

erprobt, die nicht nur das knappe Überleben

sichern sollen, sondern ein nachhaltiges Wirt-

schaften als Grundlage für eine eigenständige

Entwicklung (RATHGEBER, 2002). Dabei werden

überlieferte gemeinschaftliche Wirtschaftsfor-

men und kulturell tradiertes landwirtschaftli-

ches Wissen zur Nutzung der natürlichen Res-

sourcen wieder belebt und experimentell weiter

entwickelt unter Einbeziehung von “neuem“

Wissen und Verfahren. Die neuen Strategien

beinhalten u.a. eine Kombination von Nah-

rungssicherheit, wirtschaftliche Diversifizierung

einschließlich kommerzieller Anbaukulturen

z.B. im Bereich der Bioprodukte oder anderer

Nischenprodukte für den externen Markt (siehe

auch NAASE, FELDT & SPOHN in diesem Band).

Oftmals stehen das Fehlen von Infrastruktur,

der Mangel an Krediten und an technischer

Aus- und Fortbildung u.s.w. dem Erfolg entge-

gen. Dann werden häufig andere Einkom-

mensquellen gesucht. Das reicht von Ethno-

und Öko-Tourismus bis hin zur der illegalen

Koka-Produktion.

Eine weitere Strategie ist die Abwanderung in

andere Regionen des Landes z.B. in Urwald-

regionen (Kolonisationsmigration) oder in die

Städte, in denen die Migranten das Heer der

Arbeitssuchenden in den marginalen Stadt-

randsiedlungen ständig vergrößern, aber auch

dem informellen Sektor Auftrieb geben (siehe

weiter unten sowie GOLTE & ADAMS, 1987;

STEINHAUF, 1991).

Neben der Charakterisierung als “Ärmste der

Armen“ werden die indigenen Völker insbe-

sondere im internationalen Diskurs (z.B. die

“Resolution of 30 November 1998“ der EU) als

Schützer der Natur bezeichnet, weil sie – und

damit sind in Lateinamerika vor allem die

Waldvölker Amazoniens und des mittelameri-

kanischen Biokorridors gemeint – in besonde-

rer Weise in ihren Lebensformen mit der Natur

verbunden sind. Daher ergibt sich, so der in-

ternationale Tenor, die Notwendigkeit ihres

besonderen Schutzes und der Förderung ihrer

Kulturen. Es ist höchste Zeit wirksame

Schutzmaßnahmen zu ergreifen. In vielen

Ländern raubt der Zugriff von Unternehmen

und Händlern auf indigenes Gemeinschafts-

land, auf traditionelles indigenes Wissen und

marktattraktive Naturressourcen sowie ver-

seuchte Gewässer, Wassermangel und Erosi-

onen als Folge von Bergbau oder Großprojek-

ten etc. den ansässigen Gemeinschaften ihre

Lebensgrundlage (hierzu siehe die Artikel von

FELDT, ROSSBACH DE OLMOS UND RATHGEBER in

diesem Band. Auch wenn dem Einzelnen oder

der indigenen Gemeinschaft mittlerweile der

Weg der rechtlichen Klage offen steht – und

auch immer häufiger beschritten wird – so

bedeutet dies längst nicht, dass sie damit ihren

Lebensraum unbeschadet erhalten können.

Mit der Verknappung von bewirtschaftbarem

Land und überlebensnotwendigen Ressourcen

nehmen auch die Konflikte zwischen Nachbar-

gemeinschaften und ethnischen Gruppen in

erheblichem Maße zu. Kleinere und schwä-

chere Gemeinschaften werden durch das Vor-

dringen von Siedlern – seien es Mestizen oder

indigene Migranten – von ihrem Territorium

verdrängt.

Landlose und jene, deren kleiner Landbesitz

nicht zur Ernährung der Familie ausreicht,

suchen Arbeit bei Großgrundbesitzern oder in

Agrounternehmen. Berichten von Menschen-

rechtsorganisationen zufolge gibt es weiterhin

landwirtschaftliche Großunternehmen, Agro-

Industrien und Plantagen mit miserablen Ar-

beits- und Lebensbedingungen, Gewaltstruktu-

ren, unzureichenden oder fehlenden Sozial-

leistungen und Unterschreitung der Mindest-

löhne, beispielsweise in Zentralamerika

(WOLPOLD-BOSIEN, 1999). Schuldknechtschaft

und sklavereiähnliche Bedingungen entgehen

den Augen der Öffentlichkeit, auch wenn es

sich nicht um extrem abgelegene Regionen

handelt. Unter solchen Bedingungen leben

Page 17: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

11

zahlreiche Guaraní in Ostbolivien (ALBÓ,

1990:202f). Wirtschaftliche Abhängigkeit und

Ausbeutung kennzeichnete zumindest bis in

die 80er Jahre die Situation der Maya in Chia-

pas (LEBOT, 1997:34f) und der Saisonarbeiter

in der Agro-Industrie an der Pazifikküste in

Guatemala. Nicht selten hat sie Verschuldung

in Lohnknechtschaft getrieben, die sich auch

auf ihre Kinder überträgt.

In der wissenschaftlichen Diskussion ist es

mittlerweile Mehrheitsmeinung, dass das

Wohlergehen vieler indigener Gemeinschaften

und die Respektierung ihrer Menschenrechte

zu einem wesentlichen Teil davon abhängen,

dass der permanente Besitz des Territoriums

und dessen Selbstverwaltung garantiert sind

(BARIÉ, 2002:556). Diese Hypothese über kul-

turelle Reproduktion geht von einer direkten

Beziehung zwischen kollektiven Territorial-

rechten, Autonomie, Menschenrechten und

nachhaltiger menschlicher Entwicklung aus

(STAVENHAGEN, 2002:57). Zahlreiche Beispiele

belegen dies insbesondere für Völker der Tief-

landregionen, aber auch für Hirten und Acker-

bauern. Die Landvertreibung bzw. -zerstörung

bedeutet daher in vielen Fällen ein Menschen-

rechtsverbrechen.

Allerdings gibt es auch Beispiele, wie Migran-

ten eigenständige kulturelle Muster im städti-

schen Kontext oder in Kolonisationszonen

erhalten, sie kreativ den neuen Bedingungen

anpassen oder sogar besonders stark ihre

kulturelle Identität betonen (siehe auch

SPEISER in diesem Band).

Verschiedene kulturelle Wurzeln der indigenen Lebenswelten

Die eigenständigen indigenen Kulturen der

Gegenwart haben verschiedene Wurzeln. We-

sentliche Elemente der vorspanischen Kulturen

konnten sich in vielen Gemeinschaften erhal-

ten. Es sind die ländlichen indigenen Gemein-

schaften im ehemaligen unmittelbaren Ein-

flussgebiet der spanischen Herrschaft, in de-

nen die Amalgame zwischen vorspanischer

und kolonialspanisch-mittelalterlicher Kultur

noch am stärksten gegenwärtig sind. Aber

auch hier finden ständige Prozesse der Integ-

ration neuer kultureller Elemente und der In-

teraktion statt. Die weitgehend autonomen

Völker Amazoniens konnten noch am stärksten

einen Großteil ihrer kulturellen Lebensformen

und Glaubenswelt bis in die Gegenwart be-

wahren – sofern sie nicht in den letzten Jahr-

zehnten von protestantischen Evangelikalen

missioniert wurden. Dies ist ein kultureller

Zugriff, dem viele Küstenvölker der zentral-

amerikanischen Atlantikküste schon in den

vergangenen Jahrhunderten ausgesetzt waren

und der, wie bei den Misquito und Mayagna

die eigene Lebenswelt sehr durchdrungen hat

(ROSSBACH, 1987; VON OERTZEN, 1999). Auto-

chthone religiöse Vorstellungen und Praktiken

wurden während der Kolonialzeit verschleiert

oder im Verborgenen praktiziert. Andere Ele-

mente, wie beispielsweise die andine Rationa-

lität der sozialen Organisation der Arbeit

(GOLTE, 1980), in deren Rahmen Gemein-

schaftsarbeiten und der Austausch von Ar-

beitskraft innerhalb der comunidad nach kultu-

rell festgelegten Regeln organisiert wurden,

wussten koloniale und postkoloniale Grund-

herrn zu ihrem Profit auszubeuten.

Wurzeln geschlagen haben vor allem die Sozi-

alstrukturen der Kolonialzeit, sie sind im Be-

wusstsein der indigenen Bevölkerung zu Aus-

drucksformen der eigenen Kultur geworden:

Bereits die als typisch indigen angesehene

comunidad, die Dorfgemeinschaft, ist ein A-

malgam aus vorkolonialen Strukturen, bei-

spielsweise dem ayllu in den Anden, mit spani-

schen Organisationsstrukturen der Kolonial-

zeit. Gleiches gilt für die malerischen Trachten

der Frauen und Männer in Mexiko, Guatemala

oder den Andenländern. Die Jesuiten schufen

in ihren Reduktionen10 eine eigene religiöse

Tradition und Kultur und begründeten vielerorts

neue ethnische Gemeinschaften, in dem sie

Angehörige verschiedener Ethnien zu einer

einzigen Gemeinschaft zwangshomogenisier-

ten. Solche Neo-Ethnien sind beispielsweise

10 Es handelt sich um Dorfgründungen, in die aus-schließlich Angehörige indigener Ethnien gebracht wurden. Ziel war die “Zivilisierung“ und “Christiani-sierung“ durch Erziehung zu einer christlichen Le-bensführung und Arbeit in einer sich selbst tragen-den Wirtschaftsgemeinschaft. Das bedeutete auch “Schutz“ der Ethnien vor dem direkten “Kontakt“ mit der kolonialspanischen Außenwelt (vgl. HAUSBERGER, 2000; KONNETZKE, 1970; PRIEN, 1985).

Page 18: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

12

die Chiquitano und Moxeño in Ostbolivien. In

anderen Regionen gelang den Jesuiten der

Bruch mit der Herkunftskultur weniger voll-

ständig, jedoch sind auch bei den Guaraní

(Paraguay) oder den einstigen Jäger- und

Sammlervölkern Nordwest-Mexikos die Spuren

der katholischen Missionierung nicht zu über-

sehen (HAUSBERGER, 2000).

Zu den Bereichen, auf denen Amalgamisie-

rungsprozesse zu folgenreichen interkulturel-

len Missverständnissen führen können, gehört

die politische Kultur. Außenstehende haben oft

Schwierigkeiten, die verschiedenen Strukturen

der Repräsentanz bzw. den Umgang von Indi-

genen mit westlichen sozialen Organisations-

formen zu begreifen: Für die akephal, d.h.

ohne zentrale politische Instanzen und ohne

Herrschaft organisierten Völker Amazoniens ist

ein dirigente oder líder kein Repräsentant, der

verbindlich für “seine“ Gruppe sprechen oder

gar Verträge abschließen kann, an die sich alle

gebunden fühlen. Auch in Verbänden, die äu-

ßerlich westlichen Strukturen entsprechen –

etwa ein sindicato (Gewerkschaft), eine asoci-

ación (Vereinigung) oder confederación (Ver-

band) – herrschen eigene kulturelle Normen

(STRÖBELE-GREGOR, 1992) (siehe weiter unten

sowie FELDT in diesem Band).

Ein weiteres Amalgam verschiedener Kulturen

ist das Geschlechterverhältnis und die Rolle

der Frau, zumindest in den Regionen unter

ehemals direktem kolonial-katholischem Ein-

fluss. Zwar wurden die herrschenden konser-

vativ-katholischen Rollenbilder, Moralvorstel-

lungen und Praktiken in den indigenen Gesell-

schaften, selbst dort, wo der Missionierungs-

druck, wie in den Jesuitenreduktionen, beson-

ders groß war, nie vollständig übernommen.

So genoss Jungfräulichkeit in vielen Gemein-

schaften keine besondere gesellschaftliche

Wertschätzung. Aber christliche Rollenbilder

förderten asymmetrische Geschlechterbezie-

hungen und Überlegenheitsansprüche von

Männern.

Dass dieser Einfluss das Geschlechterverhält-

nis aber nicht überall einschneidend verändern

konnte, zeigen Kulturen in Amazonien und die

Kultur der Raramuri (Mexiko). Hier konnten die

Frauen ihren sehr weitgehenden autonomen

Status bewahren. Sie haben gleiche Landbe-

sitzrechte wie die Männer, in der Ehe behalten

sie ihren Individualbesitz, bestimmen die häus-

liche Wirtschaft maßgeblich mit und Eheausei-

nandersetzungen können in der Öffentlichkeit

verhandelt werden. Ungleich ist ihr Zugang zu

religiösen und politischen Ämtern – davon sind

sie, mit Ausnahme auf dem Land, weitgehend

ausgeschlossen (KUMMELS, 2001).

Zaghaft beginnen sich die Geschlechterbezie-

hungen auch in jenen Kulturen, die sich durch

starke Geschlechterasymmetrie auszeichnen,

zu wandeln. Die Frauenrollen haben sich unter

den Anforderungen des Überlebenskampfes

innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Struk-

turwandels und von Verarmungsprozessen

bereits verändert: Wenn die Männer zu Zeitar-

beiten die comunidad verlassen, sind indigene

Frauen gezwungen, jene Arbeiten in der

Landwirtschaft zu übernehmen, die in der tra-

ditionellen Arbeitsteilung den Männern zuka-

men. Indigene Frauen auf dem Land organisie-

ren sich auf lokaler und lokalübergreifender

Ebene, um Erfahrungen auszutauschen und

ihre Interessen öffentlich zu machen. Der An-

stoß dazu kommt zwar oftmals von außen, von

NRO, Kirchen oder Entwicklungsprojekten,

wird aber von den Frauen interessiert aufge-

griffen. Männer sehen das nicht immer mit

wohlwollenden Augen, auch wenn sich indi-

gene Organisationen unter dem Einfluss inter-

nationaler Diskurse für die Gleichstellung der

Geschlechter aussprechen. Indigene Frauen

haben dennoch seit Mitte der 80er Jahre be-

gonnen, sich in ethnisch-politischen oder Pro-

duzentenvereinigungen zu engagieren. Sie

haben Frauenteilorganisationen in indigenen

Verbänden aufgebaut, wie den Landfrauenver-

band Bartolina Sisa in Bolivien oder den Ver-

band der indigenen Frauen Amazoniens in

enger Kooperation mit COICA (Coordinadora

de Organizaciones Indígenas de la Cuenca

Amazónica). Wesentliche Repräsentanten der

Verteidigung der Menschenrechte in Guate-

mala sind heute Frauen. Internationales Re-

nomée erwarb sich Rigoberta Menchú, die

Angehörige des Volkes der Maya-Quiché, die

für ihren Einsatz für die Menschenrechte und

Rechte der indigenen Völker 1992 den Frie-

densnobelpreis erhielt.

Page 19: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

13

Handeln im Rahmen religiöser Weltbilder

Die sozialen Organisationsformen, die Ord-

nungssysteme, ethische Normen und Werte

sind eingebunden in religiöse Glaubenssys-

teme und Weltbilder. Diese Glaubenssysteme

sind so vielfältig, unterschiedlich und zahlreich

wie die indigenen Kulturen, weshalb eine sys-

tematische Beschreibung kaum möglich ist.

Einzelne Beispiele können das Gewicht indi-

gener religiöser Leitsysteme im Alltagsleben

aufzeigen.

Die Religionen im amazonischen Tiefland und

jener Völker, deren Wirtschaftsweise traditio-

nell auf der Sammelwirtschaft und Jagd ba-

sierten, wie der Ayoreode (Paraguay, Bolivien)

oder der Yaqui in Nord-Mexiko, wurden – allen

Missionierungsversuchen zum Trotz – nur in

Ausnahmefällen von christlichen Religionen

überlagert. Die Präsenz und Unmittelbarkeit

ihrer Religionen manifestiert sich in der Be-

deutung von Mythen zur Erklärung und Orien-

tierung im Alltagshandeln sowie in den Vor-

stellungen von Gesundheit, Krankheit und

Heilungspraktiken, bei denen der Schamanis-

mus eine hervorragende Bedeutung hat. Sie

drückt sich aus in der Definition der Ge-

schlechterrollen und -beziehungen, in der Vor-

stellung von der “beseelten“ natürlichen Um-

welt und einer Einordnung des Menschen als

deren Teil. Dieses Ordnungssystem kennt

keine grundsätzliche Überlegenheit des Men-

schen gegenüber der natürlichen Umwelt und

einen Willen zu ihrer Beherrschung (VON

BREMEN, 1990:309) und hat es ermöglicht,

dass diese Völker die natürlichen Ressourcen

in beispielhafter Weise nachhaltig nutzen. Dort,

wo die Marktwirtschaft oder neue Produkti-

onsweisen vordringen, wo der Lebensraum

beschränkt wird und Lebensweisen sich frei-

willig oder unter Druck wandeln, hat dies auch

Konsequenzen auf den Umgang indigener

Bevölkerung mit der Natur: Mit neuen Wirt-

schaftsweisen wie der Viehzucht oder als

Lohnarbeiter für Holzunternehmen beginnen

so manche von ihnen, selbst an der Zerstörung

ihrer natürlichen Umwelt teilzunehmen.

Wo christliche Missionierung erfolgreicher war,

etwa in den Anden, den Küsten Südamerikas

oder in Zentralamerika und Mexiko, hat dies zu

Synkretismen und/oder zu dualen religiösen

Praktiken geführt. Ganz offensichtlich aber lebt

bei der Landbevölkerung die enge Verbindung

zur natürlich “beseelten“ Umwelt fort. Dies

manifestiert sich in Agrarriten, beispielsweise

wenn die Andenvölker Pacha Mama (Mutter

Erde) als Machtwesen, zuständig für die

Fruchtbarkeit des Bodens und der Frauen,

verehren. Der Naturraum wird durch Machtorte

wie Seen oder Bergen strukturiert. In der tradi-

tionellen Medizin vieler indigener Völker

herrscht die Überzeugung, dass solche Orte

Heilung oder Erkrankung erzeugen können.

Die strengen Riten, mit denen bestimmte Ber-

ge als Sitze der Ahnen um Schutz gebeten

werden und die Überzeugung, dass Wetterein-

brüche oder anderes Unbill, welches die Fami-

lien oder die comunidad trifft, das Werk dieser

zürnenden Ahnen ist, verdeutlichen, wie stark

das animistische Weltbild und die Beziehung

zur Natur das Leben der campesinos in den

Anden und anderen Regionen prägen (siehe

VAN DEN BERG & SCHIFFERS, 1992).

Ahnenverehrung und eine vergleichbare Be-

ziehung zur Natur kennen auch viele andere

Völker, etwa die Mapuche in Chile und Argen-

tinien oder die Maya-Völker. Bei den Maya

sind Geistwesen “Eigentümer“ jeweils be-

stimmter Naturphänomene wie der Wälder, der

Berge, des Regens, des Maises etc. und grei-

fen unmittelbar als ferne “Götter“ ins Leben der

Bauern ein. Deshalb sind sie Gegenstand be-

sonders intensiver Beachtung und Verehrung.

Für die immer von neuem zu stärkende Grup-

penidentität der Maya ist die Verehrung von

Schutzpatronen jeweils einzelner indigener

Gemeinschaften grundlegend. Sie tragen zwar

die Namen christlicher Heiliger, dahinter ste-

hen jedoch alte “Lokalgottheiten“ (LINDIG &

MÜNZEL, 1978:296). Wie stark diese Beziehun-

gen sind, zeigt sich daran, dass der Krieg in

Guatemala die Menschen zwar zeitweise von

ihren Lokalgottheiten getrennt hat, sie damit

daran hinderte, die rituellen Verpflichtungen zu

erfüllen, die notwendig sind, um die spirituelle

Beziehung in positiver Weise aufrechtzuhalten,

aber er konnte diese Beziehung nicht zerstö-

ren. SIEDER (2001) berichtet, dass der Um-

stand, die Toten im Bürgerkrieg nicht entspre-

Page 20: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

14

chend der Riten und an “ihrem Ort“ begraben

zu haben, zu schweren Belastungen in den

Gemeinschaften führt (siehe auch RATHGEBER

in diesem Band).

Einen sehr weitgehenden Wandel im Glau-

benssystem und im Gemeinschaftsleben be-

wirken die zahlreichen protestantischen evan-

gelikalen und fundamentalistischen Glaubens-

gemeinschaften. Bei den Misquito und May-

agna in Nicaragua setzte dieser Prozess be-

reits im 19. Jahrhundert ein, als die Herrenhu-

ter Brüdergemeinde und die Baptisten an der

zentralamerikanischen Atlantikküste ihre Mis-

sionierung verstärkten. Seit den 1960er Jahren

missionieren die unterschiedlichsten evangeli-

kalen Religionsgruppen systematisch bei der

indigenen und afroamerikanischen Bevölke-

rung und finden eine zunehmend große An-

hängerschaft sowohl auf dem Land als auch in

der Stadt. Die Ursachen für diesen Zuspruch

sind vielfältig. Dazu gehören der anhaltende

Rassismus, der Ausschluss und die Marginali-

sierung der indigenen Bevölkerung, die Suche

nach moralischen und zugleich pragmatischen

Leitlinien, dort wo alte Weltbilder an Gültigkeit

verloren haben. Dazu gehört auch die Suche

nach Handlungsmustern, die ein erfolgreiche-

res Leben und Wirtschaften in Aussicht stellen

und nicht zuletzt die Erwartung, zu den Auser-

wählten Gottes zu gehören. Die Bereitschaft,

mit der überlieferten Kultur zu brechen,

wächst. Doch selbst diese kulturelle Entfrem-

dung vermag es nicht, tief in den Menschen

verwurzelte kulturelle Strukturen auszulöschen

– sie verwandelt sie vielmehr (STRÖBELE-

GREGOR, 1988; 1989; 2002).

Lokale Selbstverwaltung

Selbstorganisation und lokale Selbstverwal-

tung sind ein wesentliches Merkmal der indi-

genen Völker Lateinamerikas, wobei auch hier

die Vielfalt und die Unterschiede groß sind.

Die politische Organisation der Völker östlich

der Anden reicht von weitgehend egalitär-de-

zentralistischen Strukturen, die auf der Ent-

scheidungsmacht der Kernfamilie und der mit

ihr verbundenen (häufig) patrilinearen Ver-

wandtschaft basieren, über verschiedene For-

men von Häuptlingstümern, in denen bei man-

chen Gruppen Führungspositionen von zwei

Häuptlingen oder dem Schamanen neben dem

Häuptling eingenommen werden. Wieweit die-

se traditionellen Selbstverwaltungsstrukturen

erhalten bleiben, hängt auch davon ab, welche

indigenen Rechte der Nationalstaat anerkennt

und schützt.

Bei den meisten indigenen bäuerlichen Völkern

in Lateinamerika basiert die lokale Organisa-

tion auf den Strukturen der comunidad, der

Dorfgemeinschaft. Diese Dorfgemeinschaften

können unterschiedliche Ursprünge haben: Sie

können auf einer langen lokalen Tradition be-

ruhen, können von Migranten neu gegründet

oder Ergebnis von Teilungen der Gemein-

schaften bzw. Vertreibung sein.

Die Formen der soziopolitischen Organisation

sind eine Mischung kolonialspanischer Struktu-

ren, sowie vorspanischer Strukturen (wie bei-

spielsweise des ayllu in den Anden) und „mo-

derner“ Organisationsformen (wie sie vom

Nationalstaat vorgegeben werden). Dazu ge-

hört das sindicato in Bolivien, ein Produkt der

Nationalen Revolution von 1952, in dem die

dorfgemeinschaftliche Organisation mit einer

gewerkschaftlichen Struktur verbunden wurde.

Fundament lokaler Organisation vieler Dorf-

gemeinschaften der Anden und Guatemalas ist

das aus der Kolonialzeit überlieferte hierar-

chisch gegliederte Ämtersystem (cargo-Sys-

tem) mit dem jährlichen Wechsel der Amtsin-

haber und in Mexiko und Guatemala auch die

religiösen Bruderschaften (cofradías). Die Ver-

sammlung der Autoritäten und der männlichen

Haushaltsvorstände der Dorfgemeinschaft

regeln alle internen Angelegenheiten. Dabei

werden überliefertes Recht und Brauchtum,

modernes nationales Recht und staatliche

Vorgaben, sowie die unterschiedlichen lokalen

aktuellen Bedingungen pragmatisch und situa-

tionsbezogen kombiniert. Frauen haben nur

Stimmrecht, wenn sie verwitwet sind oder ei-

nen abwesenden Lebenspartner vertreten. Die

Selbstverwaltung umfasst u.a. die Organisation

von Gemeinschaftsarbeiten, Regelung der

Landnutzungsrechte bei Kollektivland, Wahr-

nehmung der Beziehungen zu staatlichen In-

stitutionen, die Durchführung religiöser Zere-

monien und Feste.

Page 21: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

15

In der Stadt

Nicht nur in Ländern mit starkem indigenen

Bevölkerungsanteil lebt mittlerweile ein Groß-

teil dieser Bevölkerung in den Städten. Zum

Teil gilt dies auch für jene Länder mit einem

indigenen Bevölkerungsanteil von weniger als

20%. San Cristóbal de Las Casas in Chiapas

(Mexiko) ist eine Stadt der Maya, Mexiko-Stadt

und Buenos Aires sind Sammelbecken zahlrei-

cher indigener Zuwanderer. Viele leben schon

seit Generationen in den Städten und einige

haben einen gewissen sozialen und ökonomi-

schen Aufstieg erreicht (GOLTE & ADAMS, 1987;

STEINHAUF, 1991; ALBÓ, GREAVES & SANDOVAL,

1981-1987; siehe auch SPEISER in diesem

Band).

Seit den 80er Jahren wurde die wirtschaftliche

Integration für die große Mehrheit der Zuwan-

derer aufgrund von Wirtschaftskrisen und

Strukturwandel unter neoliberalem Vorzeichen

ungleich schwerer. Die weitgehende Marktöff-

nung und Verminderung von Zöllen hat zu

einem Wandel auf dem Arbeitsmarkt geführt,

unter anderem zu den modernen, exportorien-

tierten Weltmarktfabriken der schnell anwach-

senden Freihandelszonen, den Maquilas, in

denen zunehmend auch indigene Frauen be-

schäftigt werden. Aber auch zum Abbau von

Arbeitsplätzen, Schließung von Unternehmen

und Aufhebung der Mindestlohngrenzen (z.B.

Bolivien). Die Armutsgürtel um die Großstädte

haben sich seitdem ausgedehnt und der ge-

wünschte Aufstieg gestaltete sich immer

schwieriger. Gleichwohl hält die Landflucht an;

die Migranten hoffen auf eine einkommens-

schaffende Arbeit, auf einen besseren Zugang

zum Bildungs- und Gesundheitswesen, auf

soziale Anerkennung. Viele die aus Kriegs-

oder Konfliktzonen flohen, wie in Guatemala

und Peru, oder noch fliehen, wie in Kolumbien

oder auch Chiapas, suchen das nackte Über-

leben.

Bei der Migration spielen Verwandtschafts-

und Patenbeziehungen eine zentrale Rolle,

und die Beziehungen zwischen Stadt und Land

werden meist über Generationen aufrechter-

halten. Bei der Zuwanderung fungieren städti-

sche Verwandte oder Leute aus der Dorfge-

meinschaft als Informationsträger über das

Leben in der Stadt, sind Arbeits- und Woh-

nungsvermittler. Andere wichtige Informations-

träger sind indigene Mittler, nicht selten männ-

liche und weibliche Händler, Lehrer, Mitarbeiter

von Hilfsorganisationen, NRO oder Kirchen.

Für die Städter ist die Verbindung in ihre Her-

kunftsgemeinde oft ein wesentlicher strategi-

scher Bestandteil ihrer Überlebenswirtschaft.

Tauschhandel und vielseitige Kooperationen

zwischen Dörflern und Städtern ergänzen das

notwendige Einkommen.

Dass diese sehr komplexen Stadt-Landbezie-

hungen einen wesentlichen Einfluss auf das

kulturelle Leben in den ländlichen Gemeinden,

auf Normen und Werte, Zukunftsvorstellungen

und -erwartungen, auf das Familienleben, das

Geschlechterverhältnis und die Beziehungen

zwischen den Generationen hat, ist unüber-

sehbar. In immer schnellerem Tempo führt

dies zu vielfältigen Veränderungen. Der Wan-

del macht sich nicht zuletzt an der Rolle von

Frauen, ihren Positionen in der Gemeinschaft

und ihren Erwartungen bemerkbar. Diese Ent-

wicklungen verlaufen allerdings nicht konflikt-

frei.

Wohl die stärkste sichtbarste Präsenz indige-

ner Stadtkultur findet sich in den Andenlän-

dern. Hier sind die Lebensformen der indige-

nen Bevölkerung stark geprägt von Kulturele-

menten, deren Wurzeln im ländlichen Raum

liegen und sich insbesondere in den sozialen

Organisationsformen und Handlungsnormen

ausdrücken. Innerhalb dieser städtischen indi-

genen Bevölkerung hat eine erhebliche soziale

Stratifizierung und Ausdifferenzierung stattge-

funden, einschließlich der Herausbildung indi-

gener Mittelschichten. Das findet auch seinen

äußeren Ausdruck in den jeweiligen Wohn-

vierteln. Die Pflege der Festkultur, der Musik,

des Tanzes, der traditionellen Kleidung, der ei-

genen Sprache, die Wiederbelebung religiöser

andiner Vorstellungen und Praktiken un-

terstreichen die kulturelle Identität und kon-

struieren sie zugleich neu (ALBÓ, 1985). Be-

sonders die Aymara haben eine differenzierte

städtische indigene Kultur entwickelt (Bolivien,

Peru), die vor allem das Leben in den eigenen

Stadtteilen und der Stadt El Alto bestimmen

Page 22: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

16

(SANDOVAL & SOSTRES, 1989; STRÖBELE-

GREGOR, 1989).

In Lima, wohin der ständige Zuzug von indige-

nen Zuwanderern vom Hochland – und weni-

ger aus Tieflandregionen – insgesamt mehrere

Millionen Menschen ausmacht, sind riesige

Elendsviertel an den Rändern der Stadt ent-

standen, die sich vor allem durch prekäre Le-

bensbedingungen auszeichnen. Arme Migran-

ten bauen sich auch kleine Siedlungen inner-

halb bürgerlicher Viertel. Darüber hinaus gibt

es in Lima innerstädtische Stadtteile mit einer

älteren Zuwanderungsgeneration aus dem

Hochland, von denen es einige zu einem ge-

wissen Aufstieg gebracht haben (siehe auch

SPEISER in diesem Band).

Überleben und Tod in Zeiten des Krieges

Indigene Völker waren nicht nur im Verlauf der

kolonialen und postkolonialen Epochen in be-

sonderem Maße Opfer von Bürgerkriegen,

Ethnozid, Vertreibung, und schweren Men-

schenrechtsverletzungen, sondern auch in den

letzten Jahrzehnten. Das grausamste Beispiel

ist gewiss Guatemala. Der Krieg dauerte 36

Jahre. 1996 kam es zum Friedensabkommen.

Den Wahrheitskommissionen der UN und des

erzbischöflichen Amtes zufolge, die die Men-

schenrechtsverletzungen untersuchten (CEH,

1999; ODAHG, 1998), gehörten Terror und

Menschenrechtsverletzungen zur Aufstands-

bekämpfungsstrategie des Staates. Systemati-

sche Massaker an der indigenen Bevölkerung

waren integrales Element der “Doktrin der Na-

tionalen Sicherheit“. Mehr als 400 Maya-Dörfer

wurden im Rahmen der “Strategie der ver-

brannten Erde“ (1978-1983) zerstört oder voll-

kommen ausgelöscht. Mindestens 1 Mio. Men-

schen mussten ihre Gemeinschaften ver-

lassen, versteckten sich in den Bergen oder

flüchteten in die Städte. Jedes vierte Gewalt-

opfer war eine Frau; es fanden massenhafte

und systematische Vergewaltigungen statt

(CEH, 1999a:28; ODHAG, 1998:210).

Das Friedensabkommen beinhaltet die rechtli-

che Anerkennung der Existenz der indigenen

Bevölkerung sowie Maßnahmen zur Verbesse-

rung ihrer Rechte, ihrer wirtschaftlichen Förde-

rung und politischen Mitsprache. Sogar eine

Ombudsstelle für indigene Frauen (Defensoría

de la Mujer Indígena) wurde eingerichtet.

Gleichwohl wurden zentrale Teilabkommen

bisher nicht umgesetzt. Die wirtschaftliche

Situation der indigenen Völker Guatemalas hat

sich kaum verbessert (MINUGUA, 2003). Die

ungelösten Probleme der nationalen Versöh-

nung, ländliche Armut, Landkonflikte, ethni-

sche und geschlechtsspezifische Diskriminie-

rung schränken die Entwicklungsmöglichkeiten

insbesondere der indigenen Bevölkerung des

Landes und die Transformation zur Demokratie

erheblich ein.

Ein weiteres Land, in dem besonders die indi-

gene Bevölkerung unter dem bewaffneten

Kampf zu leiden hatte, war Peru. Im Guerilla-

krieg des “Leuchtenden Pfades“ (Sendero

Luminoso) und der Revolutionären Bewegung

Tupac Amaru (MRTKA) handelten Militär und

Guerilla nach der Devise “wer nicht für uns ist,

ist gegen uns“. In Dorfgemeinschaften, die das

Pech hatten, sich in der Kampfregion zu befin-

den, fanden Massaker, Mord, Verschleppung,

Vertreibung und Lynchjustiz statt. Die perma-

nente Angst trieb die Menschen aus den

Kampfgebieten in den Anden und die Asha-

ninka der Sierra Central zur massenhaften

Flucht. Nach den Erfolgen der Regierung Fuji-

moris bei der Guerillabekämpfung 1992 sind

zahlreiche Flüchtlinge – mit Unterstützung der

UN und von NRO – in ihre alte Heimat zurück-

gekehrt (HUHLE, 1997). Die heimgekehrten

Ashaninka müssen jedoch erneut erleben,

dass Drogenanbau und - handel, illegale Aus-

beutung natürlicher Ressourcen und ein Wie-

derauftauchen des Sendero ihre Region äu-

ßerst unsicher machen.

Zu den Opfern von Krieg und Drogenwirtschaft

in Kolumbien, wo sich Guerilla, Militär, rechte

Paramilitärs und Drogenhändler seit Jahren

bekämpfen, gehören auch viele der indigenen

Völker. Auch sie werden zwischen den Fronten

aufgerieben, werden getötet, vertrieben,

zwangsrekrutiert oder geraten unter die Herr-

schaft einer der Kriegsparteien. In Bolivien hat

die von den USA seit Jahren massiv durchge-

setzte Bekämpfung des Coca-Anbaus zur Mi-

litarisierung der Chapare-Region und damit zu

Page 23: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

17

einem permanenten Konfliktherd mit blutigen

Auseinandersetzungen zwischen Militär und

Bauern geführt.

Nicht vergessen werden sollte, wie im kurzen

Krieg zwischen Ecuador und Peru 1995 beide

Staaten die beiderseits der Grenzen lebenden

Shuar und Achuar für ihre Zwecke instrumen-

talisierten und zur Verteidigung des jeweiligen

Staates aufeinander hetzten.

3. Spannungsfeld indigenes Recht – Menschenrechte und Frauenrechte11

Wie die meisten ehemaligen kolonialen Ge-

sellschaften kennzeichnet faktischer Rechts-

pluralismus die Länder Lateinamerikas. Damit

ist das Nebeneinander mehrerer Rechtssys-

teme in einem Staatsgebiet gemeint, wobei

sich ein nationales, an bürgerlich-republikani-

schen Grundsätzen verpflichtetes Recht über-

lagert mit aus der Kolonialzeit ererbtem Recht,

mit autoritärem Recht diktatorischer Regime,

Kriegsrecht herrschender Militärregierungen

oder lokaler Kriegsherrn bzw. der Drogenmafia

sowie mit lokalen Rechtssystemen ethnischer

Gruppen, d.h. der indigenen Völker und der

Afroamerikaner. Im Recht und in den Definitio-

nen von “richtigem” und “falschem” Verhalten

kommen die zugrunde liegenden gesellschaft-

lichen Konzepte, Wertesysteme, sozialen Or-

ganisationsformen und Weltbilder zum Aus-

druck. Überlagerungen lassen duale

Rechtsauffassungen, Neudefinitionen, Mani-

pulationen von Recht zu. Indigene Rechtssys-

teme sind “zeitgenössische Erscheinungen, die

zwar in einer historischen Kontinuität zu vor-

kolonialen Rechtssystemen stehen, sich aber

in einer langen Geschichte im Zuge einer –

meist konfliktiven – Auseinandersetzung mit

dem dominanten System verändert haben”

(KUPPE, 2001:63).

Die Rechtspraxis lokaler Gesellschaften sowie

die dieser Rechtspraxis zugrunde liegenden

Werte und Formen der Streitschlichtung als

legitim zu betrachten, und als komplementär

zum nationalen Rechtssystem in der Verfas-

sung zu verankern, ist allerdings bisher erst in

einzelnen Ländern festzustellen. In Bolivien

11 ausführlich dazu STRÖBELE-GREGOR, 2002

sieht die Reform des Rechtssystems, die 1995

eingeleitet wurde, die zukünftige Institutionali-

sierung des überlieferten Rechts vor (“Justicia

tradicional o comunitaria”). Zu diesem Zweck

wurden Feldstudien über das lokale Recht bei

zahlreichen ethnischen Gruppen durchgeführt

(MJDDHH Bd.1-10, 1997/ 98) und ein Geset-

zesentwurf erarbeitet, der dem Parlament vor-

liegt. Gegenwärtig ist in fünf Ländern, Bolivien,

Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela, die

Anwendung des indigenen Rechts verfas-

sungsmäßig verankert. Diese offizielle Aner-

kennung von Rechtspluralismus12 ist jeweils

Ergebnis des politischen Kampfes indigener

Bewegungen und der Erfolg von Debatten, die

sie ausgelöst haben.

Keine Betrachtung über indigene Rechtsforde-

rungen kann von der Rechtswirklichkeit und

den bereits geschilderten gesellschaftlichen

Rahmenbedingen abstrahieren. Trotz Konsoli-

dierung von formalen Demokratien ist die Di-

vergenz zwischen Rechtsnormen und Rechts-

praxis unübersehbar, ebenso wie vielerorts

weiterhin Amtspersonen indigene Bürger dis-

kriminieren.

Auch Menschenrechtsverletzungen gehören

noch nicht der Vergangenheit an. Sie be-

schränken sich nicht auf die indigene Bevölke-

rung, doch diese ist häufig in besonderem

Maße betroffen. Die Verletzungen betreffen

sowohl die individuellen wie die sozialen Men-

schenrechte, das Recht auf politische Beteili-

gung ebenso wie auf körperliche Unversehrt-

heit und Gesundheit. Wenn Regierungen in

den Andenländern die massiven Sprühaktio-

nen mit Glyphosat und anderen Chemikalien,

die im Zuge der Drogenbekämpfung zum Ein-

satz kommen, genehmigen, wohlwissend, dass

diese schwere Gesundheitsschäden hervorru-

fen und die Gewässer und Böden vergiften,

dann verletzen sie damit nicht nur das indivi-

duelle Recht auf körperliche Unversehrtheit,

12 Unter spanischer Kolonialherrschaft, in der die Gesellschaft unterteilt war in die “Republik der Spa-nier“ und “Republik der indios“, gab es bereits eine offizielle Anerkennung von Rechtspluralismus. Die jeweiligen ethnischen Gruppen unterstanden eige-nem Recht, wobei das spanische Rechtssystem die Institutionen der indios in vielen Bereichen ein-schränkte.

Page 24: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

18

sondern auch auf Ernährung, saubere Umwelt

und damit auf die Zukunftsfähigkeit der davon

Betroffenen, überwiegend indigenen Gemein-

wesen (RÖMPCZYK, 2001). Menschenrechts-

verletzungen bei Landkonflikten – dazu gehö-

ren Morde im Zuge von Landvertreibung –

geschehen nicht nur in Brasilien (RANKIN,

1996; siehe auch RATHGEBER in diesem Band).

Staatliche Instanzen erweisen sich, wenn es

um Rechts- oder gar Menschenrechtsverlet-

zungen an Indigenen geht, nicht immer als

Durchführungsorgane des Rechtsstaats, wie

die Klagen von indigenen Repräsentanten vor

der Arbeitsgruppe der UN immer wieder zeig-

ten (SIEBERT, 1997). Vertrauen bringen Indi-

gene daher eher unabhängigen Vermittlern,

beispielsweise den Menschenrechts-Om-

budsstellen, Menschenrechtseinrichtungen der

katholischen Kirche und unabhängigen Men-

schenrechtsinstitutionen (NRO) entgegen.

Diese sind es, die neben den indigenen Orga-

nisationen Öffentlichkeit herstellen und versu-

chen, auf Regierungshandeln Einfluss zu

nehmen, damit die Rechte indigener Bevölke-

rung respektiert und Rechtsverletzungen ge-

ahndet werden.

Interne Ordnungs-, Regelungs- und Schlich-

tungsinstanzen auf lokaler Ebene sind die ei-

genen indigenen Autoritäten. In ihrer Kultur

verhaftet, sozial anerkannt und respektiert,

üben sie ihr Amt aus. Überlieferte Werte und

Normen leiten sie, aber neuere Rechtsvorstel-

lungen sind ihnen nicht fremd. Wesentliches

Kriterium ihrer Schlichtung ist es, den Konsens

und die Harmonie in der Gemeinschaft wieder

herzustellen. Die Legitimität der eigenen

Rechtssysteme ist innerhalb der jeweiligen

indigenen Gemeinschaft weitgehend unum-

stritten.

Wo liegen also die Probleme? Sie liegen in der

Frage der Verbindlichkeit von Menschenrech-

ten in nicht-westlichen Kulturen. Diese Frage

stellt sich zum einen rechtssystematisch, wenn

verfassungsmäßig Rechtsautonomie und An-

erkennung sowie Schutz kultureller und ethni-

scher Vielfalt zugesichert werden, zugleich

aber die Menschenrechte Bestandteil des nati-

onalen Rechtssystems sind. Und die Frage

stellt sich auch angesichts eines sich wandeln-

den Rechtsempfindens innerhalb indigener

Gemeinschaften. Auf der einen Seite existieren

in den indigenen Rechtssystemen Straftatbe-

stände und Strafen, die zu den Menschen-

rechten im Widerspruch stehen – beispiels-

weise ist bei einigen Völkern Ehebruch, insbe-

sondere von Frauen, strafbar und wird schwer

bestraft (ALBÓ & MAMANI, 1980). Eigentumsde-

likte werden bei fast allen Völkern mit nach

westlicher Rechtsauffassung unverhältnismä-

ßig schweren Sanktionen – harten körperlichen

oder sozialen Strafen – geahndet. Solche Stra-

fen sind mit dem nationalen Recht der jeweili-

gen Länder nicht vereinbar. In den Staaten, die

das traditionelle Recht anerkennen, gibt es

Bemühungen, die Vereinbarkeit von indigenem

Recht und nationalem Recht zu regeln, wobei

die Menschenrechte als höherrangiges Recht

Berücksichtigung finden sollen. In Kolumbien,

Bolivien, Ecuador und Peru liegen Entwürfe für

“Koordinationsgesetze” vor.

Auf der anderen Seite lassen sich im Rahmen

der Wandlungsprozesse in den indigenen Ge-

meinschaften und durch den Einfluss externer

Akteure (staatliche und private Bildungsinitiati-

ven, Entwicklungsprojekte, Menschenrechtsbü-

ros etc.) auch Veränderungen im Rechtsemp-

finden und in Rechtsvorstellungen beobachten.

Die rechtliche Situation von Frauen und die

Rechtspraxis, der sie unterworfen sind, ist hier

ein besonders aussagekräftiges Beispiel. Denn

Recht reflektiert Machtverhältnisse, und das

Geschlechterverhältnis ist eingebettet in das

jeweilige Gesellschaftskonzept und die Macht-

verhältnisse einer Gesellschaft. Je stärker die

Idee von politischer Teilhabe und Bürgerrech-

ten Verbreitung findet, desto mehr beginnen

auch Frauen diese Rechte für sich zu rekla-

mieren, wenn auch zunächst zaghaft.

Bisher ist Frauendiskriminierung, d.h. massive

Benachteiligung sowohl in den Grundrechten,

wie im Erbrecht und Landrecht, im Zugang zu

Bildung und in der Behinderung autonomer

Lebensentscheidungen eine Realität und pro-

voziert Debatten und Konflikte in indigenen

Gemeinwesen. Frauen legitimieren ihre Forde-

rungen nicht selten mit dem Bezug auf die

traditionellen indigenen Geschlechterkonzepte,

wie z.B. die Komplementarität der Geschlech-

Page 25: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

19

ter in den andinen und Maya-Kulturen. Damit

stoßen sie eine Debatte über die Geschlech-

terrollen in der eigenen Kultur an und darüber,

in welcher Weise die Konzepte im Alltagsleben

umgesetzt werden. Indirekt ist dies auch eine

kritische Auseinandersetzung mit indigener

Rechtspraxis (CAMUS, 2002).

In diesem Zusammenhang beginnen indigene

Frauen auch Gewalterfahrungen innerhalb der

eigenen Lebenswelt zur Sprache zu bringen.

Wie vereinzelte Studien zeigen (u.a. ALBÓ &

MAMANI, 1980; [DE LA] TORRE ARAUJO, 1995 &

1980; GÖBELS, 1997; HARRIS, 1985), sind diese

Gewalterfahrungen sehr weit verbreitet und

z.T. eingebettet in kulturelle Handlungsmuster.

Überliefertes indigenes Recht greift in der Re-

gel im Fall häuslicher Gewalt nicht ein, begreift

dies als intrafamiliäre Angelegenheit, die zwi-

schen den Eheleuten, den Familien bzw. Paten

– compadres, comadres – zu regeln ist.

Rechtsinformationen über Menschenrechte

ermöglichen demgegenüber, auch dieses

Thema zum Gegenstand öffentlicher Debatte

zu machen, was wiederum die Voraussetzung

für einen Wandel in der Rechtspraxis im Ge-

meinwesen ist. Häusliche Gewalt wird dann

nicht mehr als eine “Privatangelegenheit”, son-

dern als Gegenstand der öffentlichen Sphäre

verstanden und sanktioniert (STRÖBELE-

GREGOR, 1999a & b).

Bisher ist es eine offene Frage, wie Vertreter

des indigenen Rechts mit diesen Wandlungen

im Rechtsbewusstsein von Frauen und mit der

Überwindung ihrer Diskriminierung umgehen.

Nicht selten verstecken sich indigene Männer

hinter einem Diskurs, der Frauenrechtsforde-

rungen als westlichen Feminismus ablehnt, da

dies eine Entfremdung von der eigenen Kultur

sei. In den indigenen Kulturen, so das Argu-

ment, gäbe es keine Frauendiskriminierung.

Gewalt wird als Folge von Entfremdung und

Unterdrückungserfahrungen durch die domi-

nante Gesellschaft erklärt. Notwendig sei da-

her die Stärkung der eigenen Kultur. So man-

che indigene Frau der jungen Generation be-

friedigt diese Antwort jedoch nicht.

Foto: Jugendliche auf dem Weg zur Schule in Ngöbe-Buglé, Panama (K. LECKEBUSCH)

Page 26: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

20

4. Eigenständige Organisierungs- prozesse13

Indigenenbewegungen gehören seit den 80er

Jahren zu den wichtigsten sozialen Bewegun-

gen in Lateinamerika. Während der US-ameri-

kanische Geheimdienst CIA sie als potentiellen

Destabilisierungsfaktor sieht (ALEMANCIA,

2001), werden sie von anderen als innovative

Kraft geschätzt, die neue historische Akzente

setzt und die Frage der Demokratie neu stellt.

Diesem Urteil liegt nicht nur die Bedeutungs-

zunahme von ethnisch-politischen Organisati-

onen, ihren Konstruktionen von indigener Iden-

tität und von Ethnizität als Legitimations-

argument für soziale, kulturelle und politische

Forderungen sowie der ansteigende Mobilisie-

rungsgrad zugrunde. Verstärkt mischen sich

die indigenen Organisationen auch in politi-

sche Themen von nationaler und internationa-

ler Tragweite ein.

Einige wesentliche Aspekte, die die indigene

Politikgestaltung in den letzten Jahrzehnten

beeinflusst haben, sollen knapp skizziert wer-

den. Der Legitimationsverlust linker Parteien

nach dem Ende der Sowjetunion verstärkte

Tendenzen – wie auch in anderen Teilen der

Welt – Konflikte immer stärker in ethnischen,

nationalistischen und religiösen Legitimie-

rungsdiskursen zu begründen. Der Bezug auf

Ethnizität erhielt bei sozial, kulturell, wirtschaft-

lich und politisch benachteiligten Gesell-

schaftsgruppen ein zunehmendes Gewicht.

Die Forderungen indigener Organisationen

zielten (bisher) nicht auf den revolutionären

Umsturz, richteten sich aber auf die Transfor-

mation herrschender Verhältnisse in den je-

weiligen Ländern. Zu den grundlegenden For-

derungen gehört die Anerkennung eigener

Territorien (ausdrücklich!), Autonomie und

Selbstbestimmung im Rahmen der jeweiligen

Staatsgrenzen. Auch wenn ihre politischen

Strategien und Staatsvorstellungen durchaus

unterschiedlich sind, teilen die meisten indige-

nen Bewegungen Lateinamerikas die Vision

einer multiethnischen und plurikulturellen Ge-

sellschaft innerhalb einer sozial gerechten und

13 Dieser Abschnitt ist ein Ausschnitt aus der Analy-se der Organisierungsprozesse in den Andenlän-dern (STRÖBELE-GREGOR, 2004).

partizipativen Demokratie. Selbstverwaltung,

das Recht auf die natürlichen Ressourcen

innerhalb eigener Territorien, die Respektie-

rung ihrer Menschenrechte und der jeweiligen

Kulturen – einschließlich einer kulturell ange-

passten Gesundheitsversorgung und interkul-

tureller zweisprachiger Schulbildung – sind

dabei die Grundpfeiler. Wichtige Unterstützung

erfahren diese Visionen und Forderungen von

der internationalen Ebene.

Deutlich zeichnen sich damit im Vergleich zu

den 1960er und 1970er Jahren Veränderungen

im Handlungsfeld und im politischen Selbst-

verständnis von indigenen Organisationen ab.

Das betrifft sowohl die politischen Diskurse,

Zielsetzungen, Handlungsfelder als auch den

politischen Mobilisierungsradius. Seinerzeit

erfolgte die Mobilisierung der indigenen Land-

bevölkerung als Bauernbewegung und ihre

Gravitationsachse war die Landfrage (weiterhin

auch heute noch ein zentrales Thema). Für

einen Großteil der Bevölkerung indigener Her-

kunft jener Zeit bestand der Wunsch nach voll-

ständiger Integration in die nationale Ge-

sellschaft. Gleichwohl gab es bereits Organi-

sationen, die eine indigene Identität vertraten

und die Anerkennung der eigenen Kulturen

forderten. Doch deren Gewicht war begrenzt.

Seit Ende der 1980er Jahre nimmt der Bezug

auf die ethnische Identität zu, in politischen

Mobilisierungs- und Organisierungsprozessen

gewinnen ethnisch-politische Diskurse zuneh-

mend an Gewicht. Mittlerweile gibt es ein brei-

tes Spektrum von Organisationen mit ver-

schiedenen Wirkungsfeldern und durchaus

unterschiedlichen Zielen. Dazu gehören u.a.

indigene Lokalverbände, Bauerngewerkschaf-

ten, Produzenten- und Kulturvereine und Ver-

einigungen indigener Frauen. Zur Interessens-

vertretung gegenüber dem Staat und nationa-

len Machtgruppen wurden regionale Organisa-

tionsstrukturen und nationale Dachverbände

aufgebaut. Länderübergreifende Organisatio-

nen wie der Dachverband der indigenen Orga-

nisationen Amazoniens (COICA) vertreten die

Interessen indigener Völker auf internationaler

Ebene.

Lokale, regionale oder nationale Verbände

mobilisieren für Protestmärsche, organisieren

Page 27: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

21

Kasten 1: In Ecuador wurde das Wahlbündnis „Movimiento Plurinacional Pachakutik - Nuevo País“ vom

indigenen Dachverband CONAIE 1996 zur Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen gegründet. Bis dahin

hatte die CONAIE stets zum Wahlboykott aufgerufen, aber angesichts des unerwarteten Zuspruchs der

Bevölkerung bei einer massiven Kampagne 1995 gegen die Privatisierungspläne des staatlichen Sektors, an

der sich Gewerkschaften, linke Parteien und die CONAIE beteiligt hatten, entstand der Plan einer eigenen

Partei. Der große Erfolg von Pachakutik bei seiner ersten Wahlbeteiligung (1996) gab der Strategie recht.

Erstmals wurde eine indigene Frau, die Rechtsanwältin Nina Pacari, Vizepräsidentin des Parlaments. In den

darauffolgenden Jahren konnte Pachakutik seinen politischen Einfluss ausbauen bis hin zu einer Regie-

rungsbeteiligung 2002. Diese Beteiligung an einer Koalitionsregierung stellte sich jedoch, so ACOSTA (2004),

als eine politische Fehlentscheidung heraus. Pachakutik fehlte es zum einen an einer der schwierigen Wirt-

schaftslage angemessenen Programmatik, zum anderen hatte das Wahlbündnis seine politische Durchset-

zungskraft in der Koalition nicht richtig eingeschätzt. Sowohl der Druck des Präsidenten wie auch von

CONAIE und der Basis zwang die Pachakutik-Minister 2003 von ihren Ämtern zurückzutreten.

die Besetzungen von Erdölbohrstellen und

Staudamm-Großprojekten, bringen in Zusam-

menarbeit mit NROs Biopiraterie, illegalen

Holzeinschlag und Umweltzerstörungen ans

Licht der Öffentlichkeit und decken die Kompli-

zenschaft staatlicher Institutionen auf. Sie arti-

kulieren die politischen wirtschaftlichen und

kulturellen Forderungen. Zum Angelpunkt wer-

den zunehmend die Territorial- und Autono-

mieforderungen. Als Beispiel dafür gelten u. a.

die Kuna in Panama, die ihre Autonomie der

comarcas schon vor Jahrzehnten durchsetzen

(allerdings in einem bewaffneten Aufstand).

Bezugspunkte sind auch das Autonomiegesetz

der Atlantikküste von Nicaragua, das noch aus

der Kolonialzeit stammende Recht der Resgu-

ardos Indígenas in Kolumbien und die Territo-

rialgesetze für die amazonischen Völker Brasi-

liens. In Ländern wie Mexiko, Chile, Bolivien

steht die Durchsetzung der Forderung nach

selbstverwalteten Territorien noch auf der poli-

tischen Agenda indigener Organisationen.

Zugleich setzte Ende der 1980er Jahre mit der

Ausweitung des politischen Aktionsradius der

Organisationen eine neue Entwicklung ein. In

Mexiko, Guatemala und in den Andenstaaten

Ecuador, Bolivien und Kolumbien treten indi-

gene Organisationen als Sprachrohr der

Benachteiligten und Unzufriedenen auf und

sind in der Lage, soziales Protestpotenzial

über die eigenen Reihen hinaus zu mobilisie-

ren. Umgekehrt beteiligen sich indigene Orga-

nisationen an Protesten und Opposition gegen

soziale, ökonomische oder politische Maß-

nahmen, die nicht nur Indigene betreffen. Hin-

zu kommt die Strategie des parlamentarischen

Weges sowie die Übernahme von Verantwor-

tung und von Funktionen in der lokalen und

regionalen Verwaltung. Seit den 1980er Jahren

wurden verstärkt eigene politische Parteien

gegründet; zunächst hielten sie sich nicht sehr

lange, weil es nicht gelang, eine größere Ak-

zeptanz bei der indigenen Bevölkerung aufzu-

bauen. Das hat sich in den 1990er Jahren

geändert. Mittlerweile gibt es indigene Parla-

mentarier, Minister, Bürgermeister, Kreisver-

waltungen, Senatoren. In Quetzaltenango stellt

die indigene Partei Xel-Ju seit 1995 die Depar-

tementsregierung. In Bolivien wurde 1994 erst-

mals ein Mann indigener Herkunft Vizepräsi-

dent, und Ende der 1990er Jahre war der

Gouverneur des Departements Cauca in Ko-

lumbien ein Angehöriger des indigenen Volkes

der Guambiano (siehe auch FELDT in diesem

Band).

Page 28: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

22

Trotz der gemeinsamen Forderung nach Aner-

kennung der Rechte der indigenen Völker und

der Berufung auf die Konvention 169 der ILO

sind die ideologischen Unterschiede im breiten

Spektrum der indigenen Organisationen und

persönlichen Profilierungsinteressen von Füh-

rungspersonen nicht zu übersehen. Dass dies

gemeinsames politisches Handeln zur Verbes-

serung der Lebensbedingungen verhindern

kann und Gegnern oder Interessengruppen in

die Hände spielt, zeigt das Beispiel in Peru, wo

zwei Dachverbände der Tieflandvölker,

AIDESEP (Asociación Interétnica para el De-

sarrollo de la Selva Peruana) und CONAP

(Confederación de Nacionalidades Amazóni-

cas del Perú) miteinander um internationale

Gelder und Anerkennung als Verhandlungs-

partner der Regierungen konkurrieren.

Mit Bezug auf die von Regierungen und inter-

nationalen Gebern entworfenen Entwicklungs-

strategien stellen Indigene klar, dass ihre Vor-

stellungen von einem würdigen Leben nicht

deckungsgleich mit Entwicklungsprogrammen

sind, die ihnen von außen vorgegeben werden.

Viele indigene Organisationen sprechen von

einer „eigenständigen Entwicklung“, die nicht

eine Kopie westlicher Lebensstile sein soll.

Gleichwohl bleibt hier noch vieles vage, fehlt

es an klaren Visionen und an Programmatik.

Es besteht dringender Diskussionsbedarf in-

nerhalb der indigenen Organisationen und bei

den Völkern darüber, wie denn ein „Leben in

Würde“ oder ein „gutes Leben“, wie es die

indigenen Völker anstreben (vgl. MEDINA, 2001

& 2002), zu gestalten ist.

Auch wenn der Einzug in die Parlamente in-

nerhalb der indigenen Völker vieler Staaten als

ein wichtiger und notwendiger Schritt auf dem

Weg zur politischen Teilhabe gewürdigt wird,

sind die Erfahrungen, die indigene Bewegun-

gen dabei machen, mehr als ambivalent. Zwar

sind sie stärker an den politischen Debatten

beteiligt, gleichwohl müssen sie erleben, dass

die herrschende politische Kultur und die

Durchsetzungskraft von Machtgruppen sie

daran hindert, Einfluss auf politische Entschei-

dungen von Tragweite zu nehmen. Ecuador ist

ein Lehrstück. Die Beteiligung von Pachakutik

an der Koalitionsregierung in Ecuador verdeut-

licht, vor welchen Herausforderungen indigene

Bewegungen stehen, wenn sie sich an einer

Regierung beteiligen.

5. Erste Teilerfolge auf nationaler und internationaler Ebene

Politische Diskurse und Strategien der indige-

nen Organisationen zeigen Wirkungen. Regie-

rungen geraten unter Legitimitätsdruck, da

zunehmend breitere Teile der Bevölkerung

sowie Gewerkschaften und Oppositionspar-

teien die Forderungen unterstützen. Zu den

Teilerfolgen auf der politischen Ebene gehört,

dass einige Staaten Rechts- und Verfassungs-

reformen verabschiedet haben, in denen die

kulturelle und ethnische Diversität bzw. der

multikulturelle und pluriethnische Charakter der

lateinamerikanischen Staaten14 sowie die indi-

genen Sprachen und Kulturen anerkannt wur-

den (siehe auch ABRAM in diesem Band), die

ILO-Konvention 169 ratifiziert wurde und damit

Rechtsstatus erhielt15 und zahlreiche Einzel-

rechte reformierten16 (siehe auch RATHGEBER

in diesem Band). In einigen Staaten wurden –

wie dargestellt – weitreichende territoriale

Rechte zugestanden.

Indigene Verbände auf dem internationalen Parkett

Maßgeblich gefördert wurde die Reformbereit-

schaft der Regierungen durch die internatio-

nale Konjunktur. Da war die kritische Be-

standsaufnahme von Geschichte und Gegen-

wart anlässlich des Gedenkens an die Erobe-

rung vor 500 Jahren und da waren das von

den Vereinten Nationen erklärte Jahr der Indi-

genen Völker 1993 und die UN-Dekade für

Indigene Völker ab 1995, die internen Kolonia-

lismus, Rassismus, Unterdrückung, Ausbeu-

14 Argentinien 1994, Bolivien 1994, Brasilien 1988, Kolumbien 1991, Costa Rica 1977, Ecuador 1998, Guatemala 1985, Nicaragua 1986, Panamá 1972 und 1983, Paraguay 1992, Peru 1993, Mexiko 1992. 15 In Lateinamerika sind dies: Mexiko 1990, Kolum-bien 1991, Bolivien 1991, Costa Rica 1993, Para-guay 1993, Peru 1994, Honduras 1995, Guatemala 1996, Ecuador 1998, Argentinien 2000, Venezuela 2002. 16 Eine aktuelle Analyse der Rechtssituation in den verschiedenen Staaten bietet BARIÈ, 2003 (über www.indigenista.org)

Page 29: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie

23

tung, religiöse und kulturelle Intoleranz in einer

breiten Öffentlichkeit thematisierten. Zugleich

hatte die beharrliche, jahrelange Arbeit von

Menschenrechtsgruppen gemeinsam mit Or-

ganisationen indigener Völker weltweit in der

ILO sowie in der “Arbeitsgruppe für indigene

Fragen“ in der Unterkommission für Men-

schenrechte der UN erreicht, dass internatio-

nale Organisationen das Thema "Rechte indi-

gener Völker" auf die Tagesordnung setzten.

Die Konvention 169 der ILO wurde zur Grund-

lage und Argumentationshilfe für Forderungen

gegenüber den Regierungen – und ist es wei-

terhin. Zudem verbinden die ethno-politischen

Organisationen ihre Forderungen argumentativ

auf internationaler Ebene mit Prinzipien von

Demokratie, Partizipation und guter Regie-

rungsführung und beziehen sich auf internatio-

nal gültige Rechte, Konventionen und Verein-

barungen (siehe auch SPEISER in diesem

Band). Damit stärken sie nicht nur ihre Legiti-

mität auf nationaler Ebene. Es gelingt ihnen

damit auch, internationale Öffentlichkeit für die

Problemlage und Forderungen indigener Völ-

ker herzustellen, und Bündnispartner zu ge-

winnen.

Es war die Zapatistenbewegung EZLN in Chi-

apas (Mexiko), die mit ihren Aktionen nicht nur

internationale Aufmerksamkeit für ihre eigene

Situation und gesellschaftliche Forderungen

erzeugte. Ihre unorthodoxen Methoden und

Nutzung modernster Kommunikationstechnik

bewirkten in der internationalen Öffentlichkeit

ein gesteigertes Interesse an der Lage indige-

ner Völker Lateinamerikas insgesamt. Und die

Forderungen nach Anerkennung kultureller

Diversität, Autonomie und Demokratisierung

der Gesellschaft trafen auf Zustimmung einer

breiten internationalen Öffentlichkeit. Seit Mitte

der 1990er Jahre fehlt in kaum einem globali-

sierungskritischen Diskurs die Bezugnahme

auf indigene Visionen über eine “andere Welt”

und alternative Lebensformen; es gibt kaum

eine internationale Veranstaltung zum Thema

Neuordnung der Welt, auf der nicht indigene

Organisationen aus Lateinamerika präsent

sind und ihre kritische Stimme erheben, sei es

in Sevilla im Juni 2002 bei der Gegenveran-

staltung zum G7-Gipfel, sei es bei den ver-

schiedenen internationalen Sozialforen. Indi-

rekt stärkt diese internationale Präsenz zwei-

felsohne auch die Position auf der heimischen

politischen Bühne, weil es den Regierungen

damit schwerer fällt, die Legitimität der Forde-

rungen der Indigenen zu negieren. Diese Ent-

wicklung zeigt nicht nur, dass es den indigenen

Völkern gelang, in der internationalen Öffent-

lichkeit Gehör zu finden, sondern dass dies

geschieht, weil sich mit ihren Forderungen

zentrale Fragen von Demokratie und der Men-

schenrechte verbinden. Und es zeigt zugleich,

dass sie in der internationalen Öffentlichkeit

immer mehr Unterstützer und auch Verbündete

finden.

Wenig spektakulär, dafür von großer Bedeu-

tung ist die Lobbyarbeit auf dem Parkett der

Vereinten Nationen, auf dem Vertreter indige-

ner Völker seit über fünfzehn Jahren dafür

kämpfen, eine Deklaration zu den Rechten der

indigenen Völker zu verabschieden und einen

international anerkannten Status zu bekom-

men, womit ihre Rechtsposition und damit

auch ihre Verhandlungsmacht gegenüber Re-

gierungen gestärkt würde (SIEBERT, 1997;

COICA, 2000; JUÁREZ, 2000). Bisher ist dies

am Widerstand der nationalen Regierungen

gescheitert.

Am 13. Mai 2002 kam es endlich zur Gründung

des “Ständigen Forums für Indigene Fragen“

bei den Vereinten Nationen. Dieses beratende

Gremium ist dem Wirtschafts- und Sozialrat

(ECOSOC) der UN angegliedert. Seine 16

Mitglieder setzen sich zur Hälfte aus Vertretern

der Nationalstaaten und indigenen Organisati-

onen zusammen. Ihr Mandat beschränkt sich

allerdings auf Empfehlungen für UN-Gremien

und Entscheidungen müssen nach dem Kon-

sensprinzip gefällt werden, was Regierungen

stets die Möglichkeit gibt, Forderungen und

Klagen indigener Völker zu verhindern. Den-

noch wird die Schaffung dieses Gremiums als

ein wichtiger Schritt zur gleichberechtigten

Anerkennung indigener Völker bewertet, da

ihre Vertreter damit endlich einen offiziellen

Status in der UN erhalten (GFBV Newsletter

122, 13.5.02). Das Thema “Rechte Indigener

Völker und ihre Forderungen” erhält damit

mehr Gewicht auf der internationalen Tages-

ordnung.

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Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

DR. SABINE SPEISER

Welche Rolle spielen indigene Völker für die

internationale Zusammenarbeit (IZ) im Zeitalter

der Globalisierung, der IZ als globaler Struk-

turpolitik? Welche Rolle spielt dabei die Ent-

wicklungszusammenarbeit (EZ) mit immer

weniger Ressourcen, einer wachsenden Kon-

zentration auf Beratung nationalstaatlicher

oder transnationaler Institutionen und Förde-

rung makroökonomischer Prozesse für die

indigenen Völker Lateinamerikas und der Kari-

bik mit einer Gesamtzahl von 40 bis 50 Millio-

nen Menschen (8 bis 10% der Bevölkerung)?1

Wer braucht wen? Braucht man sich? Wer

definiert die Regeln der Zusammenarbeit und

wie wird deren Einhaltung beobachtet? Sind

Indigene einfach “mit gemeint“? Nehmen sie

sich selbst als Adressaten, d.h. Teilzielgruppe

der internationalen Zusammenarbeit wahr?

Partizipieren sie an den positiven Wirkungen

der Maßnahmen – als Arme in Armutsminde-

rungsprojekten, als Bauern und Bäuerinnen in

Maßnahmen der ländlichen Entwicklung, als

Klein- und Mittelunternehmer/innen, als Lehr-

kräfte usw.? Diesen Fragen widmet sich das

Kapitel in gebotener Kürze in 4 Schritten: (1)

einem Rückblick auf das Verhältnis indigene

Völker und Internationale Zusammenarbeit, (2)

dem Hintergrund der Diskussion: indigene

Völker auf der internationalen Ebene, (3) der

deutschen EZ mit indigenen Völkern und (4)

einer abschließenden Reflektion.

1. Indigene Völker und Entwicklungs-zusammenarbeit: eine schwierige Geschichte

Die Entwicklungspolitik, ein relativ junges Poli-

tikfeld, folgt meist Vorgaben anderer Politikfel-

der und durchlief in ihrer kurzen Geschichte

1 Nach Schätzung der Interamerikanischen Entwick-lungsbank (IDB):www.iadb.org/sds/ind/index_ind_e.htm; vgl. hierzu die Zusammenstellung von BARIÉ, 2004 und in Anhang 1

einige konzeptionelle und strategische Wand-

lungen. Dies betrifft auch die Zielorientierung

und die Rolle, die Zielgruppen und zivilgesell-

schaftliche Akteure bei der Konzipierung des

Politikfeldes und bei dessen Umsetzung in

Projekten und Programmen spielen. Indigene

Völker waren nicht von Anfang an Thema der

deutschen, europäischen oder internationalen

Zusammenarbeit. Diese stand vielmehr seit

Ende des 2. Weltkrieges und damit zu Beginn

der Entwicklungszusammenarbeit unter den

Prämissen der Systemkonkurrenz zwischen

Ost und West. Während dieser ersten Deka-

den der EZ leisteten die Industrieländer Beiträ-

ge zu einer “nachholenden Entwicklung und

Modernisierung“ der jeweiligen Partnerländer.

In dieser Zeit, in die ebenfalls die Unabhängig-

keit ehemaliger afrikanischer Kolonien fiel, war

die entwicklungstheoretische Diskussion be-

stimmt vom Paradigma des Wachstums und

der Erwartung einer schnellen Angleichung

des Südens an die wirtschaftlichen Standards

des Nordens. Dieser Ansatz ist mittlerweile

gescheitert, eine nachholende Entwicklung der

Länder des Südens fand nur höchst unvoll-

ständig statt und implizierte für die Gesell-

schaften, insbesondere für arme und margina-

lisierte Bevölkerungsgruppen, hohe soziale

Kosten, einschließlich der direkten Zerstörung

ihrer Lebensgrundlagen. Letzteres gilt insbe-

sondere für große Infrastrukturmaßnahmen,

die nicht nur durch die IZ sondern auch durch

die Nationalregierungen selbst realisiert wur-

den, wie beispielsweise durch den Abbau von

Bodenschätzen (siehe auch FELDT in diesem

Band).

Als Gegenentwurf zum Paradigma der Moder-

nisierung entwickelte sich vor allem in Latein-

amerika die Dependenztheorie, die “Unterent-

wicklung“ als Folge von Abhängigkeiten des

Südens vom Norden interpretierte und andere,

vornehmlich politische “Entwicklungsentwürfe“

vorlegte. Die Dependenztheorie nahm mit ih-

rem ökonomistischen Ansatz die Realität der

Page 35: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

29

indigenen Völker ebenfalls nicht wahr. Seit den

späten 1950er Jahren war der lateinamerikani-

sche Kontinent von revolutionären Umbrüchen

und den Reaktionen darauf bestimmt. Den-

noch fanden ab den 1970er Jahren auch indi-

gene Völker Lateinamerikas, insbesondere des

Tieflandes internationale Aufmerksamkeit. Eine

besondere Rolle nimmt dabei der von Sozial-

wissenschaftlern getragene Aufruf der ersten

Konferenz von Barbados (“Symposium on

Inter-Ethnic Conflict in South America“, 1971)

ein: Indigene sollten vor entfremdenden Au-

ßeneinflüssen bewahrt und ihr Recht, die eige-

ne Entwicklung zu definieren und umzusetzen

anerkannt werden. Die konsequente Empfeh-

lung war der Rückzug weitgehend aller Au-

ßeneinflüsse (Declaration of Barbados, 1971,

Internetveröffentlichung).2 Die noch stellvertre-

tend für die indigenen Völker sprechende Kon-

ferenz (Barbados I) wurde 1977 gefolgt von

Barbados II mit intensiverer Teilnahme und

unter Leitung indigener Vertreter/innen. Die

Erklärung von Barbados II fasst die Situation

indigener Völker u.a. in der folgenden Schluss-

folgerung zusammen (CONTRERAS, 1988:179):

“Los pueblos indoamericanos están divididos

internamente o entre sí por la acción de las

políticas de integración, educativas, de desa-

rrollo, los sistemas religiosos occidentales, las

categorías económicas y las fronteras de los

estados nacionales.“ Die hierzu international

geführte Diskussion begann die Wahrnehmung

der Entwicklungsagenturen und Geberländer

hinsichtlich ihrer Einflüsse auf indigene Völker

und deren Rolle in der Gesellschaft der Part-

nerländer zu schärfen. Von größerem Einfluss

auf die Orientierung in der EZ waren jedoch

die Prozesse der Sichtbarwerdung indigener

Völker auf der internationalen Bühne der UN.

In der vierten Entwicklungsdekade (1991-

2000) erfolgte ein umfassender Paradigmen-

wechsel hin zum “Leitbild nachhaltiger Ent-

wicklung, das soziale, kulturelle, wirtschaftli-

che, politische und ökologische Aspekte zu

einem Gesamtkonzept integriert“ (KLEMP,

2000:61). Erst in diesem Prozess gelang es

den Entwicklungsagenturen, die Zielgruppen

2 http://www.nativeweb.org/papers/statements/ state/barbados1.php

und ihre sozialen, sozio-kulturellen und kultu-

rellen Potenziale und Konditionen in den Blick

zu bekommen: Männer und Frauen, Angehöri-

ge verschiedener sozialer Schichten und eth-

nischer Gruppen. Diese Entwicklungen finden

ihren Ausdruck in entsprechenden Veröffentli-

chungen, wie z.B. durch das BMZ: Soziokultu-

relle Kriterien für Vorhaben der Entwicklungs-

zusammenarbeit (1992), Sektorübergreifendes

Zielgruppenkonzept (1995) und 1999 das Par-

tizipationskonzept. Das Jahr 1992 – das Ge-

denken an 500 Jahre Eroberung oder “Begeg-

nung der Kulturen“ – und die Organisation

dieses Gedenkens durch indigene Völker in

Lateinamerika erleichterte ihre internationale

Wahrnehmung.

Einen Ausdruck finden diese Reflektionen

auch in der Verabschiedung des Papiers “För-

derung von Waldvölkern im Rahmen des Tro-

penwaldprogramms“ und des “Konzepts zur

Zusammenarbeit mit indianischen Bevölke-

rungsgruppen in Lateinamerika“ durch das

BMZ (beide 1996). Auch andere bilaterale

Geber und multilaterale Agenturen legten in

der Dekade der 1990er Jahre entsprechende

Konzepte vor. Die Diskussion war von zweier-

lei Interesse geleitet: Vorrangig war das Inte-

resse an der nachweislichen Wirksamkeit des

eigenen entwicklungspolitischen Tuns, d.h. der

Projekte und Programme der EZ und damit

auch an der Sicherung positiver Wirkungen auf

indigene Bevölkerungsgruppen. Wenn dies

nicht nachweisbar war, so sollte doch zumin-

dest abgesichert werden, dass indigenen Ziel-

gruppen kein Schaden zugefügt wurde.3

Diese frühen Ansätze zur Wahrnehmung indi-

gener Völker – von deutscher Seite auf Latein-

amerika und die Karibik konzentriert – bezogen

sich vor allem auf die indigenen Völker in Tief-

landregionen, meist in Waldregionen mit labi-

lem ökologischen Gleichgewicht. Im Zusam-

menhang mit der ökologisch orientierten

Nachhaltigkeitsdiskussion kamen indigene

Völker und ihre Formen angepasster Ressour-

cennutzung und damit ihre Funktionalität für

3 Im “Do-no-harm“-Ansatz im Kontext der Forderung von Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung wurde dieses Interesse außerhalb des spezifischen Zielgruppenbezugs auf indigene Völker zum metho-dischen Ansatz weiterentwickelt.

Page 36: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

30

Maßnahmen des Natur- und Ressourcen-

schutzes in den Blick. Die Verknüpfung des

ethnischen mit dem ökologischen Diskurs er-

folgte international nach langen und schwieri-

gen Debatten insbesondere zum Konzept des

Schutzes natürlicher Ressourcen, an denen

auch indigene Organisationen aktiv beteiligt

waren. Dies findet in den Erklärungen des

“Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung“ 1992

in Rio de Janeiro seinen prominentesten Aus-

druck. Da der ökologische Diskurs international

mehr Aufmerksamkeit auslöste als die Forde-

rungen nach Anerkennung indigener Völker

führte die gelungene Verknüpfung beider zu

einer international größeren Aufmerksamkeit

für indigene Völker in ihrer Rolle als Bewahrer

natürlicher Ressourcen und labiler ökologi-

scher Gleichgewichte. Auf Grund seiner Be-

deutung wird dieser Ansatz bis heute verfolgt.4

Foto: Saraguro- Bevölkerung im Hochland Ecuadors (S. REINHARDT)

Die Wahrnehmung indigener Völker durch die

Institutionen der EZ korreliert auch mit den

Rollen, die indigene Völker innerhalb ihrer

Nationalstaaten einnahmen. Noch in den

1970er Jahren herrschte der Diskurs des

“mestizaje“ (Mestizisierung) vor, der die direkte

Ausgrenzung indigener Bevölkerung ablöste,

selbst jedoch ebenfalls eine Spielart von Aus-

grenzung darstellt: Indigene Völker werden

durch die Einebnung und Verleugnung ethni-

scher und kultureller Charakteristika nur als

Mestizen sozial anerkannt. Internationale Ent-

4 Vgl. die Arbeitsgruppe “Indigene Völker des Fach-verbundes Ländliche Entwicklung“ der GTZ (FORO

DE PROYECTOS “DESAROLLO RURAL EN LATINOAMÉRICA

Y CARIBE“, 2002; 2003) und das Positionspapier im TZ - Pilotvorhaben Umwelt und Ressourcenschutz der GTZ, 1993.

wicklungen, v.a. auf der UN-Ebene, haben die

allmähliche Anerkennung in den einzelnen

Ländern beeinflusst. In den 1980er Jahren

wurden in vielen lateinamerikanischen Ländern

indigene Völker, ihre Kulturen und Sprachen,

ihre damit verbundenen spezifischen Forde-

rungen zur Kenntnis genommen und in Geset-

zen, teilweise auch in neuen Verfassungen

aufgegriffen. Dieser Prozess verband sich in

vielen lateinamerikanischen Staaten mit der

Demokratisierung nach Phasen der Militärdik-

tatur. Aktueller Endpunkt dieser Entwicklung ist

die Verankerung des Konzepts einer multi-

ethnischen oder multikulturellen Gesell-

schaft (teilweise pluriethnisch und plurinational

genannt) in der Verfassung wie in Bolivien,

Brasilien, Ecuador, Guatemala, Kolumbien,

Nicaragua, Panama, Paraguay und Venezuela

(vgl. die zusammenfassende Analyse latein-

amerikanischer Rechtssysteme durch BARIÉ,

2004).

Die einzelnen Stränge dieses Prozesses der

Sichtbarwerdung indigener Völker, ihre Aner-

kennung in ihren Nationalstaaten, der Aufbau

von Vertretungsstrukturen auf unterschiedli-

chen Ebenen bis hin zu den UN und ihre “Be-

rücksichtigung“ in den Agenturen und Instan-

zen der Entwicklungszusammenarbeit ist von-

einander nicht zu lösen. Der Präsenz indigener

Vertreter auf UN-Ebene kommt dabei erhebli-

che Bedeutung zu. Mittlerweile ist IZ für indi-

gene Völker und ihre Organisationen eine der

Umfeldbedingungen, die sie in ihren Strategien

aufgreifen und an deren Gestaltung sie sich

beteiligen (wollen). Ein wesentliches Element

dieses neuen Verhältnisses Indigene Völker –

Internationale Zusammenarbeit ist die Aner-

kennung der jeweiligen Kompetenzen und

Interessen sowie ein dialogischer Prozess. Die

gesamtgesellschaftlichen Bedingungen in den

Partnerländern, die Positionen und Situationen

indigener Völker, ihre Kulturen und Lebens-

weisen sind ebenso wie die Konzepte und

Positionen der Institutionen der IZ permanen-

tem Wandel unterworfen. Angesichts dieses

Wandels sind alle Beteiligte immer wieder neu

Page 37: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

31

zu einer eigenen Positionierung im Dialog auf-

gefordert.5

2. Hintergrund der Diskussion: Indigene Völker auf internationaler Ebene

Hauptunterstützer im Prozess der Sichtbar-

werdung indigener Völker waren die Vereinten

Nationen mit ihren Verlautbarungen mit welt-

weiter Gültigkeit. Indigene Völker aus Latein-

amerika und der Karibik waren ihrerseits wich-

tige Motoren dieser Entwicklung auf UN-

Ebene.

International Labour Organisation (ILO)

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO,

International Labour Organisation) ist eine

Sonderorganisation der Vereinten Nationen.

Sie wurde bereits 1919 gegründet und 1946 in

die UN eingegliedert. Ihre Themen sind seit

nahezu 100 Jahren soziale Gerechtigkeit,

Menschenrechte und Arbeitsrechte. Die ILO ist

das erste supranationale Gremium, das die

Thematik der indigenen Völker aufgriff und bis

heute die einzigen internationalen Regelwerke

hierzu verantwortet. Bereits 1957 wurde die

ILO Konvention 107 “Convention Concerning

the Protection and Integration of Indigenous

and other Tribal and Semi-Tribal Populations in

Independent Countries“ erarbeitet und verab-

schiedet, entsprechend dem damaligen Dis-

kussionsstand in einer durch Integration und

Assimilation geprägten Sicht auf die indigenen

und in Stämmen lebenden Völker. Nach der im

Auftrag der UN durch MARTÍNEZ COBO (1987)

durchgeführten Studie, der Einrichtung einer

Arbeitsgruppe zu indigenen Bevölkerungen

und dem Paradigmenwechsel in der internatio-

nalen Diskussion forderten auch indigene Ver-

treter zunehmend die Überarbeitung der Kon-

vention. Die Konvention 169 “Indigenous and

Tribal Peoples Convention“ ist Produkt dieser

Überarbeitung. Sie wurde 1989 verabschiedet

und trat 1991 in Kraft. Sie ist aktuell der Aus-

gangspunkt aller internationalen Dokumente,

Erklärungen und Übereinkünfte sowie der EZ-

5 Das BMZ bereitet aktuell in Zusammenarbeit mit Entwicklungsagenturen und NRO die Fortschrei-bung seines Konzeptes zur Zusammenarbeit mit indigenen Völkern vor, das mit indigenen Vertre-ter/innen abgestimmt werden soll.

Konzepte zu indigenen Völkern. Sie ist auch

wichtigster Bezugspunkt für indigene Organi-

sationen und ihre politischen Forderungen.

Die Konvention 169 garantiert als einziges

internationales Regelwerk mit völkerrechtlicher

Verbindlichkeit den indigenen Völkern das

Recht auf eigenes, meist historisch begründe-

tes Land,6 auf ihre Kultur und Sprache, und

verpflichtet die unterzeichnenden Regierungen

auf Mindeststandards bei der Umsetzung die-

ser Rechte. Sie betont den besonderen Beitrag

indigener Völker zur kulturellen Vielfalt.

Die Konvention verwendet den Begriff “Völker“,

schließt jedoch die damit verbundenen völker-

rechtlichen Ansprüche explizit aus. Die Dis-

kussion um diese Begrifflichkeit wird immer

wieder geführt. Auf deutscher Seite hat man

bislang den Begriff der “Bevölkerungen“ bzw.

“Bevölkerungsgruppen“ verwandt. In Anleh-

nung an internationale Vereinbarungen und

indigene Erwartungen wird in dieser Veröffent-

lichung von “Völkern“ im o.g. eingeschränkten

Sinn gesprochen.

Mit Relevanz für die Entwicklungszusammen-

arbeit spricht die Konvention 169 den indige-

nen Völkern das Recht zu, “ihre eigenen Priori-

täten für den Entwicklungsprozess“ festzule-

gen und bei der “Aufstellung, Durchführung

und Bewertung von Plänen und Programmen

für die nationale und regionale Entwicklung

mitzuwirken“. Damit verpflichtet sie auch die

Geberländer sowie die multilateralen Organisa-

tionen zu dieser partizipativen Vorgehenswei-

se.

Bisher wurde die Konvention von den folgen-

den lateinamerikanischen Staaten ratifiziert:

Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica,

Dominikanische Republik, Ecuador, Guatema-

la, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Paraguay,

Peru, Venezuela. Darüber hinaus haben Fi-

dschi, die Niederlande und Dänemark die Kon-

vention ratifiziert.7 Für Panama und El Salva-

6 Zur Diskussion um Land, Territorium, Habitat und die Implikationen dieser Konzepte, siehe auch RATHGEBER in diesem Band. 7 Das EU Parlament hat die Mitgliedsstaaten 2002 aufgefordert, dem Beispiel Dänemarks und der Niederlande zu folgen und die Konvention zu ratifi-zieren, vgl. A5-0451/23002.

Page 38: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

32

“Respecto a demandas de cooperación inter-nacional puedo señalar lo siguiente. Dere-chos, Democracia y Ciudadanía, Recursos naturales renovables y no renovables, Fo-mento Económico, Educación.”

FROILAN CONDORI (CSUTCB) Bolivien (Quelle: persönliche Kommunikation)

dor, die die Konvention 107, nicht aber die

Konvention 169 ratifizierten, bleibt erstere ver-

bindlich. Nach einer Analyse der IDB wird die

Konvention im jeweils nationalen Recht höchst

unterschiedlich, zum Teil jedoch auch von

Ländern umgesetzt, die sie nicht ratifiziert ha-

ben.8 Auf der Grundlage einer qualitativen

Analyse der für Indigene relevanten Geset-

zeswerke reicht die Spannbreite der Imple-

mentierung von über 80% in Mexiko und Ko-

lumbien bis zu 20% in Guatemala.

Daneben sind indigene Völker und ihre Rechte

auch von anderen ILO Standards betroffen,

beispielsweise in der Konvention 29 zur

Zwangsarbeit (1930), Konvention 111 zu Dis-

kriminierung in Arbeit und Beschäftigung

(1958) und der “UN-Konvention zur Beseiti-

gung jeder Form von Rassendiskriminierung

(1965).“

In diesem Zusammenhang ist auch die “Ameri-

can Declaration on the Rights of Indigenous

Peoples“ zu erwähnen, die auf Ebene der Or-

ganisation Amerikanischer Staaten (OAS) be-

arbeitet wird, aber noch nicht verabschiedet ist.

Erst 1999 wurde der von den Staaten erarbei-

tete Erklärungsentwurf für die Kommentierung

durch indigene Vertreter/innen geöffnet und

2001 gemeinsam diskutiert. Die Kontroversen

sind noch nicht ausgeräumt.

Arbeitsgruppe zu indigenen Völkern

Für die Präsenz indigener Völker war daneben

insbesondere seit 1982 die Arbeitsgruppe zu

indigenen Bevölkerungen von Bedeutung. Die

Arbeitsgruppe wurde im September 1981 von

der Unterkommission für die Förderung und

den Schutz der Menschenrechte vorgeschla-

gen, im März 1982 von der UN-

Menschenrechtskommission angenommen

und im Mai 1982 von ECOSOC (Wirtschafts-

und Sozialrat der UN) gebilligt. Sie hält seit 20

Jahren ein jährliches Arbeitstreffen ab. Diese

Arbeitsgruppe ist die offenste der UN-Gremien

für indigene Völker: auch Vertreter/innnen von

indigenen Organisationen können daran teil-

nehmen. Sie ist aktuell in ihrem Fortbestand in

die Diskussion geraten.

8 Vgl. entsprechende Details unter http://www.iadb.org/sds/ind

Indigene Dekade (1995-2004)

Einer Empfehlung der Weltkonferenz über

Menschenrechte (1993 in Wien) folgend, die

ebenfalls die indigenen Völker mit ihrem “ein-

zigartigen Beitrag zu gesellschaftlicher Ent-

wicklung und Pluralismus“ würdigte, rief die

UN-Generalversammlung (Resolution 48/163

of 21 Dezember 1993) die “Internationale De-

kade der autochthonen Bevölkerungsgruppen

der Welt 1995-2004“ (im folgenden “indigene

Dekade“) aus. Ziel der Dekade war es u.a. die

internationale Zusammenarbeit auf die Lösung

der Probleme, mit denen indigene Völker kon-

frontiert sind (Umwelt, Menschenrechte, Ent-

wicklung, Bildung, Gesundheit u.a.) zu orientie-

ren. In ihrem Verlauf sollte außerdem eine UN-

Erklärung zu indigenen Rechten verabschiedet

werden.

Mit Beginn der indigenen Dekade berief die

Kommission eine weitere Arbeitsgruppe zur

Erarbeitung eines Textentwurfs ein, mit dem

Ziel, im Rahmen der Indigenen Dekade der

UN-Vollversammlung einen konsensfähigen

Erklärungsentwurf vorzulegen: “Open Ended

Working Group on the Draft Declaration on the

Rights of Indigenous Peoples“ (WGDD). Diese

Arbeitsgruppe mit einer feststehenden Mit-

gliedschaft hat 1993 einen Entwurf zu einer

UN-Erklärung zu Rechten der indigenen Völker

erarbeitet, der seit 1994 der Menschenrechts-

kommission zur weiteren Bearbeitung vorliegt.

Der Vorschlag ist sehr weitreichend:

“(…) covers rights and freedoms including the

preservation and development of ethnic and

cultural characteristics and distinct identities;

protection against genocide and ethnocide;

rights related to religions, languages and edu-

cational institutions; ownership, possession or

use of indigenous lands and natural resources;

protection of cultural and intellectual property;

Page 39: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

33

maintenance of traditional economic structures

and ways of life, including hunting, fishing,

herding, gathering, timber-sawing and cultiva-

tion; environmental protection; participation in

the political, economic and social life of the

States concerned, in particular in matters

which may affect indigenous people's lives and

destinies; self-determination; self-government

or autonomy in matters relating to indigenous

peoples' internal and local affairs; traditional

contacts and cooperation across State

boundaries; and the honouring of treaties and

agreements concluded with indigenous peo-

ples. The draft declaration also foresees mutu-

ally acceptable and fair procedures for resolv-

ing conflicts or disputes between indigenous

peoples and States, involving means such as

negotiations, mediation, arbitration, national

courts, and international and regional human

rights review and complaints mechanisms”

(UNHCHR, 1995, Internetveröffentlichung).

Hauptschwierigkeit ist die kontroverse Diskus-

sion um das Selbstbestimmungsrecht indige-

ner Völker.

Zum Ende der Dekade muss aktuell festge-

stellt werden, dass die Ziele nicht

zufriedenstellend erreicht worden sind. Die

Auswertung der Wirkungen der Dekade durch

Vertreter/innen indigener Organisationen

weltweit kommt ebenfalls zu einem nur

eingeschränkt positiven Ergebnis (vgl.

CONFERENCIA DEL MILENIO DE LOS PUEBLOS

INDÍGENAS, 2001). Die Arbeitsgruppe hatte

daher vorgeschlagen, die Dekade um weitere

10 Jahre zu verlängern. Dies wurde jedoch

bisher abgelehnt.

Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission

Neben der Durchführung von international

beachteten Studien (vgl. MARTÍNEZ COBO, 1987

und DAES, 2000) und der Einrichtung der Ar-

beitsgruppen und Diskussionsforen benannte

die UN-Menschenrechtskommission einen

Sonderberichterstatter für indigene Angele-

genheiten, Dr. Rodolfo Stavenhagen. Jährlich

legt der Sonderberichterstatter der UN-

Menschenrechtskommission einen Bericht

über die Situation indigener Völker vor, mit

besonderer Relevanz für die Länder, die er im

Laufe des Jahres besuchte und für die er eige-

ne nationale Berichte erstellte, so zum Beispiel

für Chile (2003) und Kolumbien (2004). Außer-

dem ist er Ansprechpartner für alle indigenen

Völker, Organisationen und Individuen, die sich

direkt an ihn wenden können.

Ständiges Forum für indigene Fragen

Einer weiteren Empfehlung der Weltkonferenz

zu Menschenrechten (Wien, 1993) folgend,

beschlossen die UN die Einrichtung des “Stän-

digen Forums für indigene Fragen“, das seit

2002 direkt an den ECOSOC angegliedert ist.

Es nimmt die Forderung indigener Organisati-

onen auf, offiziell im UN-System verankert zu

sein. Mitglieder des Ständigen Forums sind 16

unabhängige Experten, die als Personen in

dieses Gremium berufen werden. Acht Mitglie-

der werden von den Regierungen vorgeschla-

gen und weitere acht setzen sich aus Angehö-

rigen indigener Völker zusammen, die vom

Präsidenten des ECOSOC bestimmt, d.h. nicht

direkt von indigenen Organisationen ernannt

werden. Aufgabe des Forums ist die Beratung

der Vereinten Nationen bei Angelegenheiten,

die indigene Völker betreffen. Befugnisse (Be-

ratung oder Entscheidung), Zusammensetzung

(berufen oder entsandt) und der Name des

Forums (“für indigene Völker“ oder “für indige-

ne Fragen“) wurden lange diskutiert und nicht

zur Zufriedenheit der indigenen Vertreter/innen

gelöst. Das Forum tagt seit 2002 einmal im

Jahr und wird 2007 evaluiert werden.

Weltkonferenzen

Die grundlegenden Positionen der UN zum

Schutz und zur Förderung indigener Völker

wurden in den einschlägigen Weltkonferenzen

seit der 1990er Dekade jeweils auf die spezifi-

sche Thematik und ihre Relevanz für indigene

Völker ausformuliert. Die jeweiligen Erklärun-

gen werden auch in der Entwicklungszusam-

menarbeit als sektorale Richtwerte und Emp-

fehlungen aufgegriffen.

Die Empfehlungen der Weltkonferenz zu Men-

schenrechten 1993 in Wien wurden bereits

genannt. Die beiden “Weltkonferenzen zur

Bekämpfung des Rassismus und Rassendis-

kriminierung“ (1978 und 1983) haben die spe-

Page 40: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

34

“Support should be targeted directly to in-digenous peoples organisations rather than the creation of complex organisational struc-tures which serve as obstacles to decision-making, disbursement and implementation. The partnership model (...) provides a useful potential model for such an approach (...)”

MARCIAL ARIAS (Direktor der Stiftung zur Förderung traditionellen Wissens, Panama) (Quelle: ARIAS, 2002:23)

zifische Diskriminierung indigener Völker und

in ihrer Abschusserklärung einige der im Ent-

wurf der WGDD genannten Prinzipien themati-

siert. Ausführlich und eindrücklich finden sich

die Interessen und Rechte indigener Völker in

der “Weltkonferenz gegen Rassismus, Ras-

sendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und

damit zusammenhängender Intoleranz“ (2001

in Durban) und deren Schlusserklärung wieder

(UNHCHR, 2001).

Von besonderer Bedeutung für die Entwick-

lungszusammenarbeit aber auch für die Situa-

tion indigener Völker war der erste “Weltgipfel

für nachhaltige Entwicklung“ 1992 in Rio de

Janeiro. Insbesondere die Agenda 21 identifi-

ziert indigene Völker neben Frauen und Ge-

werkschaften als relevante Gruppen und stellt

in ihrem Kapitel 26 deren wichtige Rolle für die

nachhaltige Entwicklung heraus. Dies wurde

im Jahr 2002 in der Erklärung von Johannes-

burg über nachhaltige Entwicklung (Rio plus

10; Artikel 25) erneut bestätigt.

Das “Übereinkommen über die biologische

Vielfalt“ (Biodiversitätskonvention) wurde eben-

falls 1992 in Rio de Janeiro erarbeitet und bis-

her von 186 Staaten und der EU unterzeichnet.

Mit dem Artikel 8j (In-situ-Erhaltung) der Kon-

vention wird erstmals Existenz und Bedeutung

traditionellen Wissens als allgemeines Kultur-

gut indigener Gemeinschaften anerkannt. Da-

mit wird auch das Einverständnis indigener

Wissensträger zur breiten Nutzung traditionel-

len Wissens und ihre Beteiligung am dabei

entstehenden Gewinn festgelegt. Die schwieri-

ge konkrete Umsetzung dieser Rechtsgrundla-

ge beschäftigt nicht nur die darauf spezialisier-

te UN-Sonderorganisation WIPO (Weltorgani-

sation für geistiges Eigentum), sondern eben-

falls die Abkommen über handelsbezogene

Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum

(TRIPS) (siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in

diesem Band).

Auch die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo

(1994), die Weltfrauenkonferenz 1995 in Pe-

king und Habitat II (1996) in Istanbul griffen die

Thematik auf, konstatierten die spezifische

Problematik indigener Völker und bestätigten

ihre Rechte und Rolle für eine nachhaltige

Entwicklung ihrer Gesellschaften.

Indigene Völker sind ebenfalls bei den Welt-

kongressen zu Naturschutzgebieten (IUCN)

seit 1996 beteiligt und werden in den jeweili-

gen Erklärungen und Empfehlungen zuletzt

2003 in Durban entsprechend gewürdigt; ihre

grundlegenden Forderungen nach Land, Res-

sourcen und Beteiligung werden explizit aner-

kannt (siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in die-

sem Band).

Andere UN-Organisationen

Auch andere spezialisierte UN-Organisationen

haben sektorspezifische Positionierungen hin-

sichtlich indigener Völker vorgenommen. Die

WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat über

die Panamerikanische Gesundheitsorganisati-

on (PAHO) mit spezifischem Fokus auf Latein-

amerika 1997 die Initiative “Strategic Orientati-

ons for the Implementation of the Health of the

Indigenous Peoples“ lanciert (siehe auch

HEISING & REINHARDT in diesem Band). Die

Organisation der Vereinten Nationen für Bil-

dung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) hat

in ihrer jüngsten Erklärung zur kulturellen Viel-

falt9 im vierten Artikel verdeutlicht: “The defen-

ce of cultural diversity is an ethical imperative,

inseperable from respect for human dignity. It

implies a commitment to human rights and

fundamental freedoms, in particular the rights

of persons belonging to minorities and those of

indigenous peoples.“ Aber auch in Vorläufer-

dokumenten mit weniger verbindlichem Cha-

rakter, wie dem Bericht “Unsere kreative Viel-

falt“ (1995) der “Weltkommission Kultur und

Entwicklung“ unter Leitung von Pérez de Cuel-

lar wird auf die Bedeutung kultureller Diversität

9 “This is a legal instrument, which recognizes, for the first time, cultural diversity as a common heri-tage of humanity” (UNESCO, 2001).

Page 41: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

35

und die Rolle, die indigene Völker dabei spie-

len, aufmerksam gemacht. Diese international

relevanten Verlautbarungen werden als Be-

gründung für den Schutz indigener Völker und

der von ihnen verbürgten Vielfalt herangezo-

gen. Auch UNEP (Umweltprogramm der Ver-

einten Nationen) bearbeitet die Thematik indi-

gene Völker und hebt dabei besonders ihre

Rechte, Zwangsumsiedlung zu vermeiden, und

sich an Entscheidungsfindungen und im Sinne

eigener Prioritäten zu beteiligen, hervor. Dabei

sollen vor allem indigene Frauen und Indigene

in Konflikt- und Postkonfliktsituationen unter-

stützt werden.

UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten

Nationen) verabschiedete erst im Jahr 2001

nach mehreren Konsultationsrunden auch mit

indigenen Organisationen das Konzept “UNDP

and Indigenous Peoples – A Policy of Enga-

gement“. UNDP fokussiert in seiner Kooperati-

on mit indigenen Völkern auf intellektuelle Ei-

gentumsrechte, Armutsreduzierung sowie Kon-

fliktprävention und Friedensförderung, und will

Perspektiven und Entwicklungskonzepte indi-

gener Völker in die eigene Arbeit integrieren.

Damit soll langfristig die Beteiligung indigener

Völker auf allen Entscheidungsebenen erreicht

werden.

Foto: Maya Kinder in Guatemala (A. BEGEMANN)

Mit diesen verbindlichen Vereinbarungen der

Völkergemeinschaft wird für die Entwicklungs-

zusammenarbeit ein Rahmen vorgegeben und

sektoral präzisiert, der für multi- und bilaterale

Geber und Entwicklungsagenturen nicht nur

eine hilfreiche Orientierung sein kann, sondern

Standards definiert und bindenden Charakter

hat. Die auf UN-Ebene vereinbarten Rechte

indigener Völker betreffen nicht nur die Ver-

tragsstaaten der ILO Konvention 169 und die

Staaten mit indigenem Bevölkerungsanteil,

sondern auch all jene Staaten und Institutio-

nen, die mit ihrem Einfluss die Entwicklung

anderer Länder und damit auch die Chancen

und Möglichkeiten dort lebender indigener

Völker mitbestimmen.

Die Gremien indigener Völker auf UN-Ebene

greifen ihrerseits die international diskutierten

Themen in ihren Sitzungen auf, und versuchen

damit Synergien mit anderen mehr beachteten

Institutionen des UN-Systems zu erwirken. So

war das zentrale Thema des “Ständigen Fo-

rums für indigene Fragen“ 2003 “Indigene Kin-

Page 42: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

36

der und Jugendliche“. Damit ergab sich 2003

eine inhaltliche Synergie mit den Bemühungen

um die Anerkennung der Kinderrechte durch

das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen,

UNICEF (Kinderrechtskonvention von 1989,

insbesondere Artikel 30: Rechte indigener

Kinder). UNICEF, 2003 wiederum hatte die

Thematik indigener Kinder zum Jahresthema

erklärt und die Veröffentlichung “Ensuring the

Rights of Indigenous Children“ vorgelegt. Die

Bedeutung dieser Synergien kann nicht über-

schätzt werden: Wenn UNICEF die Thematik

indigener Kinder und Jugendlicher aufgreift,

und die Rechte der entsprechenden Konventi-

on spezifisch für diese Zielgruppe thematisiert,

hat das eine breitere Wirkung als die Diskussi-

onen im eher intern wahrgenommenen “Stän-

digen Forum“.10 Eine ähnlich strategische Ver-

knüpfung von Themen und politischen Forde-

rungen leistet die WGDD mit dem zentralen

Thema für 2004 “Indigene Völker und Konflikt-

bearbeitung“, angesichts der zunehmenden

Relevanz, die das Thema der Konfliktbearbei-

tung international und in der IZ gewinnt.

Weltbank

Als eine der ersten multilateralen Institutionen

hat die Weltbank – auch auf Grund der spezifi-

schen Kritik gegen bankenfinanzierte Großpro-

jekte vor allem im Bereich von Infrastruktur-

maßnahmen – im September 1991 ihre Leitli-

nien für die Zusammenarbeit mit indigenen

Völkern, die “Operational Directive (OD) 4.20“

veröffentlicht, mit dem Ziel

sicherzustellen, dass indigene Völker von

Entwicklungsprojekten profitieren und,

mögliche negative Auswirkungen der Akti-

vitäten der Bank auf indigene Völker zu

vermeiden oder zu überwinden.

Hierzu soll ein “Indigenous People's Develop-

ment Plan“ verhelfen, in dessen Rahmen Fra-

gen mit Relevanz für indigene Völker als Teil

des Dialogs zwischen Bank und den Empfän-

gerländern festgeschrieben werden.

10 Als Indikator für die unterschiedliche Bedeutung und Bekanntheit der Konventionen sei auf die An-zahl der unterzeichnenden Staaten hingewiesen: ILO Konvention 169: 16 und Kinderrechtskonventi-on: 192.

Das Konzept definiert indigene Völker nach

den Kriterien der Selbstidentifizierung und

Identifizierung durch andere, Sprache, eigener

sozialer Institutionen, einer engen Bindung an

ihr traditionelles Land und ihre Umwelt und

einer an Subsistenzwirtschaft orientierten Pro-

duktion. Diese Definition schließt weite Teile

indigener Bevölkerung aus, explizit die Indige-

nen, die nicht in der Landwirtschaft tätig, bzw.

in Städte migriert sind.

Das Konzept befindet sich in Überarbeitung.

Die neue Version wird als Operational Policy/

Bank Procedures 4.10 “World Bank Draft Indi-

genous Peoples Policy“ seit 2001 mit Regie-

rungen, Nichtregierungsorganisationen (NRO),

Experten und indigenen Organisationen disku-

tiert.

Gleich bleibt in der neuen Version die Fokus-

sierung auf indigene Völker im ländlichen

Raum, einschließlich der Anerkennung indivi-

dueller und kollektiver Landrechte und der

Betonung indigenen Wissens. Indigene

Migrant/innen werden von diesem Konzept

weiterhin explizit ausgeschlossen (siehe auch

SPEISER in diesem Band). Positiv ist eine stär-

kere Beteiligung der indigenen Gemeinschaf-

ten bei der Entwicklung und Umsetzung von

Projekten, Konsultations- und Beteiligungs-

rechten vor allem auch indigener Frauen. Die

Umsetzung des Konzeptes in den Vorhaben

der Bank soll stärker operationalisiert werden,

beispielsweise im empfohlenen “Poverty and

Social Impact Analysis“.11

Interamerikanische Entwicklungsbank

Bereits seit Mitte der 1980 Jahre war es erklär-

tes Ziel der Interamerikanischen Entwicklungs-

bank (IDB), auf eine größtmögliche Vermei-

dung negativer Neben- und Folgewirkungen

ihrer Arbeit auf die indigenen Völker Latein-

amerikas zu achten. Folgerichtig wurden die

Anliegen indigener Völker seit Beginn der

1990er Jahre verstärkt in den Maßnahmen der

IDB berücksichtigt.

Im Februar 2004 hat die IDB nun eine eigene

Indigenenpolitik in zwei Entwürfen (2004a;

11 Vgl. http://lnweb18.worldbank.org/ESSD/ sdvext.nsf/81ByDocName/PSIAintheWorldBank

Page 43: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

37

2004b) zur weiteren Diskussion vorgelegt:

“Strategic Framework for Indigenous Deve-

lopment“ und “Operational Policy on Indige-

nous Peoples”. Fokus ist dabei ”development

with identity“, “(…) a concept that recognizes

the conditions of material poverty, inequality

and exclusion of indigenous peoples, as well

as the potential of their cultural, natural and

social assets, with a view to increasing their

access, with gender equality, to the opportuni-

ties for socioeconomic development, at the

same time as strengthening their identity, cul-

ture, territoriality, natural resources and social

organization, under the premise that sustain-

able development requires the initiative and

empowerment of the beneficiaries, respect for

their individual and collective rights, and the

recognition that indigenous peoples’ develop-

ment significantly benefits society as a

whole.”12 Dieser Fokus soll in Projekten, Richt-

linien, Instrumenten etc. der Interamerikani-

schen Entwicklungsbank verbreitet und zur

Umsetzung gebracht werden.13

Weltbank und IDB unterhalten zusammen mit

anderen Entwicklungsorganisationen seit 1991

das Netzwerk “Interagency network on indige-

nous issues“, das erstmalig in Washington

1991, danach vier weitere Male, zuletzt im Mai

2002 in Santa Cruz, Bolivien, organisiert durch

den Fondo Indígena, zusammentrat. Haupt-

sächliches Ziel des Netzwerks sind der Infor-

mationsaustausch und die wechselseitige Un-

terstützung bei der Verbesserung der eigenen

Arbeit mit indigenen Völkern.14

Europäische Union

Für die europäische Entwicklungszusammen-

arbeit, auch für die bilaterale Kooperation der

europäischen Länder, ist die Position der Eu-

ropäischen Union (EU) von besonderer Rele-

vanz, auch wenn sie für die Mitgliedsstaaten

12 Vgl. http://www.iadb.org/sds/doc/ind-GN2296E.pdf 13 Eine Reihe von Studien, die für Umsetzung und Monitoring der neuen Politik von Bedeutung sind, sind auf der spezialisierten Internetseite der IDB einsehbar: http://www.iadb.org/sds/ind 14 Vgl. http://wbln0018.worldbank.org/ESSD/ indigenous.nsf/Control?OpenView&DN=1&SC=QUE +ES+LA+RED+INDIGENA?&

und die EU-Administration nicht bindend ist.15

Grundlage der EU-Position ist eine Resolution

des Europäischen Parlaments von 1994, in der

die UN-Standards für die Kooperation mit indi-

genen Völkern anerkannt werden (A3-

0059/94). Berücksichtigt wurden ebenfalls die

Ergebnisse einer 1995 von der “European

Alliance with Indigenous Peoples“ durchgeführ-

ten Studie zu den Auswirkungen von EU finan-

zierten Entwicklungsvorhaben auf indigene

Völker. Ausgehend von einer Initiative Däne-

marks und Spaniens hat die Europäische Uni-

on ihre Politik der Entwicklungszusammenar-

beit mit indigenen Völkern im “Working Docu-

ment of the Commission on support for indige-

nous peoples in the development co-operation

of the Community and the Member States“

vom 11. Mai 1998 und in der für die Mitglieds-

staaten bindenden Resolution des Europäi-

schen Rats vom November des gleichen Jah-

res definiert (EUROPÄISCHE UNION, 1998a,

1998b).

Das Ziel der entwicklungspolitischen Koopera-

tion der EU mit indigenen Völkern ist die Stär-

kung ihrer Rechte und Fähigkeiten, eine eige-

ne soziale, ökonomische und kulturelle Ent-

wicklung zu gestalten. In diesem Sinne soll der

Wirkungsgrad der europäischen Entwicklungs-

politik erhöht und die Förderung indigener Völ-

ker als Querschnittsaufgabe der EU in alle

Vorhaben integriert werden. In Fragen der

Anerkennung des Widerspruchsrechts indige-

ner Völker bei Projekten geht das EU-

Arbeitsdokument über die internationalen Vor-

gaben hinaus: “Indigene Völker haben das

Recht, ihren eigenen Entwicklungsweg zu

wählen, was das Widerspruchsrecht bei Pro-

jekten beinhaltet, speziell auf ihren traditionel-

len Gebieten. Dies umfasst auch Kompensati-

onen, wo Projekte negative Auswirkungen auf

die Lebensumstände von indigenen Völkern

haben“ (Art. 6).

Hinsichtlich der Maßnahmen in Einzugsgebie-

ten von und mit Auswirkungen auf indigene

Völker verweist das Arbeitsdokument auf das

Konzept des “freien, frühzeitigen und infor-

15 Die EU ist einschließlich der bilateralen Koopera-tion der EU Mitgliedsstaaten weltweit der größte Geber (GRIFFITHS, 2003:30).

Page 44: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

38

mierten Konsens“16. In Genehmigungspro-

zessen ist die Zustimmung indigener Völker

bei Projekten, die sie betreffen, rechtzeitig und

umfassend einzuholen.

Die Koordination der Zusammenarbeit mit indi-

genen Völkern ist in der Generaldirektion

“Auswärtige Beziehungen“ angesiedelt. In ei-

nem Bericht der Kommission an den Rat wur-

den im Juni 2002 die Fortschritte bei der Um-

setzung der Politik in konkrete Leitlinien und

Projekte zusammengefasst. Belange und

Rechte indigener Völker werden im Rahmen

eines Trainingsprogramms zu Menschenrech-

ten für das Personal der EU-Kommission the-

matisiert. Die EU-Kommission stellte im inter-

nationalen Workshop (SPEAKING OUT, 2002)

ihren Bericht zur Diskussion. Die beteiligten

indigenen Vertreter/innen formulierten ihre

Empfehlungen für die weitere Arbeit. Hieraus

soll neben den Forderungen nach einer ver-

bindlichen Politik und der besonderen Beto-

nung indigener Landrechte hervorgehoben

werden: “It is necessary to include the con-

cerns of indigenous peoples in the elaboration

of Country Strategies and in thematic strate-

gies, taking into account the Convention of

Cotonou between the EU and the ACP coun-

tries which contemplates the participation of

non-State actors in the elaboration of country

strategies“. Diese Empfehlung verdeutlicht

zweierlei: Zum einen die Notwendigkeit, Leitli-

nien der spezifischen Vereinbarungen zu indi-

genen Völkern in die übrigen Strategien einzu-

führen, und zum anderen dabei die direkte

Beteiligung indigener Vertreter zu ermöglichen.

Die indigenen Vertreter/innen machten klar,

dass die von ihnen angestrebte langfristig ori-

entierte Partnerschaft über die Projektebene

hinausgeht (vgl. SPEAKING OUT, 2002: Conclu-

sions, Pkt. 3). Dabei wird die Bedeutung der

Reziprozität unterstrichen: “Mutuality means

that there is a recognition that each party

brings something distinct and special to the

relationship, and therefore have different roles

in the relationship. (...) on the basis of equality,

taking into account the historical reality of each

of the actors in this co-operation“ (SPEAKING

16 Eigene Übersetzung, (“free, prior and informed consent“), siehe auch unten.

OUT, 2002: Conclusions, Pkt. 5). Des weiteren

wird die EU nachdrücklich aufgefordert, ihre

Prinzipien der Zusammenarbeit mit indigenen

Völkern in einer umfassenden und für die Mit-

gliedsstaaten und die eigene Administration

bindenden Politik weiter zu bearbeiten, und

dabei die Vertreter/innen indigener Völker zu

beteiligen.

Dieser Ansatz spiegelt sich ebenfalls in den

Empfehlungen des “Ständigen Forums für

indigene Fragen“ bei den UN an bi- und multi-

laterale Institutionen der EZ wider. Aus indige-

ner Sicht ist es eine doppelte Strategie, die

zum Einsatz kommt: die Verankerung des

Themas und der indigenen Völker als Partner

über eigene Strukturen, möglichst mit einem

hohen Anteil an Partizipationsmöglichkeiten

der indigenen Organisationen, und gleichzeitig

die Verknüpfung mit bestehenden Strukturen.

Dem kommen die Entwicklungsagenturen nicht

in ausreichendem Maße nach, da sie sich zwar

in einzelnen Dokumenten und Rahmenrichtli-

nien auf die Achtung und Förderung indigener

Völker verpflichtet haben, das Mainstreaming

der Blickrichtung auf indigene Völker aber nicht

überzeugend und nachvollziehbar in ihren

Projekten und Programmen umsetzen.

Aktuell kann diese Verknüpfung in den neuen

Armutsminderungsstrategien (Poverty Reduc-

tion Strategy Process PRSP) beobachtet wer-

den. Das “Poverty Reduction Strategy Paper“

Boliviens vom Mai 2001 beispielsweise greift

die Thematik indigener Völker und ihre Anfor-

derungen und Potenziale zur Armutsminde-

rung auf. Es ist somit ein Beispiel gelungenen

Mainstreaming. Hinweise finden sich auch in

den PRSP (PRS Paper) für Honduras vom

Dezember 2003. Wie sich dies in der Umset-

zung auswirkt, wird beobachtet werden müs-

sen.

Auch außerhalb der EZ thematisieren die Gip-

feltreffen zwischen der EU und den lateiname-

rikanischen Staaten die Belange indigener

Völker und bestätigen deren Recht auf Aner-

kennung einschließlich ihrer Sprachen und

Page 45: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

39

Kulturen und auf den Schutz ihrer traditionellen

Wissensbestände (OEI, 1999; 2002; 2004).17

3. Deutsche EZ und indigene Völker

Im europäischen Kontext haben folgende Län-

der ein eigenes Konzept für ihre bilaterale EZ

mit indigenen Völkern verabschiedet: Nieder-

lande 1993, Dänemark 1994, Spanien 1997,

Schweiz 1998. Im November 1996 verab-

schiedete das Bundesministerium für wirt-

schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

(BMZ) sein “Konzept zur Entwicklungszusam-

menarbeit mit indianischen Bevölkerungsgrup-

pen in Lateinamerika“18, das anders als Kon-

zepte anderer Geber sich ausschließlich auf

Lateinamerika und die Karibik bezieht. Diese

geografische Konzentration, die sich im Kon-

zept der spanischen EZ ebenfalls wiederfindet,

nicht jedoch im dänischen und im EU-Konzept,

wird mit dem Organisationsgrad indigener Völ-

ker in Lateinamerika und der Erarbeitung eige-

ner Entwicklungsoptionen begründet, die die

Umsetzung eines spezifischen Förderansatzes

in Lateinamerika erfolgversprechender er-

scheinen lassen. Grundlage für die Erarbeitung

des Konzeptes waren die internationalen Kon-

ventionen und Empfehlungen der UN sowie die

bis dato in der Kooperation mit den indigenen

Völkern und den Ländern bzw. Regierungen

gewonnenen Erfahrungen. Das Konzept gilt

seither als verbindliche Orientierung für die

Durchführungsorganisationen der deutschen

Entwicklungszusammenarbeit, wurde 1999/

2000 evaluiert und soll in Kürze auf der Grund-

lage der Ergebnisse weiterer Fallstudien in

ausgewählten Ländern (Guatemala, Bolivien,

Ecuador, 2004) überarbeitet und fortgeschrie-

ben werden. Anders als in seiner ersten Versi-

on (1996), in der Nicht-Regierungs-

Organisationen, nicht aber indigene Vertre-

17 Internetveröffentlichung http://www.oei.es/rio2.htm ; http://www.oei.es/ueal2002b.htm und http://www.oei.es/guadalajara.pdf 18 Das BMZ-Konzept von 1996 spricht von “indiani-scher Bevölkerung“ oder “indianischen Bevölke-rungsgruppen“. Inzwischen besteht Einverständnis darüber, von “indigenen Völkern“ zu sprechen, wo-bei der Begriff “Volk“ nicht im völkerrechtlichen Sinn gebraucht wird. Eine terminologische Angleichung an den internationalen Sprachgebrauch ist für die Fortschreibung des Konzeptes zu erwarten.

ter/innen an den Diskussionen beteiligt waren,

sollen jetzt auch indigene Vertreter/innen aktiv

an der Fortschreibung der Konzeption mitwir-

ken.

Das BMZ Konzept zielt auf die “Verstärkung

des EZ Engagements zugunsten indigener

Bevölkerungsgruppen“, beinhaltet aber explizit

“keine einseitige Privilegierung indigener Ziel-

gruppen oder die Unterstützung ethnisch orien-

tierter separatistischer Bestrebungen“ (BMZ,

1996b:3). Begründet wird der Fokus auf indi-

gene Völker mit einer zusammenfassenden

Analyse ihrer anhaltenden Benachteiligungen,

und der in der Praxis unzureichenden Umset-

zung internationaler Verpflichtungen (ILO Kon-

vention 169).

Trotz dieser Missachtungen der Rechte indi-

gener Völker sieht das BMZ Konzept Anknüp-

fungspunkte in den lateinamerikanischen Staa-

ten “zu grundlegenden Veränderungen in ih-

rem Verhältnis zu der eigenen indianischen

Bevölkerung“ (BMZ, 1996b:6). Die deutsche

Entwicklungszusammenarbeit unterstützt indi-

gene Völker bei der Formulierung, Durchset-

zung und Anerkennung ihrer legitimen Rechte

im Kontext ihrer Zielsetzungen, wie:

Armutsbekämpfung

Wahrung der Menschenrechte

Konsolidierung demokratischer Gesell-

schaftsstrukturen

Politische Partizipation aller Bevölke-

rungsgruppen

Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am

gesellschaftlichen Wohlstand

Anerkennung traditioneller Kenntnisse und

Anerkennung nachhaltiger Bewirtschaf-

tungsformen in sensiblen Ökosystemen

In Regionen mit hohem indianischem Bevölke-

rungsanteil in den Andenländern, im Chaco-

Gebiet (Paraguay/ Bolivien), im Amazonasbe-

cken und in Mittelamerika konzentriert sich die

bisherige Förderung. Eine einseitige Konzent-

ration auf im Tropenwald ansässige indiani-

sche Bevölkerungsgruppen soll explizit ver-

mieden werden. Das BMZ fördert Ansätze der

Zusammenarbeit auf regionaler Ebene, u.a.

Page 46: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

40

“(…) como mujer, indígena y ex-dirigenta del movimiento indígena, a nombre de los pue-blos indígenas del Ecuador agradezco el trabajo de la Cooperación Alemana en el Ecuador, y decir que ahora más que nunca, en esta nueva coyuntura que viven las comu-nidades y organizaciones exhortar a que sigan cooperando como lo vienen haciendo en todos los campos: educativo, ambiental, procesos participativos y democráticos, forta-lecimiento de economías territoriales y forma-ción de líderes.”

LOURDES TIBÁN, CONAIE, Ecuador (Quelle. persönliche Kommunikation)

“Otro tipo de cooperación ha sido la coopera-ción solidaria, la cual ha generado procesos con el pueblo. Estos procesos han sido parti-cipativos y la contraparte nacional se ha transformado en una fuente permanente de consultoría para que las políticas de estado se mantengan a largo plazo.”

ANGEL RAMÍREZ, DINEIB, Ecuador (Quelle: persönliche Kommunikation)

auch durch die länderübergreifende Kooperati-

on und Vernetzung von Einzelvorhaben.

Indigene Zielgruppen sollen laut BMZ Konzept

sektorunabhängig immer einbezogen werden,

wenn sie von einem Projekt direkt oder indirekt

betroffen sind. Darüber hinaus nennt das Kon-

zept spezifische Schwerpunkte der direkten

Kooperation mit indigenen Völkern wie z.B.:

Gesetzliche Absicherung der tradierten

Rechtsansprüche (individuelle und ge-

meinschaftliche Eigentums-, Besitz- und

Nutzungsrechte)

Schutz vor Zwangsumsiedlung, entschädi-

gungsloser Enteignung und sonstigen Ein-

griffen in ihren Lebens- und Wirtschafts-

raum

Sicherung des Zugangs zu Krediten, Bera-

tungsdiensten und Landverteilung

Stärkung der lokalen Vertretungs- und

Selbsthilfestrukturen der indianischen Ge-

meinschaften in Projekten zur Dezentrali-

sierung

Berücksichtigung des indianischen Ge-

wohnheitsrechts und von Konfliktregelun-

gen im Rahmen von Kooperationen im

Rechts- und Justizbereich

Grundbildung – hier insbesondere interkul-

turelle zweisprachige Erziehung (IZE)

Medien

Rechtsberatungs- und Selbsthilfeeinrich-

tungen

Gender

Diese Schwerpunkte finden sich weitgehend in

der Projektwirklichkeit wieder. Insbesondere

werden Projekte mit explizitem Bezug zu indi-

genen Völkern in den Bereichen ländliche

Entwicklung, Erhaltung des Tropenwaldes,

Verbesserung von Primarschulbildung und –

momentan weitgehend abgeschlossen – auch

von Basisgesundheitsdiensten durchgeführt.

Im Einklang mit der internationalen Diskussion

betont das Konzept des BMZ die Notwendig-

keit, die indigene Bevölkerung bei der Projekt-

findung über den gesamten Projektzyklus früh-

zeitig und dauerhaft einzubeziehen, und die

Vorhaben auch an den Vorstellungen und der

Bereitschaft zur Mitarbeit der indigenen Ge-

meinschaften zu orientieren. Dabei muss mit

der gebotenen Vorsicht eine Überforderung

der indigenen Organisationen vermieden wer-

den. Eine wesentliche Bedeutung nimmt die

Qualifizierung indigener Fach- und Führungs-

kräfte und die Förderung lokaler Trägerstruktu-

ren, insbesondere indigener Organisationen

ein.

Auf der Ebene des Politikdialogs mit den Part-

nerregierungen mahnt das Konzept die Einbe-

ziehung indigener Belange an. In die jeweiligen

Konzepte, die für die Entwicklungszusammen-

arbeit mit den einzelnen Ländern und für ver-

schiedene Sektoren vom BMZ erarbeitet wer-

den, sollen für Indigene relevante Themen und

Projekte aufgenommen werden. Das Latein-

amerikakonzept des BMZ ist ein Beispiel hier-

für. Die Thematik und Belange indigener Völ-

ker sind auch in den folgenden Konzepten und

Veröffentlichungen des BMZ präsent:

Zugang zu genetischen Ressourcen und

Vorteilsausgleich (2001)

Page 47: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

41

Sektorkonzept Wald und nachhaltige Ent-

wicklung (2002)

Halbierung der Armut – Zweiter Zwischen-

bericht (2002)

Entwicklungszusammenarbeit mit Zentral-

amerika (2002)

Sektorkonzept Förderung der Grundbil-

dung in Entwicklungsländern (1999)

Aber in den jüngeren Veröffentlichungen des

BMZ nach 1996 werden die Belange indigener

Völker nicht durchgängig thematisiert. Die dar-

aus entstehende Inkohärenz zwischen den

Konzepten schwächt jedes einzelne, insbe-

sondere aber die Konzepte, die weniger Be-

achtung finden.

Die Evaluierung des BMZ Konzeptes “Entwick-

lungszusammenarbeit mit indianischen Bevöl-

kerungsgruppen in Lateinamerika“ in den Jah-

ren 1999 und 2000 stellte u.a. kritisch fest,

dass die verschiedenen Bemühungen um eine

Orientierung der Vorhaben auf indigene Völ-

ker, und ihre aktive Einbindung in die Projekte

und Programme untereinander zu wenig ver-

netzt sind, so dass Synergien auf regionaler

Ebene kaum greifbar werden. Eine Arbeits-

gruppe im Fachverbund ländliche Entwicklung

der GTZ hat mittlerweile Abhilfe geschaffen

und koordiniert die “grünen TZ Vorhaben“ mit

Bezug zu indigenen Völkern.19 Insgesamt

scheint die Ebene der Koordination, wie sie

z.B. im PPG7 (Pilotprogramm zur Bewahrung

der tropischen Wälder)20 erreicht wurde, nicht

generalisierbar zu sein. Die Arbeit der Koordi-

nationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika

und der Karibik (KIVLAK) in der GTZ-Zentrale

zielt u.a. auf die wirksamere Vernetzung und

Ausrichtung der Förderansätze der deutschen

EZ für indigene Völker in Lateinamerika.21

Die Evaluierung des BMZ Konzepts machte

weiterhin deutlich, dass dieses eine Vielzahl

von Strategieelementen aufgreift und dabei

über die entsprechenden Konzepte anderer

Geber hinausgeht, allerdings hinsichtlich sei-

19 Foro de Proyectos „Desarollo Rural en Latinoa-mérica y Caribe“, 2002; 2003.20 Vgl. http://www.worldbank.org/rfpp/ (die Websites von GTZ und KfW zu PPG7 sind nicht mehr verfüg-bar)21 siehe www.gtz.de/indigenas

ner Operationalisierung und konkreten Umset-

zung in Maßnahmen der EZ und in dem sie

begleitenden Politikdialog zu vage bleibt. Das

BMZ Konzept nennt keine verbindlichen In-

strumente und Kriterien, die in die Planung und

Umsetzung der Vorhaben eingeführt werden

müssen, um eine entsprechende “Berücksich-

tigung“ indigener Völker sicher zu stellen. Dar-

aus resultiert eine fehlende oder unzureichen-

de Einbeziehung indigener Völker in den Vor-

haben, die sich nicht explizit auf sie beziehen,

jedoch in ihren Siedlungsgebieten, bzw. in

Ländern mit hohem indigenem Bevölkerungs-

anteil durchgeführt werden. Auch für den Poli-

tikdialog wurde das Konzept des BMZ laut

Evaluierung nur selten genutzt.

Die Evaluierung konstatiert, dass Projekte und

Programme insbesondere in Ländern mit ho-

hem indigenen Bevölkerungsanteil bzw. in

Sektoren, die für indigene Völker besonders

relevant sind, das Konzept als Referenzrah-

men anerkennen, es aber nur eingeschränkt

umsetzen. Außerhalb dieser Vorhaben ist das

Konzept häufig nicht bekannt. Dagegen fällt

die Bewertung des BMZ Konzepts im Vergleich

verschiedener Konzepte für die Zusammenar-

beit mit indigenen Völkern laut GRIFFITHS

(2003:7 und 86-92) weniger kritisch aus.

Foto: Seminar für indigene Kleinhandwerker in San-tiago de Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)

Die Fallstudie bestätigt den relativ geringen

Bekanntheits- und Umsetzungsgrad des Kon-

zeptes und den Nischencharakter der Thema-

tik. Empfehlungen und Vorschläge werden

entwickelt, den Diskurs der EZ zu indigenen

Völkern zu schärfen, verstärkt innereuropäisch

abzustimmen, und für die jeweiligen nationalen

und regionalen Kontexte zu spezifizieren. Be-

sonders hervorgehoben werden der Charakter

der indigenen Organisationen als Akteure (und

Page 48: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

42

nicht nur als Zielgruppen) sowie die Bezüge

des Konzeptes zu Themen der Friedensent-

wicklung und der Förderung demokratischer

und offener Gesellschaften. Um ein Mainstrea-

ming der Thematik zu erreichen, ist es

notwendig, gezielter als bisher Erfahrungen

der EZ mit indigenen Völkern auszuwerten und

zugänglich zu machen.

Zusammengefasst wird die Ausrichtung von

Vorhaben auf indigene Völker und ihre Einbe-

ziehung als relevante Akteure in Planung,

Durchführung und Evaluierung von EZ Maß-

nahmen immer dort mit Bezug auf das Konzept

des BMZ umgesetzt, wo indigene Völker die

direkte, zu weiten Teilen auch exklusive Ziel-

gruppe von Vorhaben sind. In den meisten

nicht eindeutig auf indigene Völker ausgerich-

teten Vorhaben ist das Konzept des BMZ nicht

in der Lage, ein Mainstreaming der Orientie-

rung und eine durchgängige Partizipation indi-

gener Vertreter/innen sicher zu stellen.

Die Umsetzung eines Konzeptes des BMZ

bedarf grundsätzlich einer internen Lobbyar-

beit, die im Fall der indigenen Völker haupt-

sächlich von deutschen NRO übernommen

wurde. Mit der Evaluierung des BMZ Konzep-

tes (2000) und verstärkt zum Ende der Indige-

nen Dekade (2004) lässt sich ein wachsendes

Interesse an indigenen Völkern sowohl im BMZ

als auch in den großen Vorfeldorganisationen,

insbesondere in der GTZ feststellen. Ohne

eine solche Lobbyarbeit laufen Konzepte mit

einem breit angelegten Charakter angesichts

der Vielzahl der Querschnittsthemen und zu

berücksichtigenden Vorgaben Gefahr, im Ar-

beitsalltag der EZ unterzugehen, und damit ein

Schattendasein zu führen. Diese Gefahr wird

durch die Programm- und Schwerpunktbildung

in der TZ noch verstärkt, da explizite Zielgrup-

pen in Projekten häufig zu “Querschnittsorien-

tierungen“ in komplexen Programmen werden.

4. Indigene Völker in der aktuellen Entwicklungsdiskussion

Eine der zentralen Forderungen indigener Völ-

ker und ihrer Organisationen gegenüber der

Entwicklungszusammenarbeit ist der “freie,

frühzeitige und informierte Konsens“ als

Voraussetzung für Allokationsentscheidungen,

sowohl für Entwicklungsprojekte als auch für

Wirtschaftsmaßnahmen. Die einschlägigen

Konzepte internationaler Organisationen – wie

die Weltbank, die Interamerikanische Entwick-

lungsbank oder Institutionen der UN – ebenso

wie das BMZ kennen dieses Prinzip und stim-

men ihm zu.

Dennoch konstatiert das “Ständige Forum für

indigene Fragen” in seiner Sitzung von Mai

2003: “(…) concern over development prac-

tices that do not take into account the particu-

lar characteristics of indigenous communities

as groups, with their distinct cultural identities

and often their own system of representation,

thus significantly undermining meaningful ways

of participation” (E/2003/43E/C.19/2003/

22:I.B.2). Deshalb schlägt das Forum dem

Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) die Ein-

richtung einer auf drei Jahre angelegten spezi-

fischen Arbeitsgruppe mit breiter staatlicher

und zivilgesellschaftlicher, indigener und nicht

indigener Beteiligung vor, um das Prinzip des

freien, frühzeitigen und informierten Konsens

insbesondere im Bezug auf Vorhaben zum

Schutz von Naturressourcen und intellektuel-

lem Eigentum zu bearbeiten.

Indigene Völker, Armut und die Millenni-um Development Goals (MDGs)

Indigene Völker sind innerhalb der meisten

nationalen Gesellschaften Minderheiten. Selbst

da, wo sie wie in Bolivien und Guatemala die

Bevölkerungsmehrheit bilden, sind sie in un-

terschiedlichem Grad aus den Gesellschaften

und deren Entwicklung ausgeschlossen. Sie

verstehen sich in Differenz zur Mehrheitsge-

sellschaft, sind in diese mangelhaft integriert,

bzw. wehren sich gegen bestimmte “Integrati-

onskonzepte“. Offen ist, wie diejenigen Indige-

nen einzuordnen sind, die sich selbst zwar als

Mestizen verstehen und deklarieren, sich aktiv

um entsprechende Integration und Anerken-

nung bemühen, aber von Seiten der nicht-

indigenen Gesellschaft weiterhin als indios

ausgegrenzt werden. Es ist anzunehmen, dass

es den Folgegenerationen vollständiger ge-

lingt, diese Anerkennung zu erwirken. Viele

indigene Familien sprechen beispielsweise

selbst im häuslichen Kontext in Städten nicht

mehr ihre Muttersprache, um diesen Prozess

Page 49: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

43

“Igualmente considero, aunque la coopera-ción internacional muchas de las veces, tiene por intermedio a los estados, que imponen parámetros contrarios al de los pueblos y comunidades indígenas o que bloquean la participación directa y efectiva de estos pueblos, que la cooperación debe-ría crear redes directas con las organizacio-nes, pueblos y comunidades indígenas, que les permita a ellos definir sus propios mode-los de cooperación internacional, así como demostrar sus capacidades administrativas, de control y participación efectiva.”

JOSÉ LUIS GONZÁLEZ, indigener Abgeordneter in der Asamblea Nacional, Venezuela

der Anerkennung und “Unsichtbarkeit“ zu be-

schleunigen. Im Folgenden beziehen sich die

Überlegungen gemäß dem Kriterium der

Selbstidentifikation im wesentlichen auf die

Indigenen, die sich selbst als solche verstehen

und zu erkennen geben.

Auf die gesellschaftliche Positionierung indige-

ner Völker sowohl in der Eigen- als auch der

Fremdwahrnehmung nehmen die unterschied-

lichen internationalen Leitlinien Bezug. Auf

Grund des gesellschaftlichen Ausschlusses

sind Indigene in ihrer Mehrheit arm. Der Anteil

der Armen unter den Indigenen übersteigt vor

allem in Ländern mit einem hohen indigenen

Bevölkerungsanteil den Anteil Armer in der

nicht indigenen Bevölkerung. PSACHAROPULOS

& PATRINOS (1994) haben dies für ausgewählte

Länder eindrucksvoll nachgewiesen, wenn

auch solche ökonometrischen Untersuchungen

immer mit der Unsicherheit der unzureichend

ethnisch differenzierten offiziellen Statistiken

behaftet sind. Aktuellere Untersuchungen fin-

den sich hierzu auch unter den Länderprofilen

des Sektorprojektes zur Armutsminderung der

GTZ für Bolivien und Guatemala22 sowie in

entsprechenden Länderstudien, die im Auftrag

der Weltbank und der Interamerikanischen

Entwicklungsbank durchgeführt wurden (IDB,

2004a:3). Die indigenen Frauen betonen bei

ihrer 4. kontinentalen Begegnung indigener

Frauen Amerikas im April 2004, dass die Ar-

mut nicht nur indigen, sondern auch weiblich

22 Vgl. www.gtz.de/forum_armut/deutsch/c03.htm

ist: “Las mujeres no sólo tenemos mayores

dificultadas para acceder a los servicios edu-

cativos, sino más dificultades para salir de la

pobreza por las responsabilidades familiares y

el cuidado de los niños, la discriminación para

acceder al mercado de trabajo, la segmenta-

ción de las ocupaciones y los menores sala-

rios“ (IV. Encuentro Continental de Mujeres

Indígenas de las Américas, 2004).23

In diesem Sinne sind indigene Arme durchaus

auch eingeschlossen, wenn die Millennium

Entwicklungsziele24 die Halbierung der Armut

bis 2015 als Halbierung der Anzahl der Men-

schen mit durchschnittlich 1 US$ pro Tag an-

streben. Indigene Organisationen von der loka-

len bis zur UN-Ebene betonen die Armut, unter

der indigene Völker leiden, als Beleg von Ex-

klusion und Unrecht, oft auch als Konsequenz

fehlgeleiteter Entwicklungsmaßnahmen, insbe-

sondere bei Strukturanpassungsprogrammen.

Andererseits gibt es Indigene, für die dieses

Kriterium der Armut (weniger als 1 US$ pro

Tag) subjektiv nicht relevant ist. Sie stufen sich

selbst nicht auf Grund dieses Kriteriums als

arm ein bzw. sie stufen sich teilweise über-

haupt nicht als arm ein, obwohl das Kriterium

auf sie zutrifft. Andere lehnen diese Art von

Kategorisierung für sich, ihre Gemeinschaften

oder ihre Organisation grundsätzlich ab. Hier

müssen die international auf die MDG

orientierten Anstrengungen flexibel

gehandhabt werden, um nicht erneut

Exklusionen zu reproduzieren. MEENTZEN

(2001:iv) bestätigt dies in ihrer Studie zu

indigenen Frauen: “Se puede afirmar que las

mujeres de las comunidades no se consideran

pobres, porque cuentan con la riqueza

espiritual de su cultura y pueblo indígena.”

23 Internetveröffentlichung http://munixela.com/infomaya/?view=sections&mod=25&id=137 24 Vgl.: http://www.developmentgoals.org/ http://millenniumindicators.un.org/unsd/mi/mi_goals.asp ; Millennium Entwicklungsziele (MDG) – be-schlossen auf dem UN-Millenniumsgipfel 2000 in New York und von 189 UN-Mitgliedern unterzeich-net – sind die Agenda der internationalen Staaten-gemeinschaft zur weltweiten Bekämpfung der Armut und Ermöglichung von Entwicklung.

Page 50: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

44

Sie betont in diesem Kontext die Erwartung

indigener Frauen nicht in Abhängigkeit dieses

Armutskriteriums, sondern auf Grund eines

eigenständigen Rechts, spezifisch und aktiv in

die Projekte und Programme einbezogen zu

werden. Nur mit dieser aktiven Teilnahme

scheint eine tatsächliche Beteiligung an den

Wirkungen zu Armutsminderung von indigenen

Zielgruppen möglich zu werden.

Spezifischer Fokus oder Querschnitt?

Dieser Diskussion folgend lässt sich auch die

breitere Debatte führen: Sind Indigene “mit

gemeint“ wenn sich Entwicklungszusammen-

arbeit auf “Arme“ bezieht, auf “Menschen in

bestimmten Naturschutzgebieten“ auf “Sub-

sistenzbauern und –bäuerinnen“ etc.? Oder

sind sie nur dann einbezogen, wenn sie und

damit ihre spezifischen Lebensbedingungen

bzw. das, was sie selbst als solche wahrneh-

men und identifizieren, explizit benannt wer-

den? Sind indigene Völker nur dann an Ent-

wicklungsvorhaben beteiligt, wenn damit ihre

eigenen Entwicklungsoptionen (“etnodesarrol-

lo“, siehe auch STRÖBELE-GREGOR in diesem

Band) verfolgt werden?

Diese Fragen lassen sich nicht für alle indige-

nen Völker Lateinamerikas beantworten und

müssen mit den einzelnen Völkern und Orga-

nisationen an Hand konkreter Projekte und

Maßnahmen ausgehandelt werden. Von daher

wird die Entwicklungszusammenarbeit immer

verschiedene Strategien zur Einbeziehung

indigener Völker bereithalten müssen:

die allerdings explizite Einbeziehung in

breit angelegten und nicht zielgruppenspe-

zifisch bzw. ethnisch orientierten Vorhaben

die Fokussierung auf spezifische Bedürf-

nisse indigener Völker und Organisationen

Eine Voraussetzung für die Einbeziehung indi-

gener Völker in Vorhaben der internationalen

Zusammenarbeit ist der o.g. “freie, frühzeitige

und informierte Konsens“, d.h. die aktive Betei-

ligung indigener Vertreter/innen als Akteure.

Daneben bleibt als grundsätzliche Schlussfol-

gerung für die Entwicklungszusammenarbeit

der direkte, frühzeitig und dauerhaft geführte

Dialog einzufordern, unabhängig davon, ob es

sich um staatliche, nicht staatliche, bi- oder

multilaterale Entwicklungsagenturen handelt

und abhängig allein von der Tatsache, dass

ein Entwicklungsvorhaben die aktuelle Situati-

on und zukünftige Perspektiven indigener Be-

völkerung betrifft. Voraussetzung für diesen

Dialog ist auf der Grundlage der internationa-

len Vereinbarungen die Anerkennung indige-

ner Völker in ihrer Besonderheit, in ihrem Sta-

tus und damit in ihrem Anspruch auf spezifi-

sche Berücksichtigung, bei gleichzeitigem Ein-

schluss in übergeordnete Zielgruppen. Eine

wichtige Rolle kommt für diesen Dialog den

Organisationen indigener Völker zu, die direkte

Gesprächspartner der Entwicklungsagenturen

und Geber sowie auch ihrer nationalstaatlichen

Instanzen sind (vgl. ARIAS, 2002:22).

Wessen Entwicklung, wessen Visionen?

Welche Rolle wird indigenen Völkern von der

Entwicklungszusammenarbeit zugemessen

bzw. zugestanden? Sind sie Arme, Zielgruppe,

“vulnerable groups“? Oder sind sie, wie bei der

gemeinsamen Tagung zur Evaluation des EU-

Konzepts (SPEAKING OUT, 2002) gefordert,

politische Gesprächspartner, die in ihrer Zu-

ständigkeit und Entscheidungsbefugnis über

eigene Entwicklungsprozesse ernst genom-

men werden? Damit sind die Regierungen der

Geberländer und die multilateralen Institutio-

nen noch in anderer Weise gefordert: Die An-

erkennung indigener Völker in ihrer Eigenstän-

digkeit lässt sich nicht auf Projekte und Pro-

gramme der Entwicklungszusammenarbeit

begrenzen. Die Diskussion in Brüssel

(SPEAKING OUT, 2002: Conclusions) beleuchtet

auch die schwierige Beziehung Geber – Regie-

rung – indigene Völker: “Governments can play

a role in constructing these partnerships (mit

Gebern, S. Speiser). The main challenge for

them is to provide legal recognition of indige-

nous peoples’ rights. This can then provide the

basis for successful engagements between

indigenous peoples and other parties”

(SPEAKING OUT, 2002: Conclusions, Pkt. 7).

Umgekehrt muss die EZ mit indigenen Völkern

darauf orientiert sein, die aktive und kompeten-

te Beteiligung indigener Organisationen und

Gemeinschaften an den Entwicklungen ihrer

Gesellschaften und Nationen auf den unter-

schiedlichen Ebenen zu stärken.

Page 51: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

45

Welche Entwicklung für indigene Völker? Die-

se Frage lässt sich auf der generellen Ebene

nicht beantworten, außer mit dem Hinweis:

“ihre eigene“, wie dies auch die meisten

Grundlagendokumente und die politischen

Empfehlungen der internationalen Gemein-

schaft und der Geberländer anerkennen. “Ihre

eigene“, das schließt die Teilhabe an der

zielgruppenunspezifischen Entwicklung einer

Region oder eines Berufsstandes ebenso ein,

wie die spezifischen Entwicklungsoptionen für

ein bestimmtes indigenes Volk oder vermittelt

über eine indigene Organisation. Damit eröff-

net sich eine enorme Vielseitigkeit und Unter-

schiedlichkeit von Maßnahmen, Strategien und

Optionen.

Foto: Workshop indigener Organisationen Perus (S. REINHARDT)

Optionen und Visionen indigener Völker

erstrecken sich von einer vollständigen

Integration, teilweise unter Wahrung ihrer

spezifischen Kulturen bis hin zu einer

spezifischen Nischenentwicklung. Die staatlich

vermittelte EZ favorisiert dabei im Diskurs die

kultursensible Integration indigener Völker und

Gemeinschaften in ihren Gesellschaften bei

gleichzeitiger Anerkennung ihres spezifischen

Charakters durch diese Gesellschaften. Dies

ters durch diese Gesellschaften. Dies kann

sich auch in der Beteiligung indigener Organi-

sationen an klassischen Instanzen politischer

Willensbildung, den Parteien ausdrücken, wie

in jüngster Zeit die Vorgänge in Bolivien und

Ecuador gezeigt haben.

Überall da, wo Indigene sich in ihre Gesell-

schaften nur integrieren wollen, werden sie Teil

der nicht ethnisch definierten Zielgruppen, wie

Arme, Unternehmer/innen, Bauern und Bäue-

rinnen, etc. Die deutsche EZ vertritt dabei kei-

ne Positionen, die diese Integration im Sinne

des Verlustes einer spezifischen kulturellen

und ethnischen Identität negativ konnotiert. Sie

fordert vielmehr im Einklang mit internationalen

Vereinbarungen die Bekämpfung des Rassis-

mus der Mehrheitsgesellschaft gegenüber

Minderheiten, und unterstützt die Schaffung

von Rahmenbedingungen für den Aufbau mul-

tikultureller Gesellschaften, die eine unfreiwilli-

ge Integration nicht mehr nötig erscheinen

lassen. Die Förderung in den eigenen Nischen

ist ein Konzept, das teilweise für die indigenen

Völker der Regenwälder und im Kontext von

Vorhaben zum Schutz natürlicher Ressourcen

verfolgt wird. Dabei werden die Völker respek-

tiert, die für sich diese Option des freiwilligen

Rückzugs gewählt haben. Aus heutiger Sicht

ist nicht absehbar wie lange dies angesichts

des Tempos von Prozessen der Globalisierung

aufrechterhalten werden kann.

Zu wessen Nutzen?

Welche Entwicklung wurde für die indigenen

Völker durch die EZ erleichtert? Diese Frage

lässt sich hier nicht abschließend beantworten.

Es ließen sich aus der Fülle der Projekte und

Programme der Entwicklungszusammenarbeit

Beispiele für eine gelungene Förderung, für die

Unterstützung auf dem Weg zur selbstbe-

stimmten Entwicklung, für gemeinsame Gestal-

tung ebenso finden wie Beispiele für die Igno-

ranz der Geber mit entsprechend negativen

Auswirkungen auf indigene Völker, Beispiele

für die falschen Konzepte, das falsche Ver-

ständnis von Entwicklungsoptionen und Bei-

spiele für die Abwesenheit einer “advocacy“

Haltung der EZ auf politischer Ebene. Generell

lässt sich vermuten, dass immer dann, wenn

die Interessen indigener Völker mit anderen

Page 52: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

46

wirtschaftlichen und politischen Interessen

wichtiger nicht indigener Akteure ihrer Länder

konkurrieren, auch die Institutionen der Inter-

nationalen Zusammenarbeit in einen Interes-

senskonflikt geraten, dessen Ausgang nicht

vorhersehbar ist.

Unterschieden werden muss hier zwischen

Vorhaben der NRO, die direkt mit indigenen

Organisationen und Gemeinschaften kooperie-

ren, und auf der Mikroebene interessante und

für die indigenen Zielgruppen zufrieden stel-

lende, aber kaum breitenwirksame und struktu-

rell wenig relevante Ergebnisse der Verbesse-

rung ihrer Situation zeigen. Dies erfolgt meist,

ohne dass die staatlichen Ebenen des Partner-

landes eingeschaltet werden müssen. Nicht

umsonst haben die indigenen Gesprächspart-

ner die NRO als “longterm partners“ (SPEAKING

OUT, 2002) bezeichnet und ihnen damit eine

wichtige Funktion zugewiesen. Diese Aner-

kennung mindert jedoch nicht die Kritik indige-

ner Organisationen an NRO, wo diese “stell-

vertretend“ doch mittlerweile häufig ungebeten

als Vermittler auftreten. In diesen Fällen ist die

Position indigener Organisation eindeutig: sie

fordern die eigene direkte Beteiligung im Dia-

log.

Ganz anders gestaltet sich die zwischenstaat-

liche bilaterale Kooperation, wie sie im Auftrag

des BMZ hauptsächlich durch die beiden gro-

ßen Vorfeldorganisationen GTZ und KfW

durchgeführt wird. Ihre direkten Partner sind

fast ausschließlich Regierungen der Partner-

länder. Diese Vorhaben sind hinsichtlich ihrer

Wirkungen auf indigene Völker in gewisser

Weise auch abhängig von dem Platz, den die

nationale Regierung den indigenen Völkern

zuweist. Wie die Evaluierung des BMZ Kon-

zeptes anmahnt, können die Potenziale des

Politikdialogs noch weiter ausgeschöpft wer-

den. Indigene Organisationen fordern ihre di-

rekte Beteiligung in den Dialogprozessen der

EZ zusammen mit, aber auch ohne die Vertre-

ter/innen ihrer Regierungen.

Strategien und Allianzen indigener Orga-nisationen

Indigene Organisationen spielen eine wichtige

Rolle im Entwicklungsdialog. Sie sind die An-

sprechpartner, mit denen sich die Institutionen

der Entwicklungszusammenarbeit, ebenso wie

die Regierungen der Partnerländer direkt aus-

einander setzen können. Sie vertreten ihre

Völker, auch wenn gerade in diesem Vertre-

tungscharakter Anspruch und Wirklichkeit aus-

einander fallen können, und verschiedene

auch kulturell bedingte Modelle von Repräsen-

tativität schwierig in Einklang zu bringen sind

(siehe auch FELDT in diesem Band). Im Sinne

der Beteiligung indigener Völker an Entschei-

dungen zur Ressourcenallokationen, zur Defi-

nition von Entwicklungsprojekten und -

programmen haben die Geber und Agenturen

der IZ keine Alternative zum Dialog mit den

indigenen Organisationen. Nur in der Umset-

zung basisnaher Projekte ist es möglich, ne-

ben dem Dialog mit den Organisationen direkt

mit Teilen der Zielgruppe selbst zu verhandeln.

Die Anforderungen an indigene Organisationen

steigen angesichts wachsender Komplexität in

einer globalisierten Welt, auch die unterschied-

licher Instanzen der IZ. Dies führt zu einer

gewissen Bürokratisierung der Organisationen

und der Frage, ob die Positionen der Organisa-

tionen in ihren Hauptstadtbüros tatsächlich

kompatibel oder repräsentativ sind für die Posi-

tionen der indigenen Völker in den dörflichen

Gemeinschaften und Vorstadtvierteln. Die Fra-

ge kann von außen nicht beantwortet werden,

auch nicht mit stichpunktartigen partizipativen

Befragungen an der Basis. Sie ist Anlass zu

entsprechender Förderung indigener Organisa-

tionen, insbesondere hinsichtlich einer kontinu-

ierlichen Rückkopplung an ihre Basis, und

damit auch der Absicherung ihrer Repräsenta-

tivität.

Schlussbetrachtung

Zusammenfassend wird deutlich, dass die

internationale Zusammenarbeit den Anforde-

rungen und Erwartungen indigener Völker, so

wie sie durch indigene Organisationen artiku-

liert werden, bislang noch nicht zufriedenstel-

lend Rechnung trägt. Dabei unterscheiden die

indigenen Organisationen deutlich zwischen

den verschiedenen Gebern und Entwicklungs-

agenturen. Die deutlichste Kritik wird gegen-

über großen Infrastrukturprojekten geäußert, in

deren Entscheidungsprozesse weder die loka-

Page 53: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

47

le Bevölkerung, einschließlich der indigenen

Völker der Region, noch deren Vertretungs-

strukturen involviert waren. Diese mangelnde

Teilhabe ist häufig durch die Strukturen der

Partnerregierung bedingt, wird aber im Laufe

des Politikdialogs nicht ausreichend von den

Gebern thematisiert. Positives Echo erfahren

Fondsvorhaben, die indigenen Gruppen die

Umsetzung konkreter Projekte und Maßnah-

men erlauben, und durch die indigenen Orga-

nisationen selbst gesteuert sind (siehe auch

RODRÍGUEZ in diesem Band). Themen wie die

zweisprachige Grundbildung sind Beispiele für

das positive Einwirken von Entwicklungszu-

sammenarbeit, in diesem Fall insbesondere

der deutschen TZ, auf Veränderungen natio-

nalstaatlicher Politik im Sinne indigener Forde-

rungen. Radikalere Positionen, wie die Forde-

rung des Rückzugs der EZ aus dem Bereich

indigener Völker, wie noch in den 1970er Jah-

ren formuliert, werden nicht mehr aufrechter-

halten. Vielmehr geht es den indigenen Vertre-

ter/innen darum, die internationale Zusam-

menarbeit als eine der Umfeldbedingungen

mitgestalten zu können, um dadurch auch die

Wirkungen zu erzielen, die sie und ihre Völker

im Sinne eigener Entwicklung anstreben. Mit

den Worten der UN-Arbeitsgruppe WGDD

lassen sich die Erwartungen an die IZ folgen-

dermaßen zusammenfassen:

”En sustancia se trata de que el hombre y su

dignidad constituyen el fundamento del

desarollo sostenible e integran a fin de

conciliar cuatro grandes ejes, a saber: el

crecimiento económico razonablemente

planificado, la justicia social, una política

ambiental sostenible y una distribución

equitativa de la riqueza“ (UNHCHR, 2001a).

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Page 54: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit

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Page 55: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

49

Indigene Völker und Staat

HEIDI FELDT

Das Verhältnis zwischen Staat und indigenen

Völkern ist seit Gründung der Nationalstaaten

in Lateinamerika spannungsgeladen. Indigene

waren in der post-kolonialen Geschichte La-

teinamerikas politisch, sozial und wirtschaftlich

marginalisiert, und der Staat reagierte auf ihre

Forderungen mit Repression und versuchte im

Namen der Nationenbildung, ethnische Unter-

schiede zu negieren, und indigene Völker einer

Assimilierungspolitik zu unterwerfen. Erst in

den letzten Jahren beginnt sich dieses Ver-

hältnis zwischen Nationalstaat und indigenen

Völkern zu wandeln. Interessanterweise mani-

festiert sich dieser Wandel vor allem in den

reformierten Verfassungen der lateinamerika-

nischen Ländern, während die politisch-

institutionelle Umsetzung neuer Beziehungs-

modelle zwischen Indigenen und Staat noch

wenig ausgereift ist.

1. Wandel der Verfassungsnormen

In den letzten 20 Jahren hat sich allerdings ein

grundlegender Wandel in der rechtlichen

Wahrnehmung indigener Völker auf lateiname-

rikanischer und internationaler Ebene vollzo-

gen. Im Rahmen dieser Entwicklung haben

viele Staaten Lateinamerikas den Ansatz des

einheitlichen Staates zugunsten eines auf Plu-

ralismus/ Multikulturalismus beruhenden

Staatsverständnisses verlassen (KUPPE, 2002;

STAVENHAGEN, 2002). In den Verfassungen

dieser Länder wird der plurikulturelle und mul-

tiethnische Charakter der Nationalstaaten an-

erkannt und den indigenen Völkern kollektive

Rechte zugestanden.

Die Entwicklung der Staatsmodelle gliedert

KUPPE (2002) in drei Etappen:

1. Derecho Indiano (von der Eroberung

Lateinamerikas bis 1820)

Indigene werden als Indios mit eigenem

Rechtssystem und Autoritäten anerkannt,

allerdings sind sie diskriminierenden Ver-

pflichtungen unterworfen.

2. Recht der Nationalstaaten (1820 bis ca.

1990, von KUPPE als Monismus mit Dis-

kriminierung der Andersartigkeit definiert)

Diese Etappe unterteilt KUPPE in vier Pha-

sen, die sich über die Entmündigung der

Indigenen und einer repressiven Politik hin

zu der staatlichen Integrationspolitik ab

Mitte des letzten Jahrhunderts zieht. Im

Rahmen dieser Politik werden Indigene als

campesino wahrgenommen.

3. Multiethnische und plurikulturelle Staat-

lichkeit (seit 1985, die Andersartigkeit wird

als gleichberechtigt anerkannt)

Indigene Völker gewinnen verfassungs-

rechtliche Relevanz, sie werden im Natio-

nalstaat als Völker mit eigener Identität

anerkannt.

Diese Veränderungen in Verfassungsnormen

ermöglichen eine Neubestimmung des Ver-

hältnisses von Staat und Indigenen und eröff-

nen neue Perspektiven ihrer politischen, recht-

lich abgesicherten Partizipation. In den nächs-

ten Jahren wird es sehr wichtig sein, ob und

wie diese Verfassungsnormen in Gesetzen

ausgestaltet und politisch-institutionell umge-

setzt werden, denn allein mit der Anerkennung

in den Verfassungen ist die Marginalisierung

der Indigenen durch die dominierende Gesell-

schaft noch längst nicht überwunden.

Die indigenen Organisationen sind sich dessen

bewusst. Der indigene Aufstand und die darauf

folgenden Aktionen 1990 in Ecuador, der

“Marsch für Territorium und Würde“ 1990 in

Bolivien, der Aufstand in Chiapas, Mexico, die

wiederholte Lähmung der gesamten Wirtschaft

in Ecuador und Bolivien in den letzten Jahren

und der “Erdgasaufstand“ 2003 in Bolivien

zeigen nicht nur das große Mobilisierungspo-

tenzial indigener Organisationen sondern

auch, dass diese Organisationen, dort, wo

Indigene die Mehrheit oder einen großen Teil

der Bevölkerung bilden, die Frage nach gesell-

schaftlicher Macht stellen.

Page 56: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

50

2. Die neue indigene Bewegung

Das Organisationsmodell der neuen indigenen

Bewegung hat seinen Ursprung in der Federa-

ción de Centros Shuar in Ecuador, dem

Consejo Regional Indígena del Cauca (CRIC)

in Kolumbien und dem Movimiento Katarista in

Bolivien, die sich in den 1970er Jahren des

letzten Jahrhunderts herausbildeten (ASSIES,

1999). Ihnen gemein war, dass sie ihre Orga-

nisation auf der Zugehörigkeit zu Ethnien

gründeten und die bis dato verbreitete Einord-

nung Indigener als campesinos ablehnten. Die

indigenen Organisationen des Tieflandes sind

aus diesen Anfängen entstanden. Sie sind

kleinteilig auf der Ebene von Ethnien oder Re-

gionen organisiert, haben sich aber zu regiona-

len, nationalen und internationalen Förderatio-

nen und Konföderationen wie der Koordination

der indigenen Organisationen des Amazonas-

beckens (COICA)1 zusammengeschlossen.

Aus einer anderen Tradition kommen die indi-

genen Organisationen des Hochlands. Ihr Ur-

sprung beziehungsweise die Organisationser-

fahrung vieler ihrer Führungspersonen kommt

aus der gewerkschaftlich geprägten Campesi-

no-Bewegung und verknüpft heute Forderun-

gen der Bauernbewegung, wie Zugang zum

Markt, zu Krediten, allgemeine Kritik des neoli-

beralen Wirtschaftsmodells mit Forderungen

nach zweisprachiger interkultureller Bildung

und politischer Beteiligung als Indigene an den

Entscheidungsprozessen des Staates. Einige

Vertreter wie Felipe Quispe in Bolivien fordern

sogar die Rückkehr zu traditionellen Gemein-

destrukturen, den Ayllu (GOEDEKING, 2002)

oder die Wiederbelebung alter Inka Strukturen.

Sie ähneln Heilsversprechungen, in dem sie

die alten Strukturen der Andenvölker glorifizie-

ren. Diese Strukturen werden allerdings nicht

gelebt, und von daher werden sich auch die

Heilsversprechen nicht einlösen lassen. Die

Forderungen haben keine große Anhänger-

schaft, allerdings gewinnt der Wunsch zurück

zur Ayllu -Struktur in Bolivien, Peru und Ecua-

dor an Popularität.

Die Beziehung zwischen indigenen Organisati-

onen des Tief- und des Hochlandes ist nicht

1 Coordinadora de organizaciones indígenas de la Cuenca Amazónica

konfliktfrei. Zum einen sind die Organisations-

und Konflikterfahrungen unterschiedlich, zum

anderen haben sie andersartige Konzepte von

Territorialität. Daraus leiten sich verschiedene

Forderungen und Schwerpunkte für die Orga-

nisationen ab. Am weitesten ist der Annähe-

rungsprozess zwischen Tiefland- und Hoch-

landorganisationen vielleicht in Ecuador, da

durch die Confederación de Nacionalidades

Indígenas del Ecuador (CONAIE) ein gemein-

samer Organisationsrahmen gegeben ist.

Die Entwicklung der indigenen Organisationen

in Guatemala hat zeitverzögert eingesetzt. Bis

Mitte der 1990er Jahre herrschte Bürgerkrieg

in dem Land, zu dessen Opfern vor allem die

Maya Bevölkerung zählte. Der Krieg hatte

durchaus Züge eines Ethnozids. Erst mit der

Unterzeichnung des Friedensvertrages zwi-

schen Regierung und Guerilla 1996 und vor

allem durch den “Acuerdo sobre Identidad y

Derechos de los Pueblos Indígenas“ wurden

die vollen Bürgerrechte, die soziale, politische

und wirtschaftliche Teilhabe und die kulturellen

Rechte der indigenen Bevölkerung anerkannt

und der Abbau der Diskriminierung der Maya

Bevölkerung beschlossen. Zwar hatten sich

schon während des Krieges einige wenige

Maya Organisationen gegründet, aber erst

nach Friedensschluss hatten sie die Möglich-

keit offen zu arbeiten. Viele der heute existie-

renden Maya Organisationen sind im Foro

Maya zusammengeschlossen. Ein großes

Problem der Organisationen ist, dass sie auf

die Hauptstadt konzentriert sind und wenig

Anbindung an die Maya Bevölkerung auf dem

Land haben, die weitgehend von allem politi-

schen Partizipations- und wirtschaftlichen Ent-

wicklungsprozessen ausgeschlossen ist. Die

deutsche EZ setzt über das Projekt “Interkultu-

reller Dialog und politische Beteiligung der

Indígena-Bevölkerung Guatemalas“ an diesem

Problem an, und versucht mit den Maya Orga-

nisationen Politikstrategien für eine kulturell

differenzierte Entwicklung zu erarbeiten, und

zur Verbesserung der Chancengleichheit der

indigenen Bevölkerung beizutragen.

Page 57: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

51

3. Selbstbestimmung, Autonomie und Partizipation

Zentrale Anliegen der indigenen Organisatio-

nen, unabhängig ob aus dem Tiefland des

Amazonas, der Küstenregion oder aus dem

Andenhochland, sind die Forderungen nach

Autonomie, nach dem Zugang zu den politi-

schen Entscheidungsebenen auf nationaler

wie regionaler Ebene des Staates sowie die

Selbstbestimmung in allen Belangen, die sie

und ihr Territorium betreffen. Autonomie und

Selbstbestimmung sind Konzepte, die in unter-

schiedlichen Zusammenhängen unterschied-

lich verstanden werden. Auch die indigenen

Organisationen verbinden damit unterschied-

lich weitreichende Vorstellungen. Deshalb soll

an dieser Stelle eine Begriffsklärung vorge-

nommen werden.

Selbstbestimmung

Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker

ist eines der grundlegenden Prinzipien der

internationalen Staatengemeinschaft. Im Inter-

nationalen Pakt der Vereinten Nationen über

wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte

(1966) und im Pakt über zivile und politische

Rechte (1966) wird dieses Recht festgehalten.

Im gemeinsamen Art.1 steht:

(1) “Alle Völker haben das Recht auf Selbst-

bestimmung. Kraft dieses Rechts ent-

scheiden sie frei über ihren politischen

Status und gestalten in Freiheit ihre wirt-

schaftliche, soziale und kulturelle Entwick-

lung.

(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwe-

cke frei über ihre natürlichen Reichtümer

und Mittel verfügen, unbeschadet aller

Verpflichtungen, die aus der internationa-

len wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf

der Grundlage des gegenseitigen Wohles

sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In

keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen

Existenz beraubt werden.“

Dieses Recht auf Selbstbestimmung war ein

sehr wichtiges Prinzip in dem Prozess der

Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Kolonial-

staaten und spielte in der Anerkennung der

neuen Nationalstaaten durch die Vereinten

Nationen eine große Rolle. Das Recht auf

Selbstbestimmung findet nach dem Völker-

recht bisher seine Anwendung nur bei Natio-

nalstaaten. Inwieweit dieses Konzept auch auf

indigene Völker angewendet werden kann, ist

Gegenstand einer kontroversen Debatte. Kern

dieser Debatte ist die Definition des Begriffs

“indigene Völker“ (siehe auch STRÖBELE-

GREGOR in diesem Band). Die Konvention 169

der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO),

die die entscheidende Grundlage für alle inter-

nationalen Vereinbarungen bezüglich indigener

Völker bildet, spricht zwar von indigenen Völ-

kern schränkt aber in Art. 1.3 ein: “Die Ver-

wendung des Ausdrucks “Völker“ in diesem

Übereinkommen darf nicht so ausgelegt wer-

den, als hätte er irgendwelche Auswirkungen

hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völker-

recht mit diesem Ausdruck verbunden sein

können.“ Der Begriff “indigene Völker“ beinhal-

tet also keinen Rechtsanspruch als Volk im

völkerrechtlichen Sinne und die ILO-

Konvention 169 vermeidet konsequent den

Begriff der Selbstbestimmung. Damit soll vor

allem verhindert werden, dass Separationsbe-

wegungen indigener Völker sich auf die ILO-

Konvention berufen können. Im lateinamerika-

nischen Kontext kann dieser Gesichtspunkt der

Separationsbewegungen vernachlässigt wer-

den. Es gibt kaum ernstzunehmende Forde-

rungen nach nationalstaatlicher Selbstständig-

keit.2 Auch die indigenen Völker, die sich

selbst als “Nationen“ bezeichnen wie in Ecua-

dor, definieren sich als indigene Nationen in-

nerhalb eines unabhängigen Nationalstaates.

Selbstbestimmung wird in erster Linie gefordert

als das Recht, über das Land und seine Res-

sourcen selbst zu bestimmen, die eigene Kul-

tur, die eigenen politischen, wirtschaftlichen

und sozialen Systeme zu erhalten und weiter-

zuentwickeln (COICA, 2004). Diese Forderun-

gen stehen im Einklang mit dem Artikel 3 der

Draft United Nations Declaration on the Rights

2 Eine Ausnahme bildet das Movimiento Indígena Pachakutik (MIP) des Felipe Quispe in Bolivien, das einen eigenen Aymara und Quechua Staat fordert. ”Nosotros vemos en el MIP el instrumento idelógico de otro estado, de la nación Qullasuyana. No po-demos tener relaciones con la otra Bolivia“ (Inter-view mit F. Quispe, o.J.). Internetveröffentlichung: http://www.nodo50.org/resumen/resumen51/ quispe.htm

Page 58: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

52

of Indigenous Peoples: “Indigenous Peoples

have the right of self-determination. By virtue

of that right they freely determine their political

status and freely pursue their economic, social

and cultural development.“ Über diesen Artikel

konnte bisher keine Einigung unter den Mit-

gliedsstaaten3 erzielt werden. Das Recht auf

Selbstbestimmung ist auch in der vorgeschla-

genen Erklärung zu indigenen Rechten der

Organisation der amerikanischen Staaten

(OAS) umstritten. Auf der Sitzung Ende 2003

der Arbeitsgruppe der OAS zu dieser Erklä-

rung wurde von Seiten der Delegation der USA

der Begriff der ‚internen oder qualifizierten

Selbstbestimmung’ eingeführt. Dies wurde von

der COICA vehement zurückgewiesen: “Noso-

tros consideramos que la ”calificación“ dada al

derecho a la libre determinación es una expre-

sión de discriminación grave pues todos los

pueblos del mundo tenemos derecho a ella,

sin distinción...“ (COICA, 2004). Laut COICA

wurde sie in ihrem Anliegen durch die Regie-

rungen von Guatemala, Peru, Ecuador und

Venezuela gestützt.

Foto: Demonstration für Landrechte in Ngöbe-Bugle, Panama (Proyecto Agroforestal Ngöbe)

In diesem Zusammenhang soll nicht uner-

wähnt bleiben, dass sich einige wenige indige-

ne Völker vor allem aus dem Tiefland de facto

den herrschenden Strukturen entziehen und so

ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen.

Dazu gehören die Völker, die in Isolation leben

wie die Tagaeri, Taromane und O amenane

3 Seit 1995 arbeitet eine Arbeitsgruppe der UN-Kommission für Menschenrechte an der Überarbei-tung der Erklärung. Bisher konnte nur über zwei der 45 Artikel eine Übereinstimmung erzielt werden (siehe auch SPEISER in diesem Band).

im Amazonasgebiet von Peru, Brasilien und

Ecuador. Fraglich ist jedoch, wie lange dies

aufgrund des zunehmenden Wirtschaftsdrucks

auch auf diese Region noch möglich sein wird.

Die Debatte, ob indigene Völker ein Recht auf

Selbstbestimmung als Völker haben oder nicht

und wenn ja, wie dieses definiert wäre, ist noch

nicht beendet. Häufig wird der Ausweg in der

Unterscheidung zwischen interner und exter-

ner Selbstbestimmung gesucht, wobei die In-

halte der internen Selbstbestimmung dem

Konzept der Autonomie entsprechen (SIEDER,

2002). Die Forderung nach Autonomie vieler

indigener Organisationen scheint demzufolge

auch leichter durchsetzbar, da der (liberale)

Staat viele Formen der Autonomie innerhalb

seines politischen Systems kennt.

Autonomie

Nach GARCIA SERRANO (2002) umfasst Auto-

nomie für indigene Völker: Die “Anerkennung

der Territorien, Nutzungs- und Nießrecht über

die Ressourcen, Anerkennung der eigenen

Autoritäten im Einklang mit der Tradition, Ju-

risdiktion im Einklang mit “Gewohnheiten und

Normen", die eigene Sprache sowie die Aus-

übung kultureller Praktiken wie z.B. Medizin,

Bildung.“

GONZALEZ, indigener Abgeordneter in Vene-

zuela, definiert Autonomie wie folgt:4 “La auto-

nomia de los pueblos indígenas debe enten-

derse como el derecho que tienen estos pue-

blos de decidir libremente sobre sus asuntos

internos, el ejercicio de sus sistemas de orga-

nización propia social, económica, cultural y

política, así como el manejo, control y adminis-

tración de sus tierras. Es condición esencial

para el entendimiento de este concepto el

previo reconocimiento de los pueblos en la

constitución del estado con la finalidad de que

entrevenga la unidad y la indivisibilidad de la

Republica. Bajo esta premisa debe entenderse

que la autonomía planteada, es al interior de

los estados nacionales.“

Beide Beschreibungen gehen von autonomen

Einheiten innerhalb eines souveränen Staates

aus. Die Autonomie ist durch das indigene

4 Email Nachricht 2004

Page 59: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

53

Territorium und seine Grenzen sowie durch

das soziale Gefüge des indigenen Volkes be-

stimmt. Die Autonomie richtet sich im Wesent-

lichen nach innen, es werden keine hoheitli-

chen Aufgaben des Staates im Rahmen der

Sicherheits-5 und Außenpolitik beansprucht.

Eine besondere Situation ist die der indigenen

Völker, die in zwei oder mehreren Staaten

leben. Im Krieg zwischen Peru und Ecuador

wurde diese spezielle Problematik offensicht-

lich. Daher wurde im Waffenstillstandsabkom-

men der spezifischen Situation Rechnung ge-

tragen und eine spezielle Vereinbarung für die

indigenen Völker in der Grenzregion aufge-

nommen, die ihnen die freie Kommunikation

untereinander erlaubt.

Grundvoraussetzung für die Autonomie ist den

Definitionen zufolge ein abgrenzbares Territo-

rium, das ausschließlich oder mehrheitlich von

einem indigenen Volk bewohnt wird.

Dies ist im Tiefland Amazoniens, im Chaco, in

Teilen Zentralamerikas und in Panama mög-

lich, wo Territorien eindeutig abgrenzbar sind.

Im Hochland der Anden oder aber in den Städ-

ten des Kontinents sieht die Realität anders

aus. ROLDÁN erweitert daher den Autonomie-

begriff auf “Autonomie umfasst die Fähigkeit,

die Kommunen, Regionen, Provinzen oder

andere Einheiten innerhalb eines Staates aus-

üben können, um mittels Normen und einer

eigenen Regierung ihre Interesse im Inneren

regeln zu können. Außerdem beinhaltet sie die

Möglichkeit eines Volkes, politische Unabhän-

gigkeit zu leben und die eines Individuums, in

einigen Aspekten seines Lebens unabhängig

von anderen zu sein. Im Falle der indigenen

Völker und Gemeinschaften trifft ersteres zu.

Die Autonomie ist relativ und variiert von Land

zu Land“ (ROLDÁN, 2004).

Dies ist der konzeptionelle Rahmen, aber wie

sieht die Praxis aus? In einigen Ländern wie

Kolumbien, Nicaragua, Panama wird den indi-

genen Völkern rechtlich die politisch-

administrative Autonomie über ihre Territorien

zugestanden. Einschränkendes Merkmal auf

der rechtlichen Ebene ist in allen Ländern die 5 In Kolumbien wird zur Zeit eine Diskussion geführt, ob oder ob nicht Indigene den Militärdienst leisten müssen (siehe unter www.etniasdecolombia.org)

Verfügungsgewalt über die Bodenschätze, die

sich der Staat vorbehält (zu den erneuerbaren

Ressourcen siehe ROSSBACH DE OLMOS in

diesem Band). In der Realität werden die

rechtlichen Vorgaben jedoch wenig beachtet.

So kommt es immer wieder zu tiefgreifenden

Konflikten zwischen indigenen Völkern und

dem Staat, Siedlern und Unternehmen, die die

Ausübung der Autonomie entscheidend beein-

trächtigen: Erdöl in Ecuador, Kohle in Kolum-

bien, Drogenanbau bzw. Drogenbekämpfung

in Peru, Kolumbien und Bolivien, Gold und

Holzeinschlag in Brasilien, Peru und Ecuador

sind nur einige Beispiele für Konflikte um Res-

sourcen, die die Autonomie indigener Territo-

rien bedrohen.

In anderen Ländern wie in Bolivien und Gua-

temala wurden keine indigenen Territorien

eingerichtet, sondern die Regierungen bevor-

zugten im Rahmen der Staatsmodernisierung

und Dezentralisierung der staatlichen Funktio-

nen die Einrichtung indigener Gebietskörper-

schaften (Munizipien). Diese lokalen Verwal-

tungseinheiten können in indigenen Sied-

lungsgebieten durchaus Besonderheiten indi-

gener Völker aufgreifen, wie z.B. einen eige-

nen Wahlmodus oder spezifische Prozesse der

Entscheidungsfindung. Sie sind aber in die

staatliche Struktur der Lokalverwaltungen ein-

gebunden. KUPPE (2002) sieht es daher als

fraglich an, ob die “Munizipalisierung“ indige-

ner Selbstregierung, in der Tat Regierungs-

prinzipien indigener Völker stärken oder ob

hier – wie zum Beispiel in Bolivien teilweise

ersichtlich – nicht die bisher entlegenen indi-

genen Siedlungsgebiete endgültig mit Prinzi-

pien staatlicher Lokalverwaltung überlagert

werden. SIEDER (2002) sieht jedoch auch, dass

die Stärkung munizipaler Strukturen, die Priva-

tisierung und Dezentralisierung von Dienstleis-

tungen und die Stärkung der sogenannten

Zivilgesellschaft und lokaler Partizipationsin-

strumente den Spielraum der indigenen Bewe-

gung vergrößert. Andererseits: “In some cases,

decentralisation has mitigated against democ-

ratisation, reinforcing local power elites, clien-

telist politics und unequal access to power. In

others, the increased penetration of the logic of

political parties into rural areas has increased

Page 60: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

54

the fragmentation and division of indigenous

authorities“ (SIEDER, 2002:8).

Zur Ausübung der autonomen Verwaltung

eines indigenen Territoriums gehört auch die

Anwendung eigener Normen zur Regelung der

internen Beziehungen, das Gewohnheitsrecht.

Unter Gewohnheitsrecht versteht man nicht

schriftlich fixierte rechtliche Normen, die sich

aus der Tradition entwickelt haben. Im öffentli-

chen Recht (derecho público) der Länder findet

das Gewohnheitsrecht keine Anwendung, im

Zivilrecht nur in ganz wenigen Ausnahmefäl-

len. Innerhalb der indigenen Völker jedoch

regelt das Gewohnheitsrecht die Beziehungen

nach innen und nach außen (ROLDÁN, 2004).

In Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und

Venezuela wird das Gewohnheitsrecht indige-

ner Völker als Rechtsnorm zur Regelung inter-

ner Angelegenheiten auf ihrem Gebiet aner-

kannt. In Guatemala kommt das Derecho

Maya bei Streitschlichtungsverfahren zum

Einsatz. Allerdings herrscht in allen Ländern

Unsicherheit, wie weit der Anspruch auf auto-

nome Rechtsausübung reicht (ROLDÁN, 2004).

Dies ist vor allem dann kritisch, wenn die indi-

gene Rechtsauffassung gravierend von der

staatlich ausgeübten Gesetzeslage und

Rechtssprechung abweicht. So strafen einige

Völker schon bei relativ leichten Vergehen mit

drastischen Maßnahmen, zum Beispiel das

Verstoßen aus einer Gemeinschaft im Falle

von Diebstahl. In der Rechtsauffassung

herrscht dann zwar der Grundsatz vor, dass

die Menschenrechte und das nationale Recht

dem Gewohnheitsrecht übergeordnet sind,

aber in der Praxis ist dies nicht immer eindeu-

tig und es fehlt an entsprechenden Gesetzen

und Institutionen, um die Normenbereiche zu

harmonisieren.

Abschließend sei noch erwähnt, dass die

rechtlich verankerte Autonomie einzelner Völ-

ker an den Landesgrenzen endet. Indigene

Völker, die in zwei oder mehreren Ländern

leben, haben keine gemeinsame anerkannte

autonome politische Struktur. Dies gilt zum

Beispiel für die Völker im Chaco, der sich in die

drei Länder Bolivien, Paraguay und Argenti-

nien erstreckt.

Partizipation

Das Recht auf Partizipation indigener Völker

bezieht sich laut ILO-Konvention auf alle Ent-

scheidungen, die sie direkt betreffen (Art. 7.1).

Die Konvention verpflichtet daher die Regie-

rungen, “Mittel zu schaffen, durch die diese

Völker sich im mindestens gleichen Umfang

wie andere Teile der Bevölkerung ungehindert

auf allen Entscheidungsebenen an auf dem

Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie

an Verwaltungs- und sonstigen Organen betei-

ligen können, die für sie betreffende Maßnah-

men und Programme verantwortlich sind“

(Art.6).

Allgemein setzt eine wirkungsvolle Partizipati-

on die rechtliche Verankerung, die Einbettung

in die politischen Strukturen des Landes, die

politische Legitimität und eine hinreichend

große Handlungsfähigkeit der zu beteiligenden

Akteure voraus (EBERLEI, 2003). Partizipation

ist also nicht die staatlich gewährte Teilnahme

an Entscheidungsprozessen, sondern die

rechtlich abgesicherte Teilhabe. Im Folgenden

geht es im wesentlichen um die Partizipati-

onsmöglichkeiten indigener Völker an den

politischen Entscheidungen auf den unter-

schiedlichen staatlichen Ebenen.

Foto: Indigener Gender - Dialog im urbanen Kontext (S. HESS-KALCHER, PROENCUENTRO)

Die Antwort der lateinamerikanischen Staaten

auf die Forderung indigener Organisationen

nach politischer Teilhabe und Zugang zu den

politischen Entscheidungsstrukturen war in den

meisten Ländern die Einrichtung staatlicher

oder autonomer Stellen für “indigene Angele-

genheiten“ wie des Ministerio de Asuntos In-

Page 61: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

55

dígenas y Pueblos Originarios (MAIPO), der

Consejo de Desarrollo de las Nacionalidades y

Pueblos Indígenas (CODENPE) in Ecuador

oder die Corporación Nacional de Desarrollo

Indígena (CONADI) in Chile. Der politische

Einfluss dieser Institutionen ist gering. Die

Indigenen haben zwar in den meisten Fällen

ein Mitspracherecht, was die personelle Beset-

zung der Institutionen und deren Politik anbe-

langt, bestimmen diese Politik aber nicht. Von

daher erfüllen diese Institutionen den Anspruch

indigener Partizipation an den Entscheidungen

des Staates nicht.

Um sich die politische Partizipation in den

Ländern zu erkämpfen, haben Indigene unter-

schiedliche Optionen entwickelt. Grundvoraus-

setzung all dieser Optionen ist die Existenz

starker regionaler und/ oder nationaler indige-

ner Organisationen.

Die Bildung einer eigenständigen indige-

nen Partei:

Ein Beispiel dafür ist Pachakutik6 in Ecua-

dor, die das erste Mal 1996 an den Kon-

gresswahlen teilgenommen und 8 Sitze

gewonnen hat. Pachakutik hat eine wichti-

ge Rolle in der Diskussion um die Ratifizie-

rung der ILO-Konvention 169 und der neu-

en ecuadorianischen Verfassung gespielt.

Mit Nina Pacari und Luis Macas hatten sie

2003 sogar kurzzeitig zwei Ministerposten

in der neuen Regierung inne. Pachakutik

hat innerhalb kurzer Zeit eine wichtige

Stellung für Indigene im parlamentarischen

Raum einnehmen können. Dieser Erfolg

war jedoch nur durch die Zusammenarbeit

der unterschiedlichen Organisationen und

Indigenen aus dem Andenraum und dem

Amazonas möglich.7

6 Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik – Nuevo Pais ist ein Bündnis von Indigenen und ande-ren Sektoren der Gesellschaft 7 Allerdings scheint Pachakutik zur Zeit das gewon-nene politische Ansehen wieder zu verspielen. So beklagt LUIS MACAS, 2003 Landwirtschaftsminister in der Regierung Gutiérrez: “Pachakutik verfügt über kein Regierungsprogramm, das in den eigenen Reihen abgestimmt wäre.... Die politische Krise beinhaltet für Pachakutik das Risiko, aus der politis-chen Landschaft zu verschwinden, wenn keine tiefgehende Auswertung vorgenommen wird, die einen politischen Wandel und eine geänderte Stra-

Die Nutzung munizipaler Strukturen wie in

Guatemala:

In Guatemala gibt es neben der alcaldía

(Kommune) indigene Gebietskörperschaf-

ten (municipios indígenas). In ländlichen

Gebieten mit absoluter indigener Mehrheit

wählen die Bewohner der indigenen Weiler

(Cantones) ihre eigenen Bürgermeister (in

einigen wenigen Orten wie Zolola sind es

Bürgermeisterinnen) nach einem eigenen

Wahlverfahren. Zwar verfügen diese indi-

genen Gebietskörperschaften über eine

gewisse Autonomie, sind aber der alcaldía,

die zum Beispiel das Geld verwaltet, nach-

geordnet.

Auch in Städten wie Quezaltenango haben

sich comités civicos, eine Art Wahlverein,

der indigenen Bevölkerung gebildet mit

dem Ziel, die Bürgermeister des Ortes zu

stellen, und so ein poder local aufzubauen.

Da das guatemaltekische Wahlsystem nur

Parteien und comités civicos anerkennt,

haben sich die indigenen Organisationen

entschlossen lokal über die comités civicos

in das “normale“ Wahlgeschehen ein-

zugreifen.8 Die lokalen indigenen Struktu-

ren sind relativ schwach und weitgehend

auf externe Unterstützung durch die staat-

liche oder nichtstaatliche Entwicklungszu-

sammenarbeit zur Durchführung von Pro-

jekten angewiesen. Auch in den Anden-

ländern wie in Peru und Ecuador beteiligen

sich die indigenen Organisationen mit ei-

genen Kandidaten an den Bürgermeister-

wahlen, unter den gleichen Bedingungen

wie alle anderen Kandidaten. In Peru, wo

bis vor einigen Jahren Bürgermeister noch

vom Staat ernannt wurden, haben sie bei

den letzten Bürgermeisterwahlen einige

Erfolge erzielen können.

tegie, wie ein wirklich plurinationaler Staat erreicht werden kann, beinhaltet“ (zitiert aus ILA, Mai 2004). 8 Zwar wurde in Guatemala Ende der 1990er die Bildung eigenständiger Indigenenpartei diskutiert. In Guatemala wurde dieser Plan jedoch wieder verwor-fen, da die Organisationen zu schwach, zu zerstrit-ten waren und zu wenig Basis hatten.

Page 62: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

56

Der Aufbau autonomer völkerübergreifen-

der Selbstverwaltungsstrukturen:

Ansätze gibt es dazu in Ecuador mit dem

“indigenen Parlament“. Allerdings sind die

Abgrenzungen zwischen den indigenen

Organisationen CONAIE (Consejo de Na-

cionalidades Indígenas del Ecuador) und

CONFENIAE (Confederación de Naciona-

lidades Indigenas de la Amazonía Ecuato-

riana) einerseits und dem indigenen Par-

lament andererseits unscharf, so dass an

dieser Stelle wenig darüber gesagt werden

kann, welchen Beitrag das Parlament zur

politischen Teilhabe und Selbstverwaltung

leistet bzw. leisten kann.

Das “klassische Mittel“ des sozialen Pro-

testes:

Beispiele dafür sind die sozialen Protest-

bewegungen in Bolivien und Ecuador oder

die (bewaffnete) Widerstandsbewegung

der Zapatisten in Mexiko, die maßgeblich

von indigenen Völkern beziehungsweise

deren Organisationen getragen werden.

Diese Proteste haben in Ecuador und Boli-

vien zu tiefen Regierungskrisen bis hin zur

Absetzung der amtierenden Regierung ge-

führt und national wie international das

Augenmerk auf die soziale und politische

Marginalisierung der indigenen Völker ge-

richtet.

Bildung von Interessenvertretungen und

Nichtregierungsorganisationen auf überre-

gionale Ebene:

Die gewachsene Präsenz indigener Orga-

nisationen auf den internationalen Foren

sollte in diesem Zusammenhang nicht un-

terschätzt werden. Die internationale De-

batte um die Rechte indigener Völker hat

zur Stärkung der indigenen Organisationen

und ihren Partizipationsmöglichkeiten bei-

getragen.

In der Praxis schließen sich die einzelnen Op-

tionen nicht aus sondern ergänzen sich viel-

mehr. Die indigenen Organisationen kombinie-

ren daher gleichzeitig mehrere Ansätze in ihrer

Politik. Die oben genannten Optionen beziehen

sich alle auf Länder, in denen indigene Völker

einen hohen Anteil an der Bevölkerung oder

die Bevölkerungsmehrheit bilden. Anders sieht

es in den Ländern aus, in denen Indigene eine

kleine Minderheit sind wie in Kolumbien oder

Venezuela.

Das Beispiel Venezuela

Die indigenen Organisationen Venezuelas

stehen vor einer enormen Herausforderung.

Innerhalb kürzester Zeit haben sich nach Jahr-

hunderten der Negierung mit dem Regie-

rungswechsel 1998 Möglichkeiten der aktiven

politischen Partizipation und Interessenvertre-

tung ergeben. Diese ist in der Verfassung ver-

ankert, deren rechtlich-administrative Umset-

zung jedoch noch durch Gesetze geregelt

werden muss. Die Indigenen können sich da-

bei im wesentlichen nur auf eine politische

Kraft innerhalb der Mehrheitsgesellschaft stüt-

zen: den Präsidenten und Teile seiner Partei.

Nach wie vor handelt der überwiegende Teil

der Mehrheitsgesellschaft einschließlich des

Verwaltungsapparates diskriminierend. So

stieß das Gesetz zur Demarkierung des habi-

tat, einem in anderen lateinamerikanischen

Ländern ungebräuchlichen Begriff für indige-

nes Land und das Resultat eines Kompromis-

ses der Parteien im Parlament, auf erhebliche

Widerstände. Großgrundbesitzer und Militärs

starteten eine Gegenkampagne, in der sie

Landkarten Venezuelas veröffentlichten, die

das ganze Land in der Hand von einigen weni-

gen Indigenen zeigte, während sich die Millio-

nen von Venezolanern in ein paar Städten

zusammendrängen mussten. Die indigenen

Organisationen, die noch relativ jung und

schwach sind, stehen also vor der großen

Herausforderung den neuen Spielraum optimal

zu nutzen, und die erreichten Reformen zu

sichern. Sie benötigen dafür eine breite Akzep-

tanz in der Bevölkerung. Dementsprechend

setzen sie auf Dialog und weniger auf Konfron-

tation. Ein Beispiel für den Umgang im Konflikt-

fall ist die umstrittene Stromleitung von Ciudad

Guayana nach Brasilien und das Einlenken der

indigenen Organisationen, die im Endeffekt

dem Bau der Stromleitung zustimmten, im

Versprechen auf einen regionalen Entwick-

lungsfonds und der Aussicht auf eine rechtli-

che Verankerung indigener Territorien auf na-

tionaler Ebene. Die Auseinandersetzung um

die Stromleitung hat fast zur Spaltung der regi-

Page 63: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

57

onalen Indigenenorganisation im venezolani-

schen Bundesstaat Bolívar geführt.

Durch die neue Verfassung haben die Indige-

nen das Recht, drei Parlamentsabgeordnete

zu stellen, Parlamentarier und Stadträte in die

Provinz- und Kommunalparlamente zu entsen-

den, und Institutionen für indigene Belange

personell zu besetzen. Das stellt die indigenen

Organisationen vor große Herausforderungen,

da sie nicht über viele ausgebildete Führungs-

persönlichkeiten verfügen und keine politi-

schen Erfahrungen in der parlamentarischen

Arbeit haben. Sie müssen nicht nur eigene

Gesetzesvorschläge erarbeiten, sondern auch

gleichzeitig den politischen Druck oder Spiel-

raum entwickeln, um sie durchzusetzen. Das

ist für eine relativ junge Organisation wie

CONIVE, der nationalen Indigenenorganisation

Venezuelas, für die indigenen Parlamentarier

und die kleine Gruppe von Beratern eine sehr

große Aufgabe. Die deutsche Entwicklungszu-

sammenarbeit hat die indigenen Organisatio-

nen in der Erarbeitung der relevanten Verfas-

sungsartikel unterstützt, in dem sie ihnen die

Möglichkeit gegeben hat, Konsultationswork-

shops mit der Basis durchzuführen. In einer

zweiten Phase, die mittlerweile abgeschlossen

ist, wurde dann die Rückkoppelung über die

gesetzgeberischen Vorschläge zwischen den

indigenen Parlamentariern und der indigenen

Basis unterstützt. Weiterer Bestandteil des

Projektes war die rechtliche Beratung bei Ge-

setzesvorschlägen. Dieses Projekt ist ausge-

laufen, ohne dass neue Vereinbarungen ge-

troffen wurden. Dies ist bedauerlich, da es für

die Indigenen in Venezuela notwendig wäre –

auch angesichts der Polarisierung der Gesell-

schaft – einen kontinuierlichen angepassten

Konsultationsprozess zwischen indigenen Par-

lamentariern und der Basis über ihre Arbeit

und neue Gesetzesinitiativen durchzuführen.

Dies ist umso dringender, da die parteipoliti-

sche Vereinnahmung der indigenen Bewegung

und damit der Verlust ihrer Unabhängigkeit

droht, was langfristig zu einer Schwächung der

indigenen Bewegung Venezuelas führen kann.

Das Beispiel Kolumbien

In Kolumbien stehen die indigenen Völker und

deren Organisationen vor anderen Herausfor-

derungen. Obwohl die Indigenen nur ca. 3%

der Gesamtbevölkerung ausmachen, haben

sie bereits Anfang der 1990er Jahre eine weit-

gehende Anerkennung ihrer Rechte durchset-

zen können. So wurden bereits in der Verfas-

sung von 1991 indigene Territorien, so ge-

nannte resguardos anerkannt, und ihnen auf

der politischen Ebene die direkte Interessen-

vertretung im Senat durch zwei Mitglieder zu-

gesichert. Die rechtliche Anerkennung indige-

ner Völker ist in Kolumbien weiter fortgeschrit-

ten als in den anderen lateinamerikanischen

Ländern. In der Realität wird allerdings dieser

Rechtsanspruch durch die Realität des Krieges

in den indigenen Territorien überlagert. Die

bewaffneten Gruppen, Guerilla, Paramilitär und

Militär kämpfen um die territoriale Kontrolle

und, eine indigene Selbstverwaltung der res-

guardos ist unmöglich. Die Aussage von AIDA

SUÁREZ SANTOS von der regionalen Indigene-

norganisation in Antioquia beschreibt den ein-

geschränkten Handlungsspielraum der Indige-

nen: “Unser Vorschlag sind Schutzzonen in-

nerhalb des Territoriums, wo die indigenen

Gemeinden leben. Diese Zonen müssen aber

außerhalb der strategischen Korridore der

bewaffneten Akteure liegen. Es soll bestimmte

Orte geben, wo Gemeinden Zuflucht suchen

können, wenn ihnen in ihrem eigenen Gebiet

Vertreibung droht oder Kämpfe zu befürchten

sind.“ (BRAßEL, ILA, 2004). Angesichts der

permanenten Bedrohung des Lebens und der

Vertreibung ist es fast unmöglich, indigene

Selbstverwaltungs- und Beteiligungsstrukturen

aufzubauen – trotz weitreichender rechtlicher

Absicherung.

Fazit

Trotz einiger Verbesserungen hin zu mehr

Partizipation und damit zu mehr Demokratie ist

die politische Marginalisierung indigener Völker

längst nicht überwunden. Es wird daher wichtig

sein, die Ansätze, die sich in den einzelnen

Ländern zeigen, zu nutzen und auszubauen.

Dazu gehört auch die Begleitung und Beratung

indigener Organisationen in der Ausgestaltung

Page 64: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

58

der Partizipationsmöglichkeiten und der Wahr-

nehmung ihrer Rechte. Für indigene Organisa-

tionen und ihre Vertreter/innen besteht die

Gefahr in dem bestehenden System der la-

teinamerikanischen Länder kooptiert und kor-

rumpiert zu werden. Dieses Problem wird nur

durch eine regelmäßige und systematische

Rückkoppelung der parlamentarischen Vertre-

tung mit der Basis vermeidbar sein. Für die

Entwicklungszusammenarbeit bieten sich hier

in der Beratung und Unterstützung viele An-

satzpunkte.

Foto: Indigene Bevölkerung im Andenhochland (K. HEISING)

Legitimität von Repräsentant/innen

Oft diskutiert wird die wichtige Frage der Rep-

räsentanz: Wer ist berechtigt für die Belange

indigener Völker, indigener Gemeinschaften zu

sprechen? Sind es nur die traditionellen Autori-

täten oder die jungen “modernen“ Organisatio-

nen oder gar nicht-indigene Nichtregierungsor-

ganisationen? Von indigener Seite wird die

Vermittlung oder Vertretung indigener Belange

durch nicht-indigene NRO abgelehnt. Schwie-

riger ist jedoch das Verhältnis zwischen traditi-

onellen und “modernen“ Organisationsstruktu-

ren. Ohne Frage haben sich vor allem im Tief-

land aber auch im Hochland Lateinamerikas

parallele Machtstrukturen herausgebildet. In

vielen Orten stehen die Organisationen neben

den traditionellen Strukturen und eine gute

Verbindung dieser beiden Macht- und Ent-

scheidungsstrukturen gibt es nur in wenigen

Fällen (z.B. bei den Kuna in Panama oder dem

CRIC in Kolumbien). Allerdings reagieren die

beiden Strukturen auf unterschiedliche Anfor-

derungen und Bedürfnisse: die traditionellen

Machtstrukturen bestimmen im wesentlichen

das Innenverhältnis der Gemeinschaften, wäh-

rend die “modernen“ Organisationen im wesent-

lichen die Funktion der Außenrepräsentanz

und Durchsetzung von Interessen haben. Na-

Page 65: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

59

türlich ist diese Aufteilung der Funktionen idea-

listisch, in der Praxis finden viele Überschnei-

dungen und Überlagerungen statt, die zu Kon-

flikten führen. Für die EZ ist es wichtig, die

Strukturen gut zu kennen, um durch Interventi-

onen keine neuen Konflikte zu schüren. Au-

ßerdem ist zu beachten, dass die indigenen

Organisationen sich als Mittler zwischen Ge-

berorganisationen und indigenen Gemein-

schaften verstehen und nicht auf die Mittler-

funktion von Kirche und/ oder NRO angewie-

sen sind. Die Mittlerfunktion Dritter wird von

indigener Seite sogar vehement abgelehnt. Mit

dieser “Mittlerfunktion“ ist jedoch nicht die Be-

raterfunktion, die vor allem bei rechtlichen Fra-

gen eine große Rolle spielt, gemeint.

Es ist wichtig, Spannung zwischen traditionel-

len und westlichen Strukturen nicht zu verstär-

ken. Die EZ sollte daher die internen Abstim-

mungsprozesse der indigenen Völker respek-

tieren.

Entwicklungszusammenarbeit

Wie sieht nun der Beitrag der deutschen Ent-

wicklungszusammenarbeit im Kontext von

Demokratisierung – Anerkennung und Ausges-

taltung autonomer Selbstverwaltungsstrukturen

– Partizipation aus? Das Konzept des BMZ zur

Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen

Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika

(1996:6) sieht in den verbesserten rechtlichen

Rahmenbedingungen Möglichkeiten “sowohl

im Bereich der nichtstaatlichen als auch im

Bereich der zwischenstaatlichen EZ verstärkt

tätig zu werden…“ und fährt fort: “Die Bundes-

regierung nutzt diese Möglichkeiten und wird

ihre Bemühungen intensivieren, indianische

Bevölkerungsgruppen in der Artikulierung,

Durchsetzung und Wahrnehmung ihrer Rechte

zu unterstützen. Sie sieht ein solches Enga-

gement nicht nur als unverzichtbaren Bestand-

teil ernst gemeinter Anstrengungen zur Ar-

mutsbekämpfung in Lateinamerika, sondern

auch als wichtigen Beitrag zur Wahrung der

Menschenrechte und zur Konsolidierung de-

mokratischer Gesellschaftsstrukturen, die allen

Bevölkerungsgruppen politische Partizipation

und Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand

garantieren.“ Die Unterstützung indigener Völ-

ker in der Wahrnehmung ihrer Rechte und die

Partizipation Indigener im Sinne einer Konsoli-

dierung demokratischer Gesellschaftsstruktu-

ren steht demzufolge an prominenter Stelle in

der EZ mit indigenen Völkern.

Dies wird durch das “Partizipationskonzept“

des BMZ (1999) verstärkt. In der Zieldefinition

heißt es: “Ziel ist es, allen Beteiligten – Frauen

wie Männern – zu ermöglichen, an einem

transparenten Dialog- und Entscheidungspro-

zess teilzunehmen. Im Vordergrund dieses

Partizipationskonzeptes stehen gesellschaftli-

che Gruppen, deren Beteiligungsmöglichkeiten

u.a. aufgrund der Verteilung von Macht und

wirtschaftlichen Möglichkeiten unzureichend

sind.“ Dies bezieht sich nicht nur auf die parti-

zipative Gestaltung der Projekte und Pro-

gramme der Entwicklungszusammenarbeit. So

heißt es weiter unten “(...) wirkt die EZ auf

verbesserte gesellschaftliche Partizipation im

Partnerland hin, z.B. durch die Unterstützung

der Zivilgesellschaft (...) und von dezentralen

demokratischen Strukturen“ (1999:2).

Erneut wurde dieser Ansatz in dem Sektorvor-

haben: “Mainstreaming Partizipation der GTZ“

aufgegriffen, das drei Dimensionen der Partizi-

pation im Kontext der EZ unterscheidet

(MAENNLING, 2003):

1. die Beteiligung an den Arbeitsprozessen in

Projekten und Programmen,

2. die demokratische Bürgerbeteiligung an

Entscheidungs- und Steuerungsprozessen

3. und die Beteiligung an der Schaffung von

Institutionen in Politik und Gesellschaft, die

die Partizipation ermöglichen und gewähr-

leisten.

In Projekten und Programmen der EZ werden

heute verstärkt indigene Völker als Zielgruppen

wahrgenommen und einbezogen. Und zwar

nicht nur auf der Ebene der Planungsabläufe

der EZ sondern auch in der politischen Aus-

richtung: Das bereits genannte Projekt “Inter-

kultureller Dialog und politische Beteiligung der

Indígena-Bevölkerung Guatemalas“, die institu-

tionelle Förderung von AIDESEP in Peru und

der COICA, die Unterstützung der indigenen

Parlamentarier in Venezuela ebenso wie das

InWEnt Trainingsprojekt zu indigenen Rechten

Page 66: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Staat

60

zeigen Ansätze für eine veränderte Schwer-

punktsetzung.

5. Schlussfolgerungen und Empfehlun-gen

Die rechtlichen Fortschritte der letzen Jahre

und die zunehmende politische Bedeutung

indigener Organisationen auf nationaler und

internationaler Ebene kann jedoch nicht dar-

über hinwegtäuschen, dass der Alltag indige-

ner Völker in Lateinamerika nach wie vor von

sozialer, politischer und wirtschaftlicher Dis-

kriminierung und Marginalisierung bestimmt ist.

Die neuen rechtlichen Möglichkeiten und die

Veränderung des politischen Diskurses bein-

halten Chancen, Diskriminierung und Margina-

lisierung nachhaltig abzubauen. Eine wirkliche

Anerkennung der Multiethnizität eines Landes

beinhaltet durchaus die Restrukturierung des

existierenden Staates und eine Neudefinition

des Verhältnisses von Staat und indigenen

Völkern. Die Entwicklungszusammenarbeit

kann diesen Prozess im Sinne einer Demokra-

tisierung der Länder unterstützen: durch die

gezielte Förderung indigener Organisationen

und Selbstverwaltungsstrukturen, durch das

Training Indigener zu Rechtsfragen, zu Fragen

der Verwaltung und des Finanzmanagements,

sowie durch die Einbeziehung der indigenen

Zielgruppe in die Programme von Staatsmo-

dernisierung und Demokratisierung.

Darüber hinaus bedarf es eines Prozesses, in

dem die EZ und die indigenen Organisationen

sich über Konzepte von Demokratisierung,

Autonomie und Partizipation verständigen, um

wirkungsvolle Ansätze für die EZ zu finden. In

diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auch

staatliche Institutionen in diesen Dialog einzu-

binden.

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tute of Latin American Studies. England

Page 67: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

61

Indigene Völker und Landrechte

DR. THEODOR RATHGEBER

“Der Ausgangspunkt für eine gerechte und humane Politik für solche Gruppen [indigene

Gemeinschaften; T.R.] ist die Anerkennung und der Schutz ihrer traditionellen Rechte auf

Land und andere Ressourcen, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensweise brauchen –

Rechte, die sie möglicherweise anders definieren als sie dem bisherigen Rechtsstandard

entsprechen. Die eigenen Institutionen dieser Gruppen, die Rechte und Pflichten verteilen,

sind grundlegend für die auf Ausgleich bedachte Wechselbeziehung zwischen Natur und

Umweltbewusstsein, sind charakteristisch für diese traditionelle Lebensweise. Insofern muss

die Anerkennung der traditionellen Rechte mit den Maßnahmen zum Schutz der lokalen In-

stitutionen Hand in Hand gehen, um den verantwortlichen Ressourcenverbrauch zu stär-

ken.“1

1 BRUNDTLAND, 1987; Übersetzung des Autors

1. Der Bedeutungskontext indigener Territorien

Territoriale Fragen sind für indigene Völker von

grundsätzlicher, existenzieller Bedeutung. Die

meisten indigenen Völker mussten – soweit sie

nicht in entlegenen Gebieten leben – im Zuge

von Eroberung und Kolonisierung Landverluste

hinnehmen, die bis heute eine unabgegoltene

Beschädigung souveräner Herrschaft darstel-

len. Wenngleich in Lateinamerika so gut wie

keine indigene Organisation die Wiederher-

stellung einer vollen staatlichen Souveränität

beansprucht oder separatistische Ziele an-

strebt, schwingt in den Auseinandersetzungen

um das traditionell besiedelte oder genutzte

Land immer der Anspruch auf eine eigenstän-

dige Verfügung der Restbestände an Land mit.

So gibt es kein nationales oder internationales

Forum, auf dem Beiträge indigener Repräsen-

tantinnen und Repräsentanten nicht wiederholt

ihren zentralen Bezug auf Landrechte zum

Ausdruck bringen, und das darin eingebettet

Überleben als Kultur hervorheben (zur Ambi-

valenz des ‚Kultur‘-Begriffs im indigenen Kon-

text siehe auch STRÖBELE-GREGOR und ABRAM

in diesem Band). In der jüngsten, über 30 Jah-

re dauernden, indigenen Landrechtsbewegung

wurde in den politischen und rechtssys-

tematischen Debatten zu den Landrechten

indigener Völker der Begriff des ‚Territoriums‘

statt ‚Land‘ ins Spiel gebracht. In bewusster

Anlehnung an den historischen Bedeutungs-

verlust sowie an die Vorstellung einer rechtlich

abgesicherten Grundlage, die eine relativ sou-

veräne Verfügung über Boden, Untergrund

und Luftraum erlaubt.

Indigene Völker und Gemeinschaften meinen

mit Territorium allerdings nicht allein die mate-

rielle Verfügungsmöglichkeit über den Boden

und die vorhandenen natürlichen Ressourcen

(vgl. FELDT und ROSSBACH DE OLMOS in diesem

Band), sondern den Versuch, sich eigenstän-

dige Lebensentwürfe wieder anzueignen und

weiter zu entwickeln. Mit dem Begriff Territo-

rium verknüpft sich der Anspruch auf eine kul-

turell normierte Existenz mit eigener Sprache,

eigenen Rechtssystemen, spezifischer Versor-

gung in den Bereichen Gesundheit und Ausbil-

dung sowie politisch autonomer, lokaler Ver-

waltung. Das Territorium stellt die Projektions-

fläche für den spezifisch sozialen und kulturel-

len Verbund dar, mit eigenen Mitteln wenigs-

tens ansatzweise eine Entwicklung nach eige-

nen kulturellen Leitbildern und Maßstäben zu

ermöglichen. Nicht zuletzt verstehen indigene

Völker ihr Territorium als den unverwechselba-

Page 68: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

62

ren Ort ihrer spirituellen Rückverbindung (lat.:

religere) zwischen der Tätigkeit in vertrauter

Umgebung und dem Sinn des Lebens. Die

Mythen, die Gräber der Ahnen, die spirituelle

Verwurzelung mit der Umgebung, die auf den

traditionell bewohnten und genutzten Territo-

rien entstanden sind, verleihen den Gemein-

schaften eine eigene, nicht von anderen ab-

hängige oder abgeleitete Geschichte und Iden-

tität (RATHGEBER, 1994 und 2003;

STAVENHAGEN, 2002).

Was von dieser umfassenden Zuschreibung

des Territoriums jeweils aufgenommen wird,

richtet sich nach den Kräfteverhältnissen in der

jeweiligen Region. Die Gewichtung einzelner

Bestandteile ist ebenso offen für Veränderun-

gen und korrespondiert mit der Frage bzw.

Identifizierung, wer eigentlich indigene Völker

sind. Die Vereinten Nationen und andere inter-

nationale Foren legen die Annahme zugrunde,

dass von einem indigenen Volk dann gespro-

chen werden kann, wenn zum einen zumindest

Teile aus einem Bündel an historischen, geo-

graphischen und sozialen Anhaltspunkten so-

wie ethnologische Kriterien vorliegen. Dies

wären etwa die Nachfahren der ersten Siedler

in einer Region sowie das Vorhandensein min-

destens von Restbeständen an eigener Spra-

che, Religion oder spezifischer Formen der

politischen und juristischen (Selbst-) Verwal-

tung. Zum anderen müssen sich die Angehöri-

gen einer solchen Gemeinschaft selbst als

indigen identifizieren. Die (Selbst-) Identifika-

tion indigener Völker stellt insofern einen eher

prozesshaften Vorgang denn eine abgeschlos-

sene Definition dar – und bleibt offen für Ver-

änderungen.

Aus guten Gründen: Angehörige indigener

Gemeinschaften etwa in Guatemala, Mexiko

oder Kolumbien waren in der jüngeren Vergan-

genheit gut beraten, sich je nach Gefahrenlage

oder drohender Diskriminierung einmal eher

als Kleinbauern, das andere Mal eher als An-

gehörige einer indigenen Gemeinschaft zu

erkennen zu geben. Entsprechend variiert

nach außen der Charakter des besiedelten

oder genutzten Landes. Der dem Völkerrecht

entlehnte Begriffsteil ‚Volk‘ unterstreicht

gleichzeitig den Anspruch auf das Territorium

im Sinne eines historisch gewachsenen Rau-

mes, der innerhalb des gegebenen National-

staates autonome Entscheidungen gegenüber

anderen sozialen Gruppen beansprucht

(STAVENHAGEN, 2002).

Das Territorium als skizziertes, kleinräumliches

‚Universum‘ stellt Angel- und Zielpunkt selbst

derjenigen dar, die lediglich Aspekte davon für

sich einfordern. Es dürfte unter den Angehöri-

gen indigener Gemeinschaften schwerlich je-

mand zu finden sein, der die vom Brundtland-

Report (1987) dargelegte, konstitutive Wech-

selbeziehung zwischen Land, Ressourcen,

eigenen Institutionen sowie dem Anspruch an

die eigene Lebensweise in Abrede stellen woll-

te. Dies gilt selbst für Angehörige, die in Städ-

ten leben, dort aber über verwandt- und nach-

barschaftliche oder lokal bezogene Verei-

nigungen vielfältige Beziehungen zu ihren Ur-

sprungsorten aufrechterhalten und materiell

wie ideell zur Existenzsicherung des Territori-

ums beitragen. Sie unterstreichen dessen um-

fassende Bedeutung für das Überleben und

die Vitalität indigener Gemeinschaften. Die im

Begriff Territorium mitschwingende, kollektive

und kulturelle Dimension behält offensichtlich

auch in städtischer Umgebung ihre über die

einzelnen Generationen hinausweisende Be-

deutung bei (RATHGEBER, 1994; HOLZINGER,

2003).

Die Ausprägung der Wechselbeziehung von

Land, Ressourcen, Institutionen und selbstbe-

stimmter Lebensweise sowie die Wahrneh-

mung durch die Öffentlichkeit fallen gleichwohl

unterschiedlich aus; je nachdem, wie stark die

einzelnen Gemeinschaften von den äußeren

Eingriffen durchdrungen sind, und wie diskrimi-

nierend oder gar strafverfolgend die soziale

Umgebung auf die öffentliche Darstellung rea-

giert. Bei indigenen Völkern im Tiefland des

Amazonas trat diese enge Wechselbeziehung

von Land und Selbstverwaltung immer schon

ostentativer zutage als etwa bei Gemeinschaf-

ten im andinen Hochland. Letztere waren zum

einen direkter dem unmittelbaren Machtbe-

reich der kolonialen und später republikani-

schen Herrscher ausgesetzt. Zum anderen

mussten sie unter diesen Bedingungen eine

Entwicklung auf der Grundlage bäuerlicher

Subsistenzökonomie einschlagen, so dass

indigene Gemeinschaften im Hochland eher

Page 69: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

63

als kleinbäuerliche Gemeinden in Erscheinung

traten. Gleichwohl lassen sich heute noch bei

näherem Hinsehen auch dort viele Elemente

eines kulturell spezifischen Zusammenhanges

entdecken, der durch die koloniale Dominanz

in den Hintergrund rücken musste.

Außerdem zielen etwa in Guatemala die For-

derungen nicht allein auf die Rückgabe des im

Bürgerkrieg von der Armee konfiszierten Lan-

des, sondern auch auf die Rückgabe spirituell

und kulturell bedeutsamer Stätten. Aufgrund

der politisch und strafrechtlich polarisierten

Situation konzentrieren in Chile manche Orga-

nisationen der Mapuche ihre Forderungen auf

die Nutzung öffentlicher Räume zur Durchfüh-

rung tradierter Zeremonien, vor allem in den

Städten, oder die Einrichtung staatlich beson-

ders geförderter Zonen für eine wie auch im-

mer geartete ‚indigene Entwicklung‘.

Es ist daher unabdingbar, die unterschiedliche

Dynamik der Landrechtsauseinandersetzun-

gen zu berücksichtigen; insbesondere im Tief-

und Hochland. Gleichwohl scheint mir im Kon-

text der Fragestellung mindestens genauso

interessant, dass gerade auch im kleinbäuer-

lich strukturierten, andinen Hochland immer

wieder an tradierte Institutionen angeknüpft

wird, um eine eigenständige, teilweise im Ver-

borgenen stattfindende Entwicklung einzulei-

ten. Kollektive Formen der Arbeitsorganisation,

gemeinschaftlich bewirtschaftete Flächen, die

Einbettung staatlicher Verwaltungseinrichtun-

gen in tradierte Formen der Selbstverwaltung

oder die Wiederbelebung kulturell normierter

Leitbilder in religiösen Zeremonien (Stichwort

Synkretismus) offenbaren auch dort die im

Vergleich zu nicht-indigenen Kleinbauern spe-

zifische Dynamik, mit der Auseinandersetzun-

gen um das Land geführt werden. Seitdem in

Bolivien das Gesetz zu den Tierras Comunita-

rias de Origen (TCOs) für indigene Gemein-

schaften nachvollziehbare Ergebnisse zustan-

de bringt, zeigen auch die Hochlandbewohner

ein starkes Interesse an dieser Möglichkeit,

kommunalen Landbesitz mit kollektiven

Rechtstiteln ausstatten zu lassen. Ein Gesetz,

das ursprünglich mit Blick auf das Tiefland

konzipiert wurde, schlägt also vermehrt auf

das Hochland durch, aus dessen Regionen

inzwischen zwei Drittel der Anträge eingegan-

gen sind. Die dortigen Bewohner sehen eine

realistische Möglichkeit, an tradierte Institutio-

nen anknüpfen und kommunale Landbesitz-

verwaltungen wieder einrichten zu können

(RATHGEBER, 2003; siehe auch Abschnitt 4)

Darüber hinaus entwickelten indigene Völker

eine erstaunliche Fähigkeit, koloniale Struktu-

ren und Formen der sozialen Organisation für

eigene Zwecke zu nutzen. So ist der von den

Spaniern eingeführte Cabildo (Dorfrat) etwa für

indigene Gemeinschaften in Kolumbien zum

Inbegriff der politischen Autonomie auf den

traditionell besiedelten Territorien geworden. In

gleicher Weise wurde das Resguardo (Reser-

vation) als Eigentumsanspruch auf indigene

Territorien und deren Verwaltung übernom-

men. Die neue kolumbianische Verfassung

von 1991 bestätigte dieses Rechtsmodell, so

dass hier indigene Völker als Rechtssubjekte

in der autonomen Verwaltung ihres Lebens-

raums auftreten und ihr Gewohnheitsrecht

ausüben (MEMBREÑO IDIAQUEZ, 1994;

RATHGEBER, 1994; MUYUY JACANAMEJOY,

1997). Würden die in der kolumbianischen

Verfassung vorgesehenen territorialen Körper-

schaften für indigene Gemeinschaften (Entida-

des Territoriales Indígenas) in Ausführungsge-

setzen geregelt und umgesetzt, könnte dies

dem skizzierten Anspruch auf territoriale Auto-

nomie recht nahe kommen.

Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich

mit den Worten von Robert A. Williams – ei-

nem renommierten Experten für indigene

Landrechte, der in den 1990er Jahren in die

UN-Unterkommission zur Förderung der Men-

schenrechte berufen wurde – feststellen, dass

die tragenden materiellen, kulturellen und spi-

rituellen Säulen indigener Identität unabding-

bar mit dem Bezug zum jeweiligen Territorium

verknüpft bleiben (zitiert nach DAES, 2000:

Absatzziffer 12).

2. Indigene Landrechte im Kontext inter-nationaler Standardsetzung

Begriffliche und konzeptionelle Annäherungen

an Bedeutung und Umfang des indigenen Ter-

ritoriums sind in den einschlägigen internatio-

nalen Foren und vertraglichen Plattformen wie

etwa bei internationalen Übereinkommen fast

Page 70: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

64

schon zur Selbstverständlichkeit geworden. In

gleicher Weise sind im vergangenen Jahrzehnt

in Lateinamerika Versuche zu beobachten, die

Ergebnisse dieser Debatten und Standards im

nationalstaatlichen Rahmen juristisch umzu-

setzen, und dem jeweiligen Staat einen der

Bevölkerungsstruktur entsprechenden kultu-

rellen Pluralismus zu verordnen. Stichworte

wie spezifische Rechte oder Wahlkataster für

Angehörige indigener Völker in einer demokra-

tisch egalitären Gesellschaft, doppelte Staats-

bürgerschaften für Grenzlandbewohner etwa in

Kolumbien und Ecuador, ‚Selbstbestimmung‘

für regionale Teile einer Nation oder besonde-

re Konsultationsverpflichtungen für Regierun-

gen und Behörden reichen hier als Stichworte

aus, um den Paradigmenwechsel der staatli-

chen Politik in Bezug auf indigene Völker zu

verdeutlichen. Mindestens der Verfassung

nach gilt in vielen Staaten Lateinamerikas die

Verschiedenheit der Kulturen nicht mehr als zu

überwindendes Relikt vormoderner Prinzipien,

sondern als gleichwertiger Bestandteil der

öffentlichen Ordnung (KUPPE, 2000:106ff; vgl.

auch den folgenden Abschnitt 3).

Foto: Taller zur Zonifizierung eines Sektors in Mapuche-Gemeinden, Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)

Die Annäherung an eine konstruktive Behand-

lung indigener Landrechte erfolgte aus unter-

schiedlichen Beweggründen und in mehreren

Zeitabschnitten. Den wesentlichen Anstoß

gaben indigene Völker mit ihren Mobilisierun-

gen ab den 1970er Jahren selber, die zumin-

dest Teile der nationalen wie internationalen

Öffentlichkeit auf ihre elende Lage aufmerk-

sam machten. So wurden die vom Staat er-

zwungenen Maßnahmen, die sich gegen tra-

dierte Formen indigener Lebensweise richteten

und die Homogenisierung der nationalen Ge-

sellschaft zum Ziel hatten, als systematische

Menschenrechtsverletzungen eingestuft; teil-

weise in der Kategorie des Völkermords ge-

mäß Artikel II der Konvention gegen Genozid.

Dieser Artikel stellt Handlungen unter Strafe,

die in der Absicht begangen werden, eine nati-

onale, ethnische, rassische oder religiöse

Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zer-

Page 71: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

65

stören. Umgekehrt erschien die auf indigenen

Territorien praktizierte Lebensweise zuneh-

mend weniger als entwicklungshemmend und

rückwärtsgewandt, sondern als Ausdruck für

das Bestreben, einen aus den eigenen kultu-

rellen Werten abgeleiteten Lebensentwurf mit

eigenen Möglichkeiten zu verwirklichen; d.h.

‚Glück‘ selbst zu bestimmen. Eine Bresche

schlug der UN-Sonderberichterstatter für die

UN-Unterkommission zur Förderung der Men-

schenrechte, der aus Ecuador stammende

JOSÉ R. MARTÍNEZ COBO. Er fertigte in den

1970er Jahren im Auftrag der UNO eine um-

fangreiche Studie zur Lage indigener Völker an

und stellte in Bezug auf die Landfrage fest,

dass es unabdingbar sei, die tiefe spirituelle

Beziehung zwischen indigenen Völkern und

ihrem Land als Grundlage ihrer Existenz ver-

stehen zu lernen (MARTÍNEZ COBO, 1987, Band

V: Absatzziffern 190ff).

Seine Studie bildete die Grundlage, um zum

einen ab 1983 die Arbeitsgruppe für indigene

Bevölkerungen bei der UN-Unterkommission

einzurichten. Aus deren Arbeit entstand der

1994 fertiggestellte Entwurf einer Internationa-

len Erklärung zu den Rechten indigener Völ-

ker. Sowohl die Präambel als auch Artikel 25

des Entwurfs nehmen ausdrücklich Bezug auf

den vom herkömmlichem Verständnis abwei-

chenden Charakter der Beziehungen zwischen

indigenen Völkern und ihrem Land. Außerdem

wird festgehalten, dass diese besondere Be-

ziehung per Gesetz zu schützen ist, und nicht

etwa mit Verweis auf eine allgemeine Gleich-

heit diskriminiert werden darf.

Die gleiche Arbeitsgruppe erteilte zweien ihrer

Mitglieder den Auftrag, Studien über Land- und

Territorialrechte durchzuführen. Zum einen

erhielt der aus Kuba stammende MIGUEL

ALFONSO MARTÍNEZ den Auftrag, eine Studie

über völkerrechtlich relevante Verträge und

Abkommen zwischen indigenen Völkern und

Nationalstaaten anzufertigen. Aus dieser Stu-

die geht hervor, dass die überwiegend im Zeit-

raum des 17. bis 19. Jahrhunderts zustande

gekommenen Abkommen von Vertragspar-

teien – Kolonialmächte und indigene Völker –

mit völkerrechtlicher Qualität abgeschlossen

wurden. Mithin genossen die von den indige-

nen Völkern besiedelten und genutzten Ge-

biete den Status eines souverän verfügbaren

Territoriums (MARTÍNEZ, 1999).

Insbesondere indigene Repräsentantinnen und

Repräsentanten aus Nordamerika, Australien

und Neuseeland weisen in diesem Zusam-

menhang bis heute darauf hin, dass unbe-

schadet der unzähligen Vertragsbrüche durch

Kolonialmächte und nachfolgende National-

staaten die völkerrechtliche Anspruchsgrund-

lage nicht ausgelöscht wurde. Demzufolge

fordern sie die entsprechenden Territorien ein,

und haben durch einige Entscheidungen o-

berster Gerichtshöfe in Kanada (Fall Delga-

muukw) und Australien (Fälle Mabo und Wik)

immerhin eine partielle Anerkennung ihrer his-

torischen Besitzrechte erreicht (CARSTENS,

2000). Unbeschadet aller Kritik von Seiten

indigener Organisationen ging die kanadische

Bundesregierung dazu über, im Rahmen einer

neuen bundesstaatlichen Aufteilung über die

Landrechtsfrage nachzudenken. So richtete

Kanada 1999 einen neuen Bundesstaat na-

mens Nunavut ein, der den dort lebenden Inuit

eine relative Autonomie einräumt.

Den zweiten Auftrag erhielt ERICA-IRENE DAES,

um eine Studie zum Recht auf Land zu erar-

beiten. Frau DAES hob in ihrem abschließen-

den Bericht aus dem Jahr 2000 deutlich her-

vor, dass der Zugang zum Land und dessen

Ressourcen für das Überleben indigener Völ-

ker von grundlegender Bedeutung ist (DAES,

2000). Im gleichen Tenor beurteilte Rodolfo

Stavenhagen in seinem ersten Bericht als UN-

Sonderberichterstatter für indigene Angelegen-

heiten, dass für indigene Völker das Territo-

rium und die dort vorhandenen Ressourcen

eine existenzielle, d.h. eine Frage der Men-

schenrechte darstellen (INTERNATIONAL CENTRE

FOR HUMAN RIGHTS AND DEMOCRATIC

DEVELOPMENT, 1996; STAVENHAGEN, 2002:

Abschnitt II.B).

Der Bericht und die Empfehlungen von Mar-

tínez Cobo trugen des weiteren wesentlich zur

Ausarbeitung der Konvention 169 der Internati-

onalen Arbeitsorganisation (ILO; International

Labour Organization) bei. Sie wurde 1989 be-

schlossen und löste die Vorgängerversion ab,

die Konvention 107 aus dem Jahr 1957, die im

Geiste der nachholenden Entwicklung ausfor-

Page 72: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

66

muliert worden war und auf die zwangsweise

Integration (Assimilierung) indigener Völker

zielte. Im Abschnitt II zu Grund und Boden

führt Artikel 13 der Konvention 169 aus, dass

Regierungen bei der Durchführung der Be-

stimmungen dieses Teils die besondere Be-

deutung zu beachten haben, die der Wechsel-

beziehung indigener Völker und ihrer Kulturen

sowie ihrer geistigen Werte mit dem von ihnen

besiedelten oder genutzten Land inne wohnt.

Wenngleich die Konvention 169 nichts darüber

besagt, was rechtsverbindlich ‚Territorium‘

bedeutet und lediglich ausführt, dass die Beg-

riffe ‚Gebiete‘ oder ‚Ländereien‘ das Konzept

des Territoriums beinhalten. Aufgrund der -

wenigen - Vorgaben der Konvention und ihrer

Kommentierungen schlussfolgert Roque

Roldán, dass die Staaten in diesem Kontext

verpflichtet sind, indigenen Völkern das unein-

geschränkte Landeigentum zu übertragen

sowie alle Ressourcen anzuerkennen, die

traditionell die Lebensgrundlagen des indige-

nen Volkes bilden. Ebenso müsse indigenen

Völkern ein vernünftiger, d.h. an der Aufrecht-

erhaltung der spezifischen Existenz orientierter

Grad an Autonomie für die Verwaltung und

Nutzung der Territorien zugestanden werden

(ROLDÁN ORTEGA, 2003:62f). Es liegt auf der

Hand, dass indigene Organisationen und Re-

gierungen um die Interpretation, wie weit das

Landeigentum und die Ressourcenverfügbar-

keit reichen, erbittert streiten (vgl. auch FELDT

und ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band).

Schließlich unterstreicht die Präambel des von

der Interamerikanischen Menschenrechts-

kommission 1997 vorgelegten Entwurfs für

eine Amerikanische Erklärung zu den Rechten

Indigener Völker – den momentan der Stän-

dige Rat der Organisation Amerikanischer

Staaten (OAS) diskutiert – ebenfalls die be-

sondere Beziehung indigener Völker zu ihren

Territorien sowie den traditionellen kollektiven

Systemen zur Kontrolle und zum Nießnutz des

Landes. Ähnlich wie bei der ILO-Konvention

169 sind bei den beiden Entwürfen der UNO

und der OAS zwar keine verbindlichen Erläute-

rungen zum Begriff Territorium vorhanden.

Dafür liegt der OAS jedoch eine unüberschau-

bare Anzahl an schriftlichen und zu Protokoll

gegebenen Kommentierungen durch indigene

Völker und Organisationen vor, die diesen

engen Verbund von Territorium und Gemein-

schaft unterstreichen.

Alle Normen und Debatten um Landrechte

indigener Völker betonen den generations-

übergreifenden Aspekt dieser besonderen

Beziehung zum Territorium und weisen diese

als einen wesentlichen Bezugspunkt für Iden-

tität und Fortbestand indigener Kulturen aus.

Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer

beschleunigten Ökonomisierung aller Lebens-

bereiche zu werten (Stichwort Globalisierung),

die nun den Zugriff auf verwertbar scheinende

Territorien indigener Völker selbst in entfern-

testen Gebieten, die Ausbeutung von Natur-

ressourcen an fast jedem Ort und jederzeit

möglich macht. Sogenannte Strukturanpas-

sungsprogramme greifen tief in die rechtlichen

Garantieleistungen des Staates ein, die dieser

etwa bei der Nutzung der Territorien und der

dort befindlichen Ressourcen eingegangen

war. Um so bedeutsamer erweisen sich die

bisher schon entwickelten internationalen

Standards nicht nur zur Landrechtsfrage.

3. Geschichte und Entwicklung der Land-rechtsfrage für indigene Völker in Latein-amerika

Die Anerkennung indigener Völker als eigen-

ständige gesellschaftliche Verbände mit Rech-

ten auf ihr traditionelles Land und selbst-

verwaltete Territorien waren vor 40 Jahren in

kaum einem lateinamerikanischen Land ab-

sehbar, abgesehen von Nischenexistenzen

wie der Comarca San Blás in Panama. Bis in

die 1970er Jahre galten die Kulturen indigener

Völker als rückwärtsgewandt und Hemmnis

ihrer eigenen Entwicklung. Sie waren überwie-

gend Opfer fremdbestimmter politischer Ziel-

setzungen nach den Maßstäben einer sich

industriell formierenden, nationalen Gesell-

schaft. Indigene Völker mussten in diese natio-

nale Gesellschaft integriert werden. Im Zuge

der nationalstaatlichen Integration sollte eine

kulturell homogene Gesellschaft entstehen.

Das Aufgehen der indigenen Bevölkerungsteile

in diese Gesellschaft galt als bestmögliche

Zukunft für sie. Wie in Bolivien schufen die

Staaten komplexe Rechtssysteme zur Land-

Page 73: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

67

rechtsfrage, ohne dass sie die ethnische Be-

völkerungsverteilung berücksichtigten; die

etwa in Bolivien eine Mehrheit mit indigener

Herkunft ausweist. Entsprechend dem kolonia-

len Denken behielten sich die Staaten das

Recht vor, über die Verwertung der von Indi-

genen besiedelten oder genutzten Gebiete

ausschließlich allein zu entscheiden, und etwa

den Privatbesitz an Parzellen zu fördern.

Mit der gleichen Denkstruktur gingen die Nati-

onalstaaten an die Lösung von Landrechtskon-

flikten heran. Bis weit in die 1990er Jahre gal-

ten Landbesitznahmen durch Angehörige indi-

gener Gemeinschaften als Symbol für die

Infragestellung des gesamten jeweiligen Ge-

sellschaftssystems und wurden entsprechend

repressiv verfolgt. Entsprechend hoch war der

Blutzoll auf indigener Seite; insbesondere in

den 1970er Jahren, als Landrechtskonflikte

noch nahezu ausschließlich mit Mitteln der

Aufstandsbekämpfung unterdrückt wurden.

Selbst gegenüber indigenen Gemeinschaften,

die ihre Landansprüche nicht im Kontext radi-

kaler Landrechtsbewegungen geltend mach-

ten.

Landbesetzungen durch indigene Gemein-

schaften werden zwar auch heute noch über-

wiegend durch den Einsatz staatlicher Sicher-

heitskräfte zu regeln versucht, und in Chile

bemüht die Regierung sogar Anti-Terrorismus-

Gesetze, um radikale Landrechtsbewegungen

einzudämmen. Gleichwohl werden Landbeset-

zungen nicht mehr automatisch als ‚marxisti-

sche‘ Herausforderung und Unterwanderung

der nationalen Gesellschaft interpretiert, son-

dern im Kontext der kulturellen Integrität einer

indigenen Gemeinschaft bzw. eines indigenen

Volkes. Zum repressiven Konfliktmanagement

gesellten sich nach und nach Dialog und

Rechtsstaat. Dieser Wandel eröffnete nicht

zuletzt der Entwicklungszusammenarbeit

Spielräume für aktive Beiträge zur Umsetzung

von Landrechten indigener Gemeinschaften

(vgl. Abschnitt 5).

Erste Veränderungen in diese Richtung nah-

men mit den Agrarreformen in den 1960er

Jahren ihren Anfang, angestoßen durch klein-

bäuerlichen Protest und eingebettet in die Alli-

anz für den Fortschritt; das damalige Gegen-

programm der USA zur kubanischen Revolu-

tion. Im Zuge der kleinbäuerlichen Mobilisie-

rung organisierten und mobilisierten sich zu-

nächst die im gleichen sozialen Milieu angesie-

delten indigenen Völker, vor allem im andinen

Hochland in einem Ausmaß, das bald über

kleinbäuerliche Formen der Verfügung und

Nutzung von Land hinauswies. Ähnlich bekun-

deten die Nachfahren der Maya in Guatemala

ihr Interesse an genossenschaftlichen Organi-

sationen, um darüber wieder eine nach außen

legitimierte, kollektive Verwaltung über ihr

Land einzurichten zu können. Alsbald artiku-

lierten die Mobilisierten nicht mehr nur den

Anspruch auf ihr Land sondern mit dem Begriff

Territorium auch den Anspruch auf lokale

Selbstverwaltung durch eigene, tradierte oder

unter eigenen Prämissen entwickelte Instituti-

onen. Sie behaupteten sich damit nicht zuletzt

gegen Vereinnahmungsversuche durch linke

Gruppierungen oder Guerilla-Verbände

(RATHGEBER, 1994: Kapitel 4; STAVENHAGEN,

1997:17ff und 2002).

Die Diskussion und Formulierung neuer inter-

nationaler Rechtsstandards, wie der erwähnte

Martínez Cobo-Bericht oder die ILO-Konven-

tion 169, gaben diesen Prozessen die notwen-

dige Rückendeckung. Das Einfordern indige-

ner Landrechte gegenüber den Nationalstaa-

ten war nicht mehr so einfach als illegitim vom

Tisch zu wischen. Spiegelte sich in der Vor-

gängerversion, der ILO-Konvention 107, die

soziale Wirklichkeit lateinamerikanischer Län-

der mit ihrem Integrationsansatz wider, so be-

einflusste nun umgekehrt die Konvention 169

wesentlich die Gestaltung der rechtlichen

Rahmenbedingungen für indigene Völker in

Lateinamerika. Ein gewichtiger Teil der Länder

Lateinamerikas hat die ILO-Konvention 169

ratifiziert: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ko-

lumbien, Costa Rica, Ecuador, Guatemala,

Honduras, Mexiko, Paraguay, Peru und Vene-

zuela. Andere Länder wie Nicaragua und Pa-

nama hatten wichtige Verfassungsreformen

schon früher durchgeführt, die ähnliche Rechte

einschlossen.

Ein zweiter wesentlicher Schub entsprang den

Mobilisierungen im Zuge der Gedenkfeiern

zum Kolumbusjahr 1992 sowie dem im glei-

chen Jahr stattgefundenen Umweltgipfel in Rio

Page 74: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

68

“Zu den grundlegenden, eingeforderten und anerkannten Rechten durch die Verfassung gehören: Ausbildung in der eigenen Sprache, Land und Territorium, natürliche Ressourcen, Respekt gegenüber der Identität und Kultursowie kollektiven Rechten.“

LOURDES TIBAN, CONAIE, Ecuador

de Janeiro, der indigenen Völkern im Kapitel

26 der Agenda 21 eine tragende Rolle beim

Erhalt des natürlichen Reichtums der Erde

zumaß. In diesem zeitlichen Kontext wurden

von Mexiko bis zum Süden des Subkontinents

neue Verfassungen geschrieben oder beste-

hende reformiert, die zum ersten Mal in der

lateinamerikanischen Geschichte überhaupt

einen politischen Anspruch auf eine plurikultu-

relle oder multiethnische Gesellschaftsverfas-

sung formulierten. Vor dem Hintergrund der in

Lateinamerika ausgeprägten Tradition des

uniformen Nationalstaates mutierte die dezi-

dierte Anerkennung indigener Gemeinschaften

und Völker und ihrer Rechte zu einem Para-

digmenwechsel in der Politik (vgl. auch FELDT

zur Staatsmodernisierung in diesem Band).

Schließlich ließ sich beobachten, dass die Ent-

würfe zur Internationalen sowie zur Amerikani-

schen Erklärung indigener Rechte national wie

international Diskurs bildend wurden. Beide

Entwürfe bauen auf den Normen der ILO-Kon-

vention 169 auf, sprechen jedoch statt von

‚Verpflichtungen des Staates‘ gegenüber indi-

genen Völkern nunmehr von den ‚Rechten

indigener Völker‘‘. Dabei ist zwar in Rechnung

zu stellen, dass eine ‚Erklärung‘ keinen bin-

denden Charakter besitzt und insofern die

Sprachregelung dort im Vergleich zur rechtlich

verpflichtenden Konvention immer großzügiger

ausfällt. Gleichwohl erbrachte die internationa-

le Debatte um die Erklärungen und mithin um

indigene Landrechte in den meisten Verfas-

sungen Lateinamerikas eine Änderung zu-

gunsten des eigenständigen Rechtsanspru-

ches auf das traditionell besiedelte oder ge-

nutzte Land (KUPPE, 2000 UND 2004).

Die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten

akzeptiert mittlerweile in Gesetzen und Ver-

waltungsvorschriften, dass indigenen Völkern

eine Reihe von Sonderrechten zustehen, so

das Recht auf das traditionell bewohnte oder

genutzte Land oder Territorium; die Begriffe

wechseln in einzelnen Ländern. Aufgrund der

veränderten internationalen Bedingungen und

des Legitimationsdrucks gegenüber den ‚Op-

fern von 500 Jahren Unterdrückung‘ war es

möglich geworden, indigene Lebensentwürfe

und ihre materiellen Bedingungen prinzipiell zu

akzeptieren, für ihre historisch begründete,

unterschiedliche Identität sogar eine verfas-

sungsrechtliche Garantie abzugeben, ohne

dass dadurch die nationale Einheit oder Si-

cherheit verletzt oder gefährdet würde.

Im Gegenteil, die neue Beziehung zwischen

nationalen Gesellschaften und indigenen Völ-

kern wird inzwischen sogar in der Kategorie

eines grundlegenden Rechts angesiedelt. So

spricht etwa die kolumbianische Verfassung

von 1991 von elementaren Rechten indigener

Völker auf die eigene Existenz als Volk, indi-

gene Sprachen als weitere Verkehrssprachen,

eine zweisprachige und multikulturelle Ausbil-

dung, Schutz der kulturellen Traditionen, ei-

gene Rechtsnormen und insbesondere die

Unveräußerbarkeit der traditionellen Landbe-

sitze sowie auf kollektive Landrechte (MUYUY

JACANAMEJOY, 1997). Ein bemerkenswerter,

rechtlicher und politischer Durchbruch nach

langen Kämpfen mit vielen Opfern um die Er-

haltung indigener Identität und Kultur.

Die heute bestehenden Normen, Ausführungs-

gesetze und Verwaltungsmaßnahmen übertra-

gen indigenen Völkern in vielen Ländern La-

teinamerikas eine weitgehende Zuständigkeit

für ihr Territorium. Fortschritte in der Land-

rechtsfrage – gemessen an den Landforderun-

gen indigener Gemeinschaften – lassen sich in

Ländern wie Peru, Ecuador oder Costa Rica

feststellen. Dort wurden auf der Grundlage der

neuen Bestimmungen über 50% der Forderun-

gen erfüllt. Bolivien und Paraguay weisen e-

benfalls verstärkte Bemühungen dazu auf.

Nachbessern müssten Länder wie Brasilien,

Kolumbien oder Panama, die bislang lediglich

10% der indigenen Forderungen nach ihrem

Territorium erfüllten. Dasselbe gilt für Venezu-

ela, wo trotz deutlich verbesserter Anspruchs-

grundlagen durch die Regierung Chávez

gleichwohl so gut wie kein Landtitel zusätzlich

Page 75: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

69

übereignet wurde (MANSUTTI RODRÍGUEZ, 2003;

ROLDÁN ORTEGA, 2004: Kapitel III und IV).

Die Verabschiedung neuer oder die Reform

bestehender Verfassungen ist das eine, die

Umsetzung der Normen offensichtlich das

andere. Die Unterschiedlichkeit der Politikan-

sätze zur Umsetzung der Rechte auf Land und

Ressourcen sowie die zögerliche Realisierung

sind geradezu ein Kennzeichen für die Staaten

in Lateinamerika geworden. Dazu kommt eine

Vielfalt von teilweise sich widersprechenden

Gesetzen und Verordnungen sowie das häu-

fige Fehlen eindeutiger Bestimmungen zum

kollektiven Eigentum an Land. Teilweise ste-

hen noch alte Normen aus der Zeit der Integra-

tion- und Assimilierungspolitik neben den Ver-

ordnungen aus jüngerer Zeit, was insgesamt

den verfassungsmäßigen Anspruch destabili-

siert und verwässert. So sind in Peru von Indi-

genen bewohnte Gebiete vom Staat nicht an-

erkannt, weil ihnen das Land in früherer Zeit

zwar zur Nutzung überlassen, aber kein

Rechtstitel vergeben wurde. ROQUE ROLDÁN

ORTEGA zieht daraus den Schluß, dass diese

Mehrdeutigkeit und fehlende juristische Präzi-

sierung politisch eher gewollt ist und dem

Staat erlaubt, de facto weiterhin die Entschei-

dungsgewalt über indigene Territorien auszu-

üben, als handele es sich um staatliches Land

(ROLDÁN ORTEGA, 2004:79f; vgl. auch MARÉS

DE SOUZA FILHO, 2000).

4. Aktuelle Situation indigener Land-rechte in ausgewählten Ländern Latein-amerikas

Wie schon angedeutet, erkennt die Mehrzahl

der lateinamerikanischen Länder durch ihre

reformierten oder neuen Verfassungen die

multiethnische Verfasstheit der nationalen Ge-

sellschaften an und schafft so die Vorausset-

zungen für entsprechende Rechtsformen zu

indigenen Territorien. Die bolivianische Verfas-

sung von 1994 bricht mit der Politik der Assimi-

lierung und gleichzeitigen Ausgrenzung seiner

indigenen Mehrheit und postuliert einen multi-

ethnischen und plurikulturellen Staat. Ähnlich

verhält es sich in Chile, Ecuador, Kolumbien,

Mexiko und Venezuela. Die argentinische Ver-

fassung spricht von der originären ethnischen

und kulturellen Existenz indigener Völker. Pa-

raguay erklärt sich zum zweisprachigen Viel-

völkerstaat und betrachtet andere indigene

Sprachen als nationales Kulturerbe. Peru da-

gegen erlaubt an der Seite des Spanischen

nur eingeschränkt den offiziellen Gebrauch

von Quechua, Aymara und anderen einheimi-

schen Sprachen. Guatemala verabschiedete

innerhalb der letzten sechs Jahrzehnte vier

neue Verfassungen; 1945, 1956, 1965 und

1985 in der reformierten Fassung von 1993.

Unbeschadet des hohen indigenen Bevölke-

rungsanteils erkannten Staat und Gesellschaft

erst im Zuge der Friedensverhandlungen und

mit dem vierten Verfassungstext die Existenz

der Gemeinschaften der Maya-Nachfahren an.

Angehörige der Garifuna und Xinka kommen

allerdings auch jetzt noch nicht in der Verfas-

sung vor (MELIÀ & TELESCA, 1997; SAQ NO´J -

CUPIL LÓPEZ, 2000).

Im engeren Bereich der Landrechte besteht

allerdings bis heute, unbeschadet aller gesetz-

geberischer Aktivitäten, eine immer noch cha-

rakteristische Benachteiligung derjenigen indi-

genen Völker, die im Tiefland beheimatet sind.

Aus verschiedensten Gründen verfügen sie

faktisch zwar über das Land, auf dem sie le-

ben, aber im Vergleich zum Hochland über

weniger Rechtstitel. Die Agrarreformen in den

1960er und 1970er Jahren mit der Umwand-

lung des gemeinschaftlichen Landbesitzes in

individuellen Privatbesitz konzentrierten sich

auf die kleinbäuerlichen Gebiete im Hochland.

Dieser Mangel konnte in den vergangenen 10

Jahren zwar vermindert werden, zeitigt aber

nach wie vor gravierende Konsequenzen;

wenn etwa die unklare Landrechtsfrage zu

vermehrten und schneller einsetzbaren Kon-

zessionen für Bodenschatzabbau oder Holz-

einschlag führen.

Unterschiedlich sind in den verschiedenen

Ländern auch die Kategorien territorialer Ver-

fügungsgewalt. Am eindeutigsten sind die Ver-

hältnisse in Kolumbien, Panama oder Nicara-

gua. Das Resguardo (Reservation), die Co-

marca (eine Art Provinz) oder die Región Au-

tónoma sind abschließend definiert und ent-

sprechen dem skizzierten umfassenden Begriff

des Territoriums. Wobei die zwei autonomen

Regionen an der Atlantikküste Nicaraguas

Page 76: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

70

nicht per se ethnisch definiert sind. Gleichwohl

erlaubt die dortige Bevölkerungsverteilung mit

einer Mehrheit von Angehörigen der Miskito,

Sumu, Mayagna und Rama eine politische

Gestaltung der nördlichen und südlichen auto-

nomen Teilregionen nach den Vorgaben der

dortigen indigenen Bewohner. Was zusätzlich

bemerkenswert ist, da erst im Zuge der Koloni-

sierung das Selbstverständnis der Miskito-

oder Sumu-Zugehörigkeit gereift ist. In ande-

ren Ländern wie Brasilien gibt es neben den

unterschiedlichen Stadien des Verwaltungsver-

fahrens auch verschiedene Nutzungsgrade,

die unterschiedliche Verfügungsrechte über

das Land bedingen.

Länder wie Peru, Kolumbien und Panama ha-

ben insgesamt eine komplexe Gesetzgebung

zu indigenen Territorien ausgearbeitet. Kolum-

biens juristisches Normgerüst gehört dabei zu

den detailliertesten und umfassendsten, ohne

dass damit schon etwas über die Realität der

Landrechte gesagt wäre. Panama weist einige

Besonderheiten auf. Panama nahm bereits

1972 als eines der ersten lateinamerikani-

schen Länder kollektive Rechte in seine Ver-

fassung auf, darunter das Recht auf das tradi-

tionell bewohnte Land. Das panamesische

Parlament erließ auf dieser Grundlage ein

Gesetz für indigene Völker, das die Gründung

einer sogenannten Comarca (Provinz) ermög-

licht. Bis zum Jahr 2002 wurden fünf solcher

Comarcas mit einer Gesamtfläche von

16.347 km2 gebildet. Das entspricht ungefähr

20% des nationalen Territoriums. Die Comarca

ermöglicht Landeigentum mit weitgehender

Selbstverwaltung, die in der Carta Orgánica

(eine Art spezifischer Gründungsurkunde für

das neu eingerichtete Gebiet) festgelegt wird.

Panama hat die ILO-Konvention 169 jedoch

nicht ratifiziert (vgl. MUYUY JACANAMEJOY,

1997; ALEMANCIA, 2000:43ff; ROLDÁN ORTEGA,

2004:71f).

Peru gehörte ebenfalls zu den ersten Ländern

in Lateinamerika, das sowohl Verfassungs-

normen zur Anerkennung der besonderen

Rechte indigener Völker entwarf, als auch spe-

zifische Regelungen für die im Tiefland ange-

siedelten Gemeinschaften, die Comunidades

Nativas, sowie für die im Hochland lebenden,

kleinbäuerlich strukturierten Gemeinschaften,

die Comunidades Campesinas entwickelte.

Frühzeitig setzte auch der brasilianische Staat

eine neue Verfassung (1988) ein, die Indige-

nen ein originäres Recht auf das von ihnen

bewohnte Land zusichert (Artikel 231). Aller-

dings erklärt sich Brasilien nicht zum multieth-

nischen und plurikulturellen Staat. Im Jahr

1996 unterzeichnete der damalige Justizmi-

nister Jobim das Dekret 1775, das die Demar-

kierung indigener Territorien für Einsprüche

heutiger Besitzer zugänglich macht. Ein selbst

offensichtlich widerrechtlich erworbener Besitz

kann so gegen die ursprünglichen, indigenen

Eigentümer geltend gemacht werden

(MCDONAGH, 1996).

In Ländern wie Bolivien, Ecuador und Costa

Rica verteilen sich indigene territoriale Rechte

auf eine Vielzahl von Gesetzen und Ausfüh-

rungsbestimmungen; etwa zu Naturschutzge-

bieten, Bergbau, Erdölförderung oder Konzes-

sionen für den Holzeinschlag, die teilweise

untereinander konkurrieren. Die unkoordinierte

Vergabe der Landtitel führte in Ecuador dazu,

dass die Übertragung von Land rechtlich nicht

definiert war, soweit sie vor der Verfassungs-

reform von 1998 stattfand. Diese Besitztitel

befinden sich in einem juristischen Schwebe-

zustand. In der Praxis entstehen daraus

schwerwiegende Konflikte vor allem in der

Amazonasregion. Massive Besiedlung durch

Angehörige indigener Gemeinschaften aus

dem Hochland, die dort dem Landdruck zu

entweichen suchen und die Präsenz von Un-

ternehmen, die die natürlichen Ressourcen

ausbeuten wollen, stellen die Landrechte fak-

tisch wieder in Frage. Auch die Situation derje-

nigen Gemeinschaften ist kompliziert, die in

Schutzgebieten leben. Die Regierung Ecua-

dors weigert sich, diese Gebiete als indigenes

Eigentum anzuerkennen.

In Costa Rica gründete die Regierung 1973 die

sogenannte nationale Kommission für indigene

Angelegenheiten. Diese Institution ist An-

sprechpartner für die Forderungen der indige-

nen Gemeinschaften einschließlich deren

Landansprüche. Vier Jahre später legte das

‚Indigenen-Gesetz‘ von Costa Rica fest, dass

indigene Gebiete unveräußerlich, nicht über-

tragbar und exklusiv für die dort lebenden Ge-

meinschaften bestimmt seien. Diese Gebiete

Page 77: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

71

bzw. Reservationen begründen also ein um-

fassendes Recht auf Eigentum am Territorium.

Außerdem besagt das Gesetz, dass in den

anerkannten Indigenengebieten die Gemein-

schaften die volle Rechtsfähigkeit im Sinne

einer Körperschaft des öffentlichen Rechts

besitzen (ROLDÁN ORTEGA, 2004).

Bolivien, neben Guatemala das Land mit dem

größten Anteil an indigener Bevölkerung auf

dem amerikanischen Kontinent unternahm

andererseits frühzeitig Schritte, durch Revolu-

tion (1952) und Agrarreform (1953) eine neue

Landverteilung unter Berücksichtigung indige-

ner Gemeinschaften zu erreichen. Im andinen

Hochland wurde das Land der meisten Groß-

grundbesitzer (Hacienda) an indigene Tage-

löhner zurückgegeben, und die Eigentums-

rechte auf Quechua- und Aymara-Gemeinden

ausgedehnt. Die Verteilung berücksichtigte

jedoch die kollektive Form des Eigentums nicht

und förderte stattdessen die individuelle Par-

zellierung. Im Laufe der Jahre begründete und

beschleunigte dies den Kleinstgrundbesitz

(Minifundien), der zur Abwanderung in die

Städte oder in das Tiefland führte.

Ebensowenig berücksichtigte damals der Staat

die traditionelle Rechtsprechung der indigenen

Gemeinden zu ihren Territorien. Während die-

se Gemeinden darauf achteten, dass ihre für

diese Aufgabe bestimmten, traditionellen

Amtsinhaber über das Organisationsvehikel

einer kleinbäuerlichen (Campesino-) Gewerk-

schaft in diese Funktion kamen. Wobei sich

diese Vereinigungen von klassischen Arbeiter-

gewerkschaften grundlegend unterschieden

(STRÖBELE-GREGOR, 1997:135f; ROGALSKY,

2003:117ff). In den östlichen Tiefländern Boli-

viens resultierte die Agrarreform dagegen in

einem Erweiterungsprozess der Hacienda auf

Kosten indigener Territorien. Im gesamten

Gebiet des Guaraní-Chaco’ waren es die

Gutsbesitzer, die Landrechte zugesprochen

bekamen. Weiterhin vergab die Regierung

Nutzungsrechte an Personen, die keiner indi-

genen Gemeinschaft angehörten, selbst in

Gebieten, die bereits als indigene Territorien

anerkannt waren.

Mit der neuen Verfassung von 1994 und der

Ratifizierung der ILO-Konvention 169 gab sich

der bolivianische Staat den Auftrag, ein neues

Beziehungsmuster mit den indigenen Völkern

des Landes zu entwickeln. Er behielt sich aller-

dings das Recht auf Eigentum am Boden und

am Untergrund mit seinen reichen natürlichen

Ressourcen vor. Gesetzliche Einschränkungen

bei der Verfügung über Ressourcen finden

sich im übrigen in allen Ländern Lateinameri-

kas (vgl. FELDT und ROSSBACH DE OLMOS in

diesem Band).

Das 1995 verabschiedete Gesetz Nr. 1615

über die Verfassungsreform (Ley de Reforma

Constitucional) in Bolivien erkannte indigenen

Völkern ihre Rechte insbesondere am ur-

sprünglichen gemeinschaftlichen Land an.

Vorausgegangen war u.a. der 1990 organi-

sierte 34 Tage dauernde Fußmarsch “Für das

Territorium und die Würde“ vom Tiefland nach

La Paz. Die Regierung musste nach harten

Verhandlungen das Recht indigener Gemein-

schaften auf ihre Territorien anerkennen, und

die Ausarbeitung eines ‚Gesetzes der indige-

nen Völker des Ostens und Amazoniens‘ in

einer Frist von 120 Tagen zusagen. Später

unterzeichnete die Regierung die Ausweisung

weiterer Territorien, so dass auf dem Papier

insgesamt 15 indigene Gemeinschaften mit

insgesamt 2,9 Mio. ha begünstigt wurden.

Fortschritte hatte es bereits bei der Modifizie-

rung der Staatsverfassung gegeben, deren

Neufassung 1994 abgeschlossen wurde. Unter

anderem enthält sie Artikel 171, der wesentli-

che Bestandteile des Begriffs “Territorium“

anerkennt (CALVO, 2003:105ff).

Das 1996 verabschiedete Gesetz Nr. 1715

(Ley del Servicio Nacional de Reforma Agra-

ria) schuf die Grundlage zur Anerkennung

indigener Territorien mit Rechtstiteln (Tierras

Comunitarias de Origen; TCOs).Es handelt

sich hier um Räume, in denen indigene Dorf-

gemeinschaften traditionell ihre eigenen For-

men wirtschaftlicher, sozialer und kultureller

Organisation pflegen (Art. 41 Paragraph 1,

Abschnitt 5). Das Gesetz definiert die TCOs

als kollektiven Grundbesitz, der weder ü-

berschreibbar, verpfändbar noch veräußerbar

ist. Innerhalb der TCOs haben die indigenen

Völker das Recht, ihre Gebräuche zu betrei-

ben, an der Umweltgestaltung mitzuwirken,

und das Land unter den beteiligten Dorfge-

Page 78: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

72

meinschaften und Familien zu verteilen. Bis

zum Jahr 2003 wurden im Amazonastiefland

16 TCOs demarkiert. Die demarkierten TCOs

umfassen eine Fläche von ca. 5 Mio. ha. Das

sind etwa 11% der Gesamtfläche des bolivia-

nischen Amazonasgebietes; allerdings nur

35% der gesamten von den indigenen Völkern

eingeforderten Fläche (CALVO, 2003).

Abschließend sei Venezuela erwähnt, das sich

bei der Umsetzung indigener Landrechte noch

im Prozessstadium befindet. Wie in Ecuador

wurde indigenen Völkern in der Vergangenheit

Land unter Modalitäten zuerkannt, die ihnen

keine juristische Sicherheit über den Landbe-

sitz garantierten und keine Möglichkeit ein-

räumten, das Land selbst zu verwalten. Nach

der Verfassungsreform von 1999 änderte sich

dies grundlegend. Mehrere Artikel und Verfü-

gungen schreiben nun das Recht auf die ge-

wohnte räumliche Umgebung, eigene Kultur,

politische Partizipation, medizinische Versor-

gung, Ausbildung sowie Anerkennung der

Sprachen als Amtssprachen fest. Verabschie-

det wurde auch ein Gesetz zur Demarkierung

und zur Garantie indigener Siedlungsräume.

Allerdings ist fast fünf Jahre nach Verabschie-

dung der neuen Verfassung - nicht zuletzt auf-

grund der politischen Unruhen - noch kein

Land in nennenswertem Maße an indigene

Gemeinschaften übereignet worden. Außer-

dem setzt sich die staatliche Entwicklungs-

und Industriepolitik ungebrochen fort und

schätzt etwa die Region Guayana immer noch

als unbewohnt und daher günstig für Großpro-

jekte ein (MANSUTTI RODRÍGUEZ, 2003:139ff).

Insgesamt lässt sich der wenig überraschende

Schluss ziehen, dass die rechtlichen Garantien

auf Land, Territorium und autonomer Verwal-

tung nur teilweise umgesetzt worden sind. Der

geringste Teil davon geht auf staatliche Eigen-

initiative zurück. Vielmehr haben die schon

genannten Mobilisierungen der indigenen Ge-

meinschaften mit der Rückendeckung interna-

tionaler Standards im wesentlichen zu den

ersten praktischen Schritten geführt. Die bis-

lang hauptsächlich auf gesetzgeberische Maß-

nahmen beschränkte Aktivität der Staaten er-

öffnet gleichzeitig ein weites Feld für die inter-

nationale Entwicklungszusammenarbeit.

Wenngleich die geringe Umsetzung natürlich

mit politischen und wirtschaftlichen Interessen

verknüpft ist, und nicht auf nur technische Ver-

fahrenshindernisse zurückzuführen ist.

5. Beispiele der Sicherung von Landrech-ten im Rahmen der Entwicklungszusam-menarbeit

Einen ersten bedeutsamen Beitrag zur Siche-

rung indigener Landrechtsansprüche vollzog

die Entwicklungszusammenarbeit der Bundes-

republik Deutschland mit der Konzeption, die

Umsetzung der Menschenrechte in den Part-

nerländern als grundlegenden Maßstab für

eine Zusammenarbeit einzuführen. Auch in die

deutsche Entwicklungspolitik fanden nun die

veränderten Koordinaten Eingang, wie sie zu

den Veränderungen bei den internationalen

Standards und zu Lateinamerika in den Ab-

schnitten 2 und 3 beschrieben wurden. Folge-

richtig stellte das Bundesministerium für wirt-

schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

(BMZ) noch unter Minister Spranger Überle-

gungen an, wie die Beziehungen zu indigenen

Völkern in Lateinamerika unter den national

wie international veränderten Prämissen neu

gestaltet werden sollten. Das nach außen do-

kumentierbare Ergebnis schlug sich vor allem

in Form eines Sektorpapiers nieder, das im

November 1996 unter dem Titel “Konzept zur

Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen

Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika“ ver-

öffentlicht wurde. Das Sektorpapier diente in

den folgenden Jahren allerdings eher als Be-

zugspunkt für Projekte und Projektkriterien

denn für einen Politikdialog mit den Partnerlän-

dern im Rahmen der Entwicklungspolitik.

Auf der Ebene der Projekte lassen sich einige

messbare Ergebnisse feststellen. Die Gesell-

schaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)

publizierte im Mai 2000 eine Übersicht über 26

ausgewählte Projekte zur Sicherung des Land-

eigentums indigener Völker. Die Kooperation

umfasste zum einen die direkte Unterstützung

indigener Gemeinschaften zur Demarkierung

indigener Territorien in Brasilien. Mit Hilfe des

im internationalen Vergleich großzügigen Ein-

satzes sowohl finanzieller als auch technischer

Mittel durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau

und der GTZ im Rahmen der Sicherung indi-

Page 79: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

73

gener Territorien im Amazonasgebiet (PPTAL;

Projeto Integrado de Proteção às Populações

e Terras Indígenas da Amazônia Legal), das

wiederum in das PPG7-Projekt eingebettet ist

(Pilot Program for Protection of the Brazilian

Rainforests), konnte ein erheblicher Beitrag

zur Umsetzung der Landrechte geleistet wer-

den.

Foto: Comarca in Ngöbe-Buglé, Panama (Proyecto Agroforestal Ngöbe)

Weitere Beiträge, vor allem im Rahmen der

Technischen Zusammenarbeit, bestehen in

der Förderung der indigenen Selbstorganisati-

on in Bolivien und Nicaragua, der juristischen

und technischen Vorbereitung und Umsetzung

der Landrechtsforderung etwa in Peru, der

Mediation, Rechtsberatung und Finanzierung

von Fachanwälten in der Provinz Salta (Argen-

tinien), Santa Cruz (Bolivien), Ecuador und

Guatemala (Einrichtung eines Katasters), dem

Schutz der biologischen Vielfalt oder der pro-

duktiven Verwertung rechtlich abgesicherter

Gebiete in Honduras, der Sicherung von Was-

serquellen, Wasserzugang und den Schutz

natürlicher Ressourcen in der Comarca Ngö-

be-Buglé (Panama) und nicht zuletzt in der

Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen in

Bolivien (GTZ, 2000).

Die GTZ lässt sich in diesen Beispielen grund-

sätzlich von der Annahme leiten, dass im

Rahmen des Politikdialogs mit nationalen Re-

gierungen und auf der Basis der ‚guten Regie-

rungsführung‘ auch heikle Programmpunkte

förderungsfähig sind. Auf diese Tendenz zu

mehr Rechtsstaatlichkeit und menschenrechtli-

chen Standards, d.h. ein Interesse an einer

entsprechenden gesellschaftlichen Ordnung

verweist nicht zuletzt der vorliegende Artikel. In

diesem Zusammenhang sind Projekte wie in

Brasilien zur Landdemarkierung möglich. Die-

ser Bereich unerledigter Aufgaben ist gleich-

zeitig der umfangreichste und betrifft nicht nur

Brasilien. In Brasilien kann die Zusammenar-

beit im Vergleich etwa zu Nicaragua und Beli-

ze auf relativ ausgearbeitete und eindeutige

Verfahrensschritte zurückgreifen, die Probleme

bei der technischen Umsetzung vermeiden

helfen.

Page 80: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

74

Die direkte Förderung indigener Institutionen

im Kontext von Landrechtsfragen findet in

Form der Unterstützung für den Antrags- und

Verhandlungsprozess, oder die Bereitstellung

von Fachanwälten ebenfalls statt; wie das in

der GTZ-Dokumentation aufgeführte Beispiel

zur Provinz Salta in Argentinien belegt. Mit

dieser Hilfe soll die selbstverwaltete Kontrolle

und nachhaltige Nutzung der auf indigenen

Territorien vorfindbaren Ressourcen ausgeübt

werden. Darüber hinaus wäre hier noch an

eine muttersprachlich angemessene Beratung

zu denken. Ebenso überlegenswert ist die Un-

terstützung der Regierungen bei der Ausar-

beitung öffentlich-rechtlicher Normen für den

Bereich indigener Völker. Dies betrifft etwa die

juristischen Rahmenbedingungen auf Seiten

des Staates wie der indigenen Gemeinschaft

auszuarbeiten, damit die teilweise in den Ver-

fassungen postulierten, indigenen Institutionen

auch tatsächlich funktionieren können. Wie

ausgeführt, fehlen in vielen Staaten die Aus-

führungsbestimmungen etwa zum rechtlichen

Status der Territorien und der dort agierenden

Selbstverwaltungsorgane. Eine weitere Mög-

lichkeit der Zusammenarbeit liegt in der Unter-

stützung von öffentlichen Foren zur Debatte

indigener Landforderungen unter dem Aspekt

menschenrechtlicher Standards.

Ein nächster Beitrag zur aktiven Beteiligung an

der Sicherung indigener Landrechte läge darin,

Diskussionen zum Spannungsverhältnis von

vorkonstitutionellem Landrecht indigener Völ-

ker und dem Souveränitätsanspruch des Staa-

tes anzustoßen. Wenn der Auftrag inter-

nationaler Übereinkommen und der möglichen

Erklärungen zu den Rechten indigener Völker

ernst genommen wird, ist es unabdingbar, sich

darüber Gedanken zu machen, wie der jewei-

lige Staat das Eigentum indigener Staatsbür-

gerinnen und Staatsbürger in der gleichen

Weise schützt und garantiert; wie das rechts-

systematisch für das bürgerliche Recht seit

langem selbstverständlich geworden ist.

Ebenso müssen Fragen nach Typus und Um-

fang der Entwicklung sowie den politischen

Rahmenbedingungen für Alternativen zu gän-

gigen industriellen Leitbildern geklärt werden.

In einigen Ländern können Angehörige indige-

ner Gemeinschaften zwar mehr oder weniger

ungehindert traditionellen Tätigkeiten wie Ja-

gen oder Fischen nachgehen, ohne jedoch die

Möglichkeit zu haben, Fragen zur Entwicklung

ihres Gebietes im nationalen Staatsverband

aufwerfen oder gar entscheiden zu können.

Diese Fragestellung reicht bis in den Bereich

der Armutsbekämpfung hinein und berührt

mittelbar auch die Diskussionen zu Klimafra-

gen, der Aufrechterhaltung der biologischen

Vielfalt, sozialen Standards u.a.

Entsprechend den vorgetragenen Überlegun-

gen wäre auch ein organisiertes Nachdenken

notwendig, um die vor allem international bis-

lang vereinzelt auftretenden Rechtsbestim-

mungen zu kollektiven Rechtsformen zu einem

systematischen Ansatz, einem indigenen

Recht sui generis auszubauen. Die Erfahrun-

gen des Autors etwa im Rahmen der Men-

schenrechtskommission bezeugen, dass hier

noch ein weitgehend unbestellter Acker zu

bearbeiten ist. Vorleistungen im nationalen

Rahmen sind durchaus erbracht, wie einige

Länder Lateinamerikas inzwischen belegen.

Im internationalen Bereich sind weitere Bei-

träge erforderlich, um indigenen Völkern in

Grenzregionen zu ihren Landrechten zu ver-

helfen. Die kolonialen Grenzziehungen etwa

zwischen Kolumbien und Ecuador, Ecuador

und Peru, Brasilien und seinen Nachbarstaa-

ten oder Mexiko und Guatemala folgten selten

den Siedlungsgrenzen der betroffenen indige-

nen Völker. Die Vielfalt an gesetzlichen, teil-

weise sich widersprechenden Normen ist in

einem Land schon verunsichernd genug.

Landrechte, territoriale Integrität und die insti-

tutionelle Weiterentwicklung werden für indi-

gene Gemeinschaften vollends unwägbar,

wenn die Landrechte für ein und dasselbe

Territorium gleich in mehreren Staaten unter-

schiedlich behandelt werden. In gleicher Weise

könnte die entwicklungspolitische Zusammen-

arbeit die Gründung eines internationalen Inte-

ressenverbandes der betroffenen indigenen

Gemeinschaften fördern, wie er in spezifischer

Form etwa bei den Inuit als Arctic Council in-

zwischen existiert, der Inuit aus acht Staaten

organisiert. Für Lateinamerika würde sich die

institutionelle Förderung etwa der COICA

(Coordinadora de las Organizaciones Indíge-

nas de la Cuenca Amazónica) anbieten.

Page 81: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Landrechte

75

Schließlich besteht auch innerhalb der indige-

nen Landrechtsbewegungen ein großer Dis-

kussionsbedarf zur Frage, in welchen zukünfti-

gen Rollen Frauen und Männer die Territorien

verwalten. In der Regel haben Frauen in glei-

cher Weise wie Männer an den Auseinander-

setzungen um das eigene Territorium teilge-

nommen, und sind ebenso gleich bei der Zu-

teilung familiärer Nutzungsrechte am gemein-

schaftlich verwalteten Territorium berücksich-

tigt worden. Gleichwohl ist nicht zu übersehen,

dass ihnen der Zugang zu den politischen

Ämtern nach wie vor nur begrenzt offen steht.

Entgegen der faktisch tragenden Rolle von

Frauen bei der Organisation des täglichen

Überlebens und den vielfältigen Initiativen zur

Organisation des Marktes in Form von Genos-

senschaften oder Produzentenvereinigungen.

Entgegen auch den schon langjährigen Bemü-

hungen, sich innerhalb der indigenen Organi-

sationen mit Fraueninitiativen Gehör und Mit-

wirkungsrechte zu verschaffen. Mit der gebo-

tenen Sensibilität eröffnet die Zusammenarbeit

mit indigenen Gemeinschaften auch die Mög-

lichkeit, die Debatten um die zukünftige Rolle

von Frauen anzustoßen und zu begleiten (vgl.

auch STRÖBELE-GREGOR in diesem Band).

6. Schlussbemerkung

Über die auf die entwicklungspolitische Zu-

sammenarbeit zentrierten Ausführungen sollte

gleichwohl nicht vergessen werden, dass Aus-

einandersetzungen um indigene Landrechte in

vielen Ländern recht vehement ausgetragen

werden. In Chile gehen seit mehreren Jahren

Angehörige der Mapuche auf die Straße, blo-

ckieren und torpedieren den Holzhandel in

einzelnen Regionen. Ebenso hat es in Boli-

vien, Ecuador und Kolumbien bis in die jüngste

Zeit große und teilweise robust ausgetragene

Demonstrationen indigener Gemeinschaften

gegeben. Außerdem werden im Kontext der

skizzierten Globalisierung vormalige Rechte,

insbesondere die autonome Verfügung über

Land und Ressourcen wieder in Frage gestellt.

Es ist also zu vermuten, dass Landrechte zu

denjenigen Zielvorstellungen gehören, die

ähnlich wie Autonomie oder Menschenrechte

kaum jemals vollständig verwirklicht werden,

sondern immer nur Annäherungen an optimale

Verhältnisse zulassen. Ein Grund mehr, in die

Förderung und Umsetzung dieser Rechte mit

Human- und Finanzkapital zu investieren.

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Page 83: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

77

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

DR. LIOBA ROSSBACH DE OLMOS

1. Erneuerbare natürliche Ressourcen: Was man darunter versteht....

“Erneuerbare natürliche Ressourcen“ sind

fester Bestandteil heutigen entwicklungspoliti-

schen Denkens und Handelns. Dennoch ist

nicht klar, was im Detail darunter zu verstehen

ist. Zum einen entstehen immer wieder neue

Anforderungen an altbekannte Ressourcen.

Heute kommt etwa Wäldern bzw. Auffors-

tungsmaßnahmen große Bedeutung als Koh-

lenstoffspeicher zu, die sie erst im Zuge des

internationalen Klimaschutzes erlangten. Zum

anderen verändern sich fortwährend Stellung

und Gewichtung der erneuerbaren natürlichen

Ressourcen in der Entwicklungszusammenar-

beit. Wurde etwa “Wasser“ vormals eher unter

Schutzaspekten betrachtet, sind heute Fragen

des Süßwassers und des Trinkwasserzugangs

ungleich bedeutender geworden. Schließlich

ergeben sich immer wieder Neuerungen, wie

etwa der holistische Ökosystemansatz in der

Biodiversitätskonvention, der nicht mehr ein-

zelne Ressourcen, sondern das integrierte

Ganze der biologischen Vielfalt in den Mittel-

punkt der (entwicklungspolitischen) Bemühun-

gen rückt, einschließlich der Nutzung durch

den Menschen. Vor allem aber trifft man, was

die erneuerbaren natürlichen Ressourcen an-

geht, bei den indigenen Völkern Mittel- und

Südamerikas auf eine ganze Reihe gemein-

samer Probleme, die u.a. Eigentums-, Nut-

zungs- und Verfügungsrechte betreffen. Des-

sen ungeachtet hängen die verschiedenen

Völker in unterschiedlichem Maße von unter-

schiedlichen Ressourcen ab. Nicht immer tref-

fen gängige Begriffsbestimmungen und Ab-

grenzungen die Bedeutung, die die indigenen

Gemeinschaften ihren natürlichen Reichtümern

beimessen.

“Erneuerbare natürliche Ressourcen“ sind

nach den herkömmlichen Definitionen jene

Naturgüter, d.h. natürliche Stoffe tierischer

oder pflanzlicher Herkunft bzw. andere stoff-

liche Substanzen einschließlich ihrer che-

misch-physikalischen und biologischen Pro-

zesse, die der Mensch bei der Lebensbewälti-

gung nutzt. Sie erneuern sich, sind also rege-

nerationsfähig. Sie sind aber größtenteils nicht

vermehrbar und können durch natürliche Ein-

flüsse (z.B. Naturkatastrophen) oder Über-

nutzung in ihrem Bestand bedroht oder ver-

nichtet werden. Sie befinden sich vorwiegend

oberhalb der Erdoberfläche. Meist werden

auch Luft, Wasser und Boden zu den erneuer-

baren natürlichen Ressourcen gezählt.

.... und was man aus indigener Sicht dabei zu beachten hat

Es ist unwahrscheinlich, dass die rund 650

indigenen Völker in Lateinamerika (BARIÉ,

2004) und der Karibik all jene Naturgüter unter

einem Begriff zusammenfassen, der dem der

“natürlichen Ressourcen“ entspricht. Zudem

dürfte der utilitaristische Grundgehalt des Beg-

riffs “Ressource“ für die indigene Vorstel-

lungswelt unverständlich sein. Zumindest aber

treten religiöse und mythologische Motive

gleichrangig neben Nutzungserwägungen und

können sogar – man denke etwa an Jagdtabus

– die uneingeschränkte Ausbeute von Res-

sourcen unterbinden. Ungeachtet ihrer kultur-

spezifischen Vorstellungen jedoch sind auch

indigene Völker kulturunabhängigen Rahmen-

bedingungen ausgesetzt. Die verfügbaren

Ressourcen hängen von der vorgefundenen

Umwelt ab, an die sich die jeweiligen Gemein-

schaften in Kultur und Wirtschaftsweise an-

passen mussten.

Nutzpflanzen- und tiergenetische Ressourcen

Mit Ausnahme von Völkern, wie den Aché in

Ostparaguay oder den Ayoré in Ostbolivien

Page 84: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

78

und Paraguay, bei denen traditionell Jagd,

Fischfang und Sammeltätigkeiten eine größere

Rolle spielten als der Feldbau, bestimmen bei

den indigenen Völkern Lateinamerikas jene

Ressourcen die Lebensgrundlage, die zusam-

menfassend nutzpflanzengenetische Ressour-

cen genannt werden. Nahrungspflanzen, die

inzwischen auch für den Markt angebaut wer-

den, sind Basis der Ernährung und Wirtschaft.

Man erinnere sich, dass die ursprünglichen

Bewohner der Neuen Welt mit ihren pflanzen-

züchterischen Leistungen wichtige Beiträge zur

Welternährung beigesteuert haben. Mais, Kar-

toffel und Maniok haben globale Verbreitung

gefunden und zählen heute zu den weltweit

wichtigsten Nahrungspflanzen. Man vermutet,

dass Mais vor rund 7000 Jahren in Südmexiko

erstmals aus Wildsorten gezüchtet wurde, wo

Maya-Völker bis heute für die Bewahrung sei-

ner Vielfalt Sorge tragen. Gleiches gilt für die

Kartoffel im Andenraum, die selbst noch in

Höhenlagen zwischen 3.900 m und 4.500 m

gedeiht. Von ihr kennen die indigenen Bauern

nahezu 5000 verschiedene Sorten und unter-

scheiden eine breite Palette von Konsistenz-

und Geschmacksunterschieden. Einzelne Fa-

milien bauen bis zu 31 Sorten an (GRAIN,

2000).

Durch den “Internationalen Vertrag über pflan-

zengenetische Ressourcen für Ernährung und

Landwirtschaft“ der FAO vom November 2001

wird den lokalen Bauern der Schutz ihres tra-

ditionellen Wissens, die Beteiligung an den

Gewinnen aus der Vermarktung pflanzengene-

tischer Ressourcen und politische Mitsprache

zugesichert. Das so genannte “Multilaterale

System“ soll den Zugang zu nutzpflanzen-

genetischen Ressourcen sowie eine faire Ge-

winnverteilung erleichtern. Es erstreckt sich auf

über 60 wichtige Nutzpflanzen, die nicht zu

rein kommerziellen Zwecken verwendet oder

patentrechtlich geschützt werden dürfen, ohne

dass ein fairer Ausgleich fällig wird. Noch sind

nicht alle Details geregelt, und der Internatio-

nale Vertrag ist erst am 29. Juni 2004 in Kraft

getreten. Dennoch ist festzuhalten, dass den

Bauern erstmals international eine verbindliche

Anerkennung ihrer Züchterleistung und daraus

sich ergebender Ansprüche zuteil wurde.

Foto: Maniokernte im Hausgarten der Quichua, Ecuador (S. REINHARDT)

Bei vielen indigenen Völkern Lateinamerikas

und der Karibik sind es vor allem die Frauen,

die Anbau und Pflege der Nahrungspflanzen

übernehmen. Bei den Völkern der östlichen

Andenabhänge waren die Männer beim Anle-

gen neuer Felder vornehmlich für die Ro-

dungsarbeiten und das Abbrennen der Pflan-

zenmasse zuständig, während die Frauen das

Gros der Feldarbeit übernahmen, also pflanz-

ten, jäteten und ernteten. Nicht immer nahmen

frühere Vorstellungen von Entwicklung(spolitik)

die Frauen als Inhaber traditioneller Kennt-

nisse und Praktiken wahr.1 Als Träger religiö-

sen oder mythologischen Wissens wurden sie

zumeist schlicht ignoriert. Dies gilt z.B. für die

kulturell verwandten Ethnien der Aguaruna,

Shuar und Achuar im Grenzgebiet von Peru

und Ecuador. Nach ihrer Mythologie gab die

Gottheit Nunkuí den Frauen einst den Maniok

und wacht über das Gedeihen der Knollen, die

1 Dies hat sich in den letzten Jahren zu ändern begonnen vgl. Projekt “Förderung des lokalen Wis-sens zum Erhalt der Biodiversität aus der Gender-Perspektive“, das von 2000 - 2003 vom GTZ Vorha-ben “Umsetzung der Biodiversitätskonvention“ im Auftrag des BMZ gefördert wurde.

Page 85: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

79

besungen und gepflegt werden wollen (MÜNZEL

1985:198ff; HARNER, 1978:66ff). Bei den Agua-

runa aus Peru wurden in den 1970er Jahren

mit Einführung der staatlich geförderten Cash

Crop-Produktion die Frauen aus der Landwirt-

schaft gedrängt. Dies hatte Folgen für die ge-

schlechtliche Arbeitsteilung, aber auch für das

häusliche Leben sowie die Kultur insgesamt.

Zudem ersetzten Monokulturen den diversifi-

zierten Anbau der traditionellen Pflanzungen,

der im Fall der Hausgärten soeben wieder als

“Schatzkammer der Vielfalt“ rehabilitiert wird

(GTZ, 2004). Selbst in vertraut anmutenden

bäuerlichen Kulturen gilt es die Rolle der Frau

differenziert zu betrachten, um z.B. den weibli-

chen Besitz an Land oder Ressourcen in einer

Familie nicht unbesehen dem meist männlich

gedachten “Haushaltsvorstand“ zuzuordnen.

Geringere internationale Beachtung finden die

tiergenetischen Ressourcen, auch weil sie für

die Welternährung nicht dieselbe Bedeutung

haben wie die Nahrungspflanzen. Dennoch

werden die Kenntnisse und Zuchtpraktiken

indigener Hirtenvölker bzw. Pastoralisten heute

für den Erhalt der Biodiversität als wichtig er-

achtet. In Lateinamerika ist die Zahl der Hir-

tenvölker im Vergleich zu Afrika oder Asien

jedoch gering. Es gibt nur wenige, die, wie die

Wayú (Kolumbien und Venezuela), Rinder,

Esel, Ziegen und Schafe züchten (FRIEDEMANN

& AROCHA, 1982:308). Wie andere indigene

Völker haben sie domestizierte Tiere europä-

ischen Ursprungs übernommen, und zählen

diese heute zu ihren Nutztieren. Die heimi-

schen Nutztiere, z.B. der Truthahn, das Meer-

schweinchen, das Lama, das im Andenraum

Lasten transportiert und Fleisch liefert, sowie

das wegen seiner Wolle geschätzte Alpaka,

sind durchweg kleiner als die europäischen

Tierrassen. Der Bestand der wild lebenden

Guanakas und Vikuñas, die wegen ihrer seidi-

gen Wolle fast ausgerottet waren, hat sich

inzwischen wieder erholt. Weitere Ressourcen

sind die Wildtiere, insbesondere in den Wäl-

dern, sowie die Fischbestände in Flüssen und

Küstenregionen. In den an heimischem Groß-

wild armen Waldgebieten Lateinamerikas ist

Fisch für die indigenen Völker eine ungleich

wichtigere Proteinquelle als Fleisch.

Biologische Vielfalt – Traditionelles Wissen

Das “Übereinkommen über die biologische

Vielfalt“, das 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de

Janeiro unterzeichnet wurde, und seit Inkraft-

treten im Dezember 1993 188 Ratifikationen

verzeichnete, setzt noch andere Akzente. Die

Biodiversitätskonvention, wie sie auch genannt

wird, will die weltweite Bedrohung der Arten-

vielfalt stoppen, dabei aber nicht nur einzelne

Arten schützen, sondern die biologische Viel-

falt als Ganzes in ihrer Fülle und Differenziert-

heit bewahren. Die nachhaltige Nutzung von

Bestandteilen dieser Vielfalt ist ebenso vorge-

sehen wie Regelungen zum fairen Ausgleich

zwischen dem an Biodiversität reichen Süden,

der die genetischen Ressourcen liefert, und

den an Biotechnologie reichen Ländern des

Nordens, die diese Ressourcen verarbeiten

(DER BUNDESUMWELTMINISTER, 1992). Da bio-

genetische Ressourcen einen großen Markt-

wert besitzen – er wird auf 75 bis 150 Mrd. US

Dollar pro Jahr geschätzt, hoffte man, Bereit-

schaft zur Bewahrung dieser Ressourcen mo-

bilisieren zu können.

Indigene Gemeinschaften begann man mit

anderen Augen zu sehen, als deutlich wurde,

dass Regionen mit einer reichen natürlichen

Artenvielfalt auch eine ausgeprägte kulturelle

Vielfalt aufweisen. Es besteht demnach ein

enger Zusammenhang von kultureller und bio-

logischer Vielfalt. Auf dem südamerikanischen

Kontinent ist dies im Besonderen in Amazo-

nien festzustellen. Knapp 400 unterschiedliche

Völker, die kleinste Gemeinschaften (z.B. die

einige Hundert Menschen zählenden Zaparo in

Ecuador und Peru) und Völker von mehreren

10 000 Menschen (z.B. Aguaruna in Peru oder

Yanomami in Brasilien) umfassen, zählen zu-

sammen rund 1 Mio. Menschen und machen

4,2% der Bewohner der Region aus

(TRESIERRA, 2000:4). Sie leben in einem rund

7 Mio. km2 umfassenden Regenwaldgebiet, in

dem man knapp 25% der weltweit vorkom-

menden Pflanzenarten vermutet, darunter

3000 heimische Baumarten. Die Tatsache,

dass indigene Gemeinschaften seit Generatio-

nen im Regenwald leben, wirtschaften und

seine Ressourcen nachhaltig nutzen, lässt auf

Kenntnisse und Praktiken schließen, welche

Page 86: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

80

für einen nachhaltigen Umgang mit dem sen-

siblen Ökosystem von Bedeutung sind

(DURNING, 1992; POSEY & BALÉE, 1989). In

einer Zeit, in der die biologische Vielfalt schnel-

ler vernichtet wird, als die Wissenschaft sie

erforschen kann, erfährt dieses Wissen neue

Wertschätzung, obgleich es oft religiöse oder

mythologische Züge trägt und nicht einfach

naturwissenschaftlich abrufbar ist. Mit Artikel 8j

der Biodiversitätskonvention, wird diesem Wis-

sen Rechnung getragen. Er zielt darauf ab, die

“traditionellen Kenntnisse und Praktiken“ indi-

gener und lokaler Gemeinschaften zu schützen

und zu fördern, aber auch mit Zustimmung der

Wissensinhaber der (kommerziellen) Nutzung

durch Dritte zuzuführen, woran die Inhaber

(materiell) profitieren sollen. Hierbei ist an

Heilpflanzen, Pflanzenwirkstoffe, Schamanen-

wissen und -praktiken zu denken, Wissen über

genetische Ressourcen also, das für die phar-

mazeutische, kosmetische oder chemische

Industrie von Interesse sein könnte.

International ist die Biodiversitätskonvention

zur wichtigsten umweltpolitischen Bühne der

indigenen Völker geworden. Sie berührt The-

men, die Bezüge zu Menschenrechtsfragen

aufweisen, und reicht damit über den umwelt-

und entwicklungspolitischen Kerngehalt der

Konvention hinaus. Gegenwärtig steht die aku-

te Bedrohung traditioneller Wissenssysteme

(z.B. durch Sprachverlust) auf der Ta-

gesordnung, und es ist ein Aktionsplan zum

Erhalt traditionellen Wissens anvisiert. Darüber

hinaus wird nicht vordringlich an Modellen zur

kommerziellen Verwertung des traditionellen

Wissens gearbeitet, auch wenn die Konvention

dieses Ziel formuliert, sondern auf Drängen

von Indigenenvertretern an legalen und ande-

ren Mechanismen, die das mit dem traditio-

nellen Wissen verbundene geistige Eigentum

vor unlauterem Zugriff durch Dritte schützen.

Datenbanken und Register, die traditionelle

Wissensbestände erfassen und in den öffentli-

chen Raum stellen, zogen Kritik auf sich.2 Eine

Veröffentlichung verhindert zwar, dass An-

sprüche auf kommerzielle Exklusivnutzung im

Sinne des Patentrechts geltend gemacht wer-

den können, sie erleichtert aber zugleich den 2 Ein Beispiel wäre die Datenbank „Biozulua“ in Venezuela.

Zugang zu diesen Wissensbeständen. Auch

durch das Internet ist der Zugriff auf Informati-

onen über Heilpflanzen und deren traditionelle

Verwendung durch indigene Sachkundige ein-

facher geworden, so dass eine Forschung vor

Ort zunächst nicht nötig ist. Kritik gibt es aber

auch, wenn die Träger des traditionellen Wis-

sens bei Einrichtung der Datenbank nicht ein-

bezogen werden. Vorschläge für ein Regime

eigener Art zum Schutz geistigen Eigentums

an traditionellem Wissen, das an indigene Ge-

wohnheitsrechte anknüpft, beschäftigen so-

wohl die Biodiversitätskonvention als auch die

“Weltorganisation für geistiges Eigentum“

(WIPO). Die heikle Frage, die die Biodiversi-

tätskonvention nicht aufgreift, sondern in der

Kompetenz der Vertragsstaaten belässt, betrifft

die Besitz-, Nutzungs- und Verfügungsrechte

über die genetischen Ressourcen, an denen

sich das traditionelle Wissen entwickelt hat.

Nach der Konvention üben die Staaten die

Oberhoheit über diese Ressourcen aus, und

indigene Ansprüche werden in die nationale

Gesetzgebung verwiesen. Neben diesem für

sie zentralen Anliegen, erachten die indigenen

Vertreter Fragen der Partizipation für wichtig,

einschließlich der Mechanismen, die diese

sicherstellen. “Full and effective participation“

sowie “prior informed consent“3 will das “Inter-

nationale Indigenenforum über die biologi-

schen Vielfalt“, ein im Vorfeld der Biodiversi-

tätskonferenzen tagender Zusammenschluss

von Indigenenvertreter aller Erdteile, auf inter-

nationaler und nationaler Ebene garantiert

sehen.

Wälder

Spätestens seit die Biodiversitätskonvention im

April 2002 ihr 130 Einzelpunkte umfassendes

“Arbeitsprogramm zur waldbiologischen Viel-

falt“ beschloss, ist sie eine Säule in den inter-

nationalen Verhandlungen zum Schutz der

Wälder geworden. Diese haben eine kohärente

Management-, Schutz- und Nachhaltigkeitspo-

litik für alle Waldarten zum Ziel und fußen auf

den 1992 auf dem Erdgipfel in Rio verabschie-

deten “Waldprinzipien“ und den Kapiteln 11 3 Mechanismus der vorherigen Zustimmung der betroffenen indigenen Völker (siehe auch SPEISER in diesem Band).

Page 87: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

81

und 15 der Agenda 21. Es handelt sich um

einen freiwilligen Prozess, da sich die interna-

tionale Staatengemeinschaft trotz mehrerer

Vorstöße nicht zu einer verbindlichen Wald-

konvention entschließen konnte. Aufbauend

auf einem waldpolitischen Dialog mit relevan-

ten gesellschaftlichen Gruppen und über 270

Aktionsvorschlägen wurde 2000 das UN-

Waldforum ins Leben gerufen. Es hat das

Mandat, bis 2005 eine Kooperation mit allen

waldrelevanten Organisationen und Konventi-

onen zu bilden. In den Prozess waren zeit-

weise indigene Vertreter involviert. 1999 fand

unter Mitwirkung von Indigenenvertretern aller

Erdteile ein Workshop über die Ursachen der

Waldzerstörung in Quito (Ecuador)4 statt. Eine

Politik und Rechtslage, die oftmals indigene

Belange der kommerziellen Nutzung der Natur-

ressourcen unterordnet, wurde als durchgän-

giges Problem identifiziert, neben dem schwer

zu unterbindenden illegalen Holzeinschlag.

Die ökologische und sozio-ökonomische Be-

deutung der Wälder ist immens und der Bedarf

nach Schutz entsprechend groß. Wäldern

kommen regulierende Funktionen in der Was-

serversorgung, dem Bodenschutz und dem

Klima zu. Sie beherbergen einen Großteil der

terrestrischen Biodiversität. Dass ihre geneti-

schen Ressourcen noch nicht ausreichend

erforscht sind, sollte Anregung für neue

Schutzanstrengungen, insbesondere der Pri-

märwälder, sein. Wälder liefern zudem zahlrei-

che Produkte. Holz (als Bauholz, für Möbel,

Papier und Pappe, als Brennholz und zur

Holzkohlegewinnung) ist ein wichtiger, aber

nicht der einzige Rohstoff. Andere Ressour-

cen, nämlich Nichtholzprodukte, wie Kau-

tschuk, Harze, Nüsse, Wildfleisch, Honig, wilde

Früchte und Heilpflanzen, kommen hinzu. Sie

bergen nicht nur ein Vermarktungspotential,

sondern tragen auch zur Deckung der Grund-

bedürfnisse von indigenen Völkern bei. Das

auf den Wald bezogene traditionelle Wissen

dieser Völker verdient Beachtung, da es Anre-

gungen zum Schutz und der nachhaltigen Nut-

zung liefert.

4 Der Workshop war ein indigenes Vorbereitungs-treffen zu einem größeren Workshop in Costa Rica, der Teil der internationalen Waldverhandlungen war (vgl. The Tides Center 1999).

Wie einleitend erwähnt ist die indigene Vor-

stellung von Wald nicht durch reine Funktiona-

lität bestimmt, sondern es kommen mythische

und religiöse Dimensionen hinzu. Über Bäume,

Tiere, Pflanzen und Orte sind symbolische

Sinnmuster gelegt, die Geister, Vorfahren oder

die Urzeit repräsentieren. Dies ist die indigene

Form, mit Natur umzugehen, d.h. Natur in Kul-

tur zu überführen, wobei sich diese Umfor-

mung weniger physisch als symbolisch voll-

zieht (SEELAND, 1997).

Der Boden

Der Boden soll hier nur in seiner Eigenschaft

als Ressource vorgestellt werden, obwohl auch

bodenrechtliche Fragen direkt damit verknüpft

sind (siehe auch RATHGEBER in diesem Band).

Er ist durch kein internationales Abkommen

geregelt, wenngleich ein Vorschlag dazu vor-

liegt (TUTZINGER PROJEKT “ÖKOLOGIE DER ZEIT“,

1998). Es gibt jedoch das “UN-Übereinkom-

men zur Bekämpfung der Wüstenbildung und

Dürrefolgen insbesondere in Afrika“. In Latein-

amerika sind Wüsten und Halbwüsten mit indi-

gener Bevölkerung rar. Die wenigen, die zu

nennen sind, sind die Raramuri im mexikani-

schen Bundesstaat Chihuaha, die Atacameños

der chilenischen Atacama-Wüste sowie die

Wayú auf der Guajiro-Halbinsel (Kolumbien

und Venezuela). Die größere entwicklungspoli-

tische Herausforderung stellen Trockengebiete

dar, die zum Teil von Desertifikation bedroht

sind. In Lateinamerika machen sie rund 25%

der Landflächen aus. Hierzu zählen z.B. der

brasilianische Sertao, Teile des westlichen

Gran Chaco oder Teile der Andenhochtäler

(TOMASINI & PÉREZ-PARDO, 2002).

Was zudem schwer wiegt, sind erodierte und

degradierte Böden. Dies betrifft z.B. die Que-

chua- und Aymara-Bauern der dichter besie-

delten Andengebiete, wo kleine Parzellen in-

tensiv genutzt bzw. übernutzt werden. Wasser-

und Winderosion tragen die kahlen Böden ab,

und die spärliche Vegetation muss neben

Brennholz auch Viehfutter liefern.

Bodendegradation entsteht in irreparablen

Ausmaß auch als Folge von Entwaldung in

Tropenwaldgebieten, wo die dünne Humus-

schicht ohne den Schutz der Vegetation in

Page 88: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

82

kurzer Zeit erodiert. Die indigenen Völker A-

mazoniens bewiesen also tropenökologische

Weitsicht, als sie die Größe ihrer Felder in der

Regel auf ca. 1 ha begrenzten, und die Integ-

rität des Regenwaldes nicht verletzten. Dass

der Brandrodungsfeldbau eine angepasste

Methode sein kann, wenn die gerodete Fläche

und die Bevölkerungsdichte klein und die An-

baupausen (Brachen) hingegen groß sind, ist

mittlerweile bekannt. Außerdem folgt der tradi-

tionelle indigene Landbau eigenen verträgli-

chen Paradigmen. Während die westliche

Landnutzung die Landschaft in Flächen für

Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Schutzge-

biete unterteilt, kombinieren und integrieren die

indigenen Gemeinschaften diese räumlich und

zeitlich. Sie bedienen sich der natürlichen

Pflanzensukzessionen, also der Aufeinander-

folge der Pflanzengesellschaften, und nutzen

in zeitlicher Abfolge die eigenen Anbaupro-

dukte (z.B. Maniok, Kochbananen), die natür-

lich vorkommenden Pflanzen (z.B. Heilpflan-

zen) einschließlich jener Pflanzen, deren Sa-

men durch Wind oder Tiere in die Pflanzung

eingebracht werden. Man spricht in diesem

Zusammenhang auch von einem Sukzessi-

onsmanagement, das einen Beitrag zum Erhalt

der biologischen Vielfalt leistet (TRESIERRA,

2000:6).

Das Wasser

Wasser ist Grundlage allen Lebens. Sicher hat

es deshalb als einzige erneuerbare natürliche

Ressource direkt in die Millenniumsziele Ein-

gang gefunden, nach denen bis 2015 50%

mehr Menschen Trinkwasser zur Verfügung

stehen soll als im Jahre 2000. An Wasser lässt

sich die Neuorientierung der internationalen

Entwicklungsbemühungen ablesen. Während

früher Themen, wie Bewässerung, Fischerei,

Schutz von Wassereinzugsgebieten im Mittel-

punkt standen, ist es heute zudem der Zugang

zu Trinkwasser. Diese Entwicklung lässt sich

auch an der 1971 unterzeichneten Ramsar-

Konvention zu Feuchtgebieten ablesen. Ver-

schiedene internationale Wasserkonferenzen

im Kontext des Weltgipfels für nachhaltige

Entwicklung (26.8.-8.9.2002) in Johannesburg

haben keine Einigung über die richtigen Maß-

nahmen erbracht.

Auch indigene Organisationen haben sich in

Kyoto am Rande des 3. Weltwasserforums

(16.-23.2.2003) zu einer eigenen Konferenz

getroffen. In ihrer “Indigenen Wassererklärung“

nahmen sie Stellung zu ihrer Beziehung zu

Wasser, zum Zustand des Wassers, zum

Recht auf Wasser und zu indigener Selbstbe-

stimmung, zu traditionellem, auf Wasser bezo-

genem Wissen, zu Mitsprache und Hand-

lungsmöglichkeiten (INDIGENOUS DECLARATION

ON WATER, 2003).

In Lateinamerika und der Karibik hat Wasser

für indigene Völker viele traditionell religiöse

wie auch aktuell politische Facetten. Große

Schlangen, wie die Anakonda, in deren Körper

die ersten Menschen wie in einem Boot den

Fluss hinauffuhren, sind in den Mythen einiger

Völker des nordwestlichen Amazonasgebietes

überliefert. Wasserfälle, die bei Shuar und

Aguaruna Lernorte der jungen Männer sind

(HARNER, 1978), helfen in Visionen mit der

übernatürlichen Welt in Kontakt zu treten. Der

Fluss, dessen andere Uferseite das Tor zum

Jenseits markiert, ist vielerorts Teil der indige-

nen Wassersymbolik.

Es gibt aber auch die entzauberte Gegenwart.

Der aufgestaute Fluss des Wasserkraftwerks

kann indigene Gemeinschaften um ihr Land,

ihre heiligen Stätten, Siedlungen und Ressour-

cen bringen. Dieses Schicksal teilen viele indi-

gene Gemeinschaften, die in der Nähe von

Wasserkraftwerken leben, wie z.B. die Emberá

in Kolumbien im Falle des Wasserkraftwerks

Urrá, die Pehuenche in Chile im Falle von Bio-

Bio oder die Kuna Panamas im Falle von Bay-

ano. Kein Wasserkraftwerk, das sich nicht

entsprechend der Empfehlungen der “Welt-

kommission für Dämme“ der Zustimmung der

betroffenen indigenen Völker versichert hat,

sollte noch gebaut werden dürfen, selbst wenn

es z.B. aus Klimaschutzgründen als sinnvoll

erschiene. Lateinamerika und die Karibik sind

mit Wasser gut ausgestattet und verfügen über

ein Drittel des weltweiten Süßwasserreser-

voirs. Dennoch kann dauerhafte Trockenheit,

die, wie das Beispiel des Cochabamba-Tals in

Bolivien und der dort lebenden Quechua- und

Aymara-Bauern zeigt, eine nicht unwesentliche

Ursache für die Landflucht darstellen.

Page 89: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

83

Foto: Shuar-Bevölkerung in Ecuador (S. REINHARDT)

Aber auch im Amazonasgebiet, das einen

Großteil des Süßwassers in Südamerika be-

herbergt, gibt es Probleme mit der Verfügbar-

keit von Trinkwasser. Ein Grund ist die stei-

gende Zahl von Erdölförderstätten in vielen

Anrainerstaaten, in denen übergelaufene Auf-

fangbecken, lecke Pipelines und geborstene

Pumpen zum Austritt von Rohöl und anderen

giftigen Förderrückständen in die Umwelt füh-

ren (siehe auch FELDT in diesem Band). Da-

durch werden Flüsse vergiftet, die oft die ein-

zige Trinkwasserquelle der ansässigen Be-

wohner darstellen. Die Vergiftungen stehen

denen durch Quecksilber, welches Goldwä-

scher zum Scheiden des Edelmetalls von

Rückständen verwenden, in nichts nach. Sie

lassen z.B. das Krebsrisiko um ein Vielfaches

steigen.

Konkurrenten

Indigene Völker müssen mit verschiedenen

Akteuren um die erneuerbaren natürlichen

Ressourcen konkurrieren und ihre älteren An-

sprüche verteidigen. Wenngleich sich die Bo-

denrechtssituation in den meisten Ländern

verbessert hat, werden indigene Gemein-

schaften weiterhin von ihrem Land in entle-

gene Rückzugsgebiete vertrieben (siehe auch

RATHGEBER in diesem Band). Der klassische

Konflikt des Landraubs an den indigenen Völ-

kern Lateinamerikas findet hier seine Fortset-

zung. Militärische Auseinandersetzungen, Bür-

gerkriege und bürgerkriegsähnliche Wirren

begünstigten diese Entwicklung z.B. in Kolum-

bien und Guatemala. Außerdem ist der unkon-

trollierte Zuzug von landlosen Bauern in Ge-

biete der indigenen Gemeinschaften in Län-

dern wie Brasilien keineswegs gestoppt.

Auch mit Privatunternehmen treten Indigene

um die verfügbaren erneuerbaren natürlichen

Ressourcen in Konkurrenz. Glücklicherweise

gehören Verhältnisse wie während des Kau-

tschukbooms an der Wende zum

20. Jahrhundert der Vergangenheit an. Damals

wurden Angehörige des Huitoto-Volkes in der

Putumayo-Region Kolumbiens in Schuld-

knechtschaft gehalten. Sie mussten Rohgummi

sammeln und starben zu Tausenden. Heute ist

der Holzeinschlag ein drängendes Problem,

vor allem wenn er illegal betrieben wird. Aber

auch der staatlich gebilligte Holzeinschlag stellt

Page 90: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

84

aus indigener Sicht ein Problem dar, wenn sich

die erteilten Holzkonzessionen auf indigene

Gebiete erstrecken.

Vorhandene Instrumente, wie die Tropenholz-

zertifizierung nach den Kriterien des Forest

Stewardship Council (FSC), haben bisher kei-

ne Kehrtwende einleiten können. Die hohen

umwelt- und sozio-ökonomischen FSC-Stan-

dards setzen zwar anerkannte Landtitel voraus

und garantieren eine nachhaltige Holzwirt-

schaft, doch die Marktanbindung ist oft nicht

ausreichend gesichert (KRUEDENER, 2001),

ganz abgesehen davon, dass indigener Forst-

besitz noch immer selten ist.

Auch die Gruppe der pharmazeutischen, che-

mischen und kosmetischen Industrie hat Inte-

resse an bestimmten genetischen Ressourcen.

Sie sucht Zugang zu Wirkstoffen und Eigen-

schaften von pflanzen- und tiergenetischem

Material, wobei sich die Produktentwicklung

meist an den Bedürfnissen von Konsumenten

und Patienten der Industrieländer orientiert. Es

gibt zudem Forschungsinstitute, die im Auftrag

solcher Firmen in der Bioprospektion tätig sind,

zum Teil aber auch ohne kommerzielles Ver-

wertungsinteresse genetische Ressourcen

untersuchen (dazu siehe unten Kapitel 3: “Bio-

prospektion, Biopiraterie“).

Ein wichtiger Akteur ist der Staat. Alle Maß-

nahmen auf den unterschiedlichsten Ebenen

haben Folgen für die indigenen Völker. Diese

sind der Souveränität des jeweiligen Staates

unterstellt, selbst wenn ihnen, wie im Falle der

Atlantikküste Nicaraguas, Autonomie zugesi-

chert wurde. Der Staat tritt als mächtiger Ak-

teur in der Auseinandersetzung um die Kon-

trolle der erneuerbaren natürlichen Ressour-

cen auf. Er kann “nationale Interessen“ verfol-

gen, die aus wirtschaftlichen Gründen legitim

sind, aber eine Bedrohung für die indigenen

Gemeinschaften bedeuten, wie z.B. der Infra-

strukturausbau, die Errichtung von Wasser-

kraftwerken zur Deckung des nationalen

Strombedarfs etc. Darüber hinaus kann der

Staat Schutzinteressen gegenüber den Nut-

zerinteressen der indigenen Gemeinschaften

durchsetzen, wenn er Naturschutzgebiete oder

Nationalparks einrichtet. Er kann sich selbst

den Zugriff auf die erneuerbaren natürlichen

Ressourcen sichern, um diese gegen Konzes-

sionsgebühren und Lizenzabgaben Dritten zur

kommerziellen Nutzung zu überlassen, und

damit in Interessenkonflikte unterschiedlicher

Natur einzugreifen, oder solche sogar erst zu

schaffen.

Auch indigene Völker können untereinander

als Konkurrenten um bestimmte Ressourcen

auftreten. So migrierten Aymara und Quechua

aus dem bolivianischen Hochland und den

alten Bergbauzentren in den Chapare (Tief-

land). Dort sind die Yuracaré bereits infolge

des Kokaanbaus, der Gegenwart von Drogen-

händlern und Militärs stark eingrenzt, und

müssen sich nun auch mit den Folgen des Zu-

zugs der Siedler auseinandersetzen. Ein ande-

res Beispiel ist das Maya-Volk der Kekchi, das

zu einem Drittel – zuletzt aufgrund der Gewalt

in den 1980er Jahren – in das Tiefland von

Petén vordrang, wo andere Völker lebten

(GRÜNBERG, 2000). Als weitere Konkurrenten

um Ressourcen treten gelegentlich auch an-

dere ethnische Gruppen auf, z.B. Afroamerika-

ner. Im kolumbianischen Chocó etwa teilten

sich die schwarzen Nachkommen früherer

Goldminensklaven und die an den Flussober-

läufen beheimateten Emberá bestimmte Ge-

biete als Jagdrevier und Bezugsgebiet für

Feuerholz. Als mit der Einrichtung indigener

Resguardos5 am Ende der 1980 Jahre diese

Gebiete eindeutig demarkiert und der indige-

nen Gemeinschaft zugeordnet werden sollten,

kam es zu Spannungen zwischen den beiden

lokalen Gruppen.

Auch innerhalb einer Gemeinschaft entstehen

Rivalitäten um natürliche Ressourcen: zwi-

schen Lokalgruppen, Familien, unterschiedli-

chen Generationen oder auch den Ge-

schlechtern. Die Gründe sind vielfältiger Natur:

Es können interne Gründe existieren, wie Ver-

änderungen der indigenen Wirtschaftsweise

und Konsumgewohnheiten durch die Anbin-

dung an den Markt. Es können aber auch tra-

ditionelle Konzepte und Vorstellungen eine

Rolle spielen. Die Vielfalt der rund 650

Sprachgruppen in Lateinamerika und der Kari-

5 Ein seit der Kolonialzeit existierendes Schutzge-bietsmodell für die indigene Bevölkerung im kolum-bianischen Andenraum (siehe unten Kolumbien).

Page 91: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

85

bik hat auch eine Vielzahl von indigenen Vor-

stellungen über Eigentums-, Nutzungs- und

Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen

hervorgebracht, einschließlich der damit ver-

bundenen Probleme.

Foto: Eine ins Amazonastiefland migrierte Saraguro-Familie aus dem ecuadorianischen Andenhochland (S. REINHARDT)

2. Erneuerbare natürliche Ressourcen und indigene Völker im Spiegel recht-licher Rahmenbedingungen

In Lateinamerika steigt die Bereitschaft, die

Ansprüche indigener Gemeinschaften auf ihre

Territorien6 und die natürlichen Ressourcen in

diesen Territorien juristisch anzuerkennen

(siehe auch RATHGEBER in diesem Band). Seit

die Vereinten Nationen in den 1980er Jahren

die Frage des völkerrechtlichen Status und der

Rechte der indigenen Völker auf die Tages-

ordnung setzten, lassen sich bei der “Organi-

sation Amerikanischer Staaten“ (OAS) und den

Nationalstaaten ähnliche Entwicklungen fest-

stellen (ORGANISATION OF AMERICAN STATES,

2003; GROTE, 1999).

Normen und Erklärungen

Ein Meilenstein ist das Übereinkommen der

Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 169

6 Die Anerkennung zusammenhängender “Territo-rien“ indigener Völker in Sinn eines “(...) habitat necessary for their collective life, activities, self-government, and cultural and social reproduction“ (ORGANISATION OF AMERICAN STATES, 2003:3) ist eine politische Forderung, die keines-wegs in allen Staaten verwirklicht ist. Es gibt ge-meinschaftliche Landtitel unterschiedlichen Charak-ters, die aber durchaus nicht alle genannte Kriterien erfüllen.

über indigene und in Stämmen lebende Völker

in unabhängigen Ländern von 1989. 14 der

insgesamt 17 Unterzeichner sind Staaten aus

Lateinamerika und der Karibik. Artikel 15 des

Übereinkommens nimmt auf die natürlichen

Ressourcen Bezug, ohne zwischen erneuerba-

ren und nicht-erneuerbaren Ressourcen zu

unterscheiden. Neben Details zu Bergbau

heißt es dort, dass die Rechte indigener Völker

an den natürlichen Ressourcen ihres Landes

besonders zu schützen, und sie an der Nut-

zung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser

Ressourcen zu beteiligen seien. Die Formulie-

rung ist vorsichtig gehalten und spricht nicht

vom Recht auf Nutzung, Bewirtschaftung und

Erhaltung, sondern vom Recht, an der Nut-

zung, Bewirtschaftung und Erhaltung beteiligt

zu werden.

Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung

in Rio de Janeiro 1992 stellte die enge Bezie-

hung indigener Völker zu ihrer Umwelt heraus

und regt im Kapitel 26 der Agenda 21 deren

Anerkennung, Anpassung, Förderung und

Stärkung an.

Weitgehender ist die UN-Deklaration über die

Rechte indigener Völker, die seit 1994 als

Entwurf vorliegt. Artikel 26 erkennt den indige-

nen Völkern nicht nur das Recht an, ihr Land

und ihre Territorien, einschließlich der gesam-

ten Umwelt zu Lande und zu Wasser mit der

Fauna und Flora und anderen Ressourcen zu

besitzen, entwickeln, kontrollieren und zu nut-

zen, sondern sieht auch die Anerkennung tra-

ditioneller Besitz-, Nutzungs- und Zugangs-

rechte vor. Eine Umsetzung auf nationalstaatli-

cher Ebene setzte eine weitgehende politische

Autonomie sowie ein beachtliches Maß an

Rechtspluralismus voraus.

Auch der Vorschlag für eine Amerikanische

Erklärung über die Rechte indigener Völker der

Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)

aus dem Jahre 1997 betont die respektvolle

Beziehung indigener Völker zu ihrer natürli-

chen Umwelt und das Recht auf den Erhalt der

Ressourcen. Die Erklärung ist pragmatisch

formuliert. Sie anerkennt nicht das Recht indi-

gener Völker auf ihre natürlichen Ressourcen,

sondern das Recht auf eine Anerkennung der-

selben, das Recht auf effektive rechtliche

Page 92: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

86

Rahmenbedingungen, etc. Das Selbstbestim-

mungsrecht ist in Bezug auf das Ressourcen-

management in der Erklärung enthalten,

wenngleich vorsichtiger von “self government“

die Rede ist. Nicht alle, aber eine Reihe von

Regierungen in Lateinamerika und der Karibik

haben gesetzliche Änderungen vorgenommen,

die sich an dem OAS-Vorschlag orientieren

(ORGANISATION OF AMERICAN STATES, 1997).

Allerdings ist nicht einmal auf der internatio-

nalen Ebene Kohärenz zwischen den ver-

schiedenen Instrumenten gewährleistet. Be-

schlüsse und Regelungen der internationalen

Menschenrechts- und der internationalen Um-

weltprozesse sind nicht aufeinander abge-

stimmt. Aus der Biodiversitätskonvention, stär-

ker aber noch aus der Klimarahmenkonvention

sucht man Menschenrechtsfragen herauszu-

halten, da andere UN-Organe zuständig sind.

Dies führt dazu, dass die Biodiversitätskon-

vention den Schutz, die Förderung und Nut-

zung traditionellen biodiversitätsbezogenen

Wissens indigener Gemeinschaften zum Ziel

hat, sich zu Fragen der Eigentums-, Nutzungs-

und Verfügungsrechte der Ressourcen, an die

dieses Wissen geknüpft ist, aber nicht festlegt,

sondern diese den nationalen Gesetzgebun-

gen anheim stellt. In der Klimarahmenkonven-

tion, die Aufforstungen zur Kohlenstoffdioxid-

speicherung im Rahmen des “Mechanismus

für saubere Entwicklung“ vorsieht, hat man, um

die Wirtschaftlichkeit der Vorhaben nicht zu

gefährden, indigene Belange nur marginal

berücksichtigt, obwohl die entwaldeten Flä-

chen, die für die so genannten “Senkenpro-

jekte“ in Frage kommen, oft in indigenen Ge-

bieten liegen.

Verfassungen und Gesetze

In Lateinamerika schreitet die legale Veranke-

rung indigener Rechtsgarantien weiter voran.

In vielen Ländern haben indigene Rechte in die

Verfassung Eingang gefunden. Lediglich Be-

lize, Chile, Französisch Guyana, Surinam und

Uruguay haben keine entsprechenden Normen

in ihrer Verfassung verankert, sei es dass sie

eine angelsächsische Rechtstradition mit ver-

traglichen Regelungen fortführen, sei es dass

das nachwirkende Ideal vom freien und glei-

chen Bürger kollektiven Rechtsgarantien im

Wege steht (BARIÉ, 2004). In Costa Rica, El

Salvador, Guyana und Honduras sind gewisse

indigene Grundrechte unter Verfassungsschutz

gestellt, während in Argentinien, Bolivien, Bra-

silien, Kolumbien, Ecuador, Guatemala, Me-

xiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru und

Venezuela elaborierte Verfassungsrechte für

indigene Völker existieren (BARIÉ, 2004), dar-

unter in allen Ländern des Andenraums und

Mittelamerikas, in denen mit über 90% die

große Mehrheit der indigenen Völker der Re-

gion lebt.

Die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank

(INTER-AMERICAN DEVELOPMENT BANK, o.J.)

sieht das Vorrecht der indigenen Gemein-

schaften auf Nutzung der natürlichen Ressour-

cen in nahezu allen Ländern mit relevanter

Indigenenbevölkerung gegeben. Ausnahmen

sind Guatemala und Paraguay. Abgesehen

von z.B. Chile gewährt nach derselben Quelle

die Gesetzgebung in fast allen Ländern den

indigenen Gemeinschaften in ihren Territorien

unterschiedliche Eigentumsrechte über die

natürlichen Ressourcen. Ähnliches gilt für das

Recht auf Jagd und Fischfang, wobei hier Me-

xiko die Ausnahme bildet.

Hinsichtlich der genetischen Ressourcen im

Sinne der Biodiversitätskonvention ist die

Rechtslage anders. Argentinien, Chile, Para-

guay und Guatemala verfügen über keine

Normen zugunsten indigener Völker und des

Schutzes ihrer traditionellen Kenntnisse. Die

meisten anderen Länder haben den Schutz der

genetischen Ressourcen rechtlich verankert

und erkennen in unterschiedlichem Maße die

Bedeutung des biodiversitätsbezogenen tradi-

tionellen Wissens indigener Gemeinschaften

an. Das Recht auf Schutz geistigen Eigentums

über dieses Wissen ist in Ecuador und Peru

explizit anerkannt. In Venezuela sind Patente,

die auf traditionelles Wissen und traditionelle

Ressourcen rekurrieren, ausdrücklich verbo-

ten.

Allerdings bestehen selbst in Ländern mit fort-

geschrittener Indigenengesetzgebung die Tü-

cken der Rechtslage im Zusammenspiel unter-

schiedlicher Normen. Nicht immer setzt eine

einfache gesetzliche Norm, etwa das Waldge-

Page 93: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

87

setz, um, was die Verfassungsbestimmung

vorschreibt. Teilweise ist eine ältere Norm

nicht mit der jüngeren Verfassung kompatibel.

Oder es steht für eine Norm das entspre-

chende Ausführungsgesetz noch aus. Meist

hat dies negative Folgen für die Rechtssub-

jekte. Indigene Gemeinschaften, denen die

Verfassung Selbstverwaltung zusichert, müs-

sen sich nach den Bestimmungen des Geset-

zes für Naturschutzgebiete beispielsweise den

Entscheidungen der Parkverwaltung unter-

werfen. In jedem Falle ist die Rechtslage kom-

pliziert und schwer durchschaubar.

Eine Bewertung der Rechtslage im indigenen

Interesse wird zwei Kriterien zu berücksichti-

gen haben: Zum einen sollten die Rechte an

den erneuerbaren natürlichen Ressourcen auf

den indigenen Territorien weit gefasst sein

(Art. 26 der UN-Erklärung sowie Art XVIII der

OAS-Erklärung). Zum anderen sollte ein

selbstbestimmter Umgang mit diesen Res-

sourcen möglich sein (Art. 3 der UN-Erklärung

bzw. Art. XV der OAS-Erklärung abgemildert

als “Recht auf Selbstregierung“), der auch

traditionelle Werte und Praktiken anerkennt

und ihren Einsatz erlaubt. Dazu müssen sinn-

vollerweise Eigentumsrechte, Nutzungsrechte

und Verfügungsgewalt geregelt sein (ROLDÁN

ORTEGA, 2004). Etwas eingehender soll dies

im folgenden für Bolivien, Ecuador, Kolumbien,

Peru und Venezuela betrachtet werden, die

alle zu den Ratifiziererstaaten der ILO-Kon-

vention 169 zählen und deshalb zu hohen

Standards verpflichtet sind.

Bolivien

In Bolivien setzt sich trotz Neoliberalismus in

der Wirtschaft und Dezentralisierung in der

Politik eine Tradition fort, die bis zur Verstaatli-

chungswelle der bolivianischen Revolution von

1952 zurückreichen dürfte und die staatliches

Eigentum bevorzugt: Der Staat sichert sich

nämlich das Recht auf die erneuerbaren natür-

lichen Ressourcen auf dem nationalen Territo-

rium. Selbst auf dem Besitz Dritter, also der

Privateigentümer, bleibt der Staat Eigentümer

des Wassers und der Tierwelt. Aus dem Wald-

gesetz etwa lässt sich nicht einmal ein klarer

Eigentumsanspruch des Besitzers auf die

Früchte seines Waldes ableiten. Es existiert

auch keine Norm, aus der sich explizit ein Ei-

gentumsanspruch der indigenen Völker auf die

erneuerbaren natürlichen Ressourcen in ihren

Gebieten ergibt. Dies gilt auch für Schutzge-

biete und Nationalparks, in denen sich An-

siedlungen indigener Gemeinschaften befin-

den. Obschon beide juristische Figuren, d.h.

staatliches Schutzgebiet und indianische Ge-

meinde, kompatibel sind, steht rechtlich nicht

eindeutig fest, wer Eigentümer des Landes ist

(ROLDÁN ORTEGA, 2004).

Bei Management und Nutzung der erneuerba-

ren natürlichen Ressourcen sind die indigenen

Gemeinschaften dem Staat und der übrigen

Gesellschaft gleichgestellt, d.h. es sind alle

gehalten, verantwortungsvoll mit den Natur-

reichtümern umzugehen, und die Ökosysteme

zu schützen. Der Staat ist verpflichtet, durch

die zuständigen Verwaltungsinstanzen techni-

sche Hilfe zur Verbesserung des indigenen

Lebensstands zu leisten, die u.a. die Nachhal-

tigkeit der Ressourcen sicherstellt. Traditio-

nelle Technologien, Arbeitsweisen und Nut-

zungsformen, die ihre Nachhaltigkeit unter

Beweis gestellt haben, sollen erhalten und

eingesetzt werden, sofern sie nicht gegen nati-

onales Umweltrecht verstoßen. In den aner-

kannten indigenen Gebieten, den “Tierras co-

munitarias de origen“, wird den Gemeinschaf-

ten die freie und exklusive Nutzung der erneu-

erbaren natürlichen Ressourcen gewährt, so-

fern die geltenden Schutz- und Nachhaltig-

keitsbestimmungen beachtet werden. Es ist

dem Staat nicht gestattet, Dritten die Erlaubnis

zur Ausbeute der natürlichen Ressourcen in

diesen Gebieten zu erteilen.

Gesetzlich sind die gemeinschaftlichen “Tier-

ras comunitarias de origen“ mit den Schutzge-

bieten vereinbar. Indigene Ansiedlungen in den

Schutzgebieten sind erlaubt wie auch die Res-

sourcennutzung, die aber durch den Staat

wieder eingeschränkt werden kann, wenn

Probleme entstehen, die einst zur Einrichtung

des Schutzgebietes geführt hatten. Die indige-

nen Gemeinschaften können auf vertraglicher

Grundlage in das Schutzgebietsmanagement

einbezogen werden.

Page 94: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

88

Die Verfassung ist insofern eindeutig, als sie

den indigenen Gemeinschaften eine den Tra-

ditionen gemäße Verwaltung ihre Gebiete ges-

tattet. Da dies auch für erneuerbare natürliche

Ressourcen gilt, darf man annehmen, dass die

Gemeinschaften eine breite Verfügungsgewalt

besitzen. Einfache gesetzliche Normen, wie

das Forstgesetz, tragen aber den Geist der

Verfassung nicht mit (vgl. HOEKEMA & ASSIS,

o.J.:247ff). Sie beschränken die Nutzung der

Waldprodukte, was einer Begrenzung der indi-

genen Verfügungsgewalt gleichkommt. Es gibt

zudem eine ganze Reihe einschlägiger Ver-

ordnungen, in denen zwar von der Pflicht des

Staates die Rede ist, die indigenen Ge-

meinschaften zu begleiten, nicht aber von den

Rechten, die diese Gemeinschaften genießen.

Die Verfassungsrechte wirken nicht mehr bis in

diese Ebene hinein. Es kommen vielmehr die

geltenden Schutzgebietsbestimmungen zum

Tragen, die die ansässigen indigenen Gemein-

schaften der Entscheidungsbefugnis der

Schutzgebietsverwaltung unterordnen.

Kolumbien

In Kolumbien übt der Staat keine Exklusiv-

rechte über die erneuerbaren natürlichen Res-

sourcen auf dem nationalen Territorium aus. Er

ist Eigentümer des Wassers zum öffentlichen

Gebrauch, einschließlich der darin vorhande-

nen Ressourcen. Ihm gehören zudem die Na-

turreichtümer auf den staatseigenen Gebieten

sowie, mit Einschränkungen, die Tierwelt. An-

sonsten sind die Landeigentümer zugleich

auch Eigentümer der natürlichen Ressourcen,

einschließlich der Gewässer, des Waldes so-

wie des Jagdreviers und der Fischgründe.

Dass Kolumbien über keine legalen Normen

zur Anerkennung der Ressourcen zugunsten

der indigene Gemeinschaften verfügt, liegt an

der fest verankerten Institution des Resguar-

dos, das von der Kolonialzeit bis in die Ge-

genwart überdauert hat. Es beinhaltet einen

unveräußerlichen, unpfändbaren und nicht-

überschreibbaren Eigentumstitel an Land zu-

gunsten einer Gemeinschaft, wobei ange-

nommen wird, dass die erneuerbaren natürli-

chen Ressourcen Bestandteil dieses Eigen-

tumstitels sind. Dass die Nicht-Überschreib-

barkeit der indigenen Gebiete in der neuen

kolumbianischen Verfassung von 1991 veran-

kert wurde, brachte all jenen indigenen Völkern

die Anerkennung von Landrechten, die vor-

mals über keine anerkannten Resguardos

verfügt hatten. Dies gilt für indigene Gruppen

in entlegenen Landesteilen z.B. des Amazo-

nasgebietes, wo durch die geringe staatliche

Präsenz keine Abgrenzung indigener Gebiete

erfolgt war. Wie bei den alten Resguardos sind

auch bei den neuen die vollen Eigentums-

rechte über die erneuerbaren natürlichen Res-

sourcen eingeschlossen. Eine entsprechende

Interpretation, die vor allem auch auf den Ver-

pflichtungen Kolumbiens infolge des Beitritts

zur ILO-Konvention 169 fußt, nahmen oberste

Gerichtsinstanzen vor.

Hinsichtlich der Verwaltung und Nutzung der

Ressourcen schlägt erneut die Rechtsfigur des

Resguardos zu Buche, die ein großes Maß an

Selbstverwaltung einschließt, und zwar sowohl

hinsichtlich der Landverteilung als auch der

natürlichen Ressourcen. Seit Inkrafttreten der

Verfassung von 1991 sind neue Anerkennun-

gen indigener Territorien nur noch in Form des

Resguardos erfolgt, dessen Befugnisse aus-

geweitet wurden. Einbezogen sind auch Be-

fugnisse für die Verwaltung und Bewahrung

der natürlichen Ressourcen, die sich mit denen

der kommunalen Selbstverwaltung vergleichen

lassen. Dabei können Verwaltung und Mana-

gement traditionellen Regeln und Praktiken

folgen, soweit diese keine nationalen Natur-

schutzbestimmungen verletzen. Ungeklärt ist

allerdings die Frage, wie Verwaltung und Nut-

zung zu regeln sind, wenn sich Resguardos

mit Schutzgebieten überlagern.

Das Gesetz akzeptiert die Koexistenz beider

Rechtsfiguren, doch gibt es keine Regelungen,

die beiden Zielsetzungen gerecht würden, der

Wahrung indigener Eigentumsrechte und der

Verwaltung von Schutzgebieten. Der Vor-

schlag indigener Organisationen, die Parkver-

waltung in indigene Hände zu legen, wurde

nicht angenommen.

Hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die

natürlichen Ressourcen gibt es auch in Kolum-

bien Verordnungen, die vor der Verfassung

von 1991 entstanden sind und zu ihr im Wider-

spruch stehen. Hierzu, aber auch zu den staat-

Page 95: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

89

lichen Verpflichtungen, die sich aus der Ratifi-

zierung der ILO-Konvention 169 ergeben, stell-

te das oberste Verfassungsgericht fest, dass

das Fehlen gesetzlicher Normen den Staat

nicht von seinen völkerrechtlichen bzw. verfas-

sungsrechtlichen Verpflichtungen entbindet.

Doch ändert dies nichts daran, dass die

Gleichzeitigkeit nicht aufeinander abgestimm-

ter Normen zu Verwirrung und Konflikten zwi-

schen staatlich anerkannten Indigenenvertre-

tern und staatlichen Funktionären Anlass gibt.

Ecuador

Das Staatswesen Ecuadors will die erneuerba-

ren natürlichen Ressourcen und die Kontrolle

über sie in den Händen behalten. Daran lassen

die Gesetze keinen Zweifel. Die Verfassung

hat zwar vorteilhafte Teilaspekte für die indige-

nen Gemeinschaften, doch gesteht sie ihnen

kein Eigentum an den erneuerbaren natürli-

chen Ressourcen zu. Sie gewährt ihnen das

Recht auf Beteiligung an der Nutzung, Ver-

waltung und Erhaltung der Ressourcen ihres

Landes. Das Problem ist aber weitreichender.

Denn das geltende Wald- und Naturschutzge-

setz will die Schutzgebiete, in denen im östli-

chen Landesteil viele indigene Gemeinschaf-

ten leben, als “nationales Erbe“ “unverändert“

erhalten. Sie sollen weder übertragen, noch für

die staatliche Agrarreformbehörde verfügbar

gemacht werden können. Damit sind den indi-

genen Gemeinschaften die Eigentumsrechte

verwehrt, und ihr Zugang zu den genetischen

Ressourcen ist erheblich eingeschränkt. Auf

Verfassungsebene und durch die Ratifizierung

der ILO-Konvention 169 hat Ecuador die Ver-

pflichtung, die indigenen Gemeinschaften in-

nerhalb ihrer Gebiete mit der Befugnis zur

Verwaltung und Nutzung der natürlichen Res-

sourcen auszustatten. Der Staat ist zudem

verpflichtet, in seiner Umweltpolitik alle gesell-

schaftlichen Gruppen zu beteiligen, und auf

der Verwaltungsebene Personen und Gemein-

den mit Befugnissen auszustatten, um im Ge-

fahrenfall öffentlich aktiv zu werden. Dadurch

aber, dass der Verfassungsauftrag durch keine

Gesetze und Verordnungen präzisiert wurde,

fehlt den indigenen Gemeinschaften und ihren

Vertretern jede Möglichkeit, die vorhandenen

Bestimmungen wirksam werden zu lassen.

Bedenklich ist dies besonders im Amazonas-

gebiet, wo Umweltprobleme infolge der natürli-

chen Ressourcenausbeute durch Privatperso-

nen und Unternehmen auf der Tagesordnung

stehen.

Die Inkohärenz der gesetzlichen Regelungen

und das Fehlen einheitlicher Richtlinien zur

Landtitulierung schränken auch die Verfü-

gungsgewalt über die natürlichen Ressourcen

ein, die in einer Vielzahl divergierender Mo-

delle koexistieren. Diese sind nicht nur weit

von den traditionellen Verfügungsrechten ent-

fernt, sondern stellen auch eher Einschrän-

kungen als Befugnisse dar. Die indigenen Ge-

meinschaften können nicht einmal einen Sta-

tus als juristische Person erlangen.

Die Verfassungsrechte wurden in Ecuador

nicht in gesetzliche Normen überführt und Aus-

führungsbestimmungen fehlen. Damit bleiben

die verfassungsrechtlichen Garantien bloße

Absichtserklärungen. Hinzu kommt, dass sich

auch die staatliche Politik nicht geändert hat

und die Kontrolle über Land und Ressourcen

bei den zuständigen Behörden verbleiben.

Einige Bestimmungen sind für die indigenen

Gemeinschaften zwar vorteilhaft, etwa mit

Erlaubnis des Landwirtschaftsministeriums die

Holzbestände zu nutzen, sofern es sich nicht

um staatlich bewirtschaftete Forste handelt,

oder die Straffreiheit beim Fang geschützter

Tierarten oder der Jagd mit verbotenen Fang-

methoden. Sie sind aber nur ein schwacher

Ausgleich für nicht gewährte Rechte.

Peru

Wie in vielen Ländern Lateinamerikas sichert

sich auch in Peru der Staat die Kontrolle über

die natürlichen Ressourcen. Nach den ein-

schlägigen Gesetzen jüngeren Datums können

Waldflächen, die sich im staatlichen Besitz

befinden, praktisch nicht mehr an Privatperso-

nen übertragen werden, wohl aber Dritten

durch Konzessionen zur Nutzung überlassen

werden. Für Waldflächen jedoch, die sich in-

nerhalb der anerkannten Ländereien von indi-

genen Gemeinschaften befinden, können kei-

ne Konzessionen an Nicht-Indianer vergeben

werden. Während frühere gesetzliche Rege-

lungen den indigenen Gemeinden des Anden-

Page 96: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

90

hochlandes und des Amazonastieflandes die

Eigentumsrechte auf ihr Land innerhalb von

Schutzgebieten zusprachen, wurden diese

später durch anders lautende Bestimmungen

wieder aufgehoben.

Peru hat nicht, wie meist üblich, das Recht der

Bürger auf Information und der Teilhabe an der

Politikgestaltung beim Schutz und der nach-

haltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen

in der Verfassung verankert, sondern in einem

speziellen Gesetz geregelt, das auch für die

indigene Bevölkerung und die ihr zuerkannten

Ländereien gilt. Durch die geltende Verfassung

sowie eine Reihe von Sonderregelungen aus

den letzten Jahrzehnten genießen indigene

Hochlandbauern und Amazonasvölker eine

vergleichsweise große Autonomie bei der Re-

gelung ihrer inneren Angelegenheiten, insbe-

sondere was ihre Ländereien, aber auch was

die Nutzung und Verwaltung der natürlichen

Ressourcen betrifft.

In Peru regelt ein eigenes Gesetz die Belange

der indigenen Amazonasvölker. Danach liegen

der Erhalt und Schutz sowie die Verbesserung

und rationale Nutzung der erneuerbaren natür-

lichen Ressourcen im öffentlichen Interesse.

Allerdings hat sich dieses Interesse weder in

klaren Ausführungsbestimmungen noch in

gemeinsamen Managementstrukturen von

indigenen Gemeinschaften und staatlicher

Verwaltung niedergeschlagen. Die Möglich-

keiten der indigenen Gemeinschaften hinsicht-

lich der Verwaltung, des Schutzes und der

Nutzung der natürlichen Ressourcen werden

im Gegenteil eingeschränkt. So hat die Nut-

zung der natürlichen Ressourcen nur in sol-

chen Gebieten zu erfolgen, die das Gesetz

dafür ausweist. Zum anderen können indigene

Völker zwar in Nationalparks leben, nicht aber

Eigentumstitel erwirken.

In Peru gibt es detaillierte Regelungen für viele

Aspekte, die den Umgang indigener Völker mit

ihrer natürlichen Umwelt betreffen. Dabei ist in

allgemeiner Form vom Respekt die Rede, den

die indigenen Kulturen verdienen. Aber es gibt

keine Hinweise darauf, dass auch überlieferte

indigene Praktiken und Einrichtungen die

Grundlagen für einen Umgang mit den natürli-

chen Ressourcen bilden könnten. Ein entspre-

chendes Anrecht ist nur indirekt durch die Ra-

tifizierung der ILO-Konvention 169 seitens

Perus gewährleistet. Deutlich ist auch, dass

viele Bestimmungen auf eine wirtschaftliche

Nutzung abzielen. Peru hat die Markteinbin-

dung der indigenen Gemeinschaften mit grö-

ßerem Nachdruck gefördert als andere Länder,

und zwar auch was die natürlichen Ressour-

cen angeht.

Venezuela

Die venezolanische Verfassung sichert dem

Staat die Kontrolle über das Wasser, was sich

auch in den Bestimmungen zur Fischerei und

Aquakultur niederschlägt. Darüber hinaus ist

die biologische Vielfalt, ganz im Sinne der

gleichnamigen Konvention, der nationalen

Oberhoheit unterstellt. Zum Eigentum an den

erneuerbaren natürlichen Ressourcen in staat-

lich anerkannten indigenen Gebieten trifft die

Verfassung keine Aussage, aber sie erkennt

die indigenen Landrechte sowie, ebenfalls im

Verfassungsrang, die kollektiven geistigen

Eigentumsrechte am indigenen Wissen über

die biologische Vielfalt an. Juristen ziehen

hieraus den Schluss, dass der venezolanische

Staat den indigenen Gemeinschaften die Ei-

gentumsrechte an den erneuerbaren natürli-

chen Ressourcen innerhalb ihrer Gebiete, mit

Ausnahme des Wassers, anerkennt.

Da es vor der Verfassungsreform im Jahre

1999 kein Rechtsmodell mit klaren Richtlinien

für die den indigenen Gemeinschaften übertra-

genen Ländereien gab, lassen sich auch keine

rechtlich sanktionierten indigenen Verwal-

tungs- und Nutzungsformen konstatieren, die

sich von denen privater Landbesitzer unter-

schieden hätten. Da bis heute die indigenen

Ländereien noch nicht im Sinne der Verfas-

sung zugewiesen wurden, hat sich daran bis-

her nichts geändert. Venezuela hat im übrigen

– noch bevor die Verfassungsbestimmungen in

Gesetze gegossen waren – Verordnungen zur

Einrichtung von Biosphärenreservaten erlas-

sen, die den indigenen Gemeinschaften zwar

keine Befugnisse zur Verwaltung und Nutzung

der Ressourcen erteilen, wohl aber Schutz

gewähren für ihre traditionellen Rechte auf

Land, Wald und Wasser, umweltverträgliche

Page 97: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

91

Wirtschaftsaktivitäten sowie ihr soziales, kultu-

relles und sprachliches Erbe.

Die Verfassung sieht neben der Anerkennung

der indigenen Ländereien die Verwaltung und

Nutzung der natürlichen Ressourcen vor; das

entsprechende Gesetz ist in Vorbereitung. Es

enthält auch Bestimmungen zur Vereinbarkeit

von indigenen Ländereien und Schutzgebieten.

Die in solchen Schutzgebieten lebenden indi-

genen Gemeinschaften teilten bisher das

Schicksal indigener Völker in anderen Län-

dern, die keine Verfügungsrechte auf die vor-

handenen natürlichen Ressourcen besaßen. In

Venezuela konnten in Nationalparks früher

Umweltbildungsmaßnahmen, Tourismus oder

Forschung durchgeführt werden, Jagd und

Fang von Tieren oder die Sammlung von

Pflanzenspezies waren hingegen verboten

bzw. nur unter bestimmten Bedingungen mit

Erlaubnis möglich.

3. Indigene Völker und ihre natürlichen Reichtümer im Spiegel der Wirklichkeit

Große Teile der modernen Indigenenbewe-

gung, die sich seit den 1970er Jahren in La-

teinamerika und der Karibik formierte, führen

einen legalistisch orientierten Kampf um Aner-

kennung und Durchsetzung von Rechten.

Trotz Schwierigkeiten und Schwächen haben

sie vieles erreicht. Allerdings sind die rechtli-

chen Rahmenbedingungen nur ein Aspekt

einer komplexen Realität, die oftmals von Um-

ständen beherrscht wird, welche sich gerade

nicht an Gesetze halten. In Lateinamerika gibt

es seit der frühen Kolonialzeit eine Tradition

des Zur-Kenntnis-Nehmens aber Nicht-Befol-

gens von Gesetzen, die bis in die Gegenwart

fortwirkt. So spielten etwa bei der Drogenbe-

kämpfung in der kolumbianischen Putumayo-

Region, wo Kokapflanzungen durch massive

Luftbesprühungen mit dem Unkrautvernich-

tungsmittel Glyphosat zerstört und in der Nähe

lebende indigene Gemeinschaften in Mitlei-

denschaft gezogen wurden, Argumente eines

gesetzlich verankerten Ressourcenschutzes

keine Rolle. Die Wirklichkeit ist zwar durch

Gesetze geregelt, zugleich aber werden vor-

handene Inkohärenzen und Gesetzeslücken

systematisch ausgenutzt oder Normen igno-

riert. Was die erneuerbaren natürlichen Res-

sourcen betrifft, lässt sich hierfür beispielhaft

der illegale Holzeinschlag anführen, der kaum

zu unterbinden ist.

Die Wirklichkeit in den Wäldern

In Lateinamerika, wo sich mit Amazonien das

größte zusammenhängende Regenwaldgebiet

dieser Erde sowie mehrere Zentren biologi-

scher Vielfalt befinden (d.h. über 1.500 ende-

mische Arten, wie z.B. in Bolivien und Mittel-

amerika), schreitet der Verlust der Waldflächen

ungehindert voran. Von 1990 bis zum Jahre

2000 hat Mittelamerika pro Jahr 1,2% seiner

Waldbestände verloren und zählt damit zu den

Spitzenreitern. Für Südamerika werden “nur“

0,4% Waldverlust jährlich konstatiert, die aller-

dings nicht darüber hinweg täuschen, dass die

Entwaldungsrate in Teilen Amazoniens bis zu

4% jährlich beträgt und dass mittlerweile 15%

des Amazonasregenwaldes zerstört sind.

Holzeinschlag

Der Holzeinschlag folgt dem Bedarf auf dem

Markt, der in der Regel außerhalb des Waldes

entsteht. So sind seine Ursachen oft externer

Natur und können nicht nur für die Wälder,

sondern auch für die indigenen Waldbewoh-

ner, ihre Rechte und Lebensweise eine Bedro-

hung darstellen. TRESIERRA (2000:8) spricht in

diesem Zusammenhang von exogenen Fakto-

ren. Neben dem Bergbau (siehe auch FELDT in

diesem Band) ist die Ausbeutung der Holzbe-

stände eine zentrale Ursache für den Wald-

verlust. Sie erfolgt zu einem beachtlichen Teil

illegal. Der WWF geht davon aus, dass in Bra-

silien, Peru und Ecuador der Anteil an illegal

geschlagenem Holz bis zu 80% des geernteten

Holzes beträgt.

Ein anderer Teil des Holzeinschlages gründet

auf der Vergabe staatlicher Konzessionen.

Allen Ressourcenschutzbemühungen zum

Trotz werden dabei beträchtliche Waldflächen

zerstört. Die großen Entwaldungsraten gehen

oft auf einflussreiche Holzfirmen zurück. Bei-

spielsweise hat eine Holzfirma an der an biolo-

gischer Vielfalt reichen kolumbianischen Pazi-

fikküste operiert und im Zeitraum von über 30

Jahren in Teilen der Region 85% der Wälder

Page 98: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

92

zerstört. Für die ansässige indigene und afro-

amerikanische Bevölkerung haben die

Holzausfuhren viele negative Auswirkungen,

so wurde durch Holzeinschlag z.B. das

4000 ha große Gebiet der indigenen Ge-

meinde Chageradó zerstört (RÍOS, 1995:97).

Dass illegaler Holzeinschlag gelegentlich mit

Wissen und Billigung staatlicher Stellen ge-

schieht, dafür steht der Chocó als Beispiel.

Hier mussten sich im Jahre 2002 die Direkto-

ren der Regionalen Entwicklungsbehörde “Co-

dechocó“ wegen Komplizenschaft beim illega-

len Holzeinschlag des Unternehmens “Made-

ras del Darien S.A.“ vor Gericht verantworten.7

Foto: „Tag der natürlichen Ressourcen“ in Ngöbe-Buglé, Panama (S. SPOHN)

In einigen Fällen ist die Rechtmäßigkeit der

behördlichen Holzeinschlagkonzessionen

zweifelhaft, weil sie zu den anerkannten Rech-

ten der ansässigen indigenen Gemeinschaften

im Widerspruch stehen. Zur Durchsetzung der

indigenen Rechte braucht es in der Regel juris-

tischen Beistand. Im Fall der Mayagna-

Gemeinde Awas Tingni an der Atlantikküste

Nicaraguas beschäftigte diese Frage die Inter-

amerikanische Menschenrechtskommission,

die Nicaragua am 30.10.1997 aufforderte, die

Holzkonzession an das Unternehmen

SOLCARSA auszusetzen (ACOSTA, o.J.).

In anderen Fällen tragen auch indigene Ge-

meinschaften für den großflächigen Holzein-

schlag Verantwortung. So wurden im Darien

7 Internetveröffentlichung http://www.procuraduria.gov.co/noticias/2002/dic/30/B_410_%20Diciembre_%2030_2002_CAR_Choco.html

von Panama die vormals homogenen Cativo-

Bestände (Prioria copaifera) stark dezimiert.

Hier traten die indigenen Gemeinschaften

selbst ihre Verfügungsrechte über die Wald-

ressourcen an Holzhändler ab (TRESIERRA,

2000:10).

Realität sind zudem die zum Teil gewalttätigen

Konflikte der indigenen Gemeinschaften mit

Holzfällern, die in Bolivien und Peru auf der

Tagesordnung stehen. Nicht einmal Landes-

grenzen stellen eine Hemmschwelle dar, wie

der Fall der rund 450 Angehörigen der Asha-

ninka auf brasilianischem Staatsgebiet belegt.

Seit 1999 dringen peruanische Holzfäller in ihr

Gebiet vor und sollen nach Angaben der As-

haninka 7.000 des insgesamt 87.000 ha um-

fassenden indigenen Waldgebietes vernichtet

haben.

Verkehrswege

Ob in der Selva Lacandona in Yucatán, an der

Atlantikküste von Honduras oder im Amazo-

nasregenwald: Waldzerstörung geht meist mit

Infrastrukturmaßnahmen einher. Straßen sind

zudem Pforten für die Akkulturation und die

unkontrollierte Markteinbindung von indigenen

Gemeinschaften, z.B. durch Händler. Trotz

vieler Negativfolgen wird den Straßenbaupro-

jekten nicht immer Widerstand entgegenge-

setzt. Die Existenz von Straßen ist noch immer

Bedingung für Entwicklung, mehr noch in Zei-

ten globalisierter Märkte. Auch indigene Ge-

meinschaften können nicht umhin, die kürzlich

eingeführten Cash-Crop-Produkte auf Lastwa-

gen in die nächste Stadt zum Markt zu bringen.

Aber es kommt immer wieder zu Protesten

gegen den Straßenbau. Hier bietet sich wie-

derum der Chocó als Beispiel an, wo zu Be-

ginn der 1990er Jahre große Infrastrukturpro-

jekte zur Diskussion standen. Die nach Pa-

nama fortgeführte Panamericana, d.h. die ganz

Amerika durchziehende Landstraße, sollte mit

einer Hafenanlage, Bahnlinie, Landstraße,

Pipeline, mit Wasserkraftwerken und einem so

genannten Trockenkanal vernetzt werden

(SÁNCHEZ, 1995). Gebiete der Völker der Em-

berá und Noanamá, die gerade in der neuen

Verfassung von 1991 eine Anerkennung erfah-

ren hatten, wären von Teilen der Vorhaben

Page 99: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

93

“Im Rahmen indigener Gemeinschaften vonUmwelt zu sprechen, heißt, die konzeptionelleBedeutung des Landes hervorzuheben. Landist die elementare Grundlage für Subsistenzund Gesundheit, ist der Lebensraum mit Göt-tern,Geistern, Sonne, Wasser und Luft. Allediese Elemente bilden eine eigene kleine Weltoder Kosmovision. Deshalb sind inidgene Völ-ker die besten und zahlreichsten Verteidigerder Umwelt sowie der biologischen Vielfalt undnicht nur der erneuerbaren Ressourcen gewe-sen.“

GABRIEL MUYUY JACANAMEJOY, Abgehöriger desInga-Volkes (Kolumbien) und ehemaliger indi-gener Senator

betroffen worden. Besorgnis erregten auch die

zeitgleich einsetzenden Operationen von pa-

ramilitärischen Verbänden, die damals gerade

aus jenen Gebieten die afrochocoanische und

indigene Bevölkerung zu vertreiben begannen,

in denen einige der Infrastrukturprojekte ent-

stehen sollten. Dann aber wurde die Wirt-

schaftlichkeit der Maßnahmen in Frage ge-

stellt, noch bevor die Planungsphase der

Machbarkeitsprüfung erreicht war. Proteste der

Indigenenorganisationen, die auch das Aus-

land erreichten, haben das Ihre dazu beitra-

gen, dass die Pläne nicht zur Ausführung ka-

men. Schließlich mögen ökologische Argu-

mente den Ausschlag gegeben haben, vor

allem die reiche biologische Vielfalt mit vielen

endemischen Arten.

Naturschutz

Gut für die Wälder, aber schlecht für die an-

sässigen indigenen Völker war die Natur-

schutzdoktrin früherer Jahrzehnte, die keine

menschliche Ressourcennutzung in Schutzge-

bieten duldete. Sie bedeutete nicht nur einen

Angriff auf die Existenzgrundlagen der seit

Generationen im Wald lebenden indigenen

Gemeinschaften, sondern war auch unver-

ständlich aus Sicht einer indigenen Kosmovi-

sion, die auf Ausgleich und eine harmonische

Beziehung des Menschen mit seiner Umwelt

abzielte. So wundert es nicht, dass eine der

ersten großen internationalen Initiativen des

1984 gegründeten Dachverbandes der indige-

nen Organisationen des Amazonasbeckens

COICA das “Erste Gipfeltreffen zwischen indi-

genen Völkern und Naturschützern“ im Jahre

1990 in der peruanischen Amazonasmetropole

Iquitos war. Bei diesem hat die COICA die

anwesenden Organisationen, in der Mehrheit

nordamerikanischer Herkunft, auf eine indige-

nenverträglichere Haltung in Naturschutzfra-

gen verpflichtet (COICA, 2001:196). Aus die-

sem Gipfeltreffen ist ein Bündnis entstanden,

das bis heute andauert. Im gleichen Zeitraum

begann sich auch die Haltung anderer Nichtre-

gierungsorganisationen und der Entwicklungs-

organisationen zu ändern. Zurückgreifen konn-

te man auf das Konzept des “Biosphären-

reservats“, das die UNESCO 1971 aus der

Taufe gehoben hatte und das den Naturschutz

mit einer nachhaltigen Nutzung der Natur

durch den Menschen vereinte, und den Öko-

systemansatz der Biodiversitätskonvention, der

den Menschen “mitdenkt“. Man darf behaup-

ten, dass sich mit Ausnahme bestimmter be-

sonders sensibler Gebiete das Konzept des

Schutzes bei gleichzeitiger nachhaltiger Nut-

zung durchgesetzt hat. Hat sich damit in ge-

wisser Weise nicht eine indigene Grundphilo-

sophie behauptet?

Kinder, Dörfer und Konsum

Nach den exogenen seien noch kurz die endo-

genen Faktoren der Waldzerstörung ange-

sprochen. Dabei kann das indigene Bevölke-

rungswachstum nicht unerwähnt bleiben, das

im Zusammenspiel mit den exogenen Faktoren

den Druck auf die verfügbaren natürlichen

Ressourcen erhöht. Es liegt bei vielen indige-

nen Völkern höher als bei anderen Gruppen

der Gesellschaft, wenngleich auch die Kinder-

sterblichkeit ungleich größer ist und kleine

Völker immer wieder akut vom Aussterben

bedroht sind. Im peruanischen Amazonasge-

biet beträgt etwa die durchschnittliche Gebur-

tenzahl 7,9 und damit mehr als das Doppelte

über dem Landesdurchschnitt von 3,4 Gebur-

ten (TRESIERRA, 2000:12). Die Bevölkerungs-

dichte vor Ort wird allerdings durch Migration

und Abwanderung zumeist in die Städte her-

abgesetzt (siehe auch SPEISER in diesem

Band). Doch schon die von den christlichen

Missionaren verschiedener Glaubensrichtun-

Page 100: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

94

gen betriebene Zusammenführung und An-

siedlung indigener Gemeinschaften in Dörfern,

die auch dem staatlichen Interesse nach bes-

serer Kontrolle und Verwaltung entgegenkam,

zeigt negative Wirkung. Sie begünstigt nicht

nur die Übernutzung bei Jagdwild und Fisch-

beständen, sondern übt zusätzlichen Druck auf

das zur Verfügung stehende Land aus. Die

Landwirtschaft stößt an die Grenzen der gerin-

gen Fruchtbarkeit der Tropenwaldböden, die

Abstände zwischen den Feldern werden gerin-

ger, die herkömmlichen Methoden des diversi-

fizierten Anbaus und des Sukzessionsmana-

gements werden nicht länger befolgt. Der

Brandrodungsfeldbau ist damit nicht länger

ökologisch tragfähig. Unangepasste landwirt-

schaftliche Anbaumethoden kommen hinzu.

Eine Hinwendung zur Geldwirtschaft und die

Anbindung an den Markt sind damit meist auch

schon vollzogen. Gleichzeitig kommt es zu

einem Wertewandel. Westliche Konsummuster

halten Einzug und wirtschaftliche Alternativen

stehen nicht zur Verfügung.

Bioprospektion, Biopiraterie

Die damit einhergehende Erosion der Biodi-

versität aufzuhalten, ist Ziel des Übereinkom-

mens über die biologische Vielfalt. Wie bereits

dargelegt sollen traditionelle Kenntnisse und

Praktiken indigener Gemeinschaften bewahrt,

gefördert und eingesetzt werden, sofern sie

dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der

biologischen Vielfalt dienlich sind. Sollten indi-

gene Gemeinschaften ihr Wissen mit Dritten

teilen, die daraus kommerziell verwertbare

Ergebnisse erzielen, haben sie Anspruch auf

faire Gewinnbeteiligung. Die Biodiversitätskon-

vention hoffte, dass eine durch indigenes Wis-

sen bereicherte Bioprospektion für alle Betei-

ligten vorteilhaft wäre: für die biologische Viel-

falt, die, in Wert gesetzt und nachhaltig ge-

nutzt, besser geschützt sei; für die indigenen

Völker, deren Wissen eine Aufwertung und

finanzielle Anerkennung erführe, und für den

medizinischen und pharmazeutischen Fort-

schritt, der, wie schon in der Vergangenheit,

neue medizinische Präparate aus den Wirk-

stoffen des Tropenwaldes gewinne. Allerdings

haben sich die Hoffnungen bisher nicht erfüllt.

Es hat in den 1990er Jahren einige Vereinba-

rungen zur Bioprospektion mit indigenen Ge-

meinschaften gegeben, u.a. in Surinam, Peru

und Ecuador. In den meisten Fällen handelte

es sich vermutlich um bezahlte Aufträge zur

Sammlung von Pflanzenmaterial. Bioprospek-

tion wird gerade von den politischen Organisa-

tionen der Indigenen oft mit Biopiraterie gleich-

gesetzt, d.h. der unlauteren und unrechtmäßi-

gen Aneignung biologischer Ressourcen und

ethnobotanischen Wissens. Für den Dachver-

band der Indigenenorganisationen des Ama-

zonasbeckens COICA steht hierfür exempla-

risch das im Juni 1986 in den USA erteilte

Patent auf die Pflanze Ayahuasca oder Yagé

(Banisteriopsis caapi). Viele indigene Völker

Amazoniens gewinnen hieraus einen berau-

schenden Sud, der den Schamanen die Kon-

taktaufnahme mit Geistern ermöglicht und

ihnen die Ursachen von Krankheiten sowie die

Mittel zu ihrer Behandlung erhellt (REINHARDT

ET AL., 2001:23ff; ROSSBACH DE OLMOS,

2001:49). Der Inhaber der nordamerikanischen

“International Plant Medicine Corporation“,

Loren Miller hat die Pflanze von einem Se-

coya-Schamanen im ecuadorianischen Ama-

zonasgebiet erhalten und ein Patent auf die

Pflanze erwirkt. Heftige Proteste der COICA,

die die Patentierung der vielleicht wichtigsten

amazonischen Ritualpflanze als Sakrileg

brandmarkte, führten zu Diskussionen auf in-

ternationaler Ebene. Der Versuch, beim US-

amerikanischen Patentamt die Aufhebung des

Patents zu erwirken, scheiterte im April 2001.

Ende 2002 ist das Patent zwar ausgelaufen, es

schürte dennoch die Angst, dass eine Jahr-

hunderte lange Tradition der Ausbeutung na-

türlicher Ressourcen indigener Gemeinschaf-

ten fortgesetzt werden könnte. Aus ähnlichen

Gründen brachte im November 2001 der “Rat

der traditionellen indigenen Heiler und He-

bammen von Chiapas (COMPITCH)“ ein gro-

ßes Forschungsprojekt über den medizini-

schen Wert von Heilpflanzen bei den Hoch-

land-Maya des Staates Chiapas zu Fall.

Page 101: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

95

Foto: Interview auf einem Workshop zu traditionel-lem Wissen in Peru (S. REINHARDT)

Die Wirklichkeit auf den Feldern

Auch in die Wirklichkeit indigener Bauernge-

sellschaften dringen verwandte Probleme vor.

Biopiraterie ist hier gleichfalls ein Thema. So

hat in Bolivien der “Nationale Bolivianische

Zusammenschluss der Quinoa-Produzenten“

ANAPQUI die Colorado State University aus

den USA gezwungen, das Patent Nr.

5.304.718 auf “Apelawa“-Quinoa aufzugeben.

Quinoa (Chenopodium quinoa) ist eine Getrei-

deart andinen Ursprungs und zeichnet sich

durch ein besonders ausgewogenes Verhältnis

an Aminosäuren aus.

Andere Probleme treten in Gestalt der Gen-

technologie in Erscheinung, welche die großen

Ernährungsfragen der Menschheit zu lösen

verheißt und an die sogenannte Grüne Revo-

lution der 1960iger Jahre anknüpft. Gegens-

tand gentechnischer Manipulation sind die

bekannteren Ernährungspflanzen neuweltli-

chen Ursprungs. Zu ihnen zählt die Kartoffel,

die aufgrund bestimmter Eigenschaften bis

heute ein bevorzugtes Objekt der gentechni-

schen Veränderung ist. Federführend ist das

Gentechnik-Unternehmen Monsanto, das meh-

rere Patente auf gentechnisch veränderte Kar-

toffelsorten hält. In Mexiko, der Wiege des

Maises und dem Ort seiner größten geneti-

schen Vielfalt, entdeckte man 2001, dass alte

einheimische Maissorten genetisch kontami-

niert waren, vermutlich durch Importe von

transgenem Mais aus den USA. In Mexiko

selbst ist der Anbau von gentechnisch verän-

dertem Mais seit Jahren verboten.

Alte erprobte und angepasste Landsorten lau-

fen aufgrund der Gentechnologie Gefahr verlo-

ren zugehen, und mit ihnen ihre genetische

Vielfalt. Es ist in der Tat nach Schätzungen der

FAO damit zu rechnen, dass in wenigen Jahr-

zehnten bis zu 75% nutzpflanzengenetische

Diversität für die Menschheit verloren sein

wird. Zwar lagert heute ein Großteil der ge-

nutzten und wilden Sorten von Ernährungs-

pflanzen in Genbanken (ex situ) ein, doch ha-

ben sich die im Freiland (in situ) von Bauern

erprobten Anbaukenntnisse und -praktiken als

unverzichtbarer Beitrag zur Bewahrung der

nutzpflanzengenetischen Vielfalt erwiesen.

Auch deshalb wendet man sich heute wieder

verstärkt dem Wissen und den Praktiken der

Bauern und Bäuerinnen in den Ursprungsge-

bieten dieser Kulturpflanzen zu.

Wie bereits in Kapitel 1 “Der Boden“ erläutert,

stellt in einigen Gebieten die Bodenerosion ein

ernsthaftes Problem auf den Feldern dar.

Selbst indigene Bauern aus Bolivien oder Pe-

ru, wo vor einigen Jahrzehnten Bodenreformen

erfolgten und Großgrundbesitz auf indigene

Pächter umverteilt wurde, sind davon betrof-

fen. Zudem hat das Bevölkerungswachstum

die Parzellen für die Nachkommen schrumpfen

lassen. Das vormalige Latifundium wurde in

wenigen Generationen vom Minifundium abge-

löst und trug neben der Bodenerosion auch zur

Abwanderung in die Städte bei. In Bolivien

gründeten die Bauern ihre Gegenstrategien auf

andine gemeinschaftliche Traditionen und

schlossen sich in Gemeinden zusammen. Sie

sind damit flexibler in der Zuteilung der Res-

source “Boden“, können andere Ressourcen-

probleme, wie z.B. Vernichtung ihres Saatguts

infolge von Dürre oder die Organisation der

Bewässerung der Parzellen besser organisie-

ren. Auch der auf vorkoloniale Zeiten zurück-

gehende terrassierte Anbau bietet Schutz vor

Page 102: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

96

Bodenerosion und, in gewissem Maße, vor

Bergrutschen, doch ist seine Wiedereinführung

bzw. Instandsetzung aufwendig und zeitinten-

siv.

4. Indigene Strategien

Auf lokaler und regionaler Ebene haben indi-

gene Gemeinschaften eine Vielzahl von Stra-

tegien entwickelt, um dem Problem der Zerstö-

rung der erneuerbaren natürlichen Ressourcen

zu begegnen. Einige dieser Strategien fanden

bereits Erwähnung, wie z.B. der Widerstand

gegen Infrastrukturmaßnahmen als Ursache

für Waldzerstörung, die Proteste gegen Biopi-

raterie oder die Wiederbelebung andiner Tra-

ditionen. Übergreifend und unabhängig von

den Widrigkeiten der Rahmenbedingungen des

jeweiligen Landes haben viele indigene Ge-

meinschaften dafür optiert, sich für die Aner-

kennung ihrer Landrechte einzusetzen, und

damit Ansprüche auf die überirdischen Res-

sourcen geltend zu machen. Wenn Staaten

ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Legalisie-

rung indigener Gebiete nicht nachkommen

konnten oder wollten, haben indigene Organi-

sationen Mittel und Wege gesucht, Selbstde-

markierungen vorzunehmen, um die Anerken-

nung der Gebiete zu erzwingen. Mit Unterstüt-

zung von NRO oder anderen Partnern gelang

es ihnen, ihr Land selbst zu vermessen. Sie

schufen so die Voraussetzung für die Ausstel-

lung von Landtiteln, die die zuständigen Be-

hörden nicht mehr aufgrund politischer Wider-

stände oder finanzieller Engpässe verweigern

konnten. Bei der Demarkierung des Gebietes

der Waiãpí im brasilianischen Bundesstaat

Amapá war erstmals die deutsche Entwick-

lungszusammenarbeit im Vorlauf des Pilotpro-

gramms zur Erhaltung der tropischen Regen-

wälder (PPG7) an der Vermessung von India-

nergebieten beteiligt und verfolgte in Ab-

stimmung mit der staatlichen Behörde FUNAI

den partizipativen Ansatz der Selbstdemarkie-

rung. Daraus folgten in Zusammenarbeit mit

der staatlichen Indianerbehörde FUNAI weitere

partizipative Landregulierungen, die nicht nur

die Vermessungen sondern den gesamten

Prozess, von der Identifizierung der Gebiete

bis zur Ratifizierung durch den Staatspräsi-

denten umfassen. So wurden bisher für rund

65.000 Indianer rund 34 Mio. ha Fläche in den

neun Amazonas-Staaten Brasiliens gesichert.

Seit 1996 unterstützen GTZ und KfW im Auf-

trag des BMZ das Demarkierungsprojekt

PPTAL.8

Diese Strategie findet sich in vielen politischen

Forderungen wieder. Sie hat eine lange Vor-

geschichte und begann mit der Bekräftigung

des engen Zusammenhangs von natürlichen

Ressourcen und Landrechten in der ILO-Kon-

vention 169 und der UN-Erklärung über die

Rechte indigener Völker. Sie setzte sich darin

fort, dass international agierende Indigenenor-

ganisationen (z.B. COICA, aber auch die “In-

ternationale Allianz der indigenen und in

Stämmen lebenden Völker der Regenwälder“)

namhafte Umweltorganisationen, wie den

WWF und IUCN, auf diese Linie einschworen.

So verabschiedete der WWF 1993 sein “Sta-

tement of Principles on Indigenous Peoples

and Conservation“, in dem er die indigenen

Rechte auf das Land, die natürlichen Ressour-

cen und die Kontrolle über diese anerkennt

und sich in seinen Projekten zur Berücksichti-

gung dieser Prinzipien verpflichtet (vgl. COICA,

2001:50ff). IUCN hat auf ihrem 1. Weltnatur-

schutzkongress 1996 in Montreal in ihrer Ent-

schließung 1.53 “Indigenous Peoples and Pro-

tected Areas“ Ähnliches beschlossen (vgl.

COICA, 2001:52ff). Seither sind Indigenen-

vertreter regelmäßige Teilnehmer an den

IUCN-Kongressen, zuletzt 2003 auf dem Welt-

park-Kongress in Durban (Südafrika), wo die

indigenen Ansprüche auf Land und die natürli-

chen Ressourcen ein weiteres Mal im Rahmen

der WPC-Empfehlung 5.24 zu “Indigenen Völ-

kern und Schutzgebieten“ bekräftigt wurden.9

Die politischen Interessenvertretungen der

indigenen Völker werden stets die Eigentums-

und Verfügungsrechte über die erneuerbaren

natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt ihrer

Strategie rücken. Dokumente der OAS bestäti-

gen, dass das Recht auf die natürlichen Res-

sourcen einer der schwierigsten Fragen bei der

8 PPTAL ist das brasilianische Kürzel für das Projekt „Demarkierung von Indianerschutzgebieten in der Amazônia Legal“ und ist Teil des PPG7. 9 vgl. www.iucn.org/themes/wcpa/wpc2003/pdfs/outputs/recommendations/approved/english/pdf/r24.pdf9

Page 103: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

97

Anerkennung und Anwendung indigener Rech-

te ist und dass das “right to land and the re-

cognition of indigenous habitat (must, d.V.)

include the indigenous right to all surface re-

sources necessary for their survival and for a

sustainable development“ (ORGANISATION OF

AMERICAN STATES, 2003:9).

Noch einen Schritt weiter geht die Millenni-

umskonferenz der indigenen Völker, die im Mai

2001 in Panama stattfand. Sie steht nicht mit

der UN-Millenniumskonferenz vom September

2000 in Zusammenhang, sondern stellt eine

Fortschrittsanalyse der bis 2004 dauernden

“UN-Dekade Indigener Völker“ dar. Dazu hat-

ten sich neben indigenen Teilnehmer/innen

aus Lateinamerika und der Karibik auch Ver-

treter/innen aus allen Erdteilen in Panama

eingefunden. In ihrer gemeinsamen Erklärung

heißt es hinsichtlich der erneuerbaren Res-

sourcen:

“Reiterate further that it is time that States rec-

ognize the unique spiritual relationship be-

tween Indigenous Peoples and our land and

territories, including submerged lands, waters

and natural resources, and that the right to

these resources is inseparably linked to our

right to self-determination“ (FINAL REPORT,

2001:48).

Was hier zu lesen steht, ist, dass die Rechte

an den natürlichen Ressourcen untrennbar mit

dem Recht auf Selbstbestimmung verbunden

sind. Diese Feststellung geht weit über die

Gesetzeslage selbst fortschrittlicher Staaten in

Lateinamerika hinaus, doch sie gibt eine De-

batte wieder, die in der “Arbeitsgruppe der

Vereinten Nationen über indigene Bevölke-

rungsgruppen“ zur “Ständigen Souveränität

über die natürlichen Ressourcen“ geführt wird.

Aus der Tatsache, dass die ständige Souverä-

nität über die natürlichen Ressourcen nach

Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem zent-

ralen Prinzip der Entkolonisierung und einem

fundamentalen Aspekt der Selbstbestimmung

wurde, leitet die anerkannte UN-Berichterstat-

terin ERICA-IRENE A. DAES (COMMISSION ON

HUMAN RIGHTS, 2002) ab, dass man auch indi-

genen Völkern die “ständige Souveränität über

die natürlichen Ressourcen“ zuerkennen müs-

se, da auch sie wirtschaftlich, politisch und

geschichtlich Kolonisierte seien. Die Frage der

(erneuerbaren) natürlichen Ressourcen wird

dadurch mit der Frage der (nachholenden)

Entkolonisierung indigener Völker verknüpft,

auch wenn dies zu einer Zeit geschieht, die

schon als “postkolonial“ charakterisiert wird.

Dass man die erneuerbaren natürlichen Res-

sourcen in den Kontext der (völker-)rechtlichen

Anerkennung indigener Rechte stellen und

nicht nur als technische Frage behandeln soll-

te, dafür gibt es neben anderen noch einen

gewichtigen Grund: Die indigenen Völker hät-

ten Anspruch auf die Ressourcen in ihren Ge-

bieten, selbst wenn sie einmal nicht (mehr) der

Vorstellung vom “Edlen Wilden“ als dem

Schützer und Bewahrer der Umwelt entspre-

chen (BENDA-BECKMANN, 1997).

5. Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

Die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern

stellt für die Entwicklungspolitik eine beson-

dere Herausforderung dar. Dass die deutsche

Entwicklungszusammenarbeit die völkerrecht-

lichen Prozesse im Blick hat, belegt ihr von

1996 stammendes “Konzept zur Entwicklungs-

zusammenarbeit mit indianischen Bevölke-

rungsgruppen in Lateinamerika“ (BMZ, 1996).

Dies wurde ihr jüngst sogar noch einmal durch

eine Nichtregierungsorganisation bestätigt

(GRIFFITHS, 2003), die in einer Vergleichsstudie

von 27 Geber- und Entwicklungsorganisatio-

nen nur drei identifizierte, darunter das BMZ,

die in ihren Leitlinien die Frage der indigenen

Rechte aufgenommen hatten. Dass sich diese

Grundlage durch eine Ratifizierung der ILO-

Konvention 169 seitens der Bundesregierung

spürbar verbessern würde, sei noch angefügt.

Allerdings haben fast alle nationalen und mul-

tilateralen Institutionen der Entwicklungszu-

sammenarbeit, die die Studie untersucht, die

Frage des Eigentums an Land und den Zu-

gang zu sowie die Nutzung von natürlichen

Ressourcen in irgendeiner Weise in ihre Poli-

tikstandards und Bedingungen integriert

(GRIFFITHS, 2003:7).

Page 104: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker

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Page 106: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

100

Bodenschätze auf indigenem Land

HEIDI FELDT

Obwohl die Auseinandersetzung um nicht-

erneuerbare Ressourcen1 wie Erdöl, Erdgas

oder Mineralien und deren Nutzung kein neues

Thema in der lateinamerikanischen Geschichte

ist, so hat es doch in den letzten 20 Jahren an

Brisanz gewonnen. Dies liegt vor allem an zwei

Faktoren:

Auf der Suche nach neuen Lagerstätten

dringen Unternehmen und Staat immer

weiter in die letzten Regenwaldregionen

Lateinamerikas und auf indigene Territo-

rien vor, und drohen diese zu zerstören.

Erdöl und Erdgas haben sich zu wichtigen

Faktoren für die wirtschaftliche Entwick-

lung mehrerer lateinamerikanischer Staa-

ten entwickelt. Neben Venezuela beruhen

auch die Ökonomien von Mexiko und Ecu-

ador weitgehend auf der Erdölproduktion.

In Bolivien und Peru wird Erdgas in den

nächsten Jahren eine immer wichtigere

Rolle spielen.

Welche Konsequenzen hat der Abbau von

Bodenschätzen für indigene Völker? Wie ver-

laufen die Konfliktlinien zwischen den unter-

schiedlichen Interessensgruppen? Wie ges-

talten sich die Konflikte über die Nutzung der

Rohstoffe? Wie sind die rechtlichen Grundla-

gen und deren Umsetzung? Welche Lösungen

werden diskutiert? Gibt es überhaupt gute

Verhandlungsergebnisse? Und welche An-

satzmöglichkeiten gibt es in diesem Kontext für

die Entwicklungszusammenarbeit?

Diesen Fragen soll im folgenden Beitrag nach-

gegangen werden, wobei die Großprojekte im

Bergbau- und Erdölsektor im Vordergrund

1 Im folgenden Text werden die Begriffe nicht-erneuerbare natürliche Ressourcen, Bodenschätze und nicht-erneuerbare Rohstoffe synonym benutzt. Sie umfassen Erdöl, Erdgas, mineralische Rohstoffe wie Erze, Gold, Silber etc. Die Bergbau-, Erdöl- und Erdgasindustrie wird auch unter dem Begriff der “extraktiven Industrie“ zusammengefasst.

stehen. Der Kleinbergbau, der oft von einzel-

nen Personen oder Kleinbetrieben durchge-

führt wird, weist andere Charakteristika und

Probleme auf, die hier nicht weiter behandelt

werden können.

1. Nicht-erneuerbare natürliche Ressour-cen auf Territorien indigener Völker

Viele der Erdöl-, Erdgas- und mineralischen

Lagerstätten, die in den letzten zwei Jahr-

zehnten in Südamerika gefunden wurden,

befinden sich auf indigenen Territorien. Auf

den Websites www.gtz.de/indigenas/deutsch/

service/reader.htm oder www.learn-line.de/

angebote/chatderwelten können interaktive

Karten eingesehen werden, die diese Entwick-

lung für die Erdöl- und Erdgasförderung doku-

mentieren.

Anhand dieser Karten lässt sich deutlich die

Überlagerung von Erdöl-, Erdgas- und Berg-

baukonzessionen mit indigenen Territorien

ablesen. Allerdings ist zu beachten, dass ein

Konzessionsgebiet größere Flächen umfasst

als für den Abbau und Förderung effektiv ge-

nutzt werden.

Die Auswirkungen von Bergbau und Erdöl/

Erdgas auf indigene Völker sind tief greifend.

Vor allem aus dem Amazonastiefland sind

schwerwiegende Einschnitte in das Leben der

indigenen Völker beschrieben (KIMERLING,

1993; MÜLLER-PLANTENBERG, 2003; ONIC,

1999; FOREST PEOPLES PROGRAMMe, 2003):

Durch unsachgemäße Entsorgung von

Abwässern werden die Flüsse ver-

schmutzt, was zur Verseuchung des

Trinkwassers der Bevölkerung und zum

Fischsterben führt, aber auch Ursache vie-

ler Erkrankungen ist. 2

2 Das Centro de Derechos Económicos y Sociales (Ecuador) hat 1994 zusammen mit der Fakultät für Public Health (Harvard) die Auswirkungen der Erdölförderung auf die Gesundheit indigener

Page 107: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

101

Durch Infrastrukturmaßnahmen wie Stra-

ßenbau, Einrichtung von Camps für die

Arbeiter, Pipelinebau etc. wird das Öko-

system ge- oder zerstört, Tiere wandern

z.B. in ungestörte Bereiche des Waldes

ab. Falls die Bewohner der Region von der

Jagd oder dem Fischfang leben, verändern

sich ihre Ernährungsgrundlagen. Entlang

der neugebauten Straßen ziehen neue

Siedler in die Region.

In Folge von Bergbau- und Erdölvorhaben

kommt es zur Konfrontation von traditio-

nellen Wirtschaftsweisen mit der “moder-

nen“ Welt. Dabei werden meist existie-

rende soziale Beziehungen in den Ge-

meinschaften gestört.

Einige dieser negativen Auswirkungen sind bei

Bergbau- und Erdölvorhaben nicht zu vermei-

den. So zerstört Bergbau fast immer die Ober-

fläche im Lagerstättenbereich. Dies ist offen-

sichtlich beim Tagebau, aber auch wenn die

Mineralien unter Tage abgebaut werden, wer-

den Flächen zur Unterbringung der Arbeiter,

für die Infrastruktur und den Abraum benötigt.

Wie Bergbau eine ganze Landschaft zerstören

kann, zeigt sich in der Region Carajas in Brasi-

lien. Dort wird das größte Eisenerzlager der

Welt (18 Mrd. Tonnen) seit 1984 im Tagebau

abgebaut. Neben Eisenerz gibt es in der Re-

gion große Vorkommen an Mangan, Kupfer,

Nickel, Zinn, Gold und Bauxit. In der Nähe hat

sich die Aluminiumindustrie angesiedelt, die

ihren Strom u.a. aus dem Wasserkraftwerk am

Rio Tocantis bezieht. Für die indigenen Völker

der Region hat nicht nur der Bergbau zu Ver-

treibungen aus ihren Gebieten geführt sondern

auch die dazugehörige Infrastruktur, vor allem

der Bau der großen Staudämme für die Stro-

merzeugung der Aluminiumindustrie. Zur Be-

urteilung der Schäden durch die extraktive In-

dustrie sind daher nicht nur die unmittelbaren

Förderanlagen zu betrachten, sondern auch

die gesamte Infrastruktur, die für Bergbau und

Erdöl-/Erdgasförderung eingesetzt wird.

In vielen Fällen kann das Ausmaß der Schä-

den und Zerstörungen durch den Einsatz der

ölförderung auf die Gesundheit indigener Gemein-schaften im ecuadorianischen Tiefland untersucht.

“best-möglichen Technologie“ verringert wer-

den. Dies gilt auch für die Verschmutzung der

Gewässer und die Zerstörung durch Infra-

strukturmaßnahmen. Natürlich verteuert der

Einsatz dieser Technologien die Nutzung der

nicht-erneuerbaren Ressourcen erheblich.

Zwar gibt es in allen Ländern Umweltgesetze

und Vorgaben zur Verringerung der Schäden,

der Staat kontrolliert jedoch die Einhaltung

dieser Auflagen nur partiell. Sanktionen gegen

Unternehmen, die die Umweltgesetze nicht

einhalten, werden nicht verhängt. Viele Firmen

setzen daher die billigere Technologie ein.

2. Wirtschaftliche Bedeutung von Erdöl, Erdgas und Bergbau

Die Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgaspro-

duktion haben mittlerweile eine große Bedeu-

tung für die nationalen Ökonomien in mehreren

Ländern Lateinamerikas. Die Produktion von

Eisenerzen, Silber, Gold etc. hat demgegen-

über relativ abgenommen.3 Zwar ist die Erzför-

derung in Bolivien nach wie vor ein wesentli-

cher Bestandteil der Wirtschaft, doch gewinnt

das Erdgas zunehmend an Bedeutung. In Ve-

nezuela kommt die Hälfte der Staatseinnah-

men aus der Erdölproduktion. Erdöl macht

75% des Exports dieses Landes aus, in Ecua-

dor sind es 44%. Der Erdölsektor in Mexiko

erwirtschaftet ca. 1/3 der Staatseinnahmen. In

den anderen Ländern ist der Erdöl- und Erd-

gasbereich weniger bedeutend. In Bolivien und

Peru wird der Erdgassektor allerdings zur Zeit

stark ausgebaut. In Peru haben sich die öko-

nomischen Erwartungen, die sich an das Erdöl

knüpften, nicht erfüllt. Betrug der Exportanteil

Anfang der 1980er Jahre noch 20%, so ist

Peru heute ein Nettoimporteur von Erdöl. Die

aktuelle Produktion und die gesicherten Re-

serven für Erdöl und Erdgas sind in der folgen-

den Tabelle wiedergegeben.

3 Außer in Peru: hier machten die metallischen Bergbauprodukte 2002 44,9% des Exportvolumens aus.

Page 108: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

102

Tabelle 1: Erdöl- und Erdgasproduktion und Reserven in Lateinamerika

Land Erdölproduktion in

10 000 Barrel pro

Tag

Sichere Erdölreser-

ven in 10 Mio. Bar-

rel

Erdgasproduktion

in 10 Mio. m3 pro

Jahr

Erdgasreserven in

10 Mrd. m3

Bolivien 37.4 126 6.261.0 149.5

Brasilien 968.5 7.400 9.769.0 227.6

Ecuador 390.5 4.460 1.520.0 22.0

Kolumbien 616.5 1.750 7.869.0 240.1

Mexico 3.600.0 12.600 6.080.0 485.0

Peru 115.6 323 1.109.0 197.1

Venezuela 3.120.0 77.0714 44.099.0 4.120.8

Quelle: OLADE 1999, EIA 2003, Alexander’s Gas and Oil Connections, 2003

Über die Verteilung der Erdöleinnahmen in

den einzelnen Ländern gibt die folgende Ta-

belle Aufschluss. Wie aus der Tabelle ersicht-

lich, dezentralisieren Kolumbien und Peru ei-

nen größeren Teil ihrer Einnahmen aus dem

Erdölgeschäft an die Gebietskörperschaften,

in denen nach Erdöl gebohrt wird.

In Kolumbien gehören auch die eigenständigen

indigenen Verwaltungsstrukturen (resguardos)

dazu, allerdings ist nach Aussage der OPIAC

bis 2002 noch kein Geld unmittelbar an die in-

digenen regionalen Autoritäten geflossen5.

Tabelle 2: Verteilung der Erdöleinnahmen (prozentual)

Bolivien Kolumbien Ecuador Peru Durchschnitt

Zentralregierung 53,5 32,1 62,14 49,24 49,25

Provinzen 21,2 27,3 1,4 25,9 18,9

Kommunen 1,25 15,4 2,4 18,8 9,45

Fonds 23,1 22,1 3,3 0 12,13

Sozialfonds 0,2 2,55 0 1,06 0,95

Andere 0,8 0,6 30,9 5,1 9,35

Quelle: ESMAP 2002

4 Dazu kommen sehr schweres Erdöl und Bitumen 5 Interview mit OPIAC, 2002

Page 109: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

103

Trotz dieses relativen Reichtums an Rohstof-

fen in den genannten Ländern lebt die große

Mehrheit der Menschen und vor allem der

indigenen Völker in Armut. Zum Teil ist dies

auf den Verfall der Rohstoffpreise auf dem

Weltmarkt zurückzuführen. So ist z.B. der

Preis für Kupfer zwischen 1970 und 1980 um

64% gefallen. Erst seit Ende 2001 beginnen

die Rohstoffpreise wieder zusteigen6. Der Ver-

fall des Goldpreises hat sogar dazu geführt,

dass Placer Dome, ein kanadisches Bergbau-

unternehmen, seine Arbeiten auf dem größten

Goldvorkommen des Kontinents, Las Cristinas

in Venezuela, vorübergehend aussetzte. Die

instabilen Rohstoffpreise lassen in den Pro-

duktionsländern nur ungefähre Berechnungen

für die zu erwartenden Einnahmen des Staats-

haushaltes zu. Dies ist allerdings nur ein Teil

der Erklärung. In Ländern mit großen Vor-

kommen an Erdöl-, Erdgas- oder anderen Bo-

denschätzen wie in Venezuela oder in Ecuador

lässt sich das sogenannte Paradox of Plenty

beobachten.

Das “Paradox of Plenty”

Das “Paradox of Plenty“7, der relative Rohstoff-

reichtum eines Landes bei gleichzeitig geringer

wirtschaftlicher Entwicklung, hat in den letzten

Jahren an Raum in der (entwicklungs-)politi-

schen Debatte gewonnen. Im Mittelpunkt steht

die Frage, inwieweit der Bergbau sowie die

Entwicklung und Förderung von Erdöl- und

Erdgasvorkommen zur nachhaltigen Entwick-

lung und zur Armutsbekämpfung eines Landes

beitragen. Untersuchungen, die im Rahmen

des Mining, Minerals and Sustainable Deve-

lopment Projektes des World Council for

Sustainable Development (2002) und des

Extractive Industry Review der Weltbank

durchgeführt wurden, kommen zu unterschied-

6 Einige Analysten sehen in dem Anstieg der Roh-stoffpreise eine langfristige Tendenz, die vor allem durch die hohe Nachfrage auf dem asiatischen Markt begründet ist, während andere in dem An-stieg ein eher kurzfristiges Phänomen, angeheizt durch spekulative Käufe, sehen (FAZ, 24.02.2004) 7 KARL (1997) hat eine vergleichende Untersuchung der Auswirkungen von Ressourcenreichtum auf unterschiedliche Länder wie Nigeria, Venezuela, Nicaragua und Indonesien durchgeführt und postu-liert für alle das “Paradox of plenty“.

lichen Ergebnissen. So kommt die Evaluierung

der Weltbankvorhaben im extraktiven Sektor

(2003) zu dem Schluss: “Many resource-rich

countries perform worse than resource-poor

countries in key aspects of development, in-

cluding economic, social, and governance“

(WORLD BANK 2003).

Nach dem “Paradox of Plenty“ führt die schnel-

le Nutzung natürlicher Ressourcen zur Ver-

nachlässigung anderer einheimischer Wirt-

schaftszweige, da lokale Ressourcen und Gel-

der z.B. aus der Landwirtschaft abgezogen

und zur Entwicklung eines einzelnen Industrie-

sektors genutzt werden. Der Staat wird von der

Preisentwicklung einer einzigen Ware abhän-

gig. Aufgrund des Rohstoffreichtums erhalten

die Länder relativ leicht große Kredite zum

Ausbau der Infrastruktur und zur Befriedigung

von Konsumbedürfnissen. Dies führt innerhalb

kurzer Zeit zu einer Auslandsverschuldung bei

privaten und öffentlichen Banken und Finanz-

institutionen. So ist Ecuador heute auf den

Abbau der Erdölvorkommen angewiesen, um

den Schuldendienst zu tätigen.

Rohstoffreichtum ist demzufolge ein zweifel-

hafter Segen für ein Land. Ein Problem sind

dabei auch die schwachen staatlichen Instituti-

onen und die unzureichenden demokratischen

Strukturen (KARL, 1997; ROSS, 2001; SACHS &

WARNER, 1995). In der Auseinandersetzung

um die Kontrolle über die Ressourcen werden

schwache demokratische Strukturen zusätzlich

weiter geschwächt. ROSS (2001) stellt in sei-

nem Beitrag “Does oil hinder democracy“ so-

gar die Frage, ob Ressourcenreichtum die

Herausbildung demokratischer Strukturen in

einem Land eher behindert als unterstützt. Er

kommt zu dem Ergebnis, dass Erdöl und

Bergbau einen negativen Effekt auf die Ent-

wicklung einer Demokratie haben können – in

armen Staaten stärker als in reichen. So habe

in Staaten wie Indonesien, Malaysia, Mexiko,

und Nigeria die Sicherung der Verfü-

gungsgewalt über die Rohstoffe die demokrati-

sche Entwicklung verzögert. Regierungen roh-

stoffreicher Länder neigen dazu, die Kontrolle

über die Rohstoffe militärisch zu sichern, re-

pressiv auf Proteste zu reagieren und die Mo-

Page 110: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

104

dernisierung und Diversifizierung der Wirt-

schaft zu vernachlässigen (vgl. FELDT, 2004).

Auch in den lateinamerikanischen Staaten wie

Venezuela und Ecuador wurde versäumt, an-

dere Wirtschaftszweige frühzeitig zu fördern,

so dass die wirtschaftliche Entwicklung dieser

Länder vom Erdöl abhängt, ohne dass die

Einnahmen den Lebensstandard der breiten

Bevölkerung verbessern.

3. Die Interessengruppen und ihre Strategien

Im folgenden werden die wichtigsten Akteure

(Konzerne, Bergbau- und Energieministerien,

indigene Völker) kurz charakterisiert.

Staat

In allen Ländern Lateinamerikas sind es die

Energie- und Bergbauministerien, die für die

Entwicklung einer nationalen Politik in dem

Bereich Konzessionsvergabe, Kontrolle der

Abbau- und Förderaktivitäten und der Energie-

versorgung zuständig sind. Im Bergbau haben

sie eine direkte Kontrollfunktion über die Un-

ternehmen. Etwas anders sieht es im Erdöl-

sektor aus. Da dieser Sektor in vielen Staaten

in den 1960er und 1970er Jahren verstaatlicht

wurde, wurden eigene nationale Erdölunter-

nehmen aufgebaut. Einige dieser Unterneh-

men wie Petroleos de Venezuela (PdVSA)

vereinen sämtliche Bereiche der Erdölproduk-

tion und -verarbeitung von der Erdölsuche bis

zur Petrochemie unter einem Dach. Ähnlich

operiert Petroecuador, obgleich dieser Kon-

zern sehr viel kleiner und in der Exploration auf

ausländische Unternehmen angewiesen ist.

Außer in Venezuela werden seit Mitte der

1990er Jahre in allen Förderländern die staatli-

chen Erdölunternehmen und die Erdölförde-

rung reprivatisiert. Das heißt, ausländische

Konzerne können über joint ventures oder

Kooperationsverträge mit den nationalen Un-

ternehmen direkt in den Ländern Erdöl fördern.

Die Vergabe von Konzessionen und die Über-

wachung der laufenden Aktivitäten im Bergbau

und bei der Erdöl- und Erdgasförderung sind

Angelegenheit des Zentralstaates, die Kom-

munen und Provinzregierungen spielen dabei

eine untergeordnete Rolle.

Bis in die 1990er Jahre hat der Staat die Re-

gelung der Beziehungen mit indigenen Ge-

meinschaften oder Siedlern vor Ort weitgehend

den Unternehmen überlassen. Interessanter-

weise war dies auch dann der Fall, wenn das

Unternehmen vor Ort in staatlicher Hand war.

So ist es in Venezuela bisher PdVSA, die die

Beziehungen zu den Kommunen, lokalen Or-

ganisationen und indigenen Völkern regelt und

nicht das Bergbau- und Energieministerium,

das eigentlich die staatliche Politik in dem Feld

umsetzen soll. Nun ist das Machtgefälle zwi-

schen Ministerium und PdVSA in Venezuela

sehr groß, aber auch in den anderen Ländern

der Hemisphäre sind es die staatlichen oder

teilstaatlichen Unternehmen, die bisher wie

Privatunternehmen in der Kommunikation mit

den indigenen Völkern agieren. Das Hauptinte-

resse des Staates besteht in der reibungslosen

Abwicklung von Bergbau- und Erdölaktivitäten8

und der Sicherung ausländischer Investitionen.

So war die ecuadorianische Regierung vehe-

ment dagegen, dass Siedler und Vertreter des

indigenen Volker der Secoya im ecuadoriani-

schen Tiefland gegen Texaco vor einem US

amerikanischen Gericht klagten: “(…) si la

demanda es aceptada por una corte norteame-

ricana se pondría en riesgo la soberanía naci-

onal y la inversión extranjera“ (zitiert nach

WRAY, 2000:39)9.

Mittlerweile verlagert sich der Diskurs von der

Konfrontation oder Negation indigener Interes-

sen hin zu einem Diskurs der Konsultation, des

Dialogs und der Verhandlungen. Damit werden

die Vorgaben in der ILO-Konvention 169, die

8 Der Leiter der Umweltabteilung im Ministerium für Energie und Bergbau, Lima, Peru sagte mir 1997 in einem Interview: “Unsere Aufgabe ist für die rei-bungslose Durchführung der Aktivitäten zu sorgen, und nicht den Unternehmen Steine in den Weg zu legen.“ 9 Die Klage richtete sich gegen die Umweltver-schmutzungen, die Texaco in Ecuador hinterlassen hatte und die negativen Auswirkungen auf die Cofán und Huaorani. 1995 schloss die ecuadorianische Regierung einen Vertrag über die Zahlung von Gel-dern für “Umweltreparaturen“ mit Texaco, um die Klage zu unterlaufen. Einige Führer der regionalen Indigenenorganisationen FOISE und FCUNAE un-terstützten das Vorgehen der Regierung. Sie hatten ein Unternehmen (Corpesega) gegründet, das eini-ge der Umweltreparaturen durchführen sollte.

Page 111: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

105

Konsultation, Teilhabe an den Gewinnen und

das Recht auf Entschädigung für die Schäden

aus Bergbau- und Erdölvorhaben vorsieht,

aufgegriffen. Neue Gesetze bzw. Gesetzent-

würfen zur “consulta y participación“ in Peru,

Ecuador, Bolivien, Kolumbien und Venezuela

sind verabschiedet worden oder werden zur

Zeit diskutiert (siehe Kap. 4).

Erdöl- und Bergbauindustrie

Der Erdöl- und Bergbausektor Lateinamerikas

wird einerseits von staatlichen Betrieben, die

vor allem im Rahmen der Nationalisierung

strategischer Industriebetriebe in den 1960er

Jahren gegründet bzw. ausgebaut wurden,

dominiert. Allerdings ist die ökonomische und

gesellschaftliche Bedeutung der Erdölunter-

nehmen sehr viel größer als die der Bergbau-

betriebe.

Andererseits sind seit Beginn der Reprivatisie-

rung des Rohstoffsektors in allen Ländern

Südamerikas Förder- und Abbaukonzessionen

an private in- und ausländische Konzerne ver-

geben worden. Im Falle der Erdölindustrie

schließen meist die staatlichen oder teilstaatli-

chen Unternehmen die Verträge über die För-

derbedingungen mit den internationalen Unter-

nehmen. Die häufigsten Vertragsarten sind

neben joint ventures, Serviceverträge (contra-

tos de prestación de servicios)10, Risiko- und

Serviceverträge11 und Beteiligungsverträge

(contratos de participación).12 Gegenstand der

10 In diesem Fall führt ein privates Unternehmen die Erdölsuche und -produktion durch und für jeden Barrel, der gefördert wird, zahlt der Staat dem Un-ternehmen einen festgesetzten Beitrag. Das Öl selbst bleibt Eigentum des Staates und wird meist vom staatlichen Unternehmen vermarktet. 11 Ähnlich den Serviceverträgen, allerdings wird das Risiko der Erdölsuche zwischen Staat und Unter-nehmen nach einem festgelegten Anteilsverhältnis geteilt. 12 Dies sind Verträge zwischen Staat und Privatun-ternehmen, nach denen der Vertragnehmer (ein privates Unternehmen) in einem vertraglich verein-barten Gebiet Erdöl suchen und fördern kann. Dafür übernimmt er das Risiko für die Investitionen der Exploration und Förderung. Wird die Produktion aufgenommen, steht dem Vertragnehmer eine Be-teiligung an dem Erdöl zu. Die Höhe dieser Beteili-gung wird in den Vertragsverhandlungen ausge-handelt, und hängt u.a. von dem zu erwartenden Volumen des Erdölvorkommens ab.

Verträge sind u.a. die Leistungen, die das Un-

ternehmen für die Bereitstellung der Infra-

struktur und die Nutzung öffentlicher Einrich-

tungen zu zahlen hat, ebenso wie Entschädi-

gungszahlungen. Von privaten Unternehmen

wird bemängelt, dass in den Verträgen keine

klaren Vorgaben bezüglich Kommunikation

und Partizipation indigener Völker gemacht

werden (EAP, 2003).

Von Seiten der Unternehmen gibt es keine

gemeinsame Strategie gegenüber indigenen

Völkern und Gemeinschaften. Trotzdem lassen

sich bestimmte Entwicklungen und Strategien

beobachten.

Wie sich die Beziehungen zwischen Erdölun-

ternehmen und indigenen Völkern verändert

haben, zeigt das Beispiel Ecuador. Es lassen

sich im wesentlichen folgende Strategien be-

schreiben (siehe auch WRAY 2000:45-51):

“Gute Nachbarschaft“

Im Sinne einer guten Nachbarschaft ver-

suchen Konzerne (wie Texaco in den

1970er Jahren), sich mittels Geschenke

die Unterstützung der indigenen Gemein-

schaften zu sichern. Die Geschenke wer-

den meist individuell oder an einzelne

Dorfgemeinschaften gegeben, und werden

gezielt zur Spaltung von Gemeinschaften

nach dem Motto “teile und herrsche“ ein-

gesetzt. Dieses Vorgehen der Konzerne

dominierte in den 1970er bis Ende der

1980er Jahre.

“Vom geschenkten Außenbordmotor zum

Projekt“

Die Phase wurde Mitte der 1980er Jahre

durch die staatliche Firma CEPE (heute

Petroecuador) eingeleitet, die auf der

Grundlage des neuen Erdölgesetzes einen

“Fondo de desarrollo comunal“ auflegte,

der mit 0,3 % der Einnahmen von CEPE

gespeist wurde. Zu der Zeit gründeten sich

die ersten indigenen Organisationen in

Ecuador, die von CEPE als Gesprächs-

partner für Projekte anerkannt wurden.

“Vom Projekt zur Corporate Social respon-

sibility“

Heute setzen die meisten Unternehmen

auf die Entwicklung längerfristiger Bezie-

hungen zu den indigenen Gemeinschaften.

Page 112: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

106

Der Diskurs der internationalen Erdölun-

ternehmen ist geprägt von der internatio-

nalen Debatte um soziale Unternehmens-

verantwortung (“Corporate Social Respon-

sibility“). In diesem Zusammenhang haben

sich alle großen internationalen Erdölkon-

zerne Verhaltenskodizes für ihre Umwelt-

und Sozialpolitik gegeben13. Einige Kon-

zerne wie BP, Shell und PdVSA versuchen

über Projekte regionale Entwicklung zu un-

terstützen und dadurch “best practice“ Bei-

spiele zu geben. Für die Beziehung zu den

indigenen Völkern und Gemeinschaften

haben viele Unternehmen Ethnologen ein-

gestellt und zuständige Abteilungen für die

Kommunikation mit der lokalen Bevöl-

kerung eingerichtet. So hat Shell ganz be-

wusst versucht, in Camisea, dem großen

Erdgasprojekt in Peru, ein Beispiel guter

Praxis durch frühzeitige Verhandlungen

mit den indigenen Gemeinschaften über

die Durchführung der Erdgasaktivitäten

und begleitende (Entwicklungs-)Projekte

durchzuführen, und somit einen Gegenpol

zu ihrem negativen Image in Nigeria zu

setzen. Da Shell sich jedoch aufgrund ö-

konomischer Überlegungen aus Camisea

zurückgezogen hat, wurden die Ansätze

nicht umgesetzt.14 Somit steht der Beweis

in Lateinamerika noch aus, dass sich

extraktive Industrie und nachhaltige Regi-

onalentwicklung vereinbaren lassen.

Inwieweit der veränderte Diskurs der Unter-

nehmen tatsächlich auch zu einer veränderten

Praxis führt, ist noch nicht absehbar. Dies wird

stark von den Rahmenbedingungen, die der

Staat setzen muss, und der Stärkung und Arti-

kulationsfähigkeit der indigenen Organisatio-

nen sowie der Entwicklung der internationalen

Diskussion um sozialverantwortliches Unter-

13 BP, 2002: Grundsätze der Geschäftspolitik, Shell, 2003: There is no alternative, Shell on sustainable development, Shell: Statement of General Princi-ples, ENI, 1998: Codice di Comportamento, Für den Bergbau: United Nations, 2002: Guidelines for min-ing and sustainable development. 14 Die Anteile von Shell wurden von Tripetrol aus Argentinien übernommen, die allerdings zu einem paternalistischen Beziehungsstil zurückgekehrt sind.

nehmenshandeln15, abhängen. Es wird jedoch

auch dann nicht ausreichen, die Beziehung

zwischen indigenen Völkern und Unternehmen

dem (guten) Willen der Unternehmensleitung

zu überlassen, sondern man wird die Bezie-

hungen verrechtlichen müssen.

Indigene Völker und ihre Organisationen

Es gibt keine einheitliche Position und Strate-

gie indigener Völker und ihrer Organisationen

gegenüber dem Rohstoffabbau. Der Wider-

stand gegen den Abbau und die Bedingungen,

unter denen der Abbau erfolgt, ist meist auf die

betroffene Region begrenzt und auch die Ver-

handlungen zwischen indigenem Volk und dem

Unternehmen werden separat pro Region be-

ziehungsweise pro Volk geführt. Es hat erst in

den letzten Jahren ein reger Erfahrungsaus-

tausch über die regionalen und nationalen

Grenzen hinweg zur Verständigung und Dis-

kussion zwischen den indigenen Organisatio-

nen eingesetzt. Eine wichtige Rolle spielt dabei

für das Amazonasbecken die Koordination der

indigenen Organisationen des Amazonasbe-

ckens, COICA, und deren nationalen Mit-

gliedsorganisationen. Dieser Austausch und

die Debatten zur Strategiefindung, Fortbil-

dungsmaßnahmen über die rechtliche Situa-

tion und die Unterstützung in Verhandlungs-

prozessen wurden vor allem durch Organisati-

onen wie Oxfam America, Ibis (Dänemark),

aber auch durch die Weltbank, InWEnt und in

jüngster Zeit auch durch die TZ gefördert. Zwi-

schen Mittel- und Südamerika gibt es bisher

kaum gemeinsame Foren zur Verständigung

über Strategien im Bereich nicht-erneuerbare

natürliche Ressourcen.

Anhand der folgenden Beispiele werden die

Unterschiede in der Herangehensweise und

die Strategie der indigenen Völker und Organi-

sationen verdeutlicht. Die Beispiele basieren

weitgehend auf WRAY (2000) und eigenen

Untersuchungen.

15 Von besonderen im Interesse ist im Zusammen-hang die Entwicklung der Aarhus Konvention und der VN Normen zu Business and Human Rights, die in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen diskutiert werden.

Page 113: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

107

Die Frente Indígena de Pastaza – ARCO, Pastaza (Ecuador)

Die OPIP, Organisation der indigenen Völker in

Pastaza, hat sich seit Ende der 1980er Jahre,

als der Erdölkonzern ARCO die Konzession für

den Block 10 übernahm16, gegen die Erdölför-

derung ausgesprochen. ARCO reagierte, in-

dem der Konzern mit den indigenen Gemein-

schaften im Operationsgebiet Kontakt aufnahm

und aktiv die Gründung einer neuen indigenen

Organisation (ASODIRA) betrieb. Mit dieser

Organisation wurde dann ein Vertrag über den

Bau von Schulen, Gesundheitszentren, Sti-

pendien etc. geschlossen, die OPIP sollte be-

wusst isoliert werden. Die OPIP ihrerseits for-

derte eine nachhaltigere Art der Erdölförde-

rung, basierend auf dem Respekt der indige-

nen Völker und der Umwelt durchzuführen.

Ihre Hauptforderungen waren die Realisierung

einer gemeinsamen Evaluation der sozialen

und ökologischen Auswirkungen der Erdölakti-

vitäten, die Beteiligung indigener Organisatio-

nen an der Erarbeitung eines Umweltmana-

gementplans und die Einrichtung eines Sozial-

und Umweltfonds. Sie wollten ein ernsthaftes

Dialogforum zwischen dem Unternehmen und

den indigenen Organisationen unter Beteili-

gung des Staates. Dieses Dialogforum wurde

eingerichtet, wobei der Staat durch Petroecua-

dor vertreten wurde. Das Unternehmen zog

sich aber bereits kurz darauf wieder zurück.

1994 wurde die Frente Indígena de Pastaza

(FIP) aus den indigenen Organisationen OPIP

und ASODIRA gegründet, die den Vertrag mit

ARCO unterzeichneten. Da die beiden Organi-

sationen aber ihre Rivalitäten nicht überwan-

den, blieb der Zusammenschluss ein künstli-

ches Gebilde. Nach dem Rückzug von Petroe-

cuador und der schleppenden Umsetzung der

Beschlüsse durch ARCO kam es zu heftigen

Reaktionen der indigenen Gemeinschaften:

1998 wurden drei Mitarbeiter von ARCO kurz-

zeitig entführt. Die FIP forderte die Evaluierung

und die Erneuerung des Dialogs, die Ausset-

zung aller Erdölaktivitäten bis ein langfristiges

16 Die Konzessionsgebiete in Ecuador sind in soge-nannte Blöcke unterteilt. Ein Block entspricht einem Konzessions-/ Fördergebiet. Block 10 liegt in der Provinz Pastaza.

Übereinkommen geschlossen ist, die Entwick-

lung einer nachhaltigen Erdölpolitik und die

Beteiligung der Provinz an den Gewinnen aus

der Erdölproduktion. Ende 1998 wurde der

Dialog wieder aufgenommen, ohne dass je-

doch Ergebnisse erzielt wurden.

Heute ist die FIP an ihren internen Widersprü-

chen auseinandergebrochen, ARCO hat sich

aus Ecuador zurückgezogen17 und der Dialog-

prozess ist ausgesetzt. Trotzdem hat der Pro-

zess eine besondere Bedeutung. Es war der

erste institutionalisierte Dialog zwischen indi-

genen Organisationen, Unternehmen und

Staat und es gelang den indigenen Organisati-

onen, die Forderung nach einer gemeinsamen

Kontrolle der Auswirkungen durchzusetzen.

Zum ersten Mal wurden Alternativen zur her-

kömmlichen Art und Weise der Erdölförderung

diskutiert und indigene Vorstellungen einer

nachhaltigen Regionalentwicklung wurden in

den Dialogprozess eingebracht. Eine genaue

Analyse des Prozesses und der Gründe für

das Scheitern liegt meines Wissens nicht vor,

könnte aber für indigene Organisation eine

gute Hilfestellung für andere Dialog- und Ver-

handlungsprozesse sein.

Der Widerstand der Achuar (Pastaza, Ecuador)

Die FINAE vertritt die Achuar im Osten der

Provinz Pastaza, wo neun Gemeinschaften im

Konzessionsblock 24 leben, der früher von

ARCO und heute von Burlington Resources

Ltd., USA betrieben wird. Die Achuar der Re-

gion haben 1998 beschlossen, keine Erdölakti-

vitäten zu zulassen. Als Alternative haben sie

eigene ökonomische Projekte aufgebaut. Dazu

gehören ein Tourismuszentrum, ein Projekt zur

Kommerzialisierung von Agrar- und Waldpro-

dukten sowie ein Projekt zur Erforschung und

Vermarktung von Waldprodukten (außer Holz).

Um ihr Gebiet vor der Erdölförderung zu ver-

schonen, hat die FINAE einen Vorschlag erar-

beitet, das Gebiet unter dem Clean Develop-

ment Mechanismus des Kyoto Protokolls zu

verhandeln (zum Kyoto Protokoll siehe

17 BP hat ARCO aufgekauft und in dem Zuge die Konzessionen in Ecuador verkauft. Der Block ist an die italienische Firma AGIP gegangen.

Page 114: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

108

ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band). Da das

Schicksal dieses Vorschlags mehr als unge-

wiss ist, versucht die FINAE gleichzeitig die

rechtlichen Möglichkeiten in Ecuador auszu-

nutzen, um die Erdölförderung zu verhindern.

Das Vorgehen der FINAE zeigt wie internatio-

nale Konventionen und Vereinbarungen von

indigener Seite zum Schutz ihrer Territorien

genutzt werden können.

Foto: Straßenbau im Amazonasgebiet von Ecuador (S. REINHARDT)

Gold bei den Shuar (Ecuador)

Im Falle der Federación Interprovincial de

Centros Shuar, FICSH, stellt der Goldbergbau

ein großes Problem dar. Auch wenn die FICSH

sich gegen den Goldabbau ausgesprochen

hat, so war sie aufgrund der Interessenhetero-

genität in den Gemeinschaften nicht in der

Lage, den Widerstand aufrecht zu halten. Die

FICSH hat daher beschlossen, aktiv an dem

Konsultationsprozess teilzunehmen und Indi-

gene ausbilden zu lassen, die in der Lage sind,

die Bergbauaktivitäten und ihre Auswirkungen

zu überprüfen. Die FICSH fordert eine Teil-

habe an den Einnahmen aus dem Bergbau.

Dabei sehen sie sich nicht als Bittsteller son-

dern verstehen sich neben dem Konzern und

dem Staat als weiterer Besitzer des Unter-

nehmens, da sich das Gold auf ihrem Territo-

rium befindet. Sie fordern einen “Fondo de

reserva patrimonial de la nacionalidad Shuar“.

Der Verhandlungsprozess ist noch nicht abge-

schlossen.

Erdöl im Orinokodelta (Venezuela)

Die Warao im Delta des Orinoko haben keine

starke einheitliche Organisation. Wie in vielen

anderen Fällen in Lateinamerika hat auch das

Erdölkonsortium Delta Centro, das von mehre-

ren Unternehmen unter der Leitung von Bur-

lington Resources für die Erdölförderung ge-

gründet wurde, nur mit den einzelnen Gemein-

schaften verhandelt. 1999/ 2000 wurden in der

betroffenen Deltaregion Informationsver-

sammlungen über die geplanten Erdölpros-

pektionen durch das Konsortium mit den Wa-

rao abgehalten. Der Staat war nicht präsent.

Das Konsortium forderte die Warao auf ihre

Bedürfnisse zu benennen – als Gegenleistung

für die Durchführung der Erdölaktivitäten in

ihrem Gebiet. Das Ergebnis war eine Wunsch-

liste vom Bau einer Schule, über ein Gesund-

Page 115: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

109

heitszentrum bis zum Außenbordmotor. Die

Warao hatten nur ihre unmittelbaren Bedürf-

nisse formuliert. In einer Region, die zu den

ärmsten Venezuelas gehört und die seit Jahr-

zehnten vom Staat vernachlässigt wird, war es

den Konzernen möglich, sich mit Geschenken

den Zugang zu dem potenziellen Fördergebiet

zu verschaffen. Mittlerweile hat sich das Kon-

sortium aufgelöst und seine Installationen im

Delta abgebrochen, da nach der ersten Probe-

bohrung zu wenig Öl vermutet wurde. Damit

sind auch die Projekte des Konsortiums im

Delta eingestellt worden.

Der Dialogprozess “Energía - Ambiente - Población“ (EAP)

Der Dialogprozess findet auf Initiative der

Weltbank und der Organisation der lateiname-

rikanischen Energieministerien (OLADE) seit

1996 zwischen indigenen Organisationen,

Teilen der Erdölindustrie und Energieministe-

rien in der Amazonasregion statt. Die Erdölin-

dustrie ist durch die Vereinigung der latein-

amerikanischen Erdölindustrie ARPEL und die

indigenen Organisationen durch die COICA

vertreten. Das Ziel ist u.a. die rechtliche Si-

cherheit für alle beteiligten Parteien zu verbes-

sern (EAP, 2003).

Die Ansprüche der drei Interessengruppen

werden wie folgt gekennzeichnet (EAP,

2003:5):

a) “Derechos de los pueblos indígenas, reco-

nocidos como el derecho al hábitat ances-

tral, a la cultura, a la tradición y a un am-

biente protegido;

b) El derecho de la industria petrolera y gasí-

fera a que se respeten los términos y con-

diciones de los contratos suscritos con los

distintos estados; y

c) El derecho de la sociedad en general a

alcanzar un mejor nivel de vida y un mayor

desarrollo económico sustentable, como

consecuencia directa del desarrollo de la

actividad hidrocarburífera con el conse-

cuente hallazgo de nuevas reservas de

petróleo y gas para el pais.“

Für die Erdölindustrie stehen die rechtliche

Sicherheit und die Stabilität der einmal getrof-

fenen (vertraglichen) Vereinbarungen an erster

Stelle. Sie drängt darauf, dass keine der Inte-

ressengruppen ein Vetorecht erhält. Sie wollen

klare Richtlinien, wie das Verhältnis von Unter-

nehmen zu den indigenen Völkern und Ge-

meinschaften in der betroffenen Region zu

regeln ist. Da Zeit für Unternehmen ein wichti-

ger Faktor ist, drängen sie auf “procesos ex-

péditos que en menor tiempo posible puedan

conducir al desarrollo de proyectos.“

Für die COICA steht die Anerkennung der

Völker mit ihren Kulturen und ihren Territorien

im Mittelpunkt. Dazu gehört auch die Anerken-

nung der Indigenen, die in freiwilliger Isolation

leben wie z.B. in der Region um Camisea in

Peru.

EAP ist ein Dialogprozess, das heißt es sind

weder Verhandlungen noch wird versucht ei-

nen regionalen Kompromiss über die Erdölför-

derung zwischen den Parteien auszuhandeln.

Es ist ein Gesprächsforum, das Themen an-

stoßen, Vorschläge erarbeiten und Empfeh-

lungen diskutieren will. Auch die COICA stellt

klar, dass ihre Teilnahme an dem Dialog nicht

so verstanden wird, dass sie die Erdölförde-

rung auf indigenen Territorien billigt.

Nach einer Phase des gegenseitigen Kennen-

lernens und des Austauschs von Informationen

und Konzepten steht der Dialogprozess jetzt

an einem Scheidepunkt, an dem sich zeigen

muss ob die realen Probleme in dem Dialog

tatsächlich aufgegriffen werden können. Im

Augenblick sieht es eher so aus, als wäre er

an seine Grenzen gestoßen. So müssen die

Dialogparteien sich entscheiden, ob sie die

anstehenden Themen: Verteilung der Einnah-

men aus der Erdölförderung, partizipative Mo-

nitoringsysteme der sozialen und ökologischen

Auswirkungen sowie Empfehlungen für die

Regelung der Beziehungen von Erdölindustrie,

Staat und indigenen Völkern vor Ort, und Kon-

fliktlösungen konstruktiv im Dialog behandeln

wollen und können. Die Zeichen dafür stehen

schlecht. So konnten sich die Interessens-

gruppen in der Diskussion zu dem letztge-

nannten Thema nicht auf gemeinsame Leitli-

nien verständigen. Und auch die Verteilung der

Erdöleinnahmen in den Ländern konnte nicht

weiter vertieft werden, da sich die Vertreter der

Page 116: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

110

Staaten weigerten, dieses Thema zu diskutie-

ren.

Sollte der Dialog scheitern, wäre eine Chance

vergeben, wichtige Themen für das Verhältnis

Staat – Industrie – indigene Völker konstruktiv

zu bearbeiten.

4. Rechtliche Situation und Zuständigkeiten

Nicht-erneuerbare natürliche Ressourcen und

deren Nutzung sind in allen lateinamerikani-

schen Staaten Eigentum des Staates, dem

auch das alleinige Nutzungsrecht vorbehalten

ist. Dies ist in den jeweiligen Verfassungen

festgeschrieben, wobei allerdings unterschied-

liche Begrifflichkeiten verwendet werden: “el

estado es proprietario del subsuelo y de los

recursos naturales no renovables“ (Kolum-

bien), “pleno dominio“ (Bolivien) oder “patrimo-

nio de la nación“ (Peru).

Im folgenden ist die rechtliche Situation in Boli-

vien, Ecuador, Peru, Kolumbien und Venezu-

ela basierend auf den jeweiligen Verfassun-

gen, Erdöl- und Erdgasgesetzgebung, Berg-

baurecht, Umweltgesetzgebung und Rechte

indigener Völker zusammengefasst. Dies be-

zieht sich auf die rechtliche Ausgangslage und

nicht auf die Umsetzungsrealität, die in den

Ländern weit hinter der Rechtssituation zu-

rückbleibt. Auf eine detaillierte Darstellung der

Umweltgesetzgebung wird hier verzichtet, da

die Bestimmungen für Erdöl, Erdgas und

Bergbau sich in den genannten Ländern äh-

neln.

So sind für alle Vorhaben zur Erschließung der

Ressourcen Umweltverträglichkeitsprüfungen

(UVP) und Umweltmanagementpläne bindend

vorgeschrieben. Bevor das Unternehmen mit

den Explorationsarbeiten beginnt, muss es

eine UVP in Auftrag geben, dessen Ergebnisse

öffentlich sind18. Auf den Ergebnissen der UVP

18 In der Praxis wird dieser Informationspflicht sei-tens der Unternehmen und des Staates nur unge-nügend nachgekommen. In Venezuela zum Beispiel ist die Zeit, in der die UVP eingesehen werden kann auf 14 Tage beschränkt. Danach wird die UVP in der Hauptstadt Caracas zentral im Umweltministeri-um archiviert. Dort kann man nur mit schriftlicher Genehmigung des Ministeriums die Unterlagen einsehen. Kopien dürfen nicht gemacht werden.

und den zu erwartenden Umweltrisiken muss

das Unternehmen dann einen Umweltmana-

gementplan erstellen, um vorausgesagte Um-

weltschäden zu verringern. Zuständig für die

Genehmigung der UVP als auch für die Über-

wachung der Umweltmanagementpläne ist

entweder das Umweltministerium oder die

Umweltabteilung im Energie- und Bergbaumi-

nisterium, wobei es zwischen beiden häufig zu

Kompetenzüberschneidungen kommt.

In Kolumbien wurde allerdings die Erdölexplo-

ration durch ein Dekret aus dem Jahre 2000

ausdrücklich aus dem Umweltgenehmigungs-

verfahren herausgenommen. Die Unterneh-

men müssen dort erst im Falle der Erdölpro-

duktion eine Umweltverträglichkeitsprüfung

durchführen.

In einigen Ländern wie Bolivien, Ecuador, Bra-

silien und Venezuela sind Standards für Erdöl-

und Bergbauaktivitäten festgelegt (z.B. für

Emissionen, Wasserqualität und Bodenver-

schmutzung), in anderen Ländern werden

lediglich allgemeine Aussagen zur umweltver-

träglichen Erdölförderung und Bergbau ge-

macht (ESMAP, 1999).

Grundlage für die Rechte indigener Völker bei

der Nutzung von nicht-erneuerbaren natürli-

chen Ressourcen bildet die ILO-Konvention

169. Wichtig sind vor allem drei Aspekte:

1. die frühzeitige Konsultierung indigener

Völker durch den Staat, bevor Vorhaben

auf ihren Gebiet genehmigt werden

2. die Beteiligung der betroffenen indigenen

Völker an den Gewinnen/ Vorteilen aus der

Nutzung der Bodenschätze

3. das Recht indigener Völker auf Entschädi-

gung

Kolumbien

Bergbau- und Erdölgesetzgebung

In Kolumbien wird die Verwaltung und Nutzung

der nicht-erneuerbaren Ressourcen vom Staat

durch das Ministerium für Bergbau und Ener-

gie, zu dessen Aufgabe die Überwachung des

Erdölsektors gehört, wahrgenommen. Aller-

dings sind die Grenzen zu der Arbeit der staat-

lichen Erdölgesellschaft Ecopetrol fließend.

Page 117: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

111

Das Unternehmen Ecopetrol funktioniert einer-

seits wie ein privates Unternehmen mit eigen-

ständigen wirtschaftlichen Aktivitäten, für die

es Steuern an den Staat zahlt. Auf der anderen

Seite arbeitet es wie eine staatliche Behörde,

d.h. es verhandelt im staatlichen Auftrag mit

privaten in- und ausländischen Firmen über die

Nutzung der Ressource Erdöl.

Indigene Rechte

Das Dekret 1320 von 1998 schreibt eine Kon-

sultation der indigenen und afrokolumbiani-

schen Gemeinschaften vor dem Abbau der

nicht-erneuerbaren natürlichen Rohstoffe auf

ihren Territorien (resguardos19) bindend vor.

Außerdem haben indigene Völker und Ge-

meinschaften Priorität bezüglich der Nutzung

von Bodenschätzen, wenn sich diese auf ihren

Territorien befinden (ROLDÁN, 2004:132). Dies

gilt jedoch nicht für Erdöl.

Bolivien

Bergbau- und Erdöl

Der Staat hat ein umfassendes Eigentums-

recht über alle Bodenschätze. Die Verfassung

sieht explizit vor, dass sowohl die minerali-

schen Rohstoffe als auch Erdöl und Erdgas im

Besitz des Staates sind und diese nicht an

Dritte veräußert werden können (ROLDÁN,

2004:125). Dies gilt für das ganze nationale

Territorium inklusive der tierras comunitarias

de origen, wie indigene Territorien in Bolivien

bezeichnet werden. 1996 wurde in Bolivien ein

neues Erdölgesetz (Ley de Hidrocarburos Nr.

1689) verabschiedet. Das Gesetz bildet die

rechtliche Grundlage für die Verträge, die zwi-

schen dem Staat und den privaten Unterneh-

men geschlossen werden. Es legt die Bedin-

gungen fest, unter denen der Staat sein Ei-

gentum, Erdöl und Erdgas, an die Unterneh-

men verkauft und die Rechte und Pflichten der

Unternehmen, um auf bolivianischem Boden

Erdöl fördern zu können. Es sieht unter ande-

rem die Durchführung von Umweltverträglich-

keitsprüfungen vor, enthält aber keinerlei kon-

krete Bestimmungen über Kompensations-

19 Zur rechtlichen Figur der resguardos siehe ROSSBACH DE OLMOS und FELDT in diesem Band)

zahlungen an die lokale Bevölkerung. Das

Gesetz regelt lediglich die Verfahren zur Fest-

legung von Entschädigungszahlungen bei

Landenteignungen. Artikel 63 verweist zwar

auf Gebiete, die nicht enteignet werden dürfen,

schränkt das Gebiet bezüglich der indigenen

Völker jedoch auf den unmittelbaren Siedlung-

sort ein. “La expropiación no podrá compren-

der a las viviendas y sus dependencias inclu-

yendo las de comunidades campesinas y las

de pueblos indígenas, a los cementerios, ca-

rreteras, vías férreas, aeropuertos y cualquier

otra construcción pública o privada que sea estable y permanente“.20

Es gibt zwei staatliche Institutionen, die für die

Erdölpolitik der Regierung und deren Umset-

zung zuständig sind: das Vizeministerium für

Energie und Erdöl im Wirtschaftsministerium

für den Bereich Prospektion und Förderung,

und die Superintendencia de Hidrocarburos

innerhalb des Sistema de Regulación Sectorial

für den Bereich Transport und Verteilung. Das

Vizeministerium ist für die Aushandlung der

Verträge mit den privaten in- und ausländi-

schen Erdölkonzernen zuständig.

Bis 1997 war YPFB (Yacimientos Petroliferos

Fiscales Bolivianos) ein staatliches Unterneh-

men. Mittlerweile wurden die Geschäftsberei-

che Erdöl-, Erdgasprospektion und -förderung

verkauft. Die Aufgaben von YPFB beschrän-

ken sich heute auf das Aushandeln und Über-

wachungen von Verträgen, wobei es allerdings

Kompetenzüberschneidungen mit dem Vize-

ministerium für Energie und Erdöl gibt.

Die Indigenen- und Bauernbewegung hat in

den letzen Jahren, aber vor allem 2003, gegen

die Privatisierung im Erdöl- und Erdgassektor

demonstriert und fordert eine Überarbeitung

des Ley de Hidrocarburos, in der die Erdölin-

dustrie re-nationalisiert werden soll. Im Juli

2004 hat die bolivianische Bevölkerung in ei-

nem Referendum über die zukünftige Erdgas-

und Erdölpolitik abgestimmt. Demnach soll das

Unternehmen YPFB wieder verstaatlicht wer-

den. Die bestehenden Konzessionen zur Erd-

gasförderung sollen zwar nicht angetastet

20 http://www.superhid.gov.bo/leyes/1996/ Ley_Hidrocarburos.pdf

Page 118: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

112

werden, die Konzerne werden aber in Zukunft höher besteuert.

Indigene Rechte

In der Verfassung von 1994 wird im ersten

Artikel der multiethnische und plurikulturelle

Charakter des Landes anerkannt. Außerdem

werden die Rechte der indigenen Völker auf

Identität, gemeinschaftlichen Landbesitz und

soziale Entwicklung festgeschrieben.

Das Umweltschutzgesetz (Artikel 78) schreibt

vor, das indigene Völker konsultiert werden

müssen, wenn auf ihren Gebieten Erdöl geför-

dert werden soll. Von Seiten der indigenen

Organisationen wird allerdings kritisiert, dass

diese Konsultationen nicht oder nur unzurei-

chend stattfinden.

Zur Zeit wird ein Gesetzesvorschlag zu “Regu-

lierungen für die Durchführung von Erdölakti-

vitäten auf kommunalen Territorien indigener

Völker“ diskutiert. In dem Gesetz soll u.a. defi-

niert werden, wie der Konsultationsprozess der

indigenen Gemeinschaften zu gestalten ist.

Ecuador

Bergbau- und Erdölgesetzgebung

Die Verfassung erklärt die Bodenschätze zum

Staatseigentum, und das Bergbau- und das

Erdölgesetz, dessen Grundlagen aus dem

Jahre 1932 stammen und das seither mehr-

mals reformiert wurde, legt das System der

Konzessionsvergabe fest. Zuständig für die

Definition der staatlichen Erdölpolitik ist das

Ministerium für Energie und Bergbau.

Vertragspartner für Erdölkonzerne, die in Ecu-

ador arbeiten wollen, ist die staatliche Erdölge-

sellschaft Petroecuador. Ähnlich wie Ecopetrol

betreibt Petroecuador eigene Erdölfelder und

vertritt außerdem den Staat in den Vertrags-

verhandlungen mit den Privatunternehmen

über die Erdölproduktion.

Seit 1992 müssen die Firmen eine Umweltver-

träglichkeitsprüfung vor der Probebohrung

erstellen lassen und einen Umweltmanage-

mentplan vorlegen. Seit der siebten Vergabe-

runde für neue Konzessionen (1994) verlangt

der Staat die Einhaltung von Umwelt- und So-

zialstandards (FELDT, 2003).

Rechte indigener Völker

Die Bergbau- und Erdölunternehmen sind ge-

setzlich verpflichtet die Rechte indigener Völ-

ker, wie sie im ecuadorianischen Gesetz und in

den ratifizierten internationalen Normen fest-

gelegt sind, zu respektieren.

Ecuador hat 2002 das “Reglamento de Con-

sulta y Participación para la Realización de

Actividades Hidrocarburíferas” (Dekret 3401,

2.12.2002) verabschiedet. Diese Umsetzungs-

bestimmung zum Recht auf Konsultation in der

Verfassung definiert das Konsultationsverfah-

ren sowie die Beteiligung der indigenen Völker

“en los procesos relacionados con las con-

sulta, la elaboración de los estudios de im-

pacto ambiental, los planes de manejo am-

biental, incluidos los planes de relaciones co-

munitarias, y de participación en los beneficios

de las explotaciones” (ROLDÁN, 2004:134).

Peru

Bergbau- und Erdölgesetzgebung

1993 wurde das Erdölgesetz in Peru überar-

beitet und mit der Novelle wurde die Privatisie-

rung des staatlichen Erölunternehmens Petro-

peru eingeleitet. Nach und nach wurden die

Konzessionen und die Infrastruktur der Erdöl-

felder, die bis zu dem Zeitpunkt von Petroperu

betrieben wurden, an private Unternehmen

verkauft. Parallel zur Privatisierung gründete

der peruanische Staat Perupetro als staatli-

ches Unternehmen, zu dessen Aufgaben die

Verhandlung und Überwachung von Verträgen

mit privaten Erdöl- und Erdgasunternehmen

gehört, das aber keine eigenen Aktivitäten im

Produktionsbereich durchführt.

Das Ministerium für Energie und Bergbau ist

die oberste Behörde für den Erdöl- und Berg-

bausektor. Innerhalb des Ministeriums gibt es

eine Generaldirektion für Umwelt, die die Um-

weltverträglichkeitsprüfungen und die Mana-

gementpläne überprüfen soll.

Page 119: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

113

Rechte indigener Völker

Peru hat Ende 2002 das “Reglamento de con-

sulta y participación ciudadana en el procedi-

miento de aprobación de los estudios am-

bientales en el sector Energía y Minas” (Re-

solución Ministerial No.596-2002, EM/DM, Ley

Orgánica del sector Energía y Minas 25962)

verabschiedet, dass das Konsultationsverfah-

ren reguliert. Durch die Konsultation soll si-

chergestellt werden “que permitan el conoci-

miento más preciso y directo del pensamiento

de los sectores sociales potencialmente afec-

tados con las obras de explotación de recursos

y otras actividades de previsible impacto sobre

el ambiente y la vida de los pobladores de las

áreas donde van a realizarse” (ROLDÁN,

2004:135). Hierbei wird nicht zwischen Indige-

nen und Nicht-Indigenen unterschieden.

Im Gesetz über “Comunidades Campesinas”

ist festgelegt, dass der Staat die Gemein-

schaften und Dörfer, die die Bodenschätze

(wiederum mit Ausnahme von Erdöl) auf ihrem

eigenen Territorium ausbeuten wollen, unter-

stützten muss. Außerdem haben indigene wie

nicht- indigene Gemeinschaften das Recht, vor

Beginn der Aktivitäten, Kompensationsver-

handlungen über zu erwartende Schäden mit

den Unternehmen zu führen. Allerdings fehlt es

an entsprechenden Umsetzungsbestimmun-

gen.

Venezuela

Bergbau- und Erdölgesetzgebung

Nicht-erneuerbare Rohstoffe sind Besitz der

Republik, es sind laut Verfassung von 1999

Werte im öffentlichen Eigentum und als solche

unveräußerbar und nicht übertragbar.

In Venezuela wurde am 13.11.2001 ein neues

Erdölgesetz21 verabschiedet, das seit Anfang

2002 in Kraft ist. In diesem Gesetz wird die

staatliche Dominanz im Erdölsektor festge-

schrieben. Wenn Erdölaktivitäten im Bereich

Förderung, Transport und Raffinerie nur von

Unternehmen oder von Konsortien durchge-

21 Für die Gasförderung wurde analog ebenfalls ein Gesetz beschlossen.

führt werden können, erhält der Staat eine

Beteiligung von über 50%.

Darüberhinaus legt das Gesetz die Höhe des

Förderzins (Royality) fest, den die Unterneh-

men an den Staat zahlen müssen. Er liegt bei

30% des geförderten Volumens, das heißt, der

Staat erhält 30% des geförderten Erdöls.22

Die zuständige staatliche Institution ist das

Ministerium für Energie und Bergbau. Zwar ist

das Ministerium laut Gesetz für die Politik und

Planung des Staates im Erdölsektor zuständig

und soll die Kontrolle über die Erdölaktivitäten

und die Steuern ausüben, de facto wird der

Erdölsektor in Venezuela aber durch den staa-

tlichen Konzern Petroleos de Venezuela S.A.

(PdVSA) kontrolliert. PdVSA finanziert den

größten Teil des Staatshaushaltes und gehört

zu den zehn größten Erdölkonzernen weltweit.

Mit über 40 000 Angestellten und Arbeitern in

Venezuela ist PdVSA fast ein “Staat im Staat“.

Rechte indigener Völker

Venezuela stellt in der Verfassung (1999) klar,

dass Aktivitäten wie die Nutzung natürlicher

Ressourcen auf indigenen Gebieten23 nur

durchgeführt werden können, wenn die so-

ziale, ökonomische und kulturelle Integrität der

Gemeinschaften nicht verletzt wird und sie

frühzeitig informiert und konsultiert werden.

Allerdings fehlt es in Venezuela an Umset-

zungsbestimmungen. Bestimmungen zur

Durchführung der Konsultationen befinden sich

zur Zeit in der Diskussion.

Schlußbetrachtung

Die Betrachtung der rechtlichen Situation in

den Ländern zeigt, dass sich zumindest formal

die Rechtsgrundlagen für indigene Völker in

den letzten zehn Jahren entscheidend verbes-

sert haben. Der entscheidende qualitative

Schritt war die Ratifizierung der ILO-Konven-

tion 169 durch die Länder. Damit waren die

22 Wenn das Öl nur sehr schwer aufzuarbeiten ist wie im Fall des Schweröls im Orinoco Becken, kann dieser Anteil auf 20% sinken. 23 In Venezuela wird für indigene Territorien der Begriff “Habitat“ gewählt, der in anderen lateiname-rikanischen Ländern eher unüblich ist.

Page 120: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

114

Regierungen verpflichtet, die Vorgaben der

Konvention zum Konsultations- und Partizipa-

tionsrecht und das Recht auf Entschädigungen

bei allen Vorhaben, die indigenes Territorium

betreffen, in nationales Recht umzusetzen. Die

Länder haben in den letzten zwei bis drei Jah-

ren begonnen diese Vorgaben durch Gesetze

zu konkretisieren. Peru, Ecuador und Kolum-

bien haben bereits entsprechende Umset-

zungsbestimmungen erlassen.

Foto: Erdölfirma im Amazonasgebiet Ecuadors, Provinz Napo (S. REINHARDT)

Allerdings wird von indigener Seite die unzu-

reichende Information über geplante Vorhaben

und der fehlende Zugang zu den Entschei-

dungsebenen beklagt. Es fehlt nach wie vor an

klaren Regelungen für ein partizipatives, recht-

lich abgesichertes Monitoringsystem der Akti-

vitäten und über Mechanismen der Konfliktlö-

sung sowie der Kompensations- und Entschä-

digungszahlungen. In den Gesetzen zur Kon-

sultation sind Verträge oder andere Überein-

künfte zwischen Unternehmen, und Indigenen

oder Unternehmen, Staat und Indigenen nur

auf freiwilliger Ebene vorgesehen. Dies dient in

erster Linie den Unternehmen. Zu einer wirkli-

chen Partizipation, die auf dem Recht der Par-

tizipation auf der Entscheidungsebene basiert,

ist es noch ein weiter Weg. Es ist daher wich-

tig, die bestehenden Ansätze zur Partizipation

weiter zu entwickeln.

5. Ansätze der EZ

Der Extractive Industry Review Prozess der Weltbank

Aufgrund der massiven Kritik vieler NRO an

der Politik der Weltbankgruppe (WBG) bei

Erdöl-, Erdgas- und Bergbauvorhaben (extrak-

tive Industrie) und einer internen Evaluation,

leitete der Weltbankpräsident Wolfensohn

einen Prozess zur Revision der Weltbankpolitik

im Bergbau, Erdöl- und Erdgassektor ein. Der

Extractive Industry Review (EIR) wurde in ei-

nem zweijährigen Konsultationsprozess (2001-

2003), der Vertreter der Weltbankgruppe, der

Regierungen, der Industrie, der Gewerkschaf-

ten, Vertreter indigener Völker und Nichtregie-

rungsorganisationen einschloss, erstellt.

Das Ziel der EIR war die Untersuchung des

Weltbankengagements im Erdöl-, Erdgas- und

Bergbausektor, wobei die projektspezifischen

Page 121: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

115

Investitionen und die länderbezogenen Kredit-

programme einbezogen wurden. Auf dieser

Grundlage sollten Empfehlungen für die Welt-

bankgruppe erarbeitet werden, um ihre Arbeit

in diesem Sektor mit dem Anspruch der Ar-

mutsminderung durch nachhaltige Entwicklung

in Übereinstimmung zu bringen.

Der Abschlussbericht beurteilt das bisherige

Engagement der Weltbank im extraktiven Sek-

tor sehr kritisch: Das Weltbankengagement hat

in diesem Sektor weder zur Armutsminderung

noch zur nachhaltigen Entwicklung bei-

getragen. Bereits zuvor hatte eine weltbankin-

terne Evaluation der Arbeit im extraktiven Be-

reich gravierende Probleme in der Integration

des extraktiven Sektors in die Armutsbekämp-

fung festgestellt. Der Abschlussbericht emp-

fiehlt daher der Weltbank, im Erdöl-, Erdgas-

und Bergbausektor “to promote pro-poor public

and corporate governance.“ Dabei sollte der

Schwerpunkt auf Transparenz, gute Regie-

rungsführung und nachhaltiger Regionalent-

wicklung liegen.24 Für die Weltbank und auch

gleichzeitig für die Geberländer ist der EIR

Prozess und der Abschlussbericht eine Her-

ausforderung, ihre Investitions- und Projektpo-

litik bei Erdöl- und Bergbauvorhaben grundle-

gend zu überdenken.

Interamerikanische Entwicklungsbank

Die Interamerikanische Entwicklungsbank

(IDB) hat eine eigene Kreditlinie in Anlehnung

an den EAP Prozess (siehe Kap.3.4) aufge-

legt. Mit diesen Krediten, die zu günstigen

Konditionen vergeben werden, sollen die Staa-

ten animiert werden, in die “Nachhaltigkeit“ von

Erdölaktivitäten zu investieren.

Außerdem fördert die IDB mit einem Kredit in

Höhe von 50 Mio. US $ den Aufbau von

AMAZON GAS. AMAZON GAS ist ein Unter-

nehmen der CONFENIAE, der Konföderation

der indigenen Organisation im ecuadoriani-

schen Amazonasbecken, die von Petroecua-

dor das Recht erhalten haben, das Erdgas,

das bei der Erdölproduktion anfällt, kommer-

24 Angesichts knapper Mittel wird der Weltbank im Abschlussbericht empfohlen, bis 2008 aus Investiti-onen im Bereich fossiler Energieträger auszusteigen und dafür in regenerative Energie zu investieren.

ziell zu nutzen. Die CONFENIAE wird dabei

von der kanadischen Entwicklungszusammen-

arbeit unterstützt, die auch die Kontakte zu

kanadischen indigenen Unternehmen herstell-

ten, die bereits über Erfahrungen im Gasge-

schäft verfügen. Das Unternehmen AMAZON

GAS war und ist innerhalb der Mitgliedsorgani-

sationen der CONFENIAE umstritten, so ha-

ben sich bereits mehrere indigene Föderatio-

nen gegen das Unternehmen ausgesprochen.

AMAZON GAS befindet sich noch im Aufbau,

so dass keine Aussagen über die ökonomi-

schen und sozialen Auswirkungen des Pro-

jektes gemacht werden können. Die

CONFENIAE erhofft sich von AMAZON GAS

die finanzielle Eigenständigkeit und Unabhän-

gigkeit von anderen Geldgebern. Ob diese

Hoffnung erfüllt wird, ist offen. Auf jeden Fall

wird AMAZON GAS große Auswirkungen auf

die Entwicklung und Politik der CONFENIAE

haben. Zum einen bricht AMAZON GAS mit

dem Schema, dass indigene Wirtschaftsunter-

nehmen entweder im Agrarsektor, im Kunst-

handwerk oder im Tourismus liegen müssen,

und das Vorhaben wird die CONFENIAE vor

große Managementaufgaben stellen. Scheitert

dieses Projekt wird die CONFENIAE hoch

verschuldet sein. Zum anderen kann vermutet

werden, dass der Einstieg in das Erdgasge-

schäft nicht ohne Auswirkungen auf die politi-

sche Haltung der CONFENIAE gegenüber der

Erdöl- und Erdgasförderung bleiben wird.

Ansätze der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit

Nicht-erneuerbare Ressourcen sind bisher

kaum Thema in der deutschen Entwicklungs-

zusammenarbeit. Einige Projekte der deut-

schen EZ im Bereich Nutzung nicht-erneuerba-

rer Rohstoffe werden von der Bundesanstalt

für Geowissenschaften und Rohstoffe in Han-

nover durchgeführt und beziehen sich meist

auf die Verbesserung des Umweltmanage-

ments, so zum Beispiel das Projekt zur Einfüh-

rung der ISO 14001 (Umweltmanagement) im

Bergbausektor Perus.

Allerdings gibt es im Amazonasbecken meh-

rere interessante Projekte und Programme der

deutschen EZ im Bereich Konfliktprävention

Page 122: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

116

und Unterstützung von Dialogansätzen (In-

WEnt, GTZ, DED). Die GTZ setzt an der Stär-

kung der indigenen Organisationen an und

fördert sowohl den Zusammenschluss der

indigenen Organisationen des Amazonasbe-

ckens COICA als auch die Organisationen der

Tieflandindianer Perus, vor allem AIDESEP (zu

Landrechten und Projekten zur Landdemarkie-

rung siehe RATHGEBER in diesem Band).

InWEnt unterstützt durch Capacity Building seit

1996 die indigenen Organisationen in Peru,

Ecuador, Bolivien, Venezuela und Kolumbien

sowie die COICA in ihren Dialog- und Ver-

handlungsprozessen mit dem Staat und der

Erdölindustrie. Im Rahmen des Erdöldialogs

“Energía, Ambiente, Población“ hat InWEnt ein

Training zum Dialog mit allen drei beteiligten

Interessengruppen durchgeführt.

6. Schlussfolgerungen und Empfehlungen

In der Auseinandersetzung um die Nutzung

nicht-erneuerbarer natürlicher Ressourcen

steht das Verhältnis indigene Völker, Staat und

Unternehmen im Zentrum. Es sind vor allem

vier Themenkomplexe, die der Debatte und

Regelung bedürfen:

1. Konsultation und Partizipation vor, wäh-

rend und nach Beendigung der Förderakti-

vitäten von Bodenschätzen

2. Überwachung der Förderaktivitäten und

Einhaltung der Managementpläne, Ent-

wicklung von partizipativen Monitoring-

systemen

3. Faire Entschädigungs- und

Kompensationszahlungen

4. Die Entwicklung von wirtschaftlichen Alter-

nativen zu Erdöl-, Erdgas- und Bergbau-

projekten, die indigene Ansätze von Wirt-

schaft ernst nehmen und Ansätze für eine

nachhaltige Regionalentwicklung bieten.

Darüber hinaus geht die Forderung der Indige-

nen nach Selbstbestimmung ihrer Entwicklung

und das Recht, die Nutzung nicht-erneuerbarer

Rohstoffe auf ihren Territorien verweigern zu

dürfen. Dieses Recht wird ihnen in keiner Ver-

fassung zugestanden, da das postulierte nati-

onale Interesse den Interessen indigener Völ-

ker übergeordnet wird. Wollen indigene Völker

und ihre Organisationen die Förderung von

Erdöl oder Bergbau auf ihren Territorien ver-

hindern, bleibt ihnen nur die offene Auseinan-

dersetzung mit dem Staat und den Unterneh-

men, wie im Fall der U’wa25 in Kolumbien.

Für die vier oben genannten Themenkomplexe

haben sich in den letzten Jahren die rechtli-

chen Rahmenbedingungen verbessert. Die

indigenen Organisationen haben ihre Forde-

rungen an Staat und Unternehmen konkreti-

siert, die staatlichen Institutionen beginnen vor

Ort in den betroffenen Gebieten präsent zu

sein, und eine aktive Rolle in Dialog- und Ver-

handlungsprozessen zu spielen, und zumin-

dest einige Unternehmen stellen sich der De-

batte um ihre soziale Unternehmensverant-

wortung. Da sich aber Dialog- und Verhand-

lungsprozesse nach wie vor in einem Rahmen

bewegen, der vom Staat und den Unterneh-

men festgelegt wird, sind die indigenen Völker

eindeutig im Nachteil. Sie bestimmen nicht die

“Regeln des Spiels“.

Zur Verbesserung der Verhandlungsposition

und der Artikulation von Forderungen und Ge-

genvorschlägen im Bergbau- und Erdölsektor

gehört wesentlich die Stärkung der indigenen

Organisationen und die Ausbildung neuer Füh-

rungspersönlichkeiten. Die Entwicklungszu-

sammenarbeit kann durch Fortbildung über die

Rechte indigener Völker, über die Ökonomie

von Bergbau und Erdöl, die Ausbildung im

Monitoring von sozialen und Umweltschäden,

indigene Völker in ihren Dialog- und Verhand-

lungspositionen stärken.

Aber die Entwicklungszusammenarbeit sollte

sich nicht nur auf Qualifizierungsmaßnahmen

beschränken. Immer häufiger werden soge-

nannten Entwicklungsfonds für die regionale

Entwicklung von Gebieten, die von Erdöl- und

25 Die U’wa haben einerseits sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausge-schöpft andererseits offenen Widerstand gegen die Erdölförderung geleistet, bis hin zu der Drohung kollektiven Selbstmord zu begehen. Die Erdölfirma Occidental hat sich mittlerweile aus dem Vorhaben zurückgezogen und die Erdölarbeiten sind ausge-setzt. Eigentümer der Konzession ist jetzt Ecopetrol und es ist noch nicht entschieden, was langfristig passieren wird.

Page 123: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Bodenschätze auf indigenem Land

117

Bergbauaktivitäten betroffen sind, eingerichtet.

Hier könnte die EZ unterstützend in der Erar-

beitung von Konzepten für die Umsetzung und

Handhabung solcher Fonds und für eine nach-

haltige Regionalentwicklung tätig werden.

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Energy Information Administration der US Re-

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Privater Informationsdienst Alexander’s Gas

and Oil Connections, Niederlande:

www.gasandoil.com

Page 124: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

118

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

DR. MATTHIAS ABRAM

“Die Sprache ist die Stimme unserer Vorfahren seit dem Beginn der Zeit. Unsere Sprachen zu

bewahren, zu sichern und zu entwickeln ist äußerst dringend. Die Sprache ist Teil der Seele

unserer Nationen und unseres Seins. Sie ist der Weg in die Zukunft.“

Erklärung von Kimberly, Gipfel der indigenen Völker, Südafrika, August 2002 (Übersetzung

M. ABRAM).

In den letzten beiden Jahrzehnten haben nicht

nur die indigenen sondern auch die nicht-indi-

genen Lateinamerikaner verstanden, dass sie

in multilingualen und multikulturellen Gesell-

schaften leben: Diese Wirklichkeit wird nun

auch von den meisten Verfassungen aner-

kannt. Im täglichen Leben ist der Weg zu einer

mehrsprachigen, interkulturellen, demokrati-

schen Gesellschaft mit gleichen Rechten und

gleichen Chancen für alle aber noch weit. Ihr

Funktionieren und ihre Nützlichkeit werden in

zunehmendem Maße in ländlichen Zentren

und Vorstadtsiedlungen erprobt, überall dort,

wo Mestizen und indigene Bürger zusammen-

leben. Dabei wird allen Beteiligten deutlich,

dass der Aufbau dieser multikulturellen, demo-

kratischen Gesellschaft mit großen Schwierig-

keiten verbunden ist. Bildung allgemein und

insbesondere Schulbildung können einen

entscheidenden Beitrag dazu leisten.

Die indigenen Bürger Lateinamerikas gehören

überproportional zu den Armen: ein Grund

dafür ist unter anderem der geringere Zugang

zu Bildung und Ausbildung. Weil indigene Kin-

der und Jugendliche nur wenige Bildungsan-

gebote in der eigenen Sprache erhalten, kön-

nen sie von den bestehenden Schulen oft nur

unzureichend profitieren, sie brechen sie vor-

zeitig ab und haben nur geringe zusätzliche

Kompetenzen erworben.

“Alle stimmen überein, dass die wirksamste

Einzelmaßnahme für Entwicklung und Armuts-

bekämpfung die Bildung ist“ sagte Wolfensohn,

Präsident der Weltbank. Die von den UN

aufgestellten und bis 2015 zu erreichenden

acht Millennium Entwicklungsziele schließen

an zweiter Stelle “Grundbildung für alle“ ein:

bis zu diesem Jahr sollen alle Jungen und

Mädchen auf der Welt eine Primarschulbildung

vollständig abschließen können. In dem “Be-

richt über die menschliche Entwicklung 2003“

der Vereinten Nationen werden dazu drei

große Problemfelder benannt:

Unzureichende finanzielle Mittel: Die

Entwicklungsländer geben im Vergleich zu

den OECD Ländern wesentlich weniger für

Bildung aus. Das heißt in Prozenten des

Bruttosozialproduktes ausgedrückt: Gua-

temala ca. 2%, Ecuador 1,6% und Peru

3,3%; die EU verausgabt im Schnitt 5% für

Bildung. Auch die Hilfe der Geberländer im

Bildungsbereich ist in der letzten Dekade

um etwa 30% zurückgegangen und betrug

im Jahre 2000 4,1 Mrd. US$. Nur 1,5 Mrd.

waren weltweit für Grundbildung bestimmt

(UNDP, 2003:115).

Ungleichheit: Die Reichen in den Entwick-

lungsländern sichern sich den Zugang zu

den besten Erziehungseinrichtungen des

Staates und unterhalten ein paralleles pri-

vates, mit öffentlichen Mitteln subventio-

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Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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niertes Schulsystem. Die ärmsten 20% der

Bevölkerung haben einen unzureichenden

Zugang zur Grundschule. Signifikant weni-

ger Mädchen als Jungen können die

Grundschule besuchen. Länder, die annä-

hernd 100% Einschulung erreicht haben

(Chile, Kolumbien, Costa Rica), geben

durchschnittlich 1,7% des BIP für Grund-

bildung aus.

Ineffizienz: Der größte Teil der Mittel

(meist über 90%) des Erziehungshaus-

haltes wird für Lehrergehälter verausgabt.1

Für Investitionen in die Verbesserung der

Qualität des Unterrichts bleiben kaum Mit-

tel übrig. Die hohen Wiederholungsraten

verteuern das System. Kinder in ihrer ei-

genen Sprache zu unterrichten, verbessert

hingegen die Bildungsergebnisse weltweit

(Bericht über die menschliche Entwicklung

2003, UNDP, 2003).

Im Folgenden scheint es sinnvoll den gesam-

ten Komplex “Indigene Völker, Bildung und

Kultur“ in diesem Kapitel anhand der interkultu-

rellen, zweisprachigen Erziehung (IZE), an

deren Konzipierung und Verbreitung insbeson-

dere die deutsche Entwicklungszusammenar-

beit seit über 25 Jahren beteiligt ist, beispiel-

haft darzustellen.

Foto: Grundschule in Guatemala (A. BEGEMANN)

Es soll die Entstehung der IZE im Kontext der

formalen Bildung, zu der indigene Schü-

ler/innen und Student/innen Zugang hatten,

nachgezeichnet werden. Es wird auf die ver-

1 SCHIEFELBEIN weist nach, dass eine Erhöhung der Lehrergehälter keine Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts hat (SCHIEFELBEIN in: NAVARRO ET

AL., 2000:317ff)

schiedenen Modelle eingegangen und der

schwierige Dialog zwischen den indigenen Or-

ganisationen und den Staaten beleuchtet.

Vor dem Hintergrund der einsprachigen und

monokulturellen Ausbildungs- und Lernange-

bote werden Stärken und Schwächen des IZE

Modells aufgezeigt und aus den gewonnenen

Erfahrungen einige Empfehlungen abgeleitet.

1. Zugang der indigenen Völker Latein-amerikas zu Bildung und Ausbildung

In den ersten Jahrzehnten der Kolonialzeit

(etwa 1530 bis 1600), als die Kolonialverwal-

tungen noch auf die Kollaboration der indige-

nen Adeligen angewiesen waren, die als ein-

zige genaue Kenntnisse über die komplizierte

Verwaltung der besiegten Reiche der Azteken

und Inkas bewahrten, durften deren Kinder mit

den Kindern der Konquistadoren zur Schule

gehen. In einigen Hauptstädten wurden gar

eigene Schulen eingerichtet, so in Cuzco das

Colegio de Caziques und in Mexiko eine Art

höhere Schule für indigene Adelige, die bis ins

17. Jahrhundert hinein bestanden. Für die

große Mehrheit der indigenen Kinder aber gab

es unter kolonialen Bedingungen keinerlei

Zugang zu Schule und formaler Bildung. In den

Anden ist die öffentliche Schule erst mit der

Unabhängigkeit eingeführt worden, zunächst

meist nur für Jungen und nur in den Haupt-

städten und größeren Zentren; auf dem Lande

fand der einzige Unterricht als religiöse Unter-

weisung in den Pfarreien statt. Die wenigen

Mädchenschulen waren fest in der Hand

religiöser Frauenorden.

Den indigenen Jugendlichen blieb als Ersatz

für Schule und formale Bildung neben Kate-

chismus und Predigt anlässlich religiöser Feste

die Unterweisung durch ihre Gemeinschaft,

durch die Ältesten und durch besonders ange-

sehene Persönlichkeiten ihres Volkes.

Schon während der frühen Kolonialzeit hatten

sich die Mönche auf die moralische und religi-

öse Gewinnung der indigenen Gemeinschaften

konzentriert und zahlreiche Grammatiken,

Wörterbücher (Artes de la Lengua), aber vor

allem Beichtspiegel in den indigenen Sprachen

erstellt. Wenn die Predigten nicht in indigener

Sprache stattfanden, gab es immer einen Jun-

Page 126: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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gen, der übersetzte. Die Sätze des Katechis-

mus, die 10 Gebote und andere Texte wurden

so lange in Spanisch wiederholt, bis sie von

allen auswendig wiederholt werden konnten.

Begabte Jungen wurden von Pfarrern zu

Schreibern ausgebildet, manche Missionsstati-

onen richteten Schulen ein. Die Quellen für

den Aufstand in den Zentralanden von 1780/

81 unter Führung von Túpac Amarú2, lassen

erkennen, dass nicht wenige der Anführer des

Lesens und Schreibens mächtig waren.

Einige Mönchsorden waren dabei demokrati-

scher als andere. Die Franziskaner hatten von

Beginn an (die ersten 12 Mönche kamen 1524

nach Mexiko) Wert darauf gelegt, die indige-

nen Gemeinschaften in ihrer eigenen Sprache

zu unterweisen. Bernardo de Sahagún hatte

um die Mitte des 16. Jahrhundert in Mexiko

eine Schreibakademie eingerichtet und begon-

nen, das gesamte Wissen des aztekischen

Reiches in einem zweisprachigen, illustrierten

Werk aufzuzeichnen (Codex Florentinus). Da-

für hat er die jungen Adeligen ausführlich un-

terrichtet und ethnologisch vorgebildet, damit

sie in der Lage waren, das Wissen ihrer Vor-

fahren zu erheben und zu erzählen.

In den Städten gab es zudem Ausbildungs-

möglichkeiten zum Handwerker und Kunst-

handwerker. In Mexiko, Guatemala, Quito,

Lima und Cuzco gab es blühende Malschulen

und Bildhauerwerkstätten, die den Bedarf für

Kirchen und Hauskapellen auf dem ganzen

Kontinent deckten. Viele dieser Künstler und

Kunsthandwerker waren indigener Herkunft.

Die Ausbildung erfolgte im Meister – Schüler

Verhältnis. Die meisten indigenen Kunsthand-

werker blieben anonym.

Im Amazonastiefland, außerhalb der ehemali-

gen großen indigenen Reiche, war (und ist

zum Teil bis heute) Schule und Ausbildung an

die Mission gebunden. Es waren die Missio-

nare, die vereinzelt Schulen einrichteten, wie

die Jesuiten in Maynas (Nord-Peru), in Para-

2 José Gabriel Condorcanqui, ein reicher Kaufmann adeliger indigener Abstammung, nahm den Namen des letzten Inka an und führte die Völker der Zent-ralanden in einem Aufstand gegen die spanische Kolonialverwaltung (Belagerung Cuzcos 1781). Er wurde verraten und in Cuzco hingerichtet.

guay und im bolivianischen Tiefland oder die

Franziskaner und Dominikaner in den Llanos

Kolumbiens. Im 20. Jahrhundert haben sich die

Missionsschulen allgemein eingebürgert; ge-

gen Mitte des vergangenen Jahrhunderts wur-

den die ersten Mittelschulen und Lehrerausbil-

dungsseminare eröffnet. Viele der praktischen

und arbeitsweltbezogenen Ausbildungsange-

bote sind den Salesianern zu verdanken, die

seit hundert Jahren in allen Ländern des Sub-

kontinents Berufsschulen unterhalten und eine

beachtliche Anzahl von Fachkräften ausgebil-

det haben, nicht zuletzt in graphischen Berufen

(Druckerei).

Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Ab-

schaffung der Sklaverei und nach den Massa-

kern der Kautschukbarone (Casa Arana im

Amazonas), kam im Zuge der zögernden

Industrialisierung allmählich die Nachfrage

nach qualifizierter Arbeitskraft auf. Diese

Nachfrage förderte die Eröffnung von Schulen

für die indigene Bevölkerung. Einige Regie-

rungen (unter García Moreno in Ecuador und

Balmaceda in Chile beispielsweise) riefen auch

Lehrerseminare für indigene Lehrkräfte ins

Leben, zunächst mit der Idee, die Kinder in

ihrer Muttersprache zu unterrichten.

Es setzten sich aber die “Fortschrittsgläubigen“

und “Modernisierer“ durch, die verlangten,

dass die indigenen Völker Spanisch lernen

sollten, um sich zu “zivilisieren“ und hierfür

ausschließlich in Spanisch zu unterrichten

seien. Diese Forderungen gewannen immer

mehr Anhänger und entwickelten sich inner-

halb der herrschenden sozialen Ausgrenzung

zum Kern der Politik der Mestizen gegenüber

den indigenen Völkern, bis weit in die zweite

Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein.

Die Skepsis und der Widerstand vieler indige-

ner Gemeinschaften und Organisationen ge-

genüber der staatlichen Schule sind bis heute

nicht vollständig ausgeräumt. Aber schon früh

im 20. Jahrhundert forderten viele indigene

Vertreter, Schulen auch in ihren Dörfern zu

eröffnen, da sie erkannt hatten, dass die

Schule ein möglicher Weg aus der Armut und

der Diskriminierung sein könnte. So gab es in

den 20er Jahren des vergangenen Jahrhun-

derts in den Anden Perus einen Aufstand zur

Page 127: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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Verteidigung der von den Adventisten einge-

führten zweisprachigen Schulen und in Ecua-

dor und Guatemala noch in den 60er Jahren

auf dem Lande Mobilisierungen der indigenen

Bevölkerung, um Schulen für ihre Landge-

meinden zu erwirken.

Es gibt aber bis heute keinen Konsens dar-

über, ob die staatliche Grundschule, wie sie in

den meisten Ländern Lateinamerikas üblich ist,

der beste Weg für die indigenen Völker ist, Bil-

dung zu erwerben und gleichzeitig ihre Kultur

und Sprache zu bewahren und zu entwickeln.

Für diese Schule, insbesondere wenn sie in-

terkulturelle zweisprachige Erziehung (IZE)

anbietet, sprechen allerdings eine Reihe von

Gründen:

Die Elterngeneration sieht sich nicht mehr

in der Lage, die gesamte Tradition zu ver-

mitteln. Die Informationsmöglichkeiten sind

enorm gewachsen und die indigenen Kin-

der sind einer ganzen Reihe von Einflüs-

sen und Gesellschaftsmodellen ausge-

setzt, was früher so nicht der Fall war. Kin-

der und Jugendliche übernehmen die Tra-

dition nicht mehr en bloc und nicht hinter-

fragt. Die Schule kann in diesem Prozess

neben den Eltern und der Gemeinschaft

eine Rolle als Vermittlerin der Traditionen

spielen.

Die Schule bietet zudem die Möglichkeit,

die Überlieferungen zu bearbeiten und zu

erklären.

In der Schule ist die systematische Unter-

richtung in der indigenen Sprache möglich,

so dass sie nicht nur Umgangssprache

bleibt und sich der Schrift öffnet. Die

Verschriftlichung ist eine der Vorausset-

zungen für den Erhalt der indigenen Spra-

chen neben der dominanten Sprache.

Die Sprache hat eine grundlegende Be-

deutung in der Bewahrung und Vermittlung

der Kultur, der Weisheit, Kenntnisse und

Geschichte indigener Völker. Aber auch in

der Reproduktion dieses Wissens für die

neue Generation ist die indigene Sprache

unerlässlich. Der Verlust der Sprache be-

deutet auch einen Verlust von Wissen, von

Tradition und von Werten. Die Schule kann

zum Erhalt und zur Entwicklung der Kultur

und der Sprache beitragen.

Darüber hinaus bietet die Schule, insbe-

sondere die Grundschule mit IZE eine an-

gemessene Vermittlung von Grundtechni-

ken (Lesen, Schreiben, Rechnen) und In-

formationen über die Gesamtgesellschaft,

führt die Nationalsprache des Landes

(spanisch bzw. portugiesisch) ein. Sie ist

damit eine der wesentlichen Vorausset-

zungen für indigene Völker Ausgrenzung

und Diskriminierung zu überwinden.

Schließlich kann die Schule, vor allem

wenn sie interkulturell gestaltet ist, dazu

beitragen, Aufbauarbeit für die multikultu-

relle und multilinguale Gesellschaft zu leis-

ten.

2. Die Situation heute

Das Panorama ist positiver als noch vor 20

Jahren.3 Der Zugang zu Schule und Ausbil-

dung hat sich auch für indigene Jugendliche

sehr erweitert, allerdings bleibt ihre Bildungs-

beteiligung immer noch hinter der der Mestizen

zurück und ist in den Städten deutlich höher

als in ländlichen Regionen. IZE gibt es als

anerkannte Modalität der Grundbildung in allen

Ländern, wenn auch nicht flächendeckend und

nicht immer als integrierten Bestandteil des

Schulsystems. In seltenen Fällen funktioniert

die IZE als autonomes (Kolumbien) oder

paralleles System (Ecuador). Weiterführende

Schulen werden mehr und mehr als Folge der

Nachfrage der Abgänger/innen der Grundbil-

dung aufgebaut und in einzelnen Fällen führt

IZE bis zum Abitur.

Die berufliche Aus- und Weiterbildung für

indigene Fachkräfte mit speziell interkulturel-

lem oder zweisprachigem Curriculum ist noch

spärlich. Vereinzelt bieten indigene Organisati-

onen Lehrgänge an, oft in Zusammenarbeit mit

NRO. Im Auftrag des BMZ unterstützt die GTZ

in Quito einen Ausbildungsgang für die Hand-

habung ökologischer Ressourcen. In Ecuador,

3 http://topics.developmentgateway.org/ik bringt wöchentlich Nachrichten zu Bildung und Kultur der indigenen Völker Lateinamerikas. Unter anderem gibt es Nachrichten bei www.quechuanetwork.org und in den Websites der Weltbank und der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank.

Page 128: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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Guatemala, Panama und Costa Rica gibt es

Angebote nonformaler Ausbildung für Fach-

kräfte im Öko-Tourismus in indigenen Territo-

rien, v.a. im Tiefland. Diese Art von Ausbildung

nimmt mit der Schaffung von Naturparks und

dem von indigenen Gemeinden aufgebauten

Ökotourismus zu. Innerhalb des Kunsthand-

werks haben vor allem NRO Frauengenossen-

schaften ins Leben gerufen, in denen auch

Ausbildung in Verwaltung, Vermarktung und

Geschäftsführung in indigenen Sprachen

stattfindet.

In einigen Ländern Mittel- und Südamerikas ist

die Sekundarschulbildung für indigene

Jugendliche noch oft in den Händen der Kirche

(Guatemala 72%). Es sind kirchliche Institute,

die in vielen Ländern Ausbildungsgänge für

indigene Mädchen (Haushaltsschulen, soziale

Berufe, Lehrerinnenausbildung) und Jungen

(Handwerk, Kunsthandwerk, technische Be-

rufe, Landwirtschaft) anbieten. Dadurch bleibt

der Einfluss der Kirche auf die indigenen Eliten

weiterhin groß. In Guatemala bestehen alter-

nativ dazu auch ca. 20 Sekundarschulen der

Mayaorganisation ACEM mit Bildungsange-

boten in IZE mit berufsorientiertem Abschluss,

vor allem in der Ausbildung von Primarschul-

lehrer/innen.

Ein weiteres Bildungsangebot, das sich schon

seit Jahrzehnten immer wieder an die ländliche

Bevölkerung und insbesondere an die indigene

Bevölkerung richtet, ist die Alphabetisierung

von Erwachsenen. Dabei wird zweisprachiges

Lernen besonders in der Alphabetisierung von

Bauersfrauen erprobt. In der Auseinanderset-

zung um die ursprünglich nur in spanisch

konzipierte Alphabetisierungskampagne der

Sandinisten an der Atlantikküste von Nicara-

gua, konnten sich die Misquitos 1981/ 82 mit

ihrer Forderung, in ihrer Sprache unterrichtet

zu werden, durchsetzen. Viele andere Alpha-

betisierungskampagnen hatten zweisprachige

Komponenten, so in Bolivien (SENALEP), in

Ecuador und in Guatemala. In diesem letzten

Land wurde 1999 mit Unterstützung von

CEPAL eine “Bialphabetisierung“ unter der

Mayabevölkerung erprobt. Diese Kampagnen

folgten in verschiedener Intensität den Lehren

des brasilianischen Befreiungspädagogen

Paolo Freire von einer emanzipatorischen

Bildung. Sie hatten oft eine praktische Seite

und versuchten, die Frauen (und die weniger

zahlreichen Männer) zur Bildung von Genos-

senschaften, Arbeitsgemeinschaften und

Zusammenschlüssen für produktive Unter-

nehmungen zu animieren. Wie in der Grund-

schule, ging man bei der eigentlichen Alpha-

betisierung zunächst von der Muttersprache

aus und präsentierte dann zu den bekannten

und zentralen indigenen Begriffen (“palabras

generadoras“) die Übersetzung ins Spanische

und das geschriebene Wort. Nicht alle Kam-

pagnen waren mit Erfolg gekrönt und die Kritik

an den massiven, oft generalstabsmäßig

organisierten Aktionen ist nicht ausgeblieben.

Vereinzelt hat es auch weniger spektakuläre

Alphabetisierungen in Selbsthilfeorganisation

gegeben, wobei die indigenen Organisationen

meist indigene Lehrer und Schüler verpflichte-

ten. Leider fehlt es an geeignetem Lesestoff für

Neuleser, insbesondere in indigenen Sprachen

und auf dem Lande, so dass erreichte Lerner-

folge nicht dauerhaft gesichert werden können.

Bis vor kurzem waren die überdurchschnittlich

hohen Schulabbrecherraten unter der ländli-

chen indigenen Bevölkerung in der gesamten

Region einer der Gründe, warum ein leicht zu

vermeidender, sekundärer Analphabetismus

nicht zurückging. Die Situation bessert sich in

den einzelnen Ländern unterschiedlich schnell

und ist abhängig von der noch unzureichenden

Qualität der Grundbildung.

Die Lehrerausbildung wird dort, wo IZE zum

Bestandteil des Bildungssystems geworden ist,

als zweisprachige und interkulturelle Vorbe-

reitung auf das Lehramt organisiert und immer

mehr universitäre Lehrgänge werden einge-

richtet, die mit diesem Schwerpunkt arbeiten.

So gab es beispielsweise 2003 in Brasilien 28

Kurse zur Lehrerfortbildung, in 15 Bundes-

staaten und in 20 verschiedenen indigenen

Sprachen.4 In den letzten Jahren entstanden

mehr und mehr Lehrerseminare mit dem Fokus

IZE, um den Bedarf an Lehrkräften für IZE zu

decken, insbesondere in Ländern mit einem

hohen Anteil indigener Völker und Sprecher

4 SUSANA GRILLO GUIMARAES, 4. Juni 2003, briefliche Mitteilung

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Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

123

indigener Sprachen, wie Bolivien, Ecuador und

Guatemala. Dabei werden vielfach die Fehler

der Vergangenheit korrigiert und dieser Ausbil-

dung ein zweisprachiges und interkulturelles

Curriculum zu Grunde gelegt. Allerdings sind

die Erfolge der Lehrerausbildung in IZE noch

nicht überzeugend. Hierin liegt eine wesentli-

che Ursache für die mangelnde Qualität der

Grundbildung.

In mehreren Ländern wird über Projekte zur

Schaffung von indigenen Universitäten5

beraten, so in Guatemala die Universidad

Maya und in Ecuador die Universidad In-

dígena, die bereits ihre Tätigkeit aufgenommen

hat. Der Fondo Indígena bereitet mit Unterstüt-

zung der Interamerikanischen Entwicklungs-

bank BID und der deutschen EZ eine interkul-

turelle Universität vor, die eine Vernetzung von

Universitätsinstituten innerhalb Lateinamerikas

mit spezieller Ausrichtung auf Themen, die für

indigene Völker relevant sind, zum Ziel hat.

Zusammenfassend kann festgehalten werden,

dass trotz der nicht völlig ausgeräumten Zwei-

fel und des Widerstands gegen die formelle

staatliche Schulbildung von Seiten indigener

Elterngemeinschaften, in vielen Ländern

Lateinamerikas die indigenen Organisationen

ihre Forderungen nach Bildung und Ausbildung

– in ihren Sprachen und ausgehend von ihren

Kulturen – über die Grundbildung hinaus

ausgedehnt haben. Die Grundbildung, ob

zweisprachig oder spanisch bzw. portugie-

sisch, ist in Lateinamerika im allgemeinen für

indigene Kinder und Jugendlichen zugänglich,

Versorgungsengpässe bestehen weiterhin in

ländlichen Regionen. Es stellt sich zunehmend

die Frage, wie die weitere Schulbildung ges-

taltet werden kann. Seitens der indigenen

Völker besteht die Nachfrage nach berufsvor-

bereitenden Ausbildungsgängen in der Sekun-

darstufe als Alternative zu den eher kopflasti-

gen Bildungsangeboten der weiterführenden

Schulen. In den letzten Jahren wenden sich

zunehmend Ausbildungen, Schulen, Fernstu-

dien, Universitätskurse und Akademien an

5 vgl. dazu den interessanten Aufsatz von Andrea Repetto über die Benachteiligung indigener Studen-ten: Access barriers for poor indigenous peoples in chilean higher Education, LCSHD papers, Weltbank, 2002.

indigene Schüler/innen und Student/innen. In

den meisten dieser Studiengänge spielt die

Herkunftssprache und -kultur eine nur unter-

geordnete Rolle. Indigene Organisationen

fordern nun verstärkt, auch auf den übrigen

Ausbildungsstufen den Jugendlichen eine

Bildung anzubieten, die auf ihren Kulturen und

ihrer Sprache basiert.

3. Frühere Politiken zum Thema “Bildungfür indigene Völker“

Im dritten und vierten Jahrzehnt des 20. Jahr-

hunderts machte sich in den Mestizen-

Gesellschaften Lateinamerikas die Überzeu-

gung breit, die Modernisierung der Gesell-

schaften und des Staates setze eine gewisse

Anzahl von Schuljahren voraus, um ganz

bestimmte, dem Fortschritt und der Entwick-

lung dienliche Kenntnisse, Verhaltens- und

Denkweisen einzuüben und zu verinnerlichen.

In den Ländern mit starker indigener Bevölke-

rung wurde die Schulferne der indigenen

Völker als Erklärung für deren “rückschrittliche“

Lage herangezogen. Länder wie Argentinien,

das sich 1900 als “frei von Indios“ erklärt hatte,

galten als Entwicklungsmodell.6

Die Allianz für den Fortschritt (1961) nahm

diese Vorstellungen in ihre Modernisierungs-

ideologie auf. Die Politik gegenüber den indi-

genen Völkern hieß nun “Integration“. Gemäß

diesem Modell sollten indigene Jugendliche

Grundbildung erhalten, als Arbeitskräfte in den

nationalen Entwicklungsprozess eingebunden

werden und somit mithelfen, den Fortschritt

herbeizuführen. Dafür war es unerlässlich,

dass sie ihre “atavistischen“ Bräuche und

Gepflogenheiten und ihre vielen Sprachen

aufgaben und sich in die Mestizen-Gesell-

schaft integrierten.

Vorläufer dieser Integrationspolitik waren die

Anstrengungen einiger Regierungen, wie der

unter Juan José Arévalo in Guatemala (1944

bis 1948), Paz Estenssoro in Bolivien nach der

6 Heute versucht Argentinien gegenüber den indige-nen Völkern im Norden (Missiones) und im Süden des Landes (Patagonien), die etwas mehr als 1% der Gesamtbevölkerung ausmachen, eine faire Politik zu verfolgen, was nicht immer gelingt. Es gibt eine eigene Direktion im Erziehungsministerium für “Etnoeducación“.

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Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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Revolution (ab 1952) und Galo Plaza in Ecua-

dor (1948-52). Modernisierung bedeutete in

dieser Politik für die indigenen Völker, ihre

Identität aufzugeben, und sich einzureihen in

das Heer der armen Mestizen und billigen

Arbeitskräfte in den Städten. So ist es be-

zeichnend, dass im Auftrag der Allianz für den

Fortschritt nationale Initiativen (wie etwa Mi-

sión Andina in den Anden) die staatlichen

spanischsprachigen Schulen aufs Land brach-

ten und dafür sorgten, dass die indigenen

Kinder spanisch lernten. Die indigene Sprache

und Kultur sollten als veraltet erkannt und

aufgegeben werden, ihre Bedeutung im Lern-

prozess endete bei der Einführung der spani-

schen Sprache. Die Schule und der junge

Mestize als Lehrer sowie die spanische Spra-

che wurden somit zum Sinnbild des Zugangs

zur Gesamtgesellschaft, zu Fortschritt, Moder-

nisierung, Technik und Konsum.

Eine Institution, die diese Politik überall sinn-

fällig vorgeführt hat, ist die Sekte der “Wicliff

Bible Translaters“, auch Summer Institut for

Linguistics genannt (ILV). Ihre Missionare,

unterstützt durch etliche sicher wohlmeinende

und zum Teil auch kompetente Linguisten,

drangen in die entlegensten Winkel vor und

begannen, die Bibel in fast alle der in Latein-

amerika noch vorhandenen über 500 indige-

nen Sprachen zu übersetzen. Anschließend

wurden Schulen eingerichtet und Lehrersemi-

nare gegründet. Dabei organisierten die Lin-

guisten des ILV eine zweisprachige Schule,

benutzten ein phonetisches Alphabet und eine

ihnen eigene Methode des Spracherwerbs. Die

Schüler wurden im zweiten Jahr von ihrer

eigenen Sprache, in der sie alphabetisiert

worden waren, weg und dem Spanischen

zugeführt.

In mehreren Ländern beriet das ILV mit gro-

ßem Einfluss die Erziehungsministerien und

hatte in der Erziehung indigener Kinder in

entlegenen Urwaldgebieten praktisch ein

Monopol inne. In Lima und in Bogotá besetzte

es mit seinen Mitarbeitern ganze Stockwerke

in den Ministerien. Sein Einfluss ist immer

noch groß (z.B. in Peru). Das Modell, welches

das ILV verbreitete, wird als Übergangs-Zwei-

sprachigkeit (bilingüismo de transición, siehe

unten) bezeichnet.

Ein Merkmal der Beziehung zwischen den

Mestizen-Gesellschaften und den indigenen

Völkern in den Ländern Lateinamerikas war

bislang die auffallende Unkenntnis der Kultur

und der Sprache der jeweils anderen Seite.

Die indigenen Lateinamerikaner unternehmen

große Anstrengungen, um Spanisch zu erler-

nen und sich im “anderen“ mestizischen La-

teinamerika zurechtzufinden, nicht zuletzt, um

sich an den Institutionen und an der politischen

Machtausübung auf allen Ebenen zu beteili-

gen. Das Interesse der Mestizen an den indi-

genen Kulturen und Sprachen wächst nur sehr

langsam, selbst in Ländern, mit einer großen

bis mehrheitlich indigenen Bevölkerung. Vor-

urteile und Rassismus sind noch immer weit

verbreitet. Um eine in Frieden miteinander

lebende Gesellschaft aufzubauen, kann eine

interkulturelle Schule bei den Jugendlichen

den Weg bereiten helfen.

4. Forderungen und Vorstellungen der indigenen Völker

Im 20. Jahrhundert fand ein Bewusstseins- und

Organisierungsprozess der indigenen Völker in

allen Ländern Lateinamerikas statt (siehe auch

STRÖBELE-GREGOR in diesem Band). Von den

Aufständen in Peru in den 1920er Jahren bis

zu dem Friedensschluss zwischen der Regie-

rung und der Guerilla in Guatemala (1996) und

dem Aufstand der CONAIE (Confederación de

Nacionalidades Indígenas del Ecuador) im

Februar 2002 in Ecuador gab es einen langen

Weg von Widerstand, politischer Einfluss-

nahme und Präzisierung verschiedener indige-

ner politischer und sozialer Programme. Dabei

wird ab Mitte des Jahrhunderts ein ausdrückli-

ches Interesse an Bildung und Ausbildung

deutlich, das sich zum ersten Mal in Peru als

Forderung nach zweisprachiger Erziehung

ausdrückt und seit den 1980er Jahren des

vergangenen Jahrhunderts in den Forderungs-

katalogen fast aller indigenen Organisationen

wiederkehrt. Im Folgenden sollen einige Bei-

spiele diese Entwicklung belegen.

Page 131: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

125

Die Forderungen des ersten Aufstands von 1990 in Ecuador

Der Aufstand des Inti Raimi (Sommersonn-

wendfest) 1990 hatte die ecuadorianische

Mestizen-Gesellschaft überrascht. Die indige-

nen Völker aus dem Hoch- und Tiefland hatten

mehrere Tage lang das gesamte Land blo-

ckiert und eine Liste von 16 Punkten vorgelegt,

die u.a. Forderungen nach Land und Landre-

form enthielten, nach Durchführung von Infra-

strukturmaßnahmen, nach Steuernachlass für

ländliche Betriebe sowie die Forderung nach

Mitteln und Stellen, um die IZE als paralleles

indigenes Bildungssystem in den Provinzen zu

organisieren.

Der darauf folgende Erste Kontinentale Kon-

gress Indigener Völker (1990) betont in Para-

graph 3 in seiner Erklärung von Quito: “Wir

unterstreichen die Entscheidung, unsere

Kultur, Erziehung und Religion als grundle-

gende Basis unserer Identität als Völker zu

verteidigen...“.

Die ecuadorianische Verfassung von 1998 hat

viele dieser von den indigenen Organisationen

formulierten und von ihnen auf der verfas-

sungsgebenden Versammlung vorgetragenen

Forderungen aufgenommen und sowohl zu-

sammenfassend in Artikel 84 wie auch einzeln

in zahlreichen anderen Artikeln festgeschrie-

ben. Artikel 84, Absatz 11 stellt fest: “Die

indigenen Völker verfügen über ein eigenes

interkulturelles und zweisprachiges Bildungs-

system.“

Der Friedensvertrag von Guatemala

Schon seit der Gründung der Akademie der

Maya Sprachen (1990) besteht die Forderung

nach einem eigenen Schulsystem in den 22

Maya Sprachen und organisiert nach den

Werten und der Weltanschauung (Cosmovi-

sión) der Maya Kultur. Diese Idee wird im

Abkommen “Rechte und Identität der Indige-

nen Völker“ (Kapitel 3 des Friedensvertrages)

aufgenommen und als ein Recht der Maya

Bevölkerung festgeschrieben. Der Maya Rat

für Erziehung (CNEM) wird beauftragt, ein

solches System vorzubereiten. Das Ministe-

rium für Erziehung soll den Maya bei dieser

Aufgabe behilflich sein, die zweisprachige

Lehrerausbildung organisieren und die Curri-

culumreform auf gesamtstaatlicher Ebene

vorbereiten. Für das gesamte System ist eine

interkulturelle Erziehung vorgesehen, die

versucht, Inhalte der Maya Kultur in die mesti-

zischen Schulen zu bringen, um die verschie-

denen Bevölkerungsgruppen einander anzu-

nähern. Diese interkulturelle Erziehung wird

ausdrücklich als Erziehung für den Frieden

verstanden.

In einzelnen Artikeln wird auf die Spiritualität

der Maya eingegangen, auf die Gültigkeit ihres

Gewohnheitsrechtes, auf die Anerkennung

ihrer traditionellen Führungsstrukturen, auf den

kollektiven Landbesitz und auf ihr Recht, die

Verwaltung der heiligen Stätten mit dem Staat

zu teilen. Auch wird von einer zukünftigen

Maya Universität gesprochen.

Die Erziehungsreform hat ab 1999 die IZE

landesweit in allen von Maya besuchten Schu-

len gestattet, eine flächendeckende Umset-

zung ist noch lange nicht erreicht. Der Maya

Rat verfolgt die Einhaltung der Vereinbarungen

von 1996, hat aber gegenüber dem Bildungs-

ministerium nur eingeschränkte Möglichkeiten.

Die Praxis der selbstorganisierten Schulen

In vielen Ländern haben indigene Organisatio-

nen und zum Teil auch einzelne Gemeinden

selbst Schulen geschaffen. Die Modelle sind

sehr unterschiedlich, ebenso ihr Erfolg. Es

handelt sich um arme Schulen, die oft mit dem

an sich schon bescheidenen Standard der

staatlichen Landschulen nicht mithalten kön-

nen. Das Curriculum besteht im wesentlichen

im Alphabetisierungsprozess, erweitert um das

Erlernen der vier Grundrechnungsarten. Dazu

wurde versucht, die Kinder auf das Leben in

der Gemeinschaft vorzubereiten. Dort, wo

NRO oder religiöse Organisationen unterstüt-

zend eingriffen, war der Lernerfolg größer, weil

die Lehrer fortgebildet und Lehr- und Lernma-

terialien in den indigenen Sprachen bereitge-

stellt werden konnten. Es gibt in Kolumbien,

Guatemala und Bolivien einige Beispiele von

erfolgreichen autonomen Schulen, die zur

Entwicklung der indigenen Gemeinden beige-

tragen haben.

Page 132: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

126

“Wir werden uns einsetzen, um die öffentlichenund privaten Bildungssysteme zu verändern,auf das sie die kulturelle Vielfalt eines jedenLandes anerkennen und unterrichten. DieCurricula müssen überarbeitet werden, diegeschichtliche Wahrheit muss anerkannt (...)und unsere Sprachen müssen eingeführtwerden.“

Aktionsplan der indigenen Völker, Johannes-burg, September 2002

Zu Lehrkräften bestanden und bestehen in den

indigenen Gemeinden bis heute mehrere

Positionen:

Eine Position bevorzugt auf der Grundlage

der Ablehnung von Staatsschulen als ak-

kulturierend Lehrkräfte aus ihren eigenen

Reihen (Promotorenmodell). Diese Lehr-

kräfte sind Gemeindemitglieder, die über

anerkannte Kenntnisse verfügen und ge-

eignet scheinen, die Kinder zu unterrich-

ten. Oft werden sie von NRO fortgebildet.

Die andere Position bevorzugt junge

indigene Lehrer, die allerdings auf den

Lehrerseminaren des Staates in spanisch

und mit einem Curriculum ausgebildet

worden sind, das die indigene Kultur und

Sprache nicht berücksichtigt. Doch haben

diese jungen Lehrer den Vorteil, den Un-

terricht so organisieren zu können, wie die

Eltern dies in den Staatsschulen beo-

bachten; dazu gehört vor allem der Unter-

richt des Spanischen. Zudem können auch

sie, wenn sie aus der Region stammen,

zwar oft mit anfänglichen Schwierigkeiten,

in der indigenen Sprache unterrichten.

Eine dritte Position, die weniger unter den

Organisationen als unter der Elternschaft

verbreitet ist, besteht auf einem Unterricht

ausschließlich in Spanisch, um für ihre

Kinder den Übergang in die Gesamtgesell-

schaft zu erleichtern, und ihre Ausgren-

zung zu verringern. Hierfür werden Mesti-

zen als Lehrkräfte bevorzugt.

Bezüglich der ersten Gruppe haben die Erfah-

rungen gelehrt, dass das Promotoren-Modell

den steigenden Anforderungen beispielsweise

für einen Wechsel an weiterführende Schulen

nicht gerecht wird. So forderten im Jahre 2003

auch die Paez in Kolumbien für ihre Schulen

staatlich besoldete, indigene Lehrer unter

Aufsicht der Organisation.

Die mit der zweiten Gruppe bisher gemachten

Erfahrungen sind gespalten. Viele dieser

jungen Lehrer trugen zur Öffnung der Gemein-

den, zum Einlass der spanischen Sprache und

zu einer Entwicklung bei, die zu einer Minde-

rung des Prestiges der indigenen Sprache und

Kultur bei den Jugendlichen geführt hat.

Bei aktiver Aufsicht und Mitarbeit der indigenen

Organisationen konnten andere Ergebnisse

erzielt werden. So in den Schulen der Paez im

Cauca, Kolumbien; in einigen Maya Schulen in

Guatemala; in den Gemeindeschulen in Coto-

paxi, Ecuador und in einigen Schulen in indi-

gener Selbstverwaltung der Mapuche in Chile.

Die Mehrheit der Schulen für indigene Kinder

entspricht noch immer der dritten Position,

auch wenn diese nicht von allen betroffenen

Dorfgemeinschaften und Stadtteilen geteilt

wird. Diese Verteilung zeigt die noch immer

nicht ausreichende Versorgung mit einem

Angebot an IZE in den Schulen.

5. Ansätze der Entwicklungszusammen-arbeit

Die zweisprachige Erziehung, wie sie von den

indigenen Organisationen gefordert wird, hat in

den letzten zwei Jahrzehnten auch unter den

indigenen Gemeinden und in den Bildungsmi-

nisterien mehr Anhänger gewonnen. Erst in

jüngster Zeit hat sich auch die Interkulturalität

in diesem neuen Schulmodell herausgebildet.

Die Schüler sollten nicht nur in zwei Sprachen

beheimatet sein, sondern das Curriculum sollte

aus den beiden Kulturen, der herrschenden

gesamtgesellschaftlichen und der indigenen

heraus gedacht und entwickelt werden. Spra-

che und Kultur sollten erhalten und, wo not-

wendig und möglich, auch entwickelt werden.

Ziel ist einerseits die Verbesserung der Be-

rufschancen der Schüler und Studierenden

und eine bessere Ausgangsposition auf dem

Arbeitsmarkt, andererseits aber nach wie vor

die Festigung der eigenen Identität und das

Erlernen und Verinnerlichen der eigenen Her-

Page 133: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

127

kunftskultur im Kontext und in der Auseinan-

dersetzung mit der herrschenden Kultur.

Seit Mitte der 1990er Jahre wurde die Diskus-

sion erneut erweitert und in etlichen Ländern

Interkulturalität als Strukturelement schulischer

Bildung für alle Kinder einer multiethnischen

Gesellschaft, d.h. auch für die nicht indigenen

Schüler/innen eingeführt und gesetzlich veran-

kert, vielleicht am sichtbarsten in der Bildungs-

reform in Bolivien. Dahinter steht die Anerken-

nung der verschiedenen Kulturen in einer

Gesellschaft und in einem Nationalstaat als

Potential und Bereicherung. Damit wird eine

weitere Bedeutungsebene der IZE deutlich,

nämlich der Beitrag, den Schule und Bildung

zum Aufbau offener, multikultureller Gesell-

schaften leisten können. Eine besondere

Bedeutung gewinnt diese Dimension in ehe-

maligen Bürgerkriegsländern, wie Nicaragua

und Guatemala.

Die Entwicklungszusammenarbeit, insbeson-

dere die deutsche EZ hat zur Entwicklung

zweisprachiger interkultureller Schulmodelle in

Lateinamerika entscheidend beigetragen.

Das Modell Puno (Peru)

In Puno wurde seit 1975 vom peruanischen

Erziehungsministerium mit Unterstützung der

deutschen EZ ein zweisprachiges Grund-

schulmodell für Spanisch-Quechua und Spa-

nisch-Aymara entwickelt. In seinen 20 Jahren

hat dieses Projekt eine Vorreiterrolle einge-

nommen und Produkte hervorgebracht, die in

anderen Projekten in Lateinamerika übernom-

men wurden und andere Modelle inspiriert

haben.

Wichtig und beispielhaft war die Erarbeitung

von Lehr- und Lernmaterialien für sämtliche

Fächer und für die sechs Grundschuljahre.

Dabei spielte die schulgerechte Aufbereitung

der Forschungsergebnisse über die Inhalte der

beiden andinen Hauptkulturen eine große

Rolle. So gab es Handbücher zur Aymara

Mathematik, zur andinen Naturwissenschaft

und Lesestoff, Legenden, Erzählungen und

Sagen in den drei Sprachen. Für die Vermitt-

lung von Spanisch als Zweitsprache für indi-

gene Kinder wurde eine eigene Methodik

entwickelt.

Neue Fachdidaktiken wurden eingeführt und

Lehrer zweisprachig weitergebildet. Aus dieser

Ausbildung entwickelte sich dann ein Postgra-

duiertenstudium an der Universität in Puno, in

dem sich dank eines international zugängli-

chen Stipendiensystems zahlreiche Fachkräfte

der IZE aus Bolivien und Ecuador qualifiziert

haben.

Ansätze in Ecuador, Guatemala, Bolivien

Das Projekt Educación Bilingüe Intercultural

(Ministerio de Educación – GTZ) hat 1985 in

den zentralen Hochlandprovinzen in Ecuador

mit 75 Versuchsschulen angefangen. Jährlich

wurden die Materialien und das Curriculum

fortgeschrieben, zur Erstellung der Textbücher

und Lehrerhandreichungen kam die Lehrer-

fortbildung, die handwerkliche Produktion von

konkretem Lehr- und Lernmaterial, die For-

schungsarbeit und die Herausgabe von

Grammatiken und Wörterbüchern in kichwa7,

sowie die Edition einer 13-bändigen Reihe zu

Pädagogik, Schulgeschichte, Didaktik etc.

hinzu (vgl. ABRAM, 1991; KÜPER-VALIENTE,

1993). Das Vorhaben entwickelte sich weiter

zur Unterstützung des seit 1989 etablierten

parallelen IZE Bildungssystems und wurde

2000 abgeschlossen.

In Guatemala begann das Proyecto de Edu-

cacion Maya Bilingue Intercultural (MEC-

GTZ), im Jahre 1995, mit einem Einstieg über

die Lehrerausbildung in fünf Maya Lehrersemi-

naren. Versuchsschulen und eine Gruppe von

weiteren 25 privaten Lehrerseminaren (ACEM)

wurden ebenfalls in dem Vorhaben gefördert.

Materialien für die zweisprachige Lehrerausbil-

dung und ein Curriculum für die IZE Leh-

rerausbildung wurden in Zusammenarbeit mit

mehreren Universitäten erarbeitet. Das Curri-

culum wurde an verschiedenen Instituten

erprobt und als Grundlage für die gesamte IZE

Lehrerausbildung des Landes befristet über-

nommen.

7 Die Sprache der Inkas, die sie selbst als runashimi (Sprache der Menschen) bezeichnet haben, wird in Peru Quechua genannt. Die regionale Variante in Ecuador bedient sich nur der drei Vokale a i und u und wird folglich als Quichua (in der neuen Schreibweise: kichwa) bezeichnet.

Page 134: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

128

In Bolivien unterstützte die deutsche EZ die

Bildungsreform durch ein Projekt zur IZE

Lehrerausbildung. Die Reform ist unter den

letzten beiden Regierungen nicht zügig fort-

geführt worden. Grundlagen (Methoden, Texte

und die Qualifizierung von Ausbildern) für die

grundständige Ausbildung von Lehrkräften in

IZE für Quechua und Aymara wurden in vier

Ausbildungszentren erprobt und bei Beendi-

gung des Projektes 2004 dem bolivianischen

Bildungssystem übergeben.

Kurze Charakterisierung des von der deutschen TZ geförderten IZE Modells

Die Projekte wurden in einer Dreiecksstruktur

zwischen Erziehungsministerien, indigenen

Organisationen und der deutschen Entwick-

lungszusammenarbeit organisiert. Absicht war

dabei, sowohl in den Ministerialbürokratien wie

in den indigenen Organisationen Fachpersonal

auszubilden.

Das im Rahmen der o.g. Projekte entwickelte

Modell wendet sich vor allem an indigene

Kinder und Jugendliche. Es besteht in einer

IZE Grundbildung, in der der Unterricht und

das Lernen in den beiden Sprachen und den

beiden Kulturen zu einer koordinierten sprach-

lich-kulturellen Kompetenz der Schüler führt,

ihre Identität und Selbstachtung stärkt, ihr

Lernen fördert und sie befähigt, im interkultu-

rellen Dialog mit Jugendlichen anderer Kultu-

ren und Sprachen ihre Berufschancen und

Lebensbedingungen zu verbessern.

Dazu werden die Kinder in ihrer eigenen

Muttersprache alphabetisiert und erlernen das

Spanische (Portugiesische) als Zweitsprache,

zunächst mündlich, dann, ab der zweiten

Klasse, auch schriftlich. Ab der dritten und bis

zur sechsten Klasse werden die einzelnen

Fächer in beiden Sprachen unterrichtet. Die

Inhalte der indigenen Kultur sind systematisch

im Curriculum verankert. Das IZE Modell ist

ohne pädagogische Reform nicht denkbar, es

ist kindzentriert und nutzt aktive Methoden des

entdeckenden Lernens. Das Curriculum soll

möglichst praktisch ausgerichtet werden

(Schule und Arbeit, Schulprojekte, berufliche

Hinführung usw.).

Die wissenschaftliche Begleitung durch Fach-

institute und Universitäten findet vor allem im

Bereich der Evaluierung statt, um die Erfolge

der Schüler zu messen.

Andere Modelle

a) Zweisprachige Übergangserziehung (Bilin-

güismo de transición): Dies war das Modell der

fünfziger und sechziger Jahre, vor allem vom

ILV und anderen Missionen, z.T. auch von

Staaten (Guatemala) favorisiert. Die Sprache

der Kinder wird zur Alphabetisierung benutzt,

um dann umso schneller und effektiver zur

dominanten Sprache überzuleiten, und die

Kinder “der Zivilisation zuzuführen“. Dabei wird

die Herkunftskultur abgewertet. In den Län-

dern, in denen die Einführung von IZE grund-

sätzlich auf erheblichen Widerstand in der

Bildungsverwaltung stößt, wird auch weiterhin

dieses Modell als Minimalkonsens umgesetzt.

b) Zweisprachige Erziehung: In diesem Modell

werden die beiden Sprachen benutzt, meist

auch bis zum Ende der Grundbildung. Das

Curriculum ist aber das allgemeine und die

Herkunftskultur der Kinder spielt keine beson-

dere Rolle. Die Texte und Übungen sind fast

immer Übersetzungen aus der dominanten

Sprache in die Muttersprache, die somit nicht

als Trägerin und Vermittlerin eigener, kulturell

diverser Inhalte auftritt. Die andere Kultur ist

also nicht gegenwärtig. Auch dieses Modell

findet als Minimalkonsens Anwendung, u.a.

weil es auf der Grundlage einfacher sprachli-

cher Übersetzungen von Curricula und Schul-

büchern funktioniert und somit kostengünstiger

ist als das Modell der IZE.

c) Die indigene oder endogene Erziehung: Es

ist die Schule für indigene Kinder, von den

Dörfern, Gemeinden und indigenen Organisa-

tionen eingerichtet und geführt. Dieses Modell

hat viele Namen und mehrere Varianten. Die

Ältesten und die Führer spielen eine große

Rolle in der Weitergabe des Wissens und der

Kenntnisse der Kultur. Spiritualität und Tradi-

tion sind zentrale Themen. Große Anstrengun-

gen werden unternommen, um das traditionelle

Wissen zu erforschen und curricular zu ver-

mitteln. Oft werden diese Schulen im Gegen-

satz zur akkulturierenden, mestizischen

Page 135: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

129

Staatsschule gegründet und mit viel Eigeniniti-

ative am Leben erhalten. Die Lehrer sind meist

pädagogisch befähigte Gemeindemitglieder,

die über ein gewisses Wissen verfügen und oft

durch NRO oder indigene Organisationen

fortgebildet werden. Dieses Modell hat eine

entscheidende Rolle in dem Prozess der

indigenen Völker gespielt, sich gegenüber den

Mehrheitsgesellschaften zu positionieren

(Guatemala, Brasilien, Warisata in Bolivien in

den 1950er Jahren, usw.) und ist heute weiter-

hin u.a. bei verschiedenen Völkern in Kolum-

bien, bei einzelnen Amazonasvölkern, Maya

und Guarani von Bedeutung. Der Gedanke der

“autonomen Schule“ wird auch in den Bil-

dungssystemen anderer Länder diskutiert. So

übernehmen in Ecuador die indigenen Völker

die Verantwortung für die staatliche Schule in

ihren Territorien.

6. Lessons learned

Die IZE hat Erfolge aufzuweisen, die die Be-

hauptung erlauben, dass sie ein besseres

Modell darstellt als die einsprachige monokul-

turelle Land- oder Vorstadtschule für indigene

Kinder (KÜPER & LOPEZ, 2002; ROCKWELL,

1989; MOYA, 1996).

Die zentralen Erfolge der IZE sind die Stärkung

der kulturellen Identität der Schüler/innen,

bessere Lernleistungen und mehr Chancen für

Mädchen.8

Die Verwendung der Muttersprache als Unter-

richtssprache führt zu höheren Kompetenzen

im Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften

und in der Zweitsprache (CUMMINS, 2000;

BERGMANN, 1999). Insbesondere in Fächern

mit hohem Verbalisierungsgrad wie Sprache

und Mathematik führt IZE zu besseren Leis-

tungen (ROCKWELL, 1989).

Die IZE Schulen lassen eine Tendenz erken-

nen, die klassischen Differenzen zwischen

Mädchen und Jungen bezüglich Einschulung,

Wiederholung und Schulabbruch zu verringern:

auch Mädchen, die traditionellerweise mit

weniger Spanischkenntnissen als Jungen in

die Schule kommen, lernen mit IZE länger und

erfolgreicher.

8 Vgl. KÜPER & LOPEZ (2002)

Defizite bestehen in Methoden und Materialien.

Bislang konzentrieren sich die methodischen

Ansätze auf Schüler/innen mit bei Schuleintritt

guten mündlichen Kenntnissen in der indige-

nen und geringen oder keinen Kenntnissen in

der nationalen Sprache. Mit Kindern, die mit

der dominanten Sprache aufwachsen und die

indigene Sprache als Zweitsprache erwerben,

gibt es noch wenige Erfahrungen. Ebenso

wenig bestehen Modelle für IZE in Schulklas-

sen mit mehr als zwei Sprachen, beispiels-

weise in Vorstadtschulen und mit heterogenen

Sprachkenntnissen innerhalb einer Gruppe.

Die Rolle der Indigenen Organisationen

Der Unterricht in der Muttersprache ist noch

nicht selbstverständlicher Teil der allgemeinen

Bildungspolitik in Lateinamerika. Zwischen

dem Fehlen einer geeigneten Sprachpolitik von

Seiten der Regierungen und dem Widerstand

vieler Eltern versuchen die indigenen Organi-

sationen ihre eigene Politik zur Verbreitung

und flächendeckenden Anwendung der IZE

voranzutreiben. Es hat sich sehr schnell her-

ausgestellt, dass IZE Programme und Projekte

ohne die Mitarbeit und Zusammenarbeit mit

den maßgeblichen indigenen Organisationen

nicht funktionieren. Die indigenen Völker

haben ihre eigenen Autoritäten, deren aktive

Beteiligung an IZE von großer Bedeutung ist.

So ist die gesamte Umfeldarbeit am besten

von den indigenen Organisationen zu leisten.

Die zeitlichen Rhythmen der Entwicklungspro-

jekte und der indigenen Organisationen stim-

men nicht überein. Indigene Organisationen

benötigen mehr Zeit für Konsensbildung. Bei

genauerem Eingehen auf die jeweiligen Bedin-

gungen und bei partnerschaftlichem Planen

erweist sich, dass Nachhaltigkeit in Regionen

mit indigener Bevölkerung nur durch die Zu-

sammenarbeit mit ihren Organisationen er-

reicht werden kann. Dies gilt nicht nur für

Bildungsvorhaben, hier aber in besonderer

Weise, da IZE sowohl in die Bildungsadminist-

ration als auch in die Elternschaft vermittelt

werden muss.

Page 136: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

130

Foto: Schule in Guatemala (A. BEGEMANN)

Die Elternarbeit

IZE fördert die Teilnahme der Gemeinschaft

und versetzt die Schule als den Ort intergene-

rationellen Lernens in deren Mittelpunkt. Die

Arbeit mit der Gemeinde und mit den Eltern ist

in der IZE eine wichtige Voraussetzung des

Erfolgs. Der Lernprozess wird somit zu einem

sozialen Ereignis und die Eltern lernen mit.

Dies gilt insbesondere in ländlichen Regionen:

Die Schule wird zu einer dorfeigenen Institution

und kann weitere Funktionen übernehmen, wie

Alphabetisierung der Erwachsenen, Weiterbil-

dung, Initiation von Projekten im Kunsthand-

werk, in der Landwirtschaft, in der Aufzucht

von Kleintieren usw.

Notwendige Aus- und Weiterbildung

Eine große Herausforderung an EZ-Projekte ist

die Heranbildung, Ausbildung und Fortbildung

indigener Führungskräfte und Fachkräfte.

Diese sollen in die Lage versetzt werden, alle

Aspekte einer Bildungsreform selbst in die

Hand zu nehmen. Erst in den letzten Jahren

gibt es vereinzelt auch indigene Funktionäre in

den Ministerien und indigene Mitarbeiter/innen

in verantwortlichen Positionen in den Projek-

ten.

Lesestoff in indigener Sprache

Damit Lesen und Schreiben in indigenen

Sprachen als sinnvoll erfahren wird, brauchen

die Neuleser Lesestoff. Bisher fehlen Texte

und geeignetes Lesematerial in den indigenen

Sprachen für die höheren Klassen, für die

Sekundarstufe sowie für die Freizeit. Literatur

in indigenen Sprache muss gefördert werden.

Ob es sich um das bereits traditionelle Sam-

meln von Legenden, Sagen und Erzählungen

handelt, um literarische Texte oder um die

Edition von alten Texten, all dies belebt die

Sprache und eröffnet die Möglichkeit, in der

eigenen Sprache zu lesen. Auch das vielfältige

Wissen indigener Völker, das vor allem für die

Nutzung in Schulen noch systematisiert wer-

den muss, kann in indigenen Sprachen vorge-

legt werden.

Daneben muss das Schreiben in den indige-

nen Sprachen allgemein gefördert werden, an

Zeitschriften ist zu denken, und vielleicht auch

an Zeitungen. Seminare zum Schreiben, die an

allen Universitäten für das Spanische ab-

Page 137: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

131

gehalten werden und sich eines großen Inte-

resses erfreuen, können auch für indigene

Sprachen eingeführt werden.

Erforschung und Adaptation kultureige-ner Lern- und Lehrweisen

Bislang ist es nicht gelungen, Elemente einer

kulturgebundenen Pädagogik in die Modelle für

IZE einzubauen. Meist bleibt es bei den spora-

dischen Auftritten von Ältesten und Weisen.

Kultureigene Formen der Wissensvermittlung

sind oft unbekannt. Jede Kultur besitzt eine ihr

eigene Methode, Tradition, Wissen, Weisheit

und Kenntnisse an die nächstfolgende Gene-

ration weiterzugeben und zu erreichen, dass

diese die Tradition übernimmt und die in ihr

enthaltenen Werte als die eigenen akzeptiert.

Dies erfolgt in einem dialektischen Prozess

von Annahme, Anpassung und Neuerfindung.

Diese Methoden sollten erforscht und als

pädagogische Ansätze für das Curriculum der

IZE weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Sprachenpolitik

Ohne eine Sprachenpolitik, die den Gebrauch

der beiden Sprachen auf alle Dimensionen des

Lebens ausdehnt (soziale Zweisprachigkeit),

ist die IZE mittelfristig zum Scheitern verurteilt.

Wenn die herrschende Kultur und Sprache alle

Bereiche des öffentlichen Lebens besetzt und

die indigene Sprache auf die Familie und das

häusliche Leben zurückgedrängt wird, selbst in

mehrheitlich von indigenen Bürgern bewohnten

Dörfern oder Stadtvierteln, kann keine Wieder-

belebung der Sprache und keine Angleichung

an das Prestige der dominanten Sprache

stattfinden. Die Kinder und ihre Eltern merken

schnell, ob das bewusste Sich-Aneignen der

eigenen Kultur und Sprache außerhalb der

Schule Bedeutung hat und Prestigegewinn

einbringt. Das heißt, IZE ist nicht nur eine

Angelegenheit der Bildungspolitik, sondern der

allgemeinen Kultur- und Sprachenpolitik eines

Landes.

7. Schlussbemerkung

Dieser kurze Überblick über Interkulturelle

Zweisprachige Bildung soll beispielhaft den

gesamten und überaus reichhaltigen Bereich

“Bildung, Kultur und indigene Völker“ vertreten.

Dazu wurde der enorme, erst in Teilen er-

forschte Reichtum an Sprachen und Kulturen

der indigenen Völker auf die Bildung der jun-

gen Generationen verengt, auch deshalb, weil

die EZ nur über IZE die Thematik bearbeitet.

Die deutsche EZ ist in diesem Arbeitsfeld in

Lateinamerika in einem Schlüsselbereich für

das Überleben und die Entwicklung der indige-

nen Gesellschaften aktiv. Sie hat an der Ent-

wicklung des IZE Modells entscheidend mitge-

arbeitet und es in verschiedenen Fällen er-

reicht, gemeinsam mit den indigenen Organi-

sationen den Staat zur Wahrnehmung seiner

Bildungsverantwortung den indigenen Völkern

gegenüber zu bewegen. Dabei sollte auch

aufgezeigt werden, dass die IZE zwar nur ein

Teil des Bildungssystems ist, aber den Kernbe-

reich der Bildung für indigene Jugendliche

darstellt, in dem heute die pädagogischen und

didaktischen Erneuerungen stattfinden und

Aufbauarbeit für die demokratische, multikultu-

relle Gesellschaft von morgen geleistet wird.

Page 138: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

132

“QA AT TJA QXNAQ´S IK TZAN TQAN Q´IJ NMEQ´SAN QE QWITZIK”

Escuela, el sol que calienta los sueños – Educación autogestionada en Guatemala

Llegar hasta la aldea Cruz Quemada Santa Bárbara no fue fácil, pero una vez que se llegó, la luz que se

abría paso por entre las hojas de los árboles grandes y frondosos iluminó los rostros alegres e inquietos de

niños y niñas quienes sabían que algo novedoso ocurría. Los adultos nos recibieron con un cálido apretón

de manos impregnadas del color de la tierra que durante generaciones han trabajado. Ahí estaban todos,

esperando la llegada de un grupo de desconocidos que les llevan la noticia que por años habían esperado:

pronto podrían tener la escuela que tanto habían soñado.

Más que la mitad de los casi 12 milliones de Guatemaltecos son indígenas. En el país se habla 21 idiomas

mayas, el xinca y el garífuna. Los idiomas mayas mayoritarios son el Kíche´, el Mam, el Kaqchikel y el

Qéqchi´, los cuales reúnen más de 2.7 millones de habitantes. Aproximadamente el 30% de los niños y

niñas en su mayoría indígenas no tenían acceso a la educación básica en 1996 cuando se inició el Progra-

ma Nacional de Autogestión para el Desarrollo Educativo –PRONADE. Es un mecanismo que facilita el

acceso de las comunidades a la educación, especialmente en áreas rurales lejanas y desatendidas. A la

vez promueve modalidades de participación protagónica de las comunidades.

La estrategia del trabajo de PRONADE consiste en organizar “Comités Educativos (COEDUCA)”, quienes

cuentan con respaldo legal para administrar el servicio educativo en las comunidades. Instituciones priva-

das, denominadas Instituciones de Servicios Educativos –ISE– acompañan a los Comités Educativos en las

tareas que desempeñan bajo lineamientos del Ministerio de Educación.

Los logros están a la vista: hasta marzo del 2004, 444,917 niños y niñas son atendidas por 14,575 docentes

en 4,559 comunidades. El 60% de la población atendida es indígena y como política interna del PRONADE

se exige que sean atendidos por maestros y maestras que hablan el idioma de las comunidades. Para su

labor, PRONADE cuenta con el apoyo de KfW y del Banco Mundial.

A estas alturas del siglo XXI, no todos los niños y niñas son cobijados en una escuela; Guatemala tiene

mayor déficit al respecto. Sin embargo, muchas personas siguen soñando con la diferencia que puede

hacer en sus vidas el sólo tenerla. Quizá don Ramón López, padre de familia de la aldea Cruz Quemada

Santa Bárbara tiene razón cuando dice en su idioma mam que “QA AT TJA QXNAQ´S IK TZAN TQAN Q´IJ

NMEQ´SAN QE QWITZIK” (Tener escuela es como que el sol caliente los sueños). Podemos ayudar a que

esos sueños se tornen realidad.

ANTJE BEGEMANN, IPC/ KfW, Guatemala

Page 139: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung

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FOMCIENCIAS. Lima, Perú

Page 140: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

134

Indigene Völker und Gesundheit

KLAS HEISING & SYLVIA REINHARDT

In den letzten Jahrzehnten haben sich die

Lebensweise und die Umwelt der indigenen

Bevölkerung Lateinamerikas stark verändert.

Die Gesundheitssituation ist in den meisten

indigenen Gemeinden, insbesondere aufgrund

der beträchtlichen Armut, als prekär einzustu-

fen. Der häufig fehlende oder erschwerte Zu-

gang zu Gesundheitsdiensten, soziale Prob-

leme, Umweltverschmutzungen, mangelhafte

Nahrungsversorgung, unzureichende Hygie-

nepraktiken und fehlender Zugang zu (Trink-)

Wasser sind oft der Grund für Krankheiten und

Epidemien.

Die heutige Gesundheits- und Hygienesituation

der indigenen Bevölkerung wurde durch die

jahrhundertelange Abhängigkeit und Marginali-

sierung verursacht, wie auch die Panamerika-

nische Gesundheitsorganisation PAHO (Pa-

namerican Health Organization) bei ihrer Sit-

zung von Winnipeg im Jahre 1993 feststellte.

Traditionelle Praktiken und Kenntnisse zur

Gesundheitsvorsorge und Hygiene sowie zur

Behandlung von Krankheiten etc. gehen verlo-

ren und werden kaum noch angewendet, weil

sie in der heutigen Lebenssituation als nicht

mehr angepasst empfunden werden.

Meist haben indigene Bevölkerungsgruppen

eine weit höhere Sterblichkeits- und Anfällig-

keitsrate für Krankheiten als die übrige Bevöl-

kerung der jeweiligen Nationalstaaten was

ihren im Vergleich niedrigeren Lebensstandard

und sozialen Status reflektiert (vgl. PAHO,

1993). So liegt die Lebenserwartung der indi-

genen Bevölkerung ca. 10 bis 20 Jahre unter

der der übrigen Bevölkerung eines Landes

(PAHO, 2004a). Bestehende staatliche Ge-

sundheitsprogramme tragen den spezifischen

soziokulturellen Rahmenbedingungen der indi-

genen Bevölkerung bisher kaum Rechnung.

Oft fehlt neben den notwendigen ökonomi-

schen Ressourcen auch der politische Wille

(vgl. PAHO, 1993).

Säuglings- und Müttersterblichkeit

Als grober Indikator für die Gesundheitssitua-

tion eines Landes eignet sich die Säuglings-

sterblichkeit (Anzahl der Säuglinge, die im

ersten Lebensjahr sterben pro 1000 Neuge-

burten), da diese von der Qualität und dem

Zugang zur öffentlichen und privaten Gesund-

heitsversorgung, den Hygiene- und Gesund-

heitspraktiken und der allgemeinen Lebens-

situation der Bevölkerung abhängt. Tabelle 1

zeigt Säuglingssterblichkeitsraten in Ländern

Lateinamerikas, die zwischen 19 und 56 lie-

gen, während eine beispielhafte Untersuchung

verschiedener indigener Völker in den gleichen

Ländern Zahlen zwischen 81 und 145 aufweist.

Tabelle 1: Beispiele zur Säuglingssterblichkeit in ausgewählten Ländern (eigene Zusammenstellung)

Land Landesdurch- schnitt der Säuglings-sterblichkeit in 2003 (von 1000 Lebend-geburten)

Durchschnitt der Säuglingssterb-lichkeit der indigenen Bevölkerung (von 1000 Lebendgeburten)

Deutschland 4

Kolumbien 19 111 (Wayu)

Brasilien 31 106 (Xavante)

Ecuador 30 62 (Quichua, Provinz Cotopaxi)

Bolivien 56 145 (indigene Gruppen im Chaco)

Mexiko 40 81 (Tzotzil)

Peru 43 99 (Ashaninka)

Quelle: Gesundheitsministerien; UNO; PAHO; PIÑEROS-PETERSEN, 1998

Oft ist die Gesundheitssituation indigener Völ-

ker noch schlechter, als die auf Provinz-, De-

partement- oder nationaler Ebene aggregierten

Daten vermuten lassen. Viele Todesfälle

werden durch die generell unzureichenden

Datenerhebungen der staatlichen Gesund-

heitsdienste nicht erfasst, da diese in den Ge-

Page 141: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

135

bieten der indigenen Bevölkerung wenig prä-

sent sind. Eine neuere Studie der PAHO

(2004b) belegt, dass die Raten der Säuglings-

und Müttersterblichkeit in indigenen Gemein-

den zu den höchsten Amerikas gehören. In

Guatemala beispielsweise ist die Sterblichkeit

indigener Frauen bei der Geburt 300% höher

als der Landesdurchschnitt. Ursachen für die

starken intranationalen Differenzen sieht

PAHO u.a. in der geringen Sensibilität und

dem unzureichenden Verständnis für traditio-

nelle Praktiken der Gesundheitsarbeiter, im

Kommunikationsmangel mit den indigenen

Patienten, aber auch darin, dass die Ausdeh-

nung der medizinischen Versorgung in indige-

nen Gemeinden keine Priorität in der Gesund-

heitspolitik hat.

Ein Beispiel soll die kulturelle Barriere, die

zwischen einem westlichen Mediziner und

einer indigenen Frau bestehen kann, verdeutli-

chen: “Undressing during childbirth for us is

synonymous with death“ says Gonzáles.

"When a pregnant woman goes to a health

center, the first instruction she is given, is

‘Take off your clothes.' At that moment, a bar-

rier has been erected between the physician

and the Aymara woman, because Aymara

women believe that at the moment of delivery

there is an opening of the entire body. If our

body has opened, we should cover ourselves

much more because the cold can penetrate us.

Penetration of the cold will result in illness.

Furthermore there is not only an opening of the

physical body, but of the place where the

spiritual body exits and enters, which will re-

quire other care..." (PAHO, 2004b).

Um diesem Problem entgegenzutreten, arbei-

tet beispielsweise die PAHO in Bolivien zur

Verbesserung der sanitären Verhältnisse wäh-

rend der Entbindung und zur Identifizierung

von Risikofällen auf lokaler Ebene mit indige-

nen Hebammen zusammen. Entbindende

Mütter geben Hebammen den Vorzug vor

Krankenhäusern. Ihnen wird von den indige-

nen Frauen weit mehr Vertrauen entgegenge-

bracht und damit verfügen sie wiederum über

mehr Einflussmöglichkeiten. Außerdem soll im

Rahmen des Projektes gemeinsam von Pro-

jektmitarbeitern der PAHO und Hebammen

eine Strategie entwickelt werden, traditionelle

Medizin und Praktiken in den öffentlichen Ge-

sundheitsdienst zu integrieren, um den

schwangeren Frauen kulturell angepasste und/

oder schulmedizinische Dienste anbieten zu

können (PAHO, 2004b).

Krankheitsbilder

Es treten eine Vielzahl von Krankheitsbildern

auf, die von der Lebensweise, den klimati-

schen Bedingungen und der Verfügbarkeit und

Qualität der öffentlichen und traditionellen Ge-

sundheitsversorgung bei der indigenen Bevöl-

kerung abhängen.

Für einige kleinere Völker, die manchmal erst

seit einer oder zwei Generationen Kontakt mit

der “westlichen“ Kultur haben, stellen neue

übertragbare Krankheiten wie Virenerkrankun-

gen etc. eine existenzielle Gefahr dar. Da sie

weder die Möglichkeit hatten, biologisch eine

Immunität noch kulturell Therapien gegen

diese zu entwickeln, sind sie schutzlos.

Insbesondere aufgrund ihrer sich wandelnden

Umwelt, was u.a. die Auflösung sozialer

Strukturen, Verarmung, Identitätskrise und

Legitimationsverlust der traditionellen Autori-

täten mit sich führt, befinden sich indigene

Völker in einer schwierigen Orientierungssitua-

tion, die auch zu psychosomatischen Krank-

heitsbildern führen kann.

Page 142: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

136

Kasten 1: Beispiele häufig auftretender Erkrankungen indigener Völker in Lateinamerika

(Ausgewählt aus PAHO-Länderprofilen, 1998)

Bolivien:

Bei den Indigenen des Chaco und des Oriente tritt Tuberkulose 5- bis 8-mal häufiger auf als im Landesdurchschnitt.

Magendarmerkrankungen sind die häufigste Todesursache bei Kindern

Honduras:

95% der unter 14-jährigen Indigenen sind unterernährt.

68% der Todesfälle sind auf ansteckende Infektionskrankheiten zurückzuführen.

Die Lebenserwartung indigener Männer wird auf 36 Jahre, die der Frauen auf 43 Jahre geschätzt.

Panama:

Bei den Kuna in San Blas sind Lungenentzündungen 6-mal, Tuberkulose 80-mal häufiger als im Landesdurchschnitt

Venezuela:

Studien des Tropeninstituts “Simon Bolivar“ weisen darauf hin, dass bis zu 84% der Yanomami sich im Laufe ihres Lebens mit Hepatitis B infizieren.

In einigen Dörfern sind bis zu 74% der Bevölkerung mit Flussblindheit (Onchozerkose) infiziert.

Armutskrankheiten? Ja, aber…

Indigene leiden überproportional an soge-

nannten “Armutskrankheiten“ wie Diarrhoe,

Lungenentzündungen, Mangelernährung, Ma-

sern, Bronchitis, Tuberkulose, Hauterkrankun-

gen oder Parasiten. Im Rahmen einer Basis-

studie im Jahre 2001 eines Umweltgesund-

heitsprojektes der GTZ (zusammen mit der

PAHO) in zwei Hochland- und einer Amazo-

nastieflandgemeinde Perus, wurde festgestellt,

dass zwischen 66% und 94% der untersuchten

Indigenen von einem oder mehreren Darmpa-

rasiten befallen waren.

Die Vermutung liegt nahe, dass Indigene von

diesen Krankheiten betroffen sind, weil sie

besonders arm sind. Das ist zwar richtig, je-

doch würde die Schlussfolgerung, dass mit

einem Armutsbekämpfungsprogramm eben

auch diese Krankheiten verschwinden würden,

deutlich zu kurz greifen. Es gibt spezifische

Faktoren, die wesentlich zur schlechten Ge-

sundheitssituation der indigenen Bevölkerung

beitragen und eine auf indigene Bevölkerung

orientierte Gesundheitspolitik nahe legen.

Dazu gehören u.a.:

Veränderungen der Umwelt und der

Lebensweisen der Indigenen: z.B. Ver-

drängung traditioneller Praktiken, verän-

derte Ernährungsweisen aufgrund von Än-

derungen in der Bewirtschaftung oder

durch Umweltverschmutzungen. Bei-

spielsweise haben Indigene des Amazo-

nastieflands ihren Proteinbedarf fast aus-

schließlich durch Fischfang gedeckt. In

vielen Gemeinden ist das Fischaufkom-

men heute durch Übernutzung stark zu-

rückgegangen oder die Fische sind durch

Industrie- und Bergbauabwässer so stark

belastet (Quecksilber), dass ihr Verzehr

gesundheitsgefährdend geworden ist.

Unzugängliche Lage vieler indigener

Gemeinden, wodurch kein regelmäßiger

Zugang zu Gesundheitsleistungen möglich

ist.

Ein anderes Verständnis der indigenen

Völker von Gesundheit und Krankheit

sowie die Existenz von komplexen traditi-

onellen Gesundheitssystemen, die mit

der Schulmedizin in Konflikt geraten (siehe

unten).

Konzeption staatlicher oder EZ

geförderter Gesundheitsprogramme:

Staatliche Programme tragen den spezifi-

schen soziokulturellen Rahmenbedingun-

gen oft nicht ausreichend Rechnung; sie

Page 143: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

137

sind meist sehr technisch (z.B. Trinkwas-

serversorgung) oder ausschließlich auf die

Schulmedizin orientiert. Es gibt keine spe-

zifischen, an die Anforderungen der indi-

genen Bevölkerung angepassten Ange-

bote und Dienstleistungen. Die zentralisti-

sche Praxis, Programme in der Hauptstadt

zu planen und von dort zu steuern, ver-

stärkt diese Tendenz.

Mangelhafte Einbeziehung der indige-

nen Bevölkerung, insbesondere der

Frauen, in die Planung und Durchführung

von Gesundheits- und Aufklärungskam-

pagnen behindern die Akzeptanz und

Nachhaltigkeit von Verbesserungen in den

indigenen Gemeinden.

Fehlende kulturell angepasste Gesund-

heitserziehung in den indigenen Gemein-

den sowie unzureichende Ausbildung und

fachliche Begleitung der indigenen Ge-

sundheitsberater.

... und die Gesundheit indigener Frauen?

Die Gesundheit indigener Frauen steht in Ab-

hängigkeit zu ihrem meist noch untergeordne-

ten sozialen Status sowohl in der ehelichen,

familiären Beziehung als auch in der jeweiligen

nationalen Gesellschaft. Aufgrund ihrer ethni-

schen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts und

meist ländlichen Herkunft bzw. ihrer Armut sind

sie dreifach benachteiligt. Frauen sind in ihrer

sozialen Rolle verantwortlich für die Kinderer-

ziehung, die tägliche Haushaltsarbeit und in

vielen Gemeinschaften auch für den Feldbau.

Die schweren und zeitaufwendigen Arbeiten

lassen selten andere Aktivitäten wie Bildung,

Teilnahme an Gemeindeversammlungen oder

Gesundheitsvorsorge für sie und ihre Kinder zu

– was auf ihre Gesundheitssituation große

Auswirkungen hat (PAHO, o.J.). Außerdem

verschließt ihnen ihr gesellschaftlicher Status

oft die Beteiligung.

Gesundheitsprobleme von Frauen treten sehr

oft in Verbindung mit der Reproduktion auf

(u.a. frühe Schwangerschaften, Schwanger-

schafts- und Geburtskomplikationen, Anämie).

Oft sind Frauen Opfer von Gewalt und sexuel-

lem Missbrauch, was zu psychischen Trau-

mata, Ängsten führt (PAHO, o.J.).

Viele indigene Frauen bevorzugen bei der

Geburt die Betreuung durch traditionelle He-

bammen anstelle von Gesundheitsstationen

und Krankenhäuser. Einige der ausschlagge-

benden Faktoren sind größeres Vertrauen,

muttersprachliche Betreuung während

Schwangerschaft und Geburt, Geburt in der

Hocke (anatomisch sinnvoller), Wahrung der

Privatsphäre sowie die Möglichkeit Zeremo-

nien beizubehalten. Zum Beispiel die Ehrer-

weisung an die Plazenta im andinen Raum:

Der Plazenta wird in einer Zeremonie dafür

gedankt, dass sie das Kind ernährt und be-

gleitet hat, und sie wird in einigen Fällen rituell

bestattet oder verbrannt. Die gängige Praxis

der Gesundheitsstationen, die Plazenta ent-

weder wegzuwerfen, oder an die Kosmetikin-

dustrie zu verkaufen, ist für viele werdende

Mütter ausschlaggebend, sich nicht an diese

zu wenden. Außerdem setzen staatliche Pro-

gramme und Fördermaßnahmen oft Mitarbeiter

ein, die ausschließlich spanisch sprechen, und

sich aufgrund der meist mangelnden Spa-

nischkenntnisse der Frauen, eher an die Män-

ner richten. So werden medizinische Behand-

lungen von dem technischen Personal oft im

Vorfeld nicht erklärt bzw. das Recht der Pati-

entin auf eine Aufklärung nicht respektiert.

Verständnis indigener Völker von Gesundheit und Krankheit und deren Behandlung

Jede Kultur versteht etwas anders unter

Krankheit und Gesundheit. Wann einer Miss-

befindlichkeit Krankheitswert beigemessen

wird, hängt von individuellen und kulturellen

Variablen ab. Unsere westlichen Definitionen,

die auf das körperliche, geistige und seelische

Wohlbefinden abzielen, gehen von einer

christlichen Konzeption des Menschenbildes

aus. Wenn Körper und Seele, entsprechend

eines anderen Weltbildes, anders verstanden

werden, passen diese Definitionen nicht mehr.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)

beschreibt Gesundheit als Zustand "of com-

plete physical, mental and social well-being

and not merely the absence of disease or in-

firmity” (WHO, 1946).

Page 144: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

138

Foto: Behandlung in einer indigenen Gemeinde in Peru (K. HEISING)

Viele indigene Völker sehen in Krankheiten die

Folge eines Ungleichgewichtes des Geistes

und der Seele des Einzelnen oder der Ge-

meinschaft, die z.B. durch bösen Zauber,

Geister oder Dämonen verursacht werden

können. Bei Krankheiten wird zwischen natürli-

chen und übernatürlichen Ursachen unter-

schieden, was sehr komplexe und ausdifferen-

zierte Behandlungssysteme hervorgebracht

hat, die von verschiedenen Personen der Ge-

meinschaft wie z.B. Schamanen, Kräuterhei-

lern, Pflanzenexperten, Knochenrichtern,

Kräuterfrauen oder Heilkundigen praktiziert

werden (siehe Kasten 2). Die Besonderheiten

der lokalen Heiler liegen in ihrer Kompetenz,

Autorität und Berufung. Meist haben sie eine

lange Initiationszeit bis sie ihre Anerkennung

als Heiler erfahren. Die Erklärungsmodelle des

Heilers und des Patienten stammen meist aus

demselben kulturellen Umfeld. Heiler beheben

Gesundheitsstörungen indem sie kulturell ak-

zeptierte und erprobte Methoden anwenden.

Ihre Funktion ist meist umfassender als die der

westlichen Ärzte, denn auch soziale, psychi-

sche, spirituelle Aspekte gehen in die Be-

handlung ein. Dabei wird der Heiler oft zum

Mittler zwischen der Gemeinschaft und der

übernatürlichen Welt.

Bei Behandlungsmethoden gibt es einen ent-

scheidenden und interessanten Unterschied:

Während in der modernen Medizin z.B. bei

psychischen Erkrankungen dem Patienten

psychoaktive Substanzen verabreicht werden,

ist es in der traditionellen Medizin meist der

Heiler der diese zu sich nimmt, um die Diag-

nose zu erstellen, und die weitere Behandlung

zu bestimmen.

Es gibt auch Krankheiten, die in einem Volk so

stark verbreitet sind (endemische Krankhei-

ten), dass sie von diesem kaum mehr als

Krankheit wahrgenommen werden. PAHO und

GTZ begleiteten ein Programm unter Federfüh-

rung des Gesundheitssekretariats von Chiapas

(Mexiko), zur Reduzierung des Trachoms1 bei

den Tzeltal (Hochchiapas). Hier war viel Über-

zeugungsarbeit zu leisten, damit der sehr all-

mähliche Krankheitsverlauf von der

Bevölkerung als behandelbar erkannt wurde

und nicht als natürlicher Lauf der Dinge.

1 eine Bindehautentzündung, die, wenn unbehan-delt, zur Blindheit führt

Page 145: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

139

Kasten 2: Beispiele indigener Heilerpersönlichkeiten in verschiedenen Gemeinschaften

Indigene

Gemeinschaft

Protagonisten des traditionellen Gesundheitssystems

Aymara

(Bolivien,

Peru)

Yatiri (bedeutet “der Meister“): Er diagnostiziert die Krankheiten, konsultiert dabei Kokablätter

und behandelt mit Naturheilmitteln. In einigen Fällen wird eine komplizierte Opfergabe an die

Kräfte und Geistwesen, die etwas mit der Krankheit zu tun haben, vorbereitet.

Ch´amakani (bedeutet “der Herr der Dunkelheit“): Er nutzt die Dunkelheit, die Schatten und die

Nacht, um sich mit den übernatürlichen Wesen in Verbindung zu setzen und mit Ihnen zu spre-

chen. Er ist Vermittler zwischen diesen Wesen und den Patienten, um die Gründe für eine

Krankheit herauszufinden.

Kallawaya oder Naturheiler: Neben der Anwendung von Medizin aus Flora, Fauna und Minera-

lien setzen sie spezifische Rituale für verschiedene Krankheitsbilder ein.

Ngöbe

(Panama)

Sukia: Heiler, Hellseher und Autorität in spirituellen und rituellen Angelegenheiten. Er ruft die

übernatürlichen Kräfte, redet mit ihnen und wendet Naturheilmittel an.

Bicho: Frauen, die in Familiengesundheit kundig sind und ihr Wissen auf Familienebene oder

auch Dorfebene anwenden.

Ashaninka

(Peru)

Sheripari (Schamane): Er hat Zugang zu Aspekten und Sphären der Wirklichkeit, die anderen

Ashaninka verborgen bleiben, und kann in Trance die Geistwesen der Natur und Herren der

Tiere besuchen. Er hat außerdem besondere Beziehungen zu weiblichen Geistern bestimmter

Pflanzen, die ihm bei der Anwendung von Naturheilmitteln den Weg weisen.

Tucano

(Kolumbien)

Payés (Schamanen): Sie sind zuständig für das ökologische und soziale Gleichgewicht der

Gemeinschaft.

Cumus: Heiler, die neben traditionellen Methoden auch Elemente der westlichen Medizin ver-

wenden.

Quellen: PAHO, 2002c; AIDESEP/ PSI, 2002; REICHEL-DOLMATOFF, 1997

Traditionelle Medizinsysteme in Lateinamerika

Traditionelle Medizin ist das Gegenstück zur

Schulmedizin. Die Traditionelle Medizin ist

anders als die Schulmedizin von Region zu

Region sehr verschieden. Der Begriff “Traditio-

nelle Medizin“ bedeutet nicht, dass es zu kei-

nen Neuerungen gekommen sei, sondern

vielmehr, dass das Medizinsystem Teil der

Kultur und direkt mit den jeweiligen Wertevor-

stellungen, Weltanschauungen, Theorien,

Normen etc. verknüpft ist (GREIFELD, 2001:71).

Dabei gibt es nicht nur eine Traditionelle Medi-

zin, sondern vielmehr viele unterschiedliche

sich gegenseitig beeinflussende Systeme.

Medizinsysteme unterscheiden sich in den

Erklärungskonzepten von Krankheitsursachen,

in den Heilerpersönlichkeiten bzw. Experten

und in den Behandlungen/ Therapien. Indiani-

sche Heilkunst wurde zur Kolonialzeit von den

Missionaren und westlichen Wissenschaftlern

als Aberglaube bekämpft. Heute wird dieses

Wissen anders beurteilt: Viele westliche Wis-

senschaftler wenden sich Schamanen und

ihrer Heilkunst mit großem Interesse zu.

Zu den in Lateinamerika sowohl bei der indi-

genen als auch mestizischen Bevölkerung

bekannten Konzepten in der traditionellen Me-

dizin gehört z.B. das Warm-Kalt-System und

Susto (siehe Kasten 3 und 4).

Viele traditionelle Behandlungsweisen verraten

eine sehr gute Kenntnis von Anatomie, (Heil-)

Botanik und Neurologie. So sind die Tucanos

des kolumbischen Amazonastieflands in der

Lage geistige Aktivitäten im Gehirn korrekt zu

verorten (REICHEL-DOLMATOFF, 1997).

Page 146: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

140

Moderne und traditionelle Medizin werden von

den Indigenen weniger als Konflikt empfunden

sondern als verschiedene Optionen. Auf mo-

derne Medizin wird gerne bei akuten Erkran-

kungen und Unfällen zurückgegriffen, während

z.B. bei chronischen Erkrankungen eher die

traditionelle Medizin geschätzt wird. Was letzt-

lich als effektive Behandlung beurteilt wird,

hängt vom Krankheitsverständnis ab. Als Ent-

scheidungskriterien treten Vertrauen, Sym-

ptome, räumliche Distanz, erwartete Effektivität

und Geld in den Vordergrund. Die Bedeutung

der Kosten für eine Behandlung ist aber als

Entscheidungskriterium zwischen traditioneller

oder Schulmedizin eher gering einzuschätzen,

da viele traditionelle Heiler mittlerweile mone-

täre Honorare verlangen (KNIPPER, 2000,

2001) bzw. auch bei nicht monetärer Bezah-

lung nicht mehr “billig“ sind.

Kasten 3: Das Warm-Kalt-System in Lateinamerika – ein Konzept der ausgewogenen Elemente

Das Warm-Kalt-System ist ein Konzept innerhalb der traditionellen Medizin, das mit kulturellen und regionalen

Unterschieden in ganz Mittel- und Südamerika zu finden ist. Grundsätzlich kann es als eine Art Harmonielehre

nach dem Prinzip der ausgewogenen Elemente verstanden werden. Die Einteilung in Warm und Kalt ist ein we-

sentliches Merkmal der indigenen Kultur und bezieht sich auf eine Gruppierung verschiedener Substanzen (Nah-

rungsmittel, Pflanzen etc.). Warm und Kalt ist dabei die Benennung einer Energie, deren Komponenten sich ge-

genüberstehen, einander ergänzen bzw. zu einer Ausgewogenheit führen. Diese Lebensenergie muss vom Men-

schen ausgelotet werden, da eine Störung des Gleichgewichts zu Krankheit bzw. Missbefinden führt. Das Warm-

Kalt-System ist Teil einer komplexen Weltanschauung. Als Verursacher kalter Krankheiten gelten u.a. Wasser,

Geburt, Menstruation, Mond oder Regenbogen. Verursacher warmer Krankheiten sind u.a. Sonne, Schadenszau-

ber oder unausgewogene Ernährung.

Kasten 4: “Susto“, der Seelenverlust

Susto ist als Erkrankungskonzept in Süd- und Mittelamerika weit verbreitet und wird mit dem Warm-Kalt-System

in Verbindung gebracht, d.h. es handelt sich ebenfalls um ein Ungleichgewicht. Susto bedeutet Schreck oder

Erschrecken, was auf die Ursache der Krankheit verweist. Auch der natürliche Schreck als Folge von Unfällen,

Albträumen und der Schreck nach der Begegnung mit Geistwesen jeglicher Art kann diese Erkrankung bewirken.

Ein Schreck kann zum Seelenverlust bzw. zur Abwesenheit der Seele des Kranken führen. Symptome der Er-

krankung umfassen Schwäche, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Depression, Unruhe, Fieber, epileptische Anfälle.

Susto kann auch zum Tod führen. So vielfältig die Symptome und Auslöser der Krankheit sind, genauso vielfältig

sind die Behandlungsmethoden: z.B. Zurückrufen der Schattenseele, Opfer an die Geister, die die Seele gefan-

gen haben, Massagen, Bestreichen des Körpers mit rituellen Gegenständen und Pflanzen, Schwitzen bis hin zum

erneuten Erschrecken des Kranken. Deutungsversuche im Sinne schulmedizinischer Kategorien sind schwierig.

Die Bedeutung traditionell verwendeter Heilpflanzen

Bei den meisten indigenen Völkern haben

Heilpflanzen und das Wissen um ihre Anwen-

dung immer noch eine hohe Bedeutung für die

Gesundheitsversorgung. Die traditionell ver-

wendeten Naturheilmittel sind nicht nur billiger

als moderne Medikamente sondern stellen in

abgelegenen ländlichen Gebieten oft die einzig

verfügbare Medizin dar (GTZ, 2001). In der

traditionellen Medizin der Quichua des Ama-

zonasgebietes in Ecuador beispielsweise ha-

ben viele Personen Kenntnisse und Fertigkei-

ten von der jeweils älteren Generation erlernt,

die ihnen ermöglichen allgemeine Krankheiten

wie Kopfschmerzen, Fieber und Erbrechen mit

Hilfe von Medizinalpflanzen zu lindern oder zu

heilen. Darüber hinaus gibt es auch noch Spe-

zialist/innen mit besonderen Heilpflanzen-

Page 147: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

141

kenntnissen, die mehr als 70 Pflanzenspezies

einzusetzen wissen (BORGTOFT ET AL., 1999).

Heute werden viele Heilpflanzen bzw. deren

Inhaltsstoffe, die ihre ursprüngliche Verwen-

dung in indigenen Kulturen haben, wie z.B. das

Curare (Strychnos toxifera) oder der Chinarin-

denbaum (Cinchona officinalis), weltweit er-

folgreich eingesetzt und von der Pharmain-

dustrie vermarktet. Insbesondere die über

Generationen gesammelten Pflanzenkennt-

nisse indigener Spezialisten (z.B. Schamanen)

sind für Ethnobotaniker und die pharmazeuti-

sche Industrie interessant und versprechen

eine wesentlich höhere Trefferrate bei der

Entdeckung neuer Wirkstoffe (vgl. REINHARDT,

2002; siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in die-

sem Band).

Foto: Eine Shuar-Frau zeigt eine von ihr verwendete Heilpflanze (S. REINHARDT)

In Chile hat die GTZ im Auftrag des BMZ ein

Projekt von Mapuche-Frauen zur Wiederge-

winnung und zur Bewahrung des Wissens von

Kräuterfrauen (Yerbareras), Hebammen (Par-

teras), Medizinfrauen und -männern (Machi)

über traditionelle Medizin und Heilmittel, die

aufgrund des starken Einflusses westlicher

Kultur immer weiter verloren geht und immer

weniger angewendet wird, unterstützt. Das

Projekt leistet einen Beitrag zur Erhaltung der

traditionellen Kultur und zur Verbesserung der

medizinischen Situation in den indigenen Ge-

meinden. Die Wiederbelebung traditioneller

Heilmethoden kann die Bevölkerung für die

Behandlung einiger Krankheiten unabhängig

von der staatlichen medizinischen Versorgung

machen. Die chilenische Regierung hat in den

letzen Jahren das staatliche Gesundheitsnetz

auch in die entlegenen ländlichen Gebiete der

Mapuche ausgeweitet. Bisher bieten diese

Einrichtungen jedoch den Mapuche selten eine

adäquate Behandlung, die ihrer kulturellen

Denkweise entspricht. Behandlungen können

oft nicht durchgeführt werden, da viele Mapu-

che keine dazu nötige Krankenversicherung

haben bzw. ihnen die finanziellen Mittel fehlen.

Diese Situation macht es notwendig, auf lokale

Heilmethoden zurückzugreifen, und eine Ver-

bindung und einen Austausch zwischen dem

staatlichen Gesundheitswesen und den Kennt-

nissen traditioneller Medizin herzustellen. Viele

der Hilfe suchenden Kranken würden keinen

Arzt benötigen, wenn sie mit einer verbesser-

ten Grundhygiene und mit natürlichen Heilmit-

teln den Krankheiten begegnen könnten.

Auch im Rahmen des TZ-Projektes “Förderung

des lokalen Wissens zum Erhalt der Biodiver-

sität und zur Ernährungssicherung aus der

Gender-Perspektive“ in Peru wurde das traditi-

onelle Wissen zur Heilung von Krankheiten

durch Pflanzen gestärkt. Ergebnisse des Pro-

jektes konnten in die nationale Politik einflie-

ßen und tragen sowohl zum Erhalt als auch zur

Anerkennung des traditionellen Wissens der

lokalen, meist indigenen Bevölkerung der Pro-

vinzen Ayacucho und San Martín (Peru) bei

(GTZ, 2002).

Internationale Ansätze zum Thema indigene Gesundheit

Das grundlegende Dokument für die Rechte

indigener Völker ist zweifellos die Konvention

169 der Internationalen Arbeitsorganisation

(ILO) von 1989 (siehe auch SPEISER in diesem

Band). Artikel 24, 25 und 30 nehmen Bezug

zum Thema Gesundheit indigener Völker. Die

Unterzeichnerstaaten werden aufgefordert,

Page 148: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

142

ihre Gesundheitsdienste progressiv so auszu-

richten, dass auch die indigene Bevölkerung

erreicht wird. Die Gesundheitsdienste sollen

kulturell angemessen und möglichst auf Ge-

meindeebene unter partizipativer Einbeziehung

der Bevölkerung entwickelt werden, wobei

ihrer traditionellen Gesundheitsvorsorge, ihren

Heilverfahren und -mitteln Rechnung getragen

werden soll.

Auch durch die UN-Dekade für indigene Völker

(199-2004) bei der Gesundheit ein Pro-

grammschwerpunkt bildete, bekam das Thema

Aufschwung.

Die WHO (World Health Organisation der UN)

entwickelt ein Aktionsprogramm “Indigene und

Gesundheit“, dessen Ziel die Bekämpfung der

Ungleichbehandlung indigener Völker im Ge-

sundheitsbereich ist. Die prekäre Gesund-

heitssituation indigener Völker soll in den

WHO-Programmen auf nationaler, regionaler

und globaler Ebene aufgegriffen werden.2

Weiterhin hat die WHO eine Strategie zu tradi-

tioneller Medizin (2002-2005) entwickelt. Ziel

dieses Dokumentes ist es, u.a. die Bedeutung

traditioneller Medizin in Gesundheitssystemen,

aktuelle Möglichkeiten und Änderungen sowie

die Rolle und Strategie der WHO zu traditio-

neller Medizin für die kommenden Jahre zu

diskutieren.

Auch die Panamerikanische Gesundheitsorga-

nisation PAHO hat das Thema vertieft und für

den Gesundheitsbereich auf dem lateinameri-

kanischen Kontinent ein umfassendes Konzept

für die besondere Förderung indigener Ge-

meinschaften entwickelt. Aufgrund der Emp-

fehlungen der “Sitzung von Winnipeg“, Ka-

nada, im Jahre 1993 ist die Initiative “Gesund-

heit indigener Völker“ entstanden. Sie orientiert

sich an den Prinzipien (PAHO, 1993):

1. Ganzheitliches Gesundheitsverständnis

2. Recht der indigenen Völker auf Selbstbe-

stimmung

3. Respekt und Wiederbelebung der indige-

nen Kulturen

4. Reziprozität der Beziehung

2 Das Programm ist nicht veröffentlicht, kann aber auf Anfrage bezogen werden (siehe auch unter www.gtz.de/indigenas).

5. Recht auf systematische Einbeziehung der

indigenen Völker

Die aktuelle Umsetzung erfährt diese Politik in

dem strategischen Arbeitsplan 1999-2002:

"Marco estratégico y plan de trabajo 1999-

2002: Salud de los Pueblos Indígenas". Das

Ziel der PAHO und ihrer Partner ist es, den

Zugang zu Basisgesundheitsdiensten, und die

Versorgung indigener Völker zu verbessern.

Die drei Hauptkomponenten des Aktionspro-

gramms sind: a) Entwicklung von Gesund-

heitsplänen mit indigenen Gemeinschaften in

ausgewählten Ländern; b) Entwicklung von

Projekten, um die dringendsten Gesundheits-

probleme besonders gefährdeter indigener

Gruppen anzugehen und c) Unterstützung und

Stärkung traditioneller Medizin.

Auch die Erreichung der UN Millennium Deve-

lopment Goals (4) "Senkung der Säuglings-

sterblichkeit", (5) "Verbesserung der Gesund-

heit von Müttern" und (6) "Bekämpfung von

HIV/ Aids, Malaria und anderen Krankheiten"

dürfte in einigen Ländern Lateinamerikas wie

Guatemala, Bolivien, Peru und Ecuador ohne

eine wirkungsvolle und speziell auf Indigene

ausgerichtete Gesundheitspolitik sehr schwie-

rig werden.

Staatliche Gesundheitspolitik und Gesundheitsdienste

Vom Staat eingerichtete Gesundheitsposten

gibt es in indigenen Gemeinden eher selten

und wenn sie vorhanden sind, dann oft nur mit

spärlicher Ausstattung. Auch das qualifizierte

angestellte Personal ist nicht permanent an-

wesend. Viele der eingesetzten Ärzte sind

Berufsanfänger, die ihr praktisches Jahr absol-

vieren und manche empfinden die Arbeit mit

Indigenen als Bestrafung. Oft sind sie nur we-

nig oder überhaupt nicht mit der indigenen

Sprache und den Gebräuchen der Bevölke-

rung vertraut und schlimmstenfalls mit starken

Vorurteilen behaftet. Im Rahmen von staatli-

chen Gesundheitsprojekten werden aber auch

speziell indigene Gemeindemitglieder mit

schulmedizinischen Grundkenntnissen ausge-

bildet und praktizieren als Dorfgesundheitsar-

beiter.

Page 149: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

143

In großen, von indigener Bevölkerung be-

wohnten Regionen sind traditionelle Heiler und

Hebammen die einzigen Experten, die Ge-

sundheitsdienstleistungen anbieten. Kampag-

nen zur Abwertung und Illegalität traditioneller

Heilmethoden bei gleichzeitiger unzureichen-

der Präsenz und Qualität von staatlichen Ge-

sundheitsdiensten tragen zur Verwirrung und

zur chronischen Unterversorgung der indige-

nen Patienten bei. In Peru z.B. lautet § 290

des Strafgesetzbuches: “Derjenige, der nicht

über den entsprechenden (akademischen)

Titel verfügt und Diagnosen oder (die Gesund-

heit betreffende) Gutachten erstellt und ir-

gendwelche Mittel zur Erlangung der Gesund-

heit verschreibt oder verabreicht (und sei es

kostenfrei), soll mit bis zu 2 Jahren Freiheits-

strafe oder 20 bis 50 Tagen gemeinnütziger

Arbeit bestraft werden (…)“ (Übersetzung K.

Heising). Dieses Gesetz wird zwar in den Ge-

bieten mit mehrheitlich indigener Bevölkerung

nicht angewandt, steht aber einer konstrukti-

ven indigenen-orientierten Gesundheitspolitik

im Weg. Auch in Ecuador ist das traditionelle

Medizinsystem rechtlich nicht anerkannt und

damit illegal, es wird jedoch vom Staat gedul-

det (BUÍTRON, 1999).

Teilweise haben auch sehr aggressive Kam-

pagnen im Bereich reproduktiver Gesundheit

stattgefunden, die das Vertrauen der indigenen

Bevölkerung in die staatlichen Gesundheits-

dienste gebrochen haben: In einigen Ländern

wurden systematisch Zwangssterilisierungen

bei indigenen Frauen durchgeführt (v.a. Peru

1995-1998, aber auch Mexiko). Viele Indigene

hatten bei anstehenden Impfkampagnen Angst

vergiftet oder sterilisiert zu werden, so dass sie

sich und vor allem ihre Kinder versteckten.

Positive Ansätze einer auf die indigene Bevöl-

kerung zugeschnittenen staatlichen Gesund-

heitspolitik sind u.a. in Panama, Chile und

Brasilien sichtbar:

Panama: In den autonomen Indigenen-Ge-

bieten (Comarca) von Ngöbe-Bugle arbeiten

traditionelle Heiler und Hebammen mit den

staatlichen Gesundheitsdiensten zusammen.

1999 hat das Gesundheitsministerium den

Bereich "Indigene Gesundheit" gegründet und

versucht, Ansätze einer interkulturellen Ge-

sundheitspolitik umzusetzen. Die Verwaltung

hat sich zum Ziel gesetzt, die traditionelle und

moderne Medizin zu harmonisieren und zu

fusionieren. Den traditionellen Heilern und

Hebammen wird in diesem Rahmen innerhalb

ihres Aufgabenbereichs das Recht zugestan-

den, zu diagnostizieren, zu behandeln und

Medizin zu verabreichen. Einer effektiven Zu-

sammenarbeit steht allerdings im Wege, dass

die staatlichen Dienste wenig von den Be-

handlungs- und Wirkungsweisen, Effektivität,

Grenzen und Möglichkeiten der traditionellen

Medizin wissen. Umgekehrt fehlt den traditio-

nellen Experten wiederum das Wissen über die

Schulmedizin (PAHO, 2002a).

Chile: Seit 1999 steht in der IX. Region das

Makewe-Pelale Hospital erfolgreich unter der

Verwaltung der gleichnamigen indigenen Or-

ganisation. Im Einzugsgebiet des Krankenhau-

ses leben etwa 16 000 Mapuche. Das gesamte

Personal spricht die Sprache der Mapuche,

und beherrscht sowohl die traditionelle als

auch die moderne Medizin. Die Behandlung

orientiert sich an der Tradition der Mapuche:

Empfang, Ablauf des Patientengesprächs,

Diagnose, Behandlung mit moderner oder

traditioneller Medizin oder komplementär,

Überweisung an Fachärzte oder Machi etc..

Die Zusammenarbeit der beiden Behandlungs-

systeme scheint gut zu funktionieren, wenn es

auch Barrieren gibt: Den Schulmedizinern fällt

es schwer, zu verstehen, dass die Machi mit

übernatürlichen Kräften in Verbindung stehen,

sie gestehen aber ein, dass bei Patienten, die

von den Machi behandelt werden, Erfolge er-

zielt werden, und dass diese heilen können

(PAHO, 2002b).

Brasilien: 1999 wurde die Zuständigkeit für die

Gesundheit der indigenen Bevölkerung lan-

desweit der Nationalen Stiftung für Gesundheit

FUNASA (Fundação Nacional de Saúde)

übertragen. Das Programm von FUNASA zielt

auf die Einrichtung von speziellen indigenen

Gesundheitsdistrikten (DSEI) und auf die Aus-

bildung und Untervertragnahme von Gesund-

heitspersonal indigener Herkunft, fördert den

interinstitutionellen und partizipativen Ansatz,

und versucht die Vorstellungen von Gesund-

heit und Krankheit und Behandlungsmethoden

Page 150: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

144

der jeweiligen Völker zu berücksichtigen (FU-

NASA, 2004).

Ansätze indigener Organisationen

Obwohl politische Themen wie Landrechte,

Menschenrechte und Bürgerrechte bei den

Indigenen-Organisationen klare Priorität ha-

ben, haben einige Organisationen in den

1990er Jahren angefangen, sich für das

Thema Gesundheit in den indigenen Gemein-

den einzusetzen. Die Organisationen des

Amazonastieflandes AIDESEP (Asociación

Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana)

in Peru, OPIAC (Organización de los peublos

indígenas de la Amazonia Colombiana) in

Kolumbien und COIAB (Coordenação das

Organizações Indígenas da Amazônia) in Bra-

silien haben eigene Gesundheitsprogramme

entwickelt und beziehen konstruktiv Stellung.

Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine Reform der

staatlichen Gesundheitsdienste und die Zu-

sammenarbeit mit ihnen vorschlagen. Das

Programm Indigene Gesundheit (PSI) von

AIDESEP (2004) umfasst:

1. “Wiederherstellung und Weiterentwicklung

der indigenen Medizin als eine der Grund-

komponenten der Kultur und menschlicher

und materieller Ressourcen sowie spiritu-

eller, magischer und anthropologischer

Aspekte

2. Annäherung der wirkungsvollen Beiträge

der westlichen Medizin an die indigenen

Gesundheitssysteme

3. Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsmi-

nisterium um Epidemienkontrolle, Impf-

und andere Gesundheitskampagnen zu

unterstützen

4. Vorschlag an das Gesundheitsministerium

zur Einrichtung eines interkulturellen ama-

zonischen Gesundheitsinstitutes“

Schlussbemerkung

Respekt für die kulturelle Diversität und ein

tiefes Verständnis der unterschiedlichen Be-

dürfnisse, sind nach Ansicht der PAHO3

Schlüsselelemente um die Gesundheitssitua-

3 Internetveröffentlichung. http://www.paho.org/English/DD/PIN/pr040809.htm

tion der indigenen Bevölkerung nachhaltig zu

verbessern. Insbesondere EZ-Vorhaben die

eine Zusammenarbeit der lokalen Bevölke-

rung, traditionellen Heilern, Hebammen mit

den staatlichen Gesundheitsdiensten fördern

und somit dazu beitragen eine indigenen-ori-

entierte Gesundheitspolitik in den jeweiligen

Staaten zu verankern und umzusetzen, sind in

diesem Kontext von besonderer Wichtigkeit.

Dabei sollte auch an der Schaffung von (ge-

setzlichen) Rahmenbedingungen mitgewirkt

werden, die eine Zusammenarbeit von indige-

nen Gesundheitssystemen und der Schulme-

dizin fördern. Meist werden indigene Gesund-

heitssysteme und Schulmedizin als schwer

kompatibel betrachtet. Es gibt jedoch Beispiele

dafür, dass durch eine komplementäre Be-

handlung bessere Heilerfolge erzielt werden

können. Dabei ist es unverzichtbar, dass

sowohl die traditionellen Heiler als auch das

staatliche Personal die Grundzüge, Methoden,

Behandlungsweisen, Möglichkeiten und Gren-

zen des jeweils anderen Systems kennen und

dieses respektieren. Es sollte im Rahmen der

bilateralen EZ auf beiden Seiten (Staat – Indi-

gene) angesetzt werden. Zur Durchführung

spezifischer Gesundheitsprojekte in der EZ

sind sehr gute Kenntnisse der lokalen Ziel-

gruppe und ihres Gesundheitssystems unab-

dingbar. Es wäre wünschenswert, dass diese

Informationen und Daten zunehmend zur

Verfügung stehen bzw. erhoben werden und

insbesondere auch weitere Methodenkompe-

tenz geschaffen und vermittelt werden.

Page 151: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Gesundheit

145

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1948

Page 152: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

KARIN MARITA NAASE, HEIDI FELDT & SILKE SPOHN

Indigene Völker in Lateinamerika haben ange-

passt an ihre jeweilige Umwelt vielfältige Pro-

duktions- und Reproduktionsmuster entwickelt.

Ihre Integration in die nationalen Wirtschafts-

systeme ist unterschiedlich stark ausgeprägt.

Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten reichen vom

Brandrodungsfeldbau in (tropischen) Waldge-

bieten und Viehzucht in den Hochplateaus der

Anden, über kleinbäuerliche Landwirtschaft bis

zu Lohnarbeit und Handel in den Städten. Auf-

grund dieser Vielfalt gibt es nicht die Wirtschaft

indigener Völker in Lateinamerika und es muss

statt im Singular im Plural von Wirtschaften

gesprochen werden.

Wirtschaftsethnologen unterschieden zwischen

indigener oder ethnischer Wirtschaft und den

marktorientierten Wirtschaftsformen und –akti-

vitäten einer eher unternehmerischen indige-

nen Bevölkerung. Für die Wirtschaftsethnolo-

gen ist indigene Wirtschaft ein kulturelles Re-

gelsystem, das weitgehend unabhängig von

Marktprinzipien funktioniert. Indigene Wirt-

schaft existiert heutzutage in den wenigsten

Fällen in Reinform. Ihre Aktivitäten sind in so-

ziale und politische Beziehungen und Interakti-

onen eingebettet und es gibt keine ausge-

prägten eigenen wirtschaftlichen Institutionen

und Einheiten (POLANYI, 1979; PLATTNER,

1989; NAASE, 1998). Außerdem gibt es keine

monetäre Lohnarbeit innerhalb dieses Systems

und die Akkumulierung von Besitz in den Hän-

den einiger weniger ist weitgehend ausge-

schlossen. Besitzunterschiede innerhalb einer

Gruppe kann es zwar geben, doch existieren

zahlreiche Mechanismen, die diese Unter-

schiede nivellieren. Von den Personen, die

über größeren Besitz als die Mehrheit verfü-

gen, wird Großzügigkeit gegenüber den ande-

ren Gruppenmitgliedern erwartet.

Die Sozialeinheiten wie der Haushalt oder die

erweiterte Familie sind in ein Netzwerk von

verwandtschaftlichen Beziehungen eingebun-

den, das die Mitglieder dieses Beziehungsnet-

zes unterstützt. Zur Aufrechterhaltung dieses

Netzes ist der konstante Austausch von Gütern

und Leistungen notwendig. Der wechselseitige

Austausch von Gütern und die Beantwortung

von Leistungen wird als Reziprozität bezeich-

net, da es sich um Transaktionen handelt, die

auf Gegenseitigkeit basieren.

Die mehr oder weniger intensive Integration in

den Markt und in die jeweilige Nationalgesell-

schaft hat bei den indigenen Völkern zu einer

Reihe von Anpassungsproblemen geführt. Die

Marktmechanismen stellen die vorhandene

moralische Ordnung der indigenen Gruppe

infrage. So funktionieren zum Beispiel die

Austauschregeln nicht mehr in vollem Masse

und torpedieren das gute Funktionieren der

Gemeinschaft (ENSMINGER, 1990; NAASE,

2001). Fortschreitende Integration in den Markt

führt zum Widerspruch zwischen Werten und

Normen der indigenen, vorrangig auf Sub-

sistenz orientierten Wirtschaft und den Werten,

Normen und Regeln der Marktwirtschaft. Dies

führt zum Beispiel in Amazonien zu einer ge-

wissen Orientierungslosigkeit bei der indigenen

Bevölkerung (COICA, 1996)1. Andere indigene

Völker, z.B. in Zentralamerika, scheinen die

unterschiedlichen Logiken besser miteinander

kombinieren zu können (ZARATE, 2002).

In diesem Beitrag wird – beispielhaft – die ak-

tuelle wirtschaftliche Situation der indigenen

Völker, ihre Wirtschaftweisen und Vorstellun-

gen sowie die nationale Wirtschaftspolitik ein-

zelner Staaten und ihre Beachtung der Indige-

nen dargestellt. Daran schließt sich die Frage

an, was die multi- und bi-laterale Entwick-

lungszusammenarbeit in diesem Zusammen-

hang leisten kann und ob eine gezielte Unter-

1 Eigentlich: Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica (COICA) & OXFAM América (1996) Amazonía: Economía indígena y mercado. Los desafíos del desarrollo autónomo, Quito. Um die Zitierung zu vereinfachen in Zukunft immer unter COICA 1996 aufgeführt.

146

Page 153: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

147

stützung indigener Wirtschaftsprojekte sinnvoll

ist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der

Situation der indigenen Gemeinschaften, die in

ländlichen Regionen leben (zur Situation der

städtischen indigenen Bevölkerung siehe auch

SPEISER in diesem Band).

Foto: Bearbeitung des Rohkaffees in Panama (S. SPOHN)

Die wirtschaftliche Situation der indigenen Völker in Lateinamerika

Indigene Völker in Lateinamerika leben in Re-

gionen mit sehr unterschiedlichen Ökosyste-

men, die ihre Wirtschaftsweisen maßgeblich

bestimmen.

Amazonien

Es ist für die indigenen Völker der Amazonas-

region charakteristisch, dass sie relativ egalitär

aufgebaut sind, solange sie nur marginal in die

Nationalgesellschaft und in den Markt integriert

sind. Produktion, Verteilung und Konsum sind

dezentralisiert und es bestehen keine formalen

(Wirtschafts-) Institutionen.

Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zur Sub-

sistenzsicherung setzen sich aus mehreren

Tätigkeitsfeldern zusammen: Die wichtigste

Grundlage für die Nahrungssicherung bildet

bei den meisten Völkern der Brandrodungs-

feldbau. Weitere Tätigkeitsbereiche sind Jagd,

Sammeln und der Fischfang, wobei Jagd weit-

gehend von Männern und Sammlertätigkeiten

von Frauen betrieben werden. Was gesammelt

wird (Früchte, Wurzeln, Insekten, Larven)

richtet sich nach den jeweiligen Umweltgege-

benheiten. Einige Völker sammeln Honig, der

mittlerweile sowohl national als auch internati-

onal nachgefragt ist. Die indigene Landwirt-

schaft Amazoniens nutzt eine große Vielfalt

von Pflanzen. In den Hausgärten wurden bis

zu 50 verschiedene Sorten vorgefunden. Auch

ist die Variantenbreite bei ein und derselben

Pflanzenart sehr groß. Auf einer einzigen

Pflanzung indigener Produzenten in Acre

(Bundesstaat in Amazonien, Brasilien) hat man

rund 40 verschiedene Maniok-Arten vorgefun-

Page 154: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

den (SCHRÖDER, 2003:35-41). Dieser Arten-

reichtum ist jedoch durch zunehmende Markt-

orientierung bedroht.

Die meisten Amazonasvölker erwirtschaften

nur sehr geringe Überschüsse für die Ver-

marktung, können aber mit ihren Wirtschafts-

weisen ihre Nahrungsgrundlage sichern, so-

lange ihnen ein ausreichendes Territorium2 zu

Verfügung steht. Nachhaltige Reproduktions-

zyklen sind in der Amazonasregion in größe-

rem Umfang erhalten geblieben als in anderen

Regionen. Das Ziel der Ökonomien der indige-

nen Völker im Amazonas definiert SMITH (in

COICA 1996:154) wie folgt:

Befriedigung der Bedürfnisse des täglichen

Lebens der lokalen Gemeinschaften wie

Ernährung, Kleidung, Werkzeuge und kul-

turell bedingte Bedürfnisse,

Reproduktion der (erweiterten) Familie,

Durch den Tausch von Waren Solidaritäts-

beziehungen innerhalb der (Dorf-) Ge-

meinschaft und mit anderen Ansiedlungen

zu knüpfen und zu festigen.

In den meisten Regionen des Amazonas be-

steht heute eine Verflechtung zwischen Sub-

sistenz- und Marktwirtschaft, wobei der Zu-

gang zu den Märkten oft über Zwischenhändler

erfolgt. Diese bestimmen Preis und Abnah-

memenge der Produkte.

Der ökonomische Druck, der von außen auf

die Amazonasregion ausgeübt wird, hat sich in

den letzten 50 Jahren enorm verstärkt. Holz-

einschlag, Bergbau und Erdölförderung über-

lagern die indigenen Wirtschaftsweisen und

verursachen einen Bruch mit den traditionellen

Formen der Ernährungs- und Lebenssiche-

rung. Möglichkeiten eigene Alternativen zu

entwickeln, die ihren Kulturen und Wirt-

schaftsweisen entsprechen, bestehen kaum.

Die extraktive Industrie zerstört die Jagd-,

Fisch- und Sammelgebiete, schafft aber an-

derseits kaum alternative Beschäftigungs- und

Einkommensmöglichkeiten für Indigene3.

2 Zur Bedeutung der Territorialfrage für indigene Völker siehe RATHGEBER in diesem Band 3 Zu den Auswirkungen der extraktiven Industrie auf indigene Völker siehe FELDT in diesem Band

Ein anderes gravierendes Problem, mit dem

die indigenen Völker konfrontiert sind, ist die

Ausweitung des Drogenanbaus (vor allem

Koka und Schlafmohn). Dieser hat zu weitrei-

chenden sozialen, wirtschaftlichen und kultu-

rellen Veränderungen in der Regionen geführt.

In Bolivien sind zum Beispiel arbeitslose Mi-

nenarbeiter und verarmte Bauern aus der An-

denregion in das Amazonastiefland abgewan-

dert und haben dort Beschäftigung im Anbau

von Koka und deren Verarbeitung gefunden

(LEHM, 2002:10). Die Migranten stehen in di-

rekter Konkurrenz zu der lokalen Bevölkerung

und die einseitige Ausrichtung auf Drogenan-

bau führt zur Vernachlässigung des Anbaus

von Nahrungsmitteln, was zu Engpässen bei

der Eigenversorgung führt.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage,

ob die indigenen Völker in Amazonien durch

Marktintegration verlieren. Im Prinzip bejaht

SCHRÖDER diese Frage für Brasilien. Er kommt

zu dem Ergebnis, dass bis jetzt noch kein Fall

für Amazonien einer erfolgreichen und nach-

haltigen Marktintegration dokumentiert ist.

(SCHRÖDER, 2003:76f). Die Koordination der

indigenen Organisationen des Amazonasbe-

ckens (COICA) hat in einer Studie über “indi-

gene Ökonomien und Markt“ zehn Projekte

indigener Völker in Brasilien, Bolivien, Peru,

Ecuador und Kolumbien untersucht (COICA,

1996) und kommt zu dem Schluss, dass die

Amazonasvölker sich sehr schnell auf eine

verstärkte Marktintegration hinbewegen und

aber kaum eine wirkliche Vorstellung haben

wie die Marktmechanismen funktionieren. Die

untersuchten Projekte zeigten kaum langfris-

tige Entwicklungsperspektiven und schienen

dem Wunsch zu entsprechen “de lograr ac-

ceso a los regalos de generosas agencias

extranjeras de financiamiento, antes que a un

intento de encontrar una relación viable y du-

radera con el mercado“ (COICA, 1996:225)

148

Page 155: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

Die Andenregion

Ungefähr 20 Mio. Indigene4, die mehrheitlich

den Aymara und Quechua angehören, leben in

den Anden. Sie sind meist Kleinbauern oder

landwirtschaftliche Lohnarbeiter, wobei die

meisten nur saisonal beschäftigt sind. Ihre

Wirtschaftstruktur unterscheidet sich kaum von

der anderer Kleinbauern im Hochland Latein-

amerikas. Im Gegensatz zu den Tieflandvöl-

kern sind sie bereits seit langem ein Teil des

nationalen Wirtschaftssystems - allerdings

unter schlechten Bedingungen. Die meisten

Indigenen in der zentralandinen Region leben

von dem, was die kargen Böden bis auf über

4000 m Höhe hervorbringen. Aus den fruchtba-

ren Tälern wurden sie bereits in der Kolonial-

zeit verdrängt. Wichtigstes Grundnahrungs-

mittel ist die Kartoffel, die es dort in 650 Va-

rietäten gibt. Laut MÜNZEL betreiben die

zentralandinen Indigenen eine Landwirtschaft,

die an “Diversifikation und Produktivität der

aller anderen amerikanischen Ureinwohner

überlegen ist“. (MÜNZEL, 1985:92). Doch trotz

dieser ausdifferenzierten Subsistenzwirtschaft

ist die materielle Lage der indigenen Bauern in

den Zentralanden schlecht. Gründe dafür sind

unter anderem:

Ungenügender Zugang zu landwirtschaft-

lich nutzbarem Land;

Bodenerosion und Versteppung weiter

Flächen aufgrund der Übernutzung der

Böden, schwer zu bewirtschaffende Flä-

chen können nicht weiter bearbeitet wer-

den;

Schlechte Marktanbindung und Transport-

infrastruktur, Probleme der Lagerhaltung,

niedrige Preise für landwirtschaftliche Pro-

dukte;

Zu wenig alternative Einkommensmöglich-

keiten außerhalb der Landwirtschaft.

Um das Überleben der Familien zu sichern,

migrieren einzelne Familienmitglieder in die

Städte, in andere landwirtschaftliche Regionen

oder in die Nachbarländer, zum Beispiel im

4 Es gibt unterschiedliche Angaben zum Anteil der indigenen Bevölkerung in den einzelnen Ländern. Siehe dazu die Tabelle im Anhang.

Falle der Bolivianer nach Argentinien. Frauen

und Mädchen arbeiten meist als Hauspersonal

oder in anderen Bereichen des informellen

Sektors in den Städten, Männer suchen eher

auf den Plantagen oder auf dem Bau nach

einer Beschäftigung. In der Andenregion selber

sind Einkommensmöglichkeiten außerhalb der

Landwirtschaft sehr gering.

Das Beispiel Bolivien

Die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung

ist indigen. Trotzdem ist dieser Bevölkerung

der Zugang zu wirtschaftlichem und sozialem

Aufstieg meist verwehrt. 45% der indigenen

Bevölkerung lebt in Städten, 55% in ländlichen

Regionen. Die ärmsten Provinzen sind

zugleich die Regionen mit dem höchsten Anteil

indigener Bevölkerung. Ein Grund für die Ar-

mut ist die ungleiche Landverteilung, die den

kleinbäuerlichen Familienbetrieben kaum die

Subsistenz ermöglicht. 27% der landwirtschaft-

lichen Einheiten umfassen weniger als 0,66 ha

und 43% sind nicht größer als zwei ha. Nur

26% der landwirtschaftlichen (Klein-) Betriebe

haben Zugang zu Krediten. Der Staat hat sich

aus der Vergabe von (Agrar-) Krediten weitge-

hend zurückgezogen und überlässt Kreditin-

stituten, die von NROs betrieben werden, die

Aufgabe Kleinkreditprogramme durchzuführen.

Das Beispiel Ecuador

Wie in Bolivien ist auch in Ecuador die indi-

gene Hochlandbevölkerung vor allem landwirt-

schaftlich tätig und der Zugang zu der Res-

source Land bleibt auch in absehbarer Zukunft

ein wichtiger Faktor für die ökonomische Ent-

wicklung. Allerdings haben die wenigsten Fa-

milien genügend Land zur Verfügung, da auch

in Ecuador die indigenen campesinos an die

erosionsbedrohten Hanglagen der Anden ver-

drängt wurden. Außerdem werden die kleinen

Felder wegen des hohen Bevölkerungsdruckes

(Erbteilung) immer weiter geteilt. 1998 lebten

85,8% der indigenen ländlichen Bevölkerung

unter der Armutsgrenze5 (WELTBANK, 2004).

5 Armutsgrenze ist hier definiert als ein monatliches Pro Kopf Einkommen von 48,30 US$ bzw. unter 243 $ pro Haushalt und dem mangelhaften Zugang zu sozialen Dienstleistungen.

149

Page 156: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

Arbeitsweise und Strategien zur Überlebenssi-

cherung der indigenen Hochlandbauern in

Ecuador sind ähnlich wie in Bolivien. Unter

diesen Rahmenbedingungen gibt es wenig

Möglichkeiten für die (indigenen) Kleinbauern

ihre Produktion und Produktivität zu erhöhen.

Der Zugang zu mehr und fruchtbarerem Land

und zu einer besseren Markteinbindung sind

wichtige Voraussetzungen, um die Armut zu

überwinden. Allerdings ist das Entwicklungs-

potenzial in der Landwirtschaft auch bei besse-

ren Voraussetzungen begrenzt.

Beispiele für eine erfolgreiche Markteinbindung

sind bisher eher rar. Das Volk der Otavaleños

hat ein eigenes erfolgreiches Produktions- und

Vermarktungssystem für indigene Textilien und

Kunsthandwerk aufgebaut. Dieses Beispiel

lässt sich nicht beliebig reproduzieren, da der

Markt für indigenes Kunsthandwerk ein Ni-

schenmarkt ist und die Voraussetzungen in

anderen Regionen bei anderen indigenen Völ-

kern unterschiedlich sind.

Foto: Verkauf von Chacaras (traditionellen Netztaschen aus Naturfasern) in Panama (K. LECKEBUSCH)

Zentralamerika und Mexiko

In Zentralamerika leben in den Staaten Gua-

temala und Nicaragua die meisten Angehöri-

gen indigener Völker. Mexiko hat mit ca. 12

Mio. in absoluten Zahlen die größte indigene

Bevölkerung Lateinamerikas. Der heutige Ein-

druck von relativem sozialen Gleichgewicht

indigener Gemeinden in Mexiko resultiert in

erster Linie aus den wirtschaftlichen Möglich-

keiten der Migration in die USA und der damit

einhergehenden finanziellen Unterstützung von

Familienmitgliedern, die in Mexiko geblieben

sind. Die “traditionelle“, d.h. zumeist subsisten-

zorientierte Landwirtschaft überlebt durch

Transfers des Staats und durch Zahlungen der

Migranten in den Städten und in den USA

(ZARATE, 2002:10ff).

150

Page 157: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

Das Beispiel Guatemala

Die Wirtschaft Guatemalas basiert auf der

Agrarproduktion für den Export und den Ei-

genbedarf. Hauptprodukte sind Kaffee, Zucker-

rohr, Bananen, Baumwolle und seit den 1980er

Jahren sogenannte ‚nicht-traditionelle’ Agrar-

produkte wie Blumen, Gemüse und Früchte.

Auf der Basis dieser nicht-traditionellen Agrar-

produkte hat sich eine Agrarindustrie heraus-

gebildet, die für Verarbeitung, Vermarktung

und Export der Produkte zuständig ist. Die

kleinen und mittleren Bauern profitieren aller-

dings kaum davon.

Die Landbevölkerung und vor allem die indi-

gene Bevölkerung ist arm. Fast 60% aller

Guatemalteken sind arm. 80% der indigenen

Bevölkerung Guatemalas leben in Armut und

60% in extremer Armut (STEELE, 1994; TOVAR,

1999). Der Zugang zu Land ist für die indigene

Bevölkerung nach wie vor lebenswichtig und

der Landverteilungskonflikt hält an. 1950 wa-

ren 17% der Landbevölkerung ohne Land. Im

Jahre 2000 ist dieser Anteil auf 29% gestiegen

(LOPEZ RAQUEQ & CRISÓSTOMO, 2004). Nach

wie vor besitzen 96% der Bauern nur 20% des

Bodens während 4% über 80% des nutzbaren

Landes verfügen (STAVENHAGEN, 2003). Indi-

gene und andere arme Bauern haben nur Zu-

gang zu den schlechtesten Böden, auf denen

sie vor allem Bohnen und Mais für den Eigen-

bedarf, sowie Reis, Sorghum, Kartoffeln und

auch Kaffee für den Markt anbauen. Die Kom-

merzialisierung der Produkte findet auf den

regionalen Marktplätzen statt. In 44 von 331

Municipios ist die Ernährung nicht gesichert

(TOVAR, 1999). Zusätzlich zur Subsistenz in

der Landwirtschaft sind indigene und nicht-

indigene arme Bauern gezwungen als Wan-

derarbeiter auf Plantagen zu arbeiten oder in

die Städte zu gehen, wo sie im informellen

Sektor arbeiten und ihre Familien auf dem

Land unterstützten. TOVAR (1999) weist auch

nach, dass Indigene bei Arbeiten auf den

Plantagen, als Dienstmädchen oder bei ande-

ren Tätigkeiten, nur ein Drittel des üblichen

Lohnes erhalten.

Erschwerend ist für die indigenen und nicht-

indigenen Kleinbauern, die nicht nur für die

Subsistenz anbauen, dass sie kaum Zugang

zu Krediten haben. Eine einzige Bank, die

Banrural, vergibt Kredite an Klein- und mittlere

Produzenten. Darüber hinaus gibt es kaum

Zugang zu kommerziellen Krediten für Indi-

gene. Um diesen Mangel zu überwinden, sind

in den letzten Jahren in den Gemeinden kleine

bancos comunales entstanden, die Rotations-

fonds aufbauen.

Trotz der Verschmelzung mit anderen Wirt-

schaftsformen seit der Kolonialisierung haben

die Maya Teile ihres Weltbildes und ihrer Soli-

daritäts- und Austauschbeziehungen unterein-

ander erhalten. Letztendlich sind es diese Be-

ziehungen und Netzwerke, die die indigene

Bevölkerung davor bewahren, in die endgültige

Armut abzusinken.

Zusammenfassung

Die indigenen Völker im Amazonasgebiet sind

marginal in die Marktwirtschaft integriert und

üben viele ihrer traditionellen Wirtschaftsprak-

tiken (noch) aus. Sie unterscheiden sich in der

Sicherung ihrer Ernährungsgrundlage deutlich

von den Siedlern, die aus dem Hochland ins

Tiefland abgewandert sind. Demgegenüber

sind sich die Wirtschaftsweisen und Lebens-

bedingungen der indigenen und nicht-indige-

nen armen Landbevölkerung in den Anden und

Zentralamerikas sehr ähnlich. Zwar leben die

Aymara, Quichua, Maya und andere indigenen

Völker (Teile) ihre Kultur. Ihre Wirtschaftsprak-

tiken weisen aber strukturelle Gemeinsamkei-

ten mit denen anderer Kleinbauern in anderen

Regionen der Welt auf.

Bei der Frage nach Förderungsmöglichkeiten

zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation

der indigenen Völker sollte daher unterschie-

den werden zwischen dem traditionellen Ma-

nagement natürlicher Ressourcen und der

Teilnahme der indigenen Bevölkerung an der

Volkswirtschaft. Während im Tiefland die Si-

cherung der Territorien und ihr Management

sowie der Erhalt der natürlichen Umwelt le-

benswichtig sind für die (wirtschaftliche) Ent-

wicklung der dort lebenden Völker (PLANT,

2002; siehe auch RATHGEBER in diesem Band),

müssen im Hochland, wo Indigene nicht über

151

Page 158: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

ausgedehnte Territorien verfügen, andere

Maßnahmen entwickelt werden, um die wirt-

schaftliche Marginalisierung der indigenen und

ländlichen Bevölkerung zu überwinden.

Wirtschaftliche Entwicklungskonzepte

Konzepte des Staates

Die Institutionen des Staates sind in den länd-

lichen Regionen Lateinamerikas meist nur

schwach vertreten und in den staatlichen Kon-

zepten regionaler Entwicklung haben indigene

Völker bisher kaum eine Rolle gespielt. Dies

scheint sich zu ändern.

Beispiele dafür sind das Entwicklungsprojekt

PRODEPINE (Proyecto de Desarrollo de los

Pueblos Indígenas y Afroecuadorianos), das

der ecuadorianische Staat mit Unterstützung

der Weltbank und dem Internationalen Fonds

für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) zu-

sammen mit indigenen und afro-ecuadoriani-

schen Organisationen durchführt. Dies ist das

erste große Projekt der ecuadorianischen Re-

gierung, dass sich gezielt an die indigene Be-

völkerung richtet und mit ihnen gemeinsam

entwickelt wurde (s.u.).

Ein weiteres Beispiel ist Bolivien. Bolivien hat

in den letzten Jahren zusammen mit den inter-

nationalen Verhandlungen zum Schuldener-

lass (HIPIC) eine Armutsreduzierungsstrategie

entwickelt. In dieser Strategie werden gezielt

Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaft-

lichen Situation indigener Völker aufgegriffen.

Das bolivianische Armutsreduzierungsstrate-

giepapier wird im Folgenden kurz vorgestellt.

Armutsreduzierungsstrategie in Bolivien

Die Armutsreduzierungsstrategie des Landes

wurde bereits 2001 erstellt. Kernstück sind vier

miteinander verknüpfte Sektorstrategien:

Beschäftigungs- und Einkommenspolitik:

die Produktionskapazität von Kleinbauern

und Kleinunternehmern soll vor allem

durch Investitionen in die Infrastruktur er-

höht werden;

Verbesserung der sozialen Dienstleistun-

gen: das Grundbildungssystem, die Basis-

gesundheitsversorgung sowie die Trink-

wasserversorgung und Abwasserentsor-

gung sollen verbessert werden;

Schutz besonders gefährdeter Gruppen:

für Bevölkerungsgruppen, die besonderen

Risiken ausgesetzt sind, sollen Schutzpro-

gramme entwickelt werden. Dazu gehören

die Definition von Besitzrechten wie auch

Maßnahmen zur Vorbeugung von Natur-

katastrophen;

Soziale Integration und Partizipation: durch

Trainingsmaßnahmen soll die Teilhabe der

Bevölkerung an politischen Entscheidun-

gen werden. Die Dezentralisierung der

Verwaltung soll intensiviert werden.

Als Querschnittsaufgaben werden die Ver-

besserung der Möglichkeiten ethnischer

Gruppen und indigener Völker, Schutz der

Frauenrechte und Umweltmanagement

und nachhaltige Nutzung natürlicher Res-

sourcen genannt. (Armutsreduzierungs-

strategie Bolivien, 2001: 58)

Die wirtschaftliche Entwicklung der indigenen

Völker Boliviens soll im Rahmen eines „natio-

nalen indigenen Entwicklungsplans“ gefördert

werden. Dieser Plan ist noch zu erstellen. Es

sollen u.a. “culturally based micro-enterprises“

(Armutsreduzierungsstrategie Bolivien,

2001:119) aufgebaut und unterstützt werden,

um zu zeigen, dass Kleinbauern und indigene

Produzenten von Waren und Dienstleistungen

Einkommen schaffen und Armut reduzieren

können, wenn sie Zugang zu Finanzdienst-

leistungen, technischer Beratung und Training

erhalten.

Die Armutsreduzierungsstrategien in den la-

teinamerikanischen Ländern sind wichtige

Ansatzpunkte für die Förderung indigener Völ-

ker im staatlichen Kontext. In Bolivien zeigen

sich Ansätze dafür, in anderen Ländern wie

Nicaragua und Honduras wurde die man-

gelnde Partizipation der indigenen Organisati-

onen an der Erstellung der Armutsreduzie-

rungsstrategie bemängelt (siehe www.prsp-

watch.de, 2004).

Indigene Konzepte

Die Frage nach einem indigenen Konzept zur

wirtschaftlichen Entwicklung ist schwer zu

152

Page 159: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

beantworten. So wie es keine einheitliche indi-

gene Wirtschaftsweise gibt, so gibt es auch

kein einheitliches Konzept, das die unter-

schiedlichen Weltanschauungen, Lebensum-

stände und –umwelten der Völker zusammen-

fassen könnte. Nach VITERI (2004) gibt es bei

den indigenen Völker des Amazonastieflandes

nicht die Vorstellung von Entwicklung als ei-

nem linearen Prozess: “En la cosmovision de

las sociedades indígenas, en la comprensión

del sentido que tiene y debe tener la vida de

las personas no existe el concepto de desarro-

llo. Es decir, no existe la concepción de un

proceso lineal de la vida que establezca un

estado anterior o posterior, a saber, de sub-

desarrollo y desarrollo; dicotomía por los que

deben transitar las personas para la consecu-

ción de bienestar, como ocurre en el mundo

occidental. Tampoco existen conceptos de

riqueza y pobreza determinado por la acumu-

lación y carencia de bienes materiales.”

(VITERI, 2004).

Dem linearen Entwicklungskonzept setzt er

daher einen ganzheitlichen Ansatz entgegen:

“Mas existe una visión holística a cerca de lo

que debe ser el objetivo o la misión de todo

esfuerzo humano, que consiste en buscar y

crear las condiciones materiales y espirituales

para construir y mantener el ‘buen vivir’, que

se define también como ‘vida armónica’, que

en idiomas como el runa shimi (quichua) se

define como el ‘alli káusai’ o ‘súmac káusai’.”

(VITERI, 2004)

Viteri kritisiert, dass sowohl Nichtregierungsor-

ganisationen als auch die indigenen Organisa-

tionen selbst mit der Durchführung von soge-

nannten integrierten Entwicklungsprojekten

den ‚Entwicklungsdiskurs’ übernommen haben

und so dazu beitragen, dass die Fähigkeiten

und das Wissen der Indigenen Völker, ihre

Probleme autonom zu lösen, untergraben wer-

den.

Man muss hier allerdings anmerken, dass für

viele Völker im Tiefland und für alle im süd-

amerikanischen Hochland und in Zentralame-

rika die traditionellen „Entwicklungsoptionen“

nicht mehr greifen, weil durch Kolonialisierung

und Marginalisierung die Bedingungen dafür

zerstört wurden und weil sich andere Bedürf-

nisse durch den Kontakt mit der Mehrheitsge-

sellschaft herausgebildet haben. Es gibt aber

auch Beispiele, wo indigene Gemeinschaften

und Organisationen den Spagat zwischen der

Weiterentwicklung eigener Wirtschaftsweisen

und den sich verändernden äußeren Bedin-

gungen versuchen. Im Folgenden werden ei-

nige kurz skizziert.

Die Schwefelmine Puracé (Cauca)

In Kolumbien leiden die indigenen Völker unter

der politischen und wirtschaftlichen Ausgren-

zung und dem seit Jahrzehnten dauernden

Bürgerkrieg, der Gewalt der Drogenmafia und

der Paramilitärs. Trotzdem haben indigene

Völker eigene wirtschaftliche Alternativen ent-

wickelt.

Seit dem Jahre 2000 gibt es die Empresa Mi-

nera Indígena del Cauca. Der cabildo (Dorfrat)

des resguardo (Gebiet unter indigener Ver-

waltung) hat die Schwefelmine im Cauca über-

nommen, nach dem der bisherige Betreiber

Konkurs beantragte und damit über 300 Fami-

lien (von 1129 in dem Dorf) Einkommensver-

lust drohte.

RATHGEBER (2002) hebt drei positive Effekte

der Minenrettung hervor:

Ein neues Nachhaltigkeitskonzept soll die

Betriebsrenten und die Arbeitsplätze si-

chern und die sozialen Beziehungen und

die kulturelle Eigenständigkeit der Ge-

meinschaft garantieren.

Die Umweltschäden werden reduziert und

die Altschäden sollen nach und nach be-

seitigt werden.

Der Betrieb soll so organisiert werden,

dass “eine gemeinsame Schnittstelle von

betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten

und kulturell abgestimmter Arbeitsrhythmik

gefunden wird, die gewinnorientiertes Pro-

duzieren zulässt.“ (RATHGEBER, 2002:176)

Nach Übernahme der Mine hat sich der Pro-

duktionsablauf verändert, Arbeitsrhythmus und

Produktausstoß wurden verlangsamt. Die Pro-

duktion soll so gestaltet werden, dass eine

längerfristige Existenz der Mine und ein scho-

153

Page 160: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

nender Abbau der Ressource möglich ist. Für

Rathgeber ist es ein Beispiel “vom Vermögen

der Indígenas, Strategien zur Bewältigung

einer sozialen und wirtschaftlichen Krise im

Kontext ihrer kulturellen Leitbilder zu bewerk-

stelligen.“ (2002:176). Es wäre interessant zu

beobachten, ob dies gelingt und sich eine indi-

gene Vorstellung von Unternehmertum her-

ausbilden kann oder ob diese Beispiel nur ein

weiteres von mehr oder minder erfolgreichen

Betriebsübernahmen, wie sie in vielen Teilen

der Welt durch die Beschäftigten stattfinden,

sein wird.

Amazon Gas

Die Frage nach einem indigenen Unterneh-

mertum wirft auch das Beispiel Amazon Gas

auf, das sich noch in der Planungsphase be-

findet. Amazon Gas ist ein gemeinsames Un-

ternehmen von der ecuadorianischen Konföde-

ration der indigenen Völker des Tieflandes,

CONFENIAE, und einem indigenen kanadi-

schen Unternehmen. Ziel des Unternehmens

ist die Nutzung und der Verkauf von Erdgas,

das auf mehreren Erdölfeldern von Petroecua-

dor als Nebenprodukt anfällt und bisher ledig-

lich abgefackelt wurde. Amazon Gas ist mo-

mentan im Entstehungsprozess, so dass über

Erfolg oder Misserfolg noch keine Bilanz gezo-

gen werden kann. Es ist allerdings ein Experi-

ment, das großen Einfluss auf die wirtschaftli-

che Situation der indigenen Organisation

CONFENIAE und der nutznießenden indige-

nen Dörfer haben wird.

Weitere Beispiele

Es gibt mehrer Beispiele über die Nutzung und

Vermarktung von Waldprodukten, die über

Nischenmärkte in den Ländern aber auch in

den USA und Europa abgesetzt werden. So

kauft die Kosmetikkette “Body Shop“ mit

Hauptsitz in England Paranussöl direkt von

den Kayapó Dörfern A-Ukre und Pukanuv in

Brasilien für die Herstellung von Cremes und

von den Nahnu aus Mexiko Sisalmassage-

handschuh zum Verkauf in den Läden. Diese

direkten Handelsbeziehungen laufen in der

Außendarstellung von Body Shop unter dem

Schlagwort “Hilfe durch Handel“: den Dörfern

soll dadurch der Zugang zum Markt und zum

Aufbau weiterer Geschäftsbeziehungen er-

leichtert werden. Allerdings wird von dem Un-

ternehmen kritisch angemerkt, dass man das

Interesse der Kundinnen an „Hilfe durch Han-

del“ Produkten überschätzt hat.6 Direkt ver-

marktete Produkte indigener Völker aus La-

teinamerika bedienen in Europa nur einen sehr

kleinen Markt.

Andere Beispiele für indigene Wirtschaftsun-

ternehmen sind lokale und regionale Touris-

musprojekten, oder die Entwicklung von eige-

nen, zum Teil lokalen Kreditsystemen. PLANT

(2002) kommt zu dem Schluss, dass in ganz

Lateinamerika sich ein “indigenes“ Unterneh-

mertum auszubilden beginnt. Damit ist in erster

Linie die Herausbildung von eigenen Ver-

marktungsstrukturen wie bei den K’iche in

Guatemala, der Aufbau von eigenen bancos

communales in mehreren Ländern oder der

Aufbau von eigenen kleinen Tourismusunter-

nehmen in Ecuador gemeint. Der Aufbau eige-

ner wirtschaftlicher Unternehmen in Latein-

amerika hat weder das Ausmaß der indigenen

Unternehmen in Kanada, Australien oder Neu-

seeland angenommen noch hat es die Unter-

stützung erfahren, die zum Beispiel die indige-

nen Unternehmen in Kanada durch die Regie-

rung erhalten haben.

Ansätze der EZ

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit

wurde von Seiten der Weltbank aber auch von

der Interamerikanischen Entwicklungsbank das

Konzept des “Ethnodevelopment“ oder auch

“Development with identity“ zum Leitbild für die

Zusammenarbeit mit indigenen Völkern erho-

ben. Dieses Konzept wurde ursprünglich von

der UNESCO entwickelt und beinhaltet die

Verbesserung der Lebensqualität indigener

Völker durch folgende Elemente zu erreichen

(PARTRIDGE & UQUILLAS, 1996).

(1) Verbesserung des Zugangs zu sozialen

Dienstleistungen und natürlichen Ressour-

cen unter besonderer Berücksichtigung in-

digener Formen der Landnutzung und des

Landbesitzes,

6 Siehe www.the-body-shop.de.

154

Page 161: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

(2) Stärkung indigener Kulturen, Gemein-

schaften und sozialen Organisationen,

(3) Stärkung indigener Kapazitäten, ihre eige-

nen Entwicklungsprojekte zu entwerfen

und zu managen.

Die Weltbank

Im Rahmen dieses Ethnodevelopmentkon-

zeptes hat die Weltbank bisher einige wenige

Projekte durchgeführt, die sich ausschließlich

an die indigene Bevölkerung richten. Eines

davon ist, PRODEPINE7 (Proyecto de Desar-

rollo de los Pueblos Indígenas y Afroecuadori-

anos in Ecuador), dessen erste Phase mittler-

weile abgeschlossen ist. Inhalt des Projektes

waren

Maßnahmen zur Stärkung der indigenen

Organisationen und der staatlichen Institu-

tion für indigene Völker, dem Consejo de

Desarrollo de las Nacionalidades y

Pueblos Indígenas de Ecuador CO-

DENPE;

Management natürlicher Ressourcen, vor

allem Boden- und Wasserschutz, Wieder-

aufforstungen, Management der Mangro-

vengebiete, Sicherung von Landrechten.

Im Hochland erfolgte die Sicherung von

Landrechten durch den Kauf von Parzel-

len;

Investitionen in ländliche Vorhaben, hier

wurden unterschiedliche Kleinmaßnahmen

sowie Vorstudien für langfristige Vorhaben

finanziert.

Das Projektmanagement lag in der Hand eines

Steuerungsgremiums, dass sich aus Vertre-

ter/innen der Regierung und der indigenen und

afroecuadorianischen Organisationen zusam-

mensetzte. Dies hat zwar den Planungs- und

Umsetzungsprozess verlangsamt, aber ent-

scheidend zur Nachhaltigkeit des Projektes

beigetragen (UQUILLAS & NIEUWKOOP, 2003).

Die indigenen Gemeinschaften und ihre Orga-

nisationen waren nicht nur die Zielgruppe son-

dern die zentralen Akteure des Projektes. Das

Projekt ist von der Weltbank positiv als Beitrag 7 PRODEPINE wird von dem International Fund for Agricultural Development und der Inter- American Foundation kofinanziert.

zur Armutsreduzierung von Indigenen beurteilt

worden8 und soll in einer zweiten Phase

weitergeführt werden.

Die deutsche EZ

Die Zusammenarbeit der deutschen EZ mit

indigenen Völkern ist nicht auf die direkte För-

derung von Wirtschaftsprojekte ausgerichtet.

Die Unterstützung von angepassten Wirt-

schaftsweisen ist jedoch integraler Bestandteil

mehrerer Projekte. Im Folgenden werden bei-

spielhaft einzelne Projekte erwähnt:

Pilotprogramm zur Bewahrung der tropi-

schen Regenwälder Brasiliens (PPG 7)

Das Pilotprogramms, das noch bis 2008 läuft,

ist der Versuch, die wirtschaftlichen Interessen

an der Entwicklung der brasilianischen Re-

genwaldregion mit dem Schutz des Waldes in

Einklang zu bringen. In dem Programm werden

Förder- und Schutzprogramme durchgeführt,

die von der Demarkierung indigener Territo-

rien, über die Förderung indigener wirtschaftli-

cher Kleinprojekte bis zu Initiativen zur Ver-

marktung organischer Produkte reicht.

Foto: Vorbereitung des Kaffees für den Verkauf in Panama (S. SPOHN)

Ngöbe Buglé

Das Projekt „Management der natürlichen

Ressourcen im Gebiet Ngöbe“ der Nationalen

Umweltbehörde (ANAM) mit technischer und

finanzieller Unterstützung der GTZ arbeitete

von 1993 bis 2004 in der Comarca Ngöbe-

Buglé. Ziel des Projektes war es, einen Beitrag 8 Zur weiteren Information über das Projekt siehe Uquillas & Nieuwkoop (2003) und Griffiths (2000)

155

Page 162: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

zur Verbesserung der Lebensbedingungen der

Bevölkerung zu leisten und die Bevölkerung zu

unterstützen, sich in die politische und wirt-

schaftliche Entwicklung des Landes unter Er-

halt ihrer Identität zu integrieren.

Über die Förderung von nachhaltigen Produk-

tionssystemen, Qualitätsverbesserung der

Produktion (hauptsächlich Kaffee und Kunst-

handwerk), Unterstützung bei der Organisation

in Erzeugergemeinschaften und bei der Suche

nach Vermarktungsmöglichkeiten, wurden

kurze Vermarktungsketten aufgebaut, die den

indigenen Bauern und Bäuerinnen eine deutli-

che Einkommenssteigerung erbrachte. Die

Vermarktung von Kaffee und Kunsthandwerk

auf dem regionalen Markt und der Export von

Bio-Kaffee sichern die Abnahme der Produk-

tion. Neben den wirtschaftlichen Erfolgen ist

das sichtbar gesteigerte Selbstbewusstsein

und die verbesserte Verhandlungsfähigkeit der

Ngöbe-Bevölkerung ein weiteres Ergebnis.

Die kanadische EZ

Zum Schluss sei noch kurz auf die kanadische

Entwicklungszusammenarbeit hingewiesen.

Das spezifische der kanadischen EZ ist, dass

sie im Rahmen des Indigenous Peoples Part-

nership Programme gezielt gemeinsame Vor-

haben von indigenen kanadischen Organisati-

onen und Unternehmen mit ihren lateinameri-

kanischen indigenen Partnern fördert. Indigene

Organisationen in Lateinamerika sollen direkt

von den Erfahrungen der indigenen Völker in

Kanada profitieren und in ihre eigene Praxis

umsetzen können. Es hat auf der einen Seite

Elemente einer „Auslandsförderung“ kanadi-

scher indigener Unternehmen, zum Beispiel

von Beraterfirmen. Andererseits haben indi-

gene Organisationen in Lateinamerika dadurch

die Möglichkeit, Erfahrungen anderer indigener

Organisationen im Aufbau von Unternehmen

kennen zu lernen und eventuell produktiv für

ihre Arbeit zu nutzen. So stellt sich die Frage,

ob nicht die gezielte Förderung kanadischer

indigener Betriebe durch die Regierung und

die Unterstützung bei der (Auslands-)Ver-

marktung durch die Organisierung von Messen

u.ä. nicht auch gangbare Maßnahmen in La-

teinamerika wären.

Schlussbetrachtung

Zur Verbesserung der Chancen indigener Völ-

ker ist der erste Schritt, der notwendigerweise

durch die Nationalstaaten erfolgen muss, die

rechtlichen Rahmenbedingungen zur Siche-

rung der Menschenrechte der indigenen Be-

völkerung zu schaffen. Darüber hinaus muss

das Eigentum an indigenem Land und seiner

natürlichen Ressourcen eindeutig durch Ge-

setze und deren Umsetzung abgesichert sein.

Das Vorhandensein von eindeutigen Grenzen

und Landtiteln ist jedoch im Umkehrschluss

keine ausreichende Voraussetzung für ökono-

mische Entwicklung. Der Staat ist die Institu-

tion, die die rechtlichen Mechanismen und die

physische Infrastruktur bereitstellen muss, die

notwendig sind, damit dauerhafte selbstbe-

stimmte Entwicklung stattfinden kann.

Auch wenn es vordringlich die Aufgabe des

jeweiligen Staates ist, die indigene Rechte

abzusichern und Voraussetzungen zu schaf-

fen, um die (ökonomische) Benachteiligung

indigener Völker zu überwinden, so kann die

EZ – in bescheidenem Maße - dazu beitragen,

die Marginalisierung der indigenen Völker zu

verringern durch:

Unterstützung der indigenen Völker und

ihrer Organisationen bei der Erarbeitung

von strategischen Entwicklungsplänen, um

Visionen und Wirtschaftsalternativen für

ihre Regionen zu entwickeln; Schaffung

von Foren für indigene und nicht-indigene

Bewohner einer Region, auf denen über

alternative Entwicklungsmöglichkeiten

nachgedacht und debattiert werden kann.

Gezielte Förderung indigener Unterneh-

men, Kooperativen und Erzeugergemein-

schaften. Dazu kann die Qualitätsverbes-

serung der Produktion und der Zugang zu

einer verbesserten nationalen und interna-

tionalen Vermarktung genauso gehören

wie die Weiterqualifizierung im Manage-

mentbereich zur Leitung von Unterneh-

men;

Beitrag zur verbesserten Bildung – neben

der Grundbildung vor allem im Bereich der

beruflichen Weiterbildung und universitä-

156

Page 163: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung

ren Ausbildung (z.B. Stipendienpro-

gramme);

Eine gezielte Förderung indigener wirtschaftli-

cher Projekte ist dann sinnvoll, wenn sie die

Anstrengungen zur Sicherung der Eigenver-

sorgung unterstützen. Sie sind in marginalen

Regionen sinnvoll, die mit besonders schwieri-

gen Ausgangsbedingungen konfrontiert sind.

Ferner sollten die indigene Völker privilegiert

unterstützt werden, die nur über geringe Erfah-

rungen im Umgang mit dem Markt und seinen

Mechanismen verfügen. Sie müssen bei ihren

Versuchen sich in diese Mechanismen einzu-

finden begleitet werden. So bedarf es beson-

deren Wissens um indigene Produkte, wie

Webtextilien und Keramiken auf dem Markt zu

etablieren. Bei diesen Fördertypen stellen sich

auch Fragen zum Schutz von indigenem intel-

lektuellem, materiellem und nicht-materiellem

Eigentum. Zahlreiche andere Maßnahmen, wie

die Gewährung von speziellen Krediten oder

Beratungsleistungen, die im Rahmen von Res-

sourcenschutzprogrammen oder im Rahmen

von Kleinbauernförderung durchgeführt wer-

den, sollten sensibel auf den Beratungsbedarf

indigener (Dorf-) Gemeinschaften eingehen

und mit deren besonderen Bedingungen be-

denken. Gleichzeitig sollte das Empowerment

und die Schulung von indigenen Organisatio-

nen gestärkt werden, damit sie in die Lage

versetzt werden, selbst langfristig Maßnahmen

zu steuern und zu begleiten.

Im Andenhochland, wo die Lebenssituation der

indigenen und nicht-indigenen Bevölkerung

sich kaum voneinander unterscheidet, er-

scheint ein regionaler Ansatz erfolgverspre-

chender als ein ethnisch begründeter. Aber

auch in der Amazonasregion sollten Ansätze

unterstützt werden, in denen indigene und

nicht-indigene Bevölkerung gemeinsam Kon-

zepte für die Entwicklung ihrer Region ent-

werfen.

Wirtschaftsförderungsprojekte und Staatsmo-

dernisierungsprogramme, die an sozial ge-

rechteren Rahmenbedingungen arbeiten, soll-

ten indigene Völker als zentrale Akteure wahr-

nehmen und in ihrer Planung und Umsetzung

angepasste Aktivitäten für die indigene Bevöl-

kerung berücksichtigen.

Bleibt noch anzumerken, dass Projekte mit

indigener Bevölkerung nicht kurzfristig nach-

haltig sind, selbst dann nicht, wenn sie gut

entworfen sind. Sie verlangen ein Engage-

ment, das zumeist über den Zeit- und Pla-

nungshorizont von Entwicklungsprojekten hi-

nausgeht.

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158

Page 165: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

159

Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social:Desencuentros, herejías y otros éxitos

RENÉ RODRIGUEZ HEREDIA

La devolución de responsabilidades a los Pueblos Indígenas es un acto de justicia histórica

Desde hace poco menos de seis años la Co-

operación Financiera Oficial Alemana, a través

del Grupo KfW, Banco Alemán de Desarrollo,

juntamente con sus contrapartes nacionales,

han iniciado en América Central el diseño y la

ejecución de programas de desarrollo comu-

nitario cuya característica principal es poner a

las comunidades y a sus autoridades locales al

mando de su propio desarrollo. Es lo que ac-

tualmente se está denominando la metodolo-

gía participativa promotora del Desarrollo Lo-

cal con Enfoque Indígena. Esta metodología

tiene como pivote central la aplicación del

principio de subsidiariedad y el respeto de la

diversidad étnica, es decir, que los niveles

superiores del gobierno no deben realizar

aquello que los niveles inferiores pueden hacer

si son convenientemente apoyados para asu-

mir tal responsabilidad. Esta metodología,

cuando se trata de trabajar con Pueblos Indí-

genas1, es más pertinente aún, pues se trata

de promover el desarrollo pero un desarrollo

con identidad.

En la promoción del Desarrollo Local el lugar

privilegiado de transferencia de los recursos y

responsabilidades son las autoridades locales

y las comunidades, y, cuando se trata de co-

munidades indígenas, incluyendo a sus autori-

dades cuya legitimidad se sustenta en las

tradiciones y prácticas ancestrales de estos

(jus gentium o derecho consuetudinario).

El Desarrollo Local es fundamentalmente un

proceso que devuelve a las comunidades y

1 Pueblo Indígena es el conjunto de familias y comunidades que se autoreconocen como diferentes a los demás por razones de idioma y cultura y que desde el comienzo de su historia habitan un territorio por ellos poseído.

sus autoridades todo el poder de decisión

sobre los temas que directamente les concier-

nen y les afectan, con la menor intervención

posible de las autoridades de los niveles cen-

trales o intermedios.

Con esta metodología los indígenas no son

simples objetos de las intervenciones, ni tan

siquiera sujetos de las mismas, sino los acto-

res protagónicos y al mando de su desarrollo.

De ahí que las principales herramientas de

aplicación del Desarrollo Local sean: la planifi-

cación participativa, democrática e incluyente

de cada pueblo indígena; la transferencia de

recursos financieros y técnicos para que cada

pueblo ejecute los programas y proyectos que

implica su plan de desarrollo2; y el fortaleci-

miento organizativo tanto de las comunidades

como de sus estructuras de gobierno tradicio-

nal.

Estas tres herramientas tienen como objetivo

devolver de manera sistemática aquellas ca-

pacidades que los colonizadores, sus descen-

dientes criollos y las democracias formales de

manera igualmente sistemática expoliaron y

casi siempre a golpe de látigo y fusil. La de-

volución preconizada por la Cooperación Fi-

nanciera Oficial Alemana a través KfW Ban-

kengruppe (Banco Alemán de Desarrollo),

mayormente limitada a lo que se refiere la

gerencia del propio desarrollo y del ciclo de

proyectos, lo cual es un elemento primordial,

pero no el único, de lo que debe ser un pro-

ceso integral de devolución histórica de todo

aquello que los pueblos indígenas necesitan

2 Estos Programas están poniendo en práctica la ejecución de los proyectos por las comunidades en orgánica relación con sus autoridades. Es lo que se ha dado en llamar Desarrollo Guiado por la Comunidad y conocido por su sigla en Inglés como CDD (Community Driven Development), que se está ejecutando en nueve Programas financiados por el KfW y Banco Mundial en América Central.

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

160

para retomar la senda de un desarrollo reali-

zado con identidad. Esto último es todavía

punto de agenda en los gobiernos que real-

mente deseen vivir dentro de la ”unidad con

diversidad”.

Foto: Workshop indigener Organisationen Perus (S. REINHARDT)

Invertir sustantivamente en capacitación comunitaria y capacitación de las autori-dades locales

Consecuencia inmediata del anterior principio,

es que los Programas de Desarrollo Local que

financia el Gobierno de Alemania a través del

KfW están diseñados para invertir sustantiva-

mente en la capacitación de las comunidades,

las autoridades locales y las unidades de pro-

yectos de las organizaciones incluyendo las de

los Pueblos Indígenas. No se trata solamente

de capacitar a las comunidades y a los gobier-

nos municipales, como se hacía hasta hace

poco, en el buen cuidado y uso de sus pro-

yectos, sino en temas como la importancia del

fortalecimiento organizativo, historia del pueblo

indígena, la cuentadancia ciudadana, la plani-

ficación democrática, el manejo del ciclo de

proyectos y temas tendientes a fomentar un

desarrollo con identidad. Lejos están los días

en los que el componente capacitación era la

cenicienta de los presupuestos de los Progra-

mas, pues ahora de lo que se trata es de ge-

nerar capacidades, habilitar organizaciones,

empoderar a los Pueblos.

Fomento del capital social o prevención de conflictos

Capital social es la capacidad que tienen los

grupos humanos de poder concertar y trabajar

por el bien común. Por ello se afirma que la

prevención de conflictos y el fomento del ca-

pital social son sustantivamente complementa-

rias entre sí. La experiencia muestra que el

fomento del capital social es tal vez la más

poderosa herramienta para la prevención y

solución de conflictos, cuando los conflictos

son principalmente a nivel local (comunitario o

municipal). La prevención de conflictos puede

convertirse en una categoría abstracta sino se

la incrusta en el fomento del capital social, en

la cuentadancia ciudadana, en los mecanis-

mos de participación y todo ello en el ámbito

de las comunidades y grupos de comunidades.

De esta forma la prevención de los conflictos y

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

161

su resolución encuentran la contundencia de la

vida cotidiana, al menos a nivel local.

El capital social es el conjunto de tradiciones,

instituciones y costumbres que facilitan el tra-

bajo solidario para el bien común de una de-

terminada comunidad o conjunto de comuni-

dades y también de un Pueblo Indígena,

cuando de indígenas se trata. No es cierto que

el único capital de los pobres sean sus hijos y

su fuerza de trabajo, sino que también es ca-

pital de los pobres, principalmente a nivel rural

y periurbano, su capacidad de trabajar por el

bien común. La Mita, Minka, Minya, Faina, son

algunas de las modalidades de trabajo por el

bien común y colectivo y que las sociedades

modernas, las democracias formales y sus

aparatos militares pretendieron debilitar, feliz-

mente con éxito muy limitado.

Todos aquellos que trabajan en el campo

práctico del desarrollo local saben que los

pobres tienen una gran riqueza y que ellos

mejor que nadie la utilizan a su favor. Capital

social es trabajo en común, pero es también

negociación, parlamentarismo y llegada a so-

luciones concretas a problemas concretos. El

capital social les permite a las comunidades y

conjuntos de comunidades identificar sus pro-

blemas, priorizarlos, dilucidar soluciones y

llevarlas a la práctica, todo ello de manera

solidaria y disciplinada.

Los ejercicios de planificación democrática

local, la ejecución de los proyectos por las

propias comunidades, la prestación colectiva

de servicios sociales, la creación de comités

especializados, los mecanismos de manteni-

miento, etc. no son sino aplicaciones concre-

tas del capital social de los pobres.

Por ello es que se afirma que la prevención y

solución de conflictos encuentra un caldo de

cultivo de primer orden para la solidariedad y

la paz, al menos a nivel local, en los Progra-

mas que sustentan su metodología en el fo-

mento del capital social y el desarrollo local.

La trampa de la igualdad

En países como Guatemala y Honduras toda-

vía es frecuente escuchar en discusiones y

publicaciones que no es necesario diseñar

Programas ni Proyectos especialmente dirigi-

dos a los indígenas aduciendo que ello es

atentar contra la igualdad de todos los ciuda-

danos y, peor aún, que es fomentar el divisio-

nismo entre los ciudadanos.

La peligrosidad de una falacia consiste preci-

samente en que utiliza las verdades a medias,

los lugares comunes y los argumentos del

sentido común (que en otras circunstancias

serían totalmente válidos) para justificar lo

injustificable. Pero cuando se trata de generar

precisamente condiciones de igualdad y de

generación de oportunidades en sociedades

altamente marginadoras y con vestigios racis-

tas, esos argumentos tienen que ser rechaza-

dos clara y fundamentadamente y a la vez

proponer alternativas concretas, incluyendo la

“discriminación positiva” y el fomento de la

interculturalidad y el multilingüismo. Si el obje-

tivo de las personas de buena voluntad es

crear una sociedad verdaderamente creadora

de oportunidades para todos y no solamente

para los “iguales a nosotros” entonces la

igualdad es una trampa, pues la igualdad no

es un punto de partida sino de llegada en una

sociedad signada por la democracia, la partici-

pación ciudadana y la equidad. Es pues nece-

sario diseñar y poner en práctica medidas bien

concretas que lleven el péndulo de la acepta-

ción ciudadana a su nivel y ello solamente se

logra con medidas de “discriminación positiva”

de inmediato y largo plazo.

Bajo esa aparente igualdad de que “todos

somos iguales y no hay que estar dividiendo al

pueblo”, se esconde la peor de las discrimina-

ciones al ignorar la existencia de aquellos que

son “diferentes” a nosotros; ignorar esto es

declarar su muerte en cuanto ciudadanos con

cultura, valores e instituciones diferentes.

Esta es una de las lecciones que más ha cos-

tado aprender a los organismos nacionales

promotores del desarrollo local y financiados –

entre otros- por la Cooperación Alemana a

través del KfW. Particularmente los Fondos de

Inversión Social fueron reacios a entender que

hay una estrecha y consubstancial relación

entre lo que se pretende lograr (objetivo) y las

normas y procedimientos utilizados (metodolo-

gía). No se puede pretender fomentar la de-

Page 168: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

162

mocracia y la gobernanza, utilizando metodo-

logías autoritarias y poco transparentes; no se

puede pretender la sustentabilidad de una

actividad o servicio, empleando métodos de

ejecución paternalistas y poco “apropiantes”

por los beneficiarios; por último, no se puede

buscar el autodesarrollo y la práctica de la

autogestión local, imponiendo ejecutores ale-

jados de la realidad local.

Los proyectos como medio y no como fin

En los programas de fomento del Desarrollo

Local, el papel de los proyectos es más de

instrumento que de fin en sí, pues de lo que se

trata es de utilizar a la obra de infraestructura

como un medio para prestar un servicio y a la

vez generar capacidades económicas, socia-

les, políticas y de gobernabilidad entre los

pobladores y sus autoridades formales y tradi-

cionales. Considerar que las obras de ingenie-

ría son el objetivo es desconocer el papel

transformador que tiene una actividad con-

creta, bien diseñada y mejor ejecutada por sus

propios actores y beneficiarios. No hay pues

que confundir la obra física con el proyecto,

pues mientras la primera es una herramienta

(de alta calidad por cierto), el proyecto es el

servicio que se desea brindar y el fortaleci-

miento de las organizaciones locales, respon-

sables de operarlo sustentablemente es el fin.

Aquí radica precisamente la gran ventaja com-

parativa de la Cooperación Financiera Oficial

Alemana a través del KfW cuando promueve el

Desarrollo Local: las ideas y los planes son

llevados inmediatamente a la práctica por los

propios interesados, siendo su principal valor

agregado el empoderamiento y el incremento

del capital social de los pobres y no solamente

la satisfacción de una necesidad inmediata.

Los Fondos Sociales de Centroamérica y su proceso de trabajo con los Pueblos Indígenas

Los Fondos de Inversión Social de tercera

generación3 así lo han entendido y en Hondu-

3 Los Fondos de Inversión Social son organismos que han venido evolucionando de simples compensadores a los efectos de los ajustes (Fondos de primera generación) a máquinas

ras, Nicaragua y Guatemala se han vuelto los

abanderados, entre los demás organismos

estatales, del fomento del desarrollo local y de

la opción preferencial por los pueblos indíge-

nas. Por lo anterior es que en la Cooperación

Financiera y el KfW se afirma que el Desarrollo

Local en América Latina y el Caribe es a la vez

un objetivo a lograr pero también una estrate-

gia para lograrlo.

La Cooperación Financiera (KfW) en América

Central financia actualmente Programas con

clara opción por la interculturalidad y el desa-

rrollo con identidad. El FIS y el PRONADE de

Guatemala, el FISE de Nicaragua y el FHIS de

Honduras son los responsables de llevar a la

práctica los principios mencionados y es preci-

samente sobre este último que a continuación

se ejemplifica la opción del KfW por la devolu-

ción a los Pueblos Indígenas las riendas de su

propio desarrollo, de una manera práctica y de

inmediata ejecución. No es que los nueve

Programas sean todos igualmente exitosos, ni

que en todos se haya logrado con altos niveles

de apropiación institucional la puesta en prác-

tica los conceptos de Desarrollo Local y Fo-

mento de la Interculturalidad, sino que los

éxitos y fracasos realizados por los Fondos

demuestran que por ahí va el camino.

Los pueblos indígenas representan poco más

de la mitad de la población de Guatemala,

entre el 10 y el 20 por ciento en Honduras y

Nicaragua y menos del 10 de por ciento en

Panamá y El Salvador. Desgraciadamente, ser

indígena y extremadamente pobres en esta

parte del continente son casi sinónimos. En

ninguno de los países existe una política na-

cional de alto nivel de tratamiento de la Cues-

tión Indígena, si bien en Guatemala y Hondu-

ras existen sendas instituciones oficiales res-

ponsables. Una vez reinstalados los gobiernos

democráticos y habiéndose terminados los

procesos de guerra interna, en todos los paí-

ses, en unos más en otros menos, el tema de

contratistas de pequeñas y medianas obras de infraestructura social (Fondos de segunda generación). Finalmente, y como reacción a las limitaciones y deficiencias de las dos anteriores generaciones, los Fondos de tercera generación, se han convertido en instituciones fomentadoras del desarrollo local.

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

163

los Pueblos Indígenas ha sido puesto sobre la

mesa y este artículo precisamente quiere po-

ner a conocimiento de cómo la Cooperación

Financiera Oficial Alemana y el KfW, en estre-

cha colaboración con el Banco Mundial, han

contribuido con relativo éxito en el tema.

Foto: Wahltag in der Comarca Ngöbe-Buglé (Proyecto Agroforestal Ngöbe)

Los Fondos de Inversión Social de Honduras,

Guatemala y de Nicaragua han sido los ins-

trumentos para tal fin, pues en tales países

fueron las únicas organizaciones que respon-

dieron con reticencia al comienzo y con entu-

siasmo finalmente al reto de acomodar sus

estructuras, normas y procedimientos a un

trabajo sistemático y adecuado con los Pue-

blos Indígenas.

Los Fondos de Inversión Social (FIS) son or-

ganizaciones estatales que nacieron a fines de

los años 80 y hoy operan en 21 países lati-

noamericanos, si bien también existen en

África, Asia y Europa del Este. Son institucio-

nes que han sido modeladas como instru-

mentos modernos y eficientes para transferir

fondos a las comunidades y gobiernos locales,

con el fin de financiar procesos de autodes-

arrollo y a la vez pequeños y medianos pro-

yectos de diferente naturaleza. Son institucio-

nes/ instrumento de ejecución de las políticas

sociales de los gobiernos y, desde hace unos

años, también de las políticas de descentrali-

zación y modernización de las administracio-

nes públicas. En sus más de 15 años de estar

operando en América Central, muchos son los

errores cometidos, muchos los éxitos, pero

sobre todos destaca su tremenda capacidad

de adecuarse a los nuevos retos y situaciones.

Por ello es que fueron escogidos por sus go-

biernos y los bancos de desarrollo, para llevar

a cabo Programas especialmente diseñados

para trabajar con los Pueblos Indígenas.

El FHIS de Honduras, un caso de “herejía metodológica” hecho Programa

Los pueblos indígenas en Honduras son

nueve: Xicaques, Pech, Miskitos, Lencas, Ta-

wahkas Chortíes, Nahoas, Garífuna y Negros

de Habla Inglesa. El pueblo mayoritario es el

Lenca (60% de los indígenas) y el minoritario

el Tawahka (0.5%). El 86% de los indígenas

hondureños está en el peor quintil de pobreza.

Poco menos del 80% de las comunidades no

tienen ni servicio de agua potable ni de dispo-

sición adecuada de excretas. Más de 85% de

las mujeres mayores de 25 años son analfa-

betas. La mortalidad materna es de lejos la

más alta de Honduras.

Durante las dos décadas de guerra civil en

América Central –años 75 a 95–, los Pueblos

Indígenas no encontraron mejor modo para

defenderse colectivamente de los embates de

las fuerzas armadas y de su infaltable secuela

de expoliaciones de tierras por parte de los

militares y sus aliados, que optar por formas

modernas de organización. Esta especial ca-

racterística de los indígenas hondureños hizo

del trabajo del Fondo Hondureño de Inversión

Social (FHIS) una tarea exigente para la crea-

tividad en el trabajo conjunto, la equidad social

y el fomento del desarrollo con identidad.

A pesar de su importancia numérica en la po-

blación de Honduras (12%) y de su condición

de vivir en la extrema pobreza –es común la

alta correlación entre extrema pobreza y ser

indígena–, los pueblos indígenas no recibieron

de las autoridades nacionales, casi siempre

dictadores bananeros, más respuesta a sus

reclamos que represión, expoliación de tierras

y muchas veces la muerte de sus autoridades.

Inclusive, ya bien entrada la democracia, la

“cuestión indígena” no era reconocida ni por la

sociedad ni por muchas autoridades hondure-

ñas, y por ello es que en los comienzos de los

años 80 los pueblos indígenas (ocho nativos y

uno de migración forzada: los afro descen-

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

164

dientes) tomaron una decisión de defensa

colectiva, cuyas consecuencias aún no han

sido convenientemente evaluadas al haberse

organizado bajo la modalidad de federaciones

campesinas de corte sindical reivindicativo.

Los indígenas llegaron a la conclusión que sus

organizaciones tradicionales, tales como los

caciques, ancianos, consejos de tribus o fra-

ternidades de pueblos, no eran los instrumen-

tos más idóneos para defender sus intereses

ante las autoridades estatales. Por ello es que

se empiezan a formar las Federaciones Indí-

genas, las cuales asumen una estructura,

reglamentos, virtudes y defectos propios de los

organismos gremiales campesinos común-

mente conocidos en América Latina, casi

siempre a la sombra de partidos políticos de

izquierda. No es objetivo de este artículo reali-

zar un balance de tal decisión, sino exponer

sus consecuencias cuando el Fondo Hondu-

reño de Inversión Social (FHIS) decide al fin

trabajar de manera sistemática y con una es-

trategia de genuino indigenismo y no con un

indigenismo folklórico y paternalista, convir-

tiéndose así en el primer, y hasta el momento

único, organismo estatal hondureño en tomar

tal decisión.

La gran decisión

Para empezar, el año 2002 el FHIS hace un

esfuerzo por asumir que lo indígena es un

problema desde que los españoles llegaron a

Honduras y que el tema debe ser, de una vez

por todas, abordado de la manera más profe-

sional posible y siguiendo los mejores cánones

existentes. Por ello hecha mano al Convenio

Nº 169 de las Naciones Unidas sobre “Pueblos

Indígenas y Tribales”, hecho ley en Honduras

el año 1996.

Después de muchas discusiones se tomaron

dos decisiones vitales: por un lado diseñar y

poner en marcha un Programa especial a favor

de los Pueblos Indígenas y por otro, que dicho

Programa sea diseñado y ejecutado siguiendo

los cánones del Convenio Nº 169, cuando

norma la forma cómo los gobiernos deben

trabajar con éstos y que fueron asimilados por

el FHIS bajo los siguientes términos:

”El FHIS debe ser la punta de lanza de

entre las instituciones estatales y privadas

sobre la forma de trabajar solidariamente

con los Pueblos Indígenas”.

”Los indígenas tienen derecho a un Desa-

rrollo con Identidad, es decir que sus ca-

racterísticas ancestrales y diferencias de-

ben ser potenciados en su propio beneficio

y de todo Honduras”.

”Es necesario impulsar la Discriminación

Positiva, con el fin de asegurar que las

ventajas del FHIS se dirijan exclusiva-

mente a ellos. Otros hablan de compensa-

ción histórica”.

”Se tiene que reconocer que los pueblos

indígenas existen, son numerosos y tienen

mucho que aportar al desarrollo de Hondu-

ras, es decir que los pueblos indígenas

tienen una Importancia Cuantitativa y Cua-

litativa en el país”.

”Las políticas, programas y proyectos que

tengan directa o indirectamente que ver

con los pueblos indígenas deben ser dis-

cutidos, ejecutados y evaluados con la

participación ilustrada de las representa-

ciones de estos pueblos”.

Democracia en pañales

Fue precisamente este último principio, el de la

participación democrática de los indígenas en

su propio desarrollo, el que más costó cumplir,

sin menospreciar la dificultad de los otros. El

FHIS era una institución poco consciente que

los indígenas hondureños son tan ciudadanos

como los otros, como los más pobres, con

iguales derechos, pero a la vez con culturas,

valores y principios todos derivados de cos-

mogonías muy diferentes a las occidentales.

Tales diferencias habían sido melladas por

más de 500 años de intentos de culturización y

exitosos esfuerzos de expoliación y represión,

pero fundamentalmente habían quedado in-

cólumes. “Cómo es que vamos a discutir con

ellos el Programa si los indios son ignorantes”,

preguntaba un funcionario; “si nosotros que

somos profesionales universitarios no sabe-

mos bien cómo sacar a Honduras de su sub-

desarrollo, menos lo va a saber esa gente

ignorante.”

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

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“Si el FHIS quiere trabajar con los pueblos indígenas está muy bien, pero esta vez no vamos a permitirle que venga con espejitos y collares y mucho menos con engaños, como lo ha venido haciendo. Si el FHIS acepta que el nuevo Programa sea trabajado desde el co-mienzo con plena participación de las Federa-ciones Indígenas, y, si ahora de trata de ver-daderos proyectos y no solamente de regalitos, entonces estamos dispuestos a autorizar a nuestras bases para que participen. De otra manera no lo aceptamos, y más aún, denunciaremos ante los organismos internacionales que el FHIS y todo el gobierno de Honduras, están despreciando y marginando a los pueblos indígenas e incumpliendo el Convenio 169 que en Honduras es una ley muerta.”

SILVESTRE GONZÁLEZ, Presidente de una Federación Lenca

Así se preguntaban los funcionarios del Fondo,

reflejando de esta manera la mala relación

interétnica existente en su país. Por ello es

que el Ministro/ Director del FHIS tomó la deci-

sión de convocar a tres representantes de

cada una de las nueve Federaciones Campe-

sinas para discutir abiertamente cómo trabajar

juntos bajo la égida de los principios del Con-

venio 169. Fue una decisión difícil de aceptar

por una Institución que en los pasados diez

años había recorrido todo el país, como nin-

guna en Honduras, construyendo proyectos de

infraestructura, pero ignorando que el desarro-

llo es mucho más que obras, y, que en el caso

de los indígenas, éstos son ciudadanos dife-

rentes y que no hay peor discriminación que

tratar a los diferentes de manera igual.

El primer taller de trabajo

Finalmente, después de casi cuatro meses de

dudas y desconfianzas de todas las partes y

con más de diez años de estrategias equivo-

cadas, se llevó a cabo el 4 de febrero de 2003

un primer taller de trabajo, contándose con la

participación de la totalidad de las Federacio-

nes Indígenas y Negras de Honduras (27 diri-

gentes) y seis funcionarios del FHIS. Fue un

total de 33 personas, la una más diferente de

la otra, todos unidos por el temor y la descon-

fianza. No fue fácil iniciar las conversaciones,

pues algunos dirigentes venían llenos de una

mezcla de ira contenida y timidez; otros no sa-

bían bien de qué se trataba, otros hasta temor

tenían (no están muy lejos los años en que los

dirigentes indígenas eran citados o persegui-

dos por las autoridades militares y funcionarios

gubernamentales y siempre para nada bueno;

ahora no tenía por qué ser diferente). A partir

de ese momento conjuntamente se comenzó a

diseñar un Programa de Desarrollo Indígena a

ser implementado también conjuntamente.

País pequeño, distancias grandes

Algunos dirigentes, los con más suerte, venían

de tan solo ocho horas de viaje en los ya co-

nocidos ”autoabuses” (abuso y autobús son

casi sinónimos en el interior de Honduras), y

los más alejados, por ejemplo las autoridades

Kawakas habían invertido más de 30 horas en

llegar entre tramos a caballo, otros en canoa

por los ríos fronterizos con Nicaragua, cami-

natas y siempre en los infaltables y desvenci-

jados camiones rurales. Pero la democracia y

la participación tienen otros costos y a veces

muy grandes y esos costos tienen que ser

pagados en aras de la eficacia y la justicia.

En primer lugar fue necesario asegurarse que

todos los participantes se entendieran entre sí.

Fue necesario buscar dos intérpretes para el

español, que felizmente se encontraron entre

los asistentes, pues algunos de ellos, a em-

pujones de una vida en lengua dominante, se

habían profesionalizado en tal menester. Otro

problema fue trabajar con dos tipos de diri-

gentes, los Federativos y los Ancestrales. Los

Federativos con su calidad de luchadores so-

ciales de la más prístina izquierda de las diri-

gencias campesinas y los Ancestrales, ancia-

nos indígenas que jamás aceptan las voces en

alto, el lenguaje altisonante de sus socios fe-

derativos y mucho menos que se les contra-

diga en público. Es menester decir que sola-

mente una mujer participó en el primer taller, la

hija de un jefe de tribu Pech quien debía ayu-

dar a su padre con el idioma. Por su lado los

funcionarios del FHIS estaban deslumbrados

por la solemnidad que los ancianos impusieron

al acto de inauguración y sin saber qué hacer,

pues nunca habían participado en eventos con

gente tan diferente y tan digna en su pobreza.

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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

166

“Qué tanto temor tienen que nosotros manejemos esos dineritos de gobierno y que nos los robemos, si mucho más dinero se roban los políticos y sus amigotes empresarios y no les pasa nada. Además los controles que nosotros tenemos son mucho más duros y los castigos son terribles”.

SANTIAGO CARPINCHE, dirigente Lenca

”Es cierto que mi señorita hija no es dirigente,pero solicito a los señores presentes laautoricen a que les diga lo que yo desee decir,pues ella honra la presencia de todas lasmujeres que aseguran la vida de nuestrasfamilias y nuestras tierras; además, ella haestudiado mucho en la escuela y sin ella yo nopodría ser un buen dirigente ante ustedes.”

CACIQUE TEODORO LUJXA, Miskito Hondureño/ Nicaragüense

“Nos parece muy bien que el dinero seaentregado a las comunidades y no a lasgrandes empresas constructoras. Nosotroscontrataremos a los técnicos que necesitemosy vamos a hacer las obras de mejor calidad ymás baratas”.

DIÓMEDES SÁNCHEZ, dirigente Tawaka

Obviamente, pasada la primera impresión ante

lo desconocido, en el taller se optó por dar la

prioridad en la palabra y en la razón a los diri-

gentes Ancestrales, pues aquí no se trataba

de ganar ninguna batalla política o sindical,

sino de “diseñar conjuntamente un Programa

de Desarrollo Indígena, en el que los propios

indígenas debían participar sustantivamente

en las tomas de decisión, en el manejo del

dinero y en la organización de la ejecución de

los proyectos y actividades”, como dijo el Mi-

nistro Director del FHIS al momento de la in-

auguración. Los dirigentes Federativos enten-

dieron y aceptaron pasar a un segundo plano,

como debe ser en los tiempos de paz y demo-

cracia.

Todo el dinero del Programa a las comunidades indígenas

En segundo lugar fue necesario establecer

claramente que la forma de ejecución del pro-

grama no solamente implicaba una codirección

del mismo entre el FHIS y los dirigentes, sino

que la democratización tenía que llegar hasta

el fondo. Por ello es que se optó por una me-

todología de administración de los recursos

financieros y técnicos en los que las comuni-

dades y sus autoridades son los responsables

y depositarios del poder de decisión.

Los proyectos ejecutados por las propias co-

munidades son una nueva forma de procesar

el ciclo de proyectos que están implementando

los denominados Fondos Sociales de Tercera

Generación. Esta modalidad consiste en en-

tregar a las comunidades organizadas o en

proceso de organización todos los recursos

financieros y técnicos que ellas requieran para

que ellas mismas planifiquen, formulen, eje-

cuten, operen y den mantenimiento a sus pro-

yectos. Esta modalidad se basa en el principio

básico que los pobres saben mejor que nadie

cómo solucionar sus problemas, si es que se

les dota de los recursos técnicos y financieros

necesarios. La autogestión comunitaria está

probando, principalmente en el caso de los

pueblos indígenas, que el desarrollo con iden-

tidad y cuentadancia es un poderoso instru-

mento de desarrollo social y económico en

manos de los pobres.

Es también condición básica que los proyectos

ejecutados por las comunidades sean proce-

sados en orgánica relación con los respectivos

gobiernos municipales y a la vez con la enti-

dad representante de los Pueblos. Los pro-

yectos mismos tenían que ser identificados,

formulados, administrados y ejecutados por las

propias tribus.

En consecuencia, se acordó que todos los

proyectos fueran ejecutados bajo la modalidad

de ejecución comunitaria, es decir por la co-

munidad y sus representantes. Se acordó

también facilitarles los recursos para que con-

traten los consultores que consideren de su

agrado. Se puso una sola condición: el FHIS

será el responsable de supervisar la calidad de

los proyectos y la corrección en el uso del

dinero. La condición fue aceptada.

Page 173: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

167

El manual de operaciones y la herejía sistemática

Por último, para dar cuerpo y seriedad a un

Programa de 15 millones de dólares, la tarea

principal fue elaborar un Manual de Operacio-

nes, específico para el Programa, a ser traba-

jado hasta en los más mínimos detalles entre

el FHIS y las representaciones indígenas y

para tal fin se organizó una comisión paritaria.

A los encargados de asesorar el proceso co-

rrespondió asegurar que el manual indígena

estuviera en concordancia con las normas del

KfW y del Banco Mundial4, sabiendo bien que

tales normas no fueron diseñadas teniendo en

mente a los indígenas y sus particularidades.

La indicación principal que recibieron fue que

“el manual debía adecuarse a los principios

generales de los bancos y que se fuera lo más

creativo posible”. Sabia instrucción, pues se

trataba de crear algo nuevo, que no fuera una

repetición moderna de esa colonización cultu-

ral de más de quinientos años de “amaestra-

miento civilizador” e inventar de la nada un

manual de inversiones a ser ejecutadas por los

propios indígenas y a su manera. Por ello, una

fría noche del mes de mayo de 2003, en el

pueblo de Intibucá, ubicado en las montañas

nor-orientales de Honduras en la frontera con

El Salvador, ante los vítores y danzas de los

indígenas asistentes, se hizo una hoguera con

el actual manual de operaciones del FHIS: de

alguna manera había que simbolizar el deseo

de emprender un esfuerzo creativo y manco-

munado, jugándose por un manual íntegra-

mente consensuado con las dirigencias indí-

genas, hecho a la medida de los indígenas

“aunque nos quede lleno de herejías y aposta-

sías” afirmó el Ministro/ Director del FHIS. El

principio metodológico adoptado consistió en

que la imaginación prevalezca sobre los ma-

nuales y normas antiguos, con tal de hacer

algo totalmente nuevo y en consenso con los

indígenas y después veremos qué dicen en el

KfW y en el Banco Mundial. Felizmente, una

vez terminado el manual al cabo de casi seis

meses de trabajo conjunto, el documento fue

enviado a los dos Bancos para el famoso dic- 4 En América Central el Banco Mundial y el KfW trabajan de manera coordinada sus programas de inversión social y fomento del desarrollo local.

tamen de conformidad. Después de muchas

preguntas y repreguntas, las herejías fueron

aceptadas y el manual entró en plena vigencia.

Se tienen ya más de 200 proyectos en ejecu-

ción al calor de este tipo de manual. La mayor

parte está siendo ejecutada con altos niveles

de calidad y se sabe perfectamente dónde

está el dinero. Contra las pruebas no valen los

argumentos, decían los antiguos.

Lecciones metodológicas aprendidas

Del proceso vivido con el FIS de Honduras se

pueden sacar algunas conclusiones que po-

drían ser útiles para los profesionales que

deben trabajar en Programas en los que de

manera directa o indirecta tengan que ver

poblaciones indígenas. No se trata solamente

de instituciones como los Fondos Sociales,

sino también de instituciones especializadas

en dotación de agua y saneamiento rurales, en

educación, en salud, en fomento de la produc-

ción y en general en todos aquellos programas

en los que la comunidad indígena es o debería

ser el sujeto principal de la acción. De manera

más o menos esquemáticas las lecciones

aprendidas serían las siguientes:

En los ejercicios de microplanificación de

inversiones, cuando se trate de comunida-

des o municipalidades mixtas (indígenas y

no indígenas), se deben hacer dos planes

paralelos y, posteriormente, unificarlos en

uno solo, respetando la proporcionalidad

por población (indígena y no indígena),

para efectos de asignación de los recursos

y de priorización de proyectos.

Se requiere ser particularmente exigente

en el respeto a los mapas de pobreza, con

el fin de asegurar la equidad (sino la dis-

criminación positiva) en la distribución de

los recursos financieros y promotores de la

entidad ejecutora.

No es conveniente priorizar y financiar

solamente proyectos comunitarios, sino

también proyectos que beneficien al pue-

blo indígena en su conjunto, con el fin de

fortalecerlo y contribuir a su desarrollo

como pueblo y no solamente como con-

junto de comunidades. Proyectos que sir-

van a todo el Pueblo y no solamente a una

Page 174: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos

168

comunidad (p.ej.: diccionario y gramática

del idioma, historia y tradiciones del pue-

blo, protección legal ante expoliaciones de

tierra, etc.).

Es mejor que los comités y diferentes ins-

tancias de dirección sean conformados

tanto por miembros de la organización tra-

dicional (p.ej.: los ancianos), como por

miembros de la organización reivindicativa

(dirigentes modernos). En el caso de co-

munidades mixtas, es mejor tener dos co-

mités (uno indígena y otro no indígena) y

aplicar posteriormente técnicas de codi-

rección paritaria para el caso del comité

único que siempre se deberá formar.

No se deben crear comités o instancias ad

hoc para los proyectos, sino utilizar las or-

ganizaciones existentes y fortalecerlas.

Menos aún imponer formas de organiza-

ción solamente para poder cumplir con re-

quisitos legales de detalle y que perfecta-

mente pueden ser suplidas por las organi-

zaciones tradicionales.

En el caso en que algún o alguna indígena

no domine la lecto/ escritura o las opera-

ciones aritméticas básicas, ello no debe

impedir que sean elegido a los puestos de

dirección, pues éste puede ser apoyado

por algún hijo o hija mayor de 12 años y

menor de 18 que sea alfabetizado.

La ejecución de los proyectos debe ser,

por lo general, bajo la modalidad de auto-

gestión, es decir la comunidad organizada

debe ser la responsable de manejar los

fondos y de organizar la ejecución del pro-

yecto y del servicio, obviamente, contando

con el apoyo técnico contratado por la

propia comunidad.

Hay que asegurar que los Facilitadores o

Promotores de la entidad ejecutora domi-

nen el idioma propio de la comunidad con

la que se quiere trabajar.

En el material de apoyo a la capacitación,

además de estar en el idioma de la comu-

nidad, los dibujos y fotografías deben co-

rresponder al grupo indígena.

Incluir en los módulos de capacitación

comunitaria, un módulo sobre la historia,

valores y cosmogonía correspondientes al

respectivo pueblo indígena.

Los diseños, materiales y técnicas cons-

tructivas de los proyectos de infraestruc-

tura deben ser modernizaciones y adecua-

ciones de las usadas tradicionalmente por

la comunidad o pueblo.

Cuando una comunidad no desea tener

relaciones estrechas y continuas con las

autoridades municipales, no se les debe

obligar, si bien se les debe informar de las

ventajas de tenerlas.

Por último, es necesario concientizar a los

alcaldes municipales y demás autoridades

locales para que los indígenas de su terri-

torio reciban el tratamiento especial que

compense las discriminaciones del pa-

sado.

Son lecciones que quizás no se apliquen a

todos los países que tengan la suerte de tener

una riqueza multicultural, pluriétnica y multilin-

güe, como es el caso de Guatemala, Honduras

y Nicaragua, pero aún así son derroteros

aprendidos en la fatiga de la práctica y que en

general pueden aplicarse en los programas de

lucha contra la pobreza y en sociedades rura-

les y urbano marginales altamente conflictivas.

Al menos en Centro América, el trabajo con los

indígenas está pasando del ámbito de los

buenos deseos y floridos discursos al campo

de los hechos; de las tesis académicas a las

prácticas cotidianas; de los proyectos paterna-

listas, a los programas de desarrollo con iden-

tidad. Por ello bien vale la pena recordar aque-

lla frase que pronunció esa gran mujer indí-

gena guatemalteca, Premio Nóbel de la Paz,

Rigoberta Menchú, cuando afirmó no hace

mucho tiempo que “si los pueblos mayas no

son capaces de fortalecer sus valores y cos-

mogonías con programas y proyectos técni-

camente diseñados y ejecutados, son pueblos

condenados a desaparecer”.

Page 175: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

169

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

DR. SABINE SPEISER

Städte bestimmen zunehmend den Lebens-

raum der Menschen in allen Ländern. Die Ent-

wicklung zu weiterer Verstädterung ist nicht

aufzuhalten: Bis zum Jahr 2025 werden mehr

als 60% der Weltbevölkerung in Städten leben.

Neun von zehn dieser stark bevölkerten Städte

werden in Entwicklungsländern liegen. In den

nächsten zwanzig Jahren werden 2 Mrd. Men-

schen in die ohnehin schon extrem belasteten

Städte der Entwicklungsländer ziehen (BMZ,

2002). Für Lateinamerika liegen diese Anteile

höher, in einigen Ländern, wie beispielsweise

Peru, leben bereits 70% der Bevölkerung in

Städten. Weltweit leben bisher 30% der Armen

in Städten, die Armut in ländlichen Regionen

ist wesentlich ausgeprägter.

Die Situation indigener Völker in Städten ge-

winnt vor diesem Hintergrund auch an Gewicht

in der internationalen Diskussion. Die indige-

nen Siedlungsräume und deren Nutzung ver-

ändern sich ebenso wie die Zahlenverhältnisse

zwischen ländlichen und städtischen Indige-

nen. Die Indigenen selbst machen auf diese

Problematik aufmerksam, wie im Jahr 2003 in

der Session des Ständigen Forums für indi-

gene Fragen: “The Forum notes that indige-

nous peoples are increasingly confronted with

issues and problems related to more urban

characteristics such as access to adequate

housing, services and infrastructure in human

settlements” (STÄNDIGES FORUM FÜR INDIGENE

FRAGEN, 2003:7).

Land – Stadt Migrationen sind ein Massenphä-

nomen der letzten 50 Jahre und haben sowohl

die ländlichen Herkunftsregionen als auch die

aufnehmenden Städte von ruralen Unterzent-

ren bis zu den Megastädten verändert. Dies

gilt auch für indigene Migrationen vom Land in

die Städte, die generell ähnlichen Mustern

folgen. Diese Wanderungsbewegungen haben

sowohl ihre Auswirkungen auf indigene Völker

in den ländlichen Herkunftsregionen selbst als

auch auf die Städte, in die sie migrieren, und

die sie trotz Anpassung auch mitgestalten (“in-

digenisieren“). LESTAIGE (zitiert in BENGOA,

2000:53) beschreibt das für den Sonderfall

indigener Migranten aus Mexiko in den USA

folgendermaßen: “A miles de kilómetros de su

región de procedencia, los migrantes (...) si-

guen percibiéndose como miembros de su

grupo regional o étnico de origen y al mismo

tiempo se adaptan a la sociedad que los recibe

y recrean una comunidad parecida a la que

dejaron.“ Ohne das Konzept der multiplen I-

dentitäten lassen sich diese Prozesse nicht

adäquat interpretieren (siehe auch STRÖBELE-

GREGOR in diesem Band).

Trotz dieser Veränderungen des städtischen

Raums hält sich hartnäckig das Bild der Stadt

als Hort der Moderne, des schnellen Wandels

und – in der jüngsten Diskussion – des An-

schlusses an die Globalisierung. Mit diesem

Bild scheint das bis heute ebenso hartnäckige

Bild Indigener als traditioneller, eher rückwärts

orientierter, und in jedem Fall ländlicher Bevöl-

kerungsgruppen in Widerspruch zu stehen. Mit

diesen vermeintlichen Widersprüchen be-

schäftigt sich dieses Kapitel in drei Schritten:

(1) einer quantitativen Annäherung, (2) den

Wegen in und aus den Städten und (3) den

ggf. dort, bzw. im Migrationsprozess entste-

henden neuen Identitäten. Diese Reflektionen

werden (4) mit einer Durchsicht entsprechen-

der Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit

(EZ) und (5) den daraus entstehenden Emp-

fehlungen ergänzt.

1. Indigene in Städten – eine quantitative Annäherung

Gemeinhin assoziieren die meisten Menschen

und Institutionen beim Stichwort “Indigene“

einen ländlichen, meist noch ökologisch sen-

siblen Kontext, häufig Tropenwald. Dies ist

keine Assoziation, die im “Wesen“ indigener

Page 176: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

170

”(...) la mirada de las principales políticas pú-blicas de Chile como de otros estados latinoamericanos contiene un fuerte sesgo ruralista... dejando de lado a una importante cantidad de personas y familias indígenas que habitan los espacios urbanos de nuestra América mestiza y particularmente las ciudades capitales.”

CLAUDIO SAAVEDRA (CONADI) Chile

Völker begründet ist oder sich historisch bele-

gen ließe, insbesondere nicht angesichts der

indigenen Hochkulturen und ihrer wenn auch

heute weitgehend unbekannten urbanen Struk-

turen1. Auch in den Städten der Kolonialzeit

stellten indigene Siedler häufig die Bevölke-

rungsmehrheit. Vielmehr handelt es sich um

eine Assoziation mit den Bildern und Vorstel-

lungen gängiger Diskurse zu indigenen Völ-

kern. Nach einer ersten Anerkennung indi-

gener Völker und ihrer Ansprüche auf das

Land, das sie bearbeiteten (1950er Jahre)

kamen diese in jüngerer Zeit verstärkt mit der

“Ökologiediskussion“ und insbesondere der

Diskussion um Ressourcen- und Klimaschutz

in den internationalen Blick. Dabei verselbst-

ständigte sich u.a. das Bild der Indigenen als

Schützer tropischer Regenwälder. Die indige-

nen Völker der Regenwälder, insbesondere im

Amazonastiefland, stellen zwar die größte

Vielzahl der Völker, aber gegenüber den we-

sentlich größeren indigenen Hochlandvölkern

eine quantitative Minderheit dar. Die folgende

bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre

vorgelegte Einschätzung (PÉREZ SAINZ,

1994:335) hat auch heute noch Gültigkeit und

würde jetzt, 10 Jahre später mit dem Stichwort

der Globalisierung verknüpft: “(...) una cómoda

asociación entre indígena/ campesino(a) que,

en el fondo, remite a una concepción de este

mundo étnico en términos de tradicionalidad e

inmovilidad. La otra cara de esa misma mo-

neda es que los contextos urbanos, especial-

mente los metropolitanos, han sido caracteri-

zados (...) como escenarios de modernización

y donde, se ha pensado que identidades uni-

versalizantes, ligadas a procesos de abstrac-

ción y de mercantilización generalizada, aca-

barían diluyendo referentes concretos de iden-

tidad, como el de etnicidad.“

Viele Ethnolog/innen aber auch indigene Or-

ganisationen – einschließlich das bereits zi-

tierte Ständige Forum – haben eine deutliche

Tendenz, die Migration in die Städte als Ver-

lust von Traditionalität, Kultur und Werten zu

interpretieren, und damit eine Bedrohung zu

1 Die Veröffentlichung der GTZ zur Armutsbekämp-fung in Städten (GTZ, 2003a:8) weist auf diese urbane Vorgeschichte für Lateinamerika hin.

verbinden. Dahinter steht das beständige, em-

pirisch allerdings nicht haltbare Bild von Kultur

als monolithischer Einheit, die tradiert und

bewahrt wird, wobei Veränderung negativ kon-

notiert ist (siehe auch STRÖBELE-GREGOR in

diesem Band). Übersehen wird dabei nicht

selten, dass auch die aktuell in ländlichen Ge-

meinschaften vorherrschende Kultur selbst das

Produkt historischer Prozesse und auch ohne

Migration ständigen Veränderungsprozessen

ausgesetzt ist. Richtig dagegen ist der Hinweis

auf die massive Ausgrenzung und den vor-

herrschenden Rassismus in den meisten la-

teinamerikanischen Städten, der eine nicht

identifizierbare Anzahl indigener Migrant/innen

dazu bringt oder zwingt, ihre Identität als Indi-

gene zumindest in der Öffentlichkeit auf-

zugeben. Aber auch dann ist die nicht indigene

Öffentlichkeit häufig nicht bereit, indigene

Migrant/innen als Mestiz/innen gleichberechtigt

anzuerkennen.

Auch die eigenen Organisationsstrukturen

indigener Völker reflektieren die enge Bezie-

hung indigener Völker mit ländlichen Regio-

nen, wenn beispielsweise die Hochlandindige-

nen (Aymara und Quechua) Boliviens in der

Bauerngewerkschaft organisiert sind und sich

mit campesinos durchaus angesprochen füh-

len.

Die Institutionen der Entwicklungszusammen-

arbeit, die “ihre Indigenen“ im Zuge des Res-

sourcenschutzes entdeckten, gehen zum Teil

so weit, die Definition von “indigen“ im Sinne

der eigenen Institution nur auf Indigene zu

beziehen, die nicht in urbane Ballungszentren

migriert sind (vgl. das Weltbankkonzept OD

4.20; WELTBANK, 1991). Dagegen widmet sich

das Indigenenkonzept des Bundesministeri-

Page 177: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

171

ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und

Entwicklung (BMZ) den Indigenen in Latein-

amerika und der Karibik in größerer Breite und

schließt explizit indigene Stadtbevölkerung ein.

Will man sich nun dem Thema der indigenen

Bevölkerung in der Stadt nähern, ist man zu-

nächst mit zwei schwierigen Definitionsaufga-

ben konfrontiert:

Wer sind Indigene?

Und was ist Stadt?

Die erste Frage wird mit Verweis auf die Defi-

nition von MARTÍNEZ COBO (1987:379-381) der

Vereinten Nationen beantwortet (siehe auch

SPEISER und STRÖBELE-GREGOR in diesem

Band): Indigen ist eine soziale Kategorie auf

der Grundlage von Eigen- und Fremdzuschrei-

bung, wobei der Selbstidentifikation im Zu-

sammenhang mit öffentlichen Erhebungen

besondere Bedeutung zukommt. Bei dem Ver-

such, sich einen quantitativen Überblick zu

verschaffen, ist die Frage, wer Indigene sind,

gekoppelt an die Fragestellung der nationalen

Statistikämter und ihrer Volkszählungen. Wenn

jedoch schon insgesamt die Datenlage zu indi-

genen Völkern in Lateinamerika zu höchst

unterschiedlichen Zahlen führt2, so gilt das

umso mehr für die Indigenen in Städten (vgl.

MEENTZEN, 2001:49).

Die zweite Frage nach der Stadt kann eben-

falls im Rückgriff auf entsprechende internatio-

nale Diskussionen nur näherungsweise be-

antwortet werden: Eine allgemein anerkannte

Definition für den Begriff ”Stadt“ gibt es auch

im UN Kontext von Habitat noch nicht: “As the

authoritative global agency on sustainable

urban development, UN–HABITAT should first

take the lead in ensuring that the definition of

city is not limited by formalistic legal or ge-

ographical approaches, but captures the dy-

namic functional reality of the urbanisation

process and places the city in its regional con-

text.” (UN HABITAT, 2003, Internetveröffentli-

2 Auf der Seite http://www.gtz.de/indigenas werden die Schätzungen des Instituto Interamericano Indi-genista (III, Mexiko), der Weltbank und der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank (IDB) vorgestellt. Neueste Vergleiche vorliegenden Datenmaterials vgl. BARIÉ, 2004. Ein Überblick bietet die Tabelle im Anhang 1.

chung).3 Die Entwicklungszusammenarbeit

greift diese komplexe Diskussion auf: “Die Ab-

grenzung urban – im Sinne von Mindestein-

wohnerzahl – wird in den einzelnen Ländern

auf recht verschiedene Weise vorgenommen.

Unabhängig von diesem quantitativen Krite-

rium beinhaltet urban weitere Merkmale wie

Siedlungsdichte, hoher Grad an Marktattrakti-

onen und möglicherweise einige Verwaltungs-

eigenschaften. Dabei deckt der Begriff urban

ein Spektrum von Einheiten ab: von kleinen

Städten zu mittelgroßen Städten über Groß-

städte bis hin zu den Megastädten, die sich

jeweils unterschiedlichen Problemen gegen-

über sehen und unterschiedliche institutionelle

Kapazitäten aufweisen“ (GTZ, 2003b:33).

Städte enden nicht einfach an der administrativ

gezogenen Stadtgrenze, sondern setzen sich

weit ins Hinterland fort. Die Zersiedlung des

Umlandes, v.a. durch Zuordnung ländlicher

Gebiete in städtische Verwaltungseinheiten

und die damit einhergehende “Urbanisierung“,

beeinflusst die Entwicklung ländlicher Regio-

nen. Umgekehrt wirken ländliche Zusammen-

hänge auf Städte, wie sich beispielsweise an

urban-ruralen Wirtschaftskreisläufen sowie an

kulturellen und religiösen Darbietungen und

Verhaltensweisen zeigen lässt.

Im Rückgriff auf nationale Statistiken wird im

Folgenden dieses differenzierte Bild von Stadt

nicht aufrecht zu erhalten sein, vielmehr wird

positivistisch da von Städten gesprochen wer-

den, wo die jeweiligen Quellen von Städten

sprechen, und das ist meist dann der Fall,

wenn in Siedlungen mehr als 2000 Einwoh-

ner/innen leben. Die Uneinheitlichkeit dieser

Definition erschwert quantitative Vergleiche.

CELADE4 hat 1992 einen Überblick über die

Volkszählungen ausgewählter lateinamerikani-

scher Länder erstellt und die jeweiligen Frag-

stellungen, mit denen die indigene Bevölke-

rung differenziert erhoben werden sollte, un-

3

www.unhabitat.org/campaigns/tenure/articles/vision_strategic%20vision_1.asp; vgl. auch die Zusam-menstellung von Stadtdefinitionen unter www.ifs.tu-darmstadt.de/club/global/stadtbegriff.htm 4 Centro Latinoamericano y Caribeño de Demogra-fía, Teilinstitution von CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe).

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Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

172

tersucht (TORRES-RIVAS, o.J.:8). Die im An-

hang 1 angeführte Tabelle weitet die Analyse

aus.

Foto: Workshop indigener Organisationen in Lima, Peru (S. REINHARDT)

Das häufigste Kriterium ist Selbstidentifikation,

gefolgt von Sprache und Zugehörigkeit, zum

Teil in Kombinationen. Diese Kriterien werden

in manchen Ländern bis heute weiter genutzt,

so zum Beispiel in Mexiko und Peru. Dabei

kommt es aber zusätzlich auf eine sensible

Fragestellung an. Die direkte Frage: “Sind sie

Indianer?“ oder “Sprechen Sie eine der folgen-

den Dialekte/ Sprachen?“ führt mit Sicherheit

zu Unterschätzungen.

Eine genaue und vergleichende Analyse der

Fragen zur Erfassung indigener Bevölkerung

kann hier nicht vorgelegt werden. Wie wichtig

die spezifische Formulierung der Fragen nach

ethnischer Zugehörigkeit ist, stellt HESS-

KALCHER, 2004 überzeugend in ihrem Beitrag

zu Chile dar, der hier ausführlich zitiert werden

soll.5

5 Für Chile stellt auch SAAVEDRA PELAEZ (2002:18) ähnliche Überlegungen an. Die Fragen im Original lauteten: (1992) ”Si Ud es chileno, se considera perteneciente a una de las siguientes culturas:Mapuche, Aymara, Rapa Nui, ninguna?“; (2002)

“Laut der im Jahr 2002 durchgeführten Volks-

zählung beläuft sich der Anteil der indigenen

Bevölkerung in Chile auf 692 192 Personen,

also 4,6% der Gesamtbevölkerung. Diese Er-

gebnisse der Volkszählung von 2002 sind nicht

vergleichbar mit denen der vorangegangenen

Volkszählung aus dem Jahr 1992, nach der

10,3% der Gesamtbevölkerung zur indigenen

Bevölkerung zählte. Diese Differenz erklärt

sich aus der Art der unterschiedlichen Frage-

stellungen. Bei der Volkszählung von 1992

wurde gefragt: “Vorausgesetzt Sie sind Chi-

lene: Fühlen Sie sich zu einer der folgenden

Kulturen zugehörig?“ Als Alternativen wurden

Mapuche, Aymara und Rapa Nui (Osterinsel)

angegeben. Bei der Volkszählung von 2002

hingegen wurde gefragt: “Gehören Sie zu einer

der originären oder indigenen Bevölkerungs-

gruppen?“ Als Alternativen wurden die acht

gesetzlich definierten (Ley 19.253) indigenen

Ethnien aufgeführt (Alacalufe, Atacameño,

Aymara, Colla, Mapuche, Quechua, Rapa Nui

und Yámana). Es wurde also von einem Kon-

zept der Identifikation zu einem Konzept der

Zugehörigkeit übergangen, was sich in einer

deutlich niedrigeren statistischen Repräsen-

tanz der indigenen Völker niederschlug. (...) Im

Großraum Santiago konzentrieren sich 28%

der indigenen Bevölkerung des Landes, (...) im

Vergleich zu mehr als der Hälfte der Mapuche-

bevölkerung in Santiago de Chile (1992). Die

Mapuche im Großraum Santiago leben in den

11 ärmsten Stadtteilen mit einem indigenen

Bevölkerungsanteil zwischen 13% und 17%

(...)“.6

Möglicherweise ist ein weiterer Faktor, der die

indigene chilenische Bevölkerung zur vorsich-

tigeren Selbstidentifizierung motivierte, auch in

dem medial breit vermittelten Widerstand der

Mapuche, und damit verbundenen polizeilichen

Maßnahmen zu suchen.

Für die großen mexikanischen Städte konsta-

tiert DE LA PEÑA (2003:97) das größte Bevölke-

rungswachstum unter der dort lebenden indi-

genen Bevölkerung. Eine andere interessante

Herangehensweise stellt für Mexiko eine

”Pertenece Ud a alguno de los siguientes pueblosoriginarios o indígenas?“ (Hervorhebungen SSp) 6 vgl. hierzu auch INE/ Chile (2002:23).

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Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

173

haushaltsgestützte Untersuchung dar

(FERNÁNDEZ, GARCÍA & ÁVILA, 2002:171ff): Die

Mitglieder eines Haushalts, in dem zumindest

eine Person indigene Charakteristika hat, gel-

ten als indigen. Damit kommt die Schätzung zu

2,55 Mio. indigenen Haushalten mit 12,4 Mio.

Mitgliedern. Ausgenommen sind dabei die

Haushalte mit indigenen Hausangestellten.

In Paraguay (DIRECCIÓN GENERAL DE

ESTADÍSTICA, ENCUESTAS Y CENSOS, 2003a:35)

wird indigen definiert als: “Persona originaria

del país. Se dice de la persona que se declara

perteneciente a una etnia o pueblo originario y

se manifiesta miembro de una comunidad,

núcleo de familias o barrio indígena, indepen-

dientemente de que siga hablando o no la

lengua de origen.” Auf der Grundlage dieser

Definition und der entsprechenden Selbstiden-

tifikation gelangt das statistische Amt

(DIRECCIÓN GENERAL DE ESTADÍSTICA,

ENCUESTAS Y CENSOS, 2003b:563f) zu einem

Verhältnis 1:10 zwischen der indigenen Bevöl-

kerung in Stadt (7 407) und Land (79 692). Auf

Grund der offiziellen Zweisprachigkeit in Para-

guay (Guaraní und Spanisch) war es nötig

geworden, ein von der Sprachkompetenz un-

abhängiges Kriterium zu identifizieren.

Für Bolivien stellt VELASCO (2001:6)7 fest,

dass nur 15% der städtischen Bevölkerung

gegenüber 63% der ländlichen Bevölkerung

gemäß dem Kriterium Sprachbeherrschung

indigen ist. Sie schränkt dieses Ergebnis aber

gleichzeitig mit dem Verweis ein, dass das

Sprachenkriterium eine nicht definierbare Zahl

von Indigenen insbesondere in Städten aus-

schießt, da die Migration in urbane Kontexte

oftmals den Verlust der indigenen Sprache

nach sich zieht. Die Schätzung des Nationalen

Statistikinstituts beträgt 77,73% für die ländli-

che und 53,45% für die städtische Bevölke-

rung. Insgesamt spricht das INE/ Bolivien

(2003:27) von 50% indigenem Bevölkerungs-

anteil, der zu 45% in Städten lebt. Das Instituto

Interamericano Indigenista und ALBÓ & ANAYA

(2004:71) geben mehr als 60% an.

7 Auf der Grundlage einer Befragung des Instituto Nacional de Estadística (Encuesta Mecovi, 1999).

Für Peru lässt sich im Vergleich der Volks-

zählung von 1993 und der Encuesta Nacional

de Hogares von 2000 zeigen, dass die abso-

luten Zahlen erheblich ansteigen, sobald an-

statt der Muttersprache ein offeneres Kriterium

benutzt wird, in diesem Fall: “Por sus antepa-

sados y de acuerdo a sus costumbres, Usted

se considera (...)?“. Mit dieser Fragestellung

haben sich 38% der Gesamtbevölkerung und

31% der urbanen Bevölkerung als zugehörig

zu “origen aymara“, “origen quechua“ oder

“indígena de la Amazonía“ identifiziert, wäh-

rend die Volkszählung 1993 (Kriterium Spra-

che) nur 20% und 15% bezogen jeweils auf die

Gesamt- bzw. Stadtbevölkerung erbrachte

(GRADE, 2002:19-22). Diese Untersuchungen

sind für Peru auch insofern besonders rele-

vant, weil die peruanische Bevölkerung zu

mehr als 70% bereits in Städten lebt. Auf

welch unsicherem Boden man sich mit den

quantitativen Annäherungen bewegt, zeigt der

Verweis auf ALBÓ (zitiert nach BENGOA,

2000:56), der 1993 eine Gesamtzahl von

11 Mio. urbaner Indigener in Peru, doppelt so

viele wie in den ländlichen Gemeinden schätz-

te. Gemäß der 2002 von GRADE im Auftrag

der Weltbank vorgelegte Studie der Quechua

Bevölkerung (85% der peruanischen Indige-

nen) in Lima (15% indigene Bevölkerung) und

Cuzco (zwei Drittel indigene Bevölkerung)

leben 30% der indigenen Bevölkerung mittler-

weile in Städten, mehrheitlich in Lima. Aller-

dings sind die Zahlen vorsichtig zu inter-

pretieren, da sich die Studie auf der Grundlage

der Volkszählung von 1993 auf das aus-

schließliche Kriterium “indigene Sprache“ be-

zieht und damit von einer indigenen Gesamt-

bevölkerung von nur 3,5 Mio. ausgeht.

Aber diese Unsicherheiten haben Tradition:

BARRIG (2001:101) dokumentiert die Tendenz

zur “Entindigenisierung“ unter vergleichendem

Verweis auf die Volkszählungen seit 1908,

insbesondere für die Städte Lima und Cuzco

(Peru) sowie Quito (Ecuador). Dieser Prozess

erklärt sich über die Bedeutung der Selbst-

identifizierung. Diese reagiert besonders im

multiethnischen Umfeld von Städten auf Aus-

grenzung und Rassismus entweder über die

Negation des eigenen ethnischen Bezugs und

damit eine öffentlich sichtbare Assimilation an

Page 180: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

174

das Umfeld oder über indigene Selbstbehaup-

tung. Häufig reagiert das gesellschaftliche

Umfeld nicht erwartungskonform, d.h. viele

Indigene, die sich nicht mehr als Indigene be-

haupten, sondern als Mestizen darstellen,

werden weiterhin als Indigene wahrgenommen

und ausgegrenzt.

2. Wege in und aus den Städten

Migration

Die Gründe für die Migration Indigener sind

keine anderen als die, die auch nicht indigene

Bevölkerung zur Migration vom Land in die

Stadt bewegen. BELLO & RANGEL (2002:41)

fassen die “Push-Faktoren“ wie folgt zusam-

men: ”El deterioro de las economías campesi-

nas, la pérdida y disminución de las tierras

comunitarias, la carencia general de recursos

productivos, el crecimiento de la población, la

‚salarización’, la pobreza.“ Dem gegenüber

wird mit dem Leben in Städten die Möglichkeit

besserer Lebensbedingungen, insbesondere

Arbeit und Einkommen und für Kinder und Ju-

gendliche die Suche nach besseren (Aus-) Bil-

dungsmöglichkeiten verbunden. Vertreibung

als Folge von gewaltsamen Auseinanderset-

zungen (v.a. in Kolumbien, Guatemala und

Peru) und von eklatanten Umweltzerstörungen

(v.a. in der Amazonasregion) sind Sonderfälle.

Die Migrationsbewegungen haben sich seit

Mitte des vergangenen Jahrhunderts intensi-

viert.

Es gibt vielerlei Formen der Migration, die

Stadt und Land, neuen Lebensmittelpunkt und

Herkunft nachhaltig miteinander verknüpfen.

Dies nimmt BENGOA (2000:76-81) vor allem für

indigene Migrant/innen in Anspruch. Indigene

Migrant/innen entwickeln eine Zugehörigkeit zu

mehreren Wohnorten und damit auch mit ei-

nem städtisch-ländlichen Selbstverständnis.

Dabei entstehen neue Wirtschaftszweige in der

Verbindung von informeller Wirtschaft und

Handel in Städten mit erweiterter Subsistenz-

landwirtschaft der Herkunftsgemeinden. An

Stelle einer eindeutigen Verortung entwickelt

sich ein Kontinuum zwischen Stadt und Land,

das unterschiedlich ausgestaltet sein kann:

Migration findet statt in Pendlermodellen mit

Rückkehr in bestimmten Rhythmen, als Projekt

für einen Lebensabschnitt, zum Beispiel der

Ausbildung, als vorübergehende Überlebens-

strategie oder als endgültige Abwanderung.

Die Option der Rückkehr ist dabei v.a. von

sozialer und psychischer Bedeutung und wird

weitgehend aufrechterhalten.

Migration verläuft meist in Etappen aus der

ländlichen Gemeinde über ländliche Unterzent-

ren in die (Haupt-)städte der Provinzen oder

Departamente und ggf. anschließend in die

Megastädte des Landes, oder in ausländische

Städte (v.a. USA). Für Lima zeigt die Studie

von GRADE (2002:18) diese Etappen der

Migrationsverläufe, da die Mehrheit der Que-

chuabevölkerung in Lima nicht direkt aus den

Dörfern sondern aus kleineren Städten des

Hochlandes nach Lima kam. Im Falle von Ver-

triebenen8 ist die Orientierung abhängig von

der Sicherheitslage und von spezifischen Auf-

nahmeprogrammen.

Am Beispiel von drei Städten kann die spezifi-

sche und sehr unterschiedliche Verarbeitung

der Migration Indigener in Lateinamerika kurz

dargestellt werden:

El Alto (Bolivien), ursprünglich die Vorstadt-

region von La Paz auf dem Altiplano, 1987 zur

eigenen Stadt erklärt, ist in spezifischer Weise

eine “Aymarastadt“, da sie vor allem die Migra-

tionsströme aus dem Altiplano, d.h. dem rura-

len Siedlungsgebiet der Aymara aufnimmt. El

Alto ist in seinem Stadtbild geprägt von Ayma-

ras, die selbstbewusst ihre Kultur (z.B. Klei-

dung und Sprache) ausdrücken, und in dieser

Form und Größe sicher einmalig (vgl.

STRÖBELE-GREGOR, 1990).

Santiago de Chile ist eine auf den ersten Blick

ganz “un-indigene“ Stadt, in der jedoch – nach

der Volkszählung von 1992 – die Mehrheit der

Indigenen des Landes lebt. Auch als Spiegel

des nationalen Umgangs mit dem “indigenen

Thema“ wurde hier immer die Anpassung aller

an eine europäisch orientierte Metropole ge-

fordert, was häufig ethnischem Rassismus

gleich kam. In Vergessenheit geraten ist die

8 GRADE (2002:31) weist beispielsweise nach, dass 70% der Vertriebenen in Peru Indigene sind. Auch in Kolumbien stellt die indigene Bevölkerung einen überproportional großen Anteil an den Vertriebenen.

Page 181: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

175

vorkoloniale Mapuchevergangenheit des aktu-

ellen Santiago de Chile. Nur der Süden des

Landes, wo die Mapuchebevölkerung bis 1883

erfolgreich gegen die Kolonialisierung Wider-

stand leistete, gilt gemeinhin als “traditionelles

Mapucheterritorium“. Nachdem die Mapuche

Migrant/innen aus dem Süden sich zunächst

jahrzehntelang in Santiago anzupassen ver-

suchten, dennoch aber von der nicht indigenen

Mehrheit der Stadt ausgegrenzt und diskrimi-

niert wurden, sind in jüngster Zeit interessante

sozio-organisative Entwicklungen zu beo-

bachten. Vor allem jugendliche indigene Stu-

dierende, Migrant/innen der zweiten oder drit-

ten Generation, befassen sich explizit mit der

neuen Realität “urbaner Mapuche“ und entwi-

ckeln eine neue urbane indigene Identität.

Auch ohne quantitative Untersuchungen dazu,

ist zu vermuten, dass diese Dynamik eine Min-

derheit betrifft. Dagegen scheint sich die eher

“angepasste Mehrheit“ der Mapuche in Santi-

ago in der Volkszählung 2002 gegen eine indi-

gene Zuordnung ausgesprochen zu haben.

Das Indigenengesetz von 1993 definiert seinen

Geltungsbereich explizit auch für den städti-

schen Raum. Die im Gesetz vorgesehenen

administrativen Strukturen wie das Büro für

indigene Angelegenheiten finden sich ebenfalls

in Santiago mit einem an den städtischen

Raum angepassten Angebot an Maßnahmen,

wie beispielsweise der Förderung von indige-

nen Verbänden und Kleinunternehmer/innen

(vgl. INSTITUTO DE ESTUDIOS INDÍGENAS,

2003:381ff).

Lima (Peru) ist die lateinamerikanische Metro-

pole, die am schnellsten von Migration aus

dem ländlichen Andenraum “überrollt“ wurde

und sich “ruralisierte“, teilweise auch “indigeni-

sierte“. Die massiven Migrationen und die Stra-

tegien der Landnahmen führten zur Ent-

wicklung eines neuen kollektiven Bewusstseins

als “Städter“ und entsprechenden politischen

Organisationsformen, die weniger an der Her-

kunft als an der aktuellen Situation in der Stadt

und den damit verbundenen Forderungen und

Erwartungen anknüpfen. Die Migrant/innen

legen ihre indigene Identität ab, werden jedoch

von den nicht indigenen Städtern weiterhin

diskriminiert. Diese Veränderungsprozesse

lassen sich in Lima sowohl in den Siedlungs-

modellen der Migrant/innen in den Armutsgür-

teln der Stadt als auch in ihrer Selbstdarstel-

lung beobachten. Die Mehrheit der

Migrant/innen findet nur im informellen Sektor

eine meist prekäre Beschäftigung. Dies gilt

auch für indigene Migrant/innen. In Lima ist der

informelle Sektor besonders stark differenziert.

Mittlerweile haben sich – wie auch in La Paz,

El Alto und Santiago de Chile – indigene Mit-

telschichten aus der informellen Wirtschaft

entwickelt und z.T. organisiert.

Foto: Kinder in Guatemala (A. BEGEMANN)

Urbanisierung

Eine andere und unfreiwilligere Weise zum

Städter zu werden ist die Dynamik, mit der sich

Städte zunehmend in ihr ländliches Umland

ausdehnen und dieses administrativ oder inf-

rastrukturell eingemeinden. Indigene Gruppen,

die eigentlich in der Nähe von Städten ländlich

siedeln, finden sich dann unfreiwillig innerhalb

der urbanen Parameter wieder. SCHRÖDER9

stellt dies für einige Orte in Brasilien fest, zum

Beispiel für das Volk der Fulni-ô im Sertão

Pernambucos, die ihr Dorf nicht verlassen ha-

ben, sich aber aktuell bereits in einem Stadtteil

von Aguas Belas wiederfinden.

Wege zurück aus der Stadt

Auch unter indigenen Migrant/innen haben sich

vielfältige Weisen, Stadt und Land zu ver-

knüpfen, entwickelt. Diese Dynamik ist abhän-

gig von den Entfernungen, dem Wegenetz und

der Verkehrsanbindung und lässt sich für die

indigenen ruralen Siedlungen im Umfeld von

9 Persönliche Kommunikation

Page 182: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

176

Städten, beispielsweise für La Paz, El Alto,

Quito, Cuzco und viele andere nachweisen.

Auch die Rückkehr in die Gemeinden zu kultu-

rell relevanten Festen mit den entsprechenden

ökonomischen Verpflichtungen ist ein wichtiger

Faktor in der kulturellen Reproduktion der

Migrant/innen, aber auch im sich wandelnden

Konsumverhalten ländlicher Bevölkerungen.

Teil von Rückkehr und Beziehungspflege zwi-

schen Herkunftsgemeinde und neuem urbanen

Umfeld sind wirtschaftliche Interessen und

Überlebensstrategien, beispielsweise in der

Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte der

Herkunftsgemeinden in den Städten. Darin

sehen einige Ethnologen eine aktuelle Variante

der Strategie der Risikominimierung, die Hoch-

landindigene in der andinen Landwirtschaft mit

der Verteilung ihrer Produktion auf verschiede-

ne Höhenstufen praktizierten (z.B. Altiplano –

Yungas in Bolivien). Auch PSACHADOPOULOS &

PATRINOS (1994:217) verweisen in ihrer Studie

für die Weltbank für die urbanen Indigenen

Boliviens auf alte Muster wirtschaftlicher Rati-

onalität. Die Herkunftsgemeinden sind abhän-

gig von den Zuwendungen ihrer Migrant/innen

und werden ebenso wie ländliche Gemeinden

nicht indigener Bevölkerung durch diese Dy-

namik an die Wirtschaftsentwicklung urbaner

Zentren, insbesondere ländlicher Unterzentren

angeschlossen. Umgekehrt tragen sie durch

die landwirtschaftliche Produktion zum Überle-

ben der Städter bei. Mitglieder der Herkunfts-

gemeinde oder Verwandte in der Stadt sind

darüber hinaus die erste Anlaufstelle für neue

Migrant/innen.

Trotz dieser verschiedenen Formen des Aus-

tausches pflegen zahlreiche Migrant/innen

keinen Kontakt mehr zu ihrer Herkunftsge-

meinde, bzw. reduzieren diesen auf die Unter-

stützung neu Ankommender in der Stadt. Dies

ist umso mehr der Fall, wenn sich ihre Erwar-

tungen an den Erfolg der Migration nicht erfül-

len, bzw. wenn sie sich von der indigenen Her-

kunft “losgesagt“ haben.

Das Bild des Landes aus Sicht der Städte

Wenig verlässliche Auskunft gibt es über die

Verschiebung von Deutungen der ländlichen

Herkunftsregion aus der städtischen Perspek-

tive der Migrant/innen. Abhängig sind diese

Bilder immer von der konkreten Situation aus

der heraus sie entwickelt werden, beispiels-

weise vom Erfolg der eigenen Migration. Ge-

meinsam mit nicht indigenen Migrant/innen

haben auch indigene die Tendenz der “rosa-

roten Brille“ für den Blick zurück und den

Traum von der idealisierten Heimkehr, wohin

sie zwar zu Besuch gehen, aber sehr wahr-

scheinlich nicht mehr zurücksiedeln. Die Fik-

tion der Rückkehr in diese “bessere, reinere

Welt“ wird aufrecht erhalten, auch als Gegen-

gewicht gegenüber der Härte der Ausgrenzung

in einer urbanen nicht indigenen Gesellschaft,

selbst dann, wenn die Besuche in der Her-

kunftsgemeinde bereits unregelmäßig gewor-

den sind. Diese Dynamik wurde in der Migrati-

onssoziologie eingehend untersucht; indigene

Migrant/innen stellen keinen Sonderfall dar.10

Wenn die Rückkehr nicht oder selten möglich

ist und das Umfeld sich erheblich von der Her-

kunftssituation unterscheidet, wie beispiels-

weise für die Indigenen des Hochlandes in

Lima, ist die Vorstellung der Herkunftsgemein-

den ein Agglutinationspunkt für lokale Organi-

sationen und spiegelt sich zusammen mit Ver-

wandtschaft in der Siedlungsweise in den Vor-

städten der Metropolen. Der Bezug auf die

Herkunft verbindet die Migrant/innen unterein-

ander (vgl. für Peru GRADE, 2002:48f.).

MÉNDEZ DOMÍNGUEZ (1994:351f.) weist das

anhand der vorherrschenden indigenen Spra-

chen in einzelnen Stadtteilen von Guatemala

Stadt nach. Diese Dynamik reagiert teilweise

auf ethnische Segregation in den Städten im

Sinne der Selbstorganisation und Selbstbe-

hauptung “in der Fremde".

Dagegen ist es in Städten im indigenen Um-

land wie Cuzco noch möglich, die Beziehun-

gen zu den Herkunftsgemeinden konkret und

real aufrecht zu erhalten durch häufigere Rei-

sen, Teilnahme an Festen, etc., und damit die

Reproduktion kultureller Strukturen aus dem

Herkunftsumfeld wieder zu aktualisieren. Auf

Grund des realen Austausches mit den Her-

10 Vgl. die Diskussionsbeiträge zur ADLAF (Arbeits-gemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung) Jahrestagung 2003 zum Thema Migration in Frei-burg (im Druck) und GABBERT ET AL., 1999.

Page 183: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

177

kunftsgemeinden ist die symbolische Bedeu-

tung der Herkunftsgemeinde als Strukturprinzip

von Organisationen und Ansiedlung weniger

relevant.

3. Neue Identitäten – Urbane Indigene oder Mestizen

Die Diskussion der schwierigen quantitativen

Bestimmung Indigener in urbanen Zentren

erbrachte schon Verweise auf Prozesse der

Anpassung und Mestizisierung, die in unter-

schiedlichem Maße wahrscheinlich die Mehr-

heit der Migrationsverläufe kennzeichnen, aber

für weitere Veränderungen offen bleiben. Die

eigene Identifizierung und “performance“ (die

öffentlich sichtbare Form dieser Identifizierung)

sind Reaktionen auf die Umfeldsituation, die

meist bestimmt ist von Armut und Ausgren-

zung. Weitere wesentliche Faktoren für die

eigene Positionierung, die in dieser Form erst

gefordert ist, wenn die Indigenen ihre dörfli-

chen Strukturen verlassen bzw. mit dem nicht

indigenen Umfeld konfrontiert sind, sind die

Zugehörigkeit zu einer lokal vertretenen Min-

derheit oder Mehrheit, die gesellschaftliche

Stellung Indigener im Allgemeinen, sowie die

relevanten gesellschaftlichen Strömungen.

Diese Reaktionen können grundsätzlich als

Anpassung an das Umfeld oder als gegenläu-

fige Selbstbehauptung erfolgen. Sie wirken

sich unterschiedlich für Frauen, für Jugendli-

che und für Organisationen und ihre Leitungs-

kader aus.

Wirtschaftliche Optionen, Unterschich-tung und Marginalisierung

Arbeitsplätze sind vor allem in Städten, die viel

Migration anziehen und aufnehmen, eine Sel-

tenheit. Wirtschaftlich findet sich die Mehrheit

indigener Migrant/innen im informellen Sektor,

wie ausgeführt z.T. unter Nutzung von Poten-

zialen aus den Herkunftsgemeinden wider. Ihr

geringer Bildungsstand ist einer der Gründe für

die ökonomische Ausgrenzung. Spezifische

familiäre und soziale Strukturen der Zusam-

menarbeit, wie beispielsweise Familienmikro-

unternehmen haben sich dabei herausgebildet.

Migrant/innen, die bereits länger in Städten

leben, haben spezifische indigene Mittel-

schichten gebildet, beispielsweise erfolgreiche

Aymara Händlerinnen in El Alto und La Paz

(Bolivien; vgl. STRÖBELE-GREGOR, 1990). Inte-

ressant ist auch das Phänomen professioneller

Mapuche-Vereinigungen in Santiago de Chile,

in denen sich Migrant/innen der Mittelschicht

nach einer Phase der Anpassung nun im Sinne

der Re-Ethnisierung öffentlich als Indigene

organisieren. Diese gelungenen Migrations-

verläufe stellen unter der indigenen Bevölke-

rung noch immer eine Minderheit dar, sind

aber Teil der Motivation für vor allem junge

Indigene.

Der Anteil indigener Armer in Städten ist vor

allem in den Städten der Andenländer höher

als der nicht-indigenen Bevölkerung. Für Lima-

und die Quechua-Migranten in der Stadt lässt

sich das Phänomen der Unterschichtung quan-

titativ nachweisen (GRADE, 2002:7): dreimal

so viele Indigene als nicht Indigene leben in

extremer Armut. Sowohl quantitative Analysen

als auch Einzel- und Gruppeninterviews bele-

gen repräsentativ für Lima und Cuzco den

größeren Grad an Exklusion, dem die indigene

Bevölkerungsgruppe unterliegt, eine verschärf-

te Armut, und einen geringeren Zugang zu

staatlichen Dienstleistungen, allen voran Ge-

sundheit und Bildung (vgl. GRADE, 2002:33ff).

Bestätigt wird die größere indigene Armut auch

durch die qualitativen Studien der Weltbank

“Voces de los Pobres“ (DFID/ WELTBANK,

2003) in Peru an Hand von Untersuchungen

aus Juliaca auf dem Altiplano. Die befragten

Indigenen beider Untersuchungen stellten je-

doch keinen expliziten Bezug zwischen Armut

und Ethnizität her, sondern verwiesen auf Pro-

xyindikatoren wie Sprache, Aussehen, traditio-

nelle Kleidung oder die Wohngegend, die eine

sozio-ökonomische Zuordnung erlauben. Ähn-

liche Verhältnisse lassen sich für andere Städ-

te in anderen lateinamerikanischen Ländern

vermuten.

GRADE kommt zu dem Schluss, dass die

schlechtere Position indigener Migranten in

Lima gegenüber nicht indigenen hinsichtlich

Arbeitsplätzen, Einkommen, Armut in einem

Mangel an in der Stadt relevantem Sozialka-

pital begründet ist. Quechua-Migranten in Lima

knüpfen an die Verwandtschaftsstrukturen aus

den Herkunftsregionen, d.h. wieder bei Que-

Page 184: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

178

chua, an und nehmen an den Angeboten des

Staates zur Minderung der Auswirkungen ex-

tremer Armut (Suppenküchen etc.) teil. Beides

ist nicht geeignet, die Platzierung im Arbeits-

markt oder für einkommensschaffende Selbst-

ständigkeit zu verbessern. Erschwerend

kommt dabei noch ihre signifikant geringere

Bildung hinzu, auch weil Bildungseinrichtun-

gen, v.a. Sekundarstufe II und Universität häu-

fig der Ursprung professionell relevanter Netz-

werke sind.

Bereits 1994 analysierten WOOD & PATRINOS

das urbane Bolivien und stellten auf der

Grundlage der zensalen Daten von 1989 einen

direkten Bezug zwischen Ethnizität und Armut

her. Teilursachen für eine sehr eingeschränkte

Teilhabe an gesellschaftlichen und wirtschaftli-

chen Möglichkeiten wurden in unzureichenden

Spanischkenntnissen und Bildung identifiziert,

insbesondere für indigene Frauen. Daneben

wird festgestellt (1994:94): “Even after control-

ling for schooling attainment, indigenous indi-

viduals have a 16 percentage point greater

probability of being poor than non-indigenous

individuals.“

Die Ausgrenzung Indigener ist seitens der

nicht indigenen Gesellschaft, der Mehrheitsge-

sellschaft in den meisten Städten, ethnisch

motiviert und begründet. Indigene ihrerseits

wollen diese Bezüge nicht öffentlich machen,

wenn sie sich selbst bereits im Prozess der

“Entindigenisierung“ befinden und um Aner-

kennung als “Gleiche“ bemüht sind. Sprache,

Kleidung, etc. lassen sich ändern, damit aber

nicht immer die erhoffte Teilhabe erwirken.

Entindigenisierung und Mestizisierung

Hinsichtlich der unterschiedlichen Anpas-

sungsleistungen indigener Migrant/innen un-

terscheiden sich bestimmte Städte ganz grund-

legend: in El Alto, La Paz (Bolivien), auch

Quetzaltenango (Guatemala), Otavalo und

teilweise auch Quito (Ecuador), das heißt in

Städten im Umland indigener Siedlungen und

Traditionen, bewahren indigene Migrant/innen

auch äußerlich sichtbare Anzeichen ihrer Posi-

tionierung als Indigene. In Städten wie Lima

(Peru), Santa Cruz (Bolivien), Guayaquil (Ecu-

ador) und den meisten mittelamerikanischen

Hauptstädten mit Ausnahme von Guatemala

Stadt wird diese Positionierung unsichtbarer,

die Anpassung scheinbar intensiver. Diese

Differenzierungen lassen sich auch für unter-

schiedliche Stadtteile in diesen und anderen

lateinamerikanischen Städten beobachten. Im

Folgenden werden nur einige untersuchte Bei-

spiele kurz skizziert:

Quechua in Lima (Peru) – und hierin ist die

Studie nicht auf die Nachbarländer übertragbar

– identifizieren sich weder als Quechua, noch

als Indigene, sondern bevorzugen für sich den

relativ neuen Sprachgebrauch provinciano,

erkennen sich jedoch auch wieder in dem ei-

gentlich pejorativ verwandten cholo (GRADE,

2002:73-79). Damit wird eine deutliche Orien-

tierung hin zu regionalen statt ethnischen Be-

zügen zum Ausdruck gebracht. Der Begriff des

cholo ist, v.a. unter den peruanischen Indige-

nen, insbesondere in Lima gebräuchlich, fasst

diese Komplexität von (unvollständiger) An-

passung, verweigerter Anerkennung und

Rückgriff auf die eigene Herkunft zusammen

(BENGOA, 2000:55f): “Acholarse tiene dos sen-

tidos, uno transformarse en “misti“, en blanco.

Cambiarse la vestimenta y tratar de hablar en

español. Como los blancos se dan cuenta de

que la transformación ha sido parcial, se les

denomina “cholos“. Término racial y despec-

tivo. Pero “acholarse“ también tiene el sentido

de ”timidez“, de retraimiento, de incapacidad

de expresarse en forma decidida.“

Mit dieser Selbstidentifizierung kann die Que-

chua Migrantenbevölkerung in Lima als Bei-

spiel für Anpassungsbestrebungen angeführt

werden. Bestätigt wird dies im Vergleich mit

der Selbstidentifizierung in Cuzco. GRADE

(2002:67) stellt mit Blick auf den Urbanisie-

rungsprozess Perus seit den 1950er Jahren

einen Identitätswandel vom “indígena“ zum

“poblador urbano“ fest, bei dem sich in den

Armutsgürteln der Hauptstadt ein neues

Selbstverständnis im Sinne der “cholificación“

als Vorstufe zu einer offeneren nationalen I-

dentität bereits seit den 1980er Jahren entwi-

ckelt hat. Gegenüber GRADE stellen die Que-

chua in Lima und Cuzco ihre Wahrnehmung

von Diskrimination und Ausschluss dar und

begründen sie im wesentlichen mit Sprache,

Page 185: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

179

Herkunft, Aussehen und sozio-ökonomischer

Schichtzugehörigkeit. Drei der vier Kriterien

weisen einen deutlichen Bezug zu ethnischen

Faktoren auf, der aber in der Interviewsituation

verschwiegen wird. Die Konsequenzen aus

dieser Wahrnehmung sind entweder eine ver-

stärkte Anpassung oder eine bewusste Identi-

fizierung mit den Kriterien, die den Ausschluss

markieren und positiv für die Selbstbehauptung

und -wahrnehmung umgedeutet werden kön-

nen.

Dieser Prozess zeigt umgekehrt auch eine

spezifische Beeinflussung der sich entwickeln-

den urbanen Kulturen in den Armenvierteln,

die im Falle von Lima mit cholo bzw. andin

charakterisiert werden. Damit wird der indige-

nen Bevölkerung – möglicherweise gegen ihre

eigene Verortung – ein kultureller Beitrag zu-

gewiesen. Eines der kulturellen Elemente, die

besonders stark unter Anpassungsdruck ste-

hen, ist die indigene Sprache, die sich im all-

gemeinen in den Städten auch auf Grund des

Schulsystems schneller verliert als in den länd-

lichen Kommunen, womit das Kriterium

Sprachkompetenz in Volkszählungen kritisch

hinterfragt werden muss.

PATRINOS (1994:18) stellte für Guatemala die

Bedeutung der Migration und des intensiveren

“Kulturkontaktes” für Veränderungsprozesse

unter der Mayabevölkerung fest: “(...) identifi-

cation becomes a matter of social class rather

than indigenous origins. The factors identified

in the study that relate to change are: family

structure, work/ economics, government poli-

cies, telecommunications and travel, education

and religion.” Diese Faktoren spielen im urba-

nen Kontext eine gewichtigere Rolle als auf

dem Land. Aus ihnen wird in Abhängigkeit vom

Erfolg oder Misserfolg der Migration gewählt

und damit die neue Selbstverortung erklärt:

Mestize, poblador/a urbano/a provinciano/a

oder auf der anderen Seite Indigene/r.

In Bolivien dagegen haben sich gemäß ALBÓ,

1995 in den Städten des Hochlandes indigene

urbane Kulturen neu entwickelt, die sich vor

allem in La Paz und El Alto beobachten lassen.

Indigene Selbstbehauptung ist hier verbunden

mit einer erfolgreichen Anpassung an urbane

Strukturen und ihre wirtschaftlichen Möglich-

keiten, vor allem im Handel. Die Kulturen der

Aymara und Quechua in den Städten sind

nicht die Konservierung der Kulturen ihres

Herkunftsumfeldes, sondern vielmehr das Pro-

dukt einer Weiterentwicklung, d.h. neue urbane

indigene Kulturen, die die Städte prägen und

zurückwirken auf die ländlichen Herkunftsregi-

onen.

Ethnisierung und Politisierung

Eine Gegenbewegung zur anhaltenden Dis-

kriminierung und Ausgrenzung als Indigene

sind Prozesse der Re-Ethnisierung, wie sie

interessanterweise insbesondere in der zwei-

ten und dritten Generation von Migrant/innen

zu beobachten sind.

In Chile, vor allem im Großraum Santiago und

angesichts der insgesamt wesentlich geringe-

ren politischen und rechtlichen Anerkennung

indigener Völker, lässt sich ein doppelter Pro-

zess beobachten: Wie ausgeführt, lebt ein

Großteil der Mapuche, der größten indigenen

Bevölkerungsgruppe des Landes, bereits in

Städten und bewegt sich dort “unauffällig“, d.h.

positioniert sich nicht als indigen, sondern ist

um Anpassung an “chilenische Standards“

bemüht. Erst in jüngster Zeit haben sich in

Santiago ethnische Bewegungen insbesondere

unter den Mapuche etabliert, in denen sich

Migranten/innen als Mapuche “wiederentde-

cken“ und sich zu ethnisch strukturierten Or-

ganisationen zusammen finden. Diese Organi-

sationen haben ein kulturelles, wirtschaftliches

oder zur Selbsthilfe orientiertes Selbstver-

ständnis. Eine von mehreren tausend ethnisch

orientierten Organisationen in Santiago ist

Kaxawaiñ, die auf ihrer Website11 stellvertre-

tend für andere formulieren: “(...) nos reunimos

buscando y luchando por la recuperación de

nuestras tradiciones, sistematización de nues-

tros diálogos y reflexiones, nuestros ritos y

memorias, teniendo la esperanza que la teoría

y práctica abrirán un sendero para el respeto

de la sabiduría del sistema cultural mapuche,

(...)“ In diesem Prozess intensivierten sie auch

die Beziehungen zu ihren Herkunftsregionen

im Süden des Landes.

11 Vgl. beispielsweise eine Sammelseite http://mapuches-urbanos.tripod.com/

Page 186: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

180

Das unabhängige Centro de Documentación y

Estudios Mapuche in Temuco ist ein weiteres

Beispiel für diese Re-Ethnisierungsprozesse,

in diesem Fall gekoppelt mit der Rückkehr in

das historische Mapucheterritorium: Ihre Grün-

der kehrten aus Santiago de Chile zurück,

nach eigenen Angaben nach einer persönli-

chen Identifizierung als Mapuche und bauten

dieses Zentrum mit einer Gruppe Gleichge-

sinnter auf. Andere aus Santiago nach Temuco

zurückkehrende Mapuche verfolgen eine an-

dere Strategie und arbeiten in den staatlichen

Strukturen indigener Vertretung (CONADI,

Corporación Nacional de Desarollo Indígena

bzw. Nationale Gesellschaft für indigene Ent-

wicklung). Dies ist gleichzeitig ein Beispiel für

die Gestaltung von Rückkehr, nicht eine Rück-

kehr auf das Land, sondern eine (Teil-) Rück-

kehr in Provinzstädte.

Ein weiteres Beispiel für eine Re-Ethnisierung

nach gelungener Anpassung an urbane Kon-

texte und eher von nationalen Parametern

bestimmte Kulturen sind die politischen Orga-

nisationen in El Alto (Bolivien), die sich aller-

dings im Unterschied zu Santiago de Chile in

einem mehrheitlich indigenen Umfeld etablier-

ten. Insbesondere die 1994 durch den “Com-

padre Palenque“ gegründete Partei CONDEPA

(Conciencia de Patria) griff auf die Symbole

der Aymarakultur zurück und positionierte sich

als Partei der städtischen Aymara. Sie ist somit

in besonderer Weise ein Produkt der Ausei-

nandersetzung der Aymarabevölkerung mit

ihrem nationalen Umfeld unter den spezifi-

schen Bedingungen des städtischen Lebens.

Auf Grund der geografisch begünstigten und

intensiven Austauschbeziehungen zwischen

der Aymarabevölkerung in El Alto und den

Dörfern des umliegenden Altiplano übernahm

die Partei auch die Vertretung der ländlichen

Aymara. CONDEPA konnte aus dem Stand ein

erhebliches Wählerpotenzial speziell unter der

Aymarabevölkerung mobilisieren und war unter

Präsident Banzer einige Jahre an der Regie-

rung beteiligt, ist jedoch mittlerweile politisch

bedeutungslos.12

12 STRÖBELE-GREGOR hat dazu zahlreiche Veröffent-lichungen vorgelegt, auf die sie im Einleitungskapitel verweist.

Die indigenen Händler und Händlerinnen aus

Otavalo (Ecuador) sind dagegen ein interes-

santes Beispiel, wie die öffentlich sichtbare

Positionierung über die Kleider- und Haar-

tracht, d.h. die eigene Folklorisierung, ökono-

misch erfolgreich eingesetzt wird. Sie hat nati-

onal und international zum Erfolg des ecuado-

rianischen Kunsthandwerkshandels beigetra-

gen und unterstützt den Wiedererkennungs-

wert der entsprechenden Waren, die jedoch

meist nicht aus der Kultur und Produktion der

Händler/innen, sondern von Indigenen aus

dem ganzen Land stammen, die möglicher-

weise wesentlich unsichtbarer und in jedem

Fall im Handel weniger erfolgreich sind. Sicht-

bar indigene Händler/innen aus Otavalo bewe-

gen sich dagegen auch außerhalb ihrer Klein-

stadt erfolgreich bis in die Fußgängerzonen

westeuropäischer Städte.

Auch wo Phänomene der (Re-) Ethnisierung

nicht deutlich beobachtbar oder noch nicht

untersucht sind, wird ein gewisses Substrat an

“kulturellen Werten“ aufrecht erhalten, das sich

auf die Strukturen in der Herkunftsgesellschaft

bezieht. Besonders hervorgehoben werden

dabei Verwandtschaft und damit begründete

Sozialbeziehungen, Feste, insbesondere reli-

giöser Natur, und einige konkrete Manifestati-

onen wie Küche und Musik. Dass diese kultu-

rellen Werte und – in Abhängigkeit von den

Mehrheitsverhältnissen – auch die indigene

Sprache eine wichtige Rolle spielen können,

zeigt ALBÓ, 1995 in seiner Mikroanalyse der

Stadtteile bolivianischer Städte.

Die indigene Kultur in den Städten unterschei-

det sich von den Kulturen in den Herkunftsge-

meinden und ist das sich ständig weiter wan-

delnde Produkt eines kontinuierlichen Prozes-

ses der Re-Interpretationen bekannter und

mitgebrachter Traditionen in Auseinanderset-

zung mit dem neuen Umfeld. Aktuell scheinen

die Wiederbelebungen “alter Traditionen“ stär-

ker dokumentiert zu werden, so stellt BENGOA

(2000:58) ein Anwachsen von prehispanischen

religiösen Phänomenen in lateinamerikani-

schen Städten fest. RÖSING (1987) untersuchte

in den 1980er Jahren Manifestationen von

Ethnomedizin in La Paz (Bolivien) und die Rol-

le traditioneller Callawaya-Heiler. Sie stellte ein

Page 187: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

181

wachsendes Interesse an diesen rituellen

Dienstleistungen, aber auch eine Gefährdung

ihrer Komplexität im urbanen Raum fest und

reflektierte ihre kulturelle und soziale Funktio-

nalität. Ethnische oder ethnisch-professionelle

Organisationsgründungen sind ein weiterer

Ausdruck dieses kulturellen “Wiedererwa-

chens“ und veränderter Wahrnehmung.

Diese Prozesse der (Re-) Ethnisierung sind

ebenso wenig abgeschlossen wie die kulturelle

Weiterbearbeitung und Weiterentwicklung in

den ländlichen Herkunftsgemeinden. Sie ver-

laufen allerdings in den Städten in einem urban

angepassten Tempo. Sie setzen sich, unter-

stützt durch die breiter zugänglichen elektroni-

schen Medien, zunehmend mit den Tendenzen

der Globalisierung auseinander. Für die Ent-

wicklungszusammenarbeit werden indigene

Städter ebenfalls zunehmend relevant, da die

Vertreter/innen indigener Völker und damit

Gesprächspartner von EZ Institutionen ihre

Büros in den lateinamerikanischen Haupt-

städten unterhalten.

Foto: Näherin in Panama (K. LECKEBUSCH)

Neue Rolle für indigene Frauen

“On the whole, women migrate more than men,

and non-indigenous people more than indige-

nous people. Migrants are more likely to be

young, female and non-indigenous” (PATRINOS,

1994:18). Diese allgemeine Aussage ist noch

immer gültig. Indigene Frauen migrieren je-

doch weniger als indigene Männer in die Städ-

te der Provinzen oder die Metropolen. Eine

Ausnahme stellen die gewaltsamen Ver-

treibungen dar, in denen Frauen und Kinder

auch unter Indigenen die Mehrheit bilden.

BARRIG (2001:102-115) reflektiert diese Fakten

mit dem Geschlechterverhältnis andiner indi-

gener Gesellschaften und sieht in der Begren-

zung von Frauen auf die dörfliche Gemein-

schaft und die eigene traditionelle Kultur (bei-

spielsweise die Nutzung von Trachten) einen

Hinweis auf das Geschlechterungleichgewicht

und eine deutliche Einschränkung von Frauen.

Diese Ungleichheit zwischen den Geschlech-

tern wird häufig mit der Komplementarität an-

Page 188: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

182

diner Kulturen erklärt und legitimiert. Damit

übernehmen indigene Frauen jedoch gleich-

zeitig eine funktionale Rolle für die Möglichkeit

des Rückbezugs, als Bild des Eigenen, des

Reinen, “der Kultur“.

Auch im urbanen Kontext geben sich mit weni-

gen Ausnahmen die Frauen durch die Tracht

öffentlich als Indigene zu erkennen: “Las muje-

res son más indias“ (DE LA CADENA in BARRIG,

2001:108). Indigene Migrantinnen werden häu-

fig in ihrem besonderen Beitrag zum Erhalt der

Kultur auch unter den erschwerten Bedin-

gungen der Stadt gewürdigt.

Einen anderen Aspekt beleuchtet PÉREZ SAINZ

(1994:338): In einem Vergleich indigener und

nicht indigener Frauen in Guatemala Stadt

konstatiert er die intensivere Beteiligung indi-

gener Frauen im Vergleich zu nicht indigenen

an Erwerbsarbeit bei gleichzeitig schlechteren

Arbeitsbedingungen und geringerem Einkom-

men. Es gibt in diesem Zusammenhang auch

Anzeichen, dass sich indigene Frauen über

Migration eine intrakulturelle und intrafamiliäre

Unabhängigkeit erwirken, vor allem in indige-

nen Kulturen mit einem stark patriarchalen

Charakter. Die spezifische Problematik der

Hausangestellten in noch häufig sklavenähnli-

chen Arbeitsverhältnissen, in denen vor allem

junge Mädchen aus ländlichen Regionen, und

damit auch junge indigene Mädchen und Frau-

en ausgebeutet werden, kann hier nicht im

Einzelnen beleuchtet werden.

Migration bringt sowohl für die Frauen in den

Herkunftsgemeinden als auch für die migrier-

ten Frauen in den Städten Veränderungen mit

sich, da sie in beiden Kontexten neue Aufga-

ben übernehmen und dabei neue Rollenmuster

entwickeln. In diesem Prozess ändert sich

sowohl ihr Selbstbild als auch das Bild der

indigenen Frau allmählich in Richtung auf eine

größere und öffentlich sichtbare Gleichberech-

tigung.

Indigene Jugendliche – eine neue Sub-gruppe

Jugendliche sind entweder eigenständige

Migrant/innen – meist motiviert durch bessere

Bildungsmöglichkeiten in den Städten, insbe-

sondere nach abgeschlossener Grundbildung

– Vertriebene oder bereits Migrant/innen der

zweiten und dritten Generation. Sie vollziehen

die genannten Optionen der Anpassung und

Eigenständigkeit ebenfalls nach, kennen je-

doch die ländliche Herkunftsregion, in der die

indigene Kultur verbürgt ist, teilweise nur mit-

telbar.

Jugend als Lebensabschnitt kommt verstärkt

im städtischen Umfeld zum Tragen. Durch

verbesserte und verlängerte Ausbildungszeiten

gewinnt diese Etappe des Lebens einen ei-

genständigeren Charakter als in den Her-

kunftsgemeinden, wo Jugendliche schon früh

geschlechtsspezifische Arbeiten übernehmen

und schnell in die Rolle junger Erwachsener

hineinwachsen. Allgemein ist der gesamte

Jugend relevante Diskurs im wesentlichen

städtisch. Die entsprechenden Instanzen so-

wohl staatlicher Jugendpolitik als auch nicht

staatlicher Jugendarbeit und Jugendorganisa-

tion beginnen erst langsam die Wirklichkeit

ländlicher Jugendlicher wahrzunehmen und

einzubeziehen. Die Wahrnehmung indigener

Jugendlicher erfolgt verzögert und analog zu

dem allgemein verbreiteten Bild von Indigenen

v.a. bezogen auf den ländlichen Kontext.13

Die Migrationsrealität gewinnt für jugendliche

Indigene eine spezifische Relevanz. Darauf

verweist auch das Ständige Forum in seiner

Session vom Mai 2003 (vgl. STÄNDIGES FORUM

FÜR INDIGENE FRAGEN, 2003) und interpretiert

die Situation jugendlicher Migrant/innen vor

allem unter der Perspektive des Kultur- und

Identitätsverlustes und der erzwungenen An-

passung an eine neue und fremde Umwelt.

Mittlerweile hat UNICEF (2003) eine vertie-

fende Studie zur Thematik indigener Kinder

und Jugendliche durchgeführt.

BARRIG (2001:102) zitiert eine Befragung unter

jugendlichen Sekundarschüler/innen in Lima,

die Kinder und Enkel andiner Migrant/innen

sind. Mit großer Mehrheit beantworteten sie die

Frage: “Wen hasst du?“ Mit: “Meine Großmut-

13 Das GTZ-Vorhaben zur Beratung der Jugendpoli-tik in Kolumbien hat in Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Partner Colombia Jovén und der landesweiten Organisation indigener Völker ONIC (Organización Nacional Indígena de Colombia) 2004 eine interessante Maßnahme hierzu eingelei-tet.

Page 189: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

183

ter“ und begründeten ihre Wahl mit der Ableh-

nung gegenüber den indigenen Attributen, die

die Großmutter noch verkörperte und die ihre

Enkel noch immer zum Gespött der Mitschü-

ler/innen werden lassen. Konsequent sagten

90% der Befragten, sie hätten keinerlei Kennt-

nisse zur Herkunftsregion der Familie. Hier

wurde “der Zopf abgeschnitten“.

Neue Rollen und Organisationsformen

Im bolivianischen “Erdgasaufstand“ im Jahr

2003 waren neben El Alto mit seinen indigenen

Organisationsstrukturen auch Kleinstädte wie

Achacachi mit indigener Führung der Stadt-

verwaltung Zentren der Organisation von stra-

tegischer Bedeutung. Sie konnten diese Funk-

tion übernehmen, weil sie die Kommunikation

mit den Aymaras der umliegenden Hochebene

aufrechterhielten. Diese Kombination zwischen

Stadt und Land wurde im legendären “levan-

tamiento indígena“ 1990 in Ecuador auch be-

sonders deutlich, als zeitgleich mit der Beset-

zung der ländlichen Zufahrtsstraßen und Tei-

len der Panamericana die Kirche Santo Do-

mingo in Quito besetzt wurde (vgl. ALMEIDA ET

AL., 1991).

Die Erfahrung von Migration und Integration in

urbanen “modernen“ Zusammenhängen hat

ebenfalls Auswirkungen auf indigene Füh-

rungspersönlichkeiten und Organisations-

strukturen. Die Initiatoren und Präsidenten

indigener Organisationen sind vermehrt keine

Bauern mehr sondern Städter, die Realität der

ländlichen Gemeinden jedoch ist noch immer

Hauptgegenstand von Forderungen und Ver-

handlungen mit staatlichen Instanzen. Diese

ländliche Realität kennen die Sprecher oft nur

vermittelt, umgekehrt kennen sie jedoch das

Umfeld und die Parameter ihrer nicht-indige-

nen Gesprächspartner. Sowohl indigene Ge-

meinden und Völker als auch ihre nicht-indige-

nen Gesprächspartner sind für ihren Dialog

häufig auf Personen angewiesen, die diese

Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit leisten

können. “(...) la fuerza política de este nuevo

dirigente está en ser capaz de manejar todos

los códigos occidentales y al mismo tiempo

manejar la distinción, el hecho de ser indígena,

(...)“ (BENGOA, 2000:83). In diesem Zusam-

menhang wird die Frage wichtig, wie sehr die

Vertreter und seltener Vertreterinnen der indi-

genen Völker tatsächlich diese und ihre mehr-

heitlichen Interessen vertreten, insbesondere

in den Ländern, in denen die Mehrheit der

Indigenen noch im ländlichen Raum lebt, bzw.

in Themenbereichen, die direkt die ländliche

Bevölkerung betreffen. Dies betrifft auch die

Entwicklungszusammenarbeit, denn die Orga-

nisationsführer sind auch die Gesprächspart-

ner im Planungsprozess von EZ Programmen

und Projekten. Umgekehrt sind die Anforde-

rungen der Kommunikation mit indigenen Ver-

treter/innen so, dass sie praktisch nur aus dem

städtischen Umfeld mit funktionierender Tele-

kommunikation und angeschlossen an Infra-

struktur und Verkehrsbetriebe zu leisten sind.

Diese neuen Erfahrungen und Herausforde-

rungen haben auch den Diskurs indigener

Organisationen geprägt: Neue Themen wurden

in die Diskurse der indigenen Organisationen

aufgenommen. Forderungen nach Anerken-

nung von Differenz, Eigenständigkeit und Re-

spekt, sowie die Überlegungen zu multiethni-

schen Gesellschaften (“unidad en la diversi-

dad“) gewinnen zunehmend an Gewicht. Sie

stellen gegenüber den Forderungen früherer

Dekaden nach Entwicklungsteilhabe v.a. im

ländlichen Raum eine Weiterentwicklung dar,

die auch deshalb möglich wurde, weil indigene

Vertreter die Diskussionen auf nationaler und

internationaler Ebene wahrnehmen und daran

partizipieren. Migration und ihre Präsenz in

Städten war eine Voraussetzung dafür.

BENGOA (2000:129) fasst das folgendermaßen

zusammen: “La característica principal de la

emergencia indígena es la existencia de un

nuevo discurso identitario, esto es, una ‘cultura

indígena reinventada’. Se trata de una ‘lectura

urbana’ de la tradición indígena, realizada por

los propios indígenas, en función de los intere-

ses y objetivos indígenas. (...) discurso de

identidad étnica arraigado profundamente en

la tradición, pero con capacidad de salir de ella

y dialogar con la modernidad.“ Dies führt nicht

zu dem bekannten Diskurs des “mestizaje“

sondern vielmehr zu einer ethnischen Selbst-

behauptung, einer Behauptung der Differenz

unter Kenntnis “des anderen“ und im Dialog

mit “den anderen“. Mit den neuen Parametern

Page 190: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

184

der Differenz und den Beiträgen zum Aufbau

multiethnischer und plurikultureller Gesell-

schaft knüpfen indigene Organisationen im

Dialog an ähnlichen Phänomenen in anderen

Teilen der Welt an. Im Zuge der Globalisie-

rung, auf Grund intensivierter Migrationsbewe-

gungen und kürzer werdender Entfernungen,

entstehen an zahlreichen Orten diese und

ähnliche Forderungen und Modelle. In ihrem

Zentrum steht die Anerkennung der Differenz

und der respektvolle Dialog mit “Anderen“.

4. EZ Ansätze

Das BMZ-Konzept für die EZ mit indianischen

Bevölkerungsgruppen notiert die unterschiedli-

chen Faktoren, die Indigene aus ihren ange-

stammten Siedlungsgebieten verdrängen und

damit die Migration verstärken und schließt

migrierte Indigene explizit in die Zielgruppe ein

(BMZ, 1996:11): “Dabei sollte auch der beson-

deren Situation der indianischen Bevölkerung

in den urbanen Ballungsräumen ausreichend

Rechnung getragen werden“. Zu diesen Fakto-

ren zählen neben Gewalt und Krieg auch die

Problematik von Landrecht und Landnutzung

(siehe RATHGEBER in diesem Band) und die

Verdrängung durch extraktive Industrie und

Ressourcenkonflikte (siehe FELDT und

ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band). Die

Evaluierung des BMZ-Konzepts zur Zusam-

menarbeit mit indigenen Völkern kommt zu

dem Schluss, dass indigene Völker nicht über-

all dort, wo sie leben und von spezifischen

Problemen betroffen sind, in den Vorhaben

und dem entsprechenden Politikdialog der EZ

Berücksichtigung finden. Dies gilt umso mehr

für die indigene Bevölkerung außerhalb ländli-

cher Gebiete, insbesondere außerhalb des

Regenwaldes. Denn Vorhaben der EZ mit In-

digenen als explizit aufgeführter Zielgruppe

finden noch immer fast ausschließlich in ländli-

chen Regionen statt.

Ansätze der Stadtentwicklung und Ar-mutsminderung

Vorhaben der Stadtentwicklung der EZ sind

zum einen auf Infrastrukturmaßnahmen und

Stadtteilsanierung orientiert, zum anderen auf

die Verbesserung der städtischen Organisation

und die Stärkung der Stadtverwaltung zur

Erbringung verbesserter Dienstleistungen.

Dabei konzentriert sich die deutsche TZ auf

Mittelstädte und ländliche Unterzentren nach

einer anfänglichen Konzentration auf die Lega-

lisierung urbaner Landnahme durch

Migrant/innen. Die “Leitlinie Kommunal- und

Stadtentwicklung“ der GTZ (2002:4) führt ex-

plizit die Vorgaben Menschenrechte, demokra-

tische Teilhabe, sozial-politisch orientiertes

Handeln und die Orientierung auf Gender-,

Armuts- und Umweltprobleme auf. Zunehmend

orientieren sich auch Stadtentwicklungsvorha-

ben der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) auf

die Partizipation der lokalen Bevölkerung, wie

in Medellín und Bogotá. Erfahrungen mit der

Beteiligung indigener Stadtbevölkerung, die als

solche reflektiert wurden, sind nicht greifbar,

sollten aber in Städten mit indigenen

Migrant/innen, die sich als solche verstehen

und organisieren, im Sinne der Zielgruppen-

differenzierung Gegenstand der Komponenten

Bürgerbeteiligung und Dialog mit Organisatio-

nen der Zivilgesellschaft sein. Ohne die spezi-

fische Fokussierung können Indigene nur als

Städter und Bürger/innen bestimmter Stadtteile

und sofern sie nicht sozial ausgegrenzt sind an

den Wirkungen der Vorhaben partizipieren.

Ansätze der Dezentralisierung

Vor allem in Ländern bzw. Regionen mit einem

hohen indigenen Bevölkerungsanteil bot die

Dezentralisierung und insbesondere die neue

Rolle, die dabei Kommunen als bürgernähester

Ebene zukommt, indigenen Völkern eine

Chance, die eigene Entwicklung in die Hand zu

nehmen, “ethnodesarrollo“ (siehe auch

STRÖBELE-GREGOR in diesem Band) mit regio-

naler Entwicklung zu verknüpfen, in staatlichen

Funktionen präsent zu sein, und damit auch

Zugang zu den Strukturen der Macht zu erlan-

gen. Dies realisiert sich von wenigen Ausnah-

men wie Quetzaltenango abgesehen, vor allem

in kleineren Kommunen mit noch ländlichem

Zuschnitt. Bolivien und Ecuador weisen zahl-

reiche Beispiele auf, die im Rahmen der dort

umgesetzten Vorhaben zur Förderung der

Dezentralisierung und Kommunalentwicklung

auch unterstützt wurden. Unter der Perspektive

von Partizipation und Good Governance wer-

den diese Ansätze bei FELDT in diesem Band

Page 191: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

185

“La participación, la coordinación interinstitu-cional, la capacitación y la instalación de capacidades en nuestros propios Pueblos Indígenas debe ser el horizonte de toda cooperación técnica para el desarrollo, y también constituye una necesidad pragmáti-ca para garantizar la sustentabilidad de la experiencia en el tiempo.”

CLAUDIO SAAVEDRA (CONADI) Chile

beleuchtet. Die Option der Mitgestaltung von

Politik und lokal-regionaler Entwicklung “con

visión indígena“ birgt jedoch auch die Gefahr,

kooptiert zu werden, und damit die Anerken-

nung und Legitimität als Vertreter/in indigener

Bevölkerungsgruppen zu verlieren. Es ist da-

von auszugehen, dass diese Entwicklungen

vor allem in Mittelstädten und ländlichen Un-

terzentren relevant werden.

Andere Ansätze in lateinamerikanischen Städten

In Chile wurde 2002 und 2003 eine Eigen-

maßnahme der GTZ umgesetzt, die u.a. die

indigene Stadtbevölkerung des Großraums

Santiago explizit als Zielgruppe definierte, und

sich die Förderung einer interkulturellen Ver-

ständigung zwischen (1) verschiedenen indi-

genen, (2) indigenen und nicht-indigenen Be-

völkerungsgruppen sowie (3) zwischen indige-

ner Bevölkerung und den öffentlichen Instituti-

onen zum Ziel setzte. Das Vorhaben arbeitete

zu drei zentralen Bereichen: Gender, Jugend

und Förderung produktiver Maßnahmen mit

einem durchgehend interkulturellen Fokus.

WENTZEL (2003:9) weist aus dem Kontext der

PDPI Projekte (Projetos Demonstrativos dos

Povos Indígenas) in Brasilien mit Fokus auf

indigene Völker der Amazonasregion (Rio

Negro) auf eine weitere interessante und för-

derungswürdige Fragestellung hin: “Como

melhor aproveitar as experiências e os recur-

sos destes migrantes para os desenvolvimen-

tos das Terras Indígenas? Como fortalecer a

articulacão entre os indígenas nas cidades e

os que vivem nas aldeias?“ Darin kann sich die

Berücksichtigung städtischer Indigener und die

Bearbeitung ihrer spezifischen Probleme nicht

erschöpfen, aber damit können die bestehen-

den oder erloschenen Beziehungen zwischen

Städtern und Landbevölkerung aktiviert und

gestärkt sowie eine gemeinsame Orientierung

gefördert werden.

CLICHE & GARCÍA (O.J.) verweisen für Ecuador

darauf, wie Ansätze – in diesem Fall der zwei-

sprachigen interkulturellen Bildung – für die

indigenen Zielgruppen in den Städten weiterhin

Gültigkeit besitzen, aber angepasst und ent-

sprechend abgewandelt werden müssen.

5. Empfehlungen

Horizont der folgenden Empfehlungen ist die

Notwendigkeit auch für die EZ im urbanen

Kontext Gleichberechtigung in den Gesell-

schaften der Partnerländer zu fördern, und

Diskriminierung und Ausgrenzung abzubauen.

Damit kann ein Beitrag dazu geleistet werden,

dass diese Gesellschaften selbst sich in Rich-

tung auf ihre in den Verfassungen häufig

schon verbrieften Modelle multiethnischer und

plurikultureller Gesellschaften hin entwickeln,

in denen Differenz einschließlich der ethni-

schen, kulturellen und sprachlichen als Berei-

cherung und nicht als Bedrohung oder Min-

derwertigkeit wahrgenommen wird. Dieser

Paradigmenwechsel ist eine aktuell weltweite

Herausforderung und betrifft nicht nur Latein-

amerika.

Das BMZ Konzept nennt Indigene in der Stadt

und spricht sich explizit gegen eine Einengung

auf ländliche Regionen und Wald aus. Die

Berücksichtigung indigener Völker im urbanen

Raum öffnet gleichzeitig den Blick der EZ auf

indigene Völker im Allgemeinen: Wenn Indi-

gene nicht mehr vorrangig “auf der Scholle“

und “unter dem Baum“ gesehen werden, wer-

den sie differenzierter und in ihren realen Le-

bensbedingungen wahrgenommen. Somit ist

zu vermuten, dass diese Wahrnehmung sich

auch positiv auf die Vorhaben der EZ mit indi-

genen Völkern in ländlichen Regionen auswir-

ken kann. Bei der konzeptionellen Verknüp-

fung zwischen Förderung indigener Völker und

Entwicklung in Städten können die folgenden

Empfehlungen zum Tragen kommen:

1. Indigene Völker sind wesentlich städti-

scher als ihr Bild. Die EZ sollte (1) dies in

Page 192: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

186

ihren entsprechenden Grundsatzpapieren

deutlicher einbeziehen, (2) zum Thema in-

digene Völker nicht ausschließlich ihre Ko-

operationen mit Indigenen im ländlichen

Raum darstellen und (3) in ihren Vorhaben

im urbanen Raum auf die ggf. dort lebende

indigene Bevölkerung reagieren, und für

ihre Beteiligung an den Vorhaben in Städ-

ten und damit an den städtischen Struktu-

ren der Verwaltung und Politik Sorge tra-

gen.

2. Urbane Zentren haben in ihren Ländern

die Rolle von Modellen für Moderne und

Entwicklung. In diesem Sinne ist es wich-

tig, dass insbesondere in den Städten die

Entwicklung von multiethnischen Gesell-

schaften, wie verfassungsgemäß veran-

kert, sichtbar wird. Stadtentwicklungspro-

jekte können hierzu durch eine sensible

Auswahl der Zielgruppen (einschließlich

Maßnahmen im Sinne von affirmative ac-

tion) beitragen.

3. Indigene Völker in Städten sind trotz Dis-

kriminierung und Segregation Teil der loka-

len Gesellschaften. Es bestehen in den

Städten wenige partikulare “indigene

Räume“. Daher ist zu empfehlen, die Be-

teiligung indigener Vertreter/innen zusam-

men mit anderen Zielgruppenvertre-

ter/innen in den im Projekt vorgesehenen

Beteiligungsstrukturen zu integrieren. Da-

mit können EZ Maßnahmen dazu beitra-

gen, dass sich Indigene nicht zur Unsicht-

barkeit gezwungen sehen und Ausgren-

zung und Rassismus der Partnergesell-

schaften aufgebrochen wird.

4. Eigene Beteiligungsstrukturen für Indigene

sind nur dort sinnvoll, wo ihre Beteiligung

in den allgemeinen Strukturen unterzuge-

hen droht bzw. wo es sich ausschließlich

um die Vertretung ihrer spezifischen Inte-

ressen handelt. Die EZ soll vermeiden,

selbst Re-Ethnisierungsprozesse in Gang

zu setzen, indem sie Indigene identifiziert

und explizit fördert, die sich nicht mehr als

solche verstehen, sondern an einer Integ-

ration und Assimilierung an die urbane na-

tionale Gesellschaft interessiert sind. In

diesen Situationen ist davon auszugehen,

dass die Beteiligung “ehemals Indigener“

durch die Konzentration auf Arme weitge-

hend sicher gestellt werden kann.

5. In Vorhaben der Kommunalentwicklung in

indigen besiedelten Regionen und mit be-

stehenden indigenen Organisationen sind

Maßnahmen der Qualifizierung und Orga-

nisationsförderung zur Beteiligung an den

politischen Strukturen sinnvoll. Indigene

Organisationen, die erst jüngst auf dieser

Bühne des demokratischen Wettbewerbs

agieren, haben ggf. mehr Förderbedarf als

andere bereits parteipolitisch orientierte

und organisierte gesellschaftliche Grup-

pen.

6. Die zu Grunde liegenden Fragen: wer und

wie viele Menschen als indigen gelten und

wo sie leben, können im Rahmen der EZ

nicht beantwortet werden. Die entspre-

chende wissenschaftliche Diskussion sollte

jedoch beobachtet und wenn möglich bei

Schlüsselfragen auch gefördert werden.

Sie wird in fast allen Ländern und durch

einige renommierte überregionale Instituti-

onen wie FLACSO (Facultad Latinoameri-

cana de Ciencias Sociales) oder CLACSO

(Consejo Latinoamericano de Ciencias

Sociales) geführt. Dasselbe gilt für die Dis-

kussion internationaler Foren unter maß-

geblicher Beteiligung indigener Repräsen-

tant/innen, die stärker in den Vorhaben der

EZ wahrgenommen werden sollten.

Page 193: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen

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Page 195: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika

189

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika¹

DR. EDGAR KÖPSELL

Vorbemerkung

In den vorangegangenen Kapiteln wurden

bereits Empfehlungen1 für die Entwicklungszu-

sammenarbeit mit indigenen Völkern gegeben,

sie lassen sich auch aus den Ausarbeitungen

selbst ableiten. Im Folgenden und abschlie-

ßend sollen noch kurz einige Hinweise für die

EZ-Praxis aufgeführt werden, die sich aus der

Arbeit der “Koordinationsstelle Indigene Völker

in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK)“

ergeben haben. Diese Hinweise folgen (noch)2

keiner umfassenden Systematik, es sei denn

der, dass sie sich im Rahmen der Arbeit von

KIVLAK dem Autor besonders eingeprägt ha-

ben. Ein Teil dieser Hinweise stammt aus der

intensiven Unterstützungsarbeit, die die Koor-

dinationsstelle für das BMZ leistet. Hier ist

insbesondere die Fallstudie

“Erfahrungsauswertung der Zusammenarbeit

mit indigenen Bevölkerungsgruppen und

Organisationen in Bolivien, Ecuador und

Guatemala“ zu nennen, bei deren Konzeption

KIVLAK das BMZ unterstützt, daran

anschließend die Studie im Auftrag des

Ministeriums ausgeschrieben und in der

Durchführung sehr intensiv betreut hat.3 Die

1 Für diesen Artikel werden wesentliche Teile aus einem Gutachten von Frau DR. JULIANA STRÖBELE-GREGOR, dass im Auftrag von KIVLAK erstellt wurde, verwendet bzw. übernommen. Die Ver-antwortung für etwaige Fehler u.ä. trägt jedoch nur der Autor. 2 Eine umfassende und systematische Ausarbeitung von Empfehlungen ist von KIVLAK geplant. 3 Die Studie ist Basis für die zukünftigen Überlegungen des BMZ für die Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik. Auch soll, so die weiterführende Planung des Ministeriums, das BMZ-Konzept für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern überarbeitet und aktualisiert werden. Es ist geplant, die Studie allen Interessenten zugänglich zu machen und auch auf der Webseite von KIVLAK http://www.gtz.de/indigenas/ zu veröffentlichen.

Studie, deren Fertigstellung sich mit der

Herausgabe dieses Readers überschnitten hat,

ist die zur Zeit aktuellste Aufarbeitung der

deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit

indigenen Völkern in Lateinamerika und kann

deshalb, begleitend zu diesem Buch, als

Lektüre sehr empfohlen werden.

Der andere Teil der Hinweise geht auf die EZ-

Arbeit in Projekten bzw. Programmen zurück,

wobei nicht nur “good practices“ genannt, son-

dern auch auf mögliche Fehlerquellen auf-

merksam gemacht werden soll.

Empfehlungen und Hinweise, mögen sie auch

noch so umfassend und detailliert sein, können

keine Blaupause sein, die unabhängig von der

jeweiligen Situation schematisch anzuwenden

ist. Allgemein lässt sich sagen, dass mit der

konsequenten Anwendung des aktuellen und

erprobten EZ-Instrumentariums (z.B. Zielgrup-

pen- und Akteursanalyse, partizipative Vorge-

hensweise usw.) kaum etwas falsch gemacht

werden kann. Wichtig ist, dass man sich dabei

auf der Höhe der Zeit befindet, denn die Vor-

gehensweisen und Methoden der EZ unterlie-

gen Wandlungen, meist nicht nur sprachlicher

Art. Um ein Beispiel zu nennen: War mit der

zielorientierten Projektplanung (ZOPP) u.a.

untrennbar der Begriff der Zielgruppenanalyse

verbunden, so hat aktuell diese Methodik an

Stellenwert verloren und zu der Zielgruppen-

analyse ist heute verstärkt die Akteursanalyse

hinzugetreten. In diesem Zusammenhang sei

erwähnt, dass verschiedentlich die Vertre-

ter/innen von indigenen Organisationen darauf

hinweisen, dass sie sich nicht als Zielgruppe,

sondern als eigenständige Akteure und damit

als vollwertige Partner der Internationalen Zu-

sammenarbeit verstehen.

Von daher unterliegen auch die folgenden

Hinweise der Gefahr, durch neue Erkenntnisse

Page 196: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

190

und Entwicklungen überholt zu werden. Sie

müssen deshalb fortgeschrieben, aktualisiert

und immer wieder auf Relevanz und Anwend-

barkeit geprüft werden. Letztlich können sie

auch nur Anregungen geben und Themen

anreißen, die konkrete Vorgehensweise wird

immer auf die jeweilige Situation zugeschnitten

sein müssen.

Foto: Kundgebung in der Comarca Ngöbe-Buglé (Proyecto Agroforestal Ngöbe)

1. Konfliktvermeidung und –entschärfung

Bei der EZ mit indigenen Völkern ist es wichtig,

sich immer vor Augen zu führen, dass die

Emanzipation der indigenen Bevölkerung in

den lateinamerikanischen Staaten ein sehr

konfliktreiches Thema ist. Denn mit dieser

Emanzipation verschieben sich – extrem ver-

kürzt gesagt - die Machtverhältnisse innerhalb

der jeweiligen Gesellschaft und damit letztlich

auch der Zugang zu Ressourcen, seien sie

nun materiell oder immateriell. Bei den davon

betroffenen Gesellschaftsgruppen werden

Ängste ausgelöst und Spannungen aufgebaut,

die in Konflikte münden können. Dieser Sach-

verhalt ist deshalb bei der Zusammenarbeit mit

indigenen Völkern generell zu beachten.

Um diese, auch ethnisch begründeten,

Konflikte nicht (unbeabsichtigt) zu schüren,

müssen die EZ-Projekte die Konfliktrisiken

verstehen, beobachten und präventiv

bearbeiten können. Es muß also darauf

geachtet werden, dass (unwillentlich) negative,

gewaltverschärfende Wirkungen vermieden

und die Ursachen für gewaltsame Konflikte

durch das Projekt zumindest nicht verstärkt

werden. Dabei geht es letztlich um die Frage,

wie vermieden werden kann, dass ein latent

vorhandener Konflikt, der u.a. ethnisch

begründet wird, durch die EZ verschärft wird

bzw. wie bereits zu einem frühen Zeitpunkt

Konfliktrisiken erkannt und ein Beitrag zur

Prävention und friedlichen Konflikttrans-

formation geleistet werden kann.

Interethnischen Konflikten liegen oft Landkon-

flikte zugrunde. Dazu gehören Invasionen von

Bauern-Migranten, indigener wie nicht-indige-

ner Herkunft, in Territorien, die von anderen

ethnischen Gemeinschaften genutzt werden.

Oftmals spielen auch historisch begründete

interethnische Spannungen, unterschiedliche

politische und ökonomische Strategien, Pro-

Page 197: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

duktionsweisen und kulturell geprägte Bezie-

hungen zur jeweiligen natürlichen Umwelt eine

Rolle.

Von daher ist eine positive Erweiterung des

Aktionsfeldes der EZ die Konfliktmoderation.

Sie kann dazu beitragen, gewalttätige Aus-

einandersetzungen zu entschärfen. Obwohl

eigentlich selbstverständlich, soll aber noch

einmal ausdrücklich darauf hingewiesen wer-

den, dass aufgrund der Brisanz von Konflikten

Moderation nur von entsprechend qualifizierten

und erfahrenen Personen bzw. Institutionen

geleistet werden kann.

Die Erfahrung der EZ zeigt sehr deutlich, dass

es Indizien dafür gibt, dass die Kanalisierung

von Ressourcen in ein Konfliktgebiet Konflikte

schüren kann. Deshalb muss unbedingt bei der

Planung von Vorhaben potentielles, durchaus

auch interethnisches Konfliktpotential genau

durch unabhängige kompetente Expert/innen

untersucht werden, um nicht aufgrund fehlen-

der Kenntnisse Konflikte anzuheizen. Eine

solche Untersuchung darf sich nicht auf die

Projektregion beschränken, sondern muss

auch die angrenzenden Gebiete einbeziehen.

2. Stärkung der Verhandlungsmacht indigener Organisationen innerhalb von Dialogstrukturen

Bei diesem Sachverhalt ist zu prüfen, ob die

Partizipation indigener Repräsentant/innen auf

lokaler und nationaler Ebene nicht unterstützt

werden kann. Wenn der Auftrag dies abdeckt,

sollte die EZ entsprechende Initiativen fördern.

Instrumente der formalen Partizipation sind

häufig Konsultationen oder “runde Tische”, an

denen sämtliche zivilgesellschaftliche Organi-

sationen vertreten sind. Weitere Instrumente

wären zu prüfen. In jedem Fall sollte der Aus-

gleich von Interessensdifferenzen zwischen

sozialen Gruppen sowie die Stärkung der Ver-

handlungsmacht von sozial schwachen Akteu-

ren (Kleinbauern, indigene Gemeinschaften,

Frauen) besonders berücksichtigt werden.

Diese Gruppen sollten bei Bedarf unterstützt

werden, z.B. durch Beratungspersonal und die

Bereitstellung von notwendigen Informationen.

3. Berücksichtigung des Genderaspektes

In bestehende oder geplante Vorhaben ist der

Genderansatz umfassend verankert. Diesbe-

züglich bietet es sich an, mit Frauenorganisati-

onen und Gruppen, die auf das Thema indi-

gene Frauen spezialisiert sind sowie mit ei-

genständigen indigenen Frauen-Initiativen

zusammenzuarbeiten.

Aus der EZ-Praxis ist bekannt, dass indigene

Frauen oftmals über keine eigenen Ausweis-

dokumente verfügen. Dadurch sind sie häufig

an der Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte, aber

auch im Zugang zu Krediten und Investitionen

gehindert. Projekte und Programme, die dazu

die Möglichkeit haben, sollten deshalb auf

jeden Fall indigene Frauen unterstützen, Aus-

weisdokumente zu erhalten.

Anschließend an diese Empfehlung muss dar-

auf hingewiesen werden, dass Vorhaben4, die

bei der Eintragung individueller Landtitel in

indigenen Gemeinden unterstützend tätig sind,

darauf achten müssen(!), dass Frauen ihre

Landrechte nicht verlieren. In vielen Regionen

gibt es “traditionell” ein Erbrecht, dass Frauen

Eigentum an Land sichert. Frauen verlieren

jedoch häufig ihre Ansprüche, wenn sich bei

der Individual-Titulierung nur der Mann eintra-

gen lässt. Nicht selten rechtfertigen Männer die

Eintragung auf ihren Namen damit, dass sie ja

traditionell die Familie nach außen vertreten

(Familienoberhaupt). Tatsächlich sichern sie

damit nur ihren Vorteil.

Indigene Frauen sollten auch unterstützt wer-

den, wenn sie sich in Interessensgruppen or-

ganisieren. Wo dies bereits geschehen, kön-

nen existierende Zusammenschlüsse gefördert

und institutionell gestärkt werden. Capacity

Development und Empowerment sind dazu die

Stichworte. Auch dabei gilt wieder, dass vor

der Unterstützungsleistung die nötige fachliche

Expertise, in diesem Falle über die Organisati-

onen, ihre Repräsentativität und Legitimität,

einzuholen ist.

4 Die überwältigende Mehrzahl der Vorhaben wird nicht auf diesem, sehr politischen, Gebiet arbeiten. Wenn aber doch, ist der genannte Sacherhalt unbe-dingt zu beachten, damit eine eigentlich erfolgreiche Maßnahme sich für indigene Frauen nicht in das Gegenteil verkehrt. Stattdessen gilt “Land auch in indigene Frauenhand“.

191

Page 198: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

4. Aus- und Fortbildung .... .... von indigenen Fachkräften

Im Dialog mit indigenen Repräsentant/innen

zeigt sich immer wieder, dass Ausbildung,

insbesondere die formale und Hochschulaus-

bildung, einen hohen Stellenwert hat, denn

daran ist die Hoffnung und Erwartung ver-

knüpft, dass diese in eine entsprechend quali-

fizierte Arbeitsstelle und auch gesellschaftliche

Teilhabe mündet.

Zurückhaltender werden dagegen Seminare,

Workshops und dergleichen bewertet. Diese

mögen zwar der Fortbildung dienlich sein,

vermitteln aber schlussendlich keine national

bzw. international anerkannte Qualifikation.

Die Schlussfolgerung für die Vorhaben kann

deshalb nur sein, dass indigene Mitarbei-

tern/innen zur Teilnahme an Fort- und Weiter-

bildung und (Postgraduierten-) Studium er-

muntert und bei der Suche nach Stipendien,

der geeigneten Ausbildungsstätte u.ä. unter-

stützt werden sollten5.

Eine solche Förderung von Seiten der EZ-Vor-

haben setzt natürlich voraus, dass überhaupt

indigene Fachkräfte beschäftigt werden. Die

zusätzliche, klare Empfehlung lautet deshalb,

in Regionen mit indigener Bevölkerung gezielt

indigene Fachkräfte zu suchen und einzustel-

len. Diese sollten auch für Verantwortungs-

bzw. Führungspositionen unter Vertrag ge-

nommen werden um keine ethnischen Hierar-

chien entstehen zu lassen. Indigene Frauen

sollten diesbezüglich besonders gefördert wer-

den.

Eine weitere Schlussfolgerung und Empfeh-

lung ist, in Ländern mit einem relevanten Anteil 5 Oftmals gibt es durchaus Möglichkeiten innerhalb der deutschen EZ bzw. IZ. Erwähnenswert ist, daß die Hanns-Seidel-Stiftung in Ecuador seit Anfang der 90er Jahre ein Stipendienprogramm aufgebaut hat, das sich ganz bewußt an junge indigene Frauen und Männer richtet, um ihnen ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Auch die GTZ führt im Auftrag des BMZ Maßnahmen durch, um die Hochschulausbildung von indigenen Frauen und Männern zu fördern. Aktuell ist das Vorhaben “Indigene Interkulturelle Universität“ zu nennen, das mit dem Fondo para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas de América Latina y el Caribe als Träger durchgeführt werden soll.

indigener Bevölkerung als Beitrag zur gesell-

schaftlichen Integration der indigenen Bevölke-

rung, qualifizierte indigene Fachkräfte auch für

Projekte einzustellen, die sich nicht direkt an

die indigene Bevölkerung richten.

.... von Projektpersonal

In Fortsetzung des vorhergehenden Punktes

ist auch zu prüfen, ob nicht in geeigneter Form

beim Personal der Projekte und den Trägern

eine Fortbildung zum Thema indigene Bevöl-

kerung, gesellschaftliche Partizipation und

Interkulturalität angebracht wäre. Ein entspre-

chendes Ausbildungskonzept sollte partizipativ

mit erfahrenen Durchführungsorganisationen/

Fachkräften und/ oder eigenen Mitarbeitern

erstellt werden, denn der Prozess der Ausar-

beitung des Planes bedeutet bereits für die

Mitarbeiter/innen einen Aneignungs- und Lern-

prozess.

.... von neuausreisenden EZ-Mitarbeiter/innen

Die Einführung von EZ-Mitarbeiter/innen in die

indigene Thematik Lateinamerikas – wenn

relevant - wird vor der Ausreise in der

Vorbereitungszeit geleistet. Wenn allerdings

mit indigenen Völkern gearbeitet wird, kann die

Situation so speziell sein, dass dies in der Vor-

bereitungszeit nur bedingt machbar ist. In sol-

chen Fällen muss dann die Vorbereitung im

Projekt für den/ die neu ausgereiste EZ-Mitar-

beiter/in fortgesetzt werden.

Es wird oftmals darauf hingewiesen, dass in

das Curriculum der Vorbereitungskurse für

ausreisende Mitarbeiter/innen in Vorhaben, die

einen direkten oder indirekten Bezug zu indi-

gener Bevölkerung haben, die Themen indi-

gene Völker und Interkulturalität noch besser

und systematischer integriert werden können.

Dies ist sicherlich zutreffend, in diesem Zu-

sammenhang darf aber auch daran erinnert

werden, dass Vorgesetzte mit für die Ausbil-

dungsinhalte in der Vorbereitungszeit verant-

wortlich sind und diese von ihnen auch mit

festgelegt werden (können).

KIVLAK sieht es als wünschenswert an, wenn

in die Vorbereitung – je nach Ausrichtung des

Vorhabens – Themen wie Rechtssituation,

192

Page 199: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

Bodenrecht, Nutzungsrechte natürlicher Res-

sourcen und Rechtspraxis; politische Teilhabe,

indigene Organisationen und ihre Forderungen

im jeweiligen Land, Verhältnis Indigene – nati-

onale Gesellschaft, indigene Kulturen und ak-

tuelle kulturelle Ausdrucksformen, Gender und

indigene Kultur – kulturell definierte Gender-

Rollen und ihre Auswirkung auf politische Be-

teiligung, Wirtschaft und Ausbildung einbe-

zogen werden. Desweiteren sollten Kenntnisse

über internationale Konventionen, die indigene

Völker betreffen – in diesem Buch werden die

wichtigsten genannt – sowie wichtige theo-

retische und methodische Ansätze und good

practices, welche die kulturelle und Ge-

schlechterdimension berücksichtigen, in der

Vorbereitung beinhaltet sein.

Auch Mitarbeiter/innen von Vorhaben zur De-

mokratieförderung, Menschenrechte, Staats-

modernisierung und Dezentralisierung, die in

Ländern mit einem relevanten indigenen Be-

völkerungsanteil eingesetzt werden, sollten in

der Vorbereitung mit der Indigenen-Thematik

ausreichend vertraut gemacht werden. Stär-

kung von Demokratie und Dezentralisierung

verlangt notwendigerweise, die Berücksichti-

gung kultureller und ethnischer Bedingungen,

der darin enthaltenen Schwächen, Potentiale

und möglicher Interessenskonflikte.

5. Wenn immer möglich: Direkte Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung, ihren Organisationen und ihren Repräsentant/innen

Die indigenen Bewegungen und Organisatio-

nen sind – insbesondere auch von Europa und

den USA – unterstützt worden. Nicht nur von

der bilateralen und der multilateralen EZ, son-

dern in einem ganz bedeutenden Ausmaß

auch von NROs. Dabei wurde von den NROs

Beachtliches geleistet, wenn auch manchmal

eine Tendenz zu einer kulturalistischen und

paternalistischen Vorgehensweise festzustel-

len war.

Mittlerweile sind viele indigene Organisationen

erstarkt, sie treten selbstbewusst auf und wün-

schen, dass sie ohne Mittler und unmittelbar

als Akteure angesprochen werden. Auf pater-

nalistische oder assistenzialistische Konzepte

reagieren die indigenen Organisationen ableh-

nend. Wie bereits eingangs festgestellt, weisen

manche Vertreter/innen von indigenen Organi-

sationen darauf hin, dass sie sich nicht als

Zielgruppe, sondern als eigenständige Akteure

und als vollwertige Partner der Internationalen

Zusammenarbeit verstehen, die an den Ent-

wicklungsprozessen in ihrem Land beteiligt

sein wollen.6

Die Schlußfolgerung kann deshalb nur sein,

daß in den Vorhaben der bilateralen EZ (und

nicht nur in diesen) direkt mit indigenen Ge-

meinschaften und Organisationen zusammen-

zuarbeiten ist, ohne die Zwischenschaltung

von Mittlern und sonstigen, nicht indigenen

Organisationen, bzw. das Gegenteil sorgfältig

überlegt und begründet sein sollte. Noch ak-

zentuierter vertritt diese Ansicht Frau HEIDI

FELDT, sie kommt in ihrem Artikel “Indigene

Völker und Staat“ im Abschnitt “Legitimität von

Repräsentant/innen“ kurz und bündig zu der

Aussage: “Von indigener Seite wird die Ver-

mittlung oder Vertretung indigener Belange

durch nicht-indigene NRO abgelehnt.“

6. Detaillierte und umfassende Datenerhebung/ Kenntnisse der Innenansicht indigener Gemeinschaften und Organisationen

Wird direkt mit indigener Bevölkerung zusam-

mengearbeitet, wie zum Beispiel in Vorhaben

der ländlichen Entwicklung und der Armutsbe-

kämpfung, ist es unabdingbar, detaillierte und

umfassende Kenntnisse über die Innenansicht

von indigenen Gemeinden, ihre Wertvorstel-

lungen und Eigenbewertung von Potentialen

einzuholen. Die entsprechenden Daten sind zu

erheben. Indikatoren, seien sie von dem jewei-

ligen Staat oder multilateralen Institutionen,

sind nicht immer vollständig zutreffend für die

jeweilige indigene Bevölkerung in einem Ge-

biet, auch nicht immer deckungsgleich mit der

Perspektive indigener Gemeinschaften. Fach-

kräfte, die mit der jeweiligen Kultur, Sprache

6 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass indi-gene Repräsentant/innen oftmals ihre Beteiligung an den bilateralen Regierungsverhandlungen for-dern, wenn es um indigenen-relevante Vorhaben geht. Dies dürfte aber nicht einfach zu erfüllen sein, geht auch über die Möglichkeiten der EZ-Vorhaben hinaus.

193

Page 200: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern

und den lokalen Bedingungen vertraut sind

und Erfahrungen in partizipativen Methoden

unter Einbeziehung des Genderaspektes ha-

ben, sollten diese Erhebungen vornehmen.

Im Rahmen der Planung von Vorhaben mit

indigener Bevölkerung sind bei den damit ver-

bundenen Vorstudien, u.a. genderdifferenziert,

folgende Aspekte zu erheben: Soziale Arbeits-

organisation, Weltbild, soziale Normen und

Werte, Zugang zu Bildung und Ausbildung,

Formen und Folgen der Zeitmigration, welche

Folgen hat dies für Haushalt, Produktion, Teil-

nahme an lokalen Entscheidungsprozessen,

lokale Ämter. Auch hier gilt, dass die Datener-

hebung mit partizipativen Methoden lokal er-

fahrenen (Kurzzeit-) Expert/innen anzuver-

trauen ist.

7. Wissens- und Erfahrungstransfer, Öffentlichkeitsarbeit

Vorausgesetzt, dass das Mandat dazu legiti-

miert, sollten entsprechende EZ-Vorhaben den

Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen

indigenen Organisationen in einem Land und

länderübergreifend fördern.

Dazu gehört, den Zugang von lokalen, regio-

nalen und nationalen indigenen Organisatio-

nen zu verschiedenen Informationspools und

zu anderen Projekten zu fördern (z.B. Wis-

senspools in der GTZ, im Fondo Indígena, der

ILO, Weltbank, BID). Indigenen Organisatio-

nen, obgleich zum Teil mit neuer Technologie

ausgestattet, fehlt vielfach (noch) die Kenntnis

über die Existenz von Informationspools. Es

genügt auch nicht, sich auf die Unterstützung

eines Dachverbandes – oder auf nationale

Dachverbände – zu konzentrieren, da deren

interne Strukturen oftmals die Weiterleitung

von Informationsmaterial an die “Basis” nicht

leisten (kann). Der Mangel an Informationen

schränkt dann die Erarbeitung konkreter,

machbarer alternativer Strategien ein.

Bei Wissens- und Erfahrungstransfer ist auch

der themenbezogene Besucheraustausch von

Gruppen indigener Repräsentant/innen und

Fachkräften von Bedeutung. Die Reise in ein

Projekt oder Programm, in die Region, die

direkte Anschauung, Gespräche und Erfah-

rungsaustausch vor Ort sind bisweilen wir-

kungsvoller und vermitteln mehr Kenntnisse

als Workshops und Kongresse.

Zu prüfen ist auch, ob im Rahmen der Öffent-

lichkeitsarbeit nicht gesellschaftliche Bewusst-

werdungsprozesse unterstützt werden können,

in bezug auf die Bedeutung der Partizipation

indigener Bevölkerung in verschiedenen ge-

sellschaftsrelevanten Bereichen, wie Men-

schenrechte, Recht, Demokratisierung, Regio-

nalentwicklung, Naturschutz und Biodiversität

u.a. Dazu gehört auch das Bewusstsein über

die Rolle der lokalen indigenen Bevölkerung

bei der nachhaltigen Nutzung und beim Schutz

natürlicher Ressourcen insbesondere der

Biodiversität.

Ausblick

Die in diesem Kapitel genannten Hinweise

wollen einen (kleinen) Beitrag dazu leisten, die

indigene Bevölkerung Lateinamerikas in den

entsprechenden Vorhaben der deutschen EZ,

sei es in der Durchführung oder auch in der

Phase der Vorbereitung, wo die entscheiden-

den Weichen gestellt werden, noch adäquater

wahrzunehmen, zu berücksichtigen und einzu-

beziehen. Eine umfassende Berücksichtigung

sollte eigentlich immer gegeben sein, die Er-

fahrung von KIVLAK ist aber, dass es diesbe-

züglich durchaus noch Verbesserungspotential

gibt, die eingangs genannte Fallstudie bestätigt

dies ebenfalls. Die Möglichkeiten zur Verbes-

serung zu nutzen, gebietet die Professionalität,

damit wird man auch dem zunehmenden Stel-

lenwert der indigenen Bevölkerung in Latein-

amerika gerecht.

194

Page 201: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang

Page 202: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit
Page 203: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

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Page 204: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

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1990

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Page 214: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl

Anhang 2:Organisationen indigener Völker - eine Auswahl

CHRISTOPH KOHL

Die folgende Tabelle versucht einen Überblick über die indigenen Organisationen in Lateinamerika zu

geben. Sie erhebt dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, die angesichts der Vielfalt der Organi-

sationen schwer zu erreichen wäre. Die Angaben zu den Organisationen entsprechen dem Stand Au-

gust 2004.

Land/ Gebiet Organisationen Kontakt/ Sitz

Argentinien Asociación Indígena de la República de Argentina (AIRA)

Balbastro No. 179 C.P. 1406 Buenos Aires Argentina

E-Mail: [email protected] Belize

Confederación Sindical Única de Trabajadores campesinos de Bolivia (CSUTCB)

C.C. 11589 La Paz Bolivia

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.puebloindio.org/CSUTCB3.html

Organización de Mujeres Aymaras del Kollasuyo(OMAK)

C.P. 13195 El AltoBolivia

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.aymaranet.org/OMAK.html

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Centro de Comunicación y Desarrollo Andino (CENDA)

C.C. 3226 Tadeo Haenke No. 2231 La Paz Bolivia

E-Mail: [email protected] Webseite: http://secrur.ls.net/cenda.htm

Confederación de los Pueblos Indígenas de Bolivia (CIDOB)

*Mitglied der COICA

Villa 1ero. de Mayo, Barrio San Juan Casilla No. 6135 Santa Cruz de la Sierra Bolivia

E-mail: [email protected] Webseite: http://www.cidob-bo.org/

Mitglieder der CIDOB

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Asamblea del Pueblo Guaraní (APG)

Calle AVAROA esq. Comercio Macharetí - Provincia Luis Calvo / Chuquisaca Bolivia

E-Mail: [email protected]

Page 215: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl

Coordinadora de los Pueblos etnicos de Santa Cruz (CPESC)

Santa Cruz

Central de Pueblos Indígenas del Beni (CPIB) Central Indígena de la Región Amazónica de Bolivia (CIRA-BO)Central Indigena de Pueblos Originarios de la Amazonia de Pando (CIPOAP)

Av. Circunvalación s/n (Barrio Mapajo) Casilla 99 Cobija – Pando Bolivia

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.laneta.apc.org/rci/organinteg/cipoap.html

Central de Pueblos indígenas de La Paz (CPILAP)

La Paz

E-Mail: [email protected] [email protected]

Coordinadora de Pueblos In-dígenas del Tropico de Co-chabamba (CPITCO)

Cochabamba

Organización de la Capitania Weehnayek y Tapiete (OR-CAWETA)

Villamontes – TarijaBolivia

E-Mail: [email protected]ão das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira (COIAB)

*Mitglied der COICA

Avenida Ayrão 235 Bairro: Presidente Vargas 69025-290 Manaus – Amazonas Brasil

E-mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.coiab.com.br/

Brasilien

Conselho de Articulaçâo dos Po-vos e Organizaçôes Indígenas do Brasil(CAPOIB)

SDS – Ed. Venâncio III - 1º andar – sala 107 70393-900 Brasília – DF Brasil

E-Mail: [email protected] Chile Coordinadora Nacional Indianista

(CONACIN) Nataniel Cox No.185-B Casilla 154 Correo 22 de Santiago de Chile Chile

E-Mail: [email protected]: http://www.olca.cl/conacin/

Costa Rica Asociación Indígena de Costa Ri-ca (AICR)

C.C. 6979-1000 San José Costa Rica

Ecuador Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE)

Av. Granados 2553 y 6 de Diciembre Casilla 17-17-1235 QuitoEcuador

E-Mail:[email protected] [email protected] Webseite: http://www.conaie.org/

Page 216: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl

Mitglieder der CONAIE:Federación de Organizaciones Indígenas del Napo (FOIN) Federación de Comunas U-nión de Nativos de la Amazo-nía Ecuatoriana (FCUNAE)

Prof. Luciano Mamallacta Malecón y Padre Miguel Torrano s/n. Orellana Ecuador

E-Mail: [email protected] Webseite: http://fcunae.nativeweb.org/

Jatun Comuna Aguarico (JCA) Asociación de Centros Sionas-Secoyas Nacionalidad (HUAO) Huao Nacionalidad (Cofán) A'I Comunidad Cofan Zabalo

Casilla 17 11 06089 QuitoEcuador

Pastaza Runaguna Tandana-cui/ Organización de Pueblos Indígenas de Pastaza (OPIP)

Tnte Ortíz y Gral VillamilApartado 16-01-790 Puyo – Pastaza Ecuador

Webseite: http://www.unii.net/opip/intro.html Federación de Centros Shuar-Achuar

SucuáDomingo Comín 17-38 Morona Santiago, Región amazónica Ecuador

Asociación Independiente del Pueblo Shuar Ecuatoriano (AIPSE)

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Confederación de Nacionali-dades Indígenas de la Ama-zonia Ecuatoriana (CONFE-NIAE)

*Mitglied der COICA

Av. 6 de Diciembre 159 y Hermanos Pazmiño, Edif.Parlamento 4to. Piso Casilla 17-1-4180 QuitoEcuador

E-Mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.ecuanex.net.ec/confeniae/

Imbabura Runacunapac Jatun Tantanacui-INRUJTA-FICI (Federación Indígena y Cam-pesina de Imbabura)

Jaramillo 608 y Morales Casilla 65 OtavaloEcuador

E-Mail: [email protected] Webseite: http://fici.nativeweb.org/

Pichincha Riccharimui Unión de Comunidades Indí-genas de Calderón (UCIC) El Movimiento Indígena de Cotopaxi (MIC)

Av. 2 de Mayo y Félix Valencia Latacunga - Cotopaxi Ecuador

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Movimiento Indígena de Tun-gurahua (MIT)

Calle Olmedo 246 entre Benigno Vela y Cevallos Casilla 1193 Ambaro -Tungurahua Ecuador

Page 217: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl

Unión de Indígenas Salasacas (UNIS) Movimiento Indígena de Chimborazo (MICH)

Casa Indígena Calle Guayaquil y Juan de Velasco QuitoEcuador

Federación Campesina de Bo-lívar-Bolivarmanta Runacuna-pac Riccharimui (IECAB-BRUNARI)Fundación Runacunapac Ya-chana Huasi (FRYH) Unión Provincial de Comuni-dades y Cooperativas del Ca-ñarUnión de Campesinos del Azuay (UNASAY)

Calle Larga # 7-35 Cuenca – Azuay Ecuador

Organización de Indígenas de Saraguro Ecuador Runacunapac Ric-charimui / Confederación de Pueblos de la Nacionalidad Kichwa del Ecuador (ECUA-RUNARI)

Julio Matovelle 128 entre Vargas y Pasaje San Luis - Edif. El Conquistador, 1er piso Apartado 17-15-96C QuitoEcuador

E-Mail: [email protected] [email protected]: http://ecuarunari.nativeweb.org

Federación de Centros Awa Federación de Centros Cha-chis K

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Gobernación Tsáchi El Salvador Asociación Coordinadora de Co-

munidades Indígenas de El Salva-dor (ACCIES)

1ª. Ave. Norte No.5-4 ABarrio Mejicanos, Consonate Apartado Postal 23, Correos de Sonsonate San Salvador El Salvador

E-Mail: [email protected] [email protected]

Französisch Guyana

Fédération des Organisations Au-tochtones de Guyane (FOAG)

*Mitglied der COICA

Village amerindien 97310 Kourou Guyane Française

E-Mail: [email protected] [email protected]

Consejo de Organizaciones Ma-yas de Guatemala (COMG)

2 Calle No. 3-40, Zona 3 Chimaltenango Guatemala

E-Mail: [email protected]

Guatemala

Defensoría Maya 32 Avenida 1-56 zona 7 Colonia Utatlan I Guatemala

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.laneta.apc.org/rci/defmay/

Page 218: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl

Consejo Nacional de Educación Maya (CNEM)

4ta Calle 1-57 Zona 10. Guatemala

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.guate.net/cnem/

Guyana Amerindian Peoples' Association of Guyana (APA)

*Mitglied der COICA

163 Crown Street, Queenstown Georgetown Guyana

E-mail: [email protected] Webseite: http://www.sdnp.org.gy/apa/

Honduras Confederacion de Pueblos Autoc-tonos de Honduras (CONPAH)

La Granja, 2a Ave. entre 1 y 2 calle, # 3327 Apartado 220-585 Comayaguela Honduras

E-Mail: [email protected] Mexiko

NationalOrganización Nacional de In-dígenas de Colombia (ONIC)

Calle 13 No. 4 - 38 BogotáKolombien

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.onic.org.co/

Cabildo Mayor de San Andrés de Sotavento Córdoba y SucreConsejo Regional Indígena del Cauca (CRIC)

Calle 1ª. No. 4-50 Popayán, Cauca Colombia

E-Mail [email protected] regional Indígena del Guainía (CRIGUA I)

Casa Indígena Puerto Inírida, Guainía Colombia

Consejo Regional Indígena del Guaviare (CRIGUA II)

Oficina de Asuntos Indígenas San José del Guaviare, Guaviar Colombia

Consejo Regional Indígena de Caldas (CRIDEC)

Carrera 8 No. 8-10 Riosucio, Caldas Colombia

Consejo Regional Indígena del Tolima (CRIT)

Calle 17 A No. 7-112 piso 2 Ibagué, Tolima Colombia

E-Mail: [email protected] Regional Indígena del Vaupés (CRIVA)

Autoridades indígenas Vaupés Mitú, Vaupés Colombia

Consejo Regional Indígena del Vichada (CRIVI)

Secretaría de Asuntos Indígenas Pedro Carreño, Vichada Colombia

Kolumbien

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Organización Indígena de An-tioquia (OIA)

C.C. 53433 Carrera 49 No. 63-57 Medellín, Antioquia Colombia

E-Mail: [email protected]

Page 219: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl

AsoU´waOrganización Regional Em-bera Wounaan (OREWA)

C.C. 285 Calle 19 No. 5-14 Quibdó, Chocó Colombia

E-Mail: [email protected]ón de Trabajo por la De-fensa de la Vida (UNUMA) Organización Regional Indí-gena del Valle del Cauca (O-RIVAC)

Carrera 23 No. 7 A-08 Cali, Valle del Cauca Colombia

Consejo Regional Indígena de Risaralda (CRIR)

E-Mail: [email protected]

Consejo Regional Indígena de Arauca (CRIA) Consejo Regional Indígena del Huila (CRIHU) Organización Regional Indí-gena del Quindío (ORIQUIN) Organización Regional Indí-gena del Casanare (ORIC)

Jetsemani, Casanare Colombia

Amazonas-Tiefland Organización de los Pueblos Indígenas de la Amazonía Co-lombiana (OPIAC)

*Mitglied der COICA

Carrera 8 No. 19-34 Edificio las Nieves Oficina 501 - 502 412 BogotáKolombien

E-Mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.opiac.org/

Consejo Regional Indígena del Medio Amazonas (CRIMA)

Araracuará, Caquetá

Confederación Indígena del Alto Amazonas (COIDAM) Cabildo Indígena Mayor de Tarapacá (CIMTAR)

Tarapacá, Amazonas

Autoridades Indígenas de la Pedrera Amazónica (AIPEA)

La Pedrera

Asociación de Cabildos Indí-genas del Trapecio Amazóni-co (ACITAM)

Leticia

Consejo Regional Indígena del Orteguaza, medio Caquetá (CRIOMC)

Calle 18 No 8-10 Florencia, Caquetá Colombia

Organización Uitoto del Ca-quetá y Putumayo (ORUCA-PU)

Florencia, Caquetá

Organización Puinave del Guainía (OPDEGUA) Asociación de Autoridades Tradicionales Indígena Curri-paco del río Guainía (AICU-RIGUA)

San José, río Guainía

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Consejo Regional Indígena del Guaviare (CRIGUA II)

Oficina de Asuntos Indígenas San José del Guaviare, Guaviar Colombia

Page 220: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl

Organización Zonal Indígena del Putumayo (OZIP)

Barrio Jardín Mocoa, Putumayo Colombia

E-Mail: [email protected] Consejo Regional Indígena del Vaupés (CRIVA)

Autoridades indígenas Vaupés Mitú, Vaupés Colombia

Consejo Regional Indígena de Arauca (CRIA)

Gobernación Saravena, Arauca Colombia

Consejo Regional Indígena del Casanare (ORIC)

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Asociación de Cabildos y Au-toridades Indígenas de la Sel-va Mataven (ACATISEMA)

Secretaría de Asuntos Indígenas Pedro Carreño, Vichada Colombia

Nicaragua Asociación de Mujeres Indígena de la Costa Atlántica (AMICA)

E-mail: [email protected] [email protected]

Congreso General de la Cultura Kuna

Calle Florida Dr. Edificio 15-12 Apartado Postal: 6-8299 El Dorado Panamá

E-Mail: [email protected] Webseite: http://onmaked.nativeweb.org/

Panama

Asociación Napguana Avenida Justo Arosemena y calle 41° Casa 3-38 Calidonia Panamá

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.geocities.com/TheTropics/Shores/4852/casa.html

Asociación de parcialidades Indí-genas (API)

Casilla de correo 3242 Calle Don Bosco 745 Asunción Paraguay

Coordinadora de Pueblos Nativos de la Cuenca del Río Pilcomayo

E-Mail: [email protected]

Paraguay

Coordinadora Nacional de la Pa-storal Indígena (CONAPI)

Alberdi 782 Asunción Paraguay

E-Mail: conapi@conexión.com.py Peru Conferencia Permanente de los

Pueblos Indígenas del Perú (COPPIP)

Av. San Eugenio 981 Urbanización Santa Catalina, La Victoria Lima 13 Perú

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.rcp.net.pe/coppip/

Page 221: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl

Mitglieder der COPPIP Confederación Nacional Agra-ria (CNA)

Mariscal Miller 932 Jesús María LimaPerú

E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CNA1.html

Confederación Campesina del Perú (CCP)

Plaza Bolognesi 588 Lima 5 Perú

E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CCP1.html

Unión Nacional de Comunida-des Aymaras (UNCA)

Jr. Arequipa N° 1185 PunoPerú

E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/UNCA1.html

Coordinadora Nacional de Comunidades Campesinas e Indígenas del Perú (CONAC-CIP)

Comunidad Campesina San Pedro de Pirca Huaral LimaPeru

Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CONACCIP1.html

Asociación de Defensa y De-sarrollo de las Comunidades Andinas del Perú (ADECAP)

Gral. Santa Cruz 470 Jesús María LimaPerú

Consejo Aguaruna Huambisa Av. San Eugenio Nº 981 Urbanización Sta. Catalina La Victoria Lima 13 Perú

Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CAH1.html

Comisión de Emergencia As-háninka Taller Permanente de Mujeres Indígenas Andinas y Amazó-nicas - Chirapaq

Page 222: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl

Federación Puquina Calle Mariscal Benavides 309 Parque de Selva Alegre Cercado Arequipa Lima

Av. Salaverry 2023 LinceLimaPerú

Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/F_PUQUINA1.html

Organización de Comunida-des Aymaras, Amazonenses y Quechuas (OBAAQ) Comunidad Indígena Ashánin-ka Marankiari Bajo (CIAMB)

Av. José Gálvez 1346 LinceLima 14 Perú

E-Mail: [email protected] Webseiten: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CNMBsintesis.htm http://www.rcp.net.pe/ashaninka

Federación Provincial de Co-munidades Campesinas de Huaral Federación Departamental de Comunidades Campesinas de Pasco – Frente Ecológico Alto Andino (Pasco - Junín)

Av. Los Próceres N°100 San Juan Cerro de Pasco Perú

Av. San Juan 661 San Luis LimaPerú

E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/F_PASCO.htm

Coordinadora Nacional de Comunidades Afectadas por la Minería.Asociación Interétnica de De-sarrollo de la Selva Peruana (AIDESEP)

*Mitglied der COICA

Av. San Eugenio 981Urb. Santa Catalina Distrito de La Victoria LimaPerú

E-mail: [email protected] Webseite: http://www.aidesep.org.pe/

Confederación de Nacionali-dades Amazónicas del Perú (CONAP)

Jr. Brigadier Puchmacahua No 974 Jesús María Lima 11 Perú

E-Mail: [email protected] [email protected]

Page 223: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl

Suriname Organisatie van Inheemsen in Su-riname (OIS)

*Mitglied der COICA

Johannes Kingstraat 7, Rainville Paramaribo Suriname

E-mail: [email protected] [email protected]

Venezuela Consejo Nacional Indio de Vene-zuela (CONIVE)

*Mitglied der COICA

Oficina junto a la Dirección de Asuntos Indígenas Edif.Ministerio de Educación, Piso 14 Caracas Venezuela

E-Mail: [email protected] [email protected] [email protected]

Überregional Organisation Kontakt

Amazonien Coordinadora de las Organizacio-nes Indígenas de la Cuenca Ama-zónica (COICA)

Calle Luis Beethoven No. 47-65 y Capitán Rafa-el Ramos QuitoEcuador

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.coica.org/

Caribbean Organization of Indige-nous People (COIP)

P.O. Box 229 Belize City Belize

Karibik

The United Confederation of Taíno People (UCTP)

United Confederation of Taíno People U.S. Regional Coordinating Office PO Box 4515 New York, NY 10163 USA

E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.uctp.org/index.html

Mittelamerika Consejo Indígena de Centro Amé-rica (CICA)

11 Avq. 14-86, zona 10 Guatemala

E-Mail: [email protected]

Weitere indigene Organisationen und Interessensvertretungen sind u.a. aufgelistet unter: http://www.cdi.gob.mx/conadepi/iii/organizaciones.html

(Stand: 1. August 2004)

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Page 225: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

Abkürzungsverzeichnis

ACEM Asociación de Centros Mayas del nivel medio

ACP Africa, Caribbean, Pacific (AKP-Staaten)

ADLAF Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung

AIDESEP Asociación Interétnica para el Desarrollo de la Selva Peruana

ANAPQUI Asociación Nacional de Productores de Quinoa (Bolivien)

ASODIRA Asociación de Desarrollo Indígena, Región Amazónica (Ecuador)

BID Interamerikanische Entwicklungsbank

BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

CBD Convention of Biological Diversity (Konvention über die biologische Vielfalt)

CEH Comisión de Esclarecimiento Histórico (Guatemala)

CEDAW Un-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen

CELADE Centro Latinoamericano y Caribeño de Demografía

CEPAL Comisión Económica para América Latina y el Caribe (Economic Commission for Latin America and the Caribbean, ECLAC)

CIA Central Intelligence Agency

CLACSO Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales

CNEM Consejo Nacional de Educacion Maya

CODENPE Consejo de Desarrollo de las Nacionalidades y Pueblos Indígenas de Ecuador

COEDUCA Comités Educativos (Guatemala)

COIAB Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia

COICA Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica

COMPITCH Consejo de Organizaciones de Médicos y Parteras Indígenas Tradicionales de Chiapas (Mexiko)

CONADI Corporación Nacional de Desarollo Indígena (Nationale Gesellschaft für indigene Entwicklung, Chile)

CONAIE Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador

CONAP Confederación de Nacionalidades Amazónicas del Perú

CONAPO Consejo Nacional de Población (Mexiko)

CONDEPA Conciencia de Patria (Bolivien)

CONFENIAE Confederación de Nacionalidades Indígenas de la Amazonía Ecuatoriana

CONIVE Consejo Nacional Indio de Venezuela

CRIC Consejo Regional Indígena del Cauca (Kolumbien)

CSUTCB Confederación Sindical Única de Trabajadores Campesinos de Bolivia

DED Deutscher Entwicklungsdienst

DFID Department for International Development (U.K.)

DINEIB Dirección Nacional de Educación Intercultural Bilingüe (Ecuador)

EAP Energía–Ambiente–Población (Dialogprozess im lateinamerikanischen Erdölsektor)

ECOSOC Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat der UN)

EIA Energy Information Administration (USA)

EIR Extractive Industry Review

ESMAP Energy Sector Management Assistance Programme

EU Europäische Union

EZ Entwicklungszusammenarbeit

EZLN Ejercito Zapatista de Liberación Nacional

FANPE Proyecto Fortalecimiento de Areas Nacionales Protegidas del Perú

FAO Food and Acriculture Organisation of the UN

Page 226: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

FCUNAE Federación de Comunas Unión de Nativos de la Amazonía Ecuatoriana

FHIS Fondo Hondureño de Inversión Social

FI Fondo de Desarrollo de los Pueblos Indígenas de América Latina y el Caribe – Fondo Indígena

FICSH Federación Interprovincial de Centros Shuar (Ecuador)

FINAE Federación Interprovincial de Nacionalidad Achuar (Ecuador)

FIP Frente Indígena de Pastaza (Ecuador)

FIS Fondo de Inversión Social (Guatemala)

FISE Fondo de Inversión Social de Emergencia (Nicaragua)

FLACSO Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales

FONDI Apoyo al Fondo Indígena

FOISE Federación de Organizaciones Indígenas de Sucumbíos

FSC Forest Stewardship Council

FUNASA Fundação Nacional de Saúde

FZ Finanzielle Zusammenarbeit

GfbV Gesellschaft für bedrohte Völker

GRADE Grupo de Análisis para el Desarrollo

GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

IDB Inter-American Development Bank (Interamerikanische Entwicklungsbank)

III Instituto Interamericano Indigenista (Mexiko)

ILA Institute of Latin American Studies

ILO International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)

ILV Instituto Lingüístico de Verano (Wiclif Bible Translaters)

INE Instituto Nacional de Estadísticas (Chile)

InWEnt Internationale Weiterbildung und Entwicklung GmbH

ISO International Organization of Standardization

IUCN International Union for Conservation of Nature and Natural Resources

IZ Internationale Zusammenarbeit

IZE Interkulturelle zweisprachige Erziehung

KfW KfW Entwicklungsbank

KIVLAK Koordinationsstelle Indigene Völker Lateinamerika und Karibik

LASR Latin American Special Report

MAIPO Ministerio de Asuntos Indígenas y Pueblos Originarios

MDG Millennium Development Goals (Millennium Entwicklungsziele)

MEC Ministerio de Educación y Cultura (Ecuador)

MINUGUA United Nations Verification mission on Guatemala

MIP Movimiento Indígena Pachakutik (Ecuador)

MJDDHH Ministerio de Justicia y Derechos Humanos (Bolivia)

MRTA Movimiento Revolucionario Tapac Amaru (Peru)

NRO Nichtregierungsorganisation (Non-governmental Organization, NGO)

OAS Organization of American States (Organisation Amerikanischer Staaten)

ODAHG Oficina de Derechos Humanos del Arzobispado (Guatemala)

OECD Organisation for Economic Co-operation and Development

OEI Organización de Educación Interamericana

OEI Organización de Estados Iberoamericanos (Organisation Iberoamerikanischer Staaten)

OIA Organización Indígena de Antioquia (Kolumbien)

Page 227: Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit

OLADE Organización Latinoamericana de Energía

ONIC Organización Nacional Indígena de Colombia

OPIAC Organización de los Pueblos Indígenas de la Amazonia Colombiana

OPIP Organización de los Pueblos Indígenas de Pastaza (Ecuador)

OREALC Organización Regional de Educación para América Latina y el Caribe

PADEP Programa de Apoyo a la Gestión Pública Descentralizada y Lucha contra la Pobreza

PAHO Pan-American Health Organization (Organización Panamericana de Salud, DPS; Panamerikanische Gesundheitsorganisation)

PAPICA Programa de Apoyo al Desarrollo de los Pueblos Indígenas de Centro America (EU)

PDPI Projetos Demonstrativos dos Povos Indígenas (GTZ/ Brasilien)

PdVSA Petroleos de Venezuela S.A.

PEMBI Proyecto de Educación Maya Bilingüe Intercultural (GTZ/ Guatemala)

PPG7 Pilotprogramm zur Erhaltung der brasilianischen Regenwälder (Programa Piloto para a Proteção das Florestas Tropicais do Brasil)

PRONADE Programa Nacional de Autogestión de la Educación (Guatemala)

PRSP Poverty Reduction Strategy Paper

PPTAL Projeto Integrado de Proteção às Populações e Terras Indígenas da Amazônia Legal (GTZ/ Brasilien)

SENALEP Servicio Nacional de Alfabetización y Educación Profesional (Bolivien)

TCO Tierras Comunitarias de Origen (Bolivien)

TRIPS Agreement on Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum)

TZ Technische Zusammenarbeit

UN/ UNO United Nations Organisation (Vereinte Nationen)

UNCED United Nations Conference on Environment and Development

UNDP United Nations Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen)

UNEP United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der Vereinten Nationen)

UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur)

UNHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights (Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte)

UNICEF United Nations Children's Fund (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)

UVP Umweltverträglichkeitsprüfung

WB/ WBG Weltbank/ Weltbankgruppe

WGDD Open Ended Working Group on the Draft Declaration the Rights of Indigenous Peoples

WHO World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)

WIPO World Intellectual Property Organization (Weltorganisation für geistiges Eigentum)

WPC World Park Congress

WWF World Wide Fund for Nature

YPFB Yacimientos Petroliferos Fiscales Bolivianos

ZE Zweisprachige Erziehung

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

ABRAM, Matthias, Dr.; Philosoph, seit Mitte der siebziger Jahre in der Internationalen Zusammenarbeit tätig, zunächst mit dem DED, dann mit TERRA NUOVA, Rom und seit 1985 mit der GTZ, vorwiegend in Lateinamerika. In Ecuador und Guatemala Mitarbeit beim Aufbau zweisprachiger, interkultureller Schul-systeme für die indigenen Völker. Lebt in Quito und Bolzano/ Bozen.

FELDT, Heidi, MSc in Ressourcenmanagement und Umweltpolitik Universität London, freiberufliche ent-wicklungspolitische Beraterin, arbeitet seit über zehn Jahren zu Themen der Entwicklungszusammen-arbeit mit indigenen Völkern, Schwerpunkt Konflikte um Ressourcennutzung.

HEISING, Klas; Diplom-Volkswirt und Auslandsmitarbeiter der GTZ; seit 1999 in Peru ansässig und derzeit Ansprechpartner eines zusammen mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) durchgeführten Projektes zur Verbesserung der Umweltgesundheit (Trinkwasser, Hygiene, Innenraumluft etc.) der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika.

KÖPSELL, EDGAR, DR.; Studium der Betriebs- und Volkswirtschaft, Aufbaustudium an der TU Berlin. Nach Tätigkeit an der Universität Frankfurt für die GTZ seit 25 Jahren im In- und Ausland tätig, u.a. im Sudan, Pakistan und Costa Rica. Desweiteren zahlreiche Aufenthalte in Nord- und Ostafrika, Asien und insbe-sondere Lateinamerika. Seit 2002 in der Andengruppe der GTZ beschäftigt und auch zuständig für den Aufbau der “Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK)“.

KOHL, Christoph, M.A.; Ethnologe und Politikwissenschaftler. Arbeitsgebiete: Entwicklungsethnologie, Ethnizität und Nationalismus; Staat, Gesellschaft und Kolonialismus; Bildung und Wissen. Z.Zt. Mitarbeiter bei einer im EZ-Bereich tätigen Consulting. Zahlreiche Aufenthalte und Forschungen im südlichen und westlichen Afrika.

NAASE, Karin Marita, Dr. phil. in Ethnologie (FU Berlin), Regionalkenntnisse: Andenraum, Amazonien. Feldforschung zu wirtschaftlicher Handlungsrationalität indigener Kleinbauern (Bolivien); Feldforschung in Siedlung der Agrarreform in Brasilien, Amazonien. Berufserfahrung in der EZ sowohl TZ als auch FZ und internationale Zusammenarbeit. Zur Zeit als Gastwissenschaftlerin am Museu Paraense Emílio Goeldi (MPEG), Belém, Brasilien. Interessensgebiete: Migration, kultureller Wandel, Stadt-Land-Beziehungen, Globalisierung, Entwicklungsethnologie.

RATHGEBER, Theodor, Dr. rer. pol.; Politologe, freiberuflich als wissenschaftlicher Autor sowie Berater für die Bereiche Entwicklungspolitik, Menschenrechte, Minderheiten und indigene Völker tätig. Lehrbeauf-tragter an der Universität Kassel (Fachbereich 05). Arbeitete 12 Jahre im Bundesbüro der Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen). Koordiniert zur Zeit die Bemühungen um eine Ratifizierung der ILO-Konven-tion 169 durch die Bundesregierung und ist im Vorstand der Adivasi-Koordination in Deutschland e.V.

REINHARDT, SYLVIA; Dipl.-Geographin; seit 2003 freiberufliche Mitarbeiterin in der GTZ im Konventions-projekt “Umsetzung der Biodiversitätskonvention“ und bei der Koordinationsstelle Indigene Völker in La-teinamerika & der Karibik (KIVLAK). Arbeitsschwerpunkte: Ethnobotanik, Traditionelles Wissen indigener Völker, nachhaltige Umweltnutzungs- und Bewirtschaftungspraktiken, Biodiversitätskonvention.

RODRIGUEZ, René, M.A.; Soziologe und Experte für Kommunal- und Stadtentwicklung, seit 2003 in Gua-temala als Sektorkoordinator der KfW Entwicklungsbank für Mittelamerika und Mexiko tätig. Bis 1998 ar-beitete er in Peru als Dozent und Berater für ländliche Entwicklung und Präsident des Instituto de Desar-rollo de la Autogestión (INDA). Für PNUD bearbeite er anschließend die Neustrukturierung der Sozial-fonds in Honduras und Guatemala und beriet Entwicklungsvorhaben der KfW, Weltbank und GTZ.

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ROSSBACH DE OLMOS, Lioba, Dr.; Studium der Völkerkunde, Soziologie und Pädagogik an Universität Frankfurt am Main, 1998 Promotion an Universität Mainz, Forschungen zur Atlantikküste Nicaraguas und Feldforschung im Chocó/ Kolumbien, zahlreiche Aufenthalte in Lateinamerika, Lehrbeauftragte für das Fach Völkerkunde an der Philipps-Universität Marburg, seit 1995 tätig bei "Klima-Bündnis/ Alianza del Clima" e.V. in Frankfurt a.M., zuständig für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, Teilnahme an internationalen UN-Umweltkonferenzen, zahlreiche Veröffentlichungen zu indigenen Völkern Lateinameri-kas und Afroamerikanern.

SPEISER, Sabine, Dr. phil., studierte in Regensburg, Rom und Berlin Sozialwissenschaften und promo-vierte mit einer Feldforschung über afroecuadorianische Kultur. Sie arbeitete als Dozentin an Universitä-ten in Ecuador und Deutschland und ist seit 1993 in der Entwicklungszusammenarbeit, seit 1999 freibe-ruflich tätig (http://www.interculture-management.de). Inhaltliche Schwerpunkte ihrer entwicklungspoliti-schen Beratung sind Bildung, Gender und Minoritäten. Als Organisationsberaterin begleitet sie Prozesse interkultureller Verständigung.

SPOHN, Silke, Dipl-Ing., Studium der Landschaftsplanung an der TU Berlin, seit 1998 in der Entwick-lungszusammenarbeit tätig. Zuletzt Ansprechpartnerin der GTZ im Projekt "Management der natürlichen Ressourcen in der Region Ngoebe" in Panama von 2002-2004. Seit kurzem Koordinatorin der GTZ für indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik.

STRÖBELE-GREGOR, Juliana, Dr. phil., Altamerikanistin, Ethnologin und Pädagogin, Freien Universität Berlin; 1989-1995 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut Berlin, Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt a.M., Costa Rica und Cuenca (Ecuador). Spezialgebiete: Ethnologie der Anden-länder und Guatemala; Religionsethnologie; Politische Anthropologie; Geschlechterforschung. Zahlreiche Feldforschungen. Freie Gutachterin in der EZ. Mitherausgeberin des “Jahrbuches Lateinamerika- Analy-sen und Berichte“. Beteiligt am Forschungsprojekt der EU “Mulikulturelle Autonomien in Lateinamerika“.

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