indigene völker in lateinamerika und entwicklungszusammenarbeit
TRANSCRIPT
Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit
Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH
Eschborn 2004
Impressum
Der Inhalt dieser Publikation gibt nicht unbedingt die Meinung der Deutschen Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit (GTZ) wieder.
Herausgeber:
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH
Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5
Postfach 5180
65726 Eschborn
Verantwortlich:
Dr. Edgar Köpsell
Regionalgruppe Andenländer OE 2120
Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika & der Karibik (KIVLAK)
Tel: 06196 79 2362
Fax: 06196 7980 2362
E-mail: [email protected]
Internet: www.gtz.de/indigenas
Autoren:
Dr. Matthias Abram, Heidi Feldt, Klas Heising, Dr. Edgar Köpsell, Christoph Kohl, Dr. Karin Naase,
Dr. Theodor Rathgeber, Sylvia Reinhardt, René Rodriguez Heredia, Dr. Lioba Rossbach de Olmos,
Dr. Sabine Speiser, Silke Spohn, Dr. Juliana Ströbele-Gregor
Redaktion:
Heidi Feldt, Dr. Edgar Köpsell, Sylvia Reinhardt, Dr. Sabine Speiser, Silke Spohn
Layout:
Sylvia Reinhardt
Fotos auf dem Umschlag:
Dr. Anita Krainer, KfW-Archiv, Sylvia Reinhardt, Silke Spohn
ISBN 3-925064-39-7
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titelsatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.
Druck:
Kasparek-Verlag, Heidelberg
Oktober, 2004
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die DemokratieDr. Juliana Ströbele-Gregor
1
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit Dr. Sabine Speiser
28
Indigene Völker und Staat Heidi Feldt
49
Indigene Völker und LandrechteDr. Theodor Rathgeber
61
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene VölkerDr. Lioba Rossbach de Olmos
77
Bodenschätze auf indigenem Land Heidi Feldt
100
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung Dr. Matthias Abram
118
Indigene Völker und Gesundheit Klas Heising & Sylvia Reinhardt
134
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung Heidi Feldt, Silke Spohn & Dr. Karin Naase
146
Pueblos indígenas y fondos de inversión social:Descuentros, herejías y otros éxitos René Rodriguez Heredia
159
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommenDr. Sabine Speiser
169
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika Dr. Edgar Köpsell
189
Anhang
Anhang 1: Überblick: Indigene Bevölkerung in den Staaten Lateinamerikas und der KaribikDr. Sabine Speiser und Christoph Kohl
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl Christoph Kohl
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Vorwort
Der Anstoß für das vorliegende Buch – Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusam-
menarbeit – ergab sich aus der Arbeit der “Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und
der Karibik“ (KIVLAK), die in der Regionalgruppe Andenländer der Gesellschaft für Technische Zu-
sammenarbeit (GTZ) beheimatet ist. KIVLAK vertritt das Thema Indigene Völker im interinstitutionellen
und internationalen Dialog, koordiniert den Erfahrungsaustausch unter den Vorhaben der Technischen
Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in der Thematik.
Das BMZ hat bereits zu Beginn der von den Vereinten Nationen ausgerufenen indigenen Dekade
(1994 – 2004) ein Konzept zur Zusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen erarbeitet, das
für die GTZ und KFW Entwicklungsbank verbindlichen und für NROs orientierenden Charakter hat.
Dieses Konzept ist die Richtschnur für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern und ihre adäquate
Berücksichtigung in den Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Damit lag relativ früh ein
Grundlagenpapier vor.
Davon ausgehend beleuchtet der vorliegende Reader die indigene Thematik im Kontext der deut-
schen EZ aus verschiedenen Perspektiven. Die Beiträge der Autoren und Autorinnen und die in ihnen
genannten Beispiele konzentrieren sich auf Erfahrungen in der deutschen Technischen Zusammenar-
beit, greifen aber auch solche aus anderen Institutionen der internationalen Zusammenarbeit auf. Ein
Beitrag der KFW Entwicklungsbank ergänzt die Palette um die Erfahrungen der Finanziellen Zusam-
menarbeit mit indigenen Völkern und den Sozialinvestitionsfonds.
Das vorliegende Buch möchte Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der EZ und anderen Interessierten
eine Einführung und einen Überblick zur Thematik geben. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern
eine spannende Lektüre und die Bereicherung, möglicherweise auch Veränderung ihrer Arbeit mit
indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik.
Anregungen und Rückmeldungen aller Art sind erwünscht und KIVLAK wird sie in zukünftigen Veröf-
fentlichungen, Rundbriefen und anderen Medien gerne aufgreifen.
Abschließend möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass der Inhalt der einzelnen Kapitel die
Meinung der Autorinnen und Autoren und nicht notwendigerweise die des Herausgebers wider-
spiegelt.
Dr. Sigrid Möller Dr. Edgar Köpsell
Leiterin Koordinationsstelle Indigene Völker in
Regionalgruppe Andenländer Lateinamerika & der Karibik (KIVLAK)
OE 2120 (GTZ) Regionalgruppe Andenländer
OE 2120 (GTZ)
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
1
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
DR. JULIANA STRÖBELE-GREGOR
“Es ist falsch, wenn wir vom “Problem der indigenen Völker in unseren Staaten“ sprechen, denn
nicht die indigenen Völker sind das Problem, sondern das Problem sind die Mängel einer un-
vollständigen Demokratie.“
Führungsmitglied der CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador)
Seit den 1980er Jahren werden indigene Völ-
ker als politische Akteure in Lateinamerika
deutlich sichtbar. In einigen Ländern wurden
Reformen eingeleitet, mit denen ihr gesell-
schaftlicher Ausschluss überwunden werden
sollte. Dennoch zeigt sich, dass sich wenig an
den realen Lebensbedingungen verbessert
hat, dass die Interessen, Rechtsansprüche und
Belange indigener Bevölkerung in den Demo-
kratisierungsprozessen, der Staatsmodernisie-
rung und den Strategien zur Wirtschaftsent-
wicklung bisher noch kaum berücksichtigt wer-
den. Doch indigene Völker fordern nicht nur
ihre vollen Bürgerrechte, Verbesserung ihrer
allgemeinen Lebenslage und Anerkennung
ihrer Kulturen ein, sie machen darüber hinaus
deutlich, dass ihre Kulturen Potenziale enthal-
ten, deren Bedeutung für eine nachhaltigen
Entwicklung zwar in (internationalen) Deklara-
tionen anerkannt, aber in der Realität kaum
berücksichtigt werden. Oft werden die Potenzi-
ale vielmehr zerstört. Um dem entgegenzuwir-
ken ist die Entwicklungspolitik gefordert, im
Rahmen der Förderung von Demokratie, wirt-
schaftlicher und sozialer Entwicklung in La-
teinamerika, die indigenen Völker als gesell-
schaftliche Akteure zu stärken und ihre Le-
bensbedingungen zu verbessern.
1. Diversität und Identität
“Eine Geschichte der Zahlen“ nennt BARIÉ
(2003:43-46) zu Recht die Vielfalt der demo-
graphischen Angaben über indigene Bevölke-
rung in Lateinamerika. Die Erhebungen und
Schätzungen variieren nicht nur für jedes
Land, sondern die erheblichen Zunahmen in-
nerhalb eines Jahrzehntes (1990er Jahre)
verweisen auch auf die wesentlichen Ursachen
der Schwankungen: erstens gibt es keine ein-
heitlichen Standards bei den Erhebungen;
zweitens verändern sich die Definitionen wer
als indigen gilt. Drittens variieren auch die
Selbstbezeichnungen, und dies ist stark davon
abhängig, welche Stellung Staat und Gesell-
schaft Angehörigen eines indigenen Volkes
zuweisen. Wo die nationalstaatliche Ideologie
des “mestizischen“ Staates vorherrscht, wirkt
der Assimilationsdruck, wo es jedoch Vorteile
beinhaltet (z.B. Landrechte), sich als Angehö-
riger einer ethnischen Gruppe zu bezeichnen,
lässt sich eine Steigerung der Anzahl jener
feststellen, die sich zu ihrer indigenen Herkunft
bekennen. Viertens gibt es politische Interes-
sen seitens der dominanten “weißen“ und mes-
tizischen Gesellschaftsgruppen, die Zahlen
niedrig zu halten, denn damit lässt sich die
These der homogenen, mestizischen Nation
unter Beweis stellen. Wir werden darauf zu-
rückkommen.
Sicher sind sich die Demographen über allge-
meine Tendenzen: Der Anteil der indigenen
Bevölkerung nimmt erkennbar zu. Der Ge-
samtanteil an der amerikanischen Bevölkerung
liegt zwischen 8-12%, das entspricht etwa 40
und 50 Mio. Personen. Es gibt über 400 ethni-
sche Gruppen und Völker und 917 gespro-
chene indigene Sprachen in Lateinamerika
(LASR, 2003:2)1, ein Zeichen der außerordent-
lichen kulturellen Vielfalt der indigenen Völker.
Das bedeutet jedoch keineswegs, dass nicht
1 BARIÉ (2003:45) kommt auf der Grundlage von nationalen Zensi auf 657 ethnolinguistische Grup-pen.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
2
zahlreiche kleine indigene Gemeinschaften,
insbesondere in ökologisch sensiblen Regio-
nen mit wertvollen Naturressourcen, vom Aus-
sterben bedroht sind, weil ihre Lebensgrundla-
gen zerstört werden.
Einigkeit herrscht bei den Demographen auch
darüber, in welchen Ländern der prozentuale
Anteil indigener Bevölkerung besonders hoch
ist.2 Dies sind die Länder Bolivien, Guatemala,
Peru und Ecuador. Die Bevölkerungszahlen
variieren allerdings erheblich. In Bolivien bei-
spielsweise liegt der Anteil der indigenen Be-
völkerung nach offizieller Schätzung aus dem
Jahre 1992 bei 81,2% bzw. laut Zensus liegt
sie jedoch wesentlich niedriger bei 59,0%. Eine
detaillierte Bevölkerungsstatistik aller latein-
amerikanischen Länder befindet sich im An-
hang des Bandes.
Charakteristisch für diese Länder ist nicht nur
eine starke Präsenz der indigenen Bevölke-
rung auf dem Land, wo die Mehrheit noch im-
mer als Kleinbauern lebt, sondern auch in den
Städten. In neun weiteren Ländern Lateiname-
rikas liegt der Anteil indigener Bevölkerung
zwischen 5% und 20%: Belize, Honduras, Chi-
le, El Salvador, Guayana, Panama, Surinam,
Nicaragua und Mexiko. Ihre Präsenz konzent-
riert sich in einzelnen Regionen, in denen die
indigene Bevölkerung die Mehrheit darstellt
oder in rechtlich ausgewiesenen Territorien.
Obgleich sie weit unter 20% der Ge-
samtbevölkerung ausmacht, ist die kulturell
und ethnisch sehr vielfältige indigene Bevölke-
rung Mexikos die größte in einem Nationalstaat
des Subkontinents: Die Zahlen bewegen sich
hier zwischen 7,4% und 12,6% Anteil an der
mexikanischen Bevölkerung.
Im größten Land Lateinamerikas, in Brasilien,
gibt es zwar 210 indigene Völker, doch stellen
diese überwiegend in Amazonien lebenden
Völker mit ca. 370 000 Personen nur 0,5% der
brasilianischen Bevölkerung dar. Zugleich ist
Brasilien mit 170 indigenen Sprachen das
2 BARIÉ 2003:45 auf der Grundlage von CELAD, 1999:361. Für die abweichenden offiziellen Schät-zungen wird keine Erklärung gegeben. Zu vermuten ist, dass CELAD Daten auf den Stand von 1999 hochgerechnet und andere Quellen berücksichtigt hat.
Land mit der größten Sprachenvielfalt. In Län-
der wie Brasilien, Venezuela und zum Teil
auch Kolumbien, in denen die indigene Bevöl-
kerung weniger als 5% der Gesamtbevölke-
rung ausmacht, handelt es sich zum einen um
campesinos, zum anderen um Gruppen, die in
kleinen Gemeinschaften als Jäger, Sammler
und Waldbauern in ihren Lebensformen noch
stark an ihren Lebensraum angepasst leben
und die nur einen geringen, zum Teil auch gar
keinen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft ha-
ben. Das Vordringen der nationalen Gesell-
schaft und die Durchsetzung von Wirtschafts-
interessen externer Akteure bedrohen ihre
Lebensräume und damit ihre Existenz als indi-
gene Gemeinschaften.
Wer ist ein indio?
Die Bezeichnungen indio und indígena
(deutsch: “Indianer“) entstammen der kolonia-
len Herrschaftsideologie und sind alles andere
als eine präzise Bezeichnungen von Bevölke-
rungsgruppen oder Kulturen. “Indio“ ist ein
politisches und soziales Konstrukt, das es den
Eroberern ermöglichte, die unterworfenen Völ-
ker rechtlich und ideologisch zu einer Gruppe
zu homogenisieren. Die Beziehungen der so-
zialen Gruppen in der Kolonie waren streng
nach unterschiedlicher ethnischer Herkunft
geregelt. Auf der einen Seite standen die Spa-
nier, sonstige Europäer sowie ihre in Latein-
amerika geborenen Nachkommen (criollos,
“Kreolen“), auf der andern die indigene Bevöl-
kerung und verschleppte schwarze Sklaven.
Die förmliche Trennung in die “Republik der
Spanier“ und “Republik der Indios“ war der
begriffliche Ausdruck für die tiefe Spaltung, die
die Kolonialgesellschaft von Beginn an kenn-
zeichnete.
In den nach der Unabhängigkeit Anfang des
19. Jahrhunderts neu gegründeten Republiken
änderte sich im Kern wenig am realen Status
der vormals als indios klassifizierten Landbe-
völkerung, auch wenn sie nun zu Bürgern er-
klärt wurden. Die europäischstämmigen Oli-
garchien, die im Besitz des Landes und der
Bergwerke waren, begriffen sich als criollos,
als rechtmäßige Bewohner und Besitzer des
amerikanischen Kontinents und damit legiti-
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
3
miert, in den neu gegründeten Staatswesen
die alleinige Macht beanspruchen zu können.
Landraub und extreme Ausbeutung verschärf-
ten sich sowohl seitens des jeweiligen Staats
als auch der herrschenden Oligarchien.
Allerdings hatte sich am Vorabend der Unab-
hängigkeitskriege der Diskurs über den indio in
einem Aspekt gewandelt: Es entstand eine
neue Hinwendung zum “Eingeborenen“ und
zur Vergangenheit des indio, die allerdings in
einem engen Zusammenhang mit den politi-
schen Interessen der criollos stand. Zur ideo-
logischen Legitimierung der Ablösung von
Spanien diente ihnen das Konstrukt des “ei-
genständigen amerikanischen Wesens“, das
die indigenen Elemente der amerikanischen
Kulturen betonte. Dies geschah allerdings mit
Rückgriff auf die Glanzzeit der präkolumbini-
schen “Hochkulturen“ der Inka, Maya oder
Azteken, nicht auf deren elend lebenden
Nachkommen und nicht auf jene Völker, die
nicht von den “Hochkulturen“ abstammten,
etwa die Bewohner der Regenwälder, Savan-
nen oder Wüsten. Sie galten den Herrschen-
den als “Wilde“, die es zu zivilisieren galt, in
dem man sie als Sklaven ausbeutete, oder bei
Widerstand bekämpfte und tötete.
Foto 1: Demonstration von Indigenen Schüler/innen in Cuzco (Peru) (S. Reinhardt)
Bei dieser Hinwendung zu den vorspanischen
Kulturen ging es darum, eine historische Kon-
tinuität von den Inka und Azteken zu den neu-
en Amerikanern herzustellen, in der Spanien
als Usurpator erschien, was – an Europa ge-
richtet – die Unabhängigkeitskriege als Be-
freiungskämpfe legitimieren sollte. Sehr deut-
lich wird diese Argumentation gerade auch bei
dem Führer des Unabhängigkeitskampfes,
Simón Bolívar.3 Trotz der Rezeption aufkläreri-
schen und revolutionären Gedankenguts aus
Europa ging es den um ihre politische Selbst-
3 BOLÍVAr, SIMÓN, 1815: Brief aus Jamaika an einen ungenannten Amerikaner vom 6. September 1815. In: KONETZKE, R., 1970, Dokument Nr. 54.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
4
ständigkeit kämpfenden criollos keinesfalls um
die politische Gleichstellung aller Bewohner
des Kontinents. Vielmehr instrumentalisierten
criollos und Mestizen die “indianische Vergan-
genheit“ ebenso wie die auf ihrer Seite kämp-
fenden indios für die eigenen Interessen.
In den ersten Verfassungen, die nach der Un-
abhängigkeit entstanden, wurden zwar die
Begriffe indio, mestizo etc. aufgehoben. Je-
doch sehr bald erfanden die neuen Administ-
rationen den neuen Terminus “indígena“ für
jene ehemaligen indios, deren Integration in
die Nationalgesellschaft zunächst nicht statt-
fand.
Wie sich zeigte, waren sich die Machthaber,
kleine kreolische Eliten, durchaus nicht einig in
ihren politischen und wirtschaftlichen Ideen.
Das schlug sich nicht nur in der Gründung
konservativer und liberaler Parteien nieder,
sondern auch in politischer Instabilität,
Caudillismus d.h. der Herrschaft von
Kriegsherrn und zahlreichen – auch
innerstaatlichen – Kriegen in den
neugegründeten Staaten, in die die indigene
Bevölkerung zwangsweise einbezogen wurde.
In den meisten Ländern unterlag die indio-Be-
völkerung weiterhin einem gesonderten rechtli-
chen Status, der sie auf allen Ebenen des ge-
sellschaftlichen Lebens benachteiligte. So galt
in zahlreichen Staaten noch bis weit in das
20. Jahrhundert der Ausschluss vom Wahl-
recht für Analphabeten, in Peru beispielsweise
bis 1979, was bedeutete, dass fast die ge-
samten Aymara, Quechua und die amazoni-
sche Bevölkerung sich nicht politisch beteiligen
durfte. Auf dem Land wiederum wurden kaum
Schulen eingerichtet, vielfach unterdrückten
Grundherrn und Kirche gewaltsam Bildungsini-
tiativen der indios (Beispiele für Peru siehe u.a.
LÓPEZ, 1988; für Bolivien CARTER & MAMANI,
1982). Mit der Absicht, die rechtliche Benach-
teiligung, soziale Ausgrenzung und Ausbeu-
tung in einem Staatswesen mit einer republi-
kanischen Verfassungen zu legitimieren, wur-
de den indios mit rassistischen Argumenten
eine biologische und soziale Minderwertigkeit
zugeschrieben.4
In der mexikanischen Revolution 1910/ 1911
entstand ein Gesellschaftsprojekt, das in den
kommenden Jahrzehnten in zahlreichen weite-
ren lateinamerikanischen Ländern Fuß fassen
sollte: das Projekt des mestizischen National-
staats. Mit diesem Konzept eng verbunden ist
der integrationistische indigenismo, eine
modernisierungstheoretische Vorstellung, der
zufolge der Prozess der "nation-buildung" eine
homogenisierende Wirkung in einem evolutio-
nistischen Sinne haben werde. Es wird davon
ausgegangen, dass ethnische Identität (wel-
cher Definition auch immer) in einer modernen
Gesellschaft eine Übergangssituation sei.5
Weiterbestehende ethnisch-kulturelle Aus-
drucksformen werden als Traditionen hinge-
nommen oder als Folklore gefördert (URBAN &
SHERZER, 1991:11f), sofern sie nicht einer
Integration in das Nationalstaatkonzept entge-
genstehen.
Seit dem ersten Interamerikanischen Indige-
nisten-Kongress 1940 im mexikanischen
Pátzcuaro wurde die staatliche Politik in Me-
xiko gegenüber den indio-Gemeinschaften
vom Konzept des integrationistischen indige-
nismo bestimmt. Von Mexiko aus verbreitete
es sich auf dem gesamten Kontinent, wobei
dem in Mexiko gegründeten Instituto Indige-
nista Interamericano eine besondere Rolle des
politischen und wissenschaftlichen Austauschs
und der Kooperation zufiel.
Bei dieser indigenismo-Politik ging und geht es
weiterhin nicht darum, die indigenen Kulturen
als gleichwertig neben anderen Kulturen inner-
halb der jeweiligen Staaten anzuerkennen.
Ethnischer Pluralismus wird zwar von den
Staaten als Faktum konstatiert, jedoch nicht
als ein Gesellschaftsmodell der Zukunft ange-
sehen (BONFIL, 1981:15). Der mexikanische
Anthropologe BONFIL BATALLA stellt vielmehr
fest, dass es seitens der Staaten, Kirchen und
4 DEMELAS, 1981 belegt dies vorzüglich am Beispiel Bolivien. 5 In Lateinamerika gehört diese Position zum Mesti-zaje-Modell (siehe AGUIRRE BELTRÁN, 1956), eine Übersicht der mexikanischen Diskussion in MAIHOLD, 1986.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
5
Parteien in Lateinamerika Bemühungen gab,
eigenständige Organisierungsprozesse der in-
digenen Bevölkerung zu verhindern. Je nach
politischer Situation geschah dies entweder
durch Konfrontation oder durch Manipulation
indigener Organisationen (BONFIL, 1981:13ff),
etwa von z.B. Gemeindeorganisationen, Ver-
bänden unabhängiger campesinos oder auch
ethnisch-politischer Organisationen, wie sie im
20. Jahrhundert entstanden waren. Dass die
Strategie der Assimilation oder Vereinnah-
mung von Organisationen vielfach nicht lang-
fristig erfolgreich war – wie die Beispiele der
Kuna in Panama (HOWE, 1991), der Shuar in
Ecuador (HENDRICKS, 1991), der Mapuche in
Chile u.a. zeigen – lässt sich als ein Beweis für
die kulturelle Stärke dieser Völker bewerten.
In ihrer Auseinandersetzung mit den Folgen
des integrationistischen indigenismo entwi-
ckelten kritische Anthropologen in Mexiko (die
wichtigsten Vertreter waren Bonfil Batalla, Ste-
fano Varese und Arturo Warmann), ab Ende
der 60er Jahre mit dem etnodesarrollo ein
eigenes neo-indigenistisches Modernisie-
rungskonzept, das schnell auch in den ande-
ren lateinamerikanischen Ländern bei eher
kritischen Intellektuellen Verbreitung fand:
Dieses Konzept zielte auf Anerkennung der
ethnischen Gruppen und ihrer Kulturen inner-
halb der Nationalstaaten. Statt staatlich ge-
planter Entwicklungsstrategien für die indige-
nen Völker sollte der Staat selbstbestimmte
Entwicklungsprozesse fördern und lokale Au-
tonomie zulassen. In entsprechenden Ent-
wicklungsprojekten der Vertreter des etnode-
sarrollo lagen die Schwerpunkte auf der Förde-
rung der indigenen Sprachen und der zwei-
sprachigen Schulbildung, des indigenen Wis-
sens und traditioneller Gesundheitsversor-
gung.
Bedeutungsvoll war, dass die Forderung, den
“indianischen Stimmen Gehör zu verschaffen“
praktische Konsequenzen hatte. Auf nationaler
und internationaler Ebene fanden Kongresse
mit Repräsentanten von Organisationen statt,
die sich selbst als “indigen“ bezeichneten und
eigene Konzepte vertraten, die als indianismo
zusammengefasst werden können. Im Unter-
schied zum Begriff indigenisimo, der sich histo-
risch aus dem Konzept des integrationsisti-
schem indigensimo ableitet, drückt der Begriff
indianismo eine eigenständige ideologische
Konstruktionen der indigenen Völker aus, in
denen ethnische bzw. kulturelle Aspekte vor-
rangig sind (siehe MORIN, 1982; BONFIL
BATALLA, 1991). Ein geschichtlicher Meilen-
stein wurde der 2. Kongress von Barbados
1977. Die Dokumentation der politischen Posi-
tionen und Forderungen indigener Aktivisten
(Sammlungen in BONFIL BATALLA, 1981;
GRÜNBERG, 1982; MÜNZEL, 1980) sowie gesell-
schaftskritischer Schriften einzelner indianisti-
scher Intellektueller, die teilweise bereits aus
den 60er Jahren stammten (z.B. des boliviani-
schen Quechua FAUSTO REINAGA, 1969 und
seines Sohnes RAMIRO REYNAGA, 1972 und
des Maya POP CAAL, 1974)6, zeigen nicht nur,
wie gesellschaftliche Zustände aus indianisti-
scher Position wahrgenommen wurden. Sie
vermitteln darüber hinaus einen Eindruck des
politischen Denkens und der politischen Re-
deweisen, die sich als indigen verstehen. Dass
derartige indigene politische Diskurse nicht
“das ganz andere“ Denken und Sprechen sind,
sondern sich sowohl in einer dialektischen
Form auf die hegemonialen Ideologien bezie-
hen, wie auch mit westlichen Begriffen und
Konzepten arbeiten, ist nicht zuletzt Produkt
des Bildungsweges dieser Intellektuellen in-
nerhalb christlich-abendländischer Normen.
Hinzu kommt die externe Einflussnahme (Anth-
ropologen, Solidaritätsbewegung, politikerfah-
rene nordamerikanische indianische Organisa-
tionen etc.).
In der Aktualität werden die Begriffe indio und
indígena von Staat zu Staat und teilweise auch
innerhalb eines Staates unterschiedlich ver-
wendet, sie drücken aber eine weitgehend
paternalistische Einstellung im Umgang mit der
so bezeichneten Bevölkerung aus, die biswei-
len nicht frei ist von rassistischen Zügen. Im
Bewusstsein der als indio bezeichneten Ak-
teure ist der pejorative Gehalt dieses Begriffes
fest verankert. Doch während die einen, wie
der indianistische Ideologe Ramiro Reynaga,
die abwertende Kennzeichnung zum Kampf-
begriff ummünzen (“Nos aplastaron con el
6 Sämtliche Dokumente in BONFIL BATALLA, 1981
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
6
nombre de indios y con ese nombre nos va-
mos a levantar“, so der Titel der Schrift von
REYNAGA, 1990) und Parteien mit dem Zusatz
“Partido Indio“ gründen, lehnen andere diese
Bezeichnung strikt ab. Wenn sie sagen: “ya no
somos indios“, verweisen sie damit auf die
Geschichte ihrer grausamen Unterdrückung.
Hier zeigen sich bereits Differenzen, die nicht
nur ein Streit um Worte sind. Wenn sich heute
in der internationale Gemeinschaft der Begriff
“indigen“ durchgesetzt hat, dann ist dies der
Versuch, eine “neutrale“ Bezeichnung für die
einheimischen Völker Amerikas und auch der
anderen Kontinente zu finden (siehe ILO-Kon-
vention7).
Der “verschwommene Begriff des Ethnischen“
(MÜNZEL, 1985:6f) wird zum Angelpunkt der
Erklärungsansätze “indianischer“ Bewegungen
und politischer Organisierung, die die kulturelle
Identität in den Mittelpunkt ihrer Selbstdefini-
tion und ihrer Diskurse stellen. Die nicht-euro-
päisch-stämmigen Akteure haben zwar durch-
aus keine einheitliche politische Position und
kein gemeinsames Selbstverständnis. Den-
noch gewinnt das Konstrukt indígena, das
soziale und kulturelle Gemeinsamkeit gegen-
über europäisch-stämmigen und mestizischen
Machtgruppen konstruiert, zunehmend an poli-
tischer Bedeutung.
Im Alltagsleben fällt die Antwort auf die Frage
nach dem Selbstverständnis und der Identität
indigener Bevölkerung viel komplexer aus
als in den ethnisch-politischen Diskursen. Zwar
ist all denjenigen, die sich als indígenas oder
originarios definieren gemeinsam, dass sie
Gesellschaftsschichten angehören, die auf-
grund der kolonialen und postkolonialen Ge-
schichte von gesellschaftlicher Macht ausge-
schlossen waren. Zu Recht aber verweist
DEGREGORI (1993) mit Bezug auf das Konzept
multipler Identitäten darauf, dass indígena-
Sein ein soziales Konstrukt ist, welches in der
Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen
Bedingungen und in Interaktion mit anderen
Identitäten konstruiert wird – mit der regionalen
Identität, der Zugehörigkeit zu einer Klasse,
7 Das Dokument kann u.a. auf der Website www.gtz.de/indigenas/deutsch/internationale-instrumente/ilo169.htm eingesehen werden.
einer Generation, dem Geschlecht und als
Bürger eines Landes – und diese Identitäten je
nach gesellschaftlichem Kontext vom Indivi-
duum gewichtet werden. Die Konstruktion ei-
nes neuen politischen Subjektes, das sich
pueblo indígena, pueblo originario oder
nacionalidad nennt, entsteht also im Rahmen
gesellschaftlicher Prozesse, in denen kolonial
verwurzelte Strukturen der Ausgrenzung und
Benachteiligung der indios – trotz demokrati-
scher Staatsverfassungen – noch nicht über-
wunden sind. Die Diskrepanz zwischen dem
nationalstaatlichen Integrationsversprechen
und der von Rassismus geprägten Lebens-
wirklichkeit der ländlichen und städtischen
Bevölkerung indigener Herkunft begründet
eine Identitätssuche und den Erfolg des india-
nistischen Diskurses (vgl. STRÖBELE-GREGOR,
1992, 1997; DISKIN, 1992). Dass dabei der
Begriff nacionalidad bei der nicht-indigenen
Bevölkerung nicht selten Ängste vor separatis-
tischen Bewegungen schürt bzw. einigen Poli-
tikern als Begründung der Ablehnung eines
politischen Dialoges mit ethnisch-politischen
Organisationen dient, zeigt das Spannungs-
verhältnis zwischen den gesellschaftlichen
Gruppen.
Die neuen ethnisch-politischen Diskurse und
Definitionen finden auch Eingang in internatio-
nale Organisationen. MARTÍNEZ-COBO (1987)
kam in seiner Studie im Auftrag der UN zu
einer Definition, die zum internationalen Stan-
dard wurde:
“Indigenous communities, peoples and nations
are those which, having a historical continuity
with pre-invasion and pre-colonial societies
that developed on their territories, consider
themselves distinct from other sectors of the
societies now prevailing in those territories, or
parts of them. They form at present non-domi-
nant sectors of societies and are determined to
preserve, develop and transmit to future gen-
erations their ancestral territories, and their
ethnic identity, as the basis of their continued
existence as peoples, in accordance with their
own cultural patterns, social institutions and
legal systems“ (MARTÍNEZ-COBO, 1987:379ff).
Die 1989 von der ILO (Internationale Arbeits-
organisation) vorgelegte Konvention 169 über
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
7
“eingeborene und in Stämmen lebende Völker
in unabhängigen Staaten“, die mittlerweile ein
Meilenstein im Hinblick auf die Anerkennung
neuer rechtlicher Schutzstandards bezüglicher
dieser Völker und zum wichtigsten Mobilisie-
rungsinstrument geworden ist (KUPPE,
2002:108), stellt zudem klar, dass der hier
verwendete Terminus Volk nicht das Selbstbe-
stimmungsrecht im Sinne des Völkerrechts
meint.
Die ILO-Konvention 169 definiert folgende
Grundrechte:
Das Recht auf traditionelles Land und Ter-
ritorien (siehe RATHGEBER in diesem Band)
Die Gewährleistung der örtlichen Kontrolle
bzw. Mitbestimmung über die Nutzung na-
türlicher Ressourcen
Das Recht auf Selbstbestimmung im Sinne
interner Selbstverwaltung
Das Recht auf Erhalt der politischen, wirt-
schaftlichen und sozialen Systeme indige-
ner Völker
Schaffung allgemeiner Arbeitnehmerrechte
Förderung lokaler Produktion
Adäquate soziale Absicherung
Zugang zu Schul- und Ausbildung - unter
Berücksichtigung indigener Sprachen -
sowie zum Gesundheitswesen
2. Gesellschaftliche Lage – Gemeinsam-keiten und Unterschiede
Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der
Wirtschafts- und Arbeitswelt, mit Glaubensvor-
stellungen, sozialen Strukturen und Organisa-
tionen sowie den wesentlichen Aspekten des
gesellschaftspolitischen Kontextes, in denen
indigene Völker Lateinamerikas leben. Auf
diese Weise sollen Eckpfeiler der indigenen
Lebenswelten knapp umrissen werden. In den
weiteren Kapiteln des Bandes werden viele der
hier angesprochenen Fragen vertieft, darüber
hinaus auch weitere Themen in den Blick ge-
rückt.
Allgemeine Merkmale
Vor dem Hintergrund der großen kulturellen
Diversität der jeweiligen indigenen Völker ha-
ben die Folgen der allgemeinen gesellschaftli-
chen Entwicklungen im letzten Drittel des
20. Jahrhunderts in Lateinamerika zu sehr un-
terschiedlichen Ausformungen in deren Le-
benswelten geführt. Damit verbieten sich Ver-
allgemeinerungen. Das gilt für die Lebensstile
in den Städten ebenso wie für die Lebens-
muster in den unterschiedlichen ländlichen
Regionen. Wenngleich die städtische indigene
Bevölkerung stetig anwächst, lebt ein Großteil
immer noch auf dem Land.8
Die Wirtschafts- und Arbeitsformen, sozialen
Strukturen und politischen Organisationen
unterscheiden sich erheblich bei den jeweiligen
Kulturen.9 Sie sind – außer bei Völkern in geo-
grafisch entlegenen Regionen, die viele ihrer
traditionellen Lebensmuster bis in die 2. Hälfte
des 20. Jahrhunderts erhalten haben – ein
Amalgam aus kolonialzeitlichen, republikani-
schen und kulturell eigenständigen Strukturen.
Wandlungsprozesse finden in einem zuneh-
mend beschleunigten Tempo statt, betreffen
viele Lebensbereiche und haben Einfluss auf
die sozialen Beziehungen und Geschlechter-
rollen. Sie eröffnen den Zugang zu neuen
Kenntnissen und Technologien, zugleich ist
der Verlust an traditionellem Wissen und Prak-
tiken beispielsweise in der Medizin, in der
8 Verlässliche Daten liegen kaum vor. Erschwerend für einen Vergleich ist zudem die Uneinheitlichkeit in den Zensi, ab wann eine Lokalität als städtisch („urbano“) bezeichnet wird. 9Der hier verwendete Begriff der Kultur basiert auf der Definition der Kulturanthropologie (HARRIS,1989; VIVELO, 1988) und bezeichnet die Gesamtheit der „Lebensweise“ eines Volkes. Es ist die von den Mitgliedern einer bestimmten Gesellschaft sozial erlernte Weise des Denkens, Empfindens und Han-deln, die Artefakte, Institutionen, Ideologien und ihrer Organisation sowie die gesamte Breite ge-bräuchlicher Verhaltensweisen, mit denen eine Gesellschaft für die Ausbeutung ihrer besonderen Umwelt ausgestattet ist. Die Kontinuität von Lebens-formen erfolgt durch Enkulturation, d.h. durch teils bewusste, teils unbewusste Lernprozesse. Lernen beinhaltet auch Veränderung. Kulturen sind nicht statisch. Die Kulturanthropologie betont die Funktion der Kultur als Anpassungsmechanismus. In der Auseinandersetzung mit der natürlichen und sozia-len Umwelt sowie durch Übernahme oder Übertra-gung von kulturellen Verhaltensweisen anderer Kulturen oder Gesellschaften vollziehen sich einfa-che Innovationen oder auch komplexe Wandlungs-prozesse. Eine Gesellschaft wird in diesem Ansatz als eine Gruppe oder Population von Menschen bezeichnet, die entweder physisch oder durch ihre Kultur von anderen, ähnlichen Einheiten getrennt ist.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
8
nachhaltigen Landwirtschaft und im Umgang
mit der Natur unübersehbar.
Armut und extreme Armut kennzeichnen die
Lebenssituation der Mehrheit der indigenen
Völker Lateinamerikas, wie internationale Stu-
dien z.B. der Weltbank (PSACHAROPOULOS &
PATRINOS, 1994) und der Interamerikanischen
Entwicklungsbank (DERUYTTERE, 1997) bele-
gen. Das gilt für die städtische, aber mehr
noch für die ländliche Bevölkerung. Als ein
besonders aussagekräftiges Beispiel führt DEL
ALAMO (2003:10) die Munizipien in Mexiko an.
Das Armutsniveau ist in Munizipien mit erhöh-
ter indigener Bevölkerung (über 80%) 4-mal so
hoch wie in Munizipien mit geringem Anteil und
der Anteil von extremer Armut liegt fast 20-mal
höher. In Bolivien gelten 50% der Gesamtbe-
völkerung als arm, davon sind zwei Drittel indi-
gene Völker. In Guatemala leben zwei Drittel
der Gesamtbevölkerung unter der Armuts-
grenze, davon sind über 90% Indigene (DEL
ALAMO, 2003:11). Zu den Armen gehören ins-
besondere auch die Landlosen, die in Abhän-
gigkeitsverhältnissen auf großen Landgütern
(hacienda) leben oder Saisonarbeiter, die von
einer Arbeitsstelle zur anderen ziehen müssen,
um ihr Überleben zu fristen.
Armut ist dabei nicht nur am Einkommen zu
messen, sondern auch an weiteren Sozialda-
ten wie u.a. der Zugang zum Schulwesen, zur
Gesundheitsversorgung, der Ausbildungsstand
sowie gesellschaftliche Teilhabe an Entschei-
dungen über Ressourcenverteilung und -nut-
zung. Doch die jeweiligen nationalen Gesell-
schaften ziehen aus diesen Analysen bisher
kaum ausreichende Konsequenzen, um die
Situation grundlegend zu verändern. Rassis-
mus – offen oder verdeckt – spielt dabei eine
nicht unerhebliche Rolle. Denn die Marginali-
sierung und der Ausschluss der indigenen
Bevölkerung, sind weiterhin im gesellschaftli-
chen Leben präsent. Das gilt auch für jene
Staaten, die im Verlauf der 80er und 90er Jah-
re Rechtsreformen zugunsten der indigenen
Bevölkerung verabschiedet haben. Im Prozess
von Staatsmodernisierung und De-
zentralisierung kam es in mehreren Ländern
zwar zur Stärkung von Selbstverwaltungs-
strukturen (siehe FELDT in diesem Band), je-
doch zeigt der Aufstand in Bolivien im Oktober
2003, dass sich die indigene Bevölkerung noch
weiterhin von den maßgeblichen politischen
und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen
ausgeschlossen fühlt.
Komplexe Wirtschaftsstrategien der länd-lichen Bevölkerung
Ein Großteil der indigenen Völker lebt von der
kleinbäuerlichen Subsistenzwirtschaft, die je
nach Region ganz unterschiedliche Formen
und Ausprägungen hat und eine Markteinbin-
dung auf niederem Niveau einschließt. Hinzu
kommen Strategien, die auf vorspanischer
Tradition beruhen: etwa bestimmte Formen der
Kollektivarbeit, der Gegenseitigkeits- und Aus-
tauschbeziehungen sowie soziale Netzwerke,
die auf Verwandtschafts- und Patenbe-
ziehungen basieren. Die Kombination dieser
beiden Produktionssphären ist ebenfalls ein
Ausdruck für das kulturelle Amalgam: Eine
“traditionelle“ nicht-kapitalistische Agrarpro-
duktion auf der Grundlage von Familienwirt-
schaft samt Austausch von Gütern und Ar-
beitskraft innerhalb der Gemeinschaft wird
verbunden mit Lohnarbeit innerhalb der Ge-
meinschaft, dem Verkauf von Produktions-
überschüssen oder mit der Produktion für den
lokalen oder städtischen Markt. Dies erlaubt
den Zugang zur Geldwirtschaft und zu anderen
Produkten (siehe NAASE, FELDT & SPOHN in
diesem Band).
In einigen Ländern, in denen im Verlauf des
20. Jahrhunderts Landreformen durchgeführt
wurden (Mexiko, Bolivien, Peru, z.T. Ecuador),
erhielten indigene Bauern im Hochland zwar
eigenes Land – sei es als individuelles Privat-
eigentum, in Form von Kollektivbesitz oder
kollektiver Nutzungsrechte – doch aufgrund
des Bevölkerungswachstums bot dies bereits
für die folgenden Generationen kaum mehr
eine ausreichende Lebensgrundlage. Zudem
ist der größte Teil des für die Landwirtschaft
gut geeigneten Bodens zumeist im Besitz von
wenigen Großgrundbesitzern – auch in Län-
dern, in denen Agrarreformen durchgeführt
wurden.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
9
Foto: Partizipativer Taller in einer Mapuche Gemeinde in Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)
Zu den Ursachen, die die Armutssituation seit
den 80er Jahren verschärft haben, gehören die
Wirtschaftskrise der 80er Jahre, nationale und
internationale Wirtschaftspolitiken sowie die
Interessen einzelner Machtgruppen z.B. Groß-
grundbesitzer, internationale Großunterneh-
men, bisweilen auch das Militär (Guatemala).
So unterschiedlich die geografischen und kul-
turellen Kontexte auch sind, etwa zwischen
Kleinbauern-Gemeinschaften im Hochland,
Küsten-Fischern und Waldbauern in Amazo-
nien oder Zentralamerika, die negativen wirt-
schaftlichen Folgen des Raubbaus an natürli-
chen Ressourcen und die Auswirkungen neoli-
beraler Wirtschaftspolitik ähneln sich
(ALTVATER, 1992). Denn das Zusammenwirken
von Deregulierung, Privatisierung der Wirt-
schaft und staatlicher Kompetenzen, so zeigen
zahlreiche Untersuchungen, belasten insbe-
sondere arme Bevölkerungsgruppen
(ALTVATER & MAHNKOPF, 2004), vor allem auch
die indigenen Völker (zu neoliberaler Wirt-
schaftspolitik in Lateinamerika siehe u.a.
DIRMOSER ET AL., 1993). So bedeutet bei-
spielsweise der Vorrang weltmarktorientierer
Produktion vor Nahrungssicherung im eigenen
Land (FELDT & KRÄMER, 1997; WINDFUHR,
1997) auch für viele Kleinbauern eine schlech-
tere Versorgung mit Grundnahrungsmitteln;
und die großflächige Verseuchung von Böden
und Gewässern als Folgen der Alumini-
umproduktion, die internationale Unternehmen
nach Brasilien ausgelagert haben, führen zu
Gesundheitsschäden der Anwohner und Ver-
lust von landwirtschaftlich bewirtschaftbaren
Böden (MÜLLER-PLANTENBERG, 1992) (siehe
auch ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band).
Das Wirtschaften von indigenen Kleinbauern
muss notwendigerweise verschiedene ein-
kommensschaffende Tätigkeiten kombinieren,
um das Überleben zu sichern. Dazu gehört
u.a. der Handel, das Handwerk, die Saisonar-
beit in anderen Landesteilen oder Ländern
etwa in der Kaffee- oder Zuckerrohrernte, im
Bergbau und in – meist schlecht bezahlten –
Aushilfsarbeiten. Von den, verglichen mit In-
dustriegütern, niedrigen Preisen für ihre traditi-
onellen landwirtschaftlichen Produkte können
die campesinos ihre Familie immer weniger
ernähren. Verschärft wurde die wirtschaftliche
Situation der campesinos durch die Öffnung
der nationalen Märkte, verbunden mit einer
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
10
Senkung der Zollschranken u.a. für Importpro-
dukte, eine Maßnahme der wirtschaftspoliti-
schen Anpassung seit Mitte der 80er Jahre.
Die niedrigen Einkommen aus der Landwirt-
schaft und die Schwäche des Arbeitsmarktes
erfordern also eine kombinierte Wirtschafts-
form, einschließlich der Aufrechterhaltung “tra-
ditioneller“ ökonomischer und sozialer Hand-
lungsmuster. Im Kontext dieser widrigen öko-
nomischen Bedingungen werden auf lokaler
Ebene durchaus auch Wirtschaftsstrategien
erprobt, die nicht nur das knappe Überleben
sichern sollen, sondern ein nachhaltiges Wirt-
schaften als Grundlage für eine eigenständige
Entwicklung (RATHGEBER, 2002). Dabei werden
überlieferte gemeinschaftliche Wirtschaftsfor-
men und kulturell tradiertes landwirtschaftli-
ches Wissen zur Nutzung der natürlichen Res-
sourcen wieder belebt und experimentell weiter
entwickelt unter Einbeziehung von “neuem“
Wissen und Verfahren. Die neuen Strategien
beinhalten u.a. eine Kombination von Nah-
rungssicherheit, wirtschaftliche Diversifizierung
einschließlich kommerzieller Anbaukulturen
z.B. im Bereich der Bioprodukte oder anderer
Nischenprodukte für den externen Markt (siehe
auch NAASE, FELDT & SPOHN in diesem Band).
Oftmals stehen das Fehlen von Infrastruktur,
der Mangel an Krediten und an technischer
Aus- und Fortbildung u.s.w. dem Erfolg entge-
gen. Dann werden häufig andere Einkom-
mensquellen gesucht. Das reicht von Ethno-
und Öko-Tourismus bis hin zur der illegalen
Koka-Produktion.
Eine weitere Strategie ist die Abwanderung in
andere Regionen des Landes z.B. in Urwald-
regionen (Kolonisationsmigration) oder in die
Städte, in denen die Migranten das Heer der
Arbeitssuchenden in den marginalen Stadt-
randsiedlungen ständig vergrößern, aber auch
dem informellen Sektor Auftrieb geben (siehe
weiter unten sowie GOLTE & ADAMS, 1987;
STEINHAUF, 1991).
Neben der Charakterisierung als “Ärmste der
Armen“ werden die indigenen Völker insbe-
sondere im internationalen Diskurs (z.B. die
“Resolution of 30 November 1998“ der EU) als
Schützer der Natur bezeichnet, weil sie – und
damit sind in Lateinamerika vor allem die
Waldvölker Amazoniens und des mittelameri-
kanischen Biokorridors gemeint – in besonde-
rer Weise in ihren Lebensformen mit der Natur
verbunden sind. Daher ergibt sich, so der in-
ternationale Tenor, die Notwendigkeit ihres
besonderen Schutzes und der Förderung ihrer
Kulturen. Es ist höchste Zeit wirksame
Schutzmaßnahmen zu ergreifen. In vielen
Ländern raubt der Zugriff von Unternehmen
und Händlern auf indigenes Gemeinschafts-
land, auf traditionelles indigenes Wissen und
marktattraktive Naturressourcen sowie ver-
seuchte Gewässer, Wassermangel und Erosi-
onen als Folge von Bergbau oder Großprojek-
ten etc. den ansässigen Gemeinschaften ihre
Lebensgrundlage (hierzu siehe die Artikel von
FELDT, ROSSBACH DE OLMOS UND RATHGEBER in
diesem Band. Auch wenn dem Einzelnen oder
der indigenen Gemeinschaft mittlerweile der
Weg der rechtlichen Klage offen steht – und
auch immer häufiger beschritten wird – so
bedeutet dies längst nicht, dass sie damit ihren
Lebensraum unbeschadet erhalten können.
Mit der Verknappung von bewirtschaftbarem
Land und überlebensnotwendigen Ressourcen
nehmen auch die Konflikte zwischen Nachbar-
gemeinschaften und ethnischen Gruppen in
erheblichem Maße zu. Kleinere und schwä-
chere Gemeinschaften werden durch das Vor-
dringen von Siedlern – seien es Mestizen oder
indigene Migranten – von ihrem Territorium
verdrängt.
Landlose und jene, deren kleiner Landbesitz
nicht zur Ernährung der Familie ausreicht,
suchen Arbeit bei Großgrundbesitzern oder in
Agrounternehmen. Berichten von Menschen-
rechtsorganisationen zufolge gibt es weiterhin
landwirtschaftliche Großunternehmen, Agro-
Industrien und Plantagen mit miserablen Ar-
beits- und Lebensbedingungen, Gewaltstruktu-
ren, unzureichenden oder fehlenden Sozial-
leistungen und Unterschreitung der Mindest-
löhne, beispielsweise in Zentralamerika
(WOLPOLD-BOSIEN, 1999). Schuldknechtschaft
und sklavereiähnliche Bedingungen entgehen
den Augen der Öffentlichkeit, auch wenn es
sich nicht um extrem abgelegene Regionen
handelt. Unter solchen Bedingungen leben
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
11
zahlreiche Guaraní in Ostbolivien (ALBÓ,
1990:202f). Wirtschaftliche Abhängigkeit und
Ausbeutung kennzeichnete zumindest bis in
die 80er Jahre die Situation der Maya in Chia-
pas (LEBOT, 1997:34f) und der Saisonarbeiter
in der Agro-Industrie an der Pazifikküste in
Guatemala. Nicht selten hat sie Verschuldung
in Lohnknechtschaft getrieben, die sich auch
auf ihre Kinder überträgt.
In der wissenschaftlichen Diskussion ist es
mittlerweile Mehrheitsmeinung, dass das
Wohlergehen vieler indigener Gemeinschaften
und die Respektierung ihrer Menschenrechte
zu einem wesentlichen Teil davon abhängen,
dass der permanente Besitz des Territoriums
und dessen Selbstverwaltung garantiert sind
(BARIÉ, 2002:556). Diese Hypothese über kul-
turelle Reproduktion geht von einer direkten
Beziehung zwischen kollektiven Territorial-
rechten, Autonomie, Menschenrechten und
nachhaltiger menschlicher Entwicklung aus
(STAVENHAGEN, 2002:57). Zahlreiche Beispiele
belegen dies insbesondere für Völker der Tief-
landregionen, aber auch für Hirten und Acker-
bauern. Die Landvertreibung bzw. -zerstörung
bedeutet daher in vielen Fällen ein Menschen-
rechtsverbrechen.
Allerdings gibt es auch Beispiele, wie Migran-
ten eigenständige kulturelle Muster im städti-
schen Kontext oder in Kolonisationszonen
erhalten, sie kreativ den neuen Bedingungen
anpassen oder sogar besonders stark ihre
kulturelle Identität betonen (siehe auch
SPEISER in diesem Band).
Verschiedene kulturelle Wurzeln der indigenen Lebenswelten
Die eigenständigen indigenen Kulturen der
Gegenwart haben verschiedene Wurzeln. We-
sentliche Elemente der vorspanischen Kulturen
konnten sich in vielen Gemeinschaften erhal-
ten. Es sind die ländlichen indigenen Gemein-
schaften im ehemaligen unmittelbaren Ein-
flussgebiet der spanischen Herrschaft, in de-
nen die Amalgame zwischen vorspanischer
und kolonialspanisch-mittelalterlicher Kultur
noch am stärksten gegenwärtig sind. Aber
auch hier finden ständige Prozesse der Integ-
ration neuer kultureller Elemente und der In-
teraktion statt. Die weitgehend autonomen
Völker Amazoniens konnten noch am stärksten
einen Großteil ihrer kulturellen Lebensformen
und Glaubenswelt bis in die Gegenwart be-
wahren – sofern sie nicht in den letzten Jahr-
zehnten von protestantischen Evangelikalen
missioniert wurden. Dies ist ein kultureller
Zugriff, dem viele Küstenvölker der zentral-
amerikanischen Atlantikküste schon in den
vergangenen Jahrhunderten ausgesetzt waren
und der, wie bei den Misquito und Mayagna
die eigene Lebenswelt sehr durchdrungen hat
(ROSSBACH, 1987; VON OERTZEN, 1999). Auto-
chthone religiöse Vorstellungen und Praktiken
wurden während der Kolonialzeit verschleiert
oder im Verborgenen praktiziert. Andere Ele-
mente, wie beispielsweise die andine Rationa-
lität der sozialen Organisation der Arbeit
(GOLTE, 1980), in deren Rahmen Gemein-
schaftsarbeiten und der Austausch von Ar-
beitskraft innerhalb der comunidad nach kultu-
rell festgelegten Regeln organisiert wurden,
wussten koloniale und postkoloniale Grund-
herrn zu ihrem Profit auszubeuten.
Wurzeln geschlagen haben vor allem die Sozi-
alstrukturen der Kolonialzeit, sie sind im Be-
wusstsein der indigenen Bevölkerung zu Aus-
drucksformen der eigenen Kultur geworden:
Bereits die als typisch indigen angesehene
comunidad, die Dorfgemeinschaft, ist ein A-
malgam aus vorkolonialen Strukturen, bei-
spielsweise dem ayllu in den Anden, mit spani-
schen Organisationsstrukturen der Kolonial-
zeit. Gleiches gilt für die malerischen Trachten
der Frauen und Männer in Mexiko, Guatemala
oder den Andenländern. Die Jesuiten schufen
in ihren Reduktionen10 eine eigene religiöse
Tradition und Kultur und begründeten vielerorts
neue ethnische Gemeinschaften, in dem sie
Angehörige verschiedener Ethnien zu einer
einzigen Gemeinschaft zwangshomogenisier-
ten. Solche Neo-Ethnien sind beispielsweise
10 Es handelt sich um Dorfgründungen, in die aus-schließlich Angehörige indigener Ethnien gebracht wurden. Ziel war die “Zivilisierung“ und “Christiani-sierung“ durch Erziehung zu einer christlichen Le-bensführung und Arbeit in einer sich selbst tragen-den Wirtschaftsgemeinschaft. Das bedeutete auch “Schutz“ der Ethnien vor dem direkten “Kontakt“ mit der kolonialspanischen Außenwelt (vgl. HAUSBERGER, 2000; KONNETZKE, 1970; PRIEN, 1985).
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
12
die Chiquitano und Moxeño in Ostbolivien. In
anderen Regionen gelang den Jesuiten der
Bruch mit der Herkunftskultur weniger voll-
ständig, jedoch sind auch bei den Guaraní
(Paraguay) oder den einstigen Jäger- und
Sammlervölkern Nordwest-Mexikos die Spuren
der katholischen Missionierung nicht zu über-
sehen (HAUSBERGER, 2000).
Zu den Bereichen, auf denen Amalgamisie-
rungsprozesse zu folgenreichen interkulturel-
len Missverständnissen führen können, gehört
die politische Kultur. Außenstehende haben oft
Schwierigkeiten, die verschiedenen Strukturen
der Repräsentanz bzw. den Umgang von Indi-
genen mit westlichen sozialen Organisations-
formen zu begreifen: Für die akephal, d.h.
ohne zentrale politische Instanzen und ohne
Herrschaft organisierten Völker Amazoniens ist
ein dirigente oder líder kein Repräsentant, der
verbindlich für “seine“ Gruppe sprechen oder
gar Verträge abschließen kann, an die sich alle
gebunden fühlen. Auch in Verbänden, die äu-
ßerlich westlichen Strukturen entsprechen –
etwa ein sindicato (Gewerkschaft), eine asoci-
ación (Vereinigung) oder confederación (Ver-
band) – herrschen eigene kulturelle Normen
(STRÖBELE-GREGOR, 1992) (siehe weiter unten
sowie FELDT in diesem Band).
Ein weiteres Amalgam verschiedener Kulturen
ist das Geschlechterverhältnis und die Rolle
der Frau, zumindest in den Regionen unter
ehemals direktem kolonial-katholischem Ein-
fluss. Zwar wurden die herrschenden konser-
vativ-katholischen Rollenbilder, Moralvorstel-
lungen und Praktiken in den indigenen Gesell-
schaften, selbst dort, wo der Missionierungs-
druck, wie in den Jesuitenreduktionen, beson-
ders groß war, nie vollständig übernommen.
So genoss Jungfräulichkeit in vielen Gemein-
schaften keine besondere gesellschaftliche
Wertschätzung. Aber christliche Rollenbilder
förderten asymmetrische Geschlechterbezie-
hungen und Überlegenheitsansprüche von
Männern.
Dass dieser Einfluss das Geschlechterverhält-
nis aber nicht überall einschneidend verändern
konnte, zeigen Kulturen in Amazonien und die
Kultur der Raramuri (Mexiko). Hier konnten die
Frauen ihren sehr weitgehenden autonomen
Status bewahren. Sie haben gleiche Landbe-
sitzrechte wie die Männer, in der Ehe behalten
sie ihren Individualbesitz, bestimmen die häus-
liche Wirtschaft maßgeblich mit und Eheausei-
nandersetzungen können in der Öffentlichkeit
verhandelt werden. Ungleich ist ihr Zugang zu
religiösen und politischen Ämtern – davon sind
sie, mit Ausnahme auf dem Land, weitgehend
ausgeschlossen (KUMMELS, 2001).
Zaghaft beginnen sich die Geschlechterbezie-
hungen auch in jenen Kulturen, die sich durch
starke Geschlechterasymmetrie auszeichnen,
zu wandeln. Die Frauenrollen haben sich unter
den Anforderungen des Überlebenskampfes
innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Struk-
turwandels und von Verarmungsprozessen
bereits verändert: Wenn die Männer zu Zeitar-
beiten die comunidad verlassen, sind indigene
Frauen gezwungen, jene Arbeiten in der
Landwirtschaft zu übernehmen, die in der tra-
ditionellen Arbeitsteilung den Männern zuka-
men. Indigene Frauen auf dem Land organisie-
ren sich auf lokaler und lokalübergreifender
Ebene, um Erfahrungen auszutauschen und
ihre Interessen öffentlich zu machen. Der An-
stoß dazu kommt zwar oftmals von außen, von
NRO, Kirchen oder Entwicklungsprojekten,
wird aber von den Frauen interessiert aufge-
griffen. Männer sehen das nicht immer mit
wohlwollenden Augen, auch wenn sich indi-
gene Organisationen unter dem Einfluss inter-
nationaler Diskurse für die Gleichstellung der
Geschlechter aussprechen. Indigene Frauen
haben dennoch seit Mitte der 80er Jahre be-
gonnen, sich in ethnisch-politischen oder Pro-
duzentenvereinigungen zu engagieren. Sie
haben Frauenteilorganisationen in indigenen
Verbänden aufgebaut, wie den Landfrauenver-
band Bartolina Sisa in Bolivien oder den Ver-
band der indigenen Frauen Amazoniens in
enger Kooperation mit COICA (Coordinadora
de Organizaciones Indígenas de la Cuenca
Amazónica). Wesentliche Repräsentanten der
Verteidigung der Menschenrechte in Guate-
mala sind heute Frauen. Internationales Re-
nomée erwarb sich Rigoberta Menchú, die
Angehörige des Volkes der Maya-Quiché, die
für ihren Einsatz für die Menschenrechte und
Rechte der indigenen Völker 1992 den Frie-
densnobelpreis erhielt.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
13
Handeln im Rahmen religiöser Weltbilder
Die sozialen Organisationsformen, die Ord-
nungssysteme, ethische Normen und Werte
sind eingebunden in religiöse Glaubenssys-
teme und Weltbilder. Diese Glaubenssysteme
sind so vielfältig, unterschiedlich und zahlreich
wie die indigenen Kulturen, weshalb eine sys-
tematische Beschreibung kaum möglich ist.
Einzelne Beispiele können das Gewicht indi-
gener religiöser Leitsysteme im Alltagsleben
aufzeigen.
Die Religionen im amazonischen Tiefland und
jener Völker, deren Wirtschaftsweise traditio-
nell auf der Sammelwirtschaft und Jagd ba-
sierten, wie der Ayoreode (Paraguay, Bolivien)
oder der Yaqui in Nord-Mexiko, wurden – allen
Missionierungsversuchen zum Trotz – nur in
Ausnahmefällen von christlichen Religionen
überlagert. Die Präsenz und Unmittelbarkeit
ihrer Religionen manifestiert sich in der Be-
deutung von Mythen zur Erklärung und Orien-
tierung im Alltagshandeln sowie in den Vor-
stellungen von Gesundheit, Krankheit und
Heilungspraktiken, bei denen der Schamanis-
mus eine hervorragende Bedeutung hat. Sie
drückt sich aus in der Definition der Ge-
schlechterrollen und -beziehungen, in der Vor-
stellung von der “beseelten“ natürlichen Um-
welt und einer Einordnung des Menschen als
deren Teil. Dieses Ordnungssystem kennt
keine grundsätzliche Überlegenheit des Men-
schen gegenüber der natürlichen Umwelt und
einen Willen zu ihrer Beherrschung (VON
BREMEN, 1990:309) und hat es ermöglicht,
dass diese Völker die natürlichen Ressourcen
in beispielhafter Weise nachhaltig nutzen. Dort,
wo die Marktwirtschaft oder neue Produkti-
onsweisen vordringen, wo der Lebensraum
beschränkt wird und Lebensweisen sich frei-
willig oder unter Druck wandeln, hat dies auch
Konsequenzen auf den Umgang indigener
Bevölkerung mit der Natur: Mit neuen Wirt-
schaftsweisen wie der Viehzucht oder als
Lohnarbeiter für Holzunternehmen beginnen
so manche von ihnen, selbst an der Zerstörung
ihrer natürlichen Umwelt teilzunehmen.
Wo christliche Missionierung erfolgreicher war,
etwa in den Anden, den Küsten Südamerikas
oder in Zentralamerika und Mexiko, hat dies zu
Synkretismen und/oder zu dualen religiösen
Praktiken geführt. Ganz offensichtlich aber lebt
bei der Landbevölkerung die enge Verbindung
zur natürlich “beseelten“ Umwelt fort. Dies
manifestiert sich in Agrarriten, beispielsweise
wenn die Andenvölker Pacha Mama (Mutter
Erde) als Machtwesen, zuständig für die
Fruchtbarkeit des Bodens und der Frauen,
verehren. Der Naturraum wird durch Machtorte
wie Seen oder Bergen strukturiert. In der tradi-
tionellen Medizin vieler indigener Völker
herrscht die Überzeugung, dass solche Orte
Heilung oder Erkrankung erzeugen können.
Die strengen Riten, mit denen bestimmte Ber-
ge als Sitze der Ahnen um Schutz gebeten
werden und die Überzeugung, dass Wetterein-
brüche oder anderes Unbill, welches die Fami-
lien oder die comunidad trifft, das Werk dieser
zürnenden Ahnen ist, verdeutlichen, wie stark
das animistische Weltbild und die Beziehung
zur Natur das Leben der campesinos in den
Anden und anderen Regionen prägen (siehe
VAN DEN BERG & SCHIFFERS, 1992).
Ahnenverehrung und eine vergleichbare Be-
ziehung zur Natur kennen auch viele andere
Völker, etwa die Mapuche in Chile und Argen-
tinien oder die Maya-Völker. Bei den Maya
sind Geistwesen “Eigentümer“ jeweils be-
stimmter Naturphänomene wie der Wälder, der
Berge, des Regens, des Maises etc. und grei-
fen unmittelbar als ferne “Götter“ ins Leben der
Bauern ein. Deshalb sind sie Gegenstand be-
sonders intensiver Beachtung und Verehrung.
Für die immer von neuem zu stärkende Grup-
penidentität der Maya ist die Verehrung von
Schutzpatronen jeweils einzelner indigener
Gemeinschaften grundlegend. Sie tragen zwar
die Namen christlicher Heiliger, dahinter ste-
hen jedoch alte “Lokalgottheiten“ (LINDIG &
MÜNZEL, 1978:296). Wie stark diese Beziehun-
gen sind, zeigt sich daran, dass der Krieg in
Guatemala die Menschen zwar zeitweise von
ihren Lokalgottheiten getrennt hat, sie damit
daran hinderte, die rituellen Verpflichtungen zu
erfüllen, die notwendig sind, um die spirituelle
Beziehung in positiver Weise aufrechtzuhalten,
aber er konnte diese Beziehung nicht zerstö-
ren. SIEDER (2001) berichtet, dass der Um-
stand, die Toten im Bürgerkrieg nicht entspre-
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
14
chend der Riten und an “ihrem Ort“ begraben
zu haben, zu schweren Belastungen in den
Gemeinschaften führt (siehe auch RATHGEBER
in diesem Band).
Einen sehr weitgehenden Wandel im Glau-
benssystem und im Gemeinschaftsleben be-
wirken die zahlreichen protestantischen evan-
gelikalen und fundamentalistischen Glaubens-
gemeinschaften. Bei den Misquito und May-
agna in Nicaragua setzte dieser Prozess be-
reits im 19. Jahrhundert ein, als die Herrenhu-
ter Brüdergemeinde und die Baptisten an der
zentralamerikanischen Atlantikküste ihre Mis-
sionierung verstärkten. Seit den 1960er Jahren
missionieren die unterschiedlichsten evangeli-
kalen Religionsgruppen systematisch bei der
indigenen und afroamerikanischen Bevölke-
rung und finden eine zunehmend große An-
hängerschaft sowohl auf dem Land als auch in
der Stadt. Die Ursachen für diesen Zuspruch
sind vielfältig. Dazu gehören der anhaltende
Rassismus, der Ausschluss und die Marginali-
sierung der indigenen Bevölkerung, die Suche
nach moralischen und zugleich pragmatischen
Leitlinien, dort wo alte Weltbilder an Gültigkeit
verloren haben. Dazu gehört auch die Suche
nach Handlungsmustern, die ein erfolgreiche-
res Leben und Wirtschaften in Aussicht stellen
und nicht zuletzt die Erwartung, zu den Auser-
wählten Gottes zu gehören. Die Bereitschaft,
mit der überlieferten Kultur zu brechen,
wächst. Doch selbst diese kulturelle Entfrem-
dung vermag es nicht, tief in den Menschen
verwurzelte kulturelle Strukturen auszulöschen
– sie verwandelt sie vielmehr (STRÖBELE-
GREGOR, 1988; 1989; 2002).
Lokale Selbstverwaltung
Selbstorganisation und lokale Selbstverwal-
tung sind ein wesentliches Merkmal der indi-
genen Völker Lateinamerikas, wobei auch hier
die Vielfalt und die Unterschiede groß sind.
Die politische Organisation der Völker östlich
der Anden reicht von weitgehend egalitär-de-
zentralistischen Strukturen, die auf der Ent-
scheidungsmacht der Kernfamilie und der mit
ihr verbundenen (häufig) patrilinearen Ver-
wandtschaft basieren, über verschiedene For-
men von Häuptlingstümern, in denen bei man-
chen Gruppen Führungspositionen von zwei
Häuptlingen oder dem Schamanen neben dem
Häuptling eingenommen werden. Wieweit die-
se traditionellen Selbstverwaltungsstrukturen
erhalten bleiben, hängt auch davon ab, welche
indigenen Rechte der Nationalstaat anerkennt
und schützt.
Bei den meisten indigenen bäuerlichen Völkern
in Lateinamerika basiert die lokale Organisa-
tion auf den Strukturen der comunidad, der
Dorfgemeinschaft. Diese Dorfgemeinschaften
können unterschiedliche Ursprünge haben: Sie
können auf einer langen lokalen Tradition be-
ruhen, können von Migranten neu gegründet
oder Ergebnis von Teilungen der Gemein-
schaften bzw. Vertreibung sein.
Die Formen der soziopolitischen Organisation
sind eine Mischung kolonialspanischer Struktu-
ren, sowie vorspanischer Strukturen (wie bei-
spielsweise des ayllu in den Anden) und „mo-
derner“ Organisationsformen (wie sie vom
Nationalstaat vorgegeben werden). Dazu ge-
hört das sindicato in Bolivien, ein Produkt der
Nationalen Revolution von 1952, in dem die
dorfgemeinschaftliche Organisation mit einer
gewerkschaftlichen Struktur verbunden wurde.
Fundament lokaler Organisation vieler Dorf-
gemeinschaften der Anden und Guatemalas ist
das aus der Kolonialzeit überlieferte hierar-
chisch gegliederte Ämtersystem (cargo-Sys-
tem) mit dem jährlichen Wechsel der Amtsin-
haber und in Mexiko und Guatemala auch die
religiösen Bruderschaften (cofradías). Die Ver-
sammlung der Autoritäten und der männlichen
Haushaltsvorstände der Dorfgemeinschaft
regeln alle internen Angelegenheiten. Dabei
werden überliefertes Recht und Brauchtum,
modernes nationales Recht und staatliche
Vorgaben, sowie die unterschiedlichen lokalen
aktuellen Bedingungen pragmatisch und situa-
tionsbezogen kombiniert. Frauen haben nur
Stimmrecht, wenn sie verwitwet sind oder ei-
nen abwesenden Lebenspartner vertreten. Die
Selbstverwaltung umfasst u.a. die Organisation
von Gemeinschaftsarbeiten, Regelung der
Landnutzungsrechte bei Kollektivland, Wahr-
nehmung der Beziehungen zu staatlichen In-
stitutionen, die Durchführung religiöser Zere-
monien und Feste.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
15
In der Stadt
Nicht nur in Ländern mit starkem indigenen
Bevölkerungsanteil lebt mittlerweile ein Groß-
teil dieser Bevölkerung in den Städten. Zum
Teil gilt dies auch für jene Länder mit einem
indigenen Bevölkerungsanteil von weniger als
20%. San Cristóbal de Las Casas in Chiapas
(Mexiko) ist eine Stadt der Maya, Mexiko-Stadt
und Buenos Aires sind Sammelbecken zahlrei-
cher indigener Zuwanderer. Viele leben schon
seit Generationen in den Städten und einige
haben einen gewissen sozialen und ökonomi-
schen Aufstieg erreicht (GOLTE & ADAMS, 1987;
STEINHAUF, 1991; ALBÓ, GREAVES & SANDOVAL,
1981-1987; siehe auch SPEISER in diesem
Band).
Seit den 80er Jahren wurde die wirtschaftliche
Integration für die große Mehrheit der Zuwan-
derer aufgrund von Wirtschaftskrisen und
Strukturwandel unter neoliberalem Vorzeichen
ungleich schwerer. Die weitgehende Marktöff-
nung und Verminderung von Zöllen hat zu
einem Wandel auf dem Arbeitsmarkt geführt,
unter anderem zu den modernen, exportorien-
tierten Weltmarktfabriken der schnell anwach-
senden Freihandelszonen, den Maquilas, in
denen zunehmend auch indigene Frauen be-
schäftigt werden. Aber auch zum Abbau von
Arbeitsplätzen, Schließung von Unternehmen
und Aufhebung der Mindestlohngrenzen (z.B.
Bolivien). Die Armutsgürtel um die Großstädte
haben sich seitdem ausgedehnt und der ge-
wünschte Aufstieg gestaltete sich immer
schwieriger. Gleichwohl hält die Landflucht an;
die Migranten hoffen auf eine einkommens-
schaffende Arbeit, auf einen besseren Zugang
zum Bildungs- und Gesundheitswesen, auf
soziale Anerkennung. Viele die aus Kriegs-
oder Konfliktzonen flohen, wie in Guatemala
und Peru, oder noch fliehen, wie in Kolumbien
oder auch Chiapas, suchen das nackte Über-
leben.
Bei der Migration spielen Verwandtschafts-
und Patenbeziehungen eine zentrale Rolle,
und die Beziehungen zwischen Stadt und Land
werden meist über Generationen aufrechter-
halten. Bei der Zuwanderung fungieren städti-
sche Verwandte oder Leute aus der Dorfge-
meinschaft als Informationsträger über das
Leben in der Stadt, sind Arbeits- und Woh-
nungsvermittler. Andere wichtige Informations-
träger sind indigene Mittler, nicht selten männ-
liche und weibliche Händler, Lehrer, Mitarbeiter
von Hilfsorganisationen, NRO oder Kirchen.
Für die Städter ist die Verbindung in ihre Her-
kunftsgemeinde oft ein wesentlicher strategi-
scher Bestandteil ihrer Überlebenswirtschaft.
Tauschhandel und vielseitige Kooperationen
zwischen Dörflern und Städtern ergänzen das
notwendige Einkommen.
Dass diese sehr komplexen Stadt-Landbezie-
hungen einen wesentlichen Einfluss auf das
kulturelle Leben in den ländlichen Gemeinden,
auf Normen und Werte, Zukunftsvorstellungen
und -erwartungen, auf das Familienleben, das
Geschlechterverhältnis und die Beziehungen
zwischen den Generationen hat, ist unüber-
sehbar. In immer schnellerem Tempo führt
dies zu vielfältigen Veränderungen. Der Wan-
del macht sich nicht zuletzt an der Rolle von
Frauen, ihren Positionen in der Gemeinschaft
und ihren Erwartungen bemerkbar. Diese Ent-
wicklungen verlaufen allerdings nicht konflikt-
frei.
Wohl die stärkste sichtbarste Präsenz indige-
ner Stadtkultur findet sich in den Andenlän-
dern. Hier sind die Lebensformen der indige-
nen Bevölkerung stark geprägt von Kulturele-
menten, deren Wurzeln im ländlichen Raum
liegen und sich insbesondere in den sozialen
Organisationsformen und Handlungsnormen
ausdrücken. Innerhalb dieser städtischen indi-
genen Bevölkerung hat eine erhebliche soziale
Stratifizierung und Ausdifferenzierung stattge-
funden, einschließlich der Herausbildung indi-
gener Mittelschichten. Das findet auch seinen
äußeren Ausdruck in den jeweiligen Wohn-
vierteln. Die Pflege der Festkultur, der Musik,
des Tanzes, der traditionellen Kleidung, der ei-
genen Sprache, die Wiederbelebung religiöser
andiner Vorstellungen und Praktiken un-
terstreichen die kulturelle Identität und kon-
struieren sie zugleich neu (ALBÓ, 1985). Be-
sonders die Aymara haben eine differenzierte
städtische indigene Kultur entwickelt (Bolivien,
Peru), die vor allem das Leben in den eigenen
Stadtteilen und der Stadt El Alto bestimmen
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
16
(SANDOVAL & SOSTRES, 1989; STRÖBELE-
GREGOR, 1989).
In Lima, wohin der ständige Zuzug von indige-
nen Zuwanderern vom Hochland – und weni-
ger aus Tieflandregionen – insgesamt mehrere
Millionen Menschen ausmacht, sind riesige
Elendsviertel an den Rändern der Stadt ent-
standen, die sich vor allem durch prekäre Le-
bensbedingungen auszeichnen. Arme Migran-
ten bauen sich auch kleine Siedlungen inner-
halb bürgerlicher Viertel. Darüber hinaus gibt
es in Lima innerstädtische Stadtteile mit einer
älteren Zuwanderungsgeneration aus dem
Hochland, von denen es einige zu einem ge-
wissen Aufstieg gebracht haben (siehe auch
SPEISER in diesem Band).
Überleben und Tod in Zeiten des Krieges
Indigene Völker waren nicht nur im Verlauf der
kolonialen und postkolonialen Epochen in be-
sonderem Maße Opfer von Bürgerkriegen,
Ethnozid, Vertreibung, und schweren Men-
schenrechtsverletzungen, sondern auch in den
letzten Jahrzehnten. Das grausamste Beispiel
ist gewiss Guatemala. Der Krieg dauerte 36
Jahre. 1996 kam es zum Friedensabkommen.
Den Wahrheitskommissionen der UN und des
erzbischöflichen Amtes zufolge, die die Men-
schenrechtsverletzungen untersuchten (CEH,
1999; ODAHG, 1998), gehörten Terror und
Menschenrechtsverletzungen zur Aufstands-
bekämpfungsstrategie des Staates. Systemati-
sche Massaker an der indigenen Bevölkerung
waren integrales Element der “Doktrin der Na-
tionalen Sicherheit“. Mehr als 400 Maya-Dörfer
wurden im Rahmen der “Strategie der ver-
brannten Erde“ (1978-1983) zerstört oder voll-
kommen ausgelöscht. Mindestens 1 Mio. Men-
schen mussten ihre Gemeinschaften ver-
lassen, versteckten sich in den Bergen oder
flüchteten in die Städte. Jedes vierte Gewalt-
opfer war eine Frau; es fanden massenhafte
und systematische Vergewaltigungen statt
(CEH, 1999a:28; ODHAG, 1998:210).
Das Friedensabkommen beinhaltet die rechtli-
che Anerkennung der Existenz der indigenen
Bevölkerung sowie Maßnahmen zur Verbesse-
rung ihrer Rechte, ihrer wirtschaftlichen Förde-
rung und politischen Mitsprache. Sogar eine
Ombudsstelle für indigene Frauen (Defensoría
de la Mujer Indígena) wurde eingerichtet.
Gleichwohl wurden zentrale Teilabkommen
bisher nicht umgesetzt. Die wirtschaftliche
Situation der indigenen Völker Guatemalas hat
sich kaum verbessert (MINUGUA, 2003). Die
ungelösten Probleme der nationalen Versöh-
nung, ländliche Armut, Landkonflikte, ethni-
sche und geschlechtsspezifische Diskriminie-
rung schränken die Entwicklungsmöglichkeiten
insbesondere der indigenen Bevölkerung des
Landes und die Transformation zur Demokratie
erheblich ein.
Ein weiteres Land, in dem besonders die indi-
gene Bevölkerung unter dem bewaffneten
Kampf zu leiden hatte, war Peru. Im Guerilla-
krieg des “Leuchtenden Pfades“ (Sendero
Luminoso) und der Revolutionären Bewegung
Tupac Amaru (MRTKA) handelten Militär und
Guerilla nach der Devise “wer nicht für uns ist,
ist gegen uns“. In Dorfgemeinschaften, die das
Pech hatten, sich in der Kampfregion zu befin-
den, fanden Massaker, Mord, Verschleppung,
Vertreibung und Lynchjustiz statt. Die perma-
nente Angst trieb die Menschen aus den
Kampfgebieten in den Anden und die Asha-
ninka der Sierra Central zur massenhaften
Flucht. Nach den Erfolgen der Regierung Fuji-
moris bei der Guerillabekämpfung 1992 sind
zahlreiche Flüchtlinge – mit Unterstützung der
UN und von NRO – in ihre alte Heimat zurück-
gekehrt (HUHLE, 1997). Die heimgekehrten
Ashaninka müssen jedoch erneut erleben,
dass Drogenanbau und - handel, illegale Aus-
beutung natürlicher Ressourcen und ein Wie-
derauftauchen des Sendero ihre Region äu-
ßerst unsicher machen.
Zu den Opfern von Krieg und Drogenwirtschaft
in Kolumbien, wo sich Guerilla, Militär, rechte
Paramilitärs und Drogenhändler seit Jahren
bekämpfen, gehören auch viele der indigenen
Völker. Auch sie werden zwischen den Fronten
aufgerieben, werden getötet, vertrieben,
zwangsrekrutiert oder geraten unter die Herr-
schaft einer der Kriegsparteien. In Bolivien hat
die von den USA seit Jahren massiv durchge-
setzte Bekämpfung des Coca-Anbaus zur Mi-
litarisierung der Chapare-Region und damit zu
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
17
einem permanenten Konfliktherd mit blutigen
Auseinandersetzungen zwischen Militär und
Bauern geführt.
Nicht vergessen werden sollte, wie im kurzen
Krieg zwischen Ecuador und Peru 1995 beide
Staaten die beiderseits der Grenzen lebenden
Shuar und Achuar für ihre Zwecke instrumen-
talisierten und zur Verteidigung des jeweiligen
Staates aufeinander hetzten.
3. Spannungsfeld indigenes Recht – Menschenrechte und Frauenrechte11
Wie die meisten ehemaligen kolonialen Ge-
sellschaften kennzeichnet faktischer Rechts-
pluralismus die Länder Lateinamerikas. Damit
ist das Nebeneinander mehrerer Rechtssys-
teme in einem Staatsgebiet gemeint, wobei
sich ein nationales, an bürgerlich-republikani-
schen Grundsätzen verpflichtetes Recht über-
lagert mit aus der Kolonialzeit ererbtem Recht,
mit autoritärem Recht diktatorischer Regime,
Kriegsrecht herrschender Militärregierungen
oder lokaler Kriegsherrn bzw. der Drogenmafia
sowie mit lokalen Rechtssystemen ethnischer
Gruppen, d.h. der indigenen Völker und der
Afroamerikaner. Im Recht und in den Definitio-
nen von “richtigem” und “falschem” Verhalten
kommen die zugrunde liegenden gesellschaft-
lichen Konzepte, Wertesysteme, sozialen Or-
ganisationsformen und Weltbilder zum Aus-
druck. Überlagerungen lassen duale
Rechtsauffassungen, Neudefinitionen, Mani-
pulationen von Recht zu. Indigene Rechtssys-
teme sind “zeitgenössische Erscheinungen, die
zwar in einer historischen Kontinuität zu vor-
kolonialen Rechtssystemen stehen, sich aber
in einer langen Geschichte im Zuge einer –
meist konfliktiven – Auseinandersetzung mit
dem dominanten System verändert haben”
(KUPPE, 2001:63).
Die Rechtspraxis lokaler Gesellschaften sowie
die dieser Rechtspraxis zugrunde liegenden
Werte und Formen der Streitschlichtung als
legitim zu betrachten, und als komplementär
zum nationalen Rechtssystem in der Verfas-
sung zu verankern, ist allerdings bisher erst in
einzelnen Ländern festzustellen. In Bolivien
11 ausführlich dazu STRÖBELE-GREGOR, 2002
sieht die Reform des Rechtssystems, die 1995
eingeleitet wurde, die zukünftige Institutionali-
sierung des überlieferten Rechts vor (“Justicia
tradicional o comunitaria”). Zu diesem Zweck
wurden Feldstudien über das lokale Recht bei
zahlreichen ethnischen Gruppen durchgeführt
(MJDDHH Bd.1-10, 1997/ 98) und ein Geset-
zesentwurf erarbeitet, der dem Parlament vor-
liegt. Gegenwärtig ist in fünf Ländern, Bolivien,
Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela, die
Anwendung des indigenen Rechts verfas-
sungsmäßig verankert. Diese offizielle Aner-
kennung von Rechtspluralismus12 ist jeweils
Ergebnis des politischen Kampfes indigener
Bewegungen und der Erfolg von Debatten, die
sie ausgelöst haben.
Keine Betrachtung über indigene Rechtsforde-
rungen kann von der Rechtswirklichkeit und
den bereits geschilderten gesellschaftlichen
Rahmenbedingen abstrahieren. Trotz Konsoli-
dierung von formalen Demokratien ist die Di-
vergenz zwischen Rechtsnormen und Rechts-
praxis unübersehbar, ebenso wie vielerorts
weiterhin Amtspersonen indigene Bürger dis-
kriminieren.
Auch Menschenrechtsverletzungen gehören
noch nicht der Vergangenheit an. Sie be-
schränken sich nicht auf die indigene Bevölke-
rung, doch diese ist häufig in besonderem
Maße betroffen. Die Verletzungen betreffen
sowohl die individuellen wie die sozialen Men-
schenrechte, das Recht auf politische Beteili-
gung ebenso wie auf körperliche Unversehrt-
heit und Gesundheit. Wenn Regierungen in
den Andenländern die massiven Sprühaktio-
nen mit Glyphosat und anderen Chemikalien,
die im Zuge der Drogenbekämpfung zum Ein-
satz kommen, genehmigen, wohlwissend, dass
diese schwere Gesundheitsschäden hervorru-
fen und die Gewässer und Böden vergiften,
dann verletzen sie damit nicht nur das indivi-
duelle Recht auf körperliche Unversehrtheit,
12 Unter spanischer Kolonialherrschaft, in der die Gesellschaft unterteilt war in die “Republik der Spa-nier“ und “Republik der indios“, gab es bereits eine offizielle Anerkennung von Rechtspluralismus. Die jeweiligen ethnischen Gruppen unterstanden eige-nem Recht, wobei das spanische Rechtssystem die Institutionen der indios in vielen Bereichen ein-schränkte.
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
18
sondern auch auf Ernährung, saubere Umwelt
und damit auf die Zukunftsfähigkeit der davon
Betroffenen, überwiegend indigenen Gemein-
wesen (RÖMPCZYK, 2001). Menschenrechts-
verletzungen bei Landkonflikten – dazu gehö-
ren Morde im Zuge von Landvertreibung –
geschehen nicht nur in Brasilien (RANKIN,
1996; siehe auch RATHGEBER in diesem Band).
Staatliche Instanzen erweisen sich, wenn es
um Rechts- oder gar Menschenrechtsverlet-
zungen an Indigenen geht, nicht immer als
Durchführungsorgane des Rechtsstaats, wie
die Klagen von indigenen Repräsentanten vor
der Arbeitsgruppe der UN immer wieder zeig-
ten (SIEBERT, 1997). Vertrauen bringen Indi-
gene daher eher unabhängigen Vermittlern,
beispielsweise den Menschenrechts-Om-
budsstellen, Menschenrechtseinrichtungen der
katholischen Kirche und unabhängigen Men-
schenrechtsinstitutionen (NRO) entgegen.
Diese sind es, die neben den indigenen Orga-
nisationen Öffentlichkeit herstellen und versu-
chen, auf Regierungshandeln Einfluss zu
nehmen, damit die Rechte indigener Bevölke-
rung respektiert und Rechtsverletzungen ge-
ahndet werden.
Interne Ordnungs-, Regelungs- und Schlich-
tungsinstanzen auf lokaler Ebene sind die ei-
genen indigenen Autoritäten. In ihrer Kultur
verhaftet, sozial anerkannt und respektiert,
üben sie ihr Amt aus. Überlieferte Werte und
Normen leiten sie, aber neuere Rechtsvorstel-
lungen sind ihnen nicht fremd. Wesentliches
Kriterium ihrer Schlichtung ist es, den Konsens
und die Harmonie in der Gemeinschaft wieder
herzustellen. Die Legitimität der eigenen
Rechtssysteme ist innerhalb der jeweiligen
indigenen Gemeinschaft weitgehend unum-
stritten.
Wo liegen also die Probleme? Sie liegen in der
Frage der Verbindlichkeit von Menschenrech-
ten in nicht-westlichen Kulturen. Diese Frage
stellt sich zum einen rechtssystematisch, wenn
verfassungsmäßig Rechtsautonomie und An-
erkennung sowie Schutz kultureller und ethni-
scher Vielfalt zugesichert werden, zugleich
aber die Menschenrechte Bestandteil des nati-
onalen Rechtssystems sind. Und die Frage
stellt sich auch angesichts eines sich wandeln-
den Rechtsempfindens innerhalb indigener
Gemeinschaften. Auf der einen Seite existieren
in den indigenen Rechtssystemen Straftatbe-
stände und Strafen, die zu den Menschen-
rechten im Widerspruch stehen – beispiels-
weise ist bei einigen Völkern Ehebruch, insbe-
sondere von Frauen, strafbar und wird schwer
bestraft (ALBÓ & MAMANI, 1980). Eigentumsde-
likte werden bei fast allen Völkern mit nach
westlicher Rechtsauffassung unverhältnismä-
ßig schweren Sanktionen – harten körperlichen
oder sozialen Strafen – geahndet. Solche Stra-
fen sind mit dem nationalen Recht der jeweili-
gen Länder nicht vereinbar. In den Staaten, die
das traditionelle Recht anerkennen, gibt es
Bemühungen, die Vereinbarkeit von indigenem
Recht und nationalem Recht zu regeln, wobei
die Menschenrechte als höherrangiges Recht
Berücksichtigung finden sollen. In Kolumbien,
Bolivien, Ecuador und Peru liegen Entwürfe für
“Koordinationsgesetze” vor.
Auf der anderen Seite lassen sich im Rahmen
der Wandlungsprozesse in den indigenen Ge-
meinschaften und durch den Einfluss externer
Akteure (staatliche und private Bildungsinitiati-
ven, Entwicklungsprojekte, Menschenrechtsbü-
ros etc.) auch Veränderungen im Rechtsemp-
finden und in Rechtsvorstellungen beobachten.
Die rechtliche Situation von Frauen und die
Rechtspraxis, der sie unterworfen sind, ist hier
ein besonders aussagekräftiges Beispiel. Denn
Recht reflektiert Machtverhältnisse, und das
Geschlechterverhältnis ist eingebettet in das
jeweilige Gesellschaftskonzept und die Macht-
verhältnisse einer Gesellschaft. Je stärker die
Idee von politischer Teilhabe und Bürgerrech-
ten Verbreitung findet, desto mehr beginnen
auch Frauen diese Rechte für sich zu rekla-
mieren, wenn auch zunächst zaghaft.
Bisher ist Frauendiskriminierung, d.h. massive
Benachteiligung sowohl in den Grundrechten,
wie im Erbrecht und Landrecht, im Zugang zu
Bildung und in der Behinderung autonomer
Lebensentscheidungen eine Realität und pro-
voziert Debatten und Konflikte in indigenen
Gemeinwesen. Frauen legitimieren ihre Forde-
rungen nicht selten mit dem Bezug auf die
traditionellen indigenen Geschlechterkonzepte,
wie z.B. die Komplementarität der Geschlech-
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
19
ter in den andinen und Maya-Kulturen. Damit
stoßen sie eine Debatte über die Geschlech-
terrollen in der eigenen Kultur an und darüber,
in welcher Weise die Konzepte im Alltagsleben
umgesetzt werden. Indirekt ist dies auch eine
kritische Auseinandersetzung mit indigener
Rechtspraxis (CAMUS, 2002).
In diesem Zusammenhang beginnen indigene
Frauen auch Gewalterfahrungen innerhalb der
eigenen Lebenswelt zur Sprache zu bringen.
Wie vereinzelte Studien zeigen (u.a. ALBÓ &
MAMANI, 1980; [DE LA] TORRE ARAUJO, 1995 &
1980; GÖBELS, 1997; HARRIS, 1985), sind diese
Gewalterfahrungen sehr weit verbreitet und
z.T. eingebettet in kulturelle Handlungsmuster.
Überliefertes indigenes Recht greift in der Re-
gel im Fall häuslicher Gewalt nicht ein, begreift
dies als intrafamiliäre Angelegenheit, die zwi-
schen den Eheleuten, den Familien bzw. Paten
– compadres, comadres – zu regeln ist.
Rechtsinformationen über Menschenrechte
ermöglichen demgegenüber, auch dieses
Thema zum Gegenstand öffentlicher Debatte
zu machen, was wiederum die Voraussetzung
für einen Wandel in der Rechtspraxis im Ge-
meinwesen ist. Häusliche Gewalt wird dann
nicht mehr als eine “Privatangelegenheit”, son-
dern als Gegenstand der öffentlichen Sphäre
verstanden und sanktioniert (STRÖBELE-
GREGOR, 1999a & b).
Bisher ist es eine offene Frage, wie Vertreter
des indigenen Rechts mit diesen Wandlungen
im Rechtsbewusstsein von Frauen und mit der
Überwindung ihrer Diskriminierung umgehen.
Nicht selten verstecken sich indigene Männer
hinter einem Diskurs, der Frauenrechtsforde-
rungen als westlichen Feminismus ablehnt, da
dies eine Entfremdung von der eigenen Kultur
sei. In den indigenen Kulturen, so das Argu-
ment, gäbe es keine Frauendiskriminierung.
Gewalt wird als Folge von Entfremdung und
Unterdrückungserfahrungen durch die domi-
nante Gesellschaft erklärt. Notwendig sei da-
her die Stärkung der eigenen Kultur. So man-
che indigene Frau der jungen Generation be-
friedigt diese Antwort jedoch nicht.
Foto: Jugendliche auf dem Weg zur Schule in Ngöbe-Buglé, Panama (K. LECKEBUSCH)
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
20
4. Eigenständige Organisierungs- prozesse13
Indigenenbewegungen gehören seit den 80er
Jahren zu den wichtigsten sozialen Bewegun-
gen in Lateinamerika. Während der US-ameri-
kanische Geheimdienst CIA sie als potentiellen
Destabilisierungsfaktor sieht (ALEMANCIA,
2001), werden sie von anderen als innovative
Kraft geschätzt, die neue historische Akzente
setzt und die Frage der Demokratie neu stellt.
Diesem Urteil liegt nicht nur die Bedeutungs-
zunahme von ethnisch-politischen Organisati-
onen, ihren Konstruktionen von indigener Iden-
tität und von Ethnizität als Legitimations-
argument für soziale, kulturelle und politische
Forderungen sowie der ansteigende Mobilisie-
rungsgrad zugrunde. Verstärkt mischen sich
die indigenen Organisationen auch in politi-
sche Themen von nationaler und internationa-
ler Tragweite ein.
Einige wesentliche Aspekte, die die indigene
Politikgestaltung in den letzten Jahrzehnten
beeinflusst haben, sollen knapp skizziert wer-
den. Der Legitimationsverlust linker Parteien
nach dem Ende der Sowjetunion verstärkte
Tendenzen – wie auch in anderen Teilen der
Welt – Konflikte immer stärker in ethnischen,
nationalistischen und religiösen Legitimie-
rungsdiskursen zu begründen. Der Bezug auf
Ethnizität erhielt bei sozial, kulturell, wirtschaft-
lich und politisch benachteiligten Gesell-
schaftsgruppen ein zunehmendes Gewicht.
Die Forderungen indigener Organisationen
zielten (bisher) nicht auf den revolutionären
Umsturz, richteten sich aber auf die Transfor-
mation herrschender Verhältnisse in den je-
weiligen Ländern. Zu den grundlegenden For-
derungen gehört die Anerkennung eigener
Territorien (ausdrücklich!), Autonomie und
Selbstbestimmung im Rahmen der jeweiligen
Staatsgrenzen. Auch wenn ihre politischen
Strategien und Staatsvorstellungen durchaus
unterschiedlich sind, teilen die meisten indige-
nen Bewegungen Lateinamerikas die Vision
einer multiethnischen und plurikulturellen Ge-
sellschaft innerhalb einer sozial gerechten und
13 Dieser Abschnitt ist ein Ausschnitt aus der Analy-se der Organisierungsprozesse in den Andenlän-dern (STRÖBELE-GREGOR, 2004).
partizipativen Demokratie. Selbstverwaltung,
das Recht auf die natürlichen Ressourcen
innerhalb eigener Territorien, die Respektie-
rung ihrer Menschenrechte und der jeweiligen
Kulturen – einschließlich einer kulturell ange-
passten Gesundheitsversorgung und interkul-
tureller zweisprachiger Schulbildung – sind
dabei die Grundpfeiler. Wichtige Unterstützung
erfahren diese Visionen und Forderungen von
der internationalen Ebene.
Deutlich zeichnen sich damit im Vergleich zu
den 1960er und 1970er Jahren Veränderungen
im Handlungsfeld und im politischen Selbst-
verständnis von indigenen Organisationen ab.
Das betrifft sowohl die politischen Diskurse,
Zielsetzungen, Handlungsfelder als auch den
politischen Mobilisierungsradius. Seinerzeit
erfolgte die Mobilisierung der indigenen Land-
bevölkerung als Bauernbewegung und ihre
Gravitationsachse war die Landfrage (weiterhin
auch heute noch ein zentrales Thema). Für
einen Großteil der Bevölkerung indigener Her-
kunft jener Zeit bestand der Wunsch nach voll-
ständiger Integration in die nationale Ge-
sellschaft. Gleichwohl gab es bereits Organi-
sationen, die eine indigene Identität vertraten
und die Anerkennung der eigenen Kulturen
forderten. Doch deren Gewicht war begrenzt.
Seit Ende der 1980er Jahre nimmt der Bezug
auf die ethnische Identität zu, in politischen
Mobilisierungs- und Organisierungsprozessen
gewinnen ethnisch-politische Diskurse zuneh-
mend an Gewicht. Mittlerweile gibt es ein brei-
tes Spektrum von Organisationen mit ver-
schiedenen Wirkungsfeldern und durchaus
unterschiedlichen Zielen. Dazu gehören u.a.
indigene Lokalverbände, Bauerngewerkschaf-
ten, Produzenten- und Kulturvereine und Ver-
einigungen indigener Frauen. Zur Interessens-
vertretung gegenüber dem Staat und nationa-
len Machtgruppen wurden regionale Organisa-
tionsstrukturen und nationale Dachverbände
aufgebaut. Länderübergreifende Organisatio-
nen wie der Dachverband der indigenen Orga-
nisationen Amazoniens (COICA) vertreten die
Interessen indigener Völker auf internationaler
Ebene.
Lokale, regionale oder nationale Verbände
mobilisieren für Protestmärsche, organisieren
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
21
Kasten 1: In Ecuador wurde das Wahlbündnis „Movimiento Plurinacional Pachakutik - Nuevo País“ vom
indigenen Dachverband CONAIE 1996 zur Teilnahme an den Präsidentschaftswahlen gegründet. Bis dahin
hatte die CONAIE stets zum Wahlboykott aufgerufen, aber angesichts des unerwarteten Zuspruchs der
Bevölkerung bei einer massiven Kampagne 1995 gegen die Privatisierungspläne des staatlichen Sektors, an
der sich Gewerkschaften, linke Parteien und die CONAIE beteiligt hatten, entstand der Plan einer eigenen
Partei. Der große Erfolg von Pachakutik bei seiner ersten Wahlbeteiligung (1996) gab der Strategie recht.
Erstmals wurde eine indigene Frau, die Rechtsanwältin Nina Pacari, Vizepräsidentin des Parlaments. In den
darauffolgenden Jahren konnte Pachakutik seinen politischen Einfluss ausbauen bis hin zu einer Regie-
rungsbeteiligung 2002. Diese Beteiligung an einer Koalitionsregierung stellte sich jedoch, so ACOSTA (2004),
als eine politische Fehlentscheidung heraus. Pachakutik fehlte es zum einen an einer der schwierigen Wirt-
schaftslage angemessenen Programmatik, zum anderen hatte das Wahlbündnis seine politische Durchset-
zungskraft in der Koalition nicht richtig eingeschätzt. Sowohl der Druck des Präsidenten wie auch von
CONAIE und der Basis zwang die Pachakutik-Minister 2003 von ihren Ämtern zurückzutreten.
die Besetzungen von Erdölbohrstellen und
Staudamm-Großprojekten, bringen in Zusam-
menarbeit mit NROs Biopiraterie, illegalen
Holzeinschlag und Umweltzerstörungen ans
Licht der Öffentlichkeit und decken die Kompli-
zenschaft staatlicher Institutionen auf. Sie arti-
kulieren die politischen wirtschaftlichen und
kulturellen Forderungen. Zum Angelpunkt wer-
den zunehmend die Territorial- und Autono-
mieforderungen. Als Beispiel dafür gelten u. a.
die Kuna in Panama, die ihre Autonomie der
comarcas schon vor Jahrzehnten durchsetzen
(allerdings in einem bewaffneten Aufstand).
Bezugspunkte sind auch das Autonomiegesetz
der Atlantikküste von Nicaragua, das noch aus
der Kolonialzeit stammende Recht der Resgu-
ardos Indígenas in Kolumbien und die Territo-
rialgesetze für die amazonischen Völker Brasi-
liens. In Ländern wie Mexiko, Chile, Bolivien
steht die Durchsetzung der Forderung nach
selbstverwalteten Territorien noch auf der poli-
tischen Agenda indigener Organisationen.
Zugleich setzte Ende der 1980er Jahre mit der
Ausweitung des politischen Aktionsradius der
Organisationen eine neue Entwicklung ein. In
Mexiko, Guatemala und in den Andenstaaten
Ecuador, Bolivien und Kolumbien treten indi-
gene Organisationen als Sprachrohr der
Benachteiligten und Unzufriedenen auf und
sind in der Lage, soziales Protestpotenzial
über die eigenen Reihen hinaus zu mobilisie-
ren. Umgekehrt beteiligen sich indigene Orga-
nisationen an Protesten und Opposition gegen
soziale, ökonomische oder politische Maß-
nahmen, die nicht nur Indigene betreffen. Hin-
zu kommt die Strategie des parlamentarischen
Weges sowie die Übernahme von Verantwor-
tung und von Funktionen in der lokalen und
regionalen Verwaltung. Seit den 1980er Jahren
wurden verstärkt eigene politische Parteien
gegründet; zunächst hielten sie sich nicht sehr
lange, weil es nicht gelang, eine größere Ak-
zeptanz bei der indigenen Bevölkerung aufzu-
bauen. Das hat sich in den 1990er Jahren
geändert. Mittlerweile gibt es indigene Parla-
mentarier, Minister, Bürgermeister, Kreisver-
waltungen, Senatoren. In Quetzaltenango stellt
die indigene Partei Xel-Ju seit 1995 die Depar-
tementsregierung. In Bolivien wurde 1994 erst-
mals ein Mann indigener Herkunft Vizepräsi-
dent, und Ende der 1990er Jahre war der
Gouverneur des Departements Cauca in Ko-
lumbien ein Angehöriger des indigenen Volkes
der Guambiano (siehe auch FELDT in diesem
Band).
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
22
Trotz der gemeinsamen Forderung nach Aner-
kennung der Rechte der indigenen Völker und
der Berufung auf die Konvention 169 der ILO
sind die ideologischen Unterschiede im breiten
Spektrum der indigenen Organisationen und
persönlichen Profilierungsinteressen von Füh-
rungspersonen nicht zu übersehen. Dass dies
gemeinsames politisches Handeln zur Verbes-
serung der Lebensbedingungen verhindern
kann und Gegnern oder Interessengruppen in
die Hände spielt, zeigt das Beispiel in Peru, wo
zwei Dachverbände der Tieflandvölker,
AIDESEP (Asociación Interétnica para el De-
sarrollo de la Selva Peruana) und CONAP
(Confederación de Nacionalidades Amazóni-
cas del Perú) miteinander um internationale
Gelder und Anerkennung als Verhandlungs-
partner der Regierungen konkurrieren.
Mit Bezug auf die von Regierungen und inter-
nationalen Gebern entworfenen Entwicklungs-
strategien stellen Indigene klar, dass ihre Vor-
stellungen von einem würdigen Leben nicht
deckungsgleich mit Entwicklungsprogrammen
sind, die ihnen von außen vorgegeben werden.
Viele indigene Organisationen sprechen von
einer „eigenständigen Entwicklung“, die nicht
eine Kopie westlicher Lebensstile sein soll.
Gleichwohl bleibt hier noch vieles vage, fehlt
es an klaren Visionen und an Programmatik.
Es besteht dringender Diskussionsbedarf in-
nerhalb der indigenen Organisationen und bei
den Völkern darüber, wie denn ein „Leben in
Würde“ oder ein „gutes Leben“, wie es die
indigenen Völker anstreben (vgl. MEDINA, 2001
& 2002), zu gestalten ist.
Auch wenn der Einzug in die Parlamente in-
nerhalb der indigenen Völker vieler Staaten als
ein wichtiger und notwendiger Schritt auf dem
Weg zur politischen Teilhabe gewürdigt wird,
sind die Erfahrungen, die indigene Bewegun-
gen dabei machen, mehr als ambivalent. Zwar
sind sie stärker an den politischen Debatten
beteiligt, gleichwohl müssen sie erleben, dass
die herrschende politische Kultur und die
Durchsetzungskraft von Machtgruppen sie
daran hindert, Einfluss auf politische Entschei-
dungen von Tragweite zu nehmen. Ecuador ist
ein Lehrstück. Die Beteiligung von Pachakutik
an der Koalitionsregierung in Ecuador verdeut-
licht, vor welchen Herausforderungen indigene
Bewegungen stehen, wenn sie sich an einer
Regierung beteiligen.
5. Erste Teilerfolge auf nationaler und internationaler Ebene
Politische Diskurse und Strategien der indige-
nen Organisationen zeigen Wirkungen. Regie-
rungen geraten unter Legitimitätsdruck, da
zunehmend breitere Teile der Bevölkerung
sowie Gewerkschaften und Oppositionspar-
teien die Forderungen unterstützen. Zu den
Teilerfolgen auf der politischen Ebene gehört,
dass einige Staaten Rechts- und Verfassungs-
reformen verabschiedet haben, in denen die
kulturelle und ethnische Diversität bzw. der
multikulturelle und pluriethnische Charakter der
lateinamerikanischen Staaten14 sowie die indi-
genen Sprachen und Kulturen anerkannt wur-
den (siehe auch ABRAM in diesem Band), die
ILO-Konvention 169 ratifiziert wurde und damit
Rechtsstatus erhielt15 und zahlreiche Einzel-
rechte reformierten16 (siehe auch RATHGEBER
in diesem Band). In einigen Staaten wurden –
wie dargestellt – weitreichende territoriale
Rechte zugestanden.
Indigene Verbände auf dem internationalen Parkett
Maßgeblich gefördert wurde die Reformbereit-
schaft der Regierungen durch die internatio-
nale Konjunktur. Da war die kritische Be-
standsaufnahme von Geschichte und Gegen-
wart anlässlich des Gedenkens an die Erobe-
rung vor 500 Jahren und da waren das von
den Vereinten Nationen erklärte Jahr der Indi-
genen Völker 1993 und die UN-Dekade für
Indigene Völker ab 1995, die internen Kolonia-
lismus, Rassismus, Unterdrückung, Ausbeu-
14 Argentinien 1994, Bolivien 1994, Brasilien 1988, Kolumbien 1991, Costa Rica 1977, Ecuador 1998, Guatemala 1985, Nicaragua 1986, Panamá 1972 und 1983, Paraguay 1992, Peru 1993, Mexiko 1992. 15 In Lateinamerika sind dies: Mexiko 1990, Kolum-bien 1991, Bolivien 1991, Costa Rica 1993, Para-guay 1993, Peru 1994, Honduras 1995, Guatemala 1996, Ecuador 1998, Argentinien 2000, Venezuela 2002. 16 Eine aktuelle Analyse der Rechtssituation in den verschiedenen Staaten bietet BARIÈ, 2003 (über www.indigenista.org)
Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika: Herausforderungen an die Demokratie
23
tung, religiöse und kulturelle Intoleranz in einer
breiten Öffentlichkeit thematisierten. Zugleich
hatte die beharrliche, jahrelange Arbeit von
Menschenrechtsgruppen gemeinsam mit Or-
ganisationen indigener Völker weltweit in der
ILO sowie in der “Arbeitsgruppe für indigene
Fragen“ in der Unterkommission für Men-
schenrechte der UN erreicht, dass internatio-
nale Organisationen das Thema "Rechte indi-
gener Völker" auf die Tagesordnung setzten.
Die Konvention 169 der ILO wurde zur Grund-
lage und Argumentationshilfe für Forderungen
gegenüber den Regierungen – und ist es wei-
terhin. Zudem verbinden die ethno-politischen
Organisationen ihre Forderungen argumentativ
auf internationaler Ebene mit Prinzipien von
Demokratie, Partizipation und guter Regie-
rungsführung und beziehen sich auf internatio-
nal gültige Rechte, Konventionen und Verein-
barungen (siehe auch SPEISER in diesem
Band). Damit stärken sie nicht nur ihre Legiti-
mität auf nationaler Ebene. Es gelingt ihnen
damit auch, internationale Öffentlichkeit für die
Problemlage und Forderungen indigener Völ-
ker herzustellen, und Bündnispartner zu ge-
winnen.
Es war die Zapatistenbewegung EZLN in Chi-
apas (Mexiko), die mit ihren Aktionen nicht nur
internationale Aufmerksamkeit für ihre eigene
Situation und gesellschaftliche Forderungen
erzeugte. Ihre unorthodoxen Methoden und
Nutzung modernster Kommunikationstechnik
bewirkten in der internationalen Öffentlichkeit
ein gesteigertes Interesse an der Lage indige-
ner Völker Lateinamerikas insgesamt. Und die
Forderungen nach Anerkennung kultureller
Diversität, Autonomie und Demokratisierung
der Gesellschaft trafen auf Zustimmung einer
breiten internationalen Öffentlichkeit. Seit Mitte
der 1990er Jahre fehlt in kaum einem globali-
sierungskritischen Diskurs die Bezugnahme
auf indigene Visionen über eine “andere Welt”
und alternative Lebensformen; es gibt kaum
eine internationale Veranstaltung zum Thema
Neuordnung der Welt, auf der nicht indigene
Organisationen aus Lateinamerika präsent
sind und ihre kritische Stimme erheben, sei es
in Sevilla im Juni 2002 bei der Gegenveran-
staltung zum G7-Gipfel, sei es bei den ver-
schiedenen internationalen Sozialforen. Indi-
rekt stärkt diese internationale Präsenz zwei-
felsohne auch die Position auf der heimischen
politischen Bühne, weil es den Regierungen
damit schwerer fällt, die Legitimität der Forde-
rungen der Indigenen zu negieren. Diese Ent-
wicklung zeigt nicht nur, dass es den indigenen
Völkern gelang, in der internationalen Öffent-
lichkeit Gehör zu finden, sondern dass dies
geschieht, weil sich mit ihren Forderungen
zentrale Fragen von Demokratie und der Men-
schenrechte verbinden. Und es zeigt zugleich,
dass sie in der internationalen Öffentlichkeit
immer mehr Unterstützer und auch Verbündete
finden.
Wenig spektakulär, dafür von großer Bedeu-
tung ist die Lobbyarbeit auf dem Parkett der
Vereinten Nationen, auf dem Vertreter indige-
ner Völker seit über fünfzehn Jahren dafür
kämpfen, eine Deklaration zu den Rechten der
indigenen Völker zu verabschieden und einen
international anerkannten Status zu bekom-
men, womit ihre Rechtsposition und damit
auch ihre Verhandlungsmacht gegenüber Re-
gierungen gestärkt würde (SIEBERT, 1997;
COICA, 2000; JUÁREZ, 2000). Bisher ist dies
am Widerstand der nationalen Regierungen
gescheitert.
Am 13. Mai 2002 kam es endlich zur Gründung
des “Ständigen Forums für Indigene Fragen“
bei den Vereinten Nationen. Dieses beratende
Gremium ist dem Wirtschafts- und Sozialrat
(ECOSOC) der UN angegliedert. Seine 16
Mitglieder setzen sich zur Hälfte aus Vertretern
der Nationalstaaten und indigenen Organisati-
onen zusammen. Ihr Mandat beschränkt sich
allerdings auf Empfehlungen für UN-Gremien
und Entscheidungen müssen nach dem Kon-
sensprinzip gefällt werden, was Regierungen
stets die Möglichkeit gibt, Forderungen und
Klagen indigener Völker zu verhindern. Den-
noch wird die Schaffung dieses Gremiums als
ein wichtiger Schritt zur gleichberechtigten
Anerkennung indigener Völker bewertet, da
ihre Vertreter damit endlich einen offiziellen
Status in der UN erhalten (GFBV Newsletter
122, 13.5.02). Das Thema “Rechte Indigener
Völker und ihre Forderungen” erhält damit
mehr Gewicht auf der internationalen Tages-
ordnung.
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Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
DR. SABINE SPEISER
Welche Rolle spielen indigene Völker für die
internationale Zusammenarbeit (IZ) im Zeitalter
der Globalisierung, der IZ als globaler Struk-
turpolitik? Welche Rolle spielt dabei die Ent-
wicklungszusammenarbeit (EZ) mit immer
weniger Ressourcen, einer wachsenden Kon-
zentration auf Beratung nationalstaatlicher
oder transnationaler Institutionen und Förde-
rung makroökonomischer Prozesse für die
indigenen Völker Lateinamerikas und der Kari-
bik mit einer Gesamtzahl von 40 bis 50 Millio-
nen Menschen (8 bis 10% der Bevölkerung)?1
Wer braucht wen? Braucht man sich? Wer
definiert die Regeln der Zusammenarbeit und
wie wird deren Einhaltung beobachtet? Sind
Indigene einfach “mit gemeint“? Nehmen sie
sich selbst als Adressaten, d.h. Teilzielgruppe
der internationalen Zusammenarbeit wahr?
Partizipieren sie an den positiven Wirkungen
der Maßnahmen – als Arme in Armutsminde-
rungsprojekten, als Bauern und Bäuerinnen in
Maßnahmen der ländlichen Entwicklung, als
Klein- und Mittelunternehmer/innen, als Lehr-
kräfte usw.? Diesen Fragen widmet sich das
Kapitel in gebotener Kürze in 4 Schritten: (1)
einem Rückblick auf das Verhältnis indigene
Völker und Internationale Zusammenarbeit, (2)
dem Hintergrund der Diskussion: indigene
Völker auf der internationalen Ebene, (3) der
deutschen EZ mit indigenen Völkern und (4)
einer abschließenden Reflektion.
1. Indigene Völker und Entwicklungs-zusammenarbeit: eine schwierige Geschichte
Die Entwicklungspolitik, ein relativ junges Poli-
tikfeld, folgt meist Vorgaben anderer Politikfel-
der und durchlief in ihrer kurzen Geschichte
1 Nach Schätzung der Interamerikanischen Entwick-lungsbank (IDB):www.iadb.org/sds/ind/index_ind_e.htm; vgl. hierzu die Zusammenstellung von BARIÉ, 2004 und in Anhang 1
einige konzeptionelle und strategische Wand-
lungen. Dies betrifft auch die Zielorientierung
und die Rolle, die Zielgruppen und zivilgesell-
schaftliche Akteure bei der Konzipierung des
Politikfeldes und bei dessen Umsetzung in
Projekten und Programmen spielen. Indigene
Völker waren nicht von Anfang an Thema der
deutschen, europäischen oder internationalen
Zusammenarbeit. Diese stand vielmehr seit
Ende des 2. Weltkrieges und damit zu Beginn
der Entwicklungszusammenarbeit unter den
Prämissen der Systemkonkurrenz zwischen
Ost und West. Während dieser ersten Deka-
den der EZ leisteten die Industrieländer Beiträ-
ge zu einer “nachholenden Entwicklung und
Modernisierung“ der jeweiligen Partnerländer.
In dieser Zeit, in die ebenfalls die Unabhängig-
keit ehemaliger afrikanischer Kolonien fiel, war
die entwicklungstheoretische Diskussion be-
stimmt vom Paradigma des Wachstums und
der Erwartung einer schnellen Angleichung
des Südens an die wirtschaftlichen Standards
des Nordens. Dieser Ansatz ist mittlerweile
gescheitert, eine nachholende Entwicklung der
Länder des Südens fand nur höchst unvoll-
ständig statt und implizierte für die Gesell-
schaften, insbesondere für arme und margina-
lisierte Bevölkerungsgruppen, hohe soziale
Kosten, einschließlich der direkten Zerstörung
ihrer Lebensgrundlagen. Letzteres gilt insbe-
sondere für große Infrastrukturmaßnahmen,
die nicht nur durch die IZ sondern auch durch
die Nationalregierungen selbst realisiert wur-
den, wie beispielsweise durch den Abbau von
Bodenschätzen (siehe auch FELDT in diesem
Band).
Als Gegenentwurf zum Paradigma der Moder-
nisierung entwickelte sich vor allem in Latein-
amerika die Dependenztheorie, die “Unterent-
wicklung“ als Folge von Abhängigkeiten des
Südens vom Norden interpretierte und andere,
vornehmlich politische “Entwicklungsentwürfe“
vorlegte. Die Dependenztheorie nahm mit ih-
rem ökonomistischen Ansatz die Realität der
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
29
indigenen Völker ebenfalls nicht wahr. Seit den
späten 1950er Jahren war der lateinamerikani-
sche Kontinent von revolutionären Umbrüchen
und den Reaktionen darauf bestimmt. Den-
noch fanden ab den 1970er Jahren auch indi-
gene Völker Lateinamerikas, insbesondere des
Tieflandes internationale Aufmerksamkeit. Eine
besondere Rolle nimmt dabei der von Sozial-
wissenschaftlern getragene Aufruf der ersten
Konferenz von Barbados (“Symposium on
Inter-Ethnic Conflict in South America“, 1971)
ein: Indigene sollten vor entfremdenden Au-
ßeneinflüssen bewahrt und ihr Recht, die eige-
ne Entwicklung zu definieren und umzusetzen
anerkannt werden. Die konsequente Empfeh-
lung war der Rückzug weitgehend aller Au-
ßeneinflüsse (Declaration of Barbados, 1971,
Internetveröffentlichung).2 Die noch stellvertre-
tend für die indigenen Völker sprechende Kon-
ferenz (Barbados I) wurde 1977 gefolgt von
Barbados II mit intensiverer Teilnahme und
unter Leitung indigener Vertreter/innen. Die
Erklärung von Barbados II fasst die Situation
indigener Völker u.a. in der folgenden Schluss-
folgerung zusammen (CONTRERAS, 1988:179):
“Los pueblos indoamericanos están divididos
internamente o entre sí por la acción de las
políticas de integración, educativas, de desa-
rrollo, los sistemas religiosos occidentales, las
categorías económicas y las fronteras de los
estados nacionales.“ Die hierzu international
geführte Diskussion begann die Wahrnehmung
der Entwicklungsagenturen und Geberländer
hinsichtlich ihrer Einflüsse auf indigene Völker
und deren Rolle in der Gesellschaft der Part-
nerländer zu schärfen. Von größerem Einfluss
auf die Orientierung in der EZ waren jedoch
die Prozesse der Sichtbarwerdung indigener
Völker auf der internationalen Bühne der UN.
In der vierten Entwicklungsdekade (1991-
2000) erfolgte ein umfassender Paradigmen-
wechsel hin zum “Leitbild nachhaltiger Ent-
wicklung, das soziale, kulturelle, wirtschaftli-
che, politische und ökologische Aspekte zu
einem Gesamtkonzept integriert“ (KLEMP,
2000:61). Erst in diesem Prozess gelang es
den Entwicklungsagenturen, die Zielgruppen
2 http://www.nativeweb.org/papers/statements/ state/barbados1.php
und ihre sozialen, sozio-kulturellen und kultu-
rellen Potenziale und Konditionen in den Blick
zu bekommen: Männer und Frauen, Angehöri-
ge verschiedener sozialer Schichten und eth-
nischer Gruppen. Diese Entwicklungen finden
ihren Ausdruck in entsprechenden Veröffentli-
chungen, wie z.B. durch das BMZ: Soziokultu-
relle Kriterien für Vorhaben der Entwicklungs-
zusammenarbeit (1992), Sektorübergreifendes
Zielgruppenkonzept (1995) und 1999 das Par-
tizipationskonzept. Das Jahr 1992 – das Ge-
denken an 500 Jahre Eroberung oder “Begeg-
nung der Kulturen“ – und die Organisation
dieses Gedenkens durch indigene Völker in
Lateinamerika erleichterte ihre internationale
Wahrnehmung.
Einen Ausdruck finden diese Reflektionen
auch in der Verabschiedung des Papiers “För-
derung von Waldvölkern im Rahmen des Tro-
penwaldprogramms“ und des “Konzepts zur
Zusammenarbeit mit indianischen Bevölke-
rungsgruppen in Lateinamerika“ durch das
BMZ (beide 1996). Auch andere bilaterale
Geber und multilaterale Agenturen legten in
der Dekade der 1990er Jahre entsprechende
Konzepte vor. Die Diskussion war von zweier-
lei Interesse geleitet: Vorrangig war das Inte-
resse an der nachweislichen Wirksamkeit des
eigenen entwicklungspolitischen Tuns, d.h. der
Projekte und Programme der EZ und damit
auch an der Sicherung positiver Wirkungen auf
indigene Bevölkerungsgruppen. Wenn dies
nicht nachweisbar war, so sollte doch zumin-
dest abgesichert werden, dass indigenen Ziel-
gruppen kein Schaden zugefügt wurde.3
Diese frühen Ansätze zur Wahrnehmung indi-
gener Völker – von deutscher Seite auf Latein-
amerika und die Karibik konzentriert – bezogen
sich vor allem auf die indigenen Völker in Tief-
landregionen, meist in Waldregionen mit labi-
lem ökologischen Gleichgewicht. Im Zusam-
menhang mit der ökologisch orientierten
Nachhaltigkeitsdiskussion kamen indigene
Völker und ihre Formen angepasster Ressour-
cennutzung und damit ihre Funktionalität für
3 Im “Do-no-harm“-Ansatz im Kontext der Forderung von Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung wurde dieses Interesse außerhalb des spezifischen Zielgruppenbezugs auf indigene Völker zum metho-dischen Ansatz weiterentwickelt.
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
30
Maßnahmen des Natur- und Ressourcen-
schutzes in den Blick. Die Verknüpfung des
ethnischen mit dem ökologischen Diskurs er-
folgte international nach langen und schwieri-
gen Debatten insbesondere zum Konzept des
Schutzes natürlicher Ressourcen, an denen
auch indigene Organisationen aktiv beteiligt
waren. Dies findet in den Erklärungen des
“Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung“ 1992
in Rio de Janeiro seinen prominentesten Aus-
druck. Da der ökologische Diskurs international
mehr Aufmerksamkeit auslöste als die Forde-
rungen nach Anerkennung indigener Völker
führte die gelungene Verknüpfung beider zu
einer international größeren Aufmerksamkeit
für indigene Völker in ihrer Rolle als Bewahrer
natürlicher Ressourcen und labiler ökologi-
scher Gleichgewichte. Auf Grund seiner Be-
deutung wird dieser Ansatz bis heute verfolgt.4
Foto: Saraguro- Bevölkerung im Hochland Ecuadors (S. REINHARDT)
Die Wahrnehmung indigener Völker durch die
Institutionen der EZ korreliert auch mit den
Rollen, die indigene Völker innerhalb ihrer
Nationalstaaten einnahmen. Noch in den
1970er Jahren herrschte der Diskurs des
“mestizaje“ (Mestizisierung) vor, der die direkte
Ausgrenzung indigener Bevölkerung ablöste,
selbst jedoch ebenfalls eine Spielart von Aus-
grenzung darstellt: Indigene Völker werden
durch die Einebnung und Verleugnung ethni-
scher und kultureller Charakteristika nur als
Mestizen sozial anerkannt. Internationale Ent-
4 Vgl. die Arbeitsgruppe “Indigene Völker des Fach-verbundes Ländliche Entwicklung“ der GTZ (FORO
DE PROYECTOS “DESAROLLO RURAL EN LATINOAMÉRICA
Y CARIBE“, 2002; 2003) und das Positionspapier im TZ - Pilotvorhaben Umwelt und Ressourcenschutz der GTZ, 1993.
wicklungen, v.a. auf der UN-Ebene, haben die
allmähliche Anerkennung in den einzelnen
Ländern beeinflusst. In den 1980er Jahren
wurden in vielen lateinamerikanischen Ländern
indigene Völker, ihre Kulturen und Sprachen,
ihre damit verbundenen spezifischen Forde-
rungen zur Kenntnis genommen und in Geset-
zen, teilweise auch in neuen Verfassungen
aufgegriffen. Dieser Prozess verband sich in
vielen lateinamerikanischen Staaten mit der
Demokratisierung nach Phasen der Militärdik-
tatur. Aktueller Endpunkt dieser Entwicklung ist
die Verankerung des Konzepts einer multi-
ethnischen oder multikulturellen Gesell-
schaft (teilweise pluriethnisch und plurinational
genannt) in der Verfassung wie in Bolivien,
Brasilien, Ecuador, Guatemala, Kolumbien,
Nicaragua, Panama, Paraguay und Venezuela
(vgl. die zusammenfassende Analyse latein-
amerikanischer Rechtssysteme durch BARIÉ,
2004).
Die einzelnen Stränge dieses Prozesses der
Sichtbarwerdung indigener Völker, ihre Aner-
kennung in ihren Nationalstaaten, der Aufbau
von Vertretungsstrukturen auf unterschiedli-
chen Ebenen bis hin zu den UN und ihre “Be-
rücksichtigung“ in den Agenturen und Instan-
zen der Entwicklungszusammenarbeit ist von-
einander nicht zu lösen. Der Präsenz indigener
Vertreter auf UN-Ebene kommt dabei erhebli-
che Bedeutung zu. Mittlerweile ist IZ für indi-
gene Völker und ihre Organisationen eine der
Umfeldbedingungen, die sie in ihren Strategien
aufgreifen und an deren Gestaltung sie sich
beteiligen (wollen). Ein wesentliches Element
dieses neuen Verhältnisses Indigene Völker –
Internationale Zusammenarbeit ist die Aner-
kennung der jeweiligen Kompetenzen und
Interessen sowie ein dialogischer Prozess. Die
gesamtgesellschaftlichen Bedingungen in den
Partnerländern, die Positionen und Situationen
indigener Völker, ihre Kulturen und Lebens-
weisen sind ebenso wie die Konzepte und
Positionen der Institutionen der IZ permanen-
tem Wandel unterworfen. Angesichts dieses
Wandels sind alle Beteiligte immer wieder neu
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
31
zu einer eigenen Positionierung im Dialog auf-
gefordert.5
2. Hintergrund der Diskussion: Indigene Völker auf internationaler Ebene
Hauptunterstützer im Prozess der Sichtbar-
werdung indigener Völker waren die Vereinten
Nationen mit ihren Verlautbarungen mit welt-
weiter Gültigkeit. Indigene Völker aus Latein-
amerika und der Karibik waren ihrerseits wich-
tige Motoren dieser Entwicklung auf UN-
Ebene.
International Labour Organisation (ILO)
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO,
International Labour Organisation) ist eine
Sonderorganisation der Vereinten Nationen.
Sie wurde bereits 1919 gegründet und 1946 in
die UN eingegliedert. Ihre Themen sind seit
nahezu 100 Jahren soziale Gerechtigkeit,
Menschenrechte und Arbeitsrechte. Die ILO ist
das erste supranationale Gremium, das die
Thematik der indigenen Völker aufgriff und bis
heute die einzigen internationalen Regelwerke
hierzu verantwortet. Bereits 1957 wurde die
ILO Konvention 107 “Convention Concerning
the Protection and Integration of Indigenous
and other Tribal and Semi-Tribal Populations in
Independent Countries“ erarbeitet und verab-
schiedet, entsprechend dem damaligen Dis-
kussionsstand in einer durch Integration und
Assimilation geprägten Sicht auf die indigenen
und in Stämmen lebenden Völker. Nach der im
Auftrag der UN durch MARTÍNEZ COBO (1987)
durchgeführten Studie, der Einrichtung einer
Arbeitsgruppe zu indigenen Bevölkerungen
und dem Paradigmenwechsel in der internatio-
nalen Diskussion forderten auch indigene Ver-
treter zunehmend die Überarbeitung der Kon-
vention. Die Konvention 169 “Indigenous and
Tribal Peoples Convention“ ist Produkt dieser
Überarbeitung. Sie wurde 1989 verabschiedet
und trat 1991 in Kraft. Sie ist aktuell der Aus-
gangspunkt aller internationalen Dokumente,
Erklärungen und Übereinkünfte sowie der EZ-
5 Das BMZ bereitet aktuell in Zusammenarbeit mit Entwicklungsagenturen und NRO die Fortschrei-bung seines Konzeptes zur Zusammenarbeit mit indigenen Völkern vor, das mit indigenen Vertre-ter/innen abgestimmt werden soll.
Konzepte zu indigenen Völkern. Sie ist auch
wichtigster Bezugspunkt für indigene Organi-
sationen und ihre politischen Forderungen.
Die Konvention 169 garantiert als einziges
internationales Regelwerk mit völkerrechtlicher
Verbindlichkeit den indigenen Völkern das
Recht auf eigenes, meist historisch begründe-
tes Land,6 auf ihre Kultur und Sprache, und
verpflichtet die unterzeichnenden Regierungen
auf Mindeststandards bei der Umsetzung die-
ser Rechte. Sie betont den besonderen Beitrag
indigener Völker zur kulturellen Vielfalt.
Die Konvention verwendet den Begriff “Völker“,
schließt jedoch die damit verbundenen völker-
rechtlichen Ansprüche explizit aus. Die Dis-
kussion um diese Begrifflichkeit wird immer
wieder geführt. Auf deutscher Seite hat man
bislang den Begriff der “Bevölkerungen“ bzw.
“Bevölkerungsgruppen“ verwandt. In Anleh-
nung an internationale Vereinbarungen und
indigene Erwartungen wird in dieser Veröffent-
lichung von “Völkern“ im o.g. eingeschränkten
Sinn gesprochen.
Mit Relevanz für die Entwicklungszusammen-
arbeit spricht die Konvention 169 den indige-
nen Völkern das Recht zu, “ihre eigenen Priori-
täten für den Entwicklungsprozess“ festzule-
gen und bei der “Aufstellung, Durchführung
und Bewertung von Plänen und Programmen
für die nationale und regionale Entwicklung
mitzuwirken“. Damit verpflichtet sie auch die
Geberländer sowie die multilateralen Organisa-
tionen zu dieser partizipativen Vorgehenswei-
se.
Bisher wurde die Konvention von den folgen-
den lateinamerikanischen Staaten ratifiziert:
Argentinien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica,
Dominikanische Republik, Ecuador, Guatema-
la, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Paraguay,
Peru, Venezuela. Darüber hinaus haben Fi-
dschi, die Niederlande und Dänemark die Kon-
vention ratifiziert.7 Für Panama und El Salva-
6 Zur Diskussion um Land, Territorium, Habitat und die Implikationen dieser Konzepte, siehe auch RATHGEBER in diesem Band. 7 Das EU Parlament hat die Mitgliedsstaaten 2002 aufgefordert, dem Beispiel Dänemarks und der Niederlande zu folgen und die Konvention zu ratifi-zieren, vgl. A5-0451/23002.
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
32
“Respecto a demandas de cooperación inter-nacional puedo señalar lo siguiente. Dere-chos, Democracia y Ciudadanía, Recursos naturales renovables y no renovables, Fo-mento Económico, Educación.”
FROILAN CONDORI (CSUTCB) Bolivien (Quelle: persönliche Kommunikation)
dor, die die Konvention 107, nicht aber die
Konvention 169 ratifizierten, bleibt erstere ver-
bindlich. Nach einer Analyse der IDB wird die
Konvention im jeweils nationalen Recht höchst
unterschiedlich, zum Teil jedoch auch von
Ländern umgesetzt, die sie nicht ratifiziert ha-
ben.8 Auf der Grundlage einer qualitativen
Analyse der für Indigene relevanten Geset-
zeswerke reicht die Spannbreite der Imple-
mentierung von über 80% in Mexiko und Ko-
lumbien bis zu 20% in Guatemala.
Daneben sind indigene Völker und ihre Rechte
auch von anderen ILO Standards betroffen,
beispielsweise in der Konvention 29 zur
Zwangsarbeit (1930), Konvention 111 zu Dis-
kriminierung in Arbeit und Beschäftigung
(1958) und der “UN-Konvention zur Beseiti-
gung jeder Form von Rassendiskriminierung
(1965).“
In diesem Zusammenhang ist auch die “Ameri-
can Declaration on the Rights of Indigenous
Peoples“ zu erwähnen, die auf Ebene der Or-
ganisation Amerikanischer Staaten (OAS) be-
arbeitet wird, aber noch nicht verabschiedet ist.
Erst 1999 wurde der von den Staaten erarbei-
tete Erklärungsentwurf für die Kommentierung
durch indigene Vertreter/innen geöffnet und
2001 gemeinsam diskutiert. Die Kontroversen
sind noch nicht ausgeräumt.
Arbeitsgruppe zu indigenen Völkern
Für die Präsenz indigener Völker war daneben
insbesondere seit 1982 die Arbeitsgruppe zu
indigenen Bevölkerungen von Bedeutung. Die
Arbeitsgruppe wurde im September 1981 von
der Unterkommission für die Förderung und
den Schutz der Menschenrechte vorgeschla-
gen, im März 1982 von der UN-
Menschenrechtskommission angenommen
und im Mai 1982 von ECOSOC (Wirtschafts-
und Sozialrat der UN) gebilligt. Sie hält seit 20
Jahren ein jährliches Arbeitstreffen ab. Diese
Arbeitsgruppe ist die offenste der UN-Gremien
für indigene Völker: auch Vertreter/innnen von
indigenen Organisationen können daran teil-
nehmen. Sie ist aktuell in ihrem Fortbestand in
die Diskussion geraten.
8 Vgl. entsprechende Details unter http://www.iadb.org/sds/ind
Indigene Dekade (1995-2004)
Einer Empfehlung der Weltkonferenz über
Menschenrechte (1993 in Wien) folgend, die
ebenfalls die indigenen Völker mit ihrem “ein-
zigartigen Beitrag zu gesellschaftlicher Ent-
wicklung und Pluralismus“ würdigte, rief die
UN-Generalversammlung (Resolution 48/163
of 21 Dezember 1993) die “Internationale De-
kade der autochthonen Bevölkerungsgruppen
der Welt 1995-2004“ (im folgenden “indigene
Dekade“) aus. Ziel der Dekade war es u.a. die
internationale Zusammenarbeit auf die Lösung
der Probleme, mit denen indigene Völker kon-
frontiert sind (Umwelt, Menschenrechte, Ent-
wicklung, Bildung, Gesundheit u.a.) zu orientie-
ren. In ihrem Verlauf sollte außerdem eine UN-
Erklärung zu indigenen Rechten verabschiedet
werden.
Mit Beginn der indigenen Dekade berief die
Kommission eine weitere Arbeitsgruppe zur
Erarbeitung eines Textentwurfs ein, mit dem
Ziel, im Rahmen der Indigenen Dekade der
UN-Vollversammlung einen konsensfähigen
Erklärungsentwurf vorzulegen: “Open Ended
Working Group on the Draft Declaration on the
Rights of Indigenous Peoples“ (WGDD). Diese
Arbeitsgruppe mit einer feststehenden Mit-
gliedschaft hat 1993 einen Entwurf zu einer
UN-Erklärung zu Rechten der indigenen Völker
erarbeitet, der seit 1994 der Menschenrechts-
kommission zur weiteren Bearbeitung vorliegt.
Der Vorschlag ist sehr weitreichend:
“(…) covers rights and freedoms including the
preservation and development of ethnic and
cultural characteristics and distinct identities;
protection against genocide and ethnocide;
rights related to religions, languages and edu-
cational institutions; ownership, possession or
use of indigenous lands and natural resources;
protection of cultural and intellectual property;
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
33
maintenance of traditional economic structures
and ways of life, including hunting, fishing,
herding, gathering, timber-sawing and cultiva-
tion; environmental protection; participation in
the political, economic and social life of the
States concerned, in particular in matters
which may affect indigenous people's lives and
destinies; self-determination; self-government
or autonomy in matters relating to indigenous
peoples' internal and local affairs; traditional
contacts and cooperation across State
boundaries; and the honouring of treaties and
agreements concluded with indigenous peo-
ples. The draft declaration also foresees mutu-
ally acceptable and fair procedures for resolv-
ing conflicts or disputes between indigenous
peoples and States, involving means such as
negotiations, mediation, arbitration, national
courts, and international and regional human
rights review and complaints mechanisms”
(UNHCHR, 1995, Internetveröffentlichung).
Hauptschwierigkeit ist die kontroverse Diskus-
sion um das Selbstbestimmungsrecht indige-
ner Völker.
Zum Ende der Dekade muss aktuell festge-
stellt werden, dass die Ziele nicht
zufriedenstellend erreicht worden sind. Die
Auswertung der Wirkungen der Dekade durch
Vertreter/innen indigener Organisationen
weltweit kommt ebenfalls zu einem nur
eingeschränkt positiven Ergebnis (vgl.
CONFERENCIA DEL MILENIO DE LOS PUEBLOS
INDÍGENAS, 2001). Die Arbeitsgruppe hatte
daher vorgeschlagen, die Dekade um weitere
10 Jahre zu verlängern. Dies wurde jedoch
bisher abgelehnt.
Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission
Neben der Durchführung von international
beachteten Studien (vgl. MARTÍNEZ COBO, 1987
und DAES, 2000) und der Einrichtung der Ar-
beitsgruppen und Diskussionsforen benannte
die UN-Menschenrechtskommission einen
Sonderberichterstatter für indigene Angele-
genheiten, Dr. Rodolfo Stavenhagen. Jährlich
legt der Sonderberichterstatter der UN-
Menschenrechtskommission einen Bericht
über die Situation indigener Völker vor, mit
besonderer Relevanz für die Länder, die er im
Laufe des Jahres besuchte und für die er eige-
ne nationale Berichte erstellte, so zum Beispiel
für Chile (2003) und Kolumbien (2004). Außer-
dem ist er Ansprechpartner für alle indigenen
Völker, Organisationen und Individuen, die sich
direkt an ihn wenden können.
Ständiges Forum für indigene Fragen
Einer weiteren Empfehlung der Weltkonferenz
zu Menschenrechten (Wien, 1993) folgend,
beschlossen die UN die Einrichtung des “Stän-
digen Forums für indigene Fragen“, das seit
2002 direkt an den ECOSOC angegliedert ist.
Es nimmt die Forderung indigener Organisati-
onen auf, offiziell im UN-System verankert zu
sein. Mitglieder des Ständigen Forums sind 16
unabhängige Experten, die als Personen in
dieses Gremium berufen werden. Acht Mitglie-
der werden von den Regierungen vorgeschla-
gen und weitere acht setzen sich aus Angehö-
rigen indigener Völker zusammen, die vom
Präsidenten des ECOSOC bestimmt, d.h. nicht
direkt von indigenen Organisationen ernannt
werden. Aufgabe des Forums ist die Beratung
der Vereinten Nationen bei Angelegenheiten,
die indigene Völker betreffen. Befugnisse (Be-
ratung oder Entscheidung), Zusammensetzung
(berufen oder entsandt) und der Name des
Forums (“für indigene Völker“ oder “für indige-
ne Fragen“) wurden lange diskutiert und nicht
zur Zufriedenheit der indigenen Vertreter/innen
gelöst. Das Forum tagt seit 2002 einmal im
Jahr und wird 2007 evaluiert werden.
Weltkonferenzen
Die grundlegenden Positionen der UN zum
Schutz und zur Förderung indigener Völker
wurden in den einschlägigen Weltkonferenzen
seit der 1990er Dekade jeweils auf die spezifi-
sche Thematik und ihre Relevanz für indigene
Völker ausformuliert. Die jeweiligen Erklärun-
gen werden auch in der Entwicklungszusam-
menarbeit als sektorale Richtwerte und Emp-
fehlungen aufgegriffen.
Die Empfehlungen der Weltkonferenz zu Men-
schenrechten 1993 in Wien wurden bereits
genannt. Die beiden “Weltkonferenzen zur
Bekämpfung des Rassismus und Rassendis-
kriminierung“ (1978 und 1983) haben die spe-
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
34
“Support should be targeted directly to in-digenous peoples organisations rather than the creation of complex organisational struc-tures which serve as obstacles to decision-making, disbursement and implementation. The partnership model (...) provides a useful potential model for such an approach (...)”
MARCIAL ARIAS (Direktor der Stiftung zur Förderung traditionellen Wissens, Panama) (Quelle: ARIAS, 2002:23)
zifische Diskriminierung indigener Völker und
in ihrer Abschusserklärung einige der im Ent-
wurf der WGDD genannten Prinzipien themati-
siert. Ausführlich und eindrücklich finden sich
die Interessen und Rechte indigener Völker in
der “Weltkonferenz gegen Rassismus, Ras-
sendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und
damit zusammenhängender Intoleranz“ (2001
in Durban) und deren Schlusserklärung wieder
(UNHCHR, 2001).
Von besonderer Bedeutung für die Entwick-
lungszusammenarbeit aber auch für die Situa-
tion indigener Völker war der erste “Weltgipfel
für nachhaltige Entwicklung“ 1992 in Rio de
Janeiro. Insbesondere die Agenda 21 identifi-
ziert indigene Völker neben Frauen und Ge-
werkschaften als relevante Gruppen und stellt
in ihrem Kapitel 26 deren wichtige Rolle für die
nachhaltige Entwicklung heraus. Dies wurde
im Jahr 2002 in der Erklärung von Johannes-
burg über nachhaltige Entwicklung (Rio plus
10; Artikel 25) erneut bestätigt.
Das “Übereinkommen über die biologische
Vielfalt“ (Biodiversitätskonvention) wurde eben-
falls 1992 in Rio de Janeiro erarbeitet und bis-
her von 186 Staaten und der EU unterzeichnet.
Mit dem Artikel 8j (In-situ-Erhaltung) der Kon-
vention wird erstmals Existenz und Bedeutung
traditionellen Wissens als allgemeines Kultur-
gut indigener Gemeinschaften anerkannt. Da-
mit wird auch das Einverständnis indigener
Wissensträger zur breiten Nutzung traditionel-
len Wissens und ihre Beteiligung am dabei
entstehenden Gewinn festgelegt. Die schwieri-
ge konkrete Umsetzung dieser Rechtsgrundla-
ge beschäftigt nicht nur die darauf spezialisier-
te UN-Sonderorganisation WIPO (Weltorgani-
sation für geistiges Eigentum), sondern eben-
falls die Abkommen über handelsbezogene
Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum
(TRIPS) (siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in
diesem Band).
Auch die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo
(1994), die Weltfrauenkonferenz 1995 in Pe-
king und Habitat II (1996) in Istanbul griffen die
Thematik auf, konstatierten die spezifische
Problematik indigener Völker und bestätigten
ihre Rechte und Rolle für eine nachhaltige
Entwicklung ihrer Gesellschaften.
Indigene Völker sind ebenfalls bei den Welt-
kongressen zu Naturschutzgebieten (IUCN)
seit 1996 beteiligt und werden in den jeweili-
gen Erklärungen und Empfehlungen zuletzt
2003 in Durban entsprechend gewürdigt; ihre
grundlegenden Forderungen nach Land, Res-
sourcen und Beteiligung werden explizit aner-
kannt (siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in die-
sem Band).
Andere UN-Organisationen
Auch andere spezialisierte UN-Organisationen
haben sektorspezifische Positionierungen hin-
sichtlich indigener Völker vorgenommen. Die
WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat über
die Panamerikanische Gesundheitsorganisati-
on (PAHO) mit spezifischem Fokus auf Latein-
amerika 1997 die Initiative “Strategic Orientati-
ons for the Implementation of the Health of the
Indigenous Peoples“ lanciert (siehe auch
HEISING & REINHARDT in diesem Band). Die
Organisation der Vereinten Nationen für Bil-
dung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) hat
in ihrer jüngsten Erklärung zur kulturellen Viel-
falt9 im vierten Artikel verdeutlicht: “The defen-
ce of cultural diversity is an ethical imperative,
inseperable from respect for human dignity. It
implies a commitment to human rights and
fundamental freedoms, in particular the rights
of persons belonging to minorities and those of
indigenous peoples.“ Aber auch in Vorläufer-
dokumenten mit weniger verbindlichem Cha-
rakter, wie dem Bericht “Unsere kreative Viel-
falt“ (1995) der “Weltkommission Kultur und
Entwicklung“ unter Leitung von Pérez de Cuel-
lar wird auf die Bedeutung kultureller Diversität
9 “This is a legal instrument, which recognizes, for the first time, cultural diversity as a common heri-tage of humanity” (UNESCO, 2001).
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
35
und die Rolle, die indigene Völker dabei spie-
len, aufmerksam gemacht. Diese international
relevanten Verlautbarungen werden als Be-
gründung für den Schutz indigener Völker und
der von ihnen verbürgten Vielfalt herangezo-
gen. Auch UNEP (Umweltprogramm der Ver-
einten Nationen) bearbeitet die Thematik indi-
gene Völker und hebt dabei besonders ihre
Rechte, Zwangsumsiedlung zu vermeiden, und
sich an Entscheidungsfindungen und im Sinne
eigener Prioritäten zu beteiligen, hervor. Dabei
sollen vor allem indigene Frauen und Indigene
in Konflikt- und Postkonfliktsituationen unter-
stützt werden.
UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen) verabschiedete erst im Jahr 2001
nach mehreren Konsultationsrunden auch mit
indigenen Organisationen das Konzept “UNDP
and Indigenous Peoples – A Policy of Enga-
gement“. UNDP fokussiert in seiner Kooperati-
on mit indigenen Völkern auf intellektuelle Ei-
gentumsrechte, Armutsreduzierung sowie Kon-
fliktprävention und Friedensförderung, und will
Perspektiven und Entwicklungskonzepte indi-
gener Völker in die eigene Arbeit integrieren.
Damit soll langfristig die Beteiligung indigener
Völker auf allen Entscheidungsebenen erreicht
werden.
Foto: Maya Kinder in Guatemala (A. BEGEMANN)
Mit diesen verbindlichen Vereinbarungen der
Völkergemeinschaft wird für die Entwicklungs-
zusammenarbeit ein Rahmen vorgegeben und
sektoral präzisiert, der für multi- und bilaterale
Geber und Entwicklungsagenturen nicht nur
eine hilfreiche Orientierung sein kann, sondern
Standards definiert und bindenden Charakter
hat. Die auf UN-Ebene vereinbarten Rechte
indigener Völker betreffen nicht nur die Ver-
tragsstaaten der ILO Konvention 169 und die
Staaten mit indigenem Bevölkerungsanteil,
sondern auch all jene Staaten und Institutio-
nen, die mit ihrem Einfluss die Entwicklung
anderer Länder und damit auch die Chancen
und Möglichkeiten dort lebender indigener
Völker mitbestimmen.
Die Gremien indigener Völker auf UN-Ebene
greifen ihrerseits die international diskutierten
Themen in ihren Sitzungen auf, und versuchen
damit Synergien mit anderen mehr beachteten
Institutionen des UN-Systems zu erwirken. So
war das zentrale Thema des “Ständigen Fo-
rums für indigene Fragen“ 2003 “Indigene Kin-
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
36
der und Jugendliche“. Damit ergab sich 2003
eine inhaltliche Synergie mit den Bemühungen
um die Anerkennung der Kinderrechte durch
das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen,
UNICEF (Kinderrechtskonvention von 1989,
insbesondere Artikel 30: Rechte indigener
Kinder). UNICEF, 2003 wiederum hatte die
Thematik indigener Kinder zum Jahresthema
erklärt und die Veröffentlichung “Ensuring the
Rights of Indigenous Children“ vorgelegt. Die
Bedeutung dieser Synergien kann nicht über-
schätzt werden: Wenn UNICEF die Thematik
indigener Kinder und Jugendlicher aufgreift,
und die Rechte der entsprechenden Konventi-
on spezifisch für diese Zielgruppe thematisiert,
hat das eine breitere Wirkung als die Diskussi-
onen im eher intern wahrgenommenen “Stän-
digen Forum“.10 Eine ähnlich strategische Ver-
knüpfung von Themen und politischen Forde-
rungen leistet die WGDD mit dem zentralen
Thema für 2004 “Indigene Völker und Konflikt-
bearbeitung“, angesichts der zunehmenden
Relevanz, die das Thema der Konfliktbearbei-
tung international und in der IZ gewinnt.
Weltbank
Als eine der ersten multilateralen Institutionen
hat die Weltbank – auch auf Grund der spezifi-
schen Kritik gegen bankenfinanzierte Großpro-
jekte vor allem im Bereich von Infrastruktur-
maßnahmen – im September 1991 ihre Leitli-
nien für die Zusammenarbeit mit indigenen
Völkern, die “Operational Directive (OD) 4.20“
veröffentlicht, mit dem Ziel
sicherzustellen, dass indigene Völker von
Entwicklungsprojekten profitieren und,
mögliche negative Auswirkungen der Akti-
vitäten der Bank auf indigene Völker zu
vermeiden oder zu überwinden.
Hierzu soll ein “Indigenous People's Develop-
ment Plan“ verhelfen, in dessen Rahmen Fra-
gen mit Relevanz für indigene Völker als Teil
des Dialogs zwischen Bank und den Empfän-
gerländern festgeschrieben werden.
10 Als Indikator für die unterschiedliche Bedeutung und Bekanntheit der Konventionen sei auf die An-zahl der unterzeichnenden Staaten hingewiesen: ILO Konvention 169: 16 und Kinderrechtskonventi-on: 192.
Das Konzept definiert indigene Völker nach
den Kriterien der Selbstidentifizierung und
Identifizierung durch andere, Sprache, eigener
sozialer Institutionen, einer engen Bindung an
ihr traditionelles Land und ihre Umwelt und
einer an Subsistenzwirtschaft orientierten Pro-
duktion. Diese Definition schließt weite Teile
indigener Bevölkerung aus, explizit die Indige-
nen, die nicht in der Landwirtschaft tätig, bzw.
in Städte migriert sind.
Das Konzept befindet sich in Überarbeitung.
Die neue Version wird als Operational Policy/
Bank Procedures 4.10 “World Bank Draft Indi-
genous Peoples Policy“ seit 2001 mit Regie-
rungen, Nichtregierungsorganisationen (NRO),
Experten und indigenen Organisationen disku-
tiert.
Gleich bleibt in der neuen Version die Fokus-
sierung auf indigene Völker im ländlichen
Raum, einschließlich der Anerkennung indivi-
dueller und kollektiver Landrechte und der
Betonung indigenen Wissens. Indigene
Migrant/innen werden von diesem Konzept
weiterhin explizit ausgeschlossen (siehe auch
SPEISER in diesem Band). Positiv ist eine stär-
kere Beteiligung der indigenen Gemeinschaf-
ten bei der Entwicklung und Umsetzung von
Projekten, Konsultations- und Beteiligungs-
rechten vor allem auch indigener Frauen. Die
Umsetzung des Konzeptes in den Vorhaben
der Bank soll stärker operationalisiert werden,
beispielsweise im empfohlenen “Poverty and
Social Impact Analysis“.11
Interamerikanische Entwicklungsbank
Bereits seit Mitte der 1980 Jahre war es erklär-
tes Ziel der Interamerikanischen Entwicklungs-
bank (IDB), auf eine größtmögliche Vermei-
dung negativer Neben- und Folgewirkungen
ihrer Arbeit auf die indigenen Völker Latein-
amerikas zu achten. Folgerichtig wurden die
Anliegen indigener Völker seit Beginn der
1990er Jahre verstärkt in den Maßnahmen der
IDB berücksichtigt.
Im Februar 2004 hat die IDB nun eine eigene
Indigenenpolitik in zwei Entwürfen (2004a;
11 Vgl. http://lnweb18.worldbank.org/ESSD/ sdvext.nsf/81ByDocName/PSIAintheWorldBank
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
37
2004b) zur weiteren Diskussion vorgelegt:
“Strategic Framework for Indigenous Deve-
lopment“ und “Operational Policy on Indige-
nous Peoples”. Fokus ist dabei ”development
with identity“, “(…) a concept that recognizes
the conditions of material poverty, inequality
and exclusion of indigenous peoples, as well
as the potential of their cultural, natural and
social assets, with a view to increasing their
access, with gender equality, to the opportuni-
ties for socioeconomic development, at the
same time as strengthening their identity, cul-
ture, territoriality, natural resources and social
organization, under the premise that sustain-
able development requires the initiative and
empowerment of the beneficiaries, respect for
their individual and collective rights, and the
recognition that indigenous peoples’ develop-
ment significantly benefits society as a
whole.”12 Dieser Fokus soll in Projekten, Richt-
linien, Instrumenten etc. der Interamerikani-
schen Entwicklungsbank verbreitet und zur
Umsetzung gebracht werden.13
Weltbank und IDB unterhalten zusammen mit
anderen Entwicklungsorganisationen seit 1991
das Netzwerk “Interagency network on indige-
nous issues“, das erstmalig in Washington
1991, danach vier weitere Male, zuletzt im Mai
2002 in Santa Cruz, Bolivien, organisiert durch
den Fondo Indígena, zusammentrat. Haupt-
sächliches Ziel des Netzwerks sind der Infor-
mationsaustausch und die wechselseitige Un-
terstützung bei der Verbesserung der eigenen
Arbeit mit indigenen Völkern.14
Europäische Union
Für die europäische Entwicklungszusammen-
arbeit, auch für die bilaterale Kooperation der
europäischen Länder, ist die Position der Eu-
ropäischen Union (EU) von besonderer Rele-
vanz, auch wenn sie für die Mitgliedsstaaten
12 Vgl. http://www.iadb.org/sds/doc/ind-GN2296E.pdf 13 Eine Reihe von Studien, die für Umsetzung und Monitoring der neuen Politik von Bedeutung sind, sind auf der spezialisierten Internetseite der IDB einsehbar: http://www.iadb.org/sds/ind 14 Vgl. http://wbln0018.worldbank.org/ESSD/ indigenous.nsf/Control?OpenView&DN=1&SC=QUE +ES+LA+RED+INDIGENA?&
und die EU-Administration nicht bindend ist.15
Grundlage der EU-Position ist eine Resolution
des Europäischen Parlaments von 1994, in der
die UN-Standards für die Kooperation mit indi-
genen Völkern anerkannt werden (A3-
0059/94). Berücksichtigt wurden ebenfalls die
Ergebnisse einer 1995 von der “European
Alliance with Indigenous Peoples“ durchgeführ-
ten Studie zu den Auswirkungen von EU finan-
zierten Entwicklungsvorhaben auf indigene
Völker. Ausgehend von einer Initiative Däne-
marks und Spaniens hat die Europäische Uni-
on ihre Politik der Entwicklungszusammenar-
beit mit indigenen Völkern im “Working Docu-
ment of the Commission on support for indige-
nous peoples in the development co-operation
of the Community and the Member States“
vom 11. Mai 1998 und in der für die Mitglieds-
staaten bindenden Resolution des Europäi-
schen Rats vom November des gleichen Jah-
res definiert (EUROPÄISCHE UNION, 1998a,
1998b).
Das Ziel der entwicklungspolitischen Koopera-
tion der EU mit indigenen Völkern ist die Stär-
kung ihrer Rechte und Fähigkeiten, eine eige-
ne soziale, ökonomische und kulturelle Ent-
wicklung zu gestalten. In diesem Sinne soll der
Wirkungsgrad der europäischen Entwicklungs-
politik erhöht und die Förderung indigener Völ-
ker als Querschnittsaufgabe der EU in alle
Vorhaben integriert werden. In Fragen der
Anerkennung des Widerspruchsrechts indige-
ner Völker bei Projekten geht das EU-
Arbeitsdokument über die internationalen Vor-
gaben hinaus: “Indigene Völker haben das
Recht, ihren eigenen Entwicklungsweg zu
wählen, was das Widerspruchsrecht bei Pro-
jekten beinhaltet, speziell auf ihren traditionel-
len Gebieten. Dies umfasst auch Kompensati-
onen, wo Projekte negative Auswirkungen auf
die Lebensumstände von indigenen Völkern
haben“ (Art. 6).
Hinsichtlich der Maßnahmen in Einzugsgebie-
ten von und mit Auswirkungen auf indigene
Völker verweist das Arbeitsdokument auf das
Konzept des “freien, frühzeitigen und infor-
15 Die EU ist einschließlich der bilateralen Koopera-tion der EU Mitgliedsstaaten weltweit der größte Geber (GRIFFITHS, 2003:30).
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
38
mierten Konsens“16. In Genehmigungspro-
zessen ist die Zustimmung indigener Völker
bei Projekten, die sie betreffen, rechtzeitig und
umfassend einzuholen.
Die Koordination der Zusammenarbeit mit indi-
genen Völkern ist in der Generaldirektion
“Auswärtige Beziehungen“ angesiedelt. In ei-
nem Bericht der Kommission an den Rat wur-
den im Juni 2002 die Fortschritte bei der Um-
setzung der Politik in konkrete Leitlinien und
Projekte zusammengefasst. Belange und
Rechte indigener Völker werden im Rahmen
eines Trainingsprogramms zu Menschenrech-
ten für das Personal der EU-Kommission the-
matisiert. Die EU-Kommission stellte im inter-
nationalen Workshop (SPEAKING OUT, 2002)
ihren Bericht zur Diskussion. Die beteiligten
indigenen Vertreter/innen formulierten ihre
Empfehlungen für die weitere Arbeit. Hieraus
soll neben den Forderungen nach einer ver-
bindlichen Politik und der besonderen Beto-
nung indigener Landrechte hervorgehoben
werden: “It is necessary to include the con-
cerns of indigenous peoples in the elaboration
of Country Strategies and in thematic strate-
gies, taking into account the Convention of
Cotonou between the EU and the ACP coun-
tries which contemplates the participation of
non-State actors in the elaboration of country
strategies“. Diese Empfehlung verdeutlicht
zweierlei: Zum einen die Notwendigkeit, Leitli-
nien der spezifischen Vereinbarungen zu indi-
genen Völkern in die übrigen Strategien einzu-
führen, und zum anderen dabei die direkte
Beteiligung indigener Vertreter zu ermöglichen.
Die indigenen Vertreter/innen machten klar,
dass die von ihnen angestrebte langfristig ori-
entierte Partnerschaft über die Projektebene
hinausgeht (vgl. SPEAKING OUT, 2002: Conclu-
sions, Pkt. 3). Dabei wird die Bedeutung der
Reziprozität unterstrichen: “Mutuality means
that there is a recognition that each party
brings something distinct and special to the
relationship, and therefore have different roles
in the relationship. (...) on the basis of equality,
taking into account the historical reality of each
of the actors in this co-operation“ (SPEAKING
16 Eigene Übersetzung, (“free, prior and informed consent“), siehe auch unten.
OUT, 2002: Conclusions, Pkt. 5). Des weiteren
wird die EU nachdrücklich aufgefordert, ihre
Prinzipien der Zusammenarbeit mit indigenen
Völkern in einer umfassenden und für die Mit-
gliedsstaaten und die eigene Administration
bindenden Politik weiter zu bearbeiten, und
dabei die Vertreter/innen indigener Völker zu
beteiligen.
Dieser Ansatz spiegelt sich ebenfalls in den
Empfehlungen des “Ständigen Forums für
indigene Fragen“ bei den UN an bi- und multi-
laterale Institutionen der EZ wider. Aus indige-
ner Sicht ist es eine doppelte Strategie, die
zum Einsatz kommt: die Verankerung des
Themas und der indigenen Völker als Partner
über eigene Strukturen, möglichst mit einem
hohen Anteil an Partizipationsmöglichkeiten
der indigenen Organisationen, und gleichzeitig
die Verknüpfung mit bestehenden Strukturen.
Dem kommen die Entwicklungsagenturen nicht
in ausreichendem Maße nach, da sie sich zwar
in einzelnen Dokumenten und Rahmenrichtli-
nien auf die Achtung und Förderung indigener
Völker verpflichtet haben, das Mainstreaming
der Blickrichtung auf indigene Völker aber nicht
überzeugend und nachvollziehbar in ihren
Projekten und Programmen umsetzen.
Aktuell kann diese Verknüpfung in den neuen
Armutsminderungsstrategien (Poverty Reduc-
tion Strategy Process PRSP) beobachtet wer-
den. Das “Poverty Reduction Strategy Paper“
Boliviens vom Mai 2001 beispielsweise greift
die Thematik indigener Völker und ihre Anfor-
derungen und Potenziale zur Armutsminde-
rung auf. Es ist somit ein Beispiel gelungenen
Mainstreaming. Hinweise finden sich auch in
den PRSP (PRS Paper) für Honduras vom
Dezember 2003. Wie sich dies in der Umset-
zung auswirkt, wird beobachtet werden müs-
sen.
Auch außerhalb der EZ thematisieren die Gip-
feltreffen zwischen der EU und den lateiname-
rikanischen Staaten die Belange indigener
Völker und bestätigen deren Recht auf Aner-
kennung einschließlich ihrer Sprachen und
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
39
Kulturen und auf den Schutz ihrer traditionellen
Wissensbestände (OEI, 1999; 2002; 2004).17
3. Deutsche EZ und indigene Völker
Im europäischen Kontext haben folgende Län-
der ein eigenes Konzept für ihre bilaterale EZ
mit indigenen Völkern verabschiedet: Nieder-
lande 1993, Dänemark 1994, Spanien 1997,
Schweiz 1998. Im November 1996 verab-
schiedete das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) sein “Konzept zur Entwicklungszusam-
menarbeit mit indianischen Bevölkerungsgrup-
pen in Lateinamerika“18, das anders als Kon-
zepte anderer Geber sich ausschließlich auf
Lateinamerika und die Karibik bezieht. Diese
geografische Konzentration, die sich im Kon-
zept der spanischen EZ ebenfalls wiederfindet,
nicht jedoch im dänischen und im EU-Konzept,
wird mit dem Organisationsgrad indigener Völ-
ker in Lateinamerika und der Erarbeitung eige-
ner Entwicklungsoptionen begründet, die die
Umsetzung eines spezifischen Förderansatzes
in Lateinamerika erfolgversprechender er-
scheinen lassen. Grundlage für die Erarbeitung
des Konzeptes waren die internationalen Kon-
ventionen und Empfehlungen der UN sowie die
bis dato in der Kooperation mit den indigenen
Völkern und den Ländern bzw. Regierungen
gewonnenen Erfahrungen. Das Konzept gilt
seither als verbindliche Orientierung für die
Durchführungsorganisationen der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit, wurde 1999/
2000 evaluiert und soll in Kürze auf der Grund-
lage der Ergebnisse weiterer Fallstudien in
ausgewählten Ländern (Guatemala, Bolivien,
Ecuador, 2004) überarbeitet und fortgeschrie-
ben werden. Anders als in seiner ersten Versi-
on (1996), in der Nicht-Regierungs-
Organisationen, nicht aber indigene Vertre-
17 Internetveröffentlichung http://www.oei.es/rio2.htm ; http://www.oei.es/ueal2002b.htm und http://www.oei.es/guadalajara.pdf 18 Das BMZ-Konzept von 1996 spricht von “indiani-scher Bevölkerung“ oder “indianischen Bevölke-rungsgruppen“. Inzwischen besteht Einverständnis darüber, von “indigenen Völkern“ zu sprechen, wo-bei der Begriff “Volk“ nicht im völkerrechtlichen Sinn gebraucht wird. Eine terminologische Angleichung an den internationalen Sprachgebrauch ist für die Fortschreibung des Konzeptes zu erwarten.
ter/innen an den Diskussionen beteiligt waren,
sollen jetzt auch indigene Vertreter/innen aktiv
an der Fortschreibung der Konzeption mitwir-
ken.
Das BMZ Konzept zielt auf die “Verstärkung
des EZ Engagements zugunsten indigener
Bevölkerungsgruppen“, beinhaltet aber explizit
“keine einseitige Privilegierung indigener Ziel-
gruppen oder die Unterstützung ethnisch orien-
tierter separatistischer Bestrebungen“ (BMZ,
1996b:3). Begründet wird der Fokus auf indi-
gene Völker mit einer zusammenfassenden
Analyse ihrer anhaltenden Benachteiligungen,
und der in der Praxis unzureichenden Umset-
zung internationaler Verpflichtungen (ILO Kon-
vention 169).
Trotz dieser Missachtungen der Rechte indi-
gener Völker sieht das BMZ Konzept Anknüp-
fungspunkte in den lateinamerikanischen Staa-
ten “zu grundlegenden Veränderungen in ih-
rem Verhältnis zu der eigenen indianischen
Bevölkerung“ (BMZ, 1996b:6). Die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit unterstützt indi-
gene Völker bei der Formulierung, Durchset-
zung und Anerkennung ihrer legitimen Rechte
im Kontext ihrer Zielsetzungen, wie:
Armutsbekämpfung
Wahrung der Menschenrechte
Konsolidierung demokratischer Gesell-
schaftsstrukturen
Politische Partizipation aller Bevölke-
rungsgruppen
Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am
gesellschaftlichen Wohlstand
Anerkennung traditioneller Kenntnisse und
Anerkennung nachhaltiger Bewirtschaf-
tungsformen in sensiblen Ökosystemen
In Regionen mit hohem indianischem Bevölke-
rungsanteil in den Andenländern, im Chaco-
Gebiet (Paraguay/ Bolivien), im Amazonasbe-
cken und in Mittelamerika konzentriert sich die
bisherige Förderung. Eine einseitige Konzent-
ration auf im Tropenwald ansässige indiani-
sche Bevölkerungsgruppen soll explizit ver-
mieden werden. Das BMZ fördert Ansätze der
Zusammenarbeit auf regionaler Ebene, u.a.
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
40
“(…) como mujer, indígena y ex-dirigenta del movimiento indígena, a nombre de los pue-blos indígenas del Ecuador agradezco el trabajo de la Cooperación Alemana en el Ecuador, y decir que ahora más que nunca, en esta nueva coyuntura que viven las comu-nidades y organizaciones exhortar a que sigan cooperando como lo vienen haciendo en todos los campos: educativo, ambiental, procesos participativos y democráticos, forta-lecimiento de economías territoriales y forma-ción de líderes.”
LOURDES TIBÁN, CONAIE, Ecuador (Quelle. persönliche Kommunikation)
“Otro tipo de cooperación ha sido la coopera-ción solidaria, la cual ha generado procesos con el pueblo. Estos procesos han sido parti-cipativos y la contraparte nacional se ha transformado en una fuente permanente de consultoría para que las políticas de estado se mantengan a largo plazo.”
ANGEL RAMÍREZ, DINEIB, Ecuador (Quelle: persönliche Kommunikation)
auch durch die länderübergreifende Kooperati-
on und Vernetzung von Einzelvorhaben.
Indigene Zielgruppen sollen laut BMZ Konzept
sektorunabhängig immer einbezogen werden,
wenn sie von einem Projekt direkt oder indirekt
betroffen sind. Darüber hinaus nennt das Kon-
zept spezifische Schwerpunkte der direkten
Kooperation mit indigenen Völkern wie z.B.:
Gesetzliche Absicherung der tradierten
Rechtsansprüche (individuelle und ge-
meinschaftliche Eigentums-, Besitz- und
Nutzungsrechte)
Schutz vor Zwangsumsiedlung, entschädi-
gungsloser Enteignung und sonstigen Ein-
griffen in ihren Lebens- und Wirtschafts-
raum
Sicherung des Zugangs zu Krediten, Bera-
tungsdiensten und Landverteilung
Stärkung der lokalen Vertretungs- und
Selbsthilfestrukturen der indianischen Ge-
meinschaften in Projekten zur Dezentrali-
sierung
Berücksichtigung des indianischen Ge-
wohnheitsrechts und von Konfliktregelun-
gen im Rahmen von Kooperationen im
Rechts- und Justizbereich
Grundbildung – hier insbesondere interkul-
turelle zweisprachige Erziehung (IZE)
Medien
Rechtsberatungs- und Selbsthilfeeinrich-
tungen
Gender
Diese Schwerpunkte finden sich weitgehend in
der Projektwirklichkeit wieder. Insbesondere
werden Projekte mit explizitem Bezug zu indi-
genen Völkern in den Bereichen ländliche
Entwicklung, Erhaltung des Tropenwaldes,
Verbesserung von Primarschulbildung und –
momentan weitgehend abgeschlossen – auch
von Basisgesundheitsdiensten durchgeführt.
Im Einklang mit der internationalen Diskussion
betont das Konzept des BMZ die Notwendig-
keit, die indigene Bevölkerung bei der Projekt-
findung über den gesamten Projektzyklus früh-
zeitig und dauerhaft einzubeziehen, und die
Vorhaben auch an den Vorstellungen und der
Bereitschaft zur Mitarbeit der indigenen Ge-
meinschaften zu orientieren. Dabei muss mit
der gebotenen Vorsicht eine Überforderung
der indigenen Organisationen vermieden wer-
den. Eine wesentliche Bedeutung nimmt die
Qualifizierung indigener Fach- und Führungs-
kräfte und die Förderung lokaler Trägerstruktu-
ren, insbesondere indigener Organisationen
ein.
Auf der Ebene des Politikdialogs mit den Part-
nerregierungen mahnt das Konzept die Einbe-
ziehung indigener Belange an. In die jeweiligen
Konzepte, die für die Entwicklungszusammen-
arbeit mit den einzelnen Ländern und für ver-
schiedene Sektoren vom BMZ erarbeitet wer-
den, sollen für Indigene relevante Themen und
Projekte aufgenommen werden. Das Latein-
amerikakonzept des BMZ ist ein Beispiel hier-
für. Die Thematik und Belange indigener Völ-
ker sind auch in den folgenden Konzepten und
Veröffentlichungen des BMZ präsent:
Zugang zu genetischen Ressourcen und
Vorteilsausgleich (2001)
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
41
Sektorkonzept Wald und nachhaltige Ent-
wicklung (2002)
Halbierung der Armut – Zweiter Zwischen-
bericht (2002)
Entwicklungszusammenarbeit mit Zentral-
amerika (2002)
Sektorkonzept Förderung der Grundbil-
dung in Entwicklungsländern (1999)
Aber in den jüngeren Veröffentlichungen des
BMZ nach 1996 werden die Belange indigener
Völker nicht durchgängig thematisiert. Die dar-
aus entstehende Inkohärenz zwischen den
Konzepten schwächt jedes einzelne, insbe-
sondere aber die Konzepte, die weniger Be-
achtung finden.
Die Evaluierung des BMZ Konzeptes “Entwick-
lungszusammenarbeit mit indianischen Bevöl-
kerungsgruppen in Lateinamerika“ in den Jah-
ren 1999 und 2000 stellte u.a. kritisch fest,
dass die verschiedenen Bemühungen um eine
Orientierung der Vorhaben auf indigene Völ-
ker, und ihre aktive Einbindung in die Projekte
und Programme untereinander zu wenig ver-
netzt sind, so dass Synergien auf regionaler
Ebene kaum greifbar werden. Eine Arbeits-
gruppe im Fachverbund ländliche Entwicklung
der GTZ hat mittlerweile Abhilfe geschaffen
und koordiniert die “grünen TZ Vorhaben“ mit
Bezug zu indigenen Völkern.19 Insgesamt
scheint die Ebene der Koordination, wie sie
z.B. im PPG7 (Pilotprogramm zur Bewahrung
der tropischen Wälder)20 erreicht wurde, nicht
generalisierbar zu sein. Die Arbeit der Koordi-
nationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika
und der Karibik (KIVLAK) in der GTZ-Zentrale
zielt u.a. auf die wirksamere Vernetzung und
Ausrichtung der Förderansätze der deutschen
EZ für indigene Völker in Lateinamerika.21
Die Evaluierung des BMZ Konzepts machte
weiterhin deutlich, dass dieses eine Vielzahl
von Strategieelementen aufgreift und dabei
über die entsprechenden Konzepte anderer
Geber hinausgeht, allerdings hinsichtlich sei-
19 Foro de Proyectos „Desarollo Rural en Latinoa-mérica y Caribe“, 2002; 2003.20 Vgl. http://www.worldbank.org/rfpp/ (die Websites von GTZ und KfW zu PPG7 sind nicht mehr verfüg-bar)21 siehe www.gtz.de/indigenas
ner Operationalisierung und konkreten Umset-
zung in Maßnahmen der EZ und in dem sie
begleitenden Politikdialog zu vage bleibt. Das
BMZ Konzept nennt keine verbindlichen In-
strumente und Kriterien, die in die Planung und
Umsetzung der Vorhaben eingeführt werden
müssen, um eine entsprechende “Berücksich-
tigung“ indigener Völker sicher zu stellen. Dar-
aus resultiert eine fehlende oder unzureichen-
de Einbeziehung indigener Völker in den Vor-
haben, die sich nicht explizit auf sie beziehen,
jedoch in ihren Siedlungsgebieten, bzw. in
Ländern mit hohem indigenem Bevölkerungs-
anteil durchgeführt werden. Auch für den Poli-
tikdialog wurde das Konzept des BMZ laut
Evaluierung nur selten genutzt.
Die Evaluierung konstatiert, dass Projekte und
Programme insbesondere in Ländern mit ho-
hem indigenen Bevölkerungsanteil bzw. in
Sektoren, die für indigene Völker besonders
relevant sind, das Konzept als Referenzrah-
men anerkennen, es aber nur eingeschränkt
umsetzen. Außerhalb dieser Vorhaben ist das
Konzept häufig nicht bekannt. Dagegen fällt
die Bewertung des BMZ Konzepts im Vergleich
verschiedener Konzepte für die Zusammenar-
beit mit indigenen Völkern laut GRIFFITHS
(2003:7 und 86-92) weniger kritisch aus.
Foto: Seminar für indigene Kleinhandwerker in San-tiago de Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)
Die Fallstudie bestätigt den relativ geringen
Bekanntheits- und Umsetzungsgrad des Kon-
zeptes und den Nischencharakter der Thema-
tik. Empfehlungen und Vorschläge werden
entwickelt, den Diskurs der EZ zu indigenen
Völkern zu schärfen, verstärkt innereuropäisch
abzustimmen, und für die jeweiligen nationalen
und regionalen Kontexte zu spezifizieren. Be-
sonders hervorgehoben werden der Charakter
der indigenen Organisationen als Akteure (und
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
42
nicht nur als Zielgruppen) sowie die Bezüge
des Konzeptes zu Themen der Friedensent-
wicklung und der Förderung demokratischer
und offener Gesellschaften. Um ein Mainstrea-
ming der Thematik zu erreichen, ist es
notwendig, gezielter als bisher Erfahrungen
der EZ mit indigenen Völkern auszuwerten und
zugänglich zu machen.
Zusammengefasst wird die Ausrichtung von
Vorhaben auf indigene Völker und ihre Einbe-
ziehung als relevante Akteure in Planung,
Durchführung und Evaluierung von EZ Maß-
nahmen immer dort mit Bezug auf das Konzept
des BMZ umgesetzt, wo indigene Völker die
direkte, zu weiten Teilen auch exklusive Ziel-
gruppe von Vorhaben sind. In den meisten
nicht eindeutig auf indigene Völker ausgerich-
teten Vorhaben ist das Konzept des BMZ nicht
in der Lage, ein Mainstreaming der Orientie-
rung und eine durchgängige Partizipation indi-
gener Vertreter/innen sicher zu stellen.
Die Umsetzung eines Konzeptes des BMZ
bedarf grundsätzlich einer internen Lobbyar-
beit, die im Fall der indigenen Völker haupt-
sächlich von deutschen NRO übernommen
wurde. Mit der Evaluierung des BMZ Konzep-
tes (2000) und verstärkt zum Ende der Indige-
nen Dekade (2004) lässt sich ein wachsendes
Interesse an indigenen Völkern sowohl im BMZ
als auch in den großen Vorfeldorganisationen,
insbesondere in der GTZ feststellen. Ohne
eine solche Lobbyarbeit laufen Konzepte mit
einem breit angelegten Charakter angesichts
der Vielzahl der Querschnittsthemen und zu
berücksichtigenden Vorgaben Gefahr, im Ar-
beitsalltag der EZ unterzugehen, und damit ein
Schattendasein zu führen. Diese Gefahr wird
durch die Programm- und Schwerpunktbildung
in der TZ noch verstärkt, da explizite Zielgrup-
pen in Projekten häufig zu “Querschnittsorien-
tierungen“ in komplexen Programmen werden.
4. Indigene Völker in der aktuellen Entwicklungsdiskussion
Eine der zentralen Forderungen indigener Völ-
ker und ihrer Organisationen gegenüber der
Entwicklungszusammenarbeit ist der “freie,
frühzeitige und informierte Konsens“ als
Voraussetzung für Allokationsentscheidungen,
sowohl für Entwicklungsprojekte als auch für
Wirtschaftsmaßnahmen. Die einschlägigen
Konzepte internationaler Organisationen – wie
die Weltbank, die Interamerikanische Entwick-
lungsbank oder Institutionen der UN – ebenso
wie das BMZ kennen dieses Prinzip und stim-
men ihm zu.
Dennoch konstatiert das “Ständige Forum für
indigene Fragen” in seiner Sitzung von Mai
2003: “(…) concern over development prac-
tices that do not take into account the particu-
lar characteristics of indigenous communities
as groups, with their distinct cultural identities
and often their own system of representation,
thus significantly undermining meaningful ways
of participation” (E/2003/43E/C.19/2003/
22:I.B.2). Deshalb schlägt das Forum dem
Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) die Ein-
richtung einer auf drei Jahre angelegten spezi-
fischen Arbeitsgruppe mit breiter staatlicher
und zivilgesellschaftlicher, indigener und nicht
indigener Beteiligung vor, um das Prinzip des
freien, frühzeitigen und informierten Konsens
insbesondere im Bezug auf Vorhaben zum
Schutz von Naturressourcen und intellektuel-
lem Eigentum zu bearbeiten.
Indigene Völker, Armut und die Millenni-um Development Goals (MDGs)
Indigene Völker sind innerhalb der meisten
nationalen Gesellschaften Minderheiten. Selbst
da, wo sie wie in Bolivien und Guatemala die
Bevölkerungsmehrheit bilden, sind sie in un-
terschiedlichem Grad aus den Gesellschaften
und deren Entwicklung ausgeschlossen. Sie
verstehen sich in Differenz zur Mehrheitsge-
sellschaft, sind in diese mangelhaft integriert,
bzw. wehren sich gegen bestimmte “Integrati-
onskonzepte“. Offen ist, wie diejenigen Indige-
nen einzuordnen sind, die sich selbst zwar als
Mestizen verstehen und deklarieren, sich aktiv
um entsprechende Integration und Anerken-
nung bemühen, aber von Seiten der nicht-
indigenen Gesellschaft weiterhin als indios
ausgegrenzt werden. Es ist anzunehmen, dass
es den Folgegenerationen vollständiger ge-
lingt, diese Anerkennung zu erwirken. Viele
indigene Familien sprechen beispielsweise
selbst im häuslichen Kontext in Städten nicht
mehr ihre Muttersprache, um diesen Prozess
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
43
“Igualmente considero, aunque la coopera-ción internacional muchas de las veces, tiene por intermedio a los estados, que imponen parámetros contrarios al de los pueblos y comunidades indígenas o que bloquean la participación directa y efectiva de estos pueblos, que la cooperación debe-ría crear redes directas con las organizacio-nes, pueblos y comunidades indígenas, que les permita a ellos definir sus propios mode-los de cooperación internacional, así como demostrar sus capacidades administrativas, de control y participación efectiva.”
JOSÉ LUIS GONZÁLEZ, indigener Abgeordneter in der Asamblea Nacional, Venezuela
der Anerkennung und “Unsichtbarkeit“ zu be-
schleunigen. Im Folgenden beziehen sich die
Überlegungen gemäß dem Kriterium der
Selbstidentifikation im wesentlichen auf die
Indigenen, die sich selbst als solche verstehen
und zu erkennen geben.
Auf die gesellschaftliche Positionierung indige-
ner Völker sowohl in der Eigen- als auch der
Fremdwahrnehmung nehmen die unterschied-
lichen internationalen Leitlinien Bezug. Auf
Grund des gesellschaftlichen Ausschlusses
sind Indigene in ihrer Mehrheit arm. Der Anteil
der Armen unter den Indigenen übersteigt vor
allem in Ländern mit einem hohen indigenen
Bevölkerungsanteil den Anteil Armer in der
nicht indigenen Bevölkerung. PSACHAROPULOS
& PATRINOS (1994) haben dies für ausgewählte
Länder eindrucksvoll nachgewiesen, wenn
auch solche ökonometrischen Untersuchungen
immer mit der Unsicherheit der unzureichend
ethnisch differenzierten offiziellen Statistiken
behaftet sind. Aktuellere Untersuchungen fin-
den sich hierzu auch unter den Länderprofilen
des Sektorprojektes zur Armutsminderung der
GTZ für Bolivien und Guatemala22 sowie in
entsprechenden Länderstudien, die im Auftrag
der Weltbank und der Interamerikanischen
Entwicklungsbank durchgeführt wurden (IDB,
2004a:3). Die indigenen Frauen betonen bei
ihrer 4. kontinentalen Begegnung indigener
Frauen Amerikas im April 2004, dass die Ar-
mut nicht nur indigen, sondern auch weiblich
22 Vgl. www.gtz.de/forum_armut/deutsch/c03.htm
ist: “Las mujeres no sólo tenemos mayores
dificultadas para acceder a los servicios edu-
cativos, sino más dificultades para salir de la
pobreza por las responsabilidades familiares y
el cuidado de los niños, la discriminación para
acceder al mercado de trabajo, la segmenta-
ción de las ocupaciones y los menores sala-
rios“ (IV. Encuentro Continental de Mujeres
Indígenas de las Américas, 2004).23
In diesem Sinne sind indigene Arme durchaus
auch eingeschlossen, wenn die Millennium
Entwicklungsziele24 die Halbierung der Armut
bis 2015 als Halbierung der Anzahl der Men-
schen mit durchschnittlich 1 US$ pro Tag an-
streben. Indigene Organisationen von der loka-
len bis zur UN-Ebene betonen die Armut, unter
der indigene Völker leiden, als Beleg von Ex-
klusion und Unrecht, oft auch als Konsequenz
fehlgeleiteter Entwicklungsmaßnahmen, insbe-
sondere bei Strukturanpassungsprogrammen.
Andererseits gibt es Indigene, für die dieses
Kriterium der Armut (weniger als 1 US$ pro
Tag) subjektiv nicht relevant ist. Sie stufen sich
selbst nicht auf Grund dieses Kriteriums als
arm ein bzw. sie stufen sich teilweise über-
haupt nicht als arm ein, obwohl das Kriterium
auf sie zutrifft. Andere lehnen diese Art von
Kategorisierung für sich, ihre Gemeinschaften
oder ihre Organisation grundsätzlich ab. Hier
müssen die international auf die MDG
orientierten Anstrengungen flexibel
gehandhabt werden, um nicht erneut
Exklusionen zu reproduzieren. MEENTZEN
(2001:iv) bestätigt dies in ihrer Studie zu
indigenen Frauen: “Se puede afirmar que las
mujeres de las comunidades no se consideran
pobres, porque cuentan con la riqueza
espiritual de su cultura y pueblo indígena.”
23 Internetveröffentlichung http://munixela.com/infomaya/?view=sections&mod=25&id=137 24 Vgl.: http://www.developmentgoals.org/ http://millenniumindicators.un.org/unsd/mi/mi_goals.asp ; Millennium Entwicklungsziele (MDG) – be-schlossen auf dem UN-Millenniumsgipfel 2000 in New York und von 189 UN-Mitgliedern unterzeich-net – sind die Agenda der internationalen Staaten-gemeinschaft zur weltweiten Bekämpfung der Armut und Ermöglichung von Entwicklung.
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
44
Sie betont in diesem Kontext die Erwartung
indigener Frauen nicht in Abhängigkeit dieses
Armutskriteriums, sondern auf Grund eines
eigenständigen Rechts, spezifisch und aktiv in
die Projekte und Programme einbezogen zu
werden. Nur mit dieser aktiven Teilnahme
scheint eine tatsächliche Beteiligung an den
Wirkungen zu Armutsminderung von indigenen
Zielgruppen möglich zu werden.
Spezifischer Fokus oder Querschnitt?
Dieser Diskussion folgend lässt sich auch die
breitere Debatte führen: Sind Indigene “mit
gemeint“ wenn sich Entwicklungszusammen-
arbeit auf “Arme“ bezieht, auf “Menschen in
bestimmten Naturschutzgebieten“ auf “Sub-
sistenzbauern und –bäuerinnen“ etc.? Oder
sind sie nur dann einbezogen, wenn sie und
damit ihre spezifischen Lebensbedingungen
bzw. das, was sie selbst als solche wahrneh-
men und identifizieren, explizit benannt wer-
den? Sind indigene Völker nur dann an Ent-
wicklungsvorhaben beteiligt, wenn damit ihre
eigenen Entwicklungsoptionen (“etnodesarrol-
lo“, siehe auch STRÖBELE-GREGOR in diesem
Band) verfolgt werden?
Diese Fragen lassen sich nicht für alle indige-
nen Völker Lateinamerikas beantworten und
müssen mit den einzelnen Völkern und Orga-
nisationen an Hand konkreter Projekte und
Maßnahmen ausgehandelt werden. Von daher
wird die Entwicklungszusammenarbeit immer
verschiedene Strategien zur Einbeziehung
indigener Völker bereithalten müssen:
die allerdings explizite Einbeziehung in
breit angelegten und nicht zielgruppenspe-
zifisch bzw. ethnisch orientierten Vorhaben
die Fokussierung auf spezifische Bedürf-
nisse indigener Völker und Organisationen
Eine Voraussetzung für die Einbeziehung indi-
gener Völker in Vorhaben der internationalen
Zusammenarbeit ist der o.g. “freie, frühzeitige
und informierte Konsens“, d.h. die aktive Betei-
ligung indigener Vertreter/innen als Akteure.
Daneben bleibt als grundsätzliche Schlussfol-
gerung für die Entwicklungszusammenarbeit
der direkte, frühzeitig und dauerhaft geführte
Dialog einzufordern, unabhängig davon, ob es
sich um staatliche, nicht staatliche, bi- oder
multilaterale Entwicklungsagenturen handelt
und abhängig allein von der Tatsache, dass
ein Entwicklungsvorhaben die aktuelle Situati-
on und zukünftige Perspektiven indigener Be-
völkerung betrifft. Voraussetzung für diesen
Dialog ist auf der Grundlage der internationa-
len Vereinbarungen die Anerkennung indige-
ner Völker in ihrer Besonderheit, in ihrem Sta-
tus und damit in ihrem Anspruch auf spezifi-
sche Berücksichtigung, bei gleichzeitigem Ein-
schluss in übergeordnete Zielgruppen. Eine
wichtige Rolle kommt für diesen Dialog den
Organisationen indigener Völker zu, die direkte
Gesprächspartner der Entwicklungsagenturen
und Geber sowie auch ihrer nationalstaatlichen
Instanzen sind (vgl. ARIAS, 2002:22).
Wessen Entwicklung, wessen Visionen?
Welche Rolle wird indigenen Völkern von der
Entwicklungszusammenarbeit zugemessen
bzw. zugestanden? Sind sie Arme, Zielgruppe,
“vulnerable groups“? Oder sind sie, wie bei der
gemeinsamen Tagung zur Evaluation des EU-
Konzepts (SPEAKING OUT, 2002) gefordert,
politische Gesprächspartner, die in ihrer Zu-
ständigkeit und Entscheidungsbefugnis über
eigene Entwicklungsprozesse ernst genom-
men werden? Damit sind die Regierungen der
Geberländer und die multilateralen Institutio-
nen noch in anderer Weise gefordert: Die An-
erkennung indigener Völker in ihrer Eigenstän-
digkeit lässt sich nicht auf Projekte und Pro-
gramme der Entwicklungszusammenarbeit
begrenzen. Die Diskussion in Brüssel
(SPEAKING OUT, 2002: Conclusions) beleuchtet
auch die schwierige Beziehung Geber – Regie-
rung – indigene Völker: “Governments can play
a role in constructing these partnerships (mit
Gebern, S. Speiser). The main challenge for
them is to provide legal recognition of indige-
nous peoples’ rights. This can then provide the
basis for successful engagements between
indigenous peoples and other parties”
(SPEAKING OUT, 2002: Conclusions, Pkt. 7).
Umgekehrt muss die EZ mit indigenen Völkern
darauf orientiert sein, die aktive und kompeten-
te Beteiligung indigener Organisationen und
Gemeinschaften an den Entwicklungen ihrer
Gesellschaften und Nationen auf den unter-
schiedlichen Ebenen zu stärken.
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
45
Welche Entwicklung für indigene Völker? Die-
se Frage lässt sich auf der generellen Ebene
nicht beantworten, außer mit dem Hinweis:
“ihre eigene“, wie dies auch die meisten
Grundlagendokumente und die politischen
Empfehlungen der internationalen Gemein-
schaft und der Geberländer anerkennen. “Ihre
eigene“, das schließt die Teilhabe an der
zielgruppenunspezifischen Entwicklung einer
Region oder eines Berufsstandes ebenso ein,
wie die spezifischen Entwicklungsoptionen für
ein bestimmtes indigenes Volk oder vermittelt
über eine indigene Organisation. Damit eröff-
net sich eine enorme Vielseitigkeit und Unter-
schiedlichkeit von Maßnahmen, Strategien und
Optionen.
Foto: Workshop indigener Organisationen Perus (S. REINHARDT)
Optionen und Visionen indigener Völker
erstrecken sich von einer vollständigen
Integration, teilweise unter Wahrung ihrer
spezifischen Kulturen bis hin zu einer
spezifischen Nischenentwicklung. Die staatlich
vermittelte EZ favorisiert dabei im Diskurs die
kultursensible Integration indigener Völker und
Gemeinschaften in ihren Gesellschaften bei
gleichzeitiger Anerkennung ihres spezifischen
Charakters durch diese Gesellschaften. Dies
ters durch diese Gesellschaften. Dies kann
sich auch in der Beteiligung indigener Organi-
sationen an klassischen Instanzen politischer
Willensbildung, den Parteien ausdrücken, wie
in jüngster Zeit die Vorgänge in Bolivien und
Ecuador gezeigt haben.
Überall da, wo Indigene sich in ihre Gesell-
schaften nur integrieren wollen, werden sie Teil
der nicht ethnisch definierten Zielgruppen, wie
Arme, Unternehmer/innen, Bauern und Bäue-
rinnen, etc. Die deutsche EZ vertritt dabei kei-
ne Positionen, die diese Integration im Sinne
des Verlustes einer spezifischen kulturellen
und ethnischen Identität negativ konnotiert. Sie
fordert vielmehr im Einklang mit internationalen
Vereinbarungen die Bekämpfung des Rassis-
mus der Mehrheitsgesellschaft gegenüber
Minderheiten, und unterstützt die Schaffung
von Rahmenbedingungen für den Aufbau mul-
tikultureller Gesellschaften, die eine unfreiwilli-
ge Integration nicht mehr nötig erscheinen
lassen. Die Förderung in den eigenen Nischen
ist ein Konzept, das teilweise für die indigenen
Völker der Regenwälder und im Kontext von
Vorhaben zum Schutz natürlicher Ressourcen
verfolgt wird. Dabei werden die Völker respek-
tiert, die für sich diese Option des freiwilligen
Rückzugs gewählt haben. Aus heutiger Sicht
ist nicht absehbar wie lange dies angesichts
des Tempos von Prozessen der Globalisierung
aufrechterhalten werden kann.
Zu wessen Nutzen?
Welche Entwicklung wurde für die indigenen
Völker durch die EZ erleichtert? Diese Frage
lässt sich hier nicht abschließend beantworten.
Es ließen sich aus der Fülle der Projekte und
Programme der Entwicklungszusammenarbeit
Beispiele für eine gelungene Förderung, für die
Unterstützung auf dem Weg zur selbstbe-
stimmten Entwicklung, für gemeinsame Gestal-
tung ebenso finden wie Beispiele für die Igno-
ranz der Geber mit entsprechend negativen
Auswirkungen auf indigene Völker, Beispiele
für die falschen Konzepte, das falsche Ver-
ständnis von Entwicklungsoptionen und Bei-
spiele für die Abwesenheit einer “advocacy“
Haltung der EZ auf politischer Ebene. Generell
lässt sich vermuten, dass immer dann, wenn
die Interessen indigener Völker mit anderen
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
46
wirtschaftlichen und politischen Interessen
wichtiger nicht indigener Akteure ihrer Länder
konkurrieren, auch die Institutionen der Inter-
nationalen Zusammenarbeit in einen Interes-
senskonflikt geraten, dessen Ausgang nicht
vorhersehbar ist.
Unterschieden werden muss hier zwischen
Vorhaben der NRO, die direkt mit indigenen
Organisationen und Gemeinschaften kooperie-
ren, und auf der Mikroebene interessante und
für die indigenen Zielgruppen zufrieden stel-
lende, aber kaum breitenwirksame und struktu-
rell wenig relevante Ergebnisse der Verbesse-
rung ihrer Situation zeigen. Dies erfolgt meist,
ohne dass die staatlichen Ebenen des Partner-
landes eingeschaltet werden müssen. Nicht
umsonst haben die indigenen Gesprächspart-
ner die NRO als “longterm partners“ (SPEAKING
OUT, 2002) bezeichnet und ihnen damit eine
wichtige Funktion zugewiesen. Diese Aner-
kennung mindert jedoch nicht die Kritik indige-
ner Organisationen an NRO, wo diese “stell-
vertretend“ doch mittlerweile häufig ungebeten
als Vermittler auftreten. In diesen Fällen ist die
Position indigener Organisation eindeutig: sie
fordern die eigene direkte Beteiligung im Dia-
log.
Ganz anders gestaltet sich die zwischenstaat-
liche bilaterale Kooperation, wie sie im Auftrag
des BMZ hauptsächlich durch die beiden gro-
ßen Vorfeldorganisationen GTZ und KfW
durchgeführt wird. Ihre direkten Partner sind
fast ausschließlich Regierungen der Partner-
länder. Diese Vorhaben sind hinsichtlich ihrer
Wirkungen auf indigene Völker in gewisser
Weise auch abhängig von dem Platz, den die
nationale Regierung den indigenen Völkern
zuweist. Wie die Evaluierung des BMZ Kon-
zeptes anmahnt, können die Potenziale des
Politikdialogs noch weiter ausgeschöpft wer-
den. Indigene Organisationen fordern ihre di-
rekte Beteiligung in den Dialogprozessen der
EZ zusammen mit, aber auch ohne die Vertre-
ter/innen ihrer Regierungen.
Strategien und Allianzen indigener Orga-nisationen
Indigene Organisationen spielen eine wichtige
Rolle im Entwicklungsdialog. Sie sind die An-
sprechpartner, mit denen sich die Institutionen
der Entwicklungszusammenarbeit, ebenso wie
die Regierungen der Partnerländer direkt aus-
einander setzen können. Sie vertreten ihre
Völker, auch wenn gerade in diesem Vertre-
tungscharakter Anspruch und Wirklichkeit aus-
einander fallen können, und verschiedene
auch kulturell bedingte Modelle von Repräsen-
tativität schwierig in Einklang zu bringen sind
(siehe auch FELDT in diesem Band). Im Sinne
der Beteiligung indigener Völker an Entschei-
dungen zur Ressourcenallokationen, zur Defi-
nition von Entwicklungsprojekten und -
programmen haben die Geber und Agenturen
der IZ keine Alternative zum Dialog mit den
indigenen Organisationen. Nur in der Umset-
zung basisnaher Projekte ist es möglich, ne-
ben dem Dialog mit den Organisationen direkt
mit Teilen der Zielgruppe selbst zu verhandeln.
Die Anforderungen an indigene Organisationen
steigen angesichts wachsender Komplexität in
einer globalisierten Welt, auch die unterschied-
licher Instanzen der IZ. Dies führt zu einer
gewissen Bürokratisierung der Organisationen
und der Frage, ob die Positionen der Organisa-
tionen in ihren Hauptstadtbüros tatsächlich
kompatibel oder repräsentativ sind für die Posi-
tionen der indigenen Völker in den dörflichen
Gemeinschaften und Vorstadtvierteln. Die Fra-
ge kann von außen nicht beantwortet werden,
auch nicht mit stichpunktartigen partizipativen
Befragungen an der Basis. Sie ist Anlass zu
entsprechender Förderung indigener Organisa-
tionen, insbesondere hinsichtlich einer kontinu-
ierlichen Rückkopplung an ihre Basis, und
damit auch der Absicherung ihrer Repräsenta-
tivität.
Schlussbetrachtung
Zusammenfassend wird deutlich, dass die
internationale Zusammenarbeit den Anforde-
rungen und Erwartungen indigener Völker, so
wie sie durch indigene Organisationen artiku-
liert werden, bislang noch nicht zufriedenstel-
lend Rechnung trägt. Dabei unterscheiden die
indigenen Organisationen deutlich zwischen
den verschiedenen Gebern und Entwicklungs-
agenturen. Die deutlichste Kritik wird gegen-
über großen Infrastrukturprojekten geäußert, in
deren Entscheidungsprozesse weder die loka-
Indigene Völker und Internationale Zusammenarbeit
47
le Bevölkerung, einschließlich der indigenen
Völker der Region, noch deren Vertretungs-
strukturen involviert waren. Diese mangelnde
Teilhabe ist häufig durch die Strukturen der
Partnerregierung bedingt, wird aber im Laufe
des Politikdialogs nicht ausreichend von den
Gebern thematisiert. Positives Echo erfahren
Fondsvorhaben, die indigenen Gruppen die
Umsetzung konkreter Projekte und Maßnah-
men erlauben, und durch die indigenen Orga-
nisationen selbst gesteuert sind (siehe auch
RODRÍGUEZ in diesem Band). Themen wie die
zweisprachige Grundbildung sind Beispiele für
das positive Einwirken von Entwicklungszu-
sammenarbeit, in diesem Fall insbesondere
der deutschen TZ, auf Veränderungen natio-
nalstaatlicher Politik im Sinne indigener Forde-
rungen. Radikalere Positionen, wie die Forde-
rung des Rückzugs der EZ aus dem Bereich
indigener Völker, wie noch in den 1970er Jah-
ren formuliert, werden nicht mehr aufrechter-
halten. Vielmehr geht es den indigenen Vertre-
ter/innen darum, die internationale Zusam-
menarbeit als eine der Umfeldbedingungen
mitgestalten zu können, um dadurch auch die
Wirkungen zu erzielen, die sie und ihre Völker
im Sinne eigener Entwicklung anstreben. Mit
den Worten der UN-Arbeitsgruppe WGDD
lassen sich die Erwartungen an die IZ folgen-
dermaßen zusammenfassen:
”En sustancia se trata de que el hombre y su
dignidad constituyen el fundamento del
desarollo sostenible e integran a fin de
conciliar cuatro grandes ejes, a saber: el
crecimiento económico razonablemente
planificado, la justicia social, una política
ambiental sostenible y una distribución
equitativa de la riqueza“ (UNHCHR, 2001a).
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Indigene Völker und Staat
49
Indigene Völker und Staat
HEIDI FELDT
Das Verhältnis zwischen Staat und indigenen
Völkern ist seit Gründung der Nationalstaaten
in Lateinamerika spannungsgeladen. Indigene
waren in der post-kolonialen Geschichte La-
teinamerikas politisch, sozial und wirtschaftlich
marginalisiert, und der Staat reagierte auf ihre
Forderungen mit Repression und versuchte im
Namen der Nationenbildung, ethnische Unter-
schiede zu negieren, und indigene Völker einer
Assimilierungspolitik zu unterwerfen. Erst in
den letzten Jahren beginnt sich dieses Ver-
hältnis zwischen Nationalstaat und indigenen
Völkern zu wandeln. Interessanterweise mani-
festiert sich dieser Wandel vor allem in den
reformierten Verfassungen der lateinamerika-
nischen Ländern, während die politisch-
institutionelle Umsetzung neuer Beziehungs-
modelle zwischen Indigenen und Staat noch
wenig ausgereift ist.
1. Wandel der Verfassungsnormen
In den letzten 20 Jahren hat sich allerdings ein
grundlegender Wandel in der rechtlichen
Wahrnehmung indigener Völker auf lateiname-
rikanischer und internationaler Ebene vollzo-
gen. Im Rahmen dieser Entwicklung haben
viele Staaten Lateinamerikas den Ansatz des
einheitlichen Staates zugunsten eines auf Plu-
ralismus/ Multikulturalismus beruhenden
Staatsverständnisses verlassen (KUPPE, 2002;
STAVENHAGEN, 2002). In den Verfassungen
dieser Länder wird der plurikulturelle und mul-
tiethnische Charakter der Nationalstaaten an-
erkannt und den indigenen Völkern kollektive
Rechte zugestanden.
Die Entwicklung der Staatsmodelle gliedert
KUPPE (2002) in drei Etappen:
1. Derecho Indiano (von der Eroberung
Lateinamerikas bis 1820)
Indigene werden als Indios mit eigenem
Rechtssystem und Autoritäten anerkannt,
allerdings sind sie diskriminierenden Ver-
pflichtungen unterworfen.
2. Recht der Nationalstaaten (1820 bis ca.
1990, von KUPPE als Monismus mit Dis-
kriminierung der Andersartigkeit definiert)
Diese Etappe unterteilt KUPPE in vier Pha-
sen, die sich über die Entmündigung der
Indigenen und einer repressiven Politik hin
zu der staatlichen Integrationspolitik ab
Mitte des letzten Jahrhunderts zieht. Im
Rahmen dieser Politik werden Indigene als
campesino wahrgenommen.
3. Multiethnische und plurikulturelle Staat-
lichkeit (seit 1985, die Andersartigkeit wird
als gleichberechtigt anerkannt)
Indigene Völker gewinnen verfassungs-
rechtliche Relevanz, sie werden im Natio-
nalstaat als Völker mit eigener Identität
anerkannt.
Diese Veränderungen in Verfassungsnormen
ermöglichen eine Neubestimmung des Ver-
hältnisses von Staat und Indigenen und eröff-
nen neue Perspektiven ihrer politischen, recht-
lich abgesicherten Partizipation. In den nächs-
ten Jahren wird es sehr wichtig sein, ob und
wie diese Verfassungsnormen in Gesetzen
ausgestaltet und politisch-institutionell umge-
setzt werden, denn allein mit der Anerkennung
in den Verfassungen ist die Marginalisierung
der Indigenen durch die dominierende Gesell-
schaft noch längst nicht überwunden.
Die indigenen Organisationen sind sich dessen
bewusst. Der indigene Aufstand und die darauf
folgenden Aktionen 1990 in Ecuador, der
“Marsch für Territorium und Würde“ 1990 in
Bolivien, der Aufstand in Chiapas, Mexico, die
wiederholte Lähmung der gesamten Wirtschaft
in Ecuador und Bolivien in den letzten Jahren
und der “Erdgasaufstand“ 2003 in Bolivien
zeigen nicht nur das große Mobilisierungspo-
tenzial indigener Organisationen sondern
auch, dass diese Organisationen, dort, wo
Indigene die Mehrheit oder einen großen Teil
der Bevölkerung bilden, die Frage nach gesell-
schaftlicher Macht stellen.
Indigene Völker und Staat
50
2. Die neue indigene Bewegung
Das Organisationsmodell der neuen indigenen
Bewegung hat seinen Ursprung in der Federa-
ción de Centros Shuar in Ecuador, dem
Consejo Regional Indígena del Cauca (CRIC)
in Kolumbien und dem Movimiento Katarista in
Bolivien, die sich in den 1970er Jahren des
letzten Jahrhunderts herausbildeten (ASSIES,
1999). Ihnen gemein war, dass sie ihre Orga-
nisation auf der Zugehörigkeit zu Ethnien
gründeten und die bis dato verbreitete Einord-
nung Indigener als campesinos ablehnten. Die
indigenen Organisationen des Tieflandes sind
aus diesen Anfängen entstanden. Sie sind
kleinteilig auf der Ebene von Ethnien oder Re-
gionen organisiert, haben sich aber zu regiona-
len, nationalen und internationalen Förderatio-
nen und Konföderationen wie der Koordination
der indigenen Organisationen des Amazonas-
beckens (COICA)1 zusammengeschlossen.
Aus einer anderen Tradition kommen die indi-
genen Organisationen des Hochlands. Ihr Ur-
sprung beziehungsweise die Organisationser-
fahrung vieler ihrer Führungspersonen kommt
aus der gewerkschaftlich geprägten Campesi-
no-Bewegung und verknüpft heute Forderun-
gen der Bauernbewegung, wie Zugang zum
Markt, zu Krediten, allgemeine Kritik des neoli-
beralen Wirtschaftsmodells mit Forderungen
nach zweisprachiger interkultureller Bildung
und politischer Beteiligung als Indigene an den
Entscheidungsprozessen des Staates. Einige
Vertreter wie Felipe Quispe in Bolivien fordern
sogar die Rückkehr zu traditionellen Gemein-
destrukturen, den Ayllu (GOEDEKING, 2002)
oder die Wiederbelebung alter Inka Strukturen.
Sie ähneln Heilsversprechungen, in dem sie
die alten Strukturen der Andenvölker glorifizie-
ren. Diese Strukturen werden allerdings nicht
gelebt, und von daher werden sich auch die
Heilsversprechen nicht einlösen lassen. Die
Forderungen haben keine große Anhänger-
schaft, allerdings gewinnt der Wunsch zurück
zur Ayllu -Struktur in Bolivien, Peru und Ecua-
dor an Popularität.
Die Beziehung zwischen indigenen Organisati-
onen des Tief- und des Hochlandes ist nicht
1 Coordinadora de organizaciones indígenas de la Cuenca Amazónica
konfliktfrei. Zum einen sind die Organisations-
und Konflikterfahrungen unterschiedlich, zum
anderen haben sie andersartige Konzepte von
Territorialität. Daraus leiten sich verschiedene
Forderungen und Schwerpunkte für die Orga-
nisationen ab. Am weitesten ist der Annähe-
rungsprozess zwischen Tiefland- und Hoch-
landorganisationen vielleicht in Ecuador, da
durch die Confederación de Nacionalidades
Indígenas del Ecuador (CONAIE) ein gemein-
samer Organisationsrahmen gegeben ist.
Die Entwicklung der indigenen Organisationen
in Guatemala hat zeitverzögert eingesetzt. Bis
Mitte der 1990er Jahre herrschte Bürgerkrieg
in dem Land, zu dessen Opfern vor allem die
Maya Bevölkerung zählte. Der Krieg hatte
durchaus Züge eines Ethnozids. Erst mit der
Unterzeichnung des Friedensvertrages zwi-
schen Regierung und Guerilla 1996 und vor
allem durch den “Acuerdo sobre Identidad y
Derechos de los Pueblos Indígenas“ wurden
die vollen Bürgerrechte, die soziale, politische
und wirtschaftliche Teilhabe und die kulturellen
Rechte der indigenen Bevölkerung anerkannt
und der Abbau der Diskriminierung der Maya
Bevölkerung beschlossen. Zwar hatten sich
schon während des Krieges einige wenige
Maya Organisationen gegründet, aber erst
nach Friedensschluss hatten sie die Möglich-
keit offen zu arbeiten. Viele der heute existie-
renden Maya Organisationen sind im Foro
Maya zusammengeschlossen. Ein großes
Problem der Organisationen ist, dass sie auf
die Hauptstadt konzentriert sind und wenig
Anbindung an die Maya Bevölkerung auf dem
Land haben, die weitgehend von allem politi-
schen Partizipations- und wirtschaftlichen Ent-
wicklungsprozessen ausgeschlossen ist. Die
deutsche EZ setzt über das Projekt “Interkultu-
reller Dialog und politische Beteiligung der
Indígena-Bevölkerung Guatemalas“ an diesem
Problem an, und versucht mit den Maya Orga-
nisationen Politikstrategien für eine kulturell
differenzierte Entwicklung zu erarbeiten, und
zur Verbesserung der Chancengleichheit der
indigenen Bevölkerung beizutragen.
Indigene Völker und Staat
51
3. Selbstbestimmung, Autonomie und Partizipation
Zentrale Anliegen der indigenen Organisatio-
nen, unabhängig ob aus dem Tiefland des
Amazonas, der Küstenregion oder aus dem
Andenhochland, sind die Forderungen nach
Autonomie, nach dem Zugang zu den politi-
schen Entscheidungsebenen auf nationaler
wie regionaler Ebene des Staates sowie die
Selbstbestimmung in allen Belangen, die sie
und ihr Territorium betreffen. Autonomie und
Selbstbestimmung sind Konzepte, die in unter-
schiedlichen Zusammenhängen unterschied-
lich verstanden werden. Auch die indigenen
Organisationen verbinden damit unterschied-
lich weitreichende Vorstellungen. Deshalb soll
an dieser Stelle eine Begriffsklärung vorge-
nommen werden.
Selbstbestimmung
Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker
ist eines der grundlegenden Prinzipien der
internationalen Staatengemeinschaft. Im Inter-
nationalen Pakt der Vereinten Nationen über
wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte
(1966) und im Pakt über zivile und politische
Rechte (1966) wird dieses Recht festgehalten.
Im gemeinsamen Art.1 steht:
(1) “Alle Völker haben das Recht auf Selbst-
bestimmung. Kraft dieses Rechts ent-
scheiden sie frei über ihren politischen
Status und gestalten in Freiheit ihre wirt-
schaftliche, soziale und kulturelle Entwick-
lung.
(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwe-
cke frei über ihre natürlichen Reichtümer
und Mittel verfügen, unbeschadet aller
Verpflichtungen, die aus der internationa-
len wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf
der Grundlage des gegenseitigen Wohles
sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In
keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen
Existenz beraubt werden.“
Dieses Recht auf Selbstbestimmung war ein
sehr wichtiges Prinzip in dem Prozess der
Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Kolonial-
staaten und spielte in der Anerkennung der
neuen Nationalstaaten durch die Vereinten
Nationen eine große Rolle. Das Recht auf
Selbstbestimmung findet nach dem Völker-
recht bisher seine Anwendung nur bei Natio-
nalstaaten. Inwieweit dieses Konzept auch auf
indigene Völker angewendet werden kann, ist
Gegenstand einer kontroversen Debatte. Kern
dieser Debatte ist die Definition des Begriffs
“indigene Völker“ (siehe auch STRÖBELE-
GREGOR in diesem Band). Die Konvention 169
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO),
die die entscheidende Grundlage für alle inter-
nationalen Vereinbarungen bezüglich indigener
Völker bildet, spricht zwar von indigenen Völ-
kern schränkt aber in Art. 1.3 ein: “Die Ver-
wendung des Ausdrucks “Völker“ in diesem
Übereinkommen darf nicht so ausgelegt wer-
den, als hätte er irgendwelche Auswirkungen
hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völker-
recht mit diesem Ausdruck verbunden sein
können.“ Der Begriff “indigene Völker“ beinhal-
tet also keinen Rechtsanspruch als Volk im
völkerrechtlichen Sinne und die ILO-
Konvention 169 vermeidet konsequent den
Begriff der Selbstbestimmung. Damit soll vor
allem verhindert werden, dass Separationsbe-
wegungen indigener Völker sich auf die ILO-
Konvention berufen können. Im lateinamerika-
nischen Kontext kann dieser Gesichtspunkt der
Separationsbewegungen vernachlässigt wer-
den. Es gibt kaum ernstzunehmende Forde-
rungen nach nationalstaatlicher Selbstständig-
keit.2 Auch die indigenen Völker, die sich
selbst als “Nationen“ bezeichnen wie in Ecua-
dor, definieren sich als indigene Nationen in-
nerhalb eines unabhängigen Nationalstaates.
Selbstbestimmung wird in erster Linie gefordert
als das Recht, über das Land und seine Res-
sourcen selbst zu bestimmen, die eigene Kul-
tur, die eigenen politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Systeme zu erhalten und weiter-
zuentwickeln (COICA, 2004). Diese Forderun-
gen stehen im Einklang mit dem Artikel 3 der
Draft United Nations Declaration on the Rights
2 Eine Ausnahme bildet das Movimiento Indígena Pachakutik (MIP) des Felipe Quispe in Bolivien, das einen eigenen Aymara und Quechua Staat fordert. ”Nosotros vemos en el MIP el instrumento idelógico de otro estado, de la nación Qullasuyana. No po-demos tener relaciones con la otra Bolivia“ (Inter-view mit F. Quispe, o.J.). Internetveröffentlichung: http://www.nodo50.org/resumen/resumen51/ quispe.htm
Indigene Völker und Staat
52
of Indigenous Peoples: “Indigenous Peoples
have the right of self-determination. By virtue
of that right they freely determine their political
status and freely pursue their economic, social
and cultural development.“ Über diesen Artikel
konnte bisher keine Einigung unter den Mit-
gliedsstaaten3 erzielt werden. Das Recht auf
Selbstbestimmung ist auch in der vorgeschla-
genen Erklärung zu indigenen Rechten der
Organisation der amerikanischen Staaten
(OAS) umstritten. Auf der Sitzung Ende 2003
der Arbeitsgruppe der OAS zu dieser Erklä-
rung wurde von Seiten der Delegation der USA
der Begriff der ‚internen oder qualifizierten
Selbstbestimmung’ eingeführt. Dies wurde von
der COICA vehement zurückgewiesen: “Noso-
tros consideramos que la ”calificación“ dada al
derecho a la libre determinación es una expre-
sión de discriminación grave pues todos los
pueblos del mundo tenemos derecho a ella,
sin distinción...“ (COICA, 2004). Laut COICA
wurde sie in ihrem Anliegen durch die Regie-
rungen von Guatemala, Peru, Ecuador und
Venezuela gestützt.
Foto: Demonstration für Landrechte in Ngöbe-Bugle, Panama (Proyecto Agroforestal Ngöbe)
In diesem Zusammenhang soll nicht uner-
wähnt bleiben, dass sich einige wenige indige-
ne Völker vor allem aus dem Tiefland de facto
den herrschenden Strukturen entziehen und so
ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen.
Dazu gehören die Völker, die in Isolation leben
wie die Tagaeri, Taromane und O amenane
3 Seit 1995 arbeitet eine Arbeitsgruppe der UN-Kommission für Menschenrechte an der Überarbei-tung der Erklärung. Bisher konnte nur über zwei der 45 Artikel eine Übereinstimmung erzielt werden (siehe auch SPEISER in diesem Band).
im Amazonasgebiet von Peru, Brasilien und
Ecuador. Fraglich ist jedoch, wie lange dies
aufgrund des zunehmenden Wirtschaftsdrucks
auch auf diese Region noch möglich sein wird.
Die Debatte, ob indigene Völker ein Recht auf
Selbstbestimmung als Völker haben oder nicht
und wenn ja, wie dieses definiert wäre, ist noch
nicht beendet. Häufig wird der Ausweg in der
Unterscheidung zwischen interner und exter-
ner Selbstbestimmung gesucht, wobei die In-
halte der internen Selbstbestimmung dem
Konzept der Autonomie entsprechen (SIEDER,
2002). Die Forderung nach Autonomie vieler
indigener Organisationen scheint demzufolge
auch leichter durchsetzbar, da der (liberale)
Staat viele Formen der Autonomie innerhalb
seines politischen Systems kennt.
Autonomie
Nach GARCIA SERRANO (2002) umfasst Auto-
nomie für indigene Völker: Die “Anerkennung
der Territorien, Nutzungs- und Nießrecht über
die Ressourcen, Anerkennung der eigenen
Autoritäten im Einklang mit der Tradition, Ju-
risdiktion im Einklang mit “Gewohnheiten und
Normen", die eigene Sprache sowie die Aus-
übung kultureller Praktiken wie z.B. Medizin,
Bildung.“
GONZALEZ, indigener Abgeordneter in Vene-
zuela, definiert Autonomie wie folgt:4 “La auto-
nomia de los pueblos indígenas debe enten-
derse como el derecho que tienen estos pue-
blos de decidir libremente sobre sus asuntos
internos, el ejercicio de sus sistemas de orga-
nización propia social, económica, cultural y
política, así como el manejo, control y adminis-
tración de sus tierras. Es condición esencial
para el entendimiento de este concepto el
previo reconocimiento de los pueblos en la
constitución del estado con la finalidad de que
entrevenga la unidad y la indivisibilidad de la
Republica. Bajo esta premisa debe entenderse
que la autonomía planteada, es al interior de
los estados nacionales.“
Beide Beschreibungen gehen von autonomen
Einheiten innerhalb eines souveränen Staates
aus. Die Autonomie ist durch das indigene
4 Email Nachricht 2004
Indigene Völker und Staat
53
Territorium und seine Grenzen sowie durch
das soziale Gefüge des indigenen Volkes be-
stimmt. Die Autonomie richtet sich im Wesent-
lichen nach innen, es werden keine hoheitli-
chen Aufgaben des Staates im Rahmen der
Sicherheits-5 und Außenpolitik beansprucht.
Eine besondere Situation ist die der indigenen
Völker, die in zwei oder mehreren Staaten
leben. Im Krieg zwischen Peru und Ecuador
wurde diese spezielle Problematik offensicht-
lich. Daher wurde im Waffenstillstandsabkom-
men der spezifischen Situation Rechnung ge-
tragen und eine spezielle Vereinbarung für die
indigenen Völker in der Grenzregion aufge-
nommen, die ihnen die freie Kommunikation
untereinander erlaubt.
Grundvoraussetzung für die Autonomie ist den
Definitionen zufolge ein abgrenzbares Territo-
rium, das ausschließlich oder mehrheitlich von
einem indigenen Volk bewohnt wird.
Dies ist im Tiefland Amazoniens, im Chaco, in
Teilen Zentralamerikas und in Panama mög-
lich, wo Territorien eindeutig abgrenzbar sind.
Im Hochland der Anden oder aber in den Städ-
ten des Kontinents sieht die Realität anders
aus. ROLDÁN erweitert daher den Autonomie-
begriff auf “Autonomie umfasst die Fähigkeit,
die Kommunen, Regionen, Provinzen oder
andere Einheiten innerhalb eines Staates aus-
üben können, um mittels Normen und einer
eigenen Regierung ihre Interesse im Inneren
regeln zu können. Außerdem beinhaltet sie die
Möglichkeit eines Volkes, politische Unabhän-
gigkeit zu leben und die eines Individuums, in
einigen Aspekten seines Lebens unabhängig
von anderen zu sein. Im Falle der indigenen
Völker und Gemeinschaften trifft ersteres zu.
Die Autonomie ist relativ und variiert von Land
zu Land“ (ROLDÁN, 2004).
Dies ist der konzeptionelle Rahmen, aber wie
sieht die Praxis aus? In einigen Ländern wie
Kolumbien, Nicaragua, Panama wird den indi-
genen Völkern rechtlich die politisch-
administrative Autonomie über ihre Territorien
zugestanden. Einschränkendes Merkmal auf
der rechtlichen Ebene ist in allen Ländern die 5 In Kolumbien wird zur Zeit eine Diskussion geführt, ob oder ob nicht Indigene den Militärdienst leisten müssen (siehe unter www.etniasdecolombia.org)
Verfügungsgewalt über die Bodenschätze, die
sich der Staat vorbehält (zu den erneuerbaren
Ressourcen siehe ROSSBACH DE OLMOS in
diesem Band). In der Realität werden die
rechtlichen Vorgaben jedoch wenig beachtet.
So kommt es immer wieder zu tiefgreifenden
Konflikten zwischen indigenen Völkern und
dem Staat, Siedlern und Unternehmen, die die
Ausübung der Autonomie entscheidend beein-
trächtigen: Erdöl in Ecuador, Kohle in Kolum-
bien, Drogenanbau bzw. Drogenbekämpfung
in Peru, Kolumbien und Bolivien, Gold und
Holzeinschlag in Brasilien, Peru und Ecuador
sind nur einige Beispiele für Konflikte um Res-
sourcen, die die Autonomie indigener Territo-
rien bedrohen.
In anderen Ländern wie in Bolivien und Gua-
temala wurden keine indigenen Territorien
eingerichtet, sondern die Regierungen bevor-
zugten im Rahmen der Staatsmodernisierung
und Dezentralisierung der staatlichen Funktio-
nen die Einrichtung indigener Gebietskörper-
schaften (Munizipien). Diese lokalen Verwal-
tungseinheiten können in indigenen Sied-
lungsgebieten durchaus Besonderheiten indi-
gener Völker aufgreifen, wie z.B. einen eige-
nen Wahlmodus oder spezifische Prozesse der
Entscheidungsfindung. Sie sind aber in die
staatliche Struktur der Lokalverwaltungen ein-
gebunden. KUPPE (2002) sieht es daher als
fraglich an, ob die “Munizipalisierung“ indige-
ner Selbstregierung, in der Tat Regierungs-
prinzipien indigener Völker stärken oder ob
hier – wie zum Beispiel in Bolivien teilweise
ersichtlich – nicht die bisher entlegenen indi-
genen Siedlungsgebiete endgültig mit Prinzi-
pien staatlicher Lokalverwaltung überlagert
werden. SIEDER (2002) sieht jedoch auch, dass
die Stärkung munizipaler Strukturen, die Priva-
tisierung und Dezentralisierung von Dienstleis-
tungen und die Stärkung der sogenannten
Zivilgesellschaft und lokaler Partizipationsin-
strumente den Spielraum der indigenen Bewe-
gung vergrößert. Andererseits: “In some cases,
decentralisation has mitigated against democ-
ratisation, reinforcing local power elites, clien-
telist politics und unequal access to power. In
others, the increased penetration of the logic of
political parties into rural areas has increased
Indigene Völker und Staat
54
the fragmentation and division of indigenous
authorities“ (SIEDER, 2002:8).
Zur Ausübung der autonomen Verwaltung
eines indigenen Territoriums gehört auch die
Anwendung eigener Normen zur Regelung der
internen Beziehungen, das Gewohnheitsrecht.
Unter Gewohnheitsrecht versteht man nicht
schriftlich fixierte rechtliche Normen, die sich
aus der Tradition entwickelt haben. Im öffentli-
chen Recht (derecho público) der Länder findet
das Gewohnheitsrecht keine Anwendung, im
Zivilrecht nur in ganz wenigen Ausnahmefäl-
len. Innerhalb der indigenen Völker jedoch
regelt das Gewohnheitsrecht die Beziehungen
nach innen und nach außen (ROLDÁN, 2004).
In Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien und
Venezuela wird das Gewohnheitsrecht indige-
ner Völker als Rechtsnorm zur Regelung inter-
ner Angelegenheiten auf ihrem Gebiet aner-
kannt. In Guatemala kommt das Derecho
Maya bei Streitschlichtungsverfahren zum
Einsatz. Allerdings herrscht in allen Ländern
Unsicherheit, wie weit der Anspruch auf auto-
nome Rechtsausübung reicht (ROLDÁN, 2004).
Dies ist vor allem dann kritisch, wenn die indi-
gene Rechtsauffassung gravierend von der
staatlich ausgeübten Gesetzeslage und
Rechtssprechung abweicht. So strafen einige
Völker schon bei relativ leichten Vergehen mit
drastischen Maßnahmen, zum Beispiel das
Verstoßen aus einer Gemeinschaft im Falle
von Diebstahl. In der Rechtsauffassung
herrscht dann zwar der Grundsatz vor, dass
die Menschenrechte und das nationale Recht
dem Gewohnheitsrecht übergeordnet sind,
aber in der Praxis ist dies nicht immer eindeu-
tig und es fehlt an entsprechenden Gesetzen
und Institutionen, um die Normenbereiche zu
harmonisieren.
Abschließend sei noch erwähnt, dass die
rechtlich verankerte Autonomie einzelner Völ-
ker an den Landesgrenzen endet. Indigene
Völker, die in zwei oder mehreren Ländern
leben, haben keine gemeinsame anerkannte
autonome politische Struktur. Dies gilt zum
Beispiel für die Völker im Chaco, der sich in die
drei Länder Bolivien, Paraguay und Argenti-
nien erstreckt.
Partizipation
Das Recht auf Partizipation indigener Völker
bezieht sich laut ILO-Konvention auf alle Ent-
scheidungen, die sie direkt betreffen (Art. 7.1).
Die Konvention verpflichtet daher die Regie-
rungen, “Mittel zu schaffen, durch die diese
Völker sich im mindestens gleichen Umfang
wie andere Teile der Bevölkerung ungehindert
auf allen Entscheidungsebenen an auf dem
Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie
an Verwaltungs- und sonstigen Organen betei-
ligen können, die für sie betreffende Maßnah-
men und Programme verantwortlich sind“
(Art.6).
Allgemein setzt eine wirkungsvolle Partizipati-
on die rechtliche Verankerung, die Einbettung
in die politischen Strukturen des Landes, die
politische Legitimität und eine hinreichend
große Handlungsfähigkeit der zu beteiligenden
Akteure voraus (EBERLEI, 2003). Partizipation
ist also nicht die staatlich gewährte Teilnahme
an Entscheidungsprozessen, sondern die
rechtlich abgesicherte Teilhabe. Im Folgenden
geht es im wesentlichen um die Partizipati-
onsmöglichkeiten indigener Völker an den
politischen Entscheidungen auf den unter-
schiedlichen staatlichen Ebenen.
Foto: Indigener Gender - Dialog im urbanen Kontext (S. HESS-KALCHER, PROENCUENTRO)
Die Antwort der lateinamerikanischen Staaten
auf die Forderung indigener Organisationen
nach politischer Teilhabe und Zugang zu den
politischen Entscheidungsstrukturen war in den
meisten Ländern die Einrichtung staatlicher
oder autonomer Stellen für “indigene Angele-
genheiten“ wie des Ministerio de Asuntos In-
Indigene Völker und Staat
55
dígenas y Pueblos Originarios (MAIPO), der
Consejo de Desarrollo de las Nacionalidades y
Pueblos Indígenas (CODENPE) in Ecuador
oder die Corporación Nacional de Desarrollo
Indígena (CONADI) in Chile. Der politische
Einfluss dieser Institutionen ist gering. Die
Indigenen haben zwar in den meisten Fällen
ein Mitspracherecht, was die personelle Beset-
zung der Institutionen und deren Politik anbe-
langt, bestimmen diese Politik aber nicht. Von
daher erfüllen diese Institutionen den Anspruch
indigener Partizipation an den Entscheidungen
des Staates nicht.
Um sich die politische Partizipation in den
Ländern zu erkämpfen, haben Indigene unter-
schiedliche Optionen entwickelt. Grundvoraus-
setzung all dieser Optionen ist die Existenz
starker regionaler und/ oder nationaler indige-
ner Organisationen.
Die Bildung einer eigenständigen indige-
nen Partei:
Ein Beispiel dafür ist Pachakutik6 in Ecua-
dor, die das erste Mal 1996 an den Kon-
gresswahlen teilgenommen und 8 Sitze
gewonnen hat. Pachakutik hat eine wichti-
ge Rolle in der Diskussion um die Ratifizie-
rung der ILO-Konvention 169 und der neu-
en ecuadorianischen Verfassung gespielt.
Mit Nina Pacari und Luis Macas hatten sie
2003 sogar kurzzeitig zwei Ministerposten
in der neuen Regierung inne. Pachakutik
hat innerhalb kurzer Zeit eine wichtige
Stellung für Indigene im parlamentarischen
Raum einnehmen können. Dieser Erfolg
war jedoch nur durch die Zusammenarbeit
der unterschiedlichen Organisationen und
Indigenen aus dem Andenraum und dem
Amazonas möglich.7
6 Movimiento de Unidad Plurinacional Pachakutik – Nuevo Pais ist ein Bündnis von Indigenen und ande-ren Sektoren der Gesellschaft 7 Allerdings scheint Pachakutik zur Zeit das gewon-nene politische Ansehen wieder zu verspielen. So beklagt LUIS MACAS, 2003 Landwirtschaftsminister in der Regierung Gutiérrez: “Pachakutik verfügt über kein Regierungsprogramm, das in den eigenen Reihen abgestimmt wäre.... Die politische Krise beinhaltet für Pachakutik das Risiko, aus der politis-chen Landschaft zu verschwinden, wenn keine tiefgehende Auswertung vorgenommen wird, die einen politischen Wandel und eine geänderte Stra-
Die Nutzung munizipaler Strukturen wie in
Guatemala:
In Guatemala gibt es neben der alcaldía
(Kommune) indigene Gebietskörperschaf-
ten (municipios indígenas). In ländlichen
Gebieten mit absoluter indigener Mehrheit
wählen die Bewohner der indigenen Weiler
(Cantones) ihre eigenen Bürgermeister (in
einigen wenigen Orten wie Zolola sind es
Bürgermeisterinnen) nach einem eigenen
Wahlverfahren. Zwar verfügen diese indi-
genen Gebietskörperschaften über eine
gewisse Autonomie, sind aber der alcaldía,
die zum Beispiel das Geld verwaltet, nach-
geordnet.
Auch in Städten wie Quezaltenango haben
sich comités civicos, eine Art Wahlverein,
der indigenen Bevölkerung gebildet mit
dem Ziel, die Bürgermeister des Ortes zu
stellen, und so ein poder local aufzubauen.
Da das guatemaltekische Wahlsystem nur
Parteien und comités civicos anerkennt,
haben sich die indigenen Organisationen
entschlossen lokal über die comités civicos
in das “normale“ Wahlgeschehen ein-
zugreifen.8 Die lokalen indigenen Struktu-
ren sind relativ schwach und weitgehend
auf externe Unterstützung durch die staat-
liche oder nichtstaatliche Entwicklungszu-
sammenarbeit zur Durchführung von Pro-
jekten angewiesen. Auch in den Anden-
ländern wie in Peru und Ecuador beteiligen
sich die indigenen Organisationen mit ei-
genen Kandidaten an den Bürgermeister-
wahlen, unter den gleichen Bedingungen
wie alle anderen Kandidaten. In Peru, wo
bis vor einigen Jahren Bürgermeister noch
vom Staat ernannt wurden, haben sie bei
den letzten Bürgermeisterwahlen einige
Erfolge erzielen können.
tegie, wie ein wirklich plurinationaler Staat erreicht werden kann, beinhaltet“ (zitiert aus ILA, Mai 2004). 8 Zwar wurde in Guatemala Ende der 1990er die Bildung eigenständiger Indigenenpartei diskutiert. In Guatemala wurde dieser Plan jedoch wieder verwor-fen, da die Organisationen zu schwach, zu zerstrit-ten waren und zu wenig Basis hatten.
Indigene Völker und Staat
56
Der Aufbau autonomer völkerübergreifen-
der Selbstverwaltungsstrukturen:
Ansätze gibt es dazu in Ecuador mit dem
“indigenen Parlament“. Allerdings sind die
Abgrenzungen zwischen den indigenen
Organisationen CONAIE (Consejo de Na-
cionalidades Indígenas del Ecuador) und
CONFENIAE (Confederación de Naciona-
lidades Indigenas de la Amazonía Ecuato-
riana) einerseits und dem indigenen Par-
lament andererseits unscharf, so dass an
dieser Stelle wenig darüber gesagt werden
kann, welchen Beitrag das Parlament zur
politischen Teilhabe und Selbstverwaltung
leistet bzw. leisten kann.
Das “klassische Mittel“ des sozialen Pro-
testes:
Beispiele dafür sind die sozialen Protest-
bewegungen in Bolivien und Ecuador oder
die (bewaffnete) Widerstandsbewegung
der Zapatisten in Mexiko, die maßgeblich
von indigenen Völkern beziehungsweise
deren Organisationen getragen werden.
Diese Proteste haben in Ecuador und Boli-
vien zu tiefen Regierungskrisen bis hin zur
Absetzung der amtierenden Regierung ge-
führt und national wie international das
Augenmerk auf die soziale und politische
Marginalisierung der indigenen Völker ge-
richtet.
Bildung von Interessenvertretungen und
Nichtregierungsorganisationen auf überre-
gionale Ebene:
Die gewachsene Präsenz indigener Orga-
nisationen auf den internationalen Foren
sollte in diesem Zusammenhang nicht un-
terschätzt werden. Die internationale De-
batte um die Rechte indigener Völker hat
zur Stärkung der indigenen Organisationen
und ihren Partizipationsmöglichkeiten bei-
getragen.
In der Praxis schließen sich die einzelnen Op-
tionen nicht aus sondern ergänzen sich viel-
mehr. Die indigenen Organisationen kombinie-
ren daher gleichzeitig mehrere Ansätze in ihrer
Politik. Die oben genannten Optionen beziehen
sich alle auf Länder, in denen indigene Völker
einen hohen Anteil an der Bevölkerung oder
die Bevölkerungsmehrheit bilden. Anders sieht
es in den Ländern aus, in denen Indigene eine
kleine Minderheit sind wie in Kolumbien oder
Venezuela.
Das Beispiel Venezuela
Die indigenen Organisationen Venezuelas
stehen vor einer enormen Herausforderung.
Innerhalb kürzester Zeit haben sich nach Jahr-
hunderten der Negierung mit dem Regie-
rungswechsel 1998 Möglichkeiten der aktiven
politischen Partizipation und Interessenvertre-
tung ergeben. Diese ist in der Verfassung ver-
ankert, deren rechtlich-administrative Umset-
zung jedoch noch durch Gesetze geregelt
werden muss. Die Indigenen können sich da-
bei im wesentlichen nur auf eine politische
Kraft innerhalb der Mehrheitsgesellschaft stüt-
zen: den Präsidenten und Teile seiner Partei.
Nach wie vor handelt der überwiegende Teil
der Mehrheitsgesellschaft einschließlich des
Verwaltungsapparates diskriminierend. So
stieß das Gesetz zur Demarkierung des habi-
tat, einem in anderen lateinamerikanischen
Ländern ungebräuchlichen Begriff für indige-
nes Land und das Resultat eines Kompromis-
ses der Parteien im Parlament, auf erhebliche
Widerstände. Großgrundbesitzer und Militärs
starteten eine Gegenkampagne, in der sie
Landkarten Venezuelas veröffentlichten, die
das ganze Land in der Hand von einigen weni-
gen Indigenen zeigte, während sich die Millio-
nen von Venezolanern in ein paar Städten
zusammendrängen mussten. Die indigenen
Organisationen, die noch relativ jung und
schwach sind, stehen also vor der großen
Herausforderung den neuen Spielraum optimal
zu nutzen, und die erreichten Reformen zu
sichern. Sie benötigen dafür eine breite Akzep-
tanz in der Bevölkerung. Dementsprechend
setzen sie auf Dialog und weniger auf Konfron-
tation. Ein Beispiel für den Umgang im Konflikt-
fall ist die umstrittene Stromleitung von Ciudad
Guayana nach Brasilien und das Einlenken der
indigenen Organisationen, die im Endeffekt
dem Bau der Stromleitung zustimmten, im
Versprechen auf einen regionalen Entwick-
lungsfonds und der Aussicht auf eine rechtli-
che Verankerung indigener Territorien auf na-
tionaler Ebene. Die Auseinandersetzung um
die Stromleitung hat fast zur Spaltung der regi-
Indigene Völker und Staat
57
onalen Indigenenorganisation im venezolani-
schen Bundesstaat Bolívar geführt.
Durch die neue Verfassung haben die Indige-
nen das Recht, drei Parlamentsabgeordnete
zu stellen, Parlamentarier und Stadträte in die
Provinz- und Kommunalparlamente zu entsen-
den, und Institutionen für indigene Belange
personell zu besetzen. Das stellt die indigenen
Organisationen vor große Herausforderungen,
da sie nicht über viele ausgebildete Führungs-
persönlichkeiten verfügen und keine politi-
schen Erfahrungen in der parlamentarischen
Arbeit haben. Sie müssen nicht nur eigene
Gesetzesvorschläge erarbeiten, sondern auch
gleichzeitig den politischen Druck oder Spiel-
raum entwickeln, um sie durchzusetzen. Das
ist für eine relativ junge Organisation wie
CONIVE, der nationalen Indigenenorganisation
Venezuelas, für die indigenen Parlamentarier
und die kleine Gruppe von Beratern eine sehr
große Aufgabe. Die deutsche Entwicklungszu-
sammenarbeit hat die indigenen Organisatio-
nen in der Erarbeitung der relevanten Verfas-
sungsartikel unterstützt, in dem sie ihnen die
Möglichkeit gegeben hat, Konsultationswork-
shops mit der Basis durchzuführen. In einer
zweiten Phase, die mittlerweile abgeschlossen
ist, wurde dann die Rückkoppelung über die
gesetzgeberischen Vorschläge zwischen den
indigenen Parlamentariern und der indigenen
Basis unterstützt. Weiterer Bestandteil des
Projektes war die rechtliche Beratung bei Ge-
setzesvorschlägen. Dieses Projekt ist ausge-
laufen, ohne dass neue Vereinbarungen ge-
troffen wurden. Dies ist bedauerlich, da es für
die Indigenen in Venezuela notwendig wäre –
auch angesichts der Polarisierung der Gesell-
schaft – einen kontinuierlichen angepassten
Konsultationsprozess zwischen indigenen Par-
lamentariern und der Basis über ihre Arbeit
und neue Gesetzesinitiativen durchzuführen.
Dies ist umso dringender, da die parteipoliti-
sche Vereinnahmung der indigenen Bewegung
und damit der Verlust ihrer Unabhängigkeit
droht, was langfristig zu einer Schwächung der
indigenen Bewegung Venezuelas führen kann.
Das Beispiel Kolumbien
In Kolumbien stehen die indigenen Völker und
deren Organisationen vor anderen Herausfor-
derungen. Obwohl die Indigenen nur ca. 3%
der Gesamtbevölkerung ausmachen, haben
sie bereits Anfang der 1990er Jahre eine weit-
gehende Anerkennung ihrer Rechte durchset-
zen können. So wurden bereits in der Verfas-
sung von 1991 indigene Territorien, so ge-
nannte resguardos anerkannt, und ihnen auf
der politischen Ebene die direkte Interessen-
vertretung im Senat durch zwei Mitglieder zu-
gesichert. Die rechtliche Anerkennung indige-
ner Völker ist in Kolumbien weiter fortgeschrit-
ten als in den anderen lateinamerikanischen
Ländern. In der Realität wird allerdings dieser
Rechtsanspruch durch die Realität des Krieges
in den indigenen Territorien überlagert. Die
bewaffneten Gruppen, Guerilla, Paramilitär und
Militär kämpfen um die territoriale Kontrolle
und, eine indigene Selbstverwaltung der res-
guardos ist unmöglich. Die Aussage von AIDA
SUÁREZ SANTOS von der regionalen Indigene-
norganisation in Antioquia beschreibt den ein-
geschränkten Handlungsspielraum der Indige-
nen: “Unser Vorschlag sind Schutzzonen in-
nerhalb des Territoriums, wo die indigenen
Gemeinden leben. Diese Zonen müssen aber
außerhalb der strategischen Korridore der
bewaffneten Akteure liegen. Es soll bestimmte
Orte geben, wo Gemeinden Zuflucht suchen
können, wenn ihnen in ihrem eigenen Gebiet
Vertreibung droht oder Kämpfe zu befürchten
sind.“ (BRAßEL, ILA, 2004). Angesichts der
permanenten Bedrohung des Lebens und der
Vertreibung ist es fast unmöglich, indigene
Selbstverwaltungs- und Beteiligungsstrukturen
aufzubauen – trotz weitreichender rechtlicher
Absicherung.
Fazit
Trotz einiger Verbesserungen hin zu mehr
Partizipation und damit zu mehr Demokratie ist
die politische Marginalisierung indigener Völker
längst nicht überwunden. Es wird daher wichtig
sein, die Ansätze, die sich in den einzelnen
Ländern zeigen, zu nutzen und auszubauen.
Dazu gehört auch die Begleitung und Beratung
indigener Organisationen in der Ausgestaltung
Indigene Völker und Staat
58
der Partizipationsmöglichkeiten und der Wahr-
nehmung ihrer Rechte. Für indigene Organisa-
tionen und ihre Vertreter/innen besteht die
Gefahr in dem bestehenden System der la-
teinamerikanischen Länder kooptiert und kor-
rumpiert zu werden. Dieses Problem wird nur
durch eine regelmäßige und systematische
Rückkoppelung der parlamentarischen Vertre-
tung mit der Basis vermeidbar sein. Für die
Entwicklungszusammenarbeit bieten sich hier
in der Beratung und Unterstützung viele An-
satzpunkte.
Foto: Indigene Bevölkerung im Andenhochland (K. HEISING)
Legitimität von Repräsentant/innen
Oft diskutiert wird die wichtige Frage der Rep-
räsentanz: Wer ist berechtigt für die Belange
indigener Völker, indigener Gemeinschaften zu
sprechen? Sind es nur die traditionellen Autori-
täten oder die jungen “modernen“ Organisatio-
nen oder gar nicht-indigene Nichtregierungsor-
ganisationen? Von indigener Seite wird die
Vermittlung oder Vertretung indigener Belange
durch nicht-indigene NRO abgelehnt. Schwie-
riger ist jedoch das Verhältnis zwischen traditi-
onellen und “modernen“ Organisationsstruktu-
ren. Ohne Frage haben sich vor allem im Tief-
land aber auch im Hochland Lateinamerikas
parallele Machtstrukturen herausgebildet. In
vielen Orten stehen die Organisationen neben
den traditionellen Strukturen und eine gute
Verbindung dieser beiden Macht- und Ent-
scheidungsstrukturen gibt es nur in wenigen
Fällen (z.B. bei den Kuna in Panama oder dem
CRIC in Kolumbien). Allerdings reagieren die
beiden Strukturen auf unterschiedliche Anfor-
derungen und Bedürfnisse: die traditionellen
Machtstrukturen bestimmen im wesentlichen
das Innenverhältnis der Gemeinschaften, wäh-
rend die “modernen“ Organisationen im wesent-
lichen die Funktion der Außenrepräsentanz
und Durchsetzung von Interessen haben. Na-
Indigene Völker und Staat
59
türlich ist diese Aufteilung der Funktionen idea-
listisch, in der Praxis finden viele Überschnei-
dungen und Überlagerungen statt, die zu Kon-
flikten führen. Für die EZ ist es wichtig, die
Strukturen gut zu kennen, um durch Interventi-
onen keine neuen Konflikte zu schüren. Au-
ßerdem ist zu beachten, dass die indigenen
Organisationen sich als Mittler zwischen Ge-
berorganisationen und indigenen Gemein-
schaften verstehen und nicht auf die Mittler-
funktion von Kirche und/ oder NRO angewie-
sen sind. Die Mittlerfunktion Dritter wird von
indigener Seite sogar vehement abgelehnt. Mit
dieser “Mittlerfunktion“ ist jedoch nicht die Be-
raterfunktion, die vor allem bei rechtlichen Fra-
gen eine große Rolle spielt, gemeint.
Es ist wichtig, Spannung zwischen traditionel-
len und westlichen Strukturen nicht zu verstär-
ken. Die EZ sollte daher die internen Abstim-
mungsprozesse der indigenen Völker respek-
tieren.
Entwicklungszusammenarbeit
Wie sieht nun der Beitrag der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit im Kontext von
Demokratisierung – Anerkennung und Ausges-
taltung autonomer Selbstverwaltungsstrukturen
– Partizipation aus? Das Konzept des BMZ zur
Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen
Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika
(1996:6) sieht in den verbesserten rechtlichen
Rahmenbedingungen Möglichkeiten “sowohl
im Bereich der nichtstaatlichen als auch im
Bereich der zwischenstaatlichen EZ verstärkt
tätig zu werden…“ und fährt fort: “Die Bundes-
regierung nutzt diese Möglichkeiten und wird
ihre Bemühungen intensivieren, indianische
Bevölkerungsgruppen in der Artikulierung,
Durchsetzung und Wahrnehmung ihrer Rechte
zu unterstützen. Sie sieht ein solches Enga-
gement nicht nur als unverzichtbaren Bestand-
teil ernst gemeinter Anstrengungen zur Ar-
mutsbekämpfung in Lateinamerika, sondern
auch als wichtigen Beitrag zur Wahrung der
Menschenrechte und zur Konsolidierung de-
mokratischer Gesellschaftsstrukturen, die allen
Bevölkerungsgruppen politische Partizipation
und Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand
garantieren.“ Die Unterstützung indigener Völ-
ker in der Wahrnehmung ihrer Rechte und die
Partizipation Indigener im Sinne einer Konsoli-
dierung demokratischer Gesellschaftsstruktu-
ren steht demzufolge an prominenter Stelle in
der EZ mit indigenen Völkern.
Dies wird durch das “Partizipationskonzept“
des BMZ (1999) verstärkt. In der Zieldefinition
heißt es: “Ziel ist es, allen Beteiligten – Frauen
wie Männern – zu ermöglichen, an einem
transparenten Dialog- und Entscheidungspro-
zess teilzunehmen. Im Vordergrund dieses
Partizipationskonzeptes stehen gesellschaftli-
che Gruppen, deren Beteiligungsmöglichkeiten
u.a. aufgrund der Verteilung von Macht und
wirtschaftlichen Möglichkeiten unzureichend
sind.“ Dies bezieht sich nicht nur auf die parti-
zipative Gestaltung der Projekte und Pro-
gramme der Entwicklungszusammenarbeit. So
heißt es weiter unten “(...) wirkt die EZ auf
verbesserte gesellschaftliche Partizipation im
Partnerland hin, z.B. durch die Unterstützung
der Zivilgesellschaft (...) und von dezentralen
demokratischen Strukturen“ (1999:2).
Erneut wurde dieser Ansatz in dem Sektorvor-
haben: “Mainstreaming Partizipation der GTZ“
aufgegriffen, das drei Dimensionen der Partizi-
pation im Kontext der EZ unterscheidet
(MAENNLING, 2003):
1. die Beteiligung an den Arbeitsprozessen in
Projekten und Programmen,
2. die demokratische Bürgerbeteiligung an
Entscheidungs- und Steuerungsprozessen
3. und die Beteiligung an der Schaffung von
Institutionen in Politik und Gesellschaft, die
die Partizipation ermöglichen und gewähr-
leisten.
In Projekten und Programmen der EZ werden
heute verstärkt indigene Völker als Zielgruppen
wahrgenommen und einbezogen. Und zwar
nicht nur auf der Ebene der Planungsabläufe
der EZ sondern auch in der politischen Aus-
richtung: Das bereits genannte Projekt “Inter-
kultureller Dialog und politische Beteiligung der
Indígena-Bevölkerung Guatemalas“, die institu-
tionelle Förderung von AIDESEP in Peru und
der COICA, die Unterstützung der indigenen
Parlamentarier in Venezuela ebenso wie das
InWEnt Trainingsprojekt zu indigenen Rechten
Indigene Völker und Staat
60
zeigen Ansätze für eine veränderte Schwer-
punktsetzung.
5. Schlussfolgerungen und Empfehlun-gen
Die rechtlichen Fortschritte der letzen Jahre
und die zunehmende politische Bedeutung
indigener Organisationen auf nationaler und
internationaler Ebene kann jedoch nicht dar-
über hinwegtäuschen, dass der Alltag indige-
ner Völker in Lateinamerika nach wie vor von
sozialer, politischer und wirtschaftlicher Dis-
kriminierung und Marginalisierung bestimmt ist.
Die neuen rechtlichen Möglichkeiten und die
Veränderung des politischen Diskurses bein-
halten Chancen, Diskriminierung und Margina-
lisierung nachhaltig abzubauen. Eine wirkliche
Anerkennung der Multiethnizität eines Landes
beinhaltet durchaus die Restrukturierung des
existierenden Staates und eine Neudefinition
des Verhältnisses von Staat und indigenen
Völkern. Die Entwicklungszusammenarbeit
kann diesen Prozess im Sinne einer Demokra-
tisierung der Länder unterstützen: durch die
gezielte Förderung indigener Organisationen
und Selbstverwaltungsstrukturen, durch das
Training Indigener zu Rechtsfragen, zu Fragen
der Verwaltung und des Finanzmanagements,
sowie durch die Einbeziehung der indigenen
Zielgruppe in die Programme von Staatsmo-
dernisierung und Demokratisierung.
Darüber hinaus bedarf es eines Prozesses, in
dem die EZ und die indigenen Organisationen
sich über Konzepte von Demokratisierung,
Autonomie und Partizipation verständigen, um
wirkungsvolle Ansätze für die EZ zu finden. In
diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, auch
staatliche Institutionen in diesen Dialog einzu-
binden.
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Indigene Völker und Landrechte
61
Indigene Völker und Landrechte
DR. THEODOR RATHGEBER
“Der Ausgangspunkt für eine gerechte und humane Politik für solche Gruppen [indigene
Gemeinschaften; T.R.] ist die Anerkennung und der Schutz ihrer traditionellen Rechte auf
Land und andere Ressourcen, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensweise brauchen –
Rechte, die sie möglicherweise anders definieren als sie dem bisherigen Rechtsstandard
entsprechen. Die eigenen Institutionen dieser Gruppen, die Rechte und Pflichten verteilen,
sind grundlegend für die auf Ausgleich bedachte Wechselbeziehung zwischen Natur und
Umweltbewusstsein, sind charakteristisch für diese traditionelle Lebensweise. Insofern muss
die Anerkennung der traditionellen Rechte mit den Maßnahmen zum Schutz der lokalen In-
stitutionen Hand in Hand gehen, um den verantwortlichen Ressourcenverbrauch zu stär-
ken.“1
1 BRUNDTLAND, 1987; Übersetzung des Autors
1. Der Bedeutungskontext indigener Territorien
Territoriale Fragen sind für indigene Völker von
grundsätzlicher, existenzieller Bedeutung. Die
meisten indigenen Völker mussten – soweit sie
nicht in entlegenen Gebieten leben – im Zuge
von Eroberung und Kolonisierung Landverluste
hinnehmen, die bis heute eine unabgegoltene
Beschädigung souveräner Herrschaft darstel-
len. Wenngleich in Lateinamerika so gut wie
keine indigene Organisation die Wiederher-
stellung einer vollen staatlichen Souveränität
beansprucht oder separatistische Ziele an-
strebt, schwingt in den Auseinandersetzungen
um das traditionell besiedelte oder genutzte
Land immer der Anspruch auf eine eigenstän-
dige Verfügung der Restbestände an Land mit.
So gibt es kein nationales oder internationales
Forum, auf dem Beiträge indigener Repräsen-
tantinnen und Repräsentanten nicht wiederholt
ihren zentralen Bezug auf Landrechte zum
Ausdruck bringen, und das darin eingebettet
Überleben als Kultur hervorheben (zur Ambi-
valenz des ‚Kultur‘-Begriffs im indigenen Kon-
text siehe auch STRÖBELE-GREGOR und ABRAM
in diesem Band). In der jüngsten, über 30 Jah-
re dauernden, indigenen Landrechtsbewegung
wurde in den politischen und rechtssys-
tematischen Debatten zu den Landrechten
indigener Völker der Begriff des ‚Territoriums‘
statt ‚Land‘ ins Spiel gebracht. In bewusster
Anlehnung an den historischen Bedeutungs-
verlust sowie an die Vorstellung einer rechtlich
abgesicherten Grundlage, die eine relativ sou-
veräne Verfügung über Boden, Untergrund
und Luftraum erlaubt.
Indigene Völker und Gemeinschaften meinen
mit Territorium allerdings nicht allein die mate-
rielle Verfügungsmöglichkeit über den Boden
und die vorhandenen natürlichen Ressourcen
(vgl. FELDT und ROSSBACH DE OLMOS in diesem
Band), sondern den Versuch, sich eigenstän-
dige Lebensentwürfe wieder anzueignen und
weiter zu entwickeln. Mit dem Begriff Territo-
rium verknüpft sich der Anspruch auf eine kul-
turell normierte Existenz mit eigener Sprache,
eigenen Rechtssystemen, spezifischer Versor-
gung in den Bereichen Gesundheit und Ausbil-
dung sowie politisch autonomer, lokaler Ver-
waltung. Das Territorium stellt die Projektions-
fläche für den spezifisch sozialen und kulturel-
len Verbund dar, mit eigenen Mitteln wenigs-
tens ansatzweise eine Entwicklung nach eige-
nen kulturellen Leitbildern und Maßstäben zu
ermöglichen. Nicht zuletzt verstehen indigene
Völker ihr Territorium als den unverwechselba-
Indigene Völker und Landrechte
62
ren Ort ihrer spirituellen Rückverbindung (lat.:
religere) zwischen der Tätigkeit in vertrauter
Umgebung und dem Sinn des Lebens. Die
Mythen, die Gräber der Ahnen, die spirituelle
Verwurzelung mit der Umgebung, die auf den
traditionell bewohnten und genutzten Territo-
rien entstanden sind, verleihen den Gemein-
schaften eine eigene, nicht von anderen ab-
hängige oder abgeleitete Geschichte und Iden-
tität (RATHGEBER, 1994 und 2003;
STAVENHAGEN, 2002).
Was von dieser umfassenden Zuschreibung
des Territoriums jeweils aufgenommen wird,
richtet sich nach den Kräfteverhältnissen in der
jeweiligen Region. Die Gewichtung einzelner
Bestandteile ist ebenso offen für Veränderun-
gen und korrespondiert mit der Frage bzw.
Identifizierung, wer eigentlich indigene Völker
sind. Die Vereinten Nationen und andere inter-
nationale Foren legen die Annahme zugrunde,
dass von einem indigenen Volk dann gespro-
chen werden kann, wenn zum einen zumindest
Teile aus einem Bündel an historischen, geo-
graphischen und sozialen Anhaltspunkten so-
wie ethnologische Kriterien vorliegen. Dies
wären etwa die Nachfahren der ersten Siedler
in einer Region sowie das Vorhandensein min-
destens von Restbeständen an eigener Spra-
che, Religion oder spezifischer Formen der
politischen und juristischen (Selbst-) Verwal-
tung. Zum anderen müssen sich die Angehöri-
gen einer solchen Gemeinschaft selbst als
indigen identifizieren. Die (Selbst-) Identifika-
tion indigener Völker stellt insofern einen eher
prozesshaften Vorgang denn eine abgeschlos-
sene Definition dar – und bleibt offen für Ver-
änderungen.
Aus guten Gründen: Angehörige indigener
Gemeinschaften etwa in Guatemala, Mexiko
oder Kolumbien waren in der jüngeren Vergan-
genheit gut beraten, sich je nach Gefahrenlage
oder drohender Diskriminierung einmal eher
als Kleinbauern, das andere Mal eher als An-
gehörige einer indigenen Gemeinschaft zu
erkennen zu geben. Entsprechend variiert
nach außen der Charakter des besiedelten
oder genutzten Landes. Der dem Völkerrecht
entlehnte Begriffsteil ‚Volk‘ unterstreicht
gleichzeitig den Anspruch auf das Territorium
im Sinne eines historisch gewachsenen Rau-
mes, der innerhalb des gegebenen National-
staates autonome Entscheidungen gegenüber
anderen sozialen Gruppen beansprucht
(STAVENHAGEN, 2002).
Das Territorium als skizziertes, kleinräumliches
‚Universum‘ stellt Angel- und Zielpunkt selbst
derjenigen dar, die lediglich Aspekte davon für
sich einfordern. Es dürfte unter den Angehöri-
gen indigener Gemeinschaften schwerlich je-
mand zu finden sein, der die vom Brundtland-
Report (1987) dargelegte, konstitutive Wech-
selbeziehung zwischen Land, Ressourcen,
eigenen Institutionen sowie dem Anspruch an
die eigene Lebensweise in Abrede stellen woll-
te. Dies gilt selbst für Angehörige, die in Städ-
ten leben, dort aber über verwandt- und nach-
barschaftliche oder lokal bezogene Verei-
nigungen vielfältige Beziehungen zu ihren Ur-
sprungsorten aufrechterhalten und materiell
wie ideell zur Existenzsicherung des Territori-
ums beitragen. Sie unterstreichen dessen um-
fassende Bedeutung für das Überleben und
die Vitalität indigener Gemeinschaften. Die im
Begriff Territorium mitschwingende, kollektive
und kulturelle Dimension behält offensichtlich
auch in städtischer Umgebung ihre über die
einzelnen Generationen hinausweisende Be-
deutung bei (RATHGEBER, 1994; HOLZINGER,
2003).
Die Ausprägung der Wechselbeziehung von
Land, Ressourcen, Institutionen und selbstbe-
stimmter Lebensweise sowie die Wahrneh-
mung durch die Öffentlichkeit fallen gleichwohl
unterschiedlich aus; je nachdem, wie stark die
einzelnen Gemeinschaften von den äußeren
Eingriffen durchdrungen sind, und wie diskrimi-
nierend oder gar strafverfolgend die soziale
Umgebung auf die öffentliche Darstellung rea-
giert. Bei indigenen Völkern im Tiefland des
Amazonas trat diese enge Wechselbeziehung
von Land und Selbstverwaltung immer schon
ostentativer zutage als etwa bei Gemeinschaf-
ten im andinen Hochland. Letztere waren zum
einen direkter dem unmittelbaren Machtbe-
reich der kolonialen und später republikani-
schen Herrscher ausgesetzt. Zum anderen
mussten sie unter diesen Bedingungen eine
Entwicklung auf der Grundlage bäuerlicher
Subsistenzökonomie einschlagen, so dass
indigene Gemeinschaften im Hochland eher
Indigene Völker und Landrechte
63
als kleinbäuerliche Gemeinden in Erscheinung
traten. Gleichwohl lassen sich heute noch bei
näherem Hinsehen auch dort viele Elemente
eines kulturell spezifischen Zusammenhanges
entdecken, der durch die koloniale Dominanz
in den Hintergrund rücken musste.
Außerdem zielen etwa in Guatemala die For-
derungen nicht allein auf die Rückgabe des im
Bürgerkrieg von der Armee konfiszierten Lan-
des, sondern auch auf die Rückgabe spirituell
und kulturell bedeutsamer Stätten. Aufgrund
der politisch und strafrechtlich polarisierten
Situation konzentrieren in Chile manche Orga-
nisationen der Mapuche ihre Forderungen auf
die Nutzung öffentlicher Räume zur Durchfüh-
rung tradierter Zeremonien, vor allem in den
Städten, oder die Einrichtung staatlich beson-
ders geförderter Zonen für eine wie auch im-
mer geartete ‚indigene Entwicklung‘.
Es ist daher unabdingbar, die unterschiedliche
Dynamik der Landrechtsauseinandersetzun-
gen zu berücksichtigen; insbesondere im Tief-
und Hochland. Gleichwohl scheint mir im Kon-
text der Fragestellung mindestens genauso
interessant, dass gerade auch im kleinbäuer-
lich strukturierten, andinen Hochland immer
wieder an tradierte Institutionen angeknüpft
wird, um eine eigenständige, teilweise im Ver-
borgenen stattfindende Entwicklung einzulei-
ten. Kollektive Formen der Arbeitsorganisation,
gemeinschaftlich bewirtschaftete Flächen, die
Einbettung staatlicher Verwaltungseinrichtun-
gen in tradierte Formen der Selbstverwaltung
oder die Wiederbelebung kulturell normierter
Leitbilder in religiösen Zeremonien (Stichwort
Synkretismus) offenbaren auch dort die im
Vergleich zu nicht-indigenen Kleinbauern spe-
zifische Dynamik, mit der Auseinandersetzun-
gen um das Land geführt werden. Seitdem in
Bolivien das Gesetz zu den Tierras Comunita-
rias de Origen (TCOs) für indigene Gemein-
schaften nachvollziehbare Ergebnisse zustan-
de bringt, zeigen auch die Hochlandbewohner
ein starkes Interesse an dieser Möglichkeit,
kommunalen Landbesitz mit kollektiven
Rechtstiteln ausstatten zu lassen. Ein Gesetz,
das ursprünglich mit Blick auf das Tiefland
konzipiert wurde, schlägt also vermehrt auf
das Hochland durch, aus dessen Regionen
inzwischen zwei Drittel der Anträge eingegan-
gen sind. Die dortigen Bewohner sehen eine
realistische Möglichkeit, an tradierte Institutio-
nen anknüpfen und kommunale Landbesitz-
verwaltungen wieder einrichten zu können
(RATHGEBER, 2003; siehe auch Abschnitt 4)
Darüber hinaus entwickelten indigene Völker
eine erstaunliche Fähigkeit, koloniale Struktu-
ren und Formen der sozialen Organisation für
eigene Zwecke zu nutzen. So ist der von den
Spaniern eingeführte Cabildo (Dorfrat) etwa für
indigene Gemeinschaften in Kolumbien zum
Inbegriff der politischen Autonomie auf den
traditionell besiedelten Territorien geworden. In
gleicher Weise wurde das Resguardo (Reser-
vation) als Eigentumsanspruch auf indigene
Territorien und deren Verwaltung übernom-
men. Die neue kolumbianische Verfassung
von 1991 bestätigte dieses Rechtsmodell, so
dass hier indigene Völker als Rechtssubjekte
in der autonomen Verwaltung ihres Lebens-
raums auftreten und ihr Gewohnheitsrecht
ausüben (MEMBREÑO IDIAQUEZ, 1994;
RATHGEBER, 1994; MUYUY JACANAMEJOY,
1997). Würden die in der kolumbianischen
Verfassung vorgesehenen territorialen Körper-
schaften für indigene Gemeinschaften (Entida-
des Territoriales Indígenas) in Ausführungsge-
setzen geregelt und umgesetzt, könnte dies
dem skizzierten Anspruch auf territoriale Auto-
nomie recht nahe kommen.
Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich
mit den Worten von Robert A. Williams – ei-
nem renommierten Experten für indigene
Landrechte, der in den 1990er Jahren in die
UN-Unterkommission zur Förderung der Men-
schenrechte berufen wurde – feststellen, dass
die tragenden materiellen, kulturellen und spi-
rituellen Säulen indigener Identität unabding-
bar mit dem Bezug zum jeweiligen Territorium
verknüpft bleiben (zitiert nach DAES, 2000:
Absatzziffer 12).
2. Indigene Landrechte im Kontext inter-nationaler Standardsetzung
Begriffliche und konzeptionelle Annäherungen
an Bedeutung und Umfang des indigenen Ter-
ritoriums sind in den einschlägigen internatio-
nalen Foren und vertraglichen Plattformen wie
etwa bei internationalen Übereinkommen fast
Indigene Völker und Landrechte
64
schon zur Selbstverständlichkeit geworden. In
gleicher Weise sind im vergangenen Jahrzehnt
in Lateinamerika Versuche zu beobachten, die
Ergebnisse dieser Debatten und Standards im
nationalstaatlichen Rahmen juristisch umzu-
setzen, und dem jeweiligen Staat einen der
Bevölkerungsstruktur entsprechenden kultu-
rellen Pluralismus zu verordnen. Stichworte
wie spezifische Rechte oder Wahlkataster für
Angehörige indigener Völker in einer demokra-
tisch egalitären Gesellschaft, doppelte Staats-
bürgerschaften für Grenzlandbewohner etwa in
Kolumbien und Ecuador, ‚Selbstbestimmung‘
für regionale Teile einer Nation oder besonde-
re Konsultationsverpflichtungen für Regierun-
gen und Behörden reichen hier als Stichworte
aus, um den Paradigmenwechsel der staatli-
chen Politik in Bezug auf indigene Völker zu
verdeutlichen. Mindestens der Verfassung
nach gilt in vielen Staaten Lateinamerikas die
Verschiedenheit der Kulturen nicht mehr als zu
überwindendes Relikt vormoderner Prinzipien,
sondern als gleichwertiger Bestandteil der
öffentlichen Ordnung (KUPPE, 2000:106ff; vgl.
auch den folgenden Abschnitt 3).
Foto: Taller zur Zonifizierung eines Sektors in Mapuche-Gemeinden, Chile (S. HESS-KALCHER, Proyecto GAR)
Die Annäherung an eine konstruktive Behand-
lung indigener Landrechte erfolgte aus unter-
schiedlichen Beweggründen und in mehreren
Zeitabschnitten. Den wesentlichen Anstoß
gaben indigene Völker mit ihren Mobilisierun-
gen ab den 1970er Jahren selber, die zumin-
dest Teile der nationalen wie internationalen
Öffentlichkeit auf ihre elende Lage aufmerk-
sam machten. So wurden die vom Staat er-
zwungenen Maßnahmen, die sich gegen tra-
dierte Formen indigener Lebensweise richteten
und die Homogenisierung der nationalen Ge-
sellschaft zum Ziel hatten, als systematische
Menschenrechtsverletzungen eingestuft; teil-
weise in der Kategorie des Völkermords ge-
mäß Artikel II der Konvention gegen Genozid.
Dieser Artikel stellt Handlungen unter Strafe,
die in der Absicht begangen werden, eine nati-
onale, ethnische, rassische oder religiöse
Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zer-
Indigene Völker und Landrechte
65
stören. Umgekehrt erschien die auf indigenen
Territorien praktizierte Lebensweise zuneh-
mend weniger als entwicklungshemmend und
rückwärtsgewandt, sondern als Ausdruck für
das Bestreben, einen aus den eigenen kultu-
rellen Werten abgeleiteten Lebensentwurf mit
eigenen Möglichkeiten zu verwirklichen; d.h.
‚Glück‘ selbst zu bestimmen. Eine Bresche
schlug der UN-Sonderberichterstatter für die
UN-Unterkommission zur Förderung der Men-
schenrechte, der aus Ecuador stammende
JOSÉ R. MARTÍNEZ COBO. Er fertigte in den
1970er Jahren im Auftrag der UNO eine um-
fangreiche Studie zur Lage indigener Völker an
und stellte in Bezug auf die Landfrage fest,
dass es unabdingbar sei, die tiefe spirituelle
Beziehung zwischen indigenen Völkern und
ihrem Land als Grundlage ihrer Existenz ver-
stehen zu lernen (MARTÍNEZ COBO, 1987, Band
V: Absatzziffern 190ff).
Seine Studie bildete die Grundlage, um zum
einen ab 1983 die Arbeitsgruppe für indigene
Bevölkerungen bei der UN-Unterkommission
einzurichten. Aus deren Arbeit entstand der
1994 fertiggestellte Entwurf einer Internationa-
len Erklärung zu den Rechten indigener Völ-
ker. Sowohl die Präambel als auch Artikel 25
des Entwurfs nehmen ausdrücklich Bezug auf
den vom herkömmlichem Verständnis abwei-
chenden Charakter der Beziehungen zwischen
indigenen Völkern und ihrem Land. Außerdem
wird festgehalten, dass diese besondere Be-
ziehung per Gesetz zu schützen ist, und nicht
etwa mit Verweis auf eine allgemeine Gleich-
heit diskriminiert werden darf.
Die gleiche Arbeitsgruppe erteilte zweien ihrer
Mitglieder den Auftrag, Studien über Land- und
Territorialrechte durchzuführen. Zum einen
erhielt der aus Kuba stammende MIGUEL
ALFONSO MARTÍNEZ den Auftrag, eine Studie
über völkerrechtlich relevante Verträge und
Abkommen zwischen indigenen Völkern und
Nationalstaaten anzufertigen. Aus dieser Stu-
die geht hervor, dass die überwiegend im Zeit-
raum des 17. bis 19. Jahrhunderts zustande
gekommenen Abkommen von Vertragspar-
teien – Kolonialmächte und indigene Völker –
mit völkerrechtlicher Qualität abgeschlossen
wurden. Mithin genossen die von den indige-
nen Völkern besiedelten und genutzten Ge-
biete den Status eines souverän verfügbaren
Territoriums (MARTÍNEZ, 1999).
Insbesondere indigene Repräsentantinnen und
Repräsentanten aus Nordamerika, Australien
und Neuseeland weisen in diesem Zusam-
menhang bis heute darauf hin, dass unbe-
schadet der unzähligen Vertragsbrüche durch
Kolonialmächte und nachfolgende National-
staaten die völkerrechtliche Anspruchsgrund-
lage nicht ausgelöscht wurde. Demzufolge
fordern sie die entsprechenden Territorien ein,
und haben durch einige Entscheidungen o-
berster Gerichtshöfe in Kanada (Fall Delga-
muukw) und Australien (Fälle Mabo und Wik)
immerhin eine partielle Anerkennung ihrer his-
torischen Besitzrechte erreicht (CARSTENS,
2000). Unbeschadet aller Kritik von Seiten
indigener Organisationen ging die kanadische
Bundesregierung dazu über, im Rahmen einer
neuen bundesstaatlichen Aufteilung über die
Landrechtsfrage nachzudenken. So richtete
Kanada 1999 einen neuen Bundesstaat na-
mens Nunavut ein, der den dort lebenden Inuit
eine relative Autonomie einräumt.
Den zweiten Auftrag erhielt ERICA-IRENE DAES,
um eine Studie zum Recht auf Land zu erar-
beiten. Frau DAES hob in ihrem abschließen-
den Bericht aus dem Jahr 2000 deutlich her-
vor, dass der Zugang zum Land und dessen
Ressourcen für das Überleben indigener Völ-
ker von grundlegender Bedeutung ist (DAES,
2000). Im gleichen Tenor beurteilte Rodolfo
Stavenhagen in seinem ersten Bericht als UN-
Sonderberichterstatter für indigene Angelegen-
heiten, dass für indigene Völker das Territo-
rium und die dort vorhandenen Ressourcen
eine existenzielle, d.h. eine Frage der Men-
schenrechte darstellen (INTERNATIONAL CENTRE
FOR HUMAN RIGHTS AND DEMOCRATIC
DEVELOPMENT, 1996; STAVENHAGEN, 2002:
Abschnitt II.B).
Der Bericht und die Empfehlungen von Mar-
tínez Cobo trugen des weiteren wesentlich zur
Ausarbeitung der Konvention 169 der Internati-
onalen Arbeitsorganisation (ILO; International
Labour Organization) bei. Sie wurde 1989 be-
schlossen und löste die Vorgängerversion ab,
die Konvention 107 aus dem Jahr 1957, die im
Geiste der nachholenden Entwicklung ausfor-
Indigene Völker und Landrechte
66
muliert worden war und auf die zwangsweise
Integration (Assimilierung) indigener Völker
zielte. Im Abschnitt II zu Grund und Boden
führt Artikel 13 der Konvention 169 aus, dass
Regierungen bei der Durchführung der Be-
stimmungen dieses Teils die besondere Be-
deutung zu beachten haben, die der Wechsel-
beziehung indigener Völker und ihrer Kulturen
sowie ihrer geistigen Werte mit dem von ihnen
besiedelten oder genutzten Land inne wohnt.
Wenngleich die Konvention 169 nichts darüber
besagt, was rechtsverbindlich ‚Territorium‘
bedeutet und lediglich ausführt, dass die Beg-
riffe ‚Gebiete‘ oder ‚Ländereien‘ das Konzept
des Territoriums beinhalten. Aufgrund der -
wenigen - Vorgaben der Konvention und ihrer
Kommentierungen schlussfolgert Roque
Roldán, dass die Staaten in diesem Kontext
verpflichtet sind, indigenen Völkern das unein-
geschränkte Landeigentum zu übertragen
sowie alle Ressourcen anzuerkennen, die
traditionell die Lebensgrundlagen des indige-
nen Volkes bilden. Ebenso müsse indigenen
Völkern ein vernünftiger, d.h. an der Aufrecht-
erhaltung der spezifischen Existenz orientierter
Grad an Autonomie für die Verwaltung und
Nutzung der Territorien zugestanden werden
(ROLDÁN ORTEGA, 2003:62f). Es liegt auf der
Hand, dass indigene Organisationen und Re-
gierungen um die Interpretation, wie weit das
Landeigentum und die Ressourcenverfügbar-
keit reichen, erbittert streiten (vgl. auch FELDT
und ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band).
Schließlich unterstreicht die Präambel des von
der Interamerikanischen Menschenrechts-
kommission 1997 vorgelegten Entwurfs für
eine Amerikanische Erklärung zu den Rechten
Indigener Völker – den momentan der Stän-
dige Rat der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) diskutiert – ebenfalls die be-
sondere Beziehung indigener Völker zu ihren
Territorien sowie den traditionellen kollektiven
Systemen zur Kontrolle und zum Nießnutz des
Landes. Ähnlich wie bei der ILO-Konvention
169 sind bei den beiden Entwürfen der UNO
und der OAS zwar keine verbindlichen Erläute-
rungen zum Begriff Territorium vorhanden.
Dafür liegt der OAS jedoch eine unüberschau-
bare Anzahl an schriftlichen und zu Protokoll
gegebenen Kommentierungen durch indigene
Völker und Organisationen vor, die diesen
engen Verbund von Territorium und Gemein-
schaft unterstreichen.
Alle Normen und Debatten um Landrechte
indigener Völker betonen den generations-
übergreifenden Aspekt dieser besonderen
Beziehung zum Territorium und weisen diese
als einen wesentlichen Bezugspunkt für Iden-
tität und Fortbestand indigener Kulturen aus.
Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer
beschleunigten Ökonomisierung aller Lebens-
bereiche zu werten (Stichwort Globalisierung),
die nun den Zugriff auf verwertbar scheinende
Territorien indigener Völker selbst in entfern-
testen Gebieten, die Ausbeutung von Natur-
ressourcen an fast jedem Ort und jederzeit
möglich macht. Sogenannte Strukturanpas-
sungsprogramme greifen tief in die rechtlichen
Garantieleistungen des Staates ein, die dieser
etwa bei der Nutzung der Territorien und der
dort befindlichen Ressourcen eingegangen
war. Um so bedeutsamer erweisen sich die
bisher schon entwickelten internationalen
Standards nicht nur zur Landrechtsfrage.
3. Geschichte und Entwicklung der Land-rechtsfrage für indigene Völker in Latein-amerika
Die Anerkennung indigener Völker als eigen-
ständige gesellschaftliche Verbände mit Rech-
ten auf ihr traditionelles Land und selbst-
verwaltete Territorien waren vor 40 Jahren in
kaum einem lateinamerikanischen Land ab-
sehbar, abgesehen von Nischenexistenzen
wie der Comarca San Blás in Panama. Bis in
die 1970er Jahre galten die Kulturen indigener
Völker als rückwärtsgewandt und Hemmnis
ihrer eigenen Entwicklung. Sie waren überwie-
gend Opfer fremdbestimmter politischer Ziel-
setzungen nach den Maßstäben einer sich
industriell formierenden, nationalen Gesell-
schaft. Indigene Völker mussten in diese natio-
nale Gesellschaft integriert werden. Im Zuge
der nationalstaatlichen Integration sollte eine
kulturell homogene Gesellschaft entstehen.
Das Aufgehen der indigenen Bevölkerungsteile
in diese Gesellschaft galt als bestmögliche
Zukunft für sie. Wie in Bolivien schufen die
Staaten komplexe Rechtssysteme zur Land-
Indigene Völker und Landrechte
67
rechtsfrage, ohne dass sie die ethnische Be-
völkerungsverteilung berücksichtigten; die
etwa in Bolivien eine Mehrheit mit indigener
Herkunft ausweist. Entsprechend dem kolonia-
len Denken behielten sich die Staaten das
Recht vor, über die Verwertung der von Indi-
genen besiedelten oder genutzten Gebiete
ausschließlich allein zu entscheiden, und etwa
den Privatbesitz an Parzellen zu fördern.
Mit der gleichen Denkstruktur gingen die Nati-
onalstaaten an die Lösung von Landrechtskon-
flikten heran. Bis weit in die 1990er Jahre gal-
ten Landbesitznahmen durch Angehörige indi-
gener Gemeinschaften als Symbol für die
Infragestellung des gesamten jeweiligen Ge-
sellschaftssystems und wurden entsprechend
repressiv verfolgt. Entsprechend hoch war der
Blutzoll auf indigener Seite; insbesondere in
den 1970er Jahren, als Landrechtskonflikte
noch nahezu ausschließlich mit Mitteln der
Aufstandsbekämpfung unterdrückt wurden.
Selbst gegenüber indigenen Gemeinschaften,
die ihre Landansprüche nicht im Kontext radi-
kaler Landrechtsbewegungen geltend mach-
ten.
Landbesetzungen durch indigene Gemein-
schaften werden zwar auch heute noch über-
wiegend durch den Einsatz staatlicher Sicher-
heitskräfte zu regeln versucht, und in Chile
bemüht die Regierung sogar Anti-Terrorismus-
Gesetze, um radikale Landrechtsbewegungen
einzudämmen. Gleichwohl werden Landbeset-
zungen nicht mehr automatisch als ‚marxisti-
sche‘ Herausforderung und Unterwanderung
der nationalen Gesellschaft interpretiert, son-
dern im Kontext der kulturellen Integrität einer
indigenen Gemeinschaft bzw. eines indigenen
Volkes. Zum repressiven Konfliktmanagement
gesellten sich nach und nach Dialog und
Rechtsstaat. Dieser Wandel eröffnete nicht
zuletzt der Entwicklungszusammenarbeit
Spielräume für aktive Beiträge zur Umsetzung
von Landrechten indigener Gemeinschaften
(vgl. Abschnitt 5).
Erste Veränderungen in diese Richtung nah-
men mit den Agrarreformen in den 1960er
Jahren ihren Anfang, angestoßen durch klein-
bäuerlichen Protest und eingebettet in die Alli-
anz für den Fortschritt; das damalige Gegen-
programm der USA zur kubanischen Revolu-
tion. Im Zuge der kleinbäuerlichen Mobilisie-
rung organisierten und mobilisierten sich zu-
nächst die im gleichen sozialen Milieu angesie-
delten indigenen Völker, vor allem im andinen
Hochland in einem Ausmaß, das bald über
kleinbäuerliche Formen der Verfügung und
Nutzung von Land hinauswies. Ähnlich bekun-
deten die Nachfahren der Maya in Guatemala
ihr Interesse an genossenschaftlichen Organi-
sationen, um darüber wieder eine nach außen
legitimierte, kollektive Verwaltung über ihr
Land einzurichten zu können. Alsbald artiku-
lierten die Mobilisierten nicht mehr nur den
Anspruch auf ihr Land sondern mit dem Begriff
Territorium auch den Anspruch auf lokale
Selbstverwaltung durch eigene, tradierte oder
unter eigenen Prämissen entwickelte Instituti-
onen. Sie behaupteten sich damit nicht zuletzt
gegen Vereinnahmungsversuche durch linke
Gruppierungen oder Guerilla-Verbände
(RATHGEBER, 1994: Kapitel 4; STAVENHAGEN,
1997:17ff und 2002).
Die Diskussion und Formulierung neuer inter-
nationaler Rechtsstandards, wie der erwähnte
Martínez Cobo-Bericht oder die ILO-Konven-
tion 169, gaben diesen Prozessen die notwen-
dige Rückendeckung. Das Einfordern indige-
ner Landrechte gegenüber den Nationalstaa-
ten war nicht mehr so einfach als illegitim vom
Tisch zu wischen. Spiegelte sich in der Vor-
gängerversion, der ILO-Konvention 107, die
soziale Wirklichkeit lateinamerikanischer Län-
der mit ihrem Integrationsansatz wider, so be-
einflusste nun umgekehrt die Konvention 169
wesentlich die Gestaltung der rechtlichen
Rahmenbedingungen für indigene Völker in
Lateinamerika. Ein gewichtiger Teil der Länder
Lateinamerikas hat die ILO-Konvention 169
ratifiziert: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ko-
lumbien, Costa Rica, Ecuador, Guatemala,
Honduras, Mexiko, Paraguay, Peru und Vene-
zuela. Andere Länder wie Nicaragua und Pa-
nama hatten wichtige Verfassungsreformen
schon früher durchgeführt, die ähnliche Rechte
einschlossen.
Ein zweiter wesentlicher Schub entsprang den
Mobilisierungen im Zuge der Gedenkfeiern
zum Kolumbusjahr 1992 sowie dem im glei-
chen Jahr stattgefundenen Umweltgipfel in Rio
Indigene Völker und Landrechte
68
“Zu den grundlegenden, eingeforderten und anerkannten Rechten durch die Verfassung gehören: Ausbildung in der eigenen Sprache, Land und Territorium, natürliche Ressourcen, Respekt gegenüber der Identität und Kultursowie kollektiven Rechten.“
LOURDES TIBAN, CONAIE, Ecuador
de Janeiro, der indigenen Völkern im Kapitel
26 der Agenda 21 eine tragende Rolle beim
Erhalt des natürlichen Reichtums der Erde
zumaß. In diesem zeitlichen Kontext wurden
von Mexiko bis zum Süden des Subkontinents
neue Verfassungen geschrieben oder beste-
hende reformiert, die zum ersten Mal in der
lateinamerikanischen Geschichte überhaupt
einen politischen Anspruch auf eine plurikultu-
relle oder multiethnische Gesellschaftsverfas-
sung formulierten. Vor dem Hintergrund der in
Lateinamerika ausgeprägten Tradition des
uniformen Nationalstaates mutierte die dezi-
dierte Anerkennung indigener Gemeinschaften
und Völker und ihrer Rechte zu einem Para-
digmenwechsel in der Politik (vgl. auch FELDT
zur Staatsmodernisierung in diesem Band).
Schließlich ließ sich beobachten, dass die Ent-
würfe zur Internationalen sowie zur Amerikani-
schen Erklärung indigener Rechte national wie
international Diskurs bildend wurden. Beide
Entwürfe bauen auf den Normen der ILO-Kon-
vention 169 auf, sprechen jedoch statt von
‚Verpflichtungen des Staates‘ gegenüber indi-
genen Völkern nunmehr von den ‚Rechten
indigener Völker‘‘. Dabei ist zwar in Rechnung
zu stellen, dass eine ‚Erklärung‘ keinen bin-
denden Charakter besitzt und insofern die
Sprachregelung dort im Vergleich zur rechtlich
verpflichtenden Konvention immer großzügiger
ausfällt. Gleichwohl erbrachte die internationa-
le Debatte um die Erklärungen und mithin um
indigene Landrechte in den meisten Verfas-
sungen Lateinamerikas eine Änderung zu-
gunsten des eigenständigen Rechtsanspru-
ches auf das traditionell besiedelte oder ge-
nutzte Land (KUPPE, 2000 UND 2004).
Die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten
akzeptiert mittlerweile in Gesetzen und Ver-
waltungsvorschriften, dass indigenen Völkern
eine Reihe von Sonderrechten zustehen, so
das Recht auf das traditionell bewohnte oder
genutzte Land oder Territorium; die Begriffe
wechseln in einzelnen Ländern. Aufgrund der
veränderten internationalen Bedingungen und
des Legitimationsdrucks gegenüber den ‚Op-
fern von 500 Jahren Unterdrückung‘ war es
möglich geworden, indigene Lebensentwürfe
und ihre materiellen Bedingungen prinzipiell zu
akzeptieren, für ihre historisch begründete,
unterschiedliche Identität sogar eine verfas-
sungsrechtliche Garantie abzugeben, ohne
dass dadurch die nationale Einheit oder Si-
cherheit verletzt oder gefährdet würde.
Im Gegenteil, die neue Beziehung zwischen
nationalen Gesellschaften und indigenen Völ-
kern wird inzwischen sogar in der Kategorie
eines grundlegenden Rechts angesiedelt. So
spricht etwa die kolumbianische Verfassung
von 1991 von elementaren Rechten indigener
Völker auf die eigene Existenz als Volk, indi-
gene Sprachen als weitere Verkehrssprachen,
eine zweisprachige und multikulturelle Ausbil-
dung, Schutz der kulturellen Traditionen, ei-
gene Rechtsnormen und insbesondere die
Unveräußerbarkeit der traditionellen Landbe-
sitze sowie auf kollektive Landrechte (MUYUY
JACANAMEJOY, 1997). Ein bemerkenswerter,
rechtlicher und politischer Durchbruch nach
langen Kämpfen mit vielen Opfern um die Er-
haltung indigener Identität und Kultur.
Die heute bestehenden Normen, Ausführungs-
gesetze und Verwaltungsmaßnahmen übertra-
gen indigenen Völkern in vielen Ländern La-
teinamerikas eine weitgehende Zuständigkeit
für ihr Territorium. Fortschritte in der Land-
rechtsfrage – gemessen an den Landforderun-
gen indigener Gemeinschaften – lassen sich in
Ländern wie Peru, Ecuador oder Costa Rica
feststellen. Dort wurden auf der Grundlage der
neuen Bestimmungen über 50% der Forderun-
gen erfüllt. Bolivien und Paraguay weisen e-
benfalls verstärkte Bemühungen dazu auf.
Nachbessern müssten Länder wie Brasilien,
Kolumbien oder Panama, die bislang lediglich
10% der indigenen Forderungen nach ihrem
Territorium erfüllten. Dasselbe gilt für Venezu-
ela, wo trotz deutlich verbesserter Anspruchs-
grundlagen durch die Regierung Chávez
gleichwohl so gut wie kein Landtitel zusätzlich
Indigene Völker und Landrechte
69
übereignet wurde (MANSUTTI RODRÍGUEZ, 2003;
ROLDÁN ORTEGA, 2004: Kapitel III und IV).
Die Verabschiedung neuer oder die Reform
bestehender Verfassungen ist das eine, die
Umsetzung der Normen offensichtlich das
andere. Die Unterschiedlichkeit der Politikan-
sätze zur Umsetzung der Rechte auf Land und
Ressourcen sowie die zögerliche Realisierung
sind geradezu ein Kennzeichen für die Staaten
in Lateinamerika geworden. Dazu kommt eine
Vielfalt von teilweise sich widersprechenden
Gesetzen und Verordnungen sowie das häu-
fige Fehlen eindeutiger Bestimmungen zum
kollektiven Eigentum an Land. Teilweise ste-
hen noch alte Normen aus der Zeit der Integra-
tion- und Assimilierungspolitik neben den Ver-
ordnungen aus jüngerer Zeit, was insgesamt
den verfassungsmäßigen Anspruch destabili-
siert und verwässert. So sind in Peru von Indi-
genen bewohnte Gebiete vom Staat nicht an-
erkannt, weil ihnen das Land in früherer Zeit
zwar zur Nutzung überlassen, aber kein
Rechtstitel vergeben wurde. ROQUE ROLDÁN
ORTEGA zieht daraus den Schluß, dass diese
Mehrdeutigkeit und fehlende juristische Präzi-
sierung politisch eher gewollt ist und dem
Staat erlaubt, de facto weiterhin die Entschei-
dungsgewalt über indigene Territorien auszu-
üben, als handele es sich um staatliches Land
(ROLDÁN ORTEGA, 2004:79f; vgl. auch MARÉS
DE SOUZA FILHO, 2000).
4. Aktuelle Situation indigener Land-rechte in ausgewählten Ländern Latein-amerikas
Wie schon angedeutet, erkennt die Mehrzahl
der lateinamerikanischen Länder durch ihre
reformierten oder neuen Verfassungen die
multiethnische Verfasstheit der nationalen Ge-
sellschaften an und schafft so die Vorausset-
zungen für entsprechende Rechtsformen zu
indigenen Territorien. Die bolivianische Verfas-
sung von 1994 bricht mit der Politik der Assimi-
lierung und gleichzeitigen Ausgrenzung seiner
indigenen Mehrheit und postuliert einen multi-
ethnischen und plurikulturellen Staat. Ähnlich
verhält es sich in Chile, Ecuador, Kolumbien,
Mexiko und Venezuela. Die argentinische Ver-
fassung spricht von der originären ethnischen
und kulturellen Existenz indigener Völker. Pa-
raguay erklärt sich zum zweisprachigen Viel-
völkerstaat und betrachtet andere indigene
Sprachen als nationales Kulturerbe. Peru da-
gegen erlaubt an der Seite des Spanischen
nur eingeschränkt den offiziellen Gebrauch
von Quechua, Aymara und anderen einheimi-
schen Sprachen. Guatemala verabschiedete
innerhalb der letzten sechs Jahrzehnte vier
neue Verfassungen; 1945, 1956, 1965 und
1985 in der reformierten Fassung von 1993.
Unbeschadet des hohen indigenen Bevölke-
rungsanteils erkannten Staat und Gesellschaft
erst im Zuge der Friedensverhandlungen und
mit dem vierten Verfassungstext die Existenz
der Gemeinschaften der Maya-Nachfahren an.
Angehörige der Garifuna und Xinka kommen
allerdings auch jetzt noch nicht in der Verfas-
sung vor (MELIÀ & TELESCA, 1997; SAQ NO´J -
CUPIL LÓPEZ, 2000).
Im engeren Bereich der Landrechte besteht
allerdings bis heute, unbeschadet aller gesetz-
geberischer Aktivitäten, eine immer noch cha-
rakteristische Benachteiligung derjenigen indi-
genen Völker, die im Tiefland beheimatet sind.
Aus verschiedensten Gründen verfügen sie
faktisch zwar über das Land, auf dem sie le-
ben, aber im Vergleich zum Hochland über
weniger Rechtstitel. Die Agrarreformen in den
1960er und 1970er Jahren mit der Umwand-
lung des gemeinschaftlichen Landbesitzes in
individuellen Privatbesitz konzentrierten sich
auf die kleinbäuerlichen Gebiete im Hochland.
Dieser Mangel konnte in den vergangenen 10
Jahren zwar vermindert werden, zeitigt aber
nach wie vor gravierende Konsequenzen;
wenn etwa die unklare Landrechtsfrage zu
vermehrten und schneller einsetzbaren Kon-
zessionen für Bodenschatzabbau oder Holz-
einschlag führen.
Unterschiedlich sind in den verschiedenen
Ländern auch die Kategorien territorialer Ver-
fügungsgewalt. Am eindeutigsten sind die Ver-
hältnisse in Kolumbien, Panama oder Nicara-
gua. Das Resguardo (Reservation), die Co-
marca (eine Art Provinz) oder die Región Au-
tónoma sind abschließend definiert und ent-
sprechen dem skizzierten umfassenden Begriff
des Territoriums. Wobei die zwei autonomen
Regionen an der Atlantikküste Nicaraguas
Indigene Völker und Landrechte
70
nicht per se ethnisch definiert sind. Gleichwohl
erlaubt die dortige Bevölkerungsverteilung mit
einer Mehrheit von Angehörigen der Miskito,
Sumu, Mayagna und Rama eine politische
Gestaltung der nördlichen und südlichen auto-
nomen Teilregionen nach den Vorgaben der
dortigen indigenen Bewohner. Was zusätzlich
bemerkenswert ist, da erst im Zuge der Koloni-
sierung das Selbstverständnis der Miskito-
oder Sumu-Zugehörigkeit gereift ist. In ande-
ren Ländern wie Brasilien gibt es neben den
unterschiedlichen Stadien des Verwaltungsver-
fahrens auch verschiedene Nutzungsgrade,
die unterschiedliche Verfügungsrechte über
das Land bedingen.
Länder wie Peru, Kolumbien und Panama ha-
ben insgesamt eine komplexe Gesetzgebung
zu indigenen Territorien ausgearbeitet. Kolum-
biens juristisches Normgerüst gehört dabei zu
den detailliertesten und umfassendsten, ohne
dass damit schon etwas über die Realität der
Landrechte gesagt wäre. Panama weist einige
Besonderheiten auf. Panama nahm bereits
1972 als eines der ersten lateinamerikani-
schen Länder kollektive Rechte in seine Ver-
fassung auf, darunter das Recht auf das tradi-
tionell bewohnte Land. Das panamesische
Parlament erließ auf dieser Grundlage ein
Gesetz für indigene Völker, das die Gründung
einer sogenannten Comarca (Provinz) ermög-
licht. Bis zum Jahr 2002 wurden fünf solcher
Comarcas mit einer Gesamtfläche von
16.347 km2 gebildet. Das entspricht ungefähr
20% des nationalen Territoriums. Die Comarca
ermöglicht Landeigentum mit weitgehender
Selbstverwaltung, die in der Carta Orgánica
(eine Art spezifischer Gründungsurkunde für
das neu eingerichtete Gebiet) festgelegt wird.
Panama hat die ILO-Konvention 169 jedoch
nicht ratifiziert (vgl. MUYUY JACANAMEJOY,
1997; ALEMANCIA, 2000:43ff; ROLDÁN ORTEGA,
2004:71f).
Peru gehörte ebenfalls zu den ersten Ländern
in Lateinamerika, das sowohl Verfassungs-
normen zur Anerkennung der besonderen
Rechte indigener Völker entwarf, als auch spe-
zifische Regelungen für die im Tiefland ange-
siedelten Gemeinschaften, die Comunidades
Nativas, sowie für die im Hochland lebenden,
kleinbäuerlich strukturierten Gemeinschaften,
die Comunidades Campesinas entwickelte.
Frühzeitig setzte auch der brasilianische Staat
eine neue Verfassung (1988) ein, die Indige-
nen ein originäres Recht auf das von ihnen
bewohnte Land zusichert (Artikel 231). Aller-
dings erklärt sich Brasilien nicht zum multieth-
nischen und plurikulturellen Staat. Im Jahr
1996 unterzeichnete der damalige Justizmi-
nister Jobim das Dekret 1775, das die Demar-
kierung indigener Territorien für Einsprüche
heutiger Besitzer zugänglich macht. Ein selbst
offensichtlich widerrechtlich erworbener Besitz
kann so gegen die ursprünglichen, indigenen
Eigentümer geltend gemacht werden
(MCDONAGH, 1996).
In Ländern wie Bolivien, Ecuador und Costa
Rica verteilen sich indigene territoriale Rechte
auf eine Vielzahl von Gesetzen und Ausfüh-
rungsbestimmungen; etwa zu Naturschutzge-
bieten, Bergbau, Erdölförderung oder Konzes-
sionen für den Holzeinschlag, die teilweise
untereinander konkurrieren. Die unkoordinierte
Vergabe der Landtitel führte in Ecuador dazu,
dass die Übertragung von Land rechtlich nicht
definiert war, soweit sie vor der Verfassungs-
reform von 1998 stattfand. Diese Besitztitel
befinden sich in einem juristischen Schwebe-
zustand. In der Praxis entstehen daraus
schwerwiegende Konflikte vor allem in der
Amazonasregion. Massive Besiedlung durch
Angehörige indigener Gemeinschaften aus
dem Hochland, die dort dem Landdruck zu
entweichen suchen und die Präsenz von Un-
ternehmen, die die natürlichen Ressourcen
ausbeuten wollen, stellen die Landrechte fak-
tisch wieder in Frage. Auch die Situation derje-
nigen Gemeinschaften ist kompliziert, die in
Schutzgebieten leben. Die Regierung Ecua-
dors weigert sich, diese Gebiete als indigenes
Eigentum anzuerkennen.
In Costa Rica gründete die Regierung 1973 die
sogenannte nationale Kommission für indigene
Angelegenheiten. Diese Institution ist An-
sprechpartner für die Forderungen der indige-
nen Gemeinschaften einschließlich deren
Landansprüche. Vier Jahre später legte das
‚Indigenen-Gesetz‘ von Costa Rica fest, dass
indigene Gebiete unveräußerlich, nicht über-
tragbar und exklusiv für die dort lebenden Ge-
meinschaften bestimmt seien. Diese Gebiete
Indigene Völker und Landrechte
71
bzw. Reservationen begründen also ein um-
fassendes Recht auf Eigentum am Territorium.
Außerdem besagt das Gesetz, dass in den
anerkannten Indigenengebieten die Gemein-
schaften die volle Rechtsfähigkeit im Sinne
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts
besitzen (ROLDÁN ORTEGA, 2004).
Bolivien, neben Guatemala das Land mit dem
größten Anteil an indigener Bevölkerung auf
dem amerikanischen Kontinent unternahm
andererseits frühzeitig Schritte, durch Revolu-
tion (1952) und Agrarreform (1953) eine neue
Landverteilung unter Berücksichtigung indige-
ner Gemeinschaften zu erreichen. Im andinen
Hochland wurde das Land der meisten Groß-
grundbesitzer (Hacienda) an indigene Tage-
löhner zurückgegeben, und die Eigentums-
rechte auf Quechua- und Aymara-Gemeinden
ausgedehnt. Die Verteilung berücksichtigte
jedoch die kollektive Form des Eigentums nicht
und förderte stattdessen die individuelle Par-
zellierung. Im Laufe der Jahre begründete und
beschleunigte dies den Kleinstgrundbesitz
(Minifundien), der zur Abwanderung in die
Städte oder in das Tiefland führte.
Ebensowenig berücksichtigte damals der Staat
die traditionelle Rechtsprechung der indigenen
Gemeinden zu ihren Territorien. Während die-
se Gemeinden darauf achteten, dass ihre für
diese Aufgabe bestimmten, traditionellen
Amtsinhaber über das Organisationsvehikel
einer kleinbäuerlichen (Campesino-) Gewerk-
schaft in diese Funktion kamen. Wobei sich
diese Vereinigungen von klassischen Arbeiter-
gewerkschaften grundlegend unterschieden
(STRÖBELE-GREGOR, 1997:135f; ROGALSKY,
2003:117ff). In den östlichen Tiefländern Boli-
viens resultierte die Agrarreform dagegen in
einem Erweiterungsprozess der Hacienda auf
Kosten indigener Territorien. Im gesamten
Gebiet des Guaraní-Chaco’ waren es die
Gutsbesitzer, die Landrechte zugesprochen
bekamen. Weiterhin vergab die Regierung
Nutzungsrechte an Personen, die keiner indi-
genen Gemeinschaft angehörten, selbst in
Gebieten, die bereits als indigene Territorien
anerkannt waren.
Mit der neuen Verfassung von 1994 und der
Ratifizierung der ILO-Konvention 169 gab sich
der bolivianische Staat den Auftrag, ein neues
Beziehungsmuster mit den indigenen Völkern
des Landes zu entwickeln. Er behielt sich aller-
dings das Recht auf Eigentum am Boden und
am Untergrund mit seinen reichen natürlichen
Ressourcen vor. Gesetzliche Einschränkungen
bei der Verfügung über Ressourcen finden
sich im übrigen in allen Ländern Lateinameri-
kas (vgl. FELDT und ROSSBACH DE OLMOS in
diesem Band).
Das 1995 verabschiedete Gesetz Nr. 1615
über die Verfassungsreform (Ley de Reforma
Constitucional) in Bolivien erkannte indigenen
Völkern ihre Rechte insbesondere am ur-
sprünglichen gemeinschaftlichen Land an.
Vorausgegangen war u.a. der 1990 organi-
sierte 34 Tage dauernde Fußmarsch “Für das
Territorium und die Würde“ vom Tiefland nach
La Paz. Die Regierung musste nach harten
Verhandlungen das Recht indigener Gemein-
schaften auf ihre Territorien anerkennen, und
die Ausarbeitung eines ‚Gesetzes der indige-
nen Völker des Ostens und Amazoniens‘ in
einer Frist von 120 Tagen zusagen. Später
unterzeichnete die Regierung die Ausweisung
weiterer Territorien, so dass auf dem Papier
insgesamt 15 indigene Gemeinschaften mit
insgesamt 2,9 Mio. ha begünstigt wurden.
Fortschritte hatte es bereits bei der Modifizie-
rung der Staatsverfassung gegeben, deren
Neufassung 1994 abgeschlossen wurde. Unter
anderem enthält sie Artikel 171, der wesentli-
che Bestandteile des Begriffs “Territorium“
anerkennt (CALVO, 2003:105ff).
Das 1996 verabschiedete Gesetz Nr. 1715
(Ley del Servicio Nacional de Reforma Agra-
ria) schuf die Grundlage zur Anerkennung
indigener Territorien mit Rechtstiteln (Tierras
Comunitarias de Origen; TCOs).Es handelt
sich hier um Räume, in denen indigene Dorf-
gemeinschaften traditionell ihre eigenen For-
men wirtschaftlicher, sozialer und kultureller
Organisation pflegen (Art. 41 Paragraph 1,
Abschnitt 5). Das Gesetz definiert die TCOs
als kollektiven Grundbesitz, der weder ü-
berschreibbar, verpfändbar noch veräußerbar
ist. Innerhalb der TCOs haben die indigenen
Völker das Recht, ihre Gebräuche zu betrei-
ben, an der Umweltgestaltung mitzuwirken,
und das Land unter den beteiligten Dorfge-
Indigene Völker und Landrechte
72
meinschaften und Familien zu verteilen. Bis
zum Jahr 2003 wurden im Amazonastiefland
16 TCOs demarkiert. Die demarkierten TCOs
umfassen eine Fläche von ca. 5 Mio. ha. Das
sind etwa 11% der Gesamtfläche des bolivia-
nischen Amazonasgebietes; allerdings nur
35% der gesamten von den indigenen Völkern
eingeforderten Fläche (CALVO, 2003).
Abschließend sei Venezuela erwähnt, das sich
bei der Umsetzung indigener Landrechte noch
im Prozessstadium befindet. Wie in Ecuador
wurde indigenen Völkern in der Vergangenheit
Land unter Modalitäten zuerkannt, die ihnen
keine juristische Sicherheit über den Landbe-
sitz garantierten und keine Möglichkeit ein-
räumten, das Land selbst zu verwalten. Nach
der Verfassungsreform von 1999 änderte sich
dies grundlegend. Mehrere Artikel und Verfü-
gungen schreiben nun das Recht auf die ge-
wohnte räumliche Umgebung, eigene Kultur,
politische Partizipation, medizinische Versor-
gung, Ausbildung sowie Anerkennung der
Sprachen als Amtssprachen fest. Verabschie-
det wurde auch ein Gesetz zur Demarkierung
und zur Garantie indigener Siedlungsräume.
Allerdings ist fast fünf Jahre nach Verabschie-
dung der neuen Verfassung - nicht zuletzt auf-
grund der politischen Unruhen - noch kein
Land in nennenswertem Maße an indigene
Gemeinschaften übereignet worden. Außer-
dem setzt sich die staatliche Entwicklungs-
und Industriepolitik ungebrochen fort und
schätzt etwa die Region Guayana immer noch
als unbewohnt und daher günstig für Großpro-
jekte ein (MANSUTTI RODRÍGUEZ, 2003:139ff).
Insgesamt lässt sich der wenig überraschende
Schluss ziehen, dass die rechtlichen Garantien
auf Land, Territorium und autonomer Verwal-
tung nur teilweise umgesetzt worden sind. Der
geringste Teil davon geht auf staatliche Eigen-
initiative zurück. Vielmehr haben die schon
genannten Mobilisierungen der indigenen Ge-
meinschaften mit der Rückendeckung interna-
tionaler Standards im wesentlichen zu den
ersten praktischen Schritten geführt. Die bis-
lang hauptsächlich auf gesetzgeberische Maß-
nahmen beschränkte Aktivität der Staaten er-
öffnet gleichzeitig ein weites Feld für die inter-
nationale Entwicklungszusammenarbeit.
Wenngleich die geringe Umsetzung natürlich
mit politischen und wirtschaftlichen Interessen
verknüpft ist, und nicht auf nur technische Ver-
fahrenshindernisse zurückzuführen ist.
5. Beispiele der Sicherung von Landrech-ten im Rahmen der Entwicklungszusam-menarbeit
Einen ersten bedeutsamen Beitrag zur Siche-
rung indigener Landrechtsansprüche vollzog
die Entwicklungszusammenarbeit der Bundes-
republik Deutschland mit der Konzeption, die
Umsetzung der Menschenrechte in den Part-
nerländern als grundlegenden Maßstab für
eine Zusammenarbeit einzuführen. Auch in die
deutsche Entwicklungspolitik fanden nun die
veränderten Koordinaten Eingang, wie sie zu
den Veränderungen bei den internationalen
Standards und zu Lateinamerika in den Ab-
schnitten 2 und 3 beschrieben wurden. Folge-
richtig stellte das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ) noch unter Minister Spranger Überle-
gungen an, wie die Beziehungen zu indigenen
Völkern in Lateinamerika unter den national
wie international veränderten Prämissen neu
gestaltet werden sollten. Das nach außen do-
kumentierbare Ergebnis schlug sich vor allem
in Form eines Sektorpapiers nieder, das im
November 1996 unter dem Titel “Konzept zur
Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen
Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika“ ver-
öffentlicht wurde. Das Sektorpapier diente in
den folgenden Jahren allerdings eher als Be-
zugspunkt für Projekte und Projektkriterien
denn für einen Politikdialog mit den Partnerlän-
dern im Rahmen der Entwicklungspolitik.
Auf der Ebene der Projekte lassen sich einige
messbare Ergebnisse feststellen. Die Gesell-
schaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)
publizierte im Mai 2000 eine Übersicht über 26
ausgewählte Projekte zur Sicherung des Land-
eigentums indigener Völker. Die Kooperation
umfasste zum einen die direkte Unterstützung
indigener Gemeinschaften zur Demarkierung
indigener Territorien in Brasilien. Mit Hilfe des
im internationalen Vergleich großzügigen Ein-
satzes sowohl finanzieller als auch technischer
Mittel durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau
und der GTZ im Rahmen der Sicherung indi-
Indigene Völker und Landrechte
73
gener Territorien im Amazonasgebiet (PPTAL;
Projeto Integrado de Proteção às Populações
e Terras Indígenas da Amazônia Legal), das
wiederum in das PPG7-Projekt eingebettet ist
(Pilot Program for Protection of the Brazilian
Rainforests), konnte ein erheblicher Beitrag
zur Umsetzung der Landrechte geleistet wer-
den.
Foto: Comarca in Ngöbe-Buglé, Panama (Proyecto Agroforestal Ngöbe)
Weitere Beiträge, vor allem im Rahmen der
Technischen Zusammenarbeit, bestehen in
der Förderung der indigenen Selbstorganisati-
on in Bolivien und Nicaragua, der juristischen
und technischen Vorbereitung und Umsetzung
der Landrechtsforderung etwa in Peru, der
Mediation, Rechtsberatung und Finanzierung
von Fachanwälten in der Provinz Salta (Argen-
tinien), Santa Cruz (Bolivien), Ecuador und
Guatemala (Einrichtung eines Katasters), dem
Schutz der biologischen Vielfalt oder der pro-
duktiven Verwertung rechtlich abgesicherter
Gebiete in Honduras, der Sicherung von Was-
serquellen, Wasserzugang und den Schutz
natürlicher Ressourcen in der Comarca Ngö-
be-Buglé (Panama) und nicht zuletzt in der
Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen in
Bolivien (GTZ, 2000).
Die GTZ lässt sich in diesen Beispielen grund-
sätzlich von der Annahme leiten, dass im
Rahmen des Politikdialogs mit nationalen Re-
gierungen und auf der Basis der ‚guten Regie-
rungsführung‘ auch heikle Programmpunkte
förderungsfähig sind. Auf diese Tendenz zu
mehr Rechtsstaatlichkeit und menschenrechtli-
chen Standards, d.h. ein Interesse an einer
entsprechenden gesellschaftlichen Ordnung
verweist nicht zuletzt der vorliegende Artikel. In
diesem Zusammenhang sind Projekte wie in
Brasilien zur Landdemarkierung möglich. Die-
ser Bereich unerledigter Aufgaben ist gleich-
zeitig der umfangreichste und betrifft nicht nur
Brasilien. In Brasilien kann die Zusammenar-
beit im Vergleich etwa zu Nicaragua und Beli-
ze auf relativ ausgearbeitete und eindeutige
Verfahrensschritte zurückgreifen, die Probleme
bei der technischen Umsetzung vermeiden
helfen.
Indigene Völker und Landrechte
74
Die direkte Förderung indigener Institutionen
im Kontext von Landrechtsfragen findet in
Form der Unterstützung für den Antrags- und
Verhandlungsprozess, oder die Bereitstellung
von Fachanwälten ebenfalls statt; wie das in
der GTZ-Dokumentation aufgeführte Beispiel
zur Provinz Salta in Argentinien belegt. Mit
dieser Hilfe soll die selbstverwaltete Kontrolle
und nachhaltige Nutzung der auf indigenen
Territorien vorfindbaren Ressourcen ausgeübt
werden. Darüber hinaus wäre hier noch an
eine muttersprachlich angemessene Beratung
zu denken. Ebenso überlegenswert ist die Un-
terstützung der Regierungen bei der Ausar-
beitung öffentlich-rechtlicher Normen für den
Bereich indigener Völker. Dies betrifft etwa die
juristischen Rahmenbedingungen auf Seiten
des Staates wie der indigenen Gemeinschaft
auszuarbeiten, damit die teilweise in den Ver-
fassungen postulierten, indigenen Institutionen
auch tatsächlich funktionieren können. Wie
ausgeführt, fehlen in vielen Staaten die Aus-
führungsbestimmungen etwa zum rechtlichen
Status der Territorien und der dort agierenden
Selbstverwaltungsorgane. Eine weitere Mög-
lichkeit der Zusammenarbeit liegt in der Unter-
stützung von öffentlichen Foren zur Debatte
indigener Landforderungen unter dem Aspekt
menschenrechtlicher Standards.
Ein nächster Beitrag zur aktiven Beteiligung an
der Sicherung indigener Landrechte läge darin,
Diskussionen zum Spannungsverhältnis von
vorkonstitutionellem Landrecht indigener Völ-
ker und dem Souveränitätsanspruch des Staa-
tes anzustoßen. Wenn der Auftrag inter-
nationaler Übereinkommen und der möglichen
Erklärungen zu den Rechten indigener Völker
ernst genommen wird, ist es unabdingbar, sich
darüber Gedanken zu machen, wie der jewei-
lige Staat das Eigentum indigener Staatsbür-
gerinnen und Staatsbürger in der gleichen
Weise schützt und garantiert; wie das rechts-
systematisch für das bürgerliche Recht seit
langem selbstverständlich geworden ist.
Ebenso müssen Fragen nach Typus und Um-
fang der Entwicklung sowie den politischen
Rahmenbedingungen für Alternativen zu gän-
gigen industriellen Leitbildern geklärt werden.
In einigen Ländern können Angehörige indige-
ner Gemeinschaften zwar mehr oder weniger
ungehindert traditionellen Tätigkeiten wie Ja-
gen oder Fischen nachgehen, ohne jedoch die
Möglichkeit zu haben, Fragen zur Entwicklung
ihres Gebietes im nationalen Staatsverband
aufwerfen oder gar entscheiden zu können.
Diese Fragestellung reicht bis in den Bereich
der Armutsbekämpfung hinein und berührt
mittelbar auch die Diskussionen zu Klimafra-
gen, der Aufrechterhaltung der biologischen
Vielfalt, sozialen Standards u.a.
Entsprechend den vorgetragenen Überlegun-
gen wäre auch ein organisiertes Nachdenken
notwendig, um die vor allem international bis-
lang vereinzelt auftretenden Rechtsbestim-
mungen zu kollektiven Rechtsformen zu einem
systematischen Ansatz, einem indigenen
Recht sui generis auszubauen. Die Erfahrun-
gen des Autors etwa im Rahmen der Men-
schenrechtskommission bezeugen, dass hier
noch ein weitgehend unbestellter Acker zu
bearbeiten ist. Vorleistungen im nationalen
Rahmen sind durchaus erbracht, wie einige
Länder Lateinamerikas inzwischen belegen.
Im internationalen Bereich sind weitere Bei-
träge erforderlich, um indigenen Völkern in
Grenzregionen zu ihren Landrechten zu ver-
helfen. Die kolonialen Grenzziehungen etwa
zwischen Kolumbien und Ecuador, Ecuador
und Peru, Brasilien und seinen Nachbarstaa-
ten oder Mexiko und Guatemala folgten selten
den Siedlungsgrenzen der betroffenen indige-
nen Völker. Die Vielfalt an gesetzlichen, teil-
weise sich widersprechenden Normen ist in
einem Land schon verunsichernd genug.
Landrechte, territoriale Integrität und die insti-
tutionelle Weiterentwicklung werden für indi-
gene Gemeinschaften vollends unwägbar,
wenn die Landrechte für ein und dasselbe
Territorium gleich in mehreren Staaten unter-
schiedlich behandelt werden. In gleicher Weise
könnte die entwicklungspolitische Zusammen-
arbeit die Gründung eines internationalen Inte-
ressenverbandes der betroffenen indigenen
Gemeinschaften fördern, wie er in spezifischer
Form etwa bei den Inuit als Arctic Council in-
zwischen existiert, der Inuit aus acht Staaten
organisiert. Für Lateinamerika würde sich die
institutionelle Förderung etwa der COICA
(Coordinadora de las Organizaciones Indíge-
nas de la Cuenca Amazónica) anbieten.
Indigene Völker und Landrechte
75
Schließlich besteht auch innerhalb der indige-
nen Landrechtsbewegungen ein großer Dis-
kussionsbedarf zur Frage, in welchen zukünfti-
gen Rollen Frauen und Männer die Territorien
verwalten. In der Regel haben Frauen in glei-
cher Weise wie Männer an den Auseinander-
setzungen um das eigene Territorium teilge-
nommen, und sind ebenso gleich bei der Zu-
teilung familiärer Nutzungsrechte am gemein-
schaftlich verwalteten Territorium berücksich-
tigt worden. Gleichwohl ist nicht zu übersehen,
dass ihnen der Zugang zu den politischen
Ämtern nach wie vor nur begrenzt offen steht.
Entgegen der faktisch tragenden Rolle von
Frauen bei der Organisation des täglichen
Überlebens und den vielfältigen Initiativen zur
Organisation des Marktes in Form von Genos-
senschaften oder Produzentenvereinigungen.
Entgegen auch den schon langjährigen Bemü-
hungen, sich innerhalb der indigenen Organi-
sationen mit Fraueninitiativen Gehör und Mit-
wirkungsrechte zu verschaffen. Mit der gebo-
tenen Sensibilität eröffnet die Zusammenarbeit
mit indigenen Gemeinschaften auch die Mög-
lichkeit, die Debatten um die zukünftige Rolle
von Frauen anzustoßen und zu begleiten (vgl.
auch STRÖBELE-GREGOR in diesem Band).
6. Schlussbemerkung
Über die auf die entwicklungspolitische Zu-
sammenarbeit zentrierten Ausführungen sollte
gleichwohl nicht vergessen werden, dass Aus-
einandersetzungen um indigene Landrechte in
vielen Ländern recht vehement ausgetragen
werden. In Chile gehen seit mehreren Jahren
Angehörige der Mapuche auf die Straße, blo-
ckieren und torpedieren den Holzhandel in
einzelnen Regionen. Ebenso hat es in Boli-
vien, Ecuador und Kolumbien bis in die jüngste
Zeit große und teilweise robust ausgetragene
Demonstrationen indigener Gemeinschaften
gegeben. Außerdem werden im Kontext der
skizzierten Globalisierung vormalige Rechte,
insbesondere die autonome Verfügung über
Land und Ressourcen wieder in Frage gestellt.
Es ist also zu vermuten, dass Landrechte zu
denjenigen Zielvorstellungen gehören, die
ähnlich wie Autonomie oder Menschenrechte
kaum jemals vollständig verwirklicht werden,
sondern immer nur Annäherungen an optimale
Verhältnisse zulassen. Ein Grund mehr, in die
Förderung und Umsetzung dieser Rechte mit
Human- und Finanzkapital zu investieren.
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Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
77
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
DR. LIOBA ROSSBACH DE OLMOS
1. Erneuerbare natürliche Ressourcen: Was man darunter versteht....
“Erneuerbare natürliche Ressourcen“ sind
fester Bestandteil heutigen entwicklungspoliti-
schen Denkens und Handelns. Dennoch ist
nicht klar, was im Detail darunter zu verstehen
ist. Zum einen entstehen immer wieder neue
Anforderungen an altbekannte Ressourcen.
Heute kommt etwa Wäldern bzw. Auffors-
tungsmaßnahmen große Bedeutung als Koh-
lenstoffspeicher zu, die sie erst im Zuge des
internationalen Klimaschutzes erlangten. Zum
anderen verändern sich fortwährend Stellung
und Gewichtung der erneuerbaren natürlichen
Ressourcen in der Entwicklungszusammenar-
beit. Wurde etwa “Wasser“ vormals eher unter
Schutzaspekten betrachtet, sind heute Fragen
des Süßwassers und des Trinkwasserzugangs
ungleich bedeutender geworden. Schließlich
ergeben sich immer wieder Neuerungen, wie
etwa der holistische Ökosystemansatz in der
Biodiversitätskonvention, der nicht mehr ein-
zelne Ressourcen, sondern das integrierte
Ganze der biologischen Vielfalt in den Mittel-
punkt der (entwicklungspolitischen) Bemühun-
gen rückt, einschließlich der Nutzung durch
den Menschen. Vor allem aber trifft man, was
die erneuerbaren natürlichen Ressourcen an-
geht, bei den indigenen Völkern Mittel- und
Südamerikas auf eine ganze Reihe gemein-
samer Probleme, die u.a. Eigentums-, Nut-
zungs- und Verfügungsrechte betreffen. Des-
sen ungeachtet hängen die verschiedenen
Völker in unterschiedlichem Maße von unter-
schiedlichen Ressourcen ab. Nicht immer tref-
fen gängige Begriffsbestimmungen und Ab-
grenzungen die Bedeutung, die die indigenen
Gemeinschaften ihren natürlichen Reichtümern
beimessen.
“Erneuerbare natürliche Ressourcen“ sind
nach den herkömmlichen Definitionen jene
Naturgüter, d.h. natürliche Stoffe tierischer
oder pflanzlicher Herkunft bzw. andere stoff-
liche Substanzen einschließlich ihrer che-
misch-physikalischen und biologischen Pro-
zesse, die der Mensch bei der Lebensbewälti-
gung nutzt. Sie erneuern sich, sind also rege-
nerationsfähig. Sie sind aber größtenteils nicht
vermehrbar und können durch natürliche Ein-
flüsse (z.B. Naturkatastrophen) oder Über-
nutzung in ihrem Bestand bedroht oder ver-
nichtet werden. Sie befinden sich vorwiegend
oberhalb der Erdoberfläche. Meist werden
auch Luft, Wasser und Boden zu den erneuer-
baren natürlichen Ressourcen gezählt.
.... und was man aus indigener Sicht dabei zu beachten hat
Es ist unwahrscheinlich, dass die rund 650
indigenen Völker in Lateinamerika (BARIÉ,
2004) und der Karibik all jene Naturgüter unter
einem Begriff zusammenfassen, der dem der
“natürlichen Ressourcen“ entspricht. Zudem
dürfte der utilitaristische Grundgehalt des Beg-
riffs “Ressource“ für die indigene Vorstel-
lungswelt unverständlich sein. Zumindest aber
treten religiöse und mythologische Motive
gleichrangig neben Nutzungserwägungen und
können sogar – man denke etwa an Jagdtabus
– die uneingeschränkte Ausbeute von Res-
sourcen unterbinden. Ungeachtet ihrer kultur-
spezifischen Vorstellungen jedoch sind auch
indigene Völker kulturunabhängigen Rahmen-
bedingungen ausgesetzt. Die verfügbaren
Ressourcen hängen von der vorgefundenen
Umwelt ab, an die sich die jeweiligen Gemein-
schaften in Kultur und Wirtschaftsweise an-
passen mussten.
Nutzpflanzen- und tiergenetische Ressourcen
Mit Ausnahme von Völkern, wie den Aché in
Ostparaguay oder den Ayoré in Ostbolivien
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
78
und Paraguay, bei denen traditionell Jagd,
Fischfang und Sammeltätigkeiten eine größere
Rolle spielten als der Feldbau, bestimmen bei
den indigenen Völkern Lateinamerikas jene
Ressourcen die Lebensgrundlage, die zusam-
menfassend nutzpflanzengenetische Ressour-
cen genannt werden. Nahrungspflanzen, die
inzwischen auch für den Markt angebaut wer-
den, sind Basis der Ernährung und Wirtschaft.
Man erinnere sich, dass die ursprünglichen
Bewohner der Neuen Welt mit ihren pflanzen-
züchterischen Leistungen wichtige Beiträge zur
Welternährung beigesteuert haben. Mais, Kar-
toffel und Maniok haben globale Verbreitung
gefunden und zählen heute zu den weltweit
wichtigsten Nahrungspflanzen. Man vermutet,
dass Mais vor rund 7000 Jahren in Südmexiko
erstmals aus Wildsorten gezüchtet wurde, wo
Maya-Völker bis heute für die Bewahrung sei-
ner Vielfalt Sorge tragen. Gleiches gilt für die
Kartoffel im Andenraum, die selbst noch in
Höhenlagen zwischen 3.900 m und 4.500 m
gedeiht. Von ihr kennen die indigenen Bauern
nahezu 5000 verschiedene Sorten und unter-
scheiden eine breite Palette von Konsistenz-
und Geschmacksunterschieden. Einzelne Fa-
milien bauen bis zu 31 Sorten an (GRAIN,
2000).
Durch den “Internationalen Vertrag über pflan-
zengenetische Ressourcen für Ernährung und
Landwirtschaft“ der FAO vom November 2001
wird den lokalen Bauern der Schutz ihres tra-
ditionellen Wissens, die Beteiligung an den
Gewinnen aus der Vermarktung pflanzengene-
tischer Ressourcen und politische Mitsprache
zugesichert. Das so genannte “Multilaterale
System“ soll den Zugang zu nutzpflanzen-
genetischen Ressourcen sowie eine faire Ge-
winnverteilung erleichtern. Es erstreckt sich auf
über 60 wichtige Nutzpflanzen, die nicht zu
rein kommerziellen Zwecken verwendet oder
patentrechtlich geschützt werden dürfen, ohne
dass ein fairer Ausgleich fällig wird. Noch sind
nicht alle Details geregelt, und der Internatio-
nale Vertrag ist erst am 29. Juni 2004 in Kraft
getreten. Dennoch ist festzuhalten, dass den
Bauern erstmals international eine verbindliche
Anerkennung ihrer Züchterleistung und daraus
sich ergebender Ansprüche zuteil wurde.
Foto: Maniokernte im Hausgarten der Quichua, Ecuador (S. REINHARDT)
Bei vielen indigenen Völkern Lateinamerikas
und der Karibik sind es vor allem die Frauen,
die Anbau und Pflege der Nahrungspflanzen
übernehmen. Bei den Völkern der östlichen
Andenabhänge waren die Männer beim Anle-
gen neuer Felder vornehmlich für die Ro-
dungsarbeiten und das Abbrennen der Pflan-
zenmasse zuständig, während die Frauen das
Gros der Feldarbeit übernahmen, also pflanz-
ten, jäteten und ernteten. Nicht immer nahmen
frühere Vorstellungen von Entwicklung(spolitik)
die Frauen als Inhaber traditioneller Kennt-
nisse und Praktiken wahr.1 Als Träger religiö-
sen oder mythologischen Wissens wurden sie
zumeist schlicht ignoriert. Dies gilt z.B. für die
kulturell verwandten Ethnien der Aguaruna,
Shuar und Achuar im Grenzgebiet von Peru
und Ecuador. Nach ihrer Mythologie gab die
Gottheit Nunkuí den Frauen einst den Maniok
und wacht über das Gedeihen der Knollen, die
1 Dies hat sich in den letzten Jahren zu ändern begonnen vgl. Projekt “Förderung des lokalen Wis-sens zum Erhalt der Biodiversität aus der Gender-Perspektive“, das von 2000 - 2003 vom GTZ Vorha-ben “Umsetzung der Biodiversitätskonvention“ im Auftrag des BMZ gefördert wurde.
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
79
besungen und gepflegt werden wollen (MÜNZEL
1985:198ff; HARNER, 1978:66ff). Bei den Agua-
runa aus Peru wurden in den 1970er Jahren
mit Einführung der staatlich geförderten Cash
Crop-Produktion die Frauen aus der Landwirt-
schaft gedrängt. Dies hatte Folgen für die ge-
schlechtliche Arbeitsteilung, aber auch für das
häusliche Leben sowie die Kultur insgesamt.
Zudem ersetzten Monokulturen den diversifi-
zierten Anbau der traditionellen Pflanzungen,
der im Fall der Hausgärten soeben wieder als
“Schatzkammer der Vielfalt“ rehabilitiert wird
(GTZ, 2004). Selbst in vertraut anmutenden
bäuerlichen Kulturen gilt es die Rolle der Frau
differenziert zu betrachten, um z.B. den weibli-
chen Besitz an Land oder Ressourcen in einer
Familie nicht unbesehen dem meist männlich
gedachten “Haushaltsvorstand“ zuzuordnen.
Geringere internationale Beachtung finden die
tiergenetischen Ressourcen, auch weil sie für
die Welternährung nicht dieselbe Bedeutung
haben wie die Nahrungspflanzen. Dennoch
werden die Kenntnisse und Zuchtpraktiken
indigener Hirtenvölker bzw. Pastoralisten heute
für den Erhalt der Biodiversität als wichtig er-
achtet. In Lateinamerika ist die Zahl der Hir-
tenvölker im Vergleich zu Afrika oder Asien
jedoch gering. Es gibt nur wenige, die, wie die
Wayú (Kolumbien und Venezuela), Rinder,
Esel, Ziegen und Schafe züchten (FRIEDEMANN
& AROCHA, 1982:308). Wie andere indigene
Völker haben sie domestizierte Tiere europä-
ischen Ursprungs übernommen, und zählen
diese heute zu ihren Nutztieren. Die heimi-
schen Nutztiere, z.B. der Truthahn, das Meer-
schweinchen, das Lama, das im Andenraum
Lasten transportiert und Fleisch liefert, sowie
das wegen seiner Wolle geschätzte Alpaka,
sind durchweg kleiner als die europäischen
Tierrassen. Der Bestand der wild lebenden
Guanakas und Vikuñas, die wegen ihrer seidi-
gen Wolle fast ausgerottet waren, hat sich
inzwischen wieder erholt. Weitere Ressourcen
sind die Wildtiere, insbesondere in den Wäl-
dern, sowie die Fischbestände in Flüssen und
Küstenregionen. In den an heimischem Groß-
wild armen Waldgebieten Lateinamerikas ist
Fisch für die indigenen Völker eine ungleich
wichtigere Proteinquelle als Fleisch.
Biologische Vielfalt – Traditionelles Wissen
Das “Übereinkommen über die biologische
Vielfalt“, das 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de
Janeiro unterzeichnet wurde, und seit Inkraft-
treten im Dezember 1993 188 Ratifikationen
verzeichnete, setzt noch andere Akzente. Die
Biodiversitätskonvention, wie sie auch genannt
wird, will die weltweite Bedrohung der Arten-
vielfalt stoppen, dabei aber nicht nur einzelne
Arten schützen, sondern die biologische Viel-
falt als Ganzes in ihrer Fülle und Differenziert-
heit bewahren. Die nachhaltige Nutzung von
Bestandteilen dieser Vielfalt ist ebenso vorge-
sehen wie Regelungen zum fairen Ausgleich
zwischen dem an Biodiversität reichen Süden,
der die genetischen Ressourcen liefert, und
den an Biotechnologie reichen Ländern des
Nordens, die diese Ressourcen verarbeiten
(DER BUNDESUMWELTMINISTER, 1992). Da bio-
genetische Ressourcen einen großen Markt-
wert besitzen – er wird auf 75 bis 150 Mrd. US
Dollar pro Jahr geschätzt, hoffte man, Bereit-
schaft zur Bewahrung dieser Ressourcen mo-
bilisieren zu können.
Indigene Gemeinschaften begann man mit
anderen Augen zu sehen, als deutlich wurde,
dass Regionen mit einer reichen natürlichen
Artenvielfalt auch eine ausgeprägte kulturelle
Vielfalt aufweisen. Es besteht demnach ein
enger Zusammenhang von kultureller und bio-
logischer Vielfalt. Auf dem südamerikanischen
Kontinent ist dies im Besonderen in Amazo-
nien festzustellen. Knapp 400 unterschiedliche
Völker, die kleinste Gemeinschaften (z.B. die
einige Hundert Menschen zählenden Zaparo in
Ecuador und Peru) und Völker von mehreren
10 000 Menschen (z.B. Aguaruna in Peru oder
Yanomami in Brasilien) umfassen, zählen zu-
sammen rund 1 Mio. Menschen und machen
4,2% der Bewohner der Region aus
(TRESIERRA, 2000:4). Sie leben in einem rund
7 Mio. km2 umfassenden Regenwaldgebiet, in
dem man knapp 25% der weltweit vorkom-
menden Pflanzenarten vermutet, darunter
3000 heimische Baumarten. Die Tatsache,
dass indigene Gemeinschaften seit Generatio-
nen im Regenwald leben, wirtschaften und
seine Ressourcen nachhaltig nutzen, lässt auf
Kenntnisse und Praktiken schließen, welche
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
80
für einen nachhaltigen Umgang mit dem sen-
siblen Ökosystem von Bedeutung sind
(DURNING, 1992; POSEY & BALÉE, 1989). In
einer Zeit, in der die biologische Vielfalt schnel-
ler vernichtet wird, als die Wissenschaft sie
erforschen kann, erfährt dieses Wissen neue
Wertschätzung, obgleich es oft religiöse oder
mythologische Züge trägt und nicht einfach
naturwissenschaftlich abrufbar ist. Mit Artikel 8j
der Biodiversitätskonvention, wird diesem Wis-
sen Rechnung getragen. Er zielt darauf ab, die
“traditionellen Kenntnisse und Praktiken“ indi-
gener und lokaler Gemeinschaften zu schützen
und zu fördern, aber auch mit Zustimmung der
Wissensinhaber der (kommerziellen) Nutzung
durch Dritte zuzuführen, woran die Inhaber
(materiell) profitieren sollen. Hierbei ist an
Heilpflanzen, Pflanzenwirkstoffe, Schamanen-
wissen und -praktiken zu denken, Wissen über
genetische Ressourcen also, das für die phar-
mazeutische, kosmetische oder chemische
Industrie von Interesse sein könnte.
International ist die Biodiversitätskonvention
zur wichtigsten umweltpolitischen Bühne der
indigenen Völker geworden. Sie berührt The-
men, die Bezüge zu Menschenrechtsfragen
aufweisen, und reicht damit über den umwelt-
und entwicklungspolitischen Kerngehalt der
Konvention hinaus. Gegenwärtig steht die aku-
te Bedrohung traditioneller Wissenssysteme
(z.B. durch Sprachverlust) auf der Ta-
gesordnung, und es ist ein Aktionsplan zum
Erhalt traditionellen Wissens anvisiert. Darüber
hinaus wird nicht vordringlich an Modellen zur
kommerziellen Verwertung des traditionellen
Wissens gearbeitet, auch wenn die Konvention
dieses Ziel formuliert, sondern auf Drängen
von Indigenenvertretern an legalen und ande-
ren Mechanismen, die das mit dem traditio-
nellen Wissen verbundene geistige Eigentum
vor unlauterem Zugriff durch Dritte schützen.
Datenbanken und Register, die traditionelle
Wissensbestände erfassen und in den öffentli-
chen Raum stellen, zogen Kritik auf sich.2 Eine
Veröffentlichung verhindert zwar, dass An-
sprüche auf kommerzielle Exklusivnutzung im
Sinne des Patentrechts geltend gemacht wer-
den können, sie erleichtert aber zugleich den 2 Ein Beispiel wäre die Datenbank „Biozulua“ in Venezuela.
Zugang zu diesen Wissensbeständen. Auch
durch das Internet ist der Zugriff auf Informati-
onen über Heilpflanzen und deren traditionelle
Verwendung durch indigene Sachkundige ein-
facher geworden, so dass eine Forschung vor
Ort zunächst nicht nötig ist. Kritik gibt es aber
auch, wenn die Träger des traditionellen Wis-
sens bei Einrichtung der Datenbank nicht ein-
bezogen werden. Vorschläge für ein Regime
eigener Art zum Schutz geistigen Eigentums
an traditionellem Wissen, das an indigene Ge-
wohnheitsrechte anknüpft, beschäftigen so-
wohl die Biodiversitätskonvention als auch die
“Weltorganisation für geistiges Eigentum“
(WIPO). Die heikle Frage, die die Biodiversi-
tätskonvention nicht aufgreift, sondern in der
Kompetenz der Vertragsstaaten belässt, betrifft
die Besitz-, Nutzungs- und Verfügungsrechte
über die genetischen Ressourcen, an denen
sich das traditionelle Wissen entwickelt hat.
Nach der Konvention üben die Staaten die
Oberhoheit über diese Ressourcen aus, und
indigene Ansprüche werden in die nationale
Gesetzgebung verwiesen. Neben diesem für
sie zentralen Anliegen, erachten die indigenen
Vertreter Fragen der Partizipation für wichtig,
einschließlich der Mechanismen, die diese
sicherstellen. “Full and effective participation“
sowie “prior informed consent“3 will das “Inter-
nationale Indigenenforum über die biologi-
schen Vielfalt“, ein im Vorfeld der Biodiversi-
tätskonferenzen tagender Zusammenschluss
von Indigenenvertreter aller Erdteile, auf inter-
nationaler und nationaler Ebene garantiert
sehen.
Wälder
Spätestens seit die Biodiversitätskonvention im
April 2002 ihr 130 Einzelpunkte umfassendes
“Arbeitsprogramm zur waldbiologischen Viel-
falt“ beschloss, ist sie eine Säule in den inter-
nationalen Verhandlungen zum Schutz der
Wälder geworden. Diese haben eine kohärente
Management-, Schutz- und Nachhaltigkeitspo-
litik für alle Waldarten zum Ziel und fußen auf
den 1992 auf dem Erdgipfel in Rio verabschie-
deten “Waldprinzipien“ und den Kapiteln 11 3 Mechanismus der vorherigen Zustimmung der betroffenen indigenen Völker (siehe auch SPEISER in diesem Band).
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
81
und 15 der Agenda 21. Es handelt sich um
einen freiwilligen Prozess, da sich die interna-
tionale Staatengemeinschaft trotz mehrerer
Vorstöße nicht zu einer verbindlichen Wald-
konvention entschließen konnte. Aufbauend
auf einem waldpolitischen Dialog mit relevan-
ten gesellschaftlichen Gruppen und über 270
Aktionsvorschlägen wurde 2000 das UN-
Waldforum ins Leben gerufen. Es hat das
Mandat, bis 2005 eine Kooperation mit allen
waldrelevanten Organisationen und Konventi-
onen zu bilden. In den Prozess waren zeit-
weise indigene Vertreter involviert. 1999 fand
unter Mitwirkung von Indigenenvertretern aller
Erdteile ein Workshop über die Ursachen der
Waldzerstörung in Quito (Ecuador)4 statt. Eine
Politik und Rechtslage, die oftmals indigene
Belange der kommerziellen Nutzung der Natur-
ressourcen unterordnet, wurde als durchgän-
giges Problem identifiziert, neben dem schwer
zu unterbindenden illegalen Holzeinschlag.
Die ökologische und sozio-ökonomische Be-
deutung der Wälder ist immens und der Bedarf
nach Schutz entsprechend groß. Wäldern
kommen regulierende Funktionen in der Was-
serversorgung, dem Bodenschutz und dem
Klima zu. Sie beherbergen einen Großteil der
terrestrischen Biodiversität. Dass ihre geneti-
schen Ressourcen noch nicht ausreichend
erforscht sind, sollte Anregung für neue
Schutzanstrengungen, insbesondere der Pri-
märwälder, sein. Wälder liefern zudem zahlrei-
che Produkte. Holz (als Bauholz, für Möbel,
Papier und Pappe, als Brennholz und zur
Holzkohlegewinnung) ist ein wichtiger, aber
nicht der einzige Rohstoff. Andere Ressour-
cen, nämlich Nichtholzprodukte, wie Kau-
tschuk, Harze, Nüsse, Wildfleisch, Honig, wilde
Früchte und Heilpflanzen, kommen hinzu. Sie
bergen nicht nur ein Vermarktungspotential,
sondern tragen auch zur Deckung der Grund-
bedürfnisse von indigenen Völkern bei. Das
auf den Wald bezogene traditionelle Wissen
dieser Völker verdient Beachtung, da es Anre-
gungen zum Schutz und der nachhaltigen Nut-
zung liefert.
4 Der Workshop war ein indigenes Vorbereitungs-treffen zu einem größeren Workshop in Costa Rica, der Teil der internationalen Waldverhandlungen war (vgl. The Tides Center 1999).
Wie einleitend erwähnt ist die indigene Vor-
stellung von Wald nicht durch reine Funktiona-
lität bestimmt, sondern es kommen mythische
und religiöse Dimensionen hinzu. Über Bäume,
Tiere, Pflanzen und Orte sind symbolische
Sinnmuster gelegt, die Geister, Vorfahren oder
die Urzeit repräsentieren. Dies ist die indigene
Form, mit Natur umzugehen, d.h. Natur in Kul-
tur zu überführen, wobei sich diese Umfor-
mung weniger physisch als symbolisch voll-
zieht (SEELAND, 1997).
Der Boden
Der Boden soll hier nur in seiner Eigenschaft
als Ressource vorgestellt werden, obwohl auch
bodenrechtliche Fragen direkt damit verknüpft
sind (siehe auch RATHGEBER in diesem Band).
Er ist durch kein internationales Abkommen
geregelt, wenngleich ein Vorschlag dazu vor-
liegt (TUTZINGER PROJEKT “ÖKOLOGIE DER ZEIT“,
1998). Es gibt jedoch das “UN-Übereinkom-
men zur Bekämpfung der Wüstenbildung und
Dürrefolgen insbesondere in Afrika“. In Latein-
amerika sind Wüsten und Halbwüsten mit indi-
gener Bevölkerung rar. Die wenigen, die zu
nennen sind, sind die Raramuri im mexikani-
schen Bundesstaat Chihuaha, die Atacameños
der chilenischen Atacama-Wüste sowie die
Wayú auf der Guajiro-Halbinsel (Kolumbien
und Venezuela). Die größere entwicklungspoli-
tische Herausforderung stellen Trockengebiete
dar, die zum Teil von Desertifikation bedroht
sind. In Lateinamerika machen sie rund 25%
der Landflächen aus. Hierzu zählen z.B. der
brasilianische Sertao, Teile des westlichen
Gran Chaco oder Teile der Andenhochtäler
(TOMASINI & PÉREZ-PARDO, 2002).
Was zudem schwer wiegt, sind erodierte und
degradierte Böden. Dies betrifft z.B. die Que-
chua- und Aymara-Bauern der dichter besie-
delten Andengebiete, wo kleine Parzellen in-
tensiv genutzt bzw. übernutzt werden. Wasser-
und Winderosion tragen die kahlen Böden ab,
und die spärliche Vegetation muss neben
Brennholz auch Viehfutter liefern.
Bodendegradation entsteht in irreparablen
Ausmaß auch als Folge von Entwaldung in
Tropenwaldgebieten, wo die dünne Humus-
schicht ohne den Schutz der Vegetation in
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
82
kurzer Zeit erodiert. Die indigenen Völker A-
mazoniens bewiesen also tropenökologische
Weitsicht, als sie die Größe ihrer Felder in der
Regel auf ca. 1 ha begrenzten, und die Integ-
rität des Regenwaldes nicht verletzten. Dass
der Brandrodungsfeldbau eine angepasste
Methode sein kann, wenn die gerodete Fläche
und die Bevölkerungsdichte klein und die An-
baupausen (Brachen) hingegen groß sind, ist
mittlerweile bekannt. Außerdem folgt der tradi-
tionelle indigene Landbau eigenen verträgli-
chen Paradigmen. Während die westliche
Landnutzung die Landschaft in Flächen für
Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Schutzge-
biete unterteilt, kombinieren und integrieren die
indigenen Gemeinschaften diese räumlich und
zeitlich. Sie bedienen sich der natürlichen
Pflanzensukzessionen, also der Aufeinander-
folge der Pflanzengesellschaften, und nutzen
in zeitlicher Abfolge die eigenen Anbaupro-
dukte (z.B. Maniok, Kochbananen), die natür-
lich vorkommenden Pflanzen (z.B. Heilpflan-
zen) einschließlich jener Pflanzen, deren Sa-
men durch Wind oder Tiere in die Pflanzung
eingebracht werden. Man spricht in diesem
Zusammenhang auch von einem Sukzessi-
onsmanagement, das einen Beitrag zum Erhalt
der biologischen Vielfalt leistet (TRESIERRA,
2000:6).
Das Wasser
Wasser ist Grundlage allen Lebens. Sicher hat
es deshalb als einzige erneuerbare natürliche
Ressource direkt in die Millenniumsziele Ein-
gang gefunden, nach denen bis 2015 50%
mehr Menschen Trinkwasser zur Verfügung
stehen soll als im Jahre 2000. An Wasser lässt
sich die Neuorientierung der internationalen
Entwicklungsbemühungen ablesen. Während
früher Themen, wie Bewässerung, Fischerei,
Schutz von Wassereinzugsgebieten im Mittel-
punkt standen, ist es heute zudem der Zugang
zu Trinkwasser. Diese Entwicklung lässt sich
auch an der 1971 unterzeichneten Ramsar-
Konvention zu Feuchtgebieten ablesen. Ver-
schiedene internationale Wasserkonferenzen
im Kontext des Weltgipfels für nachhaltige
Entwicklung (26.8.-8.9.2002) in Johannesburg
haben keine Einigung über die richtigen Maß-
nahmen erbracht.
Auch indigene Organisationen haben sich in
Kyoto am Rande des 3. Weltwasserforums
(16.-23.2.2003) zu einer eigenen Konferenz
getroffen. In ihrer “Indigenen Wassererklärung“
nahmen sie Stellung zu ihrer Beziehung zu
Wasser, zum Zustand des Wassers, zum
Recht auf Wasser und zu indigener Selbstbe-
stimmung, zu traditionellem, auf Wasser bezo-
genem Wissen, zu Mitsprache und Hand-
lungsmöglichkeiten (INDIGENOUS DECLARATION
ON WATER, 2003).
In Lateinamerika und der Karibik hat Wasser
für indigene Völker viele traditionell religiöse
wie auch aktuell politische Facetten. Große
Schlangen, wie die Anakonda, in deren Körper
die ersten Menschen wie in einem Boot den
Fluss hinauffuhren, sind in den Mythen einiger
Völker des nordwestlichen Amazonasgebietes
überliefert. Wasserfälle, die bei Shuar und
Aguaruna Lernorte der jungen Männer sind
(HARNER, 1978), helfen in Visionen mit der
übernatürlichen Welt in Kontakt zu treten. Der
Fluss, dessen andere Uferseite das Tor zum
Jenseits markiert, ist vielerorts Teil der indige-
nen Wassersymbolik.
Es gibt aber auch die entzauberte Gegenwart.
Der aufgestaute Fluss des Wasserkraftwerks
kann indigene Gemeinschaften um ihr Land,
ihre heiligen Stätten, Siedlungen und Ressour-
cen bringen. Dieses Schicksal teilen viele indi-
gene Gemeinschaften, die in der Nähe von
Wasserkraftwerken leben, wie z.B. die Emberá
in Kolumbien im Falle des Wasserkraftwerks
Urrá, die Pehuenche in Chile im Falle von Bio-
Bio oder die Kuna Panamas im Falle von Bay-
ano. Kein Wasserkraftwerk, das sich nicht
entsprechend der Empfehlungen der “Welt-
kommission für Dämme“ der Zustimmung der
betroffenen indigenen Völker versichert hat,
sollte noch gebaut werden dürfen, selbst wenn
es z.B. aus Klimaschutzgründen als sinnvoll
erschiene. Lateinamerika und die Karibik sind
mit Wasser gut ausgestattet und verfügen über
ein Drittel des weltweiten Süßwasserreser-
voirs. Dennoch kann dauerhafte Trockenheit,
die, wie das Beispiel des Cochabamba-Tals in
Bolivien und der dort lebenden Quechua- und
Aymara-Bauern zeigt, eine nicht unwesentliche
Ursache für die Landflucht darstellen.
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
83
Foto: Shuar-Bevölkerung in Ecuador (S. REINHARDT)
Aber auch im Amazonasgebiet, das einen
Großteil des Süßwassers in Südamerika be-
herbergt, gibt es Probleme mit der Verfügbar-
keit von Trinkwasser. Ein Grund ist die stei-
gende Zahl von Erdölförderstätten in vielen
Anrainerstaaten, in denen übergelaufene Auf-
fangbecken, lecke Pipelines und geborstene
Pumpen zum Austritt von Rohöl und anderen
giftigen Förderrückständen in die Umwelt füh-
ren (siehe auch FELDT in diesem Band). Da-
durch werden Flüsse vergiftet, die oft die ein-
zige Trinkwasserquelle der ansässigen Be-
wohner darstellen. Die Vergiftungen stehen
denen durch Quecksilber, welches Goldwä-
scher zum Scheiden des Edelmetalls von
Rückständen verwenden, in nichts nach. Sie
lassen z.B. das Krebsrisiko um ein Vielfaches
steigen.
Konkurrenten
Indigene Völker müssen mit verschiedenen
Akteuren um die erneuerbaren natürlichen
Ressourcen konkurrieren und ihre älteren An-
sprüche verteidigen. Wenngleich sich die Bo-
denrechtssituation in den meisten Ländern
verbessert hat, werden indigene Gemein-
schaften weiterhin von ihrem Land in entle-
gene Rückzugsgebiete vertrieben (siehe auch
RATHGEBER in diesem Band). Der klassische
Konflikt des Landraubs an den indigenen Völ-
kern Lateinamerikas findet hier seine Fortset-
zung. Militärische Auseinandersetzungen, Bür-
gerkriege und bürgerkriegsähnliche Wirren
begünstigten diese Entwicklung z.B. in Kolum-
bien und Guatemala. Außerdem ist der unkon-
trollierte Zuzug von landlosen Bauern in Ge-
biete der indigenen Gemeinschaften in Län-
dern wie Brasilien keineswegs gestoppt.
Auch mit Privatunternehmen treten Indigene
um die verfügbaren erneuerbaren natürlichen
Ressourcen in Konkurrenz. Glücklicherweise
gehören Verhältnisse wie während des Kau-
tschukbooms an der Wende zum
20. Jahrhundert der Vergangenheit an. Damals
wurden Angehörige des Huitoto-Volkes in der
Putumayo-Region Kolumbiens in Schuld-
knechtschaft gehalten. Sie mussten Rohgummi
sammeln und starben zu Tausenden. Heute ist
der Holzeinschlag ein drängendes Problem,
vor allem wenn er illegal betrieben wird. Aber
auch der staatlich gebilligte Holzeinschlag stellt
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
84
aus indigener Sicht ein Problem dar, wenn sich
die erteilten Holzkonzessionen auf indigene
Gebiete erstrecken.
Vorhandene Instrumente, wie die Tropenholz-
zertifizierung nach den Kriterien des Forest
Stewardship Council (FSC), haben bisher kei-
ne Kehrtwende einleiten können. Die hohen
umwelt- und sozio-ökonomischen FSC-Stan-
dards setzen zwar anerkannte Landtitel voraus
und garantieren eine nachhaltige Holzwirt-
schaft, doch die Marktanbindung ist oft nicht
ausreichend gesichert (KRUEDENER, 2001),
ganz abgesehen davon, dass indigener Forst-
besitz noch immer selten ist.
Auch die Gruppe der pharmazeutischen, che-
mischen und kosmetischen Industrie hat Inte-
resse an bestimmten genetischen Ressourcen.
Sie sucht Zugang zu Wirkstoffen und Eigen-
schaften von pflanzen- und tiergenetischem
Material, wobei sich die Produktentwicklung
meist an den Bedürfnissen von Konsumenten
und Patienten der Industrieländer orientiert. Es
gibt zudem Forschungsinstitute, die im Auftrag
solcher Firmen in der Bioprospektion tätig sind,
zum Teil aber auch ohne kommerzielles Ver-
wertungsinteresse genetische Ressourcen
untersuchen (dazu siehe unten Kapitel 3: “Bio-
prospektion, Biopiraterie“).
Ein wichtiger Akteur ist der Staat. Alle Maß-
nahmen auf den unterschiedlichsten Ebenen
haben Folgen für die indigenen Völker. Diese
sind der Souveränität des jeweiligen Staates
unterstellt, selbst wenn ihnen, wie im Falle der
Atlantikküste Nicaraguas, Autonomie zugesi-
chert wurde. Der Staat tritt als mächtiger Ak-
teur in der Auseinandersetzung um die Kon-
trolle der erneuerbaren natürlichen Ressour-
cen auf. Er kann “nationale Interessen“ verfol-
gen, die aus wirtschaftlichen Gründen legitim
sind, aber eine Bedrohung für die indigenen
Gemeinschaften bedeuten, wie z.B. der Infra-
strukturausbau, die Errichtung von Wasser-
kraftwerken zur Deckung des nationalen
Strombedarfs etc. Darüber hinaus kann der
Staat Schutzinteressen gegenüber den Nut-
zerinteressen der indigenen Gemeinschaften
durchsetzen, wenn er Naturschutzgebiete oder
Nationalparks einrichtet. Er kann sich selbst
den Zugriff auf die erneuerbaren natürlichen
Ressourcen sichern, um diese gegen Konzes-
sionsgebühren und Lizenzabgaben Dritten zur
kommerziellen Nutzung zu überlassen, und
damit in Interessenkonflikte unterschiedlicher
Natur einzugreifen, oder solche sogar erst zu
schaffen.
Auch indigene Völker können untereinander
als Konkurrenten um bestimmte Ressourcen
auftreten. So migrierten Aymara und Quechua
aus dem bolivianischen Hochland und den
alten Bergbauzentren in den Chapare (Tief-
land). Dort sind die Yuracaré bereits infolge
des Kokaanbaus, der Gegenwart von Drogen-
händlern und Militärs stark eingrenzt, und
müssen sich nun auch mit den Folgen des Zu-
zugs der Siedler auseinandersetzen. Ein ande-
res Beispiel ist das Maya-Volk der Kekchi, das
zu einem Drittel – zuletzt aufgrund der Gewalt
in den 1980er Jahren – in das Tiefland von
Petén vordrang, wo andere Völker lebten
(GRÜNBERG, 2000). Als weitere Konkurrenten
um Ressourcen treten gelegentlich auch an-
dere ethnische Gruppen auf, z.B. Afroamerika-
ner. Im kolumbianischen Chocó etwa teilten
sich die schwarzen Nachkommen früherer
Goldminensklaven und die an den Flussober-
läufen beheimateten Emberá bestimmte Ge-
biete als Jagdrevier und Bezugsgebiet für
Feuerholz. Als mit der Einrichtung indigener
Resguardos5 am Ende der 1980 Jahre diese
Gebiete eindeutig demarkiert und der indige-
nen Gemeinschaft zugeordnet werden sollten,
kam es zu Spannungen zwischen den beiden
lokalen Gruppen.
Auch innerhalb einer Gemeinschaft entstehen
Rivalitäten um natürliche Ressourcen: zwi-
schen Lokalgruppen, Familien, unterschiedli-
chen Generationen oder auch den Ge-
schlechtern. Die Gründe sind vielfältiger Natur:
Es können interne Gründe existieren, wie Ver-
änderungen der indigenen Wirtschaftsweise
und Konsumgewohnheiten durch die Anbin-
dung an den Markt. Es können aber auch tra-
ditionelle Konzepte und Vorstellungen eine
Rolle spielen. Die Vielfalt der rund 650
Sprachgruppen in Lateinamerika und der Kari-
5 Ein seit der Kolonialzeit existierendes Schutzge-bietsmodell für die indigene Bevölkerung im kolum-bianischen Andenraum (siehe unten Kolumbien).
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
85
bik hat auch eine Vielzahl von indigenen Vor-
stellungen über Eigentums-, Nutzungs- und
Verfügungsrechte an natürlichen Ressourcen
hervorgebracht, einschließlich der damit ver-
bundenen Probleme.
Foto: Eine ins Amazonastiefland migrierte Saraguro-Familie aus dem ecuadorianischen Andenhochland (S. REINHARDT)
2. Erneuerbare natürliche Ressourcen und indigene Völker im Spiegel recht-licher Rahmenbedingungen
In Lateinamerika steigt die Bereitschaft, die
Ansprüche indigener Gemeinschaften auf ihre
Territorien6 und die natürlichen Ressourcen in
diesen Territorien juristisch anzuerkennen
(siehe auch RATHGEBER in diesem Band). Seit
die Vereinten Nationen in den 1980er Jahren
die Frage des völkerrechtlichen Status und der
Rechte der indigenen Völker auf die Tages-
ordnung setzten, lassen sich bei der “Organi-
sation Amerikanischer Staaten“ (OAS) und den
Nationalstaaten ähnliche Entwicklungen fest-
stellen (ORGANISATION OF AMERICAN STATES,
2003; GROTE, 1999).
Normen und Erklärungen
Ein Meilenstein ist das Übereinkommen der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 169
6 Die Anerkennung zusammenhängender “Territo-rien“ indigener Völker in Sinn eines “(...) habitat necessary for their collective life, activities, self-government, and cultural and social reproduction“ (ORGANISATION OF AMERICAN STATES, 2003:3) ist eine politische Forderung, die keines-wegs in allen Staaten verwirklicht ist. Es gibt ge-meinschaftliche Landtitel unterschiedlichen Charak-ters, die aber durchaus nicht alle genannte Kriterien erfüllen.
über indigene und in Stämmen lebende Völker
in unabhängigen Ländern von 1989. 14 der
insgesamt 17 Unterzeichner sind Staaten aus
Lateinamerika und der Karibik. Artikel 15 des
Übereinkommens nimmt auf die natürlichen
Ressourcen Bezug, ohne zwischen erneuerba-
ren und nicht-erneuerbaren Ressourcen zu
unterscheiden. Neben Details zu Bergbau
heißt es dort, dass die Rechte indigener Völker
an den natürlichen Ressourcen ihres Landes
besonders zu schützen, und sie an der Nut-
zung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser
Ressourcen zu beteiligen seien. Die Formulie-
rung ist vorsichtig gehalten und spricht nicht
vom Recht auf Nutzung, Bewirtschaftung und
Erhaltung, sondern vom Recht, an der Nut-
zung, Bewirtschaftung und Erhaltung beteiligt
zu werden.
Die UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung
in Rio de Janeiro 1992 stellte die enge Bezie-
hung indigener Völker zu ihrer Umwelt heraus
und regt im Kapitel 26 der Agenda 21 deren
Anerkennung, Anpassung, Förderung und
Stärkung an.
Weitgehender ist die UN-Deklaration über die
Rechte indigener Völker, die seit 1994 als
Entwurf vorliegt. Artikel 26 erkennt den indige-
nen Völkern nicht nur das Recht an, ihr Land
und ihre Territorien, einschließlich der gesam-
ten Umwelt zu Lande und zu Wasser mit der
Fauna und Flora und anderen Ressourcen zu
besitzen, entwickeln, kontrollieren und zu nut-
zen, sondern sieht auch die Anerkennung tra-
ditioneller Besitz-, Nutzungs- und Zugangs-
rechte vor. Eine Umsetzung auf nationalstaatli-
cher Ebene setzte eine weitgehende politische
Autonomie sowie ein beachtliches Maß an
Rechtspluralismus voraus.
Auch der Vorschlag für eine Amerikanische
Erklärung über die Rechte indigener Völker der
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)
aus dem Jahre 1997 betont die respektvolle
Beziehung indigener Völker zu ihrer natürli-
chen Umwelt und das Recht auf den Erhalt der
Ressourcen. Die Erklärung ist pragmatisch
formuliert. Sie anerkennt nicht das Recht indi-
gener Völker auf ihre natürlichen Ressourcen,
sondern das Recht auf eine Anerkennung der-
selben, das Recht auf effektive rechtliche
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
86
Rahmenbedingungen, etc. Das Selbstbestim-
mungsrecht ist in Bezug auf das Ressourcen-
management in der Erklärung enthalten,
wenngleich vorsichtiger von “self government“
die Rede ist. Nicht alle, aber eine Reihe von
Regierungen in Lateinamerika und der Karibik
haben gesetzliche Änderungen vorgenommen,
die sich an dem OAS-Vorschlag orientieren
(ORGANISATION OF AMERICAN STATES, 1997).
Allerdings ist nicht einmal auf der internatio-
nalen Ebene Kohärenz zwischen den ver-
schiedenen Instrumenten gewährleistet. Be-
schlüsse und Regelungen der internationalen
Menschenrechts- und der internationalen Um-
weltprozesse sind nicht aufeinander abge-
stimmt. Aus der Biodiversitätskonvention, stär-
ker aber noch aus der Klimarahmenkonvention
sucht man Menschenrechtsfragen herauszu-
halten, da andere UN-Organe zuständig sind.
Dies führt dazu, dass die Biodiversitätskon-
vention den Schutz, die Förderung und Nut-
zung traditionellen biodiversitätsbezogenen
Wissens indigener Gemeinschaften zum Ziel
hat, sich zu Fragen der Eigentums-, Nutzungs-
und Verfügungsrechte der Ressourcen, an die
dieses Wissen geknüpft ist, aber nicht festlegt,
sondern diese den nationalen Gesetzgebun-
gen anheim stellt. In der Klimarahmenkonven-
tion, die Aufforstungen zur Kohlenstoffdioxid-
speicherung im Rahmen des “Mechanismus
für saubere Entwicklung“ vorsieht, hat man, um
die Wirtschaftlichkeit der Vorhaben nicht zu
gefährden, indigene Belange nur marginal
berücksichtigt, obwohl die entwaldeten Flä-
chen, die für die so genannten “Senkenpro-
jekte“ in Frage kommen, oft in indigenen Ge-
bieten liegen.
Verfassungen und Gesetze
In Lateinamerika schreitet die legale Veranke-
rung indigener Rechtsgarantien weiter voran.
In vielen Ländern haben indigene Rechte in die
Verfassung Eingang gefunden. Lediglich Be-
lize, Chile, Französisch Guyana, Surinam und
Uruguay haben keine entsprechenden Normen
in ihrer Verfassung verankert, sei es dass sie
eine angelsächsische Rechtstradition mit ver-
traglichen Regelungen fortführen, sei es dass
das nachwirkende Ideal vom freien und glei-
chen Bürger kollektiven Rechtsgarantien im
Wege steht (BARIÉ, 2004). In Costa Rica, El
Salvador, Guyana und Honduras sind gewisse
indigene Grundrechte unter Verfassungsschutz
gestellt, während in Argentinien, Bolivien, Bra-
silien, Kolumbien, Ecuador, Guatemala, Me-
xiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru und
Venezuela elaborierte Verfassungsrechte für
indigene Völker existieren (BARIÉ, 2004), dar-
unter in allen Ländern des Andenraums und
Mittelamerikas, in denen mit über 90% die
große Mehrheit der indigenen Völker der Re-
gion lebt.
Die Inter-Amerikanische Entwicklungsbank
(INTER-AMERICAN DEVELOPMENT BANK, o.J.)
sieht das Vorrecht der indigenen Gemein-
schaften auf Nutzung der natürlichen Ressour-
cen in nahezu allen Ländern mit relevanter
Indigenenbevölkerung gegeben. Ausnahmen
sind Guatemala und Paraguay. Abgesehen
von z.B. Chile gewährt nach derselben Quelle
die Gesetzgebung in fast allen Ländern den
indigenen Gemeinschaften in ihren Territorien
unterschiedliche Eigentumsrechte über die
natürlichen Ressourcen. Ähnliches gilt für das
Recht auf Jagd und Fischfang, wobei hier Me-
xiko die Ausnahme bildet.
Hinsichtlich der genetischen Ressourcen im
Sinne der Biodiversitätskonvention ist die
Rechtslage anders. Argentinien, Chile, Para-
guay und Guatemala verfügen über keine
Normen zugunsten indigener Völker und des
Schutzes ihrer traditionellen Kenntnisse. Die
meisten anderen Länder haben den Schutz der
genetischen Ressourcen rechtlich verankert
und erkennen in unterschiedlichem Maße die
Bedeutung des biodiversitätsbezogenen tradi-
tionellen Wissens indigener Gemeinschaften
an. Das Recht auf Schutz geistigen Eigentums
über dieses Wissen ist in Ecuador und Peru
explizit anerkannt. In Venezuela sind Patente,
die auf traditionelles Wissen und traditionelle
Ressourcen rekurrieren, ausdrücklich verbo-
ten.
Allerdings bestehen selbst in Ländern mit fort-
geschrittener Indigenengesetzgebung die Tü-
cken der Rechtslage im Zusammenspiel unter-
schiedlicher Normen. Nicht immer setzt eine
einfache gesetzliche Norm, etwa das Waldge-
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
87
setz, um, was die Verfassungsbestimmung
vorschreibt. Teilweise ist eine ältere Norm
nicht mit der jüngeren Verfassung kompatibel.
Oder es steht für eine Norm das entspre-
chende Ausführungsgesetz noch aus. Meist
hat dies negative Folgen für die Rechtssub-
jekte. Indigene Gemeinschaften, denen die
Verfassung Selbstverwaltung zusichert, müs-
sen sich nach den Bestimmungen des Geset-
zes für Naturschutzgebiete beispielsweise den
Entscheidungen der Parkverwaltung unter-
werfen. In jedem Falle ist die Rechtslage kom-
pliziert und schwer durchschaubar.
Eine Bewertung der Rechtslage im indigenen
Interesse wird zwei Kriterien zu berücksichti-
gen haben: Zum einen sollten die Rechte an
den erneuerbaren natürlichen Ressourcen auf
den indigenen Territorien weit gefasst sein
(Art. 26 der UN-Erklärung sowie Art XVIII der
OAS-Erklärung). Zum anderen sollte ein
selbstbestimmter Umgang mit diesen Res-
sourcen möglich sein (Art. 3 der UN-Erklärung
bzw. Art. XV der OAS-Erklärung abgemildert
als “Recht auf Selbstregierung“), der auch
traditionelle Werte und Praktiken anerkennt
und ihren Einsatz erlaubt. Dazu müssen sinn-
vollerweise Eigentumsrechte, Nutzungsrechte
und Verfügungsgewalt geregelt sein (ROLDÁN
ORTEGA, 2004). Etwas eingehender soll dies
im folgenden für Bolivien, Ecuador, Kolumbien,
Peru und Venezuela betrachtet werden, die
alle zu den Ratifiziererstaaten der ILO-Kon-
vention 169 zählen und deshalb zu hohen
Standards verpflichtet sind.
Bolivien
In Bolivien setzt sich trotz Neoliberalismus in
der Wirtschaft und Dezentralisierung in der
Politik eine Tradition fort, die bis zur Verstaatli-
chungswelle der bolivianischen Revolution von
1952 zurückreichen dürfte und die staatliches
Eigentum bevorzugt: Der Staat sichert sich
nämlich das Recht auf die erneuerbaren natür-
lichen Ressourcen auf dem nationalen Territo-
rium. Selbst auf dem Besitz Dritter, also der
Privateigentümer, bleibt der Staat Eigentümer
des Wassers und der Tierwelt. Aus dem Wald-
gesetz etwa lässt sich nicht einmal ein klarer
Eigentumsanspruch des Besitzers auf die
Früchte seines Waldes ableiten. Es existiert
auch keine Norm, aus der sich explizit ein Ei-
gentumsanspruch der indigenen Völker auf die
erneuerbaren natürlichen Ressourcen in ihren
Gebieten ergibt. Dies gilt auch für Schutzge-
biete und Nationalparks, in denen sich An-
siedlungen indigener Gemeinschaften befin-
den. Obschon beide juristische Figuren, d.h.
staatliches Schutzgebiet und indianische Ge-
meinde, kompatibel sind, steht rechtlich nicht
eindeutig fest, wer Eigentümer des Landes ist
(ROLDÁN ORTEGA, 2004).
Bei Management und Nutzung der erneuerba-
ren natürlichen Ressourcen sind die indigenen
Gemeinschaften dem Staat und der übrigen
Gesellschaft gleichgestellt, d.h. es sind alle
gehalten, verantwortungsvoll mit den Natur-
reichtümern umzugehen, und die Ökosysteme
zu schützen. Der Staat ist verpflichtet, durch
die zuständigen Verwaltungsinstanzen techni-
sche Hilfe zur Verbesserung des indigenen
Lebensstands zu leisten, die u.a. die Nachhal-
tigkeit der Ressourcen sicherstellt. Traditio-
nelle Technologien, Arbeitsweisen und Nut-
zungsformen, die ihre Nachhaltigkeit unter
Beweis gestellt haben, sollen erhalten und
eingesetzt werden, sofern sie nicht gegen nati-
onales Umweltrecht verstoßen. In den aner-
kannten indigenen Gebieten, den “Tierras co-
munitarias de origen“, wird den Gemeinschaf-
ten die freie und exklusive Nutzung der erneu-
erbaren natürlichen Ressourcen gewährt, so-
fern die geltenden Schutz- und Nachhaltig-
keitsbestimmungen beachtet werden. Es ist
dem Staat nicht gestattet, Dritten die Erlaubnis
zur Ausbeute der natürlichen Ressourcen in
diesen Gebieten zu erteilen.
Gesetzlich sind die gemeinschaftlichen “Tier-
ras comunitarias de origen“ mit den Schutzge-
bieten vereinbar. Indigene Ansiedlungen in den
Schutzgebieten sind erlaubt wie auch die Res-
sourcennutzung, die aber durch den Staat
wieder eingeschränkt werden kann, wenn
Probleme entstehen, die einst zur Einrichtung
des Schutzgebietes geführt hatten. Die indige-
nen Gemeinschaften können auf vertraglicher
Grundlage in das Schutzgebietsmanagement
einbezogen werden.
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
88
Die Verfassung ist insofern eindeutig, als sie
den indigenen Gemeinschaften eine den Tra-
ditionen gemäße Verwaltung ihre Gebiete ges-
tattet. Da dies auch für erneuerbare natürliche
Ressourcen gilt, darf man annehmen, dass die
Gemeinschaften eine breite Verfügungsgewalt
besitzen. Einfache gesetzliche Normen, wie
das Forstgesetz, tragen aber den Geist der
Verfassung nicht mit (vgl. HOEKEMA & ASSIS,
o.J.:247ff). Sie beschränken die Nutzung der
Waldprodukte, was einer Begrenzung der indi-
genen Verfügungsgewalt gleichkommt. Es gibt
zudem eine ganze Reihe einschlägiger Ver-
ordnungen, in denen zwar von der Pflicht des
Staates die Rede ist, die indigenen Ge-
meinschaften zu begleiten, nicht aber von den
Rechten, die diese Gemeinschaften genießen.
Die Verfassungsrechte wirken nicht mehr bis in
diese Ebene hinein. Es kommen vielmehr die
geltenden Schutzgebietsbestimmungen zum
Tragen, die die ansässigen indigenen Gemein-
schaften der Entscheidungsbefugnis der
Schutzgebietsverwaltung unterordnen.
Kolumbien
In Kolumbien übt der Staat keine Exklusiv-
rechte über die erneuerbaren natürlichen Res-
sourcen auf dem nationalen Territorium aus. Er
ist Eigentümer des Wassers zum öffentlichen
Gebrauch, einschließlich der darin vorhande-
nen Ressourcen. Ihm gehören zudem die Na-
turreichtümer auf den staatseigenen Gebieten
sowie, mit Einschränkungen, die Tierwelt. An-
sonsten sind die Landeigentümer zugleich
auch Eigentümer der natürlichen Ressourcen,
einschließlich der Gewässer, des Waldes so-
wie des Jagdreviers und der Fischgründe.
Dass Kolumbien über keine legalen Normen
zur Anerkennung der Ressourcen zugunsten
der indigene Gemeinschaften verfügt, liegt an
der fest verankerten Institution des Resguar-
dos, das von der Kolonialzeit bis in die Ge-
genwart überdauert hat. Es beinhaltet einen
unveräußerlichen, unpfändbaren und nicht-
überschreibbaren Eigentumstitel an Land zu-
gunsten einer Gemeinschaft, wobei ange-
nommen wird, dass die erneuerbaren natürli-
chen Ressourcen Bestandteil dieses Eigen-
tumstitels sind. Dass die Nicht-Überschreib-
barkeit der indigenen Gebiete in der neuen
kolumbianischen Verfassung von 1991 veran-
kert wurde, brachte all jenen indigenen Völkern
die Anerkennung von Landrechten, die vor-
mals über keine anerkannten Resguardos
verfügt hatten. Dies gilt für indigene Gruppen
in entlegenen Landesteilen z.B. des Amazo-
nasgebietes, wo durch die geringe staatliche
Präsenz keine Abgrenzung indigener Gebiete
erfolgt war. Wie bei den alten Resguardos sind
auch bei den neuen die vollen Eigentums-
rechte über die erneuerbaren natürlichen Res-
sourcen eingeschlossen. Eine entsprechende
Interpretation, die vor allem auch auf den Ver-
pflichtungen Kolumbiens infolge des Beitritts
zur ILO-Konvention 169 fußt, nahmen oberste
Gerichtsinstanzen vor.
Hinsichtlich der Verwaltung und Nutzung der
Ressourcen schlägt erneut die Rechtsfigur des
Resguardos zu Buche, die ein großes Maß an
Selbstverwaltung einschließt, und zwar sowohl
hinsichtlich der Landverteilung als auch der
natürlichen Ressourcen. Seit Inkrafttreten der
Verfassung von 1991 sind neue Anerkennun-
gen indigener Territorien nur noch in Form des
Resguardos erfolgt, dessen Befugnisse aus-
geweitet wurden. Einbezogen sind auch Be-
fugnisse für die Verwaltung und Bewahrung
der natürlichen Ressourcen, die sich mit denen
der kommunalen Selbstverwaltung vergleichen
lassen. Dabei können Verwaltung und Mana-
gement traditionellen Regeln und Praktiken
folgen, soweit diese keine nationalen Natur-
schutzbestimmungen verletzen. Ungeklärt ist
allerdings die Frage, wie Verwaltung und Nut-
zung zu regeln sind, wenn sich Resguardos
mit Schutzgebieten überlagern.
Das Gesetz akzeptiert die Koexistenz beider
Rechtsfiguren, doch gibt es keine Regelungen,
die beiden Zielsetzungen gerecht würden, der
Wahrung indigener Eigentumsrechte und der
Verwaltung von Schutzgebieten. Der Vor-
schlag indigener Organisationen, die Parkver-
waltung in indigene Hände zu legen, wurde
nicht angenommen.
Hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die
natürlichen Ressourcen gibt es auch in Kolum-
bien Verordnungen, die vor der Verfassung
von 1991 entstanden sind und zu ihr im Wider-
spruch stehen. Hierzu, aber auch zu den staat-
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
89
lichen Verpflichtungen, die sich aus der Ratifi-
zierung der ILO-Konvention 169 ergeben, stell-
te das oberste Verfassungsgericht fest, dass
das Fehlen gesetzlicher Normen den Staat
nicht von seinen völkerrechtlichen bzw. verfas-
sungsrechtlichen Verpflichtungen entbindet.
Doch ändert dies nichts daran, dass die
Gleichzeitigkeit nicht aufeinander abgestimm-
ter Normen zu Verwirrung und Konflikten zwi-
schen staatlich anerkannten Indigenenvertre-
tern und staatlichen Funktionären Anlass gibt.
Ecuador
Das Staatswesen Ecuadors will die erneuerba-
ren natürlichen Ressourcen und die Kontrolle
über sie in den Händen behalten. Daran lassen
die Gesetze keinen Zweifel. Die Verfassung
hat zwar vorteilhafte Teilaspekte für die indige-
nen Gemeinschaften, doch gesteht sie ihnen
kein Eigentum an den erneuerbaren natürli-
chen Ressourcen zu. Sie gewährt ihnen das
Recht auf Beteiligung an der Nutzung, Ver-
waltung und Erhaltung der Ressourcen ihres
Landes. Das Problem ist aber weitreichender.
Denn das geltende Wald- und Naturschutzge-
setz will die Schutzgebiete, in denen im östli-
chen Landesteil viele indigene Gemeinschaf-
ten leben, als “nationales Erbe“ “unverändert“
erhalten. Sie sollen weder übertragen, noch für
die staatliche Agrarreformbehörde verfügbar
gemacht werden können. Damit sind den indi-
genen Gemeinschaften die Eigentumsrechte
verwehrt, und ihr Zugang zu den genetischen
Ressourcen ist erheblich eingeschränkt. Auf
Verfassungsebene und durch die Ratifizierung
der ILO-Konvention 169 hat Ecuador die Ver-
pflichtung, die indigenen Gemeinschaften in-
nerhalb ihrer Gebiete mit der Befugnis zur
Verwaltung und Nutzung der natürlichen Res-
sourcen auszustatten. Der Staat ist zudem
verpflichtet, in seiner Umweltpolitik alle gesell-
schaftlichen Gruppen zu beteiligen, und auf
der Verwaltungsebene Personen und Gemein-
den mit Befugnissen auszustatten, um im Ge-
fahrenfall öffentlich aktiv zu werden. Dadurch
aber, dass der Verfassungsauftrag durch keine
Gesetze und Verordnungen präzisiert wurde,
fehlt den indigenen Gemeinschaften und ihren
Vertretern jede Möglichkeit, die vorhandenen
Bestimmungen wirksam werden zu lassen.
Bedenklich ist dies besonders im Amazonas-
gebiet, wo Umweltprobleme infolge der natürli-
chen Ressourcenausbeute durch Privatperso-
nen und Unternehmen auf der Tagesordnung
stehen.
Die Inkohärenz der gesetzlichen Regelungen
und das Fehlen einheitlicher Richtlinien zur
Landtitulierung schränken auch die Verfü-
gungsgewalt über die natürlichen Ressourcen
ein, die in einer Vielzahl divergierender Mo-
delle koexistieren. Diese sind nicht nur weit
von den traditionellen Verfügungsrechten ent-
fernt, sondern stellen auch eher Einschrän-
kungen als Befugnisse dar. Die indigenen Ge-
meinschaften können nicht einmal einen Sta-
tus als juristische Person erlangen.
Die Verfassungsrechte wurden in Ecuador
nicht in gesetzliche Normen überführt und Aus-
führungsbestimmungen fehlen. Damit bleiben
die verfassungsrechtlichen Garantien bloße
Absichtserklärungen. Hinzu kommt, dass sich
auch die staatliche Politik nicht geändert hat
und die Kontrolle über Land und Ressourcen
bei den zuständigen Behörden verbleiben.
Einige Bestimmungen sind für die indigenen
Gemeinschaften zwar vorteilhaft, etwa mit
Erlaubnis des Landwirtschaftsministeriums die
Holzbestände zu nutzen, sofern es sich nicht
um staatlich bewirtschaftete Forste handelt,
oder die Straffreiheit beim Fang geschützter
Tierarten oder der Jagd mit verbotenen Fang-
methoden. Sie sind aber nur ein schwacher
Ausgleich für nicht gewährte Rechte.
Peru
Wie in vielen Ländern Lateinamerikas sichert
sich auch in Peru der Staat die Kontrolle über
die natürlichen Ressourcen. Nach den ein-
schlägigen Gesetzen jüngeren Datums können
Waldflächen, die sich im staatlichen Besitz
befinden, praktisch nicht mehr an Privatperso-
nen übertragen werden, wohl aber Dritten
durch Konzessionen zur Nutzung überlassen
werden. Für Waldflächen jedoch, die sich in-
nerhalb der anerkannten Ländereien von indi-
genen Gemeinschaften befinden, können kei-
ne Konzessionen an Nicht-Indianer vergeben
werden. Während frühere gesetzliche Rege-
lungen den indigenen Gemeinden des Anden-
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
90
hochlandes und des Amazonastieflandes die
Eigentumsrechte auf ihr Land innerhalb von
Schutzgebieten zusprachen, wurden diese
später durch anders lautende Bestimmungen
wieder aufgehoben.
Peru hat nicht, wie meist üblich, das Recht der
Bürger auf Information und der Teilhabe an der
Politikgestaltung beim Schutz und der nach-
haltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen
in der Verfassung verankert, sondern in einem
speziellen Gesetz geregelt, das auch für die
indigene Bevölkerung und die ihr zuerkannten
Ländereien gilt. Durch die geltende Verfassung
sowie eine Reihe von Sonderregelungen aus
den letzten Jahrzehnten genießen indigene
Hochlandbauern und Amazonasvölker eine
vergleichsweise große Autonomie bei der Re-
gelung ihrer inneren Angelegenheiten, insbe-
sondere was ihre Ländereien, aber auch was
die Nutzung und Verwaltung der natürlichen
Ressourcen betrifft.
In Peru regelt ein eigenes Gesetz die Belange
der indigenen Amazonasvölker. Danach liegen
der Erhalt und Schutz sowie die Verbesserung
und rationale Nutzung der erneuerbaren natür-
lichen Ressourcen im öffentlichen Interesse.
Allerdings hat sich dieses Interesse weder in
klaren Ausführungsbestimmungen noch in
gemeinsamen Managementstrukturen von
indigenen Gemeinschaften und staatlicher
Verwaltung niedergeschlagen. Die Möglich-
keiten der indigenen Gemeinschaften hinsicht-
lich der Verwaltung, des Schutzes und der
Nutzung der natürlichen Ressourcen werden
im Gegenteil eingeschränkt. So hat die Nut-
zung der natürlichen Ressourcen nur in sol-
chen Gebieten zu erfolgen, die das Gesetz
dafür ausweist. Zum anderen können indigene
Völker zwar in Nationalparks leben, nicht aber
Eigentumstitel erwirken.
In Peru gibt es detaillierte Regelungen für viele
Aspekte, die den Umgang indigener Völker mit
ihrer natürlichen Umwelt betreffen. Dabei ist in
allgemeiner Form vom Respekt die Rede, den
die indigenen Kulturen verdienen. Aber es gibt
keine Hinweise darauf, dass auch überlieferte
indigene Praktiken und Einrichtungen die
Grundlagen für einen Umgang mit den natürli-
chen Ressourcen bilden könnten. Ein entspre-
chendes Anrecht ist nur indirekt durch die Ra-
tifizierung der ILO-Konvention 169 seitens
Perus gewährleistet. Deutlich ist auch, dass
viele Bestimmungen auf eine wirtschaftliche
Nutzung abzielen. Peru hat die Markteinbin-
dung der indigenen Gemeinschaften mit grö-
ßerem Nachdruck gefördert als andere Länder,
und zwar auch was die natürlichen Ressour-
cen angeht.
Venezuela
Die venezolanische Verfassung sichert dem
Staat die Kontrolle über das Wasser, was sich
auch in den Bestimmungen zur Fischerei und
Aquakultur niederschlägt. Darüber hinaus ist
die biologische Vielfalt, ganz im Sinne der
gleichnamigen Konvention, der nationalen
Oberhoheit unterstellt. Zum Eigentum an den
erneuerbaren natürlichen Ressourcen in staat-
lich anerkannten indigenen Gebieten trifft die
Verfassung keine Aussage, aber sie erkennt
die indigenen Landrechte sowie, ebenfalls im
Verfassungsrang, die kollektiven geistigen
Eigentumsrechte am indigenen Wissen über
die biologische Vielfalt an. Juristen ziehen
hieraus den Schluss, dass der venezolanische
Staat den indigenen Gemeinschaften die Ei-
gentumsrechte an den erneuerbaren natürli-
chen Ressourcen innerhalb ihrer Gebiete, mit
Ausnahme des Wassers, anerkennt.
Da es vor der Verfassungsreform im Jahre
1999 kein Rechtsmodell mit klaren Richtlinien
für die den indigenen Gemeinschaften übertra-
genen Ländereien gab, lassen sich auch keine
rechtlich sanktionierten indigenen Verwal-
tungs- und Nutzungsformen konstatieren, die
sich von denen privater Landbesitzer unter-
schieden hätten. Da bis heute die indigenen
Ländereien noch nicht im Sinne der Verfas-
sung zugewiesen wurden, hat sich daran bis-
her nichts geändert. Venezuela hat im übrigen
– noch bevor die Verfassungsbestimmungen in
Gesetze gegossen waren – Verordnungen zur
Einrichtung von Biosphärenreservaten erlas-
sen, die den indigenen Gemeinschaften zwar
keine Befugnisse zur Verwaltung und Nutzung
der Ressourcen erteilen, wohl aber Schutz
gewähren für ihre traditionellen Rechte auf
Land, Wald und Wasser, umweltverträgliche
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
91
Wirtschaftsaktivitäten sowie ihr soziales, kultu-
relles und sprachliches Erbe.
Die Verfassung sieht neben der Anerkennung
der indigenen Ländereien die Verwaltung und
Nutzung der natürlichen Ressourcen vor; das
entsprechende Gesetz ist in Vorbereitung. Es
enthält auch Bestimmungen zur Vereinbarkeit
von indigenen Ländereien und Schutzgebieten.
Die in solchen Schutzgebieten lebenden indi-
genen Gemeinschaften teilten bisher das
Schicksal indigener Völker in anderen Län-
dern, die keine Verfügungsrechte auf die vor-
handenen natürlichen Ressourcen besaßen. In
Venezuela konnten in Nationalparks früher
Umweltbildungsmaßnahmen, Tourismus oder
Forschung durchgeführt werden, Jagd und
Fang von Tieren oder die Sammlung von
Pflanzenspezies waren hingegen verboten
bzw. nur unter bestimmten Bedingungen mit
Erlaubnis möglich.
3. Indigene Völker und ihre natürlichen Reichtümer im Spiegel der Wirklichkeit
Große Teile der modernen Indigenenbewe-
gung, die sich seit den 1970er Jahren in La-
teinamerika und der Karibik formierte, führen
einen legalistisch orientierten Kampf um Aner-
kennung und Durchsetzung von Rechten.
Trotz Schwierigkeiten und Schwächen haben
sie vieles erreicht. Allerdings sind die rechtli-
chen Rahmenbedingungen nur ein Aspekt
einer komplexen Realität, die oftmals von Um-
ständen beherrscht wird, welche sich gerade
nicht an Gesetze halten. In Lateinamerika gibt
es seit der frühen Kolonialzeit eine Tradition
des Zur-Kenntnis-Nehmens aber Nicht-Befol-
gens von Gesetzen, die bis in die Gegenwart
fortwirkt. So spielten etwa bei der Drogenbe-
kämpfung in der kolumbianischen Putumayo-
Region, wo Kokapflanzungen durch massive
Luftbesprühungen mit dem Unkrautvernich-
tungsmittel Glyphosat zerstört und in der Nähe
lebende indigene Gemeinschaften in Mitlei-
denschaft gezogen wurden, Argumente eines
gesetzlich verankerten Ressourcenschutzes
keine Rolle. Die Wirklichkeit ist zwar durch
Gesetze geregelt, zugleich aber werden vor-
handene Inkohärenzen und Gesetzeslücken
systematisch ausgenutzt oder Normen igno-
riert. Was die erneuerbaren natürlichen Res-
sourcen betrifft, lässt sich hierfür beispielhaft
der illegale Holzeinschlag anführen, der kaum
zu unterbinden ist.
Die Wirklichkeit in den Wäldern
In Lateinamerika, wo sich mit Amazonien das
größte zusammenhängende Regenwaldgebiet
dieser Erde sowie mehrere Zentren biologi-
scher Vielfalt befinden (d.h. über 1.500 ende-
mische Arten, wie z.B. in Bolivien und Mittel-
amerika), schreitet der Verlust der Waldflächen
ungehindert voran. Von 1990 bis zum Jahre
2000 hat Mittelamerika pro Jahr 1,2% seiner
Waldbestände verloren und zählt damit zu den
Spitzenreitern. Für Südamerika werden “nur“
0,4% Waldverlust jährlich konstatiert, die aller-
dings nicht darüber hinweg täuschen, dass die
Entwaldungsrate in Teilen Amazoniens bis zu
4% jährlich beträgt und dass mittlerweile 15%
des Amazonasregenwaldes zerstört sind.
Holzeinschlag
Der Holzeinschlag folgt dem Bedarf auf dem
Markt, der in der Regel außerhalb des Waldes
entsteht. So sind seine Ursachen oft externer
Natur und können nicht nur für die Wälder,
sondern auch für die indigenen Waldbewoh-
ner, ihre Rechte und Lebensweise eine Bedro-
hung darstellen. TRESIERRA (2000:8) spricht in
diesem Zusammenhang von exogenen Fakto-
ren. Neben dem Bergbau (siehe auch FELDT in
diesem Band) ist die Ausbeutung der Holzbe-
stände eine zentrale Ursache für den Wald-
verlust. Sie erfolgt zu einem beachtlichen Teil
illegal. Der WWF geht davon aus, dass in Bra-
silien, Peru und Ecuador der Anteil an illegal
geschlagenem Holz bis zu 80% des geernteten
Holzes beträgt.
Ein anderer Teil des Holzeinschlages gründet
auf der Vergabe staatlicher Konzessionen.
Allen Ressourcenschutzbemühungen zum
Trotz werden dabei beträchtliche Waldflächen
zerstört. Die großen Entwaldungsraten gehen
oft auf einflussreiche Holzfirmen zurück. Bei-
spielsweise hat eine Holzfirma an der an biolo-
gischer Vielfalt reichen kolumbianischen Pazi-
fikküste operiert und im Zeitraum von über 30
Jahren in Teilen der Region 85% der Wälder
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
92
zerstört. Für die ansässige indigene und afro-
amerikanische Bevölkerung haben die
Holzausfuhren viele negative Auswirkungen,
so wurde durch Holzeinschlag z.B. das
4000 ha große Gebiet der indigenen Ge-
meinde Chageradó zerstört (RÍOS, 1995:97).
Dass illegaler Holzeinschlag gelegentlich mit
Wissen und Billigung staatlicher Stellen ge-
schieht, dafür steht der Chocó als Beispiel.
Hier mussten sich im Jahre 2002 die Direkto-
ren der Regionalen Entwicklungsbehörde “Co-
dechocó“ wegen Komplizenschaft beim illega-
len Holzeinschlag des Unternehmens “Made-
ras del Darien S.A.“ vor Gericht verantworten.7
Foto: „Tag der natürlichen Ressourcen“ in Ngöbe-Buglé, Panama (S. SPOHN)
In einigen Fällen ist die Rechtmäßigkeit der
behördlichen Holzeinschlagkonzessionen
zweifelhaft, weil sie zu den anerkannten Rech-
ten der ansässigen indigenen Gemeinschaften
im Widerspruch stehen. Zur Durchsetzung der
indigenen Rechte braucht es in der Regel juris-
tischen Beistand. Im Fall der Mayagna-
Gemeinde Awas Tingni an der Atlantikküste
Nicaraguas beschäftigte diese Frage die Inter-
amerikanische Menschenrechtskommission,
die Nicaragua am 30.10.1997 aufforderte, die
Holzkonzession an das Unternehmen
SOLCARSA auszusetzen (ACOSTA, o.J.).
In anderen Fällen tragen auch indigene Ge-
meinschaften für den großflächigen Holzein-
schlag Verantwortung. So wurden im Darien
7 Internetveröffentlichung http://www.procuraduria.gov.co/noticias/2002/dic/30/B_410_%20Diciembre_%2030_2002_CAR_Choco.html
von Panama die vormals homogenen Cativo-
Bestände (Prioria copaifera) stark dezimiert.
Hier traten die indigenen Gemeinschaften
selbst ihre Verfügungsrechte über die Wald-
ressourcen an Holzhändler ab (TRESIERRA,
2000:10).
Realität sind zudem die zum Teil gewalttätigen
Konflikte der indigenen Gemeinschaften mit
Holzfällern, die in Bolivien und Peru auf der
Tagesordnung stehen. Nicht einmal Landes-
grenzen stellen eine Hemmschwelle dar, wie
der Fall der rund 450 Angehörigen der Asha-
ninka auf brasilianischem Staatsgebiet belegt.
Seit 1999 dringen peruanische Holzfäller in ihr
Gebiet vor und sollen nach Angaben der As-
haninka 7.000 des insgesamt 87.000 ha um-
fassenden indigenen Waldgebietes vernichtet
haben.
Verkehrswege
Ob in der Selva Lacandona in Yucatán, an der
Atlantikküste von Honduras oder im Amazo-
nasregenwald: Waldzerstörung geht meist mit
Infrastrukturmaßnahmen einher. Straßen sind
zudem Pforten für die Akkulturation und die
unkontrollierte Markteinbindung von indigenen
Gemeinschaften, z.B. durch Händler. Trotz
vieler Negativfolgen wird den Straßenbaupro-
jekten nicht immer Widerstand entgegenge-
setzt. Die Existenz von Straßen ist noch immer
Bedingung für Entwicklung, mehr noch in Zei-
ten globalisierter Märkte. Auch indigene Ge-
meinschaften können nicht umhin, die kürzlich
eingeführten Cash-Crop-Produkte auf Lastwa-
gen in die nächste Stadt zum Markt zu bringen.
Aber es kommt immer wieder zu Protesten
gegen den Straßenbau. Hier bietet sich wie-
derum der Chocó als Beispiel an, wo zu Be-
ginn der 1990er Jahre große Infrastrukturpro-
jekte zur Diskussion standen. Die nach Pa-
nama fortgeführte Panamericana, d.h. die ganz
Amerika durchziehende Landstraße, sollte mit
einer Hafenanlage, Bahnlinie, Landstraße,
Pipeline, mit Wasserkraftwerken und einem so
genannten Trockenkanal vernetzt werden
(SÁNCHEZ, 1995). Gebiete der Völker der Em-
berá und Noanamá, die gerade in der neuen
Verfassung von 1991 eine Anerkennung erfah-
ren hatten, wären von Teilen der Vorhaben
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
93
“Im Rahmen indigener Gemeinschaften vonUmwelt zu sprechen, heißt, die konzeptionelleBedeutung des Landes hervorzuheben. Landist die elementare Grundlage für Subsistenzund Gesundheit, ist der Lebensraum mit Göt-tern,Geistern, Sonne, Wasser und Luft. Allediese Elemente bilden eine eigene kleine Weltoder Kosmovision. Deshalb sind inidgene Völ-ker die besten und zahlreichsten Verteidigerder Umwelt sowie der biologischen Vielfalt undnicht nur der erneuerbaren Ressourcen gewe-sen.“
GABRIEL MUYUY JACANAMEJOY, Abgehöriger desInga-Volkes (Kolumbien) und ehemaliger indi-gener Senator
betroffen worden. Besorgnis erregten auch die
zeitgleich einsetzenden Operationen von pa-
ramilitärischen Verbänden, die damals gerade
aus jenen Gebieten die afrochocoanische und
indigene Bevölkerung zu vertreiben begannen,
in denen einige der Infrastrukturprojekte ent-
stehen sollten. Dann aber wurde die Wirt-
schaftlichkeit der Maßnahmen in Frage ge-
stellt, noch bevor die Planungsphase der
Machbarkeitsprüfung erreicht war. Proteste der
Indigenenorganisationen, die auch das Aus-
land erreichten, haben das Ihre dazu beitra-
gen, dass die Pläne nicht zur Ausführung ka-
men. Schließlich mögen ökologische Argu-
mente den Ausschlag gegeben haben, vor
allem die reiche biologische Vielfalt mit vielen
endemischen Arten.
Naturschutz
Gut für die Wälder, aber schlecht für die an-
sässigen indigenen Völker war die Natur-
schutzdoktrin früherer Jahrzehnte, die keine
menschliche Ressourcennutzung in Schutzge-
bieten duldete. Sie bedeutete nicht nur einen
Angriff auf die Existenzgrundlagen der seit
Generationen im Wald lebenden indigenen
Gemeinschaften, sondern war auch unver-
ständlich aus Sicht einer indigenen Kosmovi-
sion, die auf Ausgleich und eine harmonische
Beziehung des Menschen mit seiner Umwelt
abzielte. So wundert es nicht, dass eine der
ersten großen internationalen Initiativen des
1984 gegründeten Dachverbandes der indige-
nen Organisationen des Amazonasbeckens
COICA das “Erste Gipfeltreffen zwischen indi-
genen Völkern und Naturschützern“ im Jahre
1990 in der peruanischen Amazonasmetropole
Iquitos war. Bei diesem hat die COICA die
anwesenden Organisationen, in der Mehrheit
nordamerikanischer Herkunft, auf eine indige-
nenverträglichere Haltung in Naturschutzfra-
gen verpflichtet (COICA, 2001:196). Aus die-
sem Gipfeltreffen ist ein Bündnis entstanden,
das bis heute andauert. Im gleichen Zeitraum
begann sich auch die Haltung anderer Nichtre-
gierungsorganisationen und der Entwicklungs-
organisationen zu ändern. Zurückgreifen konn-
te man auf das Konzept des “Biosphären-
reservats“, das die UNESCO 1971 aus der
Taufe gehoben hatte und das den Naturschutz
mit einer nachhaltigen Nutzung der Natur
durch den Menschen vereinte, und den Öko-
systemansatz der Biodiversitätskonvention, der
den Menschen “mitdenkt“. Man darf behaup-
ten, dass sich mit Ausnahme bestimmter be-
sonders sensibler Gebiete das Konzept des
Schutzes bei gleichzeitiger nachhaltiger Nut-
zung durchgesetzt hat. Hat sich damit in ge-
wisser Weise nicht eine indigene Grundphilo-
sophie behauptet?
Kinder, Dörfer und Konsum
Nach den exogenen seien noch kurz die endo-
genen Faktoren der Waldzerstörung ange-
sprochen. Dabei kann das indigene Bevölke-
rungswachstum nicht unerwähnt bleiben, das
im Zusammenspiel mit den exogenen Faktoren
den Druck auf die verfügbaren natürlichen
Ressourcen erhöht. Es liegt bei vielen indige-
nen Völkern höher als bei anderen Gruppen
der Gesellschaft, wenngleich auch die Kinder-
sterblichkeit ungleich größer ist und kleine
Völker immer wieder akut vom Aussterben
bedroht sind. Im peruanischen Amazonasge-
biet beträgt etwa die durchschnittliche Gebur-
tenzahl 7,9 und damit mehr als das Doppelte
über dem Landesdurchschnitt von 3,4 Gebur-
ten (TRESIERRA, 2000:12). Die Bevölkerungs-
dichte vor Ort wird allerdings durch Migration
und Abwanderung zumeist in die Städte her-
abgesetzt (siehe auch SPEISER in diesem
Band). Doch schon die von den christlichen
Missionaren verschiedener Glaubensrichtun-
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
94
gen betriebene Zusammenführung und An-
siedlung indigener Gemeinschaften in Dörfern,
die auch dem staatlichen Interesse nach bes-
serer Kontrolle und Verwaltung entgegenkam,
zeigt negative Wirkung. Sie begünstigt nicht
nur die Übernutzung bei Jagdwild und Fisch-
beständen, sondern übt zusätzlichen Druck auf
das zur Verfügung stehende Land aus. Die
Landwirtschaft stößt an die Grenzen der gerin-
gen Fruchtbarkeit der Tropenwaldböden, die
Abstände zwischen den Feldern werden gerin-
ger, die herkömmlichen Methoden des diversi-
fizierten Anbaus und des Sukzessionsmana-
gements werden nicht länger befolgt. Der
Brandrodungsfeldbau ist damit nicht länger
ökologisch tragfähig. Unangepasste landwirt-
schaftliche Anbaumethoden kommen hinzu.
Eine Hinwendung zur Geldwirtschaft und die
Anbindung an den Markt sind damit meist auch
schon vollzogen. Gleichzeitig kommt es zu
einem Wertewandel. Westliche Konsummuster
halten Einzug und wirtschaftliche Alternativen
stehen nicht zur Verfügung.
Bioprospektion, Biopiraterie
Die damit einhergehende Erosion der Biodi-
versität aufzuhalten, ist Ziel des Übereinkom-
mens über die biologische Vielfalt. Wie bereits
dargelegt sollen traditionelle Kenntnisse und
Praktiken indigener Gemeinschaften bewahrt,
gefördert und eingesetzt werden, sofern sie
dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der
biologischen Vielfalt dienlich sind. Sollten indi-
gene Gemeinschaften ihr Wissen mit Dritten
teilen, die daraus kommerziell verwertbare
Ergebnisse erzielen, haben sie Anspruch auf
faire Gewinnbeteiligung. Die Biodiversitätskon-
vention hoffte, dass eine durch indigenes Wis-
sen bereicherte Bioprospektion für alle Betei-
ligten vorteilhaft wäre: für die biologische Viel-
falt, die, in Wert gesetzt und nachhaltig ge-
nutzt, besser geschützt sei; für die indigenen
Völker, deren Wissen eine Aufwertung und
finanzielle Anerkennung erführe, und für den
medizinischen und pharmazeutischen Fort-
schritt, der, wie schon in der Vergangenheit,
neue medizinische Präparate aus den Wirk-
stoffen des Tropenwaldes gewinne. Allerdings
haben sich die Hoffnungen bisher nicht erfüllt.
Es hat in den 1990er Jahren einige Vereinba-
rungen zur Bioprospektion mit indigenen Ge-
meinschaften gegeben, u.a. in Surinam, Peru
und Ecuador. In den meisten Fällen handelte
es sich vermutlich um bezahlte Aufträge zur
Sammlung von Pflanzenmaterial. Bioprospek-
tion wird gerade von den politischen Organisa-
tionen der Indigenen oft mit Biopiraterie gleich-
gesetzt, d.h. der unlauteren und unrechtmäßi-
gen Aneignung biologischer Ressourcen und
ethnobotanischen Wissens. Für den Dachver-
band der Indigenenorganisationen des Ama-
zonasbeckens COICA steht hierfür exempla-
risch das im Juni 1986 in den USA erteilte
Patent auf die Pflanze Ayahuasca oder Yagé
(Banisteriopsis caapi). Viele indigene Völker
Amazoniens gewinnen hieraus einen berau-
schenden Sud, der den Schamanen die Kon-
taktaufnahme mit Geistern ermöglicht und
ihnen die Ursachen von Krankheiten sowie die
Mittel zu ihrer Behandlung erhellt (REINHARDT
ET AL., 2001:23ff; ROSSBACH DE OLMOS,
2001:49). Der Inhaber der nordamerikanischen
“International Plant Medicine Corporation“,
Loren Miller hat die Pflanze von einem Se-
coya-Schamanen im ecuadorianischen Ama-
zonasgebiet erhalten und ein Patent auf die
Pflanze erwirkt. Heftige Proteste der COICA,
die die Patentierung der vielleicht wichtigsten
amazonischen Ritualpflanze als Sakrileg
brandmarkte, führten zu Diskussionen auf in-
ternationaler Ebene. Der Versuch, beim US-
amerikanischen Patentamt die Aufhebung des
Patents zu erwirken, scheiterte im April 2001.
Ende 2002 ist das Patent zwar ausgelaufen, es
schürte dennoch die Angst, dass eine Jahr-
hunderte lange Tradition der Ausbeutung na-
türlicher Ressourcen indigener Gemeinschaf-
ten fortgesetzt werden könnte. Aus ähnlichen
Gründen brachte im November 2001 der “Rat
der traditionellen indigenen Heiler und He-
bammen von Chiapas (COMPITCH)“ ein gro-
ßes Forschungsprojekt über den medizini-
schen Wert von Heilpflanzen bei den Hoch-
land-Maya des Staates Chiapas zu Fall.
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
95
Foto: Interview auf einem Workshop zu traditionel-lem Wissen in Peru (S. REINHARDT)
Die Wirklichkeit auf den Feldern
Auch in die Wirklichkeit indigener Bauernge-
sellschaften dringen verwandte Probleme vor.
Biopiraterie ist hier gleichfalls ein Thema. So
hat in Bolivien der “Nationale Bolivianische
Zusammenschluss der Quinoa-Produzenten“
ANAPQUI die Colorado State University aus
den USA gezwungen, das Patent Nr.
5.304.718 auf “Apelawa“-Quinoa aufzugeben.
Quinoa (Chenopodium quinoa) ist eine Getrei-
deart andinen Ursprungs und zeichnet sich
durch ein besonders ausgewogenes Verhältnis
an Aminosäuren aus.
Andere Probleme treten in Gestalt der Gen-
technologie in Erscheinung, welche die großen
Ernährungsfragen der Menschheit zu lösen
verheißt und an die sogenannte Grüne Revo-
lution der 1960iger Jahre anknüpft. Gegens-
tand gentechnischer Manipulation sind die
bekannteren Ernährungspflanzen neuweltli-
chen Ursprungs. Zu ihnen zählt die Kartoffel,
die aufgrund bestimmter Eigenschaften bis
heute ein bevorzugtes Objekt der gentechni-
schen Veränderung ist. Federführend ist das
Gentechnik-Unternehmen Monsanto, das meh-
rere Patente auf gentechnisch veränderte Kar-
toffelsorten hält. In Mexiko, der Wiege des
Maises und dem Ort seiner größten geneti-
schen Vielfalt, entdeckte man 2001, dass alte
einheimische Maissorten genetisch kontami-
niert waren, vermutlich durch Importe von
transgenem Mais aus den USA. In Mexiko
selbst ist der Anbau von gentechnisch verän-
dertem Mais seit Jahren verboten.
Alte erprobte und angepasste Landsorten lau-
fen aufgrund der Gentechnologie Gefahr verlo-
ren zugehen, und mit ihnen ihre genetische
Vielfalt. Es ist in der Tat nach Schätzungen der
FAO damit zu rechnen, dass in wenigen Jahr-
zehnten bis zu 75% nutzpflanzengenetische
Diversität für die Menschheit verloren sein
wird. Zwar lagert heute ein Großteil der ge-
nutzten und wilden Sorten von Ernährungs-
pflanzen in Genbanken (ex situ) ein, doch ha-
ben sich die im Freiland (in situ) von Bauern
erprobten Anbaukenntnisse und -praktiken als
unverzichtbarer Beitrag zur Bewahrung der
nutzpflanzengenetischen Vielfalt erwiesen.
Auch deshalb wendet man sich heute wieder
verstärkt dem Wissen und den Praktiken der
Bauern und Bäuerinnen in den Ursprungsge-
bieten dieser Kulturpflanzen zu.
Wie bereits in Kapitel 1 “Der Boden“ erläutert,
stellt in einigen Gebieten die Bodenerosion ein
ernsthaftes Problem auf den Feldern dar.
Selbst indigene Bauern aus Bolivien oder Pe-
ru, wo vor einigen Jahrzehnten Bodenreformen
erfolgten und Großgrundbesitz auf indigene
Pächter umverteilt wurde, sind davon betrof-
fen. Zudem hat das Bevölkerungswachstum
die Parzellen für die Nachkommen schrumpfen
lassen. Das vormalige Latifundium wurde in
wenigen Generationen vom Minifundium abge-
löst und trug neben der Bodenerosion auch zur
Abwanderung in die Städte bei. In Bolivien
gründeten die Bauern ihre Gegenstrategien auf
andine gemeinschaftliche Traditionen und
schlossen sich in Gemeinden zusammen. Sie
sind damit flexibler in der Zuteilung der Res-
source “Boden“, können andere Ressourcen-
probleme, wie z.B. Vernichtung ihres Saatguts
infolge von Dürre oder die Organisation der
Bewässerung der Parzellen besser organisie-
ren. Auch der auf vorkoloniale Zeiten zurück-
gehende terrassierte Anbau bietet Schutz vor
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
96
Bodenerosion und, in gewissem Maße, vor
Bergrutschen, doch ist seine Wiedereinführung
bzw. Instandsetzung aufwendig und zeitinten-
siv.
4. Indigene Strategien
Auf lokaler und regionaler Ebene haben indi-
gene Gemeinschaften eine Vielzahl von Stra-
tegien entwickelt, um dem Problem der Zerstö-
rung der erneuerbaren natürlichen Ressourcen
zu begegnen. Einige dieser Strategien fanden
bereits Erwähnung, wie z.B. der Widerstand
gegen Infrastrukturmaßnahmen als Ursache
für Waldzerstörung, die Proteste gegen Biopi-
raterie oder die Wiederbelebung andiner Tra-
ditionen. Übergreifend und unabhängig von
den Widrigkeiten der Rahmenbedingungen des
jeweiligen Landes haben viele indigene Ge-
meinschaften dafür optiert, sich für die Aner-
kennung ihrer Landrechte einzusetzen, und
damit Ansprüche auf die überirdischen Res-
sourcen geltend zu machen. Wenn Staaten
ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Legalisie-
rung indigener Gebiete nicht nachkommen
konnten oder wollten, haben indigene Organi-
sationen Mittel und Wege gesucht, Selbstde-
markierungen vorzunehmen, um die Anerken-
nung der Gebiete zu erzwingen. Mit Unterstüt-
zung von NRO oder anderen Partnern gelang
es ihnen, ihr Land selbst zu vermessen. Sie
schufen so die Voraussetzung für die Ausstel-
lung von Landtiteln, die die zuständigen Be-
hörden nicht mehr aufgrund politischer Wider-
stände oder finanzieller Engpässe verweigern
konnten. Bei der Demarkierung des Gebietes
der Waiãpí im brasilianischen Bundesstaat
Amapá war erstmals die deutsche Entwick-
lungszusammenarbeit im Vorlauf des Pilotpro-
gramms zur Erhaltung der tropischen Regen-
wälder (PPG7) an der Vermessung von India-
nergebieten beteiligt und verfolgte in Ab-
stimmung mit der staatlichen Behörde FUNAI
den partizipativen Ansatz der Selbstdemarkie-
rung. Daraus folgten in Zusammenarbeit mit
der staatlichen Indianerbehörde FUNAI weitere
partizipative Landregulierungen, die nicht nur
die Vermessungen sondern den gesamten
Prozess, von der Identifizierung der Gebiete
bis zur Ratifizierung durch den Staatspräsi-
denten umfassen. So wurden bisher für rund
65.000 Indianer rund 34 Mio. ha Fläche in den
neun Amazonas-Staaten Brasiliens gesichert.
Seit 1996 unterstützen GTZ und KfW im Auf-
trag des BMZ das Demarkierungsprojekt
PPTAL.8
Diese Strategie findet sich in vielen politischen
Forderungen wieder. Sie hat eine lange Vor-
geschichte und begann mit der Bekräftigung
des engen Zusammenhangs von natürlichen
Ressourcen und Landrechten in der ILO-Kon-
vention 169 und der UN-Erklärung über die
Rechte indigener Völker. Sie setzte sich darin
fort, dass international agierende Indigenenor-
ganisationen (z.B. COICA, aber auch die “In-
ternationale Allianz der indigenen und in
Stämmen lebenden Völker der Regenwälder“)
namhafte Umweltorganisationen, wie den
WWF und IUCN, auf diese Linie einschworen.
So verabschiedete der WWF 1993 sein “Sta-
tement of Principles on Indigenous Peoples
and Conservation“, in dem er die indigenen
Rechte auf das Land, die natürlichen Ressour-
cen und die Kontrolle über diese anerkennt
und sich in seinen Projekten zur Berücksichti-
gung dieser Prinzipien verpflichtet (vgl. COICA,
2001:50ff). IUCN hat auf ihrem 1. Weltnatur-
schutzkongress 1996 in Montreal in ihrer Ent-
schließung 1.53 “Indigenous Peoples and Pro-
tected Areas“ Ähnliches beschlossen (vgl.
COICA, 2001:52ff). Seither sind Indigenen-
vertreter regelmäßige Teilnehmer an den
IUCN-Kongressen, zuletzt 2003 auf dem Welt-
park-Kongress in Durban (Südafrika), wo die
indigenen Ansprüche auf Land und die natürli-
chen Ressourcen ein weiteres Mal im Rahmen
der WPC-Empfehlung 5.24 zu “Indigenen Völ-
kern und Schutzgebieten“ bekräftigt wurden.9
Die politischen Interessenvertretungen der
indigenen Völker werden stets die Eigentums-
und Verfügungsrechte über die erneuerbaren
natürlichen Ressourcen in den Mittelpunkt ihrer
Strategie rücken. Dokumente der OAS bestäti-
gen, dass das Recht auf die natürlichen Res-
sourcen einer der schwierigsten Fragen bei der
8 PPTAL ist das brasilianische Kürzel für das Projekt „Demarkierung von Indianerschutzgebieten in der Amazônia Legal“ und ist Teil des PPG7. 9 vgl. www.iucn.org/themes/wcpa/wpc2003/pdfs/outputs/recommendations/approved/english/pdf/r24.pdf9
Reiche Natur, natürliche Reichtümer und indigene Völker
97
Anerkennung und Anwendung indigener Rech-
te ist und dass das “right to land and the re-
cognition of indigenous habitat (must, d.V.)
include the indigenous right to all surface re-
sources necessary for their survival and for a
sustainable development“ (ORGANISATION OF
AMERICAN STATES, 2003:9).
Noch einen Schritt weiter geht die Millenni-
umskonferenz der indigenen Völker, die im Mai
2001 in Panama stattfand. Sie steht nicht mit
der UN-Millenniumskonferenz vom September
2000 in Zusammenhang, sondern stellt eine
Fortschrittsanalyse der bis 2004 dauernden
“UN-Dekade Indigener Völker“ dar. Dazu hat-
ten sich neben indigenen Teilnehmer/innen
aus Lateinamerika und der Karibik auch Ver-
treter/innen aus allen Erdteilen in Panama
eingefunden. In ihrer gemeinsamen Erklärung
heißt es hinsichtlich der erneuerbaren Res-
sourcen:
“Reiterate further that it is time that States rec-
ognize the unique spiritual relationship be-
tween Indigenous Peoples and our land and
territories, including submerged lands, waters
and natural resources, and that the right to
these resources is inseparably linked to our
right to self-determination“ (FINAL REPORT,
2001:48).
Was hier zu lesen steht, ist, dass die Rechte
an den natürlichen Ressourcen untrennbar mit
dem Recht auf Selbstbestimmung verbunden
sind. Diese Feststellung geht weit über die
Gesetzeslage selbst fortschrittlicher Staaten in
Lateinamerika hinaus, doch sie gibt eine De-
batte wieder, die in der “Arbeitsgruppe der
Vereinten Nationen über indigene Bevölke-
rungsgruppen“ zur “Ständigen Souveränität
über die natürlichen Ressourcen“ geführt wird.
Aus der Tatsache, dass die ständige Souverä-
nität über die natürlichen Ressourcen nach
Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem zent-
ralen Prinzip der Entkolonisierung und einem
fundamentalen Aspekt der Selbstbestimmung
wurde, leitet die anerkannte UN-Berichterstat-
terin ERICA-IRENE A. DAES (COMMISSION ON
HUMAN RIGHTS, 2002) ab, dass man auch indi-
genen Völkern die “ständige Souveränität über
die natürlichen Ressourcen“ zuerkennen müs-
se, da auch sie wirtschaftlich, politisch und
geschichtlich Kolonisierte seien. Die Frage der
(erneuerbaren) natürlichen Ressourcen wird
dadurch mit der Frage der (nachholenden)
Entkolonisierung indigener Völker verknüpft,
auch wenn dies zu einer Zeit geschieht, die
schon als “postkolonial“ charakterisiert wird.
Dass man die erneuerbaren natürlichen Res-
sourcen in den Kontext der (völker-)rechtlichen
Anerkennung indigener Rechte stellen und
nicht nur als technische Frage behandeln soll-
te, dafür gibt es neben anderen noch einen
gewichtigen Grund: Die indigenen Völker hät-
ten Anspruch auf die Ressourcen in ihren Ge-
bieten, selbst wenn sie einmal nicht (mehr) der
Vorstellung vom “Edlen Wilden“ als dem
Schützer und Bewahrer der Umwelt entspre-
chen (BENDA-BECKMANN, 1997).
5. Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
Die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern
stellt für die Entwicklungspolitik eine beson-
dere Herausforderung dar. Dass die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit die völkerrecht-
lichen Prozesse im Blick hat, belegt ihr von
1996 stammendes “Konzept zur Entwicklungs-
zusammenarbeit mit indianischen Bevölke-
rungsgruppen in Lateinamerika“ (BMZ, 1996).
Dies wurde ihr jüngst sogar noch einmal durch
eine Nichtregierungsorganisation bestätigt
(GRIFFITHS, 2003), die in einer Vergleichsstudie
von 27 Geber- und Entwicklungsorganisatio-
nen nur drei identifizierte, darunter das BMZ,
die in ihren Leitlinien die Frage der indigenen
Rechte aufgenommen hatten. Dass sich diese
Grundlage durch eine Ratifizierung der ILO-
Konvention 169 seitens der Bundesregierung
spürbar verbessern würde, sei noch angefügt.
Allerdings haben fast alle nationalen und mul-
tilateralen Institutionen der Entwicklungszu-
sammenarbeit, die die Studie untersucht, die
Frage des Eigentums an Land und den Zu-
gang zu sowie die Nutzung von natürlichen
Ressourcen in irgendeiner Weise in ihre Poli-
tikstandards und Bedingungen integriert
(GRIFFITHS, 2003:7).
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Bodenschätze auf indigenem Land
100
Bodenschätze auf indigenem Land
HEIDI FELDT
Obwohl die Auseinandersetzung um nicht-
erneuerbare Ressourcen1 wie Erdöl, Erdgas
oder Mineralien und deren Nutzung kein neues
Thema in der lateinamerikanischen Geschichte
ist, so hat es doch in den letzten 20 Jahren an
Brisanz gewonnen. Dies liegt vor allem an zwei
Faktoren:
Auf der Suche nach neuen Lagerstätten
dringen Unternehmen und Staat immer
weiter in die letzten Regenwaldregionen
Lateinamerikas und auf indigene Territo-
rien vor, und drohen diese zu zerstören.
Erdöl und Erdgas haben sich zu wichtigen
Faktoren für die wirtschaftliche Entwick-
lung mehrerer lateinamerikanischer Staa-
ten entwickelt. Neben Venezuela beruhen
auch die Ökonomien von Mexiko und Ecu-
ador weitgehend auf der Erdölproduktion.
In Bolivien und Peru wird Erdgas in den
nächsten Jahren eine immer wichtigere
Rolle spielen.
Welche Konsequenzen hat der Abbau von
Bodenschätzen für indigene Völker? Wie ver-
laufen die Konfliktlinien zwischen den unter-
schiedlichen Interessensgruppen? Wie ges-
talten sich die Konflikte über die Nutzung der
Rohstoffe? Wie sind die rechtlichen Grundla-
gen und deren Umsetzung? Welche Lösungen
werden diskutiert? Gibt es überhaupt gute
Verhandlungsergebnisse? Und welche An-
satzmöglichkeiten gibt es in diesem Kontext für
die Entwicklungszusammenarbeit?
Diesen Fragen soll im folgenden Beitrag nach-
gegangen werden, wobei die Großprojekte im
Bergbau- und Erdölsektor im Vordergrund
1 Im folgenden Text werden die Begriffe nicht-erneuerbare natürliche Ressourcen, Bodenschätze und nicht-erneuerbare Rohstoffe synonym benutzt. Sie umfassen Erdöl, Erdgas, mineralische Rohstoffe wie Erze, Gold, Silber etc. Die Bergbau-, Erdöl- und Erdgasindustrie wird auch unter dem Begriff der “extraktiven Industrie“ zusammengefasst.
stehen. Der Kleinbergbau, der oft von einzel-
nen Personen oder Kleinbetrieben durchge-
führt wird, weist andere Charakteristika und
Probleme auf, die hier nicht weiter behandelt
werden können.
1. Nicht-erneuerbare natürliche Ressour-cen auf Territorien indigener Völker
Viele der Erdöl-, Erdgas- und mineralischen
Lagerstätten, die in den letzten zwei Jahr-
zehnten in Südamerika gefunden wurden,
befinden sich auf indigenen Territorien. Auf
den Websites www.gtz.de/indigenas/deutsch/
service/reader.htm oder www.learn-line.de/
angebote/chatderwelten können interaktive
Karten eingesehen werden, die diese Entwick-
lung für die Erdöl- und Erdgasförderung doku-
mentieren.
Anhand dieser Karten lässt sich deutlich die
Überlagerung von Erdöl-, Erdgas- und Berg-
baukonzessionen mit indigenen Territorien
ablesen. Allerdings ist zu beachten, dass ein
Konzessionsgebiet größere Flächen umfasst
als für den Abbau und Förderung effektiv ge-
nutzt werden.
Die Auswirkungen von Bergbau und Erdöl/
Erdgas auf indigene Völker sind tief greifend.
Vor allem aus dem Amazonastiefland sind
schwerwiegende Einschnitte in das Leben der
indigenen Völker beschrieben (KIMERLING,
1993; MÜLLER-PLANTENBERG, 2003; ONIC,
1999; FOREST PEOPLES PROGRAMMe, 2003):
Durch unsachgemäße Entsorgung von
Abwässern werden die Flüsse ver-
schmutzt, was zur Verseuchung des
Trinkwassers der Bevölkerung und zum
Fischsterben führt, aber auch Ursache vie-
ler Erkrankungen ist. 2
2 Das Centro de Derechos Económicos y Sociales (Ecuador) hat 1994 zusammen mit der Fakultät für Public Health (Harvard) die Auswirkungen der Erdölförderung auf die Gesundheit indigener
Bodenschätze auf indigenem Land
101
Durch Infrastrukturmaßnahmen wie Stra-
ßenbau, Einrichtung von Camps für die
Arbeiter, Pipelinebau etc. wird das Öko-
system ge- oder zerstört, Tiere wandern
z.B. in ungestörte Bereiche des Waldes
ab. Falls die Bewohner der Region von der
Jagd oder dem Fischfang leben, verändern
sich ihre Ernährungsgrundlagen. Entlang
der neugebauten Straßen ziehen neue
Siedler in die Region.
In Folge von Bergbau- und Erdölvorhaben
kommt es zur Konfrontation von traditio-
nellen Wirtschaftsweisen mit der “moder-
nen“ Welt. Dabei werden meist existie-
rende soziale Beziehungen in den Ge-
meinschaften gestört.
Einige dieser negativen Auswirkungen sind bei
Bergbau- und Erdölvorhaben nicht zu vermei-
den. So zerstört Bergbau fast immer die Ober-
fläche im Lagerstättenbereich. Dies ist offen-
sichtlich beim Tagebau, aber auch wenn die
Mineralien unter Tage abgebaut werden, wer-
den Flächen zur Unterbringung der Arbeiter,
für die Infrastruktur und den Abraum benötigt.
Wie Bergbau eine ganze Landschaft zerstören
kann, zeigt sich in der Region Carajas in Brasi-
lien. Dort wird das größte Eisenerzlager der
Welt (18 Mrd. Tonnen) seit 1984 im Tagebau
abgebaut. Neben Eisenerz gibt es in der Re-
gion große Vorkommen an Mangan, Kupfer,
Nickel, Zinn, Gold und Bauxit. In der Nähe hat
sich die Aluminiumindustrie angesiedelt, die
ihren Strom u.a. aus dem Wasserkraftwerk am
Rio Tocantis bezieht. Für die indigenen Völker
der Region hat nicht nur der Bergbau zu Ver-
treibungen aus ihren Gebieten geführt sondern
auch die dazugehörige Infrastruktur, vor allem
der Bau der großen Staudämme für die Stro-
merzeugung der Aluminiumindustrie. Zur Be-
urteilung der Schäden durch die extraktive In-
dustrie sind daher nicht nur die unmittelbaren
Förderanlagen zu betrachten, sondern auch
die gesamte Infrastruktur, die für Bergbau und
Erdöl-/Erdgasförderung eingesetzt wird.
In vielen Fällen kann das Ausmaß der Schä-
den und Zerstörungen durch den Einsatz der
ölförderung auf die Gesundheit indigener Gemein-schaften im ecuadorianischen Tiefland untersucht.
“best-möglichen Technologie“ verringert wer-
den. Dies gilt auch für die Verschmutzung der
Gewässer und die Zerstörung durch Infra-
strukturmaßnahmen. Natürlich verteuert der
Einsatz dieser Technologien die Nutzung der
nicht-erneuerbaren Ressourcen erheblich.
Zwar gibt es in allen Ländern Umweltgesetze
und Vorgaben zur Verringerung der Schäden,
der Staat kontrolliert jedoch die Einhaltung
dieser Auflagen nur partiell. Sanktionen gegen
Unternehmen, die die Umweltgesetze nicht
einhalten, werden nicht verhängt. Viele Firmen
setzen daher die billigere Technologie ein.
2. Wirtschaftliche Bedeutung von Erdöl, Erdgas und Bergbau
Die Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgaspro-
duktion haben mittlerweile eine große Bedeu-
tung für die nationalen Ökonomien in mehreren
Ländern Lateinamerikas. Die Produktion von
Eisenerzen, Silber, Gold etc. hat demgegen-
über relativ abgenommen.3 Zwar ist die Erzför-
derung in Bolivien nach wie vor ein wesentli-
cher Bestandteil der Wirtschaft, doch gewinnt
das Erdgas zunehmend an Bedeutung. In Ve-
nezuela kommt die Hälfte der Staatseinnah-
men aus der Erdölproduktion. Erdöl macht
75% des Exports dieses Landes aus, in Ecua-
dor sind es 44%. Der Erdölsektor in Mexiko
erwirtschaftet ca. 1/3 der Staatseinnahmen. In
den anderen Ländern ist der Erdöl- und Erd-
gasbereich weniger bedeutend. In Bolivien und
Peru wird der Erdgassektor allerdings zur Zeit
stark ausgebaut. In Peru haben sich die öko-
nomischen Erwartungen, die sich an das Erdöl
knüpften, nicht erfüllt. Betrug der Exportanteil
Anfang der 1980er Jahre noch 20%, so ist
Peru heute ein Nettoimporteur von Erdöl. Die
aktuelle Produktion und die gesicherten Re-
serven für Erdöl und Erdgas sind in der folgen-
den Tabelle wiedergegeben.
3 Außer in Peru: hier machten die metallischen Bergbauprodukte 2002 44,9% des Exportvolumens aus.
Bodenschätze auf indigenem Land
102
Tabelle 1: Erdöl- und Erdgasproduktion und Reserven in Lateinamerika
Land Erdölproduktion in
10 000 Barrel pro
Tag
Sichere Erdölreser-
ven in 10 Mio. Bar-
rel
Erdgasproduktion
in 10 Mio. m3 pro
Jahr
Erdgasreserven in
10 Mrd. m3
Bolivien 37.4 126 6.261.0 149.5
Brasilien 968.5 7.400 9.769.0 227.6
Ecuador 390.5 4.460 1.520.0 22.0
Kolumbien 616.5 1.750 7.869.0 240.1
Mexico 3.600.0 12.600 6.080.0 485.0
Peru 115.6 323 1.109.0 197.1
Venezuela 3.120.0 77.0714 44.099.0 4.120.8
Quelle: OLADE 1999, EIA 2003, Alexander’s Gas and Oil Connections, 2003
Über die Verteilung der Erdöleinnahmen in
den einzelnen Ländern gibt die folgende Ta-
belle Aufschluss. Wie aus der Tabelle ersicht-
lich, dezentralisieren Kolumbien und Peru ei-
nen größeren Teil ihrer Einnahmen aus dem
Erdölgeschäft an die Gebietskörperschaften,
in denen nach Erdöl gebohrt wird.
In Kolumbien gehören auch die eigenständigen
indigenen Verwaltungsstrukturen (resguardos)
dazu, allerdings ist nach Aussage der OPIAC
bis 2002 noch kein Geld unmittelbar an die in-
digenen regionalen Autoritäten geflossen5.
Tabelle 2: Verteilung der Erdöleinnahmen (prozentual)
Bolivien Kolumbien Ecuador Peru Durchschnitt
Zentralregierung 53,5 32,1 62,14 49,24 49,25
Provinzen 21,2 27,3 1,4 25,9 18,9
Kommunen 1,25 15,4 2,4 18,8 9,45
Fonds 23,1 22,1 3,3 0 12,13
Sozialfonds 0,2 2,55 0 1,06 0,95
Andere 0,8 0,6 30,9 5,1 9,35
Quelle: ESMAP 2002
4 Dazu kommen sehr schweres Erdöl und Bitumen 5 Interview mit OPIAC, 2002
Bodenschätze auf indigenem Land
103
Trotz dieses relativen Reichtums an Rohstof-
fen in den genannten Ländern lebt die große
Mehrheit der Menschen und vor allem der
indigenen Völker in Armut. Zum Teil ist dies
auf den Verfall der Rohstoffpreise auf dem
Weltmarkt zurückzuführen. So ist z.B. der
Preis für Kupfer zwischen 1970 und 1980 um
64% gefallen. Erst seit Ende 2001 beginnen
die Rohstoffpreise wieder zusteigen6. Der Ver-
fall des Goldpreises hat sogar dazu geführt,
dass Placer Dome, ein kanadisches Bergbau-
unternehmen, seine Arbeiten auf dem größten
Goldvorkommen des Kontinents, Las Cristinas
in Venezuela, vorübergehend aussetzte. Die
instabilen Rohstoffpreise lassen in den Pro-
duktionsländern nur ungefähre Berechnungen
für die zu erwartenden Einnahmen des Staats-
haushaltes zu. Dies ist allerdings nur ein Teil
der Erklärung. In Ländern mit großen Vor-
kommen an Erdöl-, Erdgas- oder anderen Bo-
denschätzen wie in Venezuela oder in Ecuador
lässt sich das sogenannte Paradox of Plenty
beobachten.
Das “Paradox of Plenty”
Das “Paradox of Plenty“7, der relative Rohstoff-
reichtum eines Landes bei gleichzeitig geringer
wirtschaftlicher Entwicklung, hat in den letzten
Jahren an Raum in der (entwicklungs-)politi-
schen Debatte gewonnen. Im Mittelpunkt steht
die Frage, inwieweit der Bergbau sowie die
Entwicklung und Förderung von Erdöl- und
Erdgasvorkommen zur nachhaltigen Entwick-
lung und zur Armutsbekämpfung eines Landes
beitragen. Untersuchungen, die im Rahmen
des Mining, Minerals and Sustainable Deve-
lopment Projektes des World Council for
Sustainable Development (2002) und des
Extractive Industry Review der Weltbank
durchgeführt wurden, kommen zu unterschied-
6 Einige Analysten sehen in dem Anstieg der Roh-stoffpreise eine langfristige Tendenz, die vor allem durch die hohe Nachfrage auf dem asiatischen Markt begründet ist, während andere in dem An-stieg ein eher kurzfristiges Phänomen, angeheizt durch spekulative Käufe, sehen (FAZ, 24.02.2004) 7 KARL (1997) hat eine vergleichende Untersuchung der Auswirkungen von Ressourcenreichtum auf unterschiedliche Länder wie Nigeria, Venezuela, Nicaragua und Indonesien durchgeführt und postu-liert für alle das “Paradox of plenty“.
lichen Ergebnissen. So kommt die Evaluierung
der Weltbankvorhaben im extraktiven Sektor
(2003) zu dem Schluss: “Many resource-rich
countries perform worse than resource-poor
countries in key aspects of development, in-
cluding economic, social, and governance“
(WORLD BANK 2003).
Nach dem “Paradox of Plenty“ führt die schnel-
le Nutzung natürlicher Ressourcen zur Ver-
nachlässigung anderer einheimischer Wirt-
schaftszweige, da lokale Ressourcen und Gel-
der z.B. aus der Landwirtschaft abgezogen
und zur Entwicklung eines einzelnen Industrie-
sektors genutzt werden. Der Staat wird von der
Preisentwicklung einer einzigen Ware abhän-
gig. Aufgrund des Rohstoffreichtums erhalten
die Länder relativ leicht große Kredite zum
Ausbau der Infrastruktur und zur Befriedigung
von Konsumbedürfnissen. Dies führt innerhalb
kurzer Zeit zu einer Auslandsverschuldung bei
privaten und öffentlichen Banken und Finanz-
institutionen. So ist Ecuador heute auf den
Abbau der Erdölvorkommen angewiesen, um
den Schuldendienst zu tätigen.
Rohstoffreichtum ist demzufolge ein zweifel-
hafter Segen für ein Land. Ein Problem sind
dabei auch die schwachen staatlichen Instituti-
onen und die unzureichenden demokratischen
Strukturen (KARL, 1997; ROSS, 2001; SACHS &
WARNER, 1995). In der Auseinandersetzung
um die Kontrolle über die Ressourcen werden
schwache demokratische Strukturen zusätzlich
weiter geschwächt. ROSS (2001) stellt in sei-
nem Beitrag “Does oil hinder democracy“ so-
gar die Frage, ob Ressourcenreichtum die
Herausbildung demokratischer Strukturen in
einem Land eher behindert als unterstützt. Er
kommt zu dem Ergebnis, dass Erdöl und
Bergbau einen negativen Effekt auf die Ent-
wicklung einer Demokratie haben können – in
armen Staaten stärker als in reichen. So habe
in Staaten wie Indonesien, Malaysia, Mexiko,
und Nigeria die Sicherung der Verfü-
gungsgewalt über die Rohstoffe die demokrati-
sche Entwicklung verzögert. Regierungen roh-
stoffreicher Länder neigen dazu, die Kontrolle
über die Rohstoffe militärisch zu sichern, re-
pressiv auf Proteste zu reagieren und die Mo-
Bodenschätze auf indigenem Land
104
dernisierung und Diversifizierung der Wirt-
schaft zu vernachlässigen (vgl. FELDT, 2004).
Auch in den lateinamerikanischen Staaten wie
Venezuela und Ecuador wurde versäumt, an-
dere Wirtschaftszweige frühzeitig zu fördern,
so dass die wirtschaftliche Entwicklung dieser
Länder vom Erdöl abhängt, ohne dass die
Einnahmen den Lebensstandard der breiten
Bevölkerung verbessern.
3. Die Interessengruppen und ihre Strategien
Im folgenden werden die wichtigsten Akteure
(Konzerne, Bergbau- und Energieministerien,
indigene Völker) kurz charakterisiert.
Staat
In allen Ländern Lateinamerikas sind es die
Energie- und Bergbauministerien, die für die
Entwicklung einer nationalen Politik in dem
Bereich Konzessionsvergabe, Kontrolle der
Abbau- und Förderaktivitäten und der Energie-
versorgung zuständig sind. Im Bergbau haben
sie eine direkte Kontrollfunktion über die Un-
ternehmen. Etwas anders sieht es im Erdöl-
sektor aus. Da dieser Sektor in vielen Staaten
in den 1960er und 1970er Jahren verstaatlicht
wurde, wurden eigene nationale Erdölunter-
nehmen aufgebaut. Einige dieser Unterneh-
men wie Petroleos de Venezuela (PdVSA)
vereinen sämtliche Bereiche der Erdölproduk-
tion und -verarbeitung von der Erdölsuche bis
zur Petrochemie unter einem Dach. Ähnlich
operiert Petroecuador, obgleich dieser Kon-
zern sehr viel kleiner und in der Exploration auf
ausländische Unternehmen angewiesen ist.
Außer in Venezuela werden seit Mitte der
1990er Jahre in allen Förderländern die staatli-
chen Erdölunternehmen und die Erdölförde-
rung reprivatisiert. Das heißt, ausländische
Konzerne können über joint ventures oder
Kooperationsverträge mit den nationalen Un-
ternehmen direkt in den Ländern Erdöl fördern.
Die Vergabe von Konzessionen und die Über-
wachung der laufenden Aktivitäten im Bergbau
und bei der Erdöl- und Erdgasförderung sind
Angelegenheit des Zentralstaates, die Kom-
munen und Provinzregierungen spielen dabei
eine untergeordnete Rolle.
Bis in die 1990er Jahre hat der Staat die Re-
gelung der Beziehungen mit indigenen Ge-
meinschaften oder Siedlern vor Ort weitgehend
den Unternehmen überlassen. Interessanter-
weise war dies auch dann der Fall, wenn das
Unternehmen vor Ort in staatlicher Hand war.
So ist es in Venezuela bisher PdVSA, die die
Beziehungen zu den Kommunen, lokalen Or-
ganisationen und indigenen Völkern regelt und
nicht das Bergbau- und Energieministerium,
das eigentlich die staatliche Politik in dem Feld
umsetzen soll. Nun ist das Machtgefälle zwi-
schen Ministerium und PdVSA in Venezuela
sehr groß, aber auch in den anderen Ländern
der Hemisphäre sind es die staatlichen oder
teilstaatlichen Unternehmen, die bisher wie
Privatunternehmen in der Kommunikation mit
den indigenen Völkern agieren. Das Hauptinte-
resse des Staates besteht in der reibungslosen
Abwicklung von Bergbau- und Erdölaktivitäten8
und der Sicherung ausländischer Investitionen.
So war die ecuadorianische Regierung vehe-
ment dagegen, dass Siedler und Vertreter des
indigenen Volker der Secoya im ecuadoriani-
schen Tiefland gegen Texaco vor einem US
amerikanischen Gericht klagten: “(…) si la
demanda es aceptada por una corte norteame-
ricana se pondría en riesgo la soberanía naci-
onal y la inversión extranjera“ (zitiert nach
WRAY, 2000:39)9.
Mittlerweile verlagert sich der Diskurs von der
Konfrontation oder Negation indigener Interes-
sen hin zu einem Diskurs der Konsultation, des
Dialogs und der Verhandlungen. Damit werden
die Vorgaben in der ILO-Konvention 169, die
8 Der Leiter der Umweltabteilung im Ministerium für Energie und Bergbau, Lima, Peru sagte mir 1997 in einem Interview: “Unsere Aufgabe ist für die rei-bungslose Durchführung der Aktivitäten zu sorgen, und nicht den Unternehmen Steine in den Weg zu legen.“ 9 Die Klage richtete sich gegen die Umweltver-schmutzungen, die Texaco in Ecuador hinterlassen hatte und die negativen Auswirkungen auf die Cofán und Huaorani. 1995 schloss die ecuadorianische Regierung einen Vertrag über die Zahlung von Gel-dern für “Umweltreparaturen“ mit Texaco, um die Klage zu unterlaufen. Einige Führer der regionalen Indigenenorganisationen FOISE und FCUNAE un-terstützten das Vorgehen der Regierung. Sie hatten ein Unternehmen (Corpesega) gegründet, das eini-ge der Umweltreparaturen durchführen sollte.
Bodenschätze auf indigenem Land
105
Konsultation, Teilhabe an den Gewinnen und
das Recht auf Entschädigung für die Schäden
aus Bergbau- und Erdölvorhaben vorsieht,
aufgegriffen. Neue Gesetze bzw. Gesetzent-
würfen zur “consulta y participación“ in Peru,
Ecuador, Bolivien, Kolumbien und Venezuela
sind verabschiedet worden oder werden zur
Zeit diskutiert (siehe Kap. 4).
Erdöl- und Bergbauindustrie
Der Erdöl- und Bergbausektor Lateinamerikas
wird einerseits von staatlichen Betrieben, die
vor allem im Rahmen der Nationalisierung
strategischer Industriebetriebe in den 1960er
Jahren gegründet bzw. ausgebaut wurden,
dominiert. Allerdings ist die ökonomische und
gesellschaftliche Bedeutung der Erdölunter-
nehmen sehr viel größer als die der Bergbau-
betriebe.
Andererseits sind seit Beginn der Reprivatisie-
rung des Rohstoffsektors in allen Ländern
Südamerikas Förder- und Abbaukonzessionen
an private in- und ausländische Konzerne ver-
geben worden. Im Falle der Erdölindustrie
schließen meist die staatlichen oder teilstaatli-
chen Unternehmen die Verträge über die För-
derbedingungen mit den internationalen Unter-
nehmen. Die häufigsten Vertragsarten sind
neben joint ventures, Serviceverträge (contra-
tos de prestación de servicios)10, Risiko- und
Serviceverträge11 und Beteiligungsverträge
(contratos de participación).12 Gegenstand der
10 In diesem Fall führt ein privates Unternehmen die Erdölsuche und -produktion durch und für jeden Barrel, der gefördert wird, zahlt der Staat dem Un-ternehmen einen festgesetzten Beitrag. Das Öl selbst bleibt Eigentum des Staates und wird meist vom staatlichen Unternehmen vermarktet. 11 Ähnlich den Serviceverträgen, allerdings wird das Risiko der Erdölsuche zwischen Staat und Unter-nehmen nach einem festgelegten Anteilsverhältnis geteilt. 12 Dies sind Verträge zwischen Staat und Privatun-ternehmen, nach denen der Vertragnehmer (ein privates Unternehmen) in einem vertraglich verein-barten Gebiet Erdöl suchen und fördern kann. Dafür übernimmt er das Risiko für die Investitionen der Exploration und Förderung. Wird die Produktion aufgenommen, steht dem Vertragnehmer eine Be-teiligung an dem Erdöl zu. Die Höhe dieser Beteili-gung wird in den Vertragsverhandlungen ausge-handelt, und hängt u.a. von dem zu erwartenden Volumen des Erdölvorkommens ab.
Verträge sind u.a. die Leistungen, die das Un-
ternehmen für die Bereitstellung der Infra-
struktur und die Nutzung öffentlicher Einrich-
tungen zu zahlen hat, ebenso wie Entschädi-
gungszahlungen. Von privaten Unternehmen
wird bemängelt, dass in den Verträgen keine
klaren Vorgaben bezüglich Kommunikation
und Partizipation indigener Völker gemacht
werden (EAP, 2003).
Von Seiten der Unternehmen gibt es keine
gemeinsame Strategie gegenüber indigenen
Völkern und Gemeinschaften. Trotzdem lassen
sich bestimmte Entwicklungen und Strategien
beobachten.
Wie sich die Beziehungen zwischen Erdölun-
ternehmen und indigenen Völkern verändert
haben, zeigt das Beispiel Ecuador. Es lassen
sich im wesentlichen folgende Strategien be-
schreiben (siehe auch WRAY 2000:45-51):
“Gute Nachbarschaft“
Im Sinne einer guten Nachbarschaft ver-
suchen Konzerne (wie Texaco in den
1970er Jahren), sich mittels Geschenke
die Unterstützung der indigenen Gemein-
schaften zu sichern. Die Geschenke wer-
den meist individuell oder an einzelne
Dorfgemeinschaften gegeben, und werden
gezielt zur Spaltung von Gemeinschaften
nach dem Motto “teile und herrsche“ ein-
gesetzt. Dieses Vorgehen der Konzerne
dominierte in den 1970er bis Ende der
1980er Jahre.
“Vom geschenkten Außenbordmotor zum
Projekt“
Die Phase wurde Mitte der 1980er Jahre
durch die staatliche Firma CEPE (heute
Petroecuador) eingeleitet, die auf der
Grundlage des neuen Erdölgesetzes einen
“Fondo de desarrollo comunal“ auflegte,
der mit 0,3 % der Einnahmen von CEPE
gespeist wurde. Zu der Zeit gründeten sich
die ersten indigenen Organisationen in
Ecuador, die von CEPE als Gesprächs-
partner für Projekte anerkannt wurden.
“Vom Projekt zur Corporate Social respon-
sibility“
Heute setzen die meisten Unternehmen
auf die Entwicklung längerfristiger Bezie-
hungen zu den indigenen Gemeinschaften.
Bodenschätze auf indigenem Land
106
Der Diskurs der internationalen Erdölun-
ternehmen ist geprägt von der internatio-
nalen Debatte um soziale Unternehmens-
verantwortung (“Corporate Social Respon-
sibility“). In diesem Zusammenhang haben
sich alle großen internationalen Erdölkon-
zerne Verhaltenskodizes für ihre Umwelt-
und Sozialpolitik gegeben13. Einige Kon-
zerne wie BP, Shell und PdVSA versuchen
über Projekte regionale Entwicklung zu un-
terstützen und dadurch “best practice“ Bei-
spiele zu geben. Für die Beziehung zu den
indigenen Völkern und Gemeinschaften
haben viele Unternehmen Ethnologen ein-
gestellt und zuständige Abteilungen für die
Kommunikation mit der lokalen Bevöl-
kerung eingerichtet. So hat Shell ganz be-
wusst versucht, in Camisea, dem großen
Erdgasprojekt in Peru, ein Beispiel guter
Praxis durch frühzeitige Verhandlungen
mit den indigenen Gemeinschaften über
die Durchführung der Erdgasaktivitäten
und begleitende (Entwicklungs-)Projekte
durchzuführen, und somit einen Gegenpol
zu ihrem negativen Image in Nigeria zu
setzen. Da Shell sich jedoch aufgrund ö-
konomischer Überlegungen aus Camisea
zurückgezogen hat, wurden die Ansätze
nicht umgesetzt.14 Somit steht der Beweis
in Lateinamerika noch aus, dass sich
extraktive Industrie und nachhaltige Regi-
onalentwicklung vereinbaren lassen.
Inwieweit der veränderte Diskurs der Unter-
nehmen tatsächlich auch zu einer veränderten
Praxis führt, ist noch nicht absehbar. Dies wird
stark von den Rahmenbedingungen, die der
Staat setzen muss, und der Stärkung und Arti-
kulationsfähigkeit der indigenen Organisatio-
nen sowie der Entwicklung der internationalen
Diskussion um sozialverantwortliches Unter-
13 BP, 2002: Grundsätze der Geschäftspolitik, Shell, 2003: There is no alternative, Shell on sustainable development, Shell: Statement of General Princi-ples, ENI, 1998: Codice di Comportamento, Für den Bergbau: United Nations, 2002: Guidelines for min-ing and sustainable development. 14 Die Anteile von Shell wurden von Tripetrol aus Argentinien übernommen, die allerdings zu einem paternalistischen Beziehungsstil zurückgekehrt sind.
nehmenshandeln15, abhängen. Es wird jedoch
auch dann nicht ausreichen, die Beziehung
zwischen indigenen Völkern und Unternehmen
dem (guten) Willen der Unternehmensleitung
zu überlassen, sondern man wird die Bezie-
hungen verrechtlichen müssen.
Indigene Völker und ihre Organisationen
Es gibt keine einheitliche Position und Strate-
gie indigener Völker und ihrer Organisationen
gegenüber dem Rohstoffabbau. Der Wider-
stand gegen den Abbau und die Bedingungen,
unter denen der Abbau erfolgt, ist meist auf die
betroffene Region begrenzt und auch die Ver-
handlungen zwischen indigenem Volk und dem
Unternehmen werden separat pro Region be-
ziehungsweise pro Volk geführt. Es hat erst in
den letzten Jahren ein reger Erfahrungsaus-
tausch über die regionalen und nationalen
Grenzen hinweg zur Verständigung und Dis-
kussion zwischen den indigenen Organisatio-
nen eingesetzt. Eine wichtige Rolle spielt dabei
für das Amazonasbecken die Koordination der
indigenen Organisationen des Amazonasbe-
ckens, COICA, und deren nationalen Mit-
gliedsorganisationen. Dieser Austausch und
die Debatten zur Strategiefindung, Fortbil-
dungsmaßnahmen über die rechtliche Situa-
tion und die Unterstützung in Verhandlungs-
prozessen wurden vor allem durch Organisati-
onen wie Oxfam America, Ibis (Dänemark),
aber auch durch die Weltbank, InWEnt und in
jüngster Zeit auch durch die TZ gefördert. Zwi-
schen Mittel- und Südamerika gibt es bisher
kaum gemeinsame Foren zur Verständigung
über Strategien im Bereich nicht-erneuerbare
natürliche Ressourcen.
Anhand der folgenden Beispiele werden die
Unterschiede in der Herangehensweise und
die Strategie der indigenen Völker und Organi-
sationen verdeutlicht. Die Beispiele basieren
weitgehend auf WRAY (2000) und eigenen
Untersuchungen.
15 Von besonderen im Interesse ist im Zusammen-hang die Entwicklung der Aarhus Konvention und der VN Normen zu Business and Human Rights, die in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen diskutiert werden.
Bodenschätze auf indigenem Land
107
Die Frente Indígena de Pastaza – ARCO, Pastaza (Ecuador)
Die OPIP, Organisation der indigenen Völker in
Pastaza, hat sich seit Ende der 1980er Jahre,
als der Erdölkonzern ARCO die Konzession für
den Block 10 übernahm16, gegen die Erdölför-
derung ausgesprochen. ARCO reagierte, in-
dem der Konzern mit den indigenen Gemein-
schaften im Operationsgebiet Kontakt aufnahm
und aktiv die Gründung einer neuen indigenen
Organisation (ASODIRA) betrieb. Mit dieser
Organisation wurde dann ein Vertrag über den
Bau von Schulen, Gesundheitszentren, Sti-
pendien etc. geschlossen, die OPIP sollte be-
wusst isoliert werden. Die OPIP ihrerseits for-
derte eine nachhaltigere Art der Erdölförde-
rung, basierend auf dem Respekt der indige-
nen Völker und der Umwelt durchzuführen.
Ihre Hauptforderungen waren die Realisierung
einer gemeinsamen Evaluation der sozialen
und ökologischen Auswirkungen der Erdölakti-
vitäten, die Beteiligung indigener Organisatio-
nen an der Erarbeitung eines Umweltmana-
gementplans und die Einrichtung eines Sozial-
und Umweltfonds. Sie wollten ein ernsthaftes
Dialogforum zwischen dem Unternehmen und
den indigenen Organisationen unter Beteili-
gung des Staates. Dieses Dialogforum wurde
eingerichtet, wobei der Staat durch Petroecua-
dor vertreten wurde. Das Unternehmen zog
sich aber bereits kurz darauf wieder zurück.
1994 wurde die Frente Indígena de Pastaza
(FIP) aus den indigenen Organisationen OPIP
und ASODIRA gegründet, die den Vertrag mit
ARCO unterzeichneten. Da die beiden Organi-
sationen aber ihre Rivalitäten nicht überwan-
den, blieb der Zusammenschluss ein künstli-
ches Gebilde. Nach dem Rückzug von Petroe-
cuador und der schleppenden Umsetzung der
Beschlüsse durch ARCO kam es zu heftigen
Reaktionen der indigenen Gemeinschaften:
1998 wurden drei Mitarbeiter von ARCO kurz-
zeitig entführt. Die FIP forderte die Evaluierung
und die Erneuerung des Dialogs, die Ausset-
zung aller Erdölaktivitäten bis ein langfristiges
16 Die Konzessionsgebiete in Ecuador sind in soge-nannte Blöcke unterteilt. Ein Block entspricht einem Konzessions-/ Fördergebiet. Block 10 liegt in der Provinz Pastaza.
Übereinkommen geschlossen ist, die Entwick-
lung einer nachhaltigen Erdölpolitik und die
Beteiligung der Provinz an den Gewinnen aus
der Erdölproduktion. Ende 1998 wurde der
Dialog wieder aufgenommen, ohne dass je-
doch Ergebnisse erzielt wurden.
Heute ist die FIP an ihren internen Widersprü-
chen auseinandergebrochen, ARCO hat sich
aus Ecuador zurückgezogen17 und der Dialog-
prozess ist ausgesetzt. Trotzdem hat der Pro-
zess eine besondere Bedeutung. Es war der
erste institutionalisierte Dialog zwischen indi-
genen Organisationen, Unternehmen und
Staat und es gelang den indigenen Organisati-
onen, die Forderung nach einer gemeinsamen
Kontrolle der Auswirkungen durchzusetzen.
Zum ersten Mal wurden Alternativen zur her-
kömmlichen Art und Weise der Erdölförderung
diskutiert und indigene Vorstellungen einer
nachhaltigen Regionalentwicklung wurden in
den Dialogprozess eingebracht. Eine genaue
Analyse des Prozesses und der Gründe für
das Scheitern liegt meines Wissens nicht vor,
könnte aber für indigene Organisation eine
gute Hilfestellung für andere Dialog- und Ver-
handlungsprozesse sein.
Der Widerstand der Achuar (Pastaza, Ecuador)
Die FINAE vertritt die Achuar im Osten der
Provinz Pastaza, wo neun Gemeinschaften im
Konzessionsblock 24 leben, der früher von
ARCO und heute von Burlington Resources
Ltd., USA betrieben wird. Die Achuar der Re-
gion haben 1998 beschlossen, keine Erdölakti-
vitäten zu zulassen. Als Alternative haben sie
eigene ökonomische Projekte aufgebaut. Dazu
gehören ein Tourismuszentrum, ein Projekt zur
Kommerzialisierung von Agrar- und Waldpro-
dukten sowie ein Projekt zur Erforschung und
Vermarktung von Waldprodukten (außer Holz).
Um ihr Gebiet vor der Erdölförderung zu ver-
schonen, hat die FINAE einen Vorschlag erar-
beitet, das Gebiet unter dem Clean Develop-
ment Mechanismus des Kyoto Protokolls zu
verhandeln (zum Kyoto Protokoll siehe
17 BP hat ARCO aufgekauft und in dem Zuge die Konzessionen in Ecuador verkauft. Der Block ist an die italienische Firma AGIP gegangen.
Bodenschätze auf indigenem Land
108
ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band). Da das
Schicksal dieses Vorschlags mehr als unge-
wiss ist, versucht die FINAE gleichzeitig die
rechtlichen Möglichkeiten in Ecuador auszu-
nutzen, um die Erdölförderung zu verhindern.
Das Vorgehen der FINAE zeigt wie internatio-
nale Konventionen und Vereinbarungen von
indigener Seite zum Schutz ihrer Territorien
genutzt werden können.
Foto: Straßenbau im Amazonasgebiet von Ecuador (S. REINHARDT)
Gold bei den Shuar (Ecuador)
Im Falle der Federación Interprovincial de
Centros Shuar, FICSH, stellt der Goldbergbau
ein großes Problem dar. Auch wenn die FICSH
sich gegen den Goldabbau ausgesprochen
hat, so war sie aufgrund der Interessenhetero-
genität in den Gemeinschaften nicht in der
Lage, den Widerstand aufrecht zu halten. Die
FICSH hat daher beschlossen, aktiv an dem
Konsultationsprozess teilzunehmen und Indi-
gene ausbilden zu lassen, die in der Lage sind,
die Bergbauaktivitäten und ihre Auswirkungen
zu überprüfen. Die FICSH fordert eine Teil-
habe an den Einnahmen aus dem Bergbau.
Dabei sehen sie sich nicht als Bittsteller son-
dern verstehen sich neben dem Konzern und
dem Staat als weiterer Besitzer des Unter-
nehmens, da sich das Gold auf ihrem Territo-
rium befindet. Sie fordern einen “Fondo de
reserva patrimonial de la nacionalidad Shuar“.
Der Verhandlungsprozess ist noch nicht abge-
schlossen.
Erdöl im Orinokodelta (Venezuela)
Die Warao im Delta des Orinoko haben keine
starke einheitliche Organisation. Wie in vielen
anderen Fällen in Lateinamerika hat auch das
Erdölkonsortium Delta Centro, das von mehre-
ren Unternehmen unter der Leitung von Bur-
lington Resources für die Erdölförderung ge-
gründet wurde, nur mit den einzelnen Gemein-
schaften verhandelt. 1999/ 2000 wurden in der
betroffenen Deltaregion Informationsver-
sammlungen über die geplanten Erdölpros-
pektionen durch das Konsortium mit den Wa-
rao abgehalten. Der Staat war nicht präsent.
Das Konsortium forderte die Warao auf ihre
Bedürfnisse zu benennen – als Gegenleistung
für die Durchführung der Erdölaktivitäten in
ihrem Gebiet. Das Ergebnis war eine Wunsch-
liste vom Bau einer Schule, über ein Gesund-
Bodenschätze auf indigenem Land
109
heitszentrum bis zum Außenbordmotor. Die
Warao hatten nur ihre unmittelbaren Bedürf-
nisse formuliert. In einer Region, die zu den
ärmsten Venezuelas gehört und die seit Jahr-
zehnten vom Staat vernachlässigt wird, war es
den Konzernen möglich, sich mit Geschenken
den Zugang zu dem potenziellen Fördergebiet
zu verschaffen. Mittlerweile hat sich das Kon-
sortium aufgelöst und seine Installationen im
Delta abgebrochen, da nach der ersten Probe-
bohrung zu wenig Öl vermutet wurde. Damit
sind auch die Projekte des Konsortiums im
Delta eingestellt worden.
Der Dialogprozess “Energía - Ambiente - Población“ (EAP)
Der Dialogprozess findet auf Initiative der
Weltbank und der Organisation der lateiname-
rikanischen Energieministerien (OLADE) seit
1996 zwischen indigenen Organisationen,
Teilen der Erdölindustrie und Energieministe-
rien in der Amazonasregion statt. Die Erdölin-
dustrie ist durch die Vereinigung der latein-
amerikanischen Erdölindustrie ARPEL und die
indigenen Organisationen durch die COICA
vertreten. Das Ziel ist u.a. die rechtliche Si-
cherheit für alle beteiligten Parteien zu verbes-
sern (EAP, 2003).
Die Ansprüche der drei Interessengruppen
werden wie folgt gekennzeichnet (EAP,
2003:5):
a) “Derechos de los pueblos indígenas, reco-
nocidos como el derecho al hábitat ances-
tral, a la cultura, a la tradición y a un am-
biente protegido;
b) El derecho de la industria petrolera y gasí-
fera a que se respeten los términos y con-
diciones de los contratos suscritos con los
distintos estados; y
c) El derecho de la sociedad en general a
alcanzar un mejor nivel de vida y un mayor
desarrollo económico sustentable, como
consecuencia directa del desarrollo de la
actividad hidrocarburífera con el conse-
cuente hallazgo de nuevas reservas de
petróleo y gas para el pais.“
Für die Erdölindustrie stehen die rechtliche
Sicherheit und die Stabilität der einmal getrof-
fenen (vertraglichen) Vereinbarungen an erster
Stelle. Sie drängt darauf, dass keine der Inte-
ressengruppen ein Vetorecht erhält. Sie wollen
klare Richtlinien, wie das Verhältnis von Unter-
nehmen zu den indigenen Völkern und Ge-
meinschaften in der betroffenen Region zu
regeln ist. Da Zeit für Unternehmen ein wichti-
ger Faktor ist, drängen sie auf “procesos ex-
péditos que en menor tiempo posible puedan
conducir al desarrollo de proyectos.“
Für die COICA steht die Anerkennung der
Völker mit ihren Kulturen und ihren Territorien
im Mittelpunkt. Dazu gehört auch die Anerken-
nung der Indigenen, die in freiwilliger Isolation
leben wie z.B. in der Region um Camisea in
Peru.
EAP ist ein Dialogprozess, das heißt es sind
weder Verhandlungen noch wird versucht ei-
nen regionalen Kompromiss über die Erdölför-
derung zwischen den Parteien auszuhandeln.
Es ist ein Gesprächsforum, das Themen an-
stoßen, Vorschläge erarbeiten und Empfeh-
lungen diskutieren will. Auch die COICA stellt
klar, dass ihre Teilnahme an dem Dialog nicht
so verstanden wird, dass sie die Erdölförde-
rung auf indigenen Territorien billigt.
Nach einer Phase des gegenseitigen Kennen-
lernens und des Austauschs von Informationen
und Konzepten steht der Dialogprozess jetzt
an einem Scheidepunkt, an dem sich zeigen
muss ob die realen Probleme in dem Dialog
tatsächlich aufgegriffen werden können. Im
Augenblick sieht es eher so aus, als wäre er
an seine Grenzen gestoßen. So müssen die
Dialogparteien sich entscheiden, ob sie die
anstehenden Themen: Verteilung der Einnah-
men aus der Erdölförderung, partizipative Mo-
nitoringsysteme der sozialen und ökologischen
Auswirkungen sowie Empfehlungen für die
Regelung der Beziehungen von Erdölindustrie,
Staat und indigenen Völkern vor Ort, und Kon-
fliktlösungen konstruktiv im Dialog behandeln
wollen und können. Die Zeichen dafür stehen
schlecht. So konnten sich die Interessens-
gruppen in der Diskussion zu dem letztge-
nannten Thema nicht auf gemeinsame Leitli-
nien verständigen. Und auch die Verteilung der
Erdöleinnahmen in den Ländern konnte nicht
weiter vertieft werden, da sich die Vertreter der
Bodenschätze auf indigenem Land
110
Staaten weigerten, dieses Thema zu diskutie-
ren.
Sollte der Dialog scheitern, wäre eine Chance
vergeben, wichtige Themen für das Verhältnis
Staat – Industrie – indigene Völker konstruktiv
zu bearbeiten.
4. Rechtliche Situation und Zuständigkeiten
Nicht-erneuerbare natürliche Ressourcen und
deren Nutzung sind in allen lateinamerikani-
schen Staaten Eigentum des Staates, dem
auch das alleinige Nutzungsrecht vorbehalten
ist. Dies ist in den jeweiligen Verfassungen
festgeschrieben, wobei allerdings unterschied-
liche Begrifflichkeiten verwendet werden: “el
estado es proprietario del subsuelo y de los
recursos naturales no renovables“ (Kolum-
bien), “pleno dominio“ (Bolivien) oder “patrimo-
nio de la nación“ (Peru).
Im folgenden ist die rechtliche Situation in Boli-
vien, Ecuador, Peru, Kolumbien und Venezu-
ela basierend auf den jeweiligen Verfassun-
gen, Erdöl- und Erdgasgesetzgebung, Berg-
baurecht, Umweltgesetzgebung und Rechte
indigener Völker zusammengefasst. Dies be-
zieht sich auf die rechtliche Ausgangslage und
nicht auf die Umsetzungsrealität, die in den
Ländern weit hinter der Rechtssituation zu-
rückbleibt. Auf eine detaillierte Darstellung der
Umweltgesetzgebung wird hier verzichtet, da
die Bestimmungen für Erdöl, Erdgas und
Bergbau sich in den genannten Ländern äh-
neln.
So sind für alle Vorhaben zur Erschließung der
Ressourcen Umweltverträglichkeitsprüfungen
(UVP) und Umweltmanagementpläne bindend
vorgeschrieben. Bevor das Unternehmen mit
den Explorationsarbeiten beginnt, muss es
eine UVP in Auftrag geben, dessen Ergebnisse
öffentlich sind18. Auf den Ergebnissen der UVP
18 In der Praxis wird dieser Informationspflicht sei-tens der Unternehmen und des Staates nur unge-nügend nachgekommen. In Venezuela zum Beispiel ist die Zeit, in der die UVP eingesehen werden kann auf 14 Tage beschränkt. Danach wird die UVP in der Hauptstadt Caracas zentral im Umweltministeri-um archiviert. Dort kann man nur mit schriftlicher Genehmigung des Ministeriums die Unterlagen einsehen. Kopien dürfen nicht gemacht werden.
und den zu erwartenden Umweltrisiken muss
das Unternehmen dann einen Umweltmana-
gementplan erstellen, um vorausgesagte Um-
weltschäden zu verringern. Zuständig für die
Genehmigung der UVP als auch für die Über-
wachung der Umweltmanagementpläne ist
entweder das Umweltministerium oder die
Umweltabteilung im Energie- und Bergbaumi-
nisterium, wobei es zwischen beiden häufig zu
Kompetenzüberschneidungen kommt.
In Kolumbien wurde allerdings die Erdölexplo-
ration durch ein Dekret aus dem Jahre 2000
ausdrücklich aus dem Umweltgenehmigungs-
verfahren herausgenommen. Die Unterneh-
men müssen dort erst im Falle der Erdölpro-
duktion eine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchführen.
In einigen Ländern wie Bolivien, Ecuador, Bra-
silien und Venezuela sind Standards für Erdöl-
und Bergbauaktivitäten festgelegt (z.B. für
Emissionen, Wasserqualität und Bodenver-
schmutzung), in anderen Ländern werden
lediglich allgemeine Aussagen zur umweltver-
träglichen Erdölförderung und Bergbau ge-
macht (ESMAP, 1999).
Grundlage für die Rechte indigener Völker bei
der Nutzung von nicht-erneuerbaren natürli-
chen Ressourcen bildet die ILO-Konvention
169. Wichtig sind vor allem drei Aspekte:
1. die frühzeitige Konsultierung indigener
Völker durch den Staat, bevor Vorhaben
auf ihren Gebiet genehmigt werden
2. die Beteiligung der betroffenen indigenen
Völker an den Gewinnen/ Vorteilen aus der
Nutzung der Bodenschätze
3. das Recht indigener Völker auf Entschädi-
gung
Kolumbien
Bergbau- und Erdölgesetzgebung
In Kolumbien wird die Verwaltung und Nutzung
der nicht-erneuerbaren Ressourcen vom Staat
durch das Ministerium für Bergbau und Ener-
gie, zu dessen Aufgabe die Überwachung des
Erdölsektors gehört, wahrgenommen. Aller-
dings sind die Grenzen zu der Arbeit der staat-
lichen Erdölgesellschaft Ecopetrol fließend.
Bodenschätze auf indigenem Land
111
Das Unternehmen Ecopetrol funktioniert einer-
seits wie ein privates Unternehmen mit eigen-
ständigen wirtschaftlichen Aktivitäten, für die
es Steuern an den Staat zahlt. Auf der anderen
Seite arbeitet es wie eine staatliche Behörde,
d.h. es verhandelt im staatlichen Auftrag mit
privaten in- und ausländischen Firmen über die
Nutzung der Ressource Erdöl.
Indigene Rechte
Das Dekret 1320 von 1998 schreibt eine Kon-
sultation der indigenen und afrokolumbiani-
schen Gemeinschaften vor dem Abbau der
nicht-erneuerbaren natürlichen Rohstoffe auf
ihren Territorien (resguardos19) bindend vor.
Außerdem haben indigene Völker und Ge-
meinschaften Priorität bezüglich der Nutzung
von Bodenschätzen, wenn sich diese auf ihren
Territorien befinden (ROLDÁN, 2004:132). Dies
gilt jedoch nicht für Erdöl.
Bolivien
Bergbau- und Erdöl
Der Staat hat ein umfassendes Eigentums-
recht über alle Bodenschätze. Die Verfassung
sieht explizit vor, dass sowohl die minerali-
schen Rohstoffe als auch Erdöl und Erdgas im
Besitz des Staates sind und diese nicht an
Dritte veräußert werden können (ROLDÁN,
2004:125). Dies gilt für das ganze nationale
Territorium inklusive der tierras comunitarias
de origen, wie indigene Territorien in Bolivien
bezeichnet werden. 1996 wurde in Bolivien ein
neues Erdölgesetz (Ley de Hidrocarburos Nr.
1689) verabschiedet. Das Gesetz bildet die
rechtliche Grundlage für die Verträge, die zwi-
schen dem Staat und den privaten Unterneh-
men geschlossen werden. Es legt die Bedin-
gungen fest, unter denen der Staat sein Ei-
gentum, Erdöl und Erdgas, an die Unterneh-
men verkauft und die Rechte und Pflichten der
Unternehmen, um auf bolivianischem Boden
Erdöl fördern zu können. Es sieht unter ande-
rem die Durchführung von Umweltverträglich-
keitsprüfungen vor, enthält aber keinerlei kon-
krete Bestimmungen über Kompensations-
19 Zur rechtlichen Figur der resguardos siehe ROSSBACH DE OLMOS und FELDT in diesem Band)
zahlungen an die lokale Bevölkerung. Das
Gesetz regelt lediglich die Verfahren zur Fest-
legung von Entschädigungszahlungen bei
Landenteignungen. Artikel 63 verweist zwar
auf Gebiete, die nicht enteignet werden dürfen,
schränkt das Gebiet bezüglich der indigenen
Völker jedoch auf den unmittelbaren Siedlung-
sort ein. “La expropiación no podrá compren-
der a las viviendas y sus dependencias inclu-
yendo las de comunidades campesinas y las
de pueblos indígenas, a los cementerios, ca-
rreteras, vías férreas, aeropuertos y cualquier
otra construcción pública o privada que sea estable y permanente“.20
Es gibt zwei staatliche Institutionen, die für die
Erdölpolitik der Regierung und deren Umset-
zung zuständig sind: das Vizeministerium für
Energie und Erdöl im Wirtschaftsministerium
für den Bereich Prospektion und Förderung,
und die Superintendencia de Hidrocarburos
innerhalb des Sistema de Regulación Sectorial
für den Bereich Transport und Verteilung. Das
Vizeministerium ist für die Aushandlung der
Verträge mit den privaten in- und ausländi-
schen Erdölkonzernen zuständig.
Bis 1997 war YPFB (Yacimientos Petroliferos
Fiscales Bolivianos) ein staatliches Unterneh-
men. Mittlerweile wurden die Geschäftsberei-
che Erdöl-, Erdgasprospektion und -förderung
verkauft. Die Aufgaben von YPFB beschrän-
ken sich heute auf das Aushandeln und Über-
wachungen von Verträgen, wobei es allerdings
Kompetenzüberschneidungen mit dem Vize-
ministerium für Energie und Erdöl gibt.
Die Indigenen- und Bauernbewegung hat in
den letzen Jahren, aber vor allem 2003, gegen
die Privatisierung im Erdöl- und Erdgassektor
demonstriert und fordert eine Überarbeitung
des Ley de Hidrocarburos, in der die Erdölin-
dustrie re-nationalisiert werden soll. Im Juli
2004 hat die bolivianische Bevölkerung in ei-
nem Referendum über die zukünftige Erdgas-
und Erdölpolitik abgestimmt. Demnach soll das
Unternehmen YPFB wieder verstaatlicht wer-
den. Die bestehenden Konzessionen zur Erd-
gasförderung sollen zwar nicht angetastet
20 http://www.superhid.gov.bo/leyes/1996/ Ley_Hidrocarburos.pdf
Bodenschätze auf indigenem Land
112
werden, die Konzerne werden aber in Zukunft höher besteuert.
Indigene Rechte
In der Verfassung von 1994 wird im ersten
Artikel der multiethnische und plurikulturelle
Charakter des Landes anerkannt. Außerdem
werden die Rechte der indigenen Völker auf
Identität, gemeinschaftlichen Landbesitz und
soziale Entwicklung festgeschrieben.
Das Umweltschutzgesetz (Artikel 78) schreibt
vor, das indigene Völker konsultiert werden
müssen, wenn auf ihren Gebieten Erdöl geför-
dert werden soll. Von Seiten der indigenen
Organisationen wird allerdings kritisiert, dass
diese Konsultationen nicht oder nur unzurei-
chend stattfinden.
Zur Zeit wird ein Gesetzesvorschlag zu “Regu-
lierungen für die Durchführung von Erdölakti-
vitäten auf kommunalen Territorien indigener
Völker“ diskutiert. In dem Gesetz soll u.a. defi-
niert werden, wie der Konsultationsprozess der
indigenen Gemeinschaften zu gestalten ist.
Ecuador
Bergbau- und Erdölgesetzgebung
Die Verfassung erklärt die Bodenschätze zum
Staatseigentum, und das Bergbau- und das
Erdölgesetz, dessen Grundlagen aus dem
Jahre 1932 stammen und das seither mehr-
mals reformiert wurde, legt das System der
Konzessionsvergabe fest. Zuständig für die
Definition der staatlichen Erdölpolitik ist das
Ministerium für Energie und Bergbau.
Vertragspartner für Erdölkonzerne, die in Ecu-
ador arbeiten wollen, ist die staatliche Erdölge-
sellschaft Petroecuador. Ähnlich wie Ecopetrol
betreibt Petroecuador eigene Erdölfelder und
vertritt außerdem den Staat in den Vertrags-
verhandlungen mit den Privatunternehmen
über die Erdölproduktion.
Seit 1992 müssen die Firmen eine Umweltver-
träglichkeitsprüfung vor der Probebohrung
erstellen lassen und einen Umweltmanage-
mentplan vorlegen. Seit der siebten Vergabe-
runde für neue Konzessionen (1994) verlangt
der Staat die Einhaltung von Umwelt- und So-
zialstandards (FELDT, 2003).
Rechte indigener Völker
Die Bergbau- und Erdölunternehmen sind ge-
setzlich verpflichtet die Rechte indigener Völ-
ker, wie sie im ecuadorianischen Gesetz und in
den ratifizierten internationalen Normen fest-
gelegt sind, zu respektieren.
Ecuador hat 2002 das “Reglamento de Con-
sulta y Participación para la Realización de
Actividades Hidrocarburíferas” (Dekret 3401,
2.12.2002) verabschiedet. Diese Umsetzungs-
bestimmung zum Recht auf Konsultation in der
Verfassung definiert das Konsultationsverfah-
ren sowie die Beteiligung der indigenen Völker
“en los procesos relacionados con las con-
sulta, la elaboración de los estudios de im-
pacto ambiental, los planes de manejo am-
biental, incluidos los planes de relaciones co-
munitarias, y de participación en los beneficios
de las explotaciones” (ROLDÁN, 2004:134).
Peru
Bergbau- und Erdölgesetzgebung
1993 wurde das Erdölgesetz in Peru überar-
beitet und mit der Novelle wurde die Privatisie-
rung des staatlichen Erölunternehmens Petro-
peru eingeleitet. Nach und nach wurden die
Konzessionen und die Infrastruktur der Erdöl-
felder, die bis zu dem Zeitpunkt von Petroperu
betrieben wurden, an private Unternehmen
verkauft. Parallel zur Privatisierung gründete
der peruanische Staat Perupetro als staatli-
ches Unternehmen, zu dessen Aufgaben die
Verhandlung und Überwachung von Verträgen
mit privaten Erdöl- und Erdgasunternehmen
gehört, das aber keine eigenen Aktivitäten im
Produktionsbereich durchführt.
Das Ministerium für Energie und Bergbau ist
die oberste Behörde für den Erdöl- und Berg-
bausektor. Innerhalb des Ministeriums gibt es
eine Generaldirektion für Umwelt, die die Um-
weltverträglichkeitsprüfungen und die Mana-
gementpläne überprüfen soll.
Bodenschätze auf indigenem Land
113
Rechte indigener Völker
Peru hat Ende 2002 das “Reglamento de con-
sulta y participación ciudadana en el procedi-
miento de aprobación de los estudios am-
bientales en el sector Energía y Minas” (Re-
solución Ministerial No.596-2002, EM/DM, Ley
Orgánica del sector Energía y Minas 25962)
verabschiedet, dass das Konsultationsverfah-
ren reguliert. Durch die Konsultation soll si-
chergestellt werden “que permitan el conoci-
miento más preciso y directo del pensamiento
de los sectores sociales potencialmente afec-
tados con las obras de explotación de recursos
y otras actividades de previsible impacto sobre
el ambiente y la vida de los pobladores de las
áreas donde van a realizarse” (ROLDÁN,
2004:135). Hierbei wird nicht zwischen Indige-
nen und Nicht-Indigenen unterschieden.
Im Gesetz über “Comunidades Campesinas”
ist festgelegt, dass der Staat die Gemein-
schaften und Dörfer, die die Bodenschätze
(wiederum mit Ausnahme von Erdöl) auf ihrem
eigenen Territorium ausbeuten wollen, unter-
stützten muss. Außerdem haben indigene wie
nicht- indigene Gemeinschaften das Recht, vor
Beginn der Aktivitäten, Kompensationsver-
handlungen über zu erwartende Schäden mit
den Unternehmen zu führen. Allerdings fehlt es
an entsprechenden Umsetzungsbestimmun-
gen.
Venezuela
Bergbau- und Erdölgesetzgebung
Nicht-erneuerbare Rohstoffe sind Besitz der
Republik, es sind laut Verfassung von 1999
Werte im öffentlichen Eigentum und als solche
unveräußerbar und nicht übertragbar.
In Venezuela wurde am 13.11.2001 ein neues
Erdölgesetz21 verabschiedet, das seit Anfang
2002 in Kraft ist. In diesem Gesetz wird die
staatliche Dominanz im Erdölsektor festge-
schrieben. Wenn Erdölaktivitäten im Bereich
Förderung, Transport und Raffinerie nur von
Unternehmen oder von Konsortien durchge-
21 Für die Gasförderung wurde analog ebenfalls ein Gesetz beschlossen.
führt werden können, erhält der Staat eine
Beteiligung von über 50%.
Darüberhinaus legt das Gesetz die Höhe des
Förderzins (Royality) fest, den die Unterneh-
men an den Staat zahlen müssen. Er liegt bei
30% des geförderten Volumens, das heißt, der
Staat erhält 30% des geförderten Erdöls.22
Die zuständige staatliche Institution ist das
Ministerium für Energie und Bergbau. Zwar ist
das Ministerium laut Gesetz für die Politik und
Planung des Staates im Erdölsektor zuständig
und soll die Kontrolle über die Erdölaktivitäten
und die Steuern ausüben, de facto wird der
Erdölsektor in Venezuela aber durch den staa-
tlichen Konzern Petroleos de Venezuela S.A.
(PdVSA) kontrolliert. PdVSA finanziert den
größten Teil des Staatshaushaltes und gehört
zu den zehn größten Erdölkonzernen weltweit.
Mit über 40 000 Angestellten und Arbeitern in
Venezuela ist PdVSA fast ein “Staat im Staat“.
Rechte indigener Völker
Venezuela stellt in der Verfassung (1999) klar,
dass Aktivitäten wie die Nutzung natürlicher
Ressourcen auf indigenen Gebieten23 nur
durchgeführt werden können, wenn die so-
ziale, ökonomische und kulturelle Integrität der
Gemeinschaften nicht verletzt wird und sie
frühzeitig informiert und konsultiert werden.
Allerdings fehlt es in Venezuela an Umset-
zungsbestimmungen. Bestimmungen zur
Durchführung der Konsultationen befinden sich
zur Zeit in der Diskussion.
Schlußbetrachtung
Die Betrachtung der rechtlichen Situation in
den Ländern zeigt, dass sich zumindest formal
die Rechtsgrundlagen für indigene Völker in
den letzten zehn Jahren entscheidend verbes-
sert haben. Der entscheidende qualitative
Schritt war die Ratifizierung der ILO-Konven-
tion 169 durch die Länder. Damit waren die
22 Wenn das Öl nur sehr schwer aufzuarbeiten ist wie im Fall des Schweröls im Orinoco Becken, kann dieser Anteil auf 20% sinken. 23 In Venezuela wird für indigene Territorien der Begriff “Habitat“ gewählt, der in anderen lateiname-rikanischen Ländern eher unüblich ist.
Bodenschätze auf indigenem Land
114
Regierungen verpflichtet, die Vorgaben der
Konvention zum Konsultations- und Partizipa-
tionsrecht und das Recht auf Entschädigungen
bei allen Vorhaben, die indigenes Territorium
betreffen, in nationales Recht umzusetzen. Die
Länder haben in den letzten zwei bis drei Jah-
ren begonnen diese Vorgaben durch Gesetze
zu konkretisieren. Peru, Ecuador und Kolum-
bien haben bereits entsprechende Umset-
zungsbestimmungen erlassen.
Foto: Erdölfirma im Amazonasgebiet Ecuadors, Provinz Napo (S. REINHARDT)
Allerdings wird von indigener Seite die unzu-
reichende Information über geplante Vorhaben
und der fehlende Zugang zu den Entschei-
dungsebenen beklagt. Es fehlt nach wie vor an
klaren Regelungen für ein partizipatives, recht-
lich abgesichertes Monitoringsystem der Akti-
vitäten und über Mechanismen der Konfliktlö-
sung sowie der Kompensations- und Entschä-
digungszahlungen. In den Gesetzen zur Kon-
sultation sind Verträge oder andere Überein-
künfte zwischen Unternehmen, und Indigenen
oder Unternehmen, Staat und Indigenen nur
auf freiwilliger Ebene vorgesehen. Dies dient in
erster Linie den Unternehmen. Zu einer wirkli-
chen Partizipation, die auf dem Recht der Par-
tizipation auf der Entscheidungsebene basiert,
ist es noch ein weiter Weg. Es ist daher wich-
tig, die bestehenden Ansätze zur Partizipation
weiter zu entwickeln.
5. Ansätze der EZ
Der Extractive Industry Review Prozess der Weltbank
Aufgrund der massiven Kritik vieler NRO an
der Politik der Weltbankgruppe (WBG) bei
Erdöl-, Erdgas- und Bergbauvorhaben (extrak-
tive Industrie) und einer internen Evaluation,
leitete der Weltbankpräsident Wolfensohn
einen Prozess zur Revision der Weltbankpolitik
im Bergbau, Erdöl- und Erdgassektor ein. Der
Extractive Industry Review (EIR) wurde in ei-
nem zweijährigen Konsultationsprozess (2001-
2003), der Vertreter der Weltbankgruppe, der
Regierungen, der Industrie, der Gewerkschaf-
ten, Vertreter indigener Völker und Nichtregie-
rungsorganisationen einschloss, erstellt.
Das Ziel der EIR war die Untersuchung des
Weltbankengagements im Erdöl-, Erdgas- und
Bergbausektor, wobei die projektspezifischen
Bodenschätze auf indigenem Land
115
Investitionen und die länderbezogenen Kredit-
programme einbezogen wurden. Auf dieser
Grundlage sollten Empfehlungen für die Welt-
bankgruppe erarbeitet werden, um ihre Arbeit
in diesem Sektor mit dem Anspruch der Ar-
mutsminderung durch nachhaltige Entwicklung
in Übereinstimmung zu bringen.
Der Abschlussbericht beurteilt das bisherige
Engagement der Weltbank im extraktiven Sek-
tor sehr kritisch: Das Weltbankengagement hat
in diesem Sektor weder zur Armutsminderung
noch zur nachhaltigen Entwicklung bei-
getragen. Bereits zuvor hatte eine weltbankin-
terne Evaluation der Arbeit im extraktiven Be-
reich gravierende Probleme in der Integration
des extraktiven Sektors in die Armutsbekämp-
fung festgestellt. Der Abschlussbericht emp-
fiehlt daher der Weltbank, im Erdöl-, Erdgas-
und Bergbausektor “to promote pro-poor public
and corporate governance.“ Dabei sollte der
Schwerpunkt auf Transparenz, gute Regie-
rungsführung und nachhaltiger Regionalent-
wicklung liegen.24 Für die Weltbank und auch
gleichzeitig für die Geberländer ist der EIR
Prozess und der Abschlussbericht eine Her-
ausforderung, ihre Investitions- und Projektpo-
litik bei Erdöl- und Bergbauvorhaben grundle-
gend zu überdenken.
Interamerikanische Entwicklungsbank
Die Interamerikanische Entwicklungsbank
(IDB) hat eine eigene Kreditlinie in Anlehnung
an den EAP Prozess (siehe Kap.3.4) aufge-
legt. Mit diesen Krediten, die zu günstigen
Konditionen vergeben werden, sollen die Staa-
ten animiert werden, in die “Nachhaltigkeit“ von
Erdölaktivitäten zu investieren.
Außerdem fördert die IDB mit einem Kredit in
Höhe von 50 Mio. US $ den Aufbau von
AMAZON GAS. AMAZON GAS ist ein Unter-
nehmen der CONFENIAE, der Konföderation
der indigenen Organisation im ecuadoriani-
schen Amazonasbecken, die von Petroecua-
dor das Recht erhalten haben, das Erdgas,
das bei der Erdölproduktion anfällt, kommer-
24 Angesichts knapper Mittel wird der Weltbank im Abschlussbericht empfohlen, bis 2008 aus Investiti-onen im Bereich fossiler Energieträger auszusteigen und dafür in regenerative Energie zu investieren.
ziell zu nutzen. Die CONFENIAE wird dabei
von der kanadischen Entwicklungszusammen-
arbeit unterstützt, die auch die Kontakte zu
kanadischen indigenen Unternehmen herstell-
ten, die bereits über Erfahrungen im Gasge-
schäft verfügen. Das Unternehmen AMAZON
GAS war und ist innerhalb der Mitgliedsorgani-
sationen der CONFENIAE umstritten, so ha-
ben sich bereits mehrere indigene Föderatio-
nen gegen das Unternehmen ausgesprochen.
AMAZON GAS befindet sich noch im Aufbau,
so dass keine Aussagen über die ökonomi-
schen und sozialen Auswirkungen des Pro-
jektes gemacht werden können. Die
CONFENIAE erhofft sich von AMAZON GAS
die finanzielle Eigenständigkeit und Unabhän-
gigkeit von anderen Geldgebern. Ob diese
Hoffnung erfüllt wird, ist offen. Auf jeden Fall
wird AMAZON GAS große Auswirkungen auf
die Entwicklung und Politik der CONFENIAE
haben. Zum einen bricht AMAZON GAS mit
dem Schema, dass indigene Wirtschaftsunter-
nehmen entweder im Agrarsektor, im Kunst-
handwerk oder im Tourismus liegen müssen,
und das Vorhaben wird die CONFENIAE vor
große Managementaufgaben stellen. Scheitert
dieses Projekt wird die CONFENIAE hoch
verschuldet sein. Zum anderen kann vermutet
werden, dass der Einstieg in das Erdgasge-
schäft nicht ohne Auswirkungen auf die politi-
sche Haltung der CONFENIAE gegenüber der
Erdöl- und Erdgasförderung bleiben wird.
Ansätze der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit
Nicht-erneuerbare Ressourcen sind bisher
kaum Thema in der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit. Einige Projekte der deut-
schen EZ im Bereich Nutzung nicht-erneuerba-
rer Rohstoffe werden von der Bundesanstalt
für Geowissenschaften und Rohstoffe in Han-
nover durchgeführt und beziehen sich meist
auf die Verbesserung des Umweltmanage-
ments, so zum Beispiel das Projekt zur Einfüh-
rung der ISO 14001 (Umweltmanagement) im
Bergbausektor Perus.
Allerdings gibt es im Amazonasbecken meh-
rere interessante Projekte und Programme der
deutschen EZ im Bereich Konfliktprävention
Bodenschätze auf indigenem Land
116
und Unterstützung von Dialogansätzen (In-
WEnt, GTZ, DED). Die GTZ setzt an der Stär-
kung der indigenen Organisationen an und
fördert sowohl den Zusammenschluss der
indigenen Organisationen des Amazonasbe-
ckens COICA als auch die Organisationen der
Tieflandindianer Perus, vor allem AIDESEP (zu
Landrechten und Projekten zur Landdemarkie-
rung siehe RATHGEBER in diesem Band).
InWEnt unterstützt durch Capacity Building seit
1996 die indigenen Organisationen in Peru,
Ecuador, Bolivien, Venezuela und Kolumbien
sowie die COICA in ihren Dialog- und Ver-
handlungsprozessen mit dem Staat und der
Erdölindustrie. Im Rahmen des Erdöldialogs
“Energía, Ambiente, Población“ hat InWEnt ein
Training zum Dialog mit allen drei beteiligten
Interessengruppen durchgeführt.
6. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
In der Auseinandersetzung um die Nutzung
nicht-erneuerbarer natürlicher Ressourcen
steht das Verhältnis indigene Völker, Staat und
Unternehmen im Zentrum. Es sind vor allem
vier Themenkomplexe, die der Debatte und
Regelung bedürfen:
1. Konsultation und Partizipation vor, wäh-
rend und nach Beendigung der Förderakti-
vitäten von Bodenschätzen
2. Überwachung der Förderaktivitäten und
Einhaltung der Managementpläne, Ent-
wicklung von partizipativen Monitoring-
systemen
3. Faire Entschädigungs- und
Kompensationszahlungen
4. Die Entwicklung von wirtschaftlichen Alter-
nativen zu Erdöl-, Erdgas- und Bergbau-
projekten, die indigene Ansätze von Wirt-
schaft ernst nehmen und Ansätze für eine
nachhaltige Regionalentwicklung bieten.
Darüber hinaus geht die Forderung der Indige-
nen nach Selbstbestimmung ihrer Entwicklung
und das Recht, die Nutzung nicht-erneuerbarer
Rohstoffe auf ihren Territorien verweigern zu
dürfen. Dieses Recht wird ihnen in keiner Ver-
fassung zugestanden, da das postulierte nati-
onale Interesse den Interessen indigener Völ-
ker übergeordnet wird. Wollen indigene Völker
und ihre Organisationen die Förderung von
Erdöl oder Bergbau auf ihren Territorien ver-
hindern, bleibt ihnen nur die offene Auseinan-
dersetzung mit dem Staat und den Unterneh-
men, wie im Fall der U’wa25 in Kolumbien.
Für die vier oben genannten Themenkomplexe
haben sich in den letzten Jahren die rechtli-
chen Rahmenbedingungen verbessert. Die
indigenen Organisationen haben ihre Forde-
rungen an Staat und Unternehmen konkreti-
siert, die staatlichen Institutionen beginnen vor
Ort in den betroffenen Gebieten präsent zu
sein, und eine aktive Rolle in Dialog- und Ver-
handlungsprozessen zu spielen, und zumin-
dest einige Unternehmen stellen sich der De-
batte um ihre soziale Unternehmensverant-
wortung. Da sich aber Dialog- und Verhand-
lungsprozesse nach wie vor in einem Rahmen
bewegen, der vom Staat und den Unterneh-
men festgelegt wird, sind die indigenen Völker
eindeutig im Nachteil. Sie bestimmen nicht die
“Regeln des Spiels“.
Zur Verbesserung der Verhandlungsposition
und der Artikulation von Forderungen und Ge-
genvorschlägen im Bergbau- und Erdölsektor
gehört wesentlich die Stärkung der indigenen
Organisationen und die Ausbildung neuer Füh-
rungspersönlichkeiten. Die Entwicklungszu-
sammenarbeit kann durch Fortbildung über die
Rechte indigener Völker, über die Ökonomie
von Bergbau und Erdöl, die Ausbildung im
Monitoring von sozialen und Umweltschäden,
indigene Völker in ihren Dialog- und Verhand-
lungspositionen stärken.
Aber die Entwicklungszusammenarbeit sollte
sich nicht nur auf Qualifizierungsmaßnahmen
beschränken. Immer häufiger werden soge-
nannten Entwicklungsfonds für die regionale
Entwicklung von Gebieten, die von Erdöl- und
25 Die U’wa haben einerseits sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausge-schöpft andererseits offenen Widerstand gegen die Erdölförderung geleistet, bis hin zu der Drohung kollektiven Selbstmord zu begehen. Die Erdölfirma Occidental hat sich mittlerweile aus dem Vorhaben zurückgezogen und die Erdölarbeiten sind ausge-setzt. Eigentümer der Konzession ist jetzt Ecopetrol und es ist noch nicht entschieden, was langfristig passieren wird.
Bodenschätze auf indigenem Land
117
Bergbauaktivitäten betroffen sind, eingerichtet.
Hier könnte die EZ unterstützend in der Erar-
beitung von Konzepten für die Umsetzung und
Handhabung solcher Fonds und für eine nach-
haltige Regionalentwicklung tätig werden.
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www.eireview.org
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Karten zu Indigene und Erdöl im Amazonasbe-
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derwelten
Energy Information Administration der US Re-
gierung mit regelmäßig aktualisierten Länder-
daten: www.eia.doe.gov
Privater Informationsdienst Alexander’s Gas
and Oil Connections, Niederlande:
www.gasandoil.com
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
118
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
DR. MATTHIAS ABRAM
“Die Sprache ist die Stimme unserer Vorfahren seit dem Beginn der Zeit. Unsere Sprachen zu
bewahren, zu sichern und zu entwickeln ist äußerst dringend. Die Sprache ist Teil der Seele
unserer Nationen und unseres Seins. Sie ist der Weg in die Zukunft.“
Erklärung von Kimberly, Gipfel der indigenen Völker, Südafrika, August 2002 (Übersetzung
M. ABRAM).
In den letzten beiden Jahrzehnten haben nicht
nur die indigenen sondern auch die nicht-indi-
genen Lateinamerikaner verstanden, dass sie
in multilingualen und multikulturellen Gesell-
schaften leben: Diese Wirklichkeit wird nun
auch von den meisten Verfassungen aner-
kannt. Im täglichen Leben ist der Weg zu einer
mehrsprachigen, interkulturellen, demokrati-
schen Gesellschaft mit gleichen Rechten und
gleichen Chancen für alle aber noch weit. Ihr
Funktionieren und ihre Nützlichkeit werden in
zunehmendem Maße in ländlichen Zentren
und Vorstadtsiedlungen erprobt, überall dort,
wo Mestizen und indigene Bürger zusammen-
leben. Dabei wird allen Beteiligten deutlich,
dass der Aufbau dieser multikulturellen, demo-
kratischen Gesellschaft mit großen Schwierig-
keiten verbunden ist. Bildung allgemein und
insbesondere Schulbildung können einen
entscheidenden Beitrag dazu leisten.
Die indigenen Bürger Lateinamerikas gehören
überproportional zu den Armen: ein Grund
dafür ist unter anderem der geringere Zugang
zu Bildung und Ausbildung. Weil indigene Kin-
der und Jugendliche nur wenige Bildungsan-
gebote in der eigenen Sprache erhalten, kön-
nen sie von den bestehenden Schulen oft nur
unzureichend profitieren, sie brechen sie vor-
zeitig ab und haben nur geringe zusätzliche
Kompetenzen erworben.
“Alle stimmen überein, dass die wirksamste
Einzelmaßnahme für Entwicklung und Armuts-
bekämpfung die Bildung ist“ sagte Wolfensohn,
Präsident der Weltbank. Die von den UN
aufgestellten und bis 2015 zu erreichenden
acht Millennium Entwicklungsziele schließen
an zweiter Stelle “Grundbildung für alle“ ein:
bis zu diesem Jahr sollen alle Jungen und
Mädchen auf der Welt eine Primarschulbildung
vollständig abschließen können. In dem “Be-
richt über die menschliche Entwicklung 2003“
der Vereinten Nationen werden dazu drei
große Problemfelder benannt:
Unzureichende finanzielle Mittel: Die
Entwicklungsländer geben im Vergleich zu
den OECD Ländern wesentlich weniger für
Bildung aus. Das heißt in Prozenten des
Bruttosozialproduktes ausgedrückt: Gua-
temala ca. 2%, Ecuador 1,6% und Peru
3,3%; die EU verausgabt im Schnitt 5% für
Bildung. Auch die Hilfe der Geberländer im
Bildungsbereich ist in der letzten Dekade
um etwa 30% zurückgegangen und betrug
im Jahre 2000 4,1 Mrd. US$. Nur 1,5 Mrd.
waren weltweit für Grundbildung bestimmt
(UNDP, 2003:115).
Ungleichheit: Die Reichen in den Entwick-
lungsländern sichern sich den Zugang zu
den besten Erziehungseinrichtungen des
Staates und unterhalten ein paralleles pri-
vates, mit öffentlichen Mitteln subventio-
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
119
niertes Schulsystem. Die ärmsten 20% der
Bevölkerung haben einen unzureichenden
Zugang zur Grundschule. Signifikant weni-
ger Mädchen als Jungen können die
Grundschule besuchen. Länder, die annä-
hernd 100% Einschulung erreicht haben
(Chile, Kolumbien, Costa Rica), geben
durchschnittlich 1,7% des BIP für Grund-
bildung aus.
Ineffizienz: Der größte Teil der Mittel
(meist über 90%) des Erziehungshaus-
haltes wird für Lehrergehälter verausgabt.1
Für Investitionen in die Verbesserung der
Qualität des Unterrichts bleiben kaum Mit-
tel übrig. Die hohen Wiederholungsraten
verteuern das System. Kinder in ihrer ei-
genen Sprache zu unterrichten, verbessert
hingegen die Bildungsergebnisse weltweit
(Bericht über die menschliche Entwicklung
2003, UNDP, 2003).
Im Folgenden scheint es sinnvoll den gesam-
ten Komplex “Indigene Völker, Bildung und
Kultur“ in diesem Kapitel anhand der interkultu-
rellen, zweisprachigen Erziehung (IZE), an
deren Konzipierung und Verbreitung insbeson-
dere die deutsche Entwicklungszusammenar-
beit seit über 25 Jahren beteiligt ist, beispiel-
haft darzustellen.
Foto: Grundschule in Guatemala (A. BEGEMANN)
Es soll die Entstehung der IZE im Kontext der
formalen Bildung, zu der indigene Schü-
ler/innen und Student/innen Zugang hatten,
nachgezeichnet werden. Es wird auf die ver-
1 SCHIEFELBEIN weist nach, dass eine Erhöhung der Lehrergehälter keine Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts hat (SCHIEFELBEIN in: NAVARRO ET
AL., 2000:317ff)
schiedenen Modelle eingegangen und der
schwierige Dialog zwischen den indigenen Or-
ganisationen und den Staaten beleuchtet.
Vor dem Hintergrund der einsprachigen und
monokulturellen Ausbildungs- und Lernange-
bote werden Stärken und Schwächen des IZE
Modells aufgezeigt und aus den gewonnenen
Erfahrungen einige Empfehlungen abgeleitet.
1. Zugang der indigenen Völker Latein-amerikas zu Bildung und Ausbildung
In den ersten Jahrzehnten der Kolonialzeit
(etwa 1530 bis 1600), als die Kolonialverwal-
tungen noch auf die Kollaboration der indige-
nen Adeligen angewiesen waren, die als ein-
zige genaue Kenntnisse über die komplizierte
Verwaltung der besiegten Reiche der Azteken
und Inkas bewahrten, durften deren Kinder mit
den Kindern der Konquistadoren zur Schule
gehen. In einigen Hauptstädten wurden gar
eigene Schulen eingerichtet, so in Cuzco das
Colegio de Caziques und in Mexiko eine Art
höhere Schule für indigene Adelige, die bis ins
17. Jahrhundert hinein bestanden. Für die
große Mehrheit der indigenen Kinder aber gab
es unter kolonialen Bedingungen keinerlei
Zugang zu Schule und formaler Bildung. In den
Anden ist die öffentliche Schule erst mit der
Unabhängigkeit eingeführt worden, zunächst
meist nur für Jungen und nur in den Haupt-
städten und größeren Zentren; auf dem Lande
fand der einzige Unterricht als religiöse Unter-
weisung in den Pfarreien statt. Die wenigen
Mädchenschulen waren fest in der Hand
religiöser Frauenorden.
Den indigenen Jugendlichen blieb als Ersatz
für Schule und formale Bildung neben Kate-
chismus und Predigt anlässlich religiöser Feste
die Unterweisung durch ihre Gemeinschaft,
durch die Ältesten und durch besonders ange-
sehene Persönlichkeiten ihres Volkes.
Schon während der frühen Kolonialzeit hatten
sich die Mönche auf die moralische und religi-
öse Gewinnung der indigenen Gemeinschaften
konzentriert und zahlreiche Grammatiken,
Wörterbücher (Artes de la Lengua), aber vor
allem Beichtspiegel in den indigenen Sprachen
erstellt. Wenn die Predigten nicht in indigener
Sprache stattfanden, gab es immer einen Jun-
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
120
gen, der übersetzte. Die Sätze des Katechis-
mus, die 10 Gebote und andere Texte wurden
so lange in Spanisch wiederholt, bis sie von
allen auswendig wiederholt werden konnten.
Begabte Jungen wurden von Pfarrern zu
Schreibern ausgebildet, manche Missionsstati-
onen richteten Schulen ein. Die Quellen für
den Aufstand in den Zentralanden von 1780/
81 unter Führung von Túpac Amarú2, lassen
erkennen, dass nicht wenige der Anführer des
Lesens und Schreibens mächtig waren.
Einige Mönchsorden waren dabei demokrati-
scher als andere. Die Franziskaner hatten von
Beginn an (die ersten 12 Mönche kamen 1524
nach Mexiko) Wert darauf gelegt, die indige-
nen Gemeinschaften in ihrer eigenen Sprache
zu unterweisen. Bernardo de Sahagún hatte
um die Mitte des 16. Jahrhundert in Mexiko
eine Schreibakademie eingerichtet und begon-
nen, das gesamte Wissen des aztekischen
Reiches in einem zweisprachigen, illustrierten
Werk aufzuzeichnen (Codex Florentinus). Da-
für hat er die jungen Adeligen ausführlich un-
terrichtet und ethnologisch vorgebildet, damit
sie in der Lage waren, das Wissen ihrer Vor-
fahren zu erheben und zu erzählen.
In den Städten gab es zudem Ausbildungs-
möglichkeiten zum Handwerker und Kunst-
handwerker. In Mexiko, Guatemala, Quito,
Lima und Cuzco gab es blühende Malschulen
und Bildhauerwerkstätten, die den Bedarf für
Kirchen und Hauskapellen auf dem ganzen
Kontinent deckten. Viele dieser Künstler und
Kunsthandwerker waren indigener Herkunft.
Die Ausbildung erfolgte im Meister – Schüler
Verhältnis. Die meisten indigenen Kunsthand-
werker blieben anonym.
Im Amazonastiefland, außerhalb der ehemali-
gen großen indigenen Reiche, war (und ist
zum Teil bis heute) Schule und Ausbildung an
die Mission gebunden. Es waren die Missio-
nare, die vereinzelt Schulen einrichteten, wie
die Jesuiten in Maynas (Nord-Peru), in Para-
2 José Gabriel Condorcanqui, ein reicher Kaufmann adeliger indigener Abstammung, nahm den Namen des letzten Inka an und führte die Völker der Zent-ralanden in einem Aufstand gegen die spanische Kolonialverwaltung (Belagerung Cuzcos 1781). Er wurde verraten und in Cuzco hingerichtet.
guay und im bolivianischen Tiefland oder die
Franziskaner und Dominikaner in den Llanos
Kolumbiens. Im 20. Jahrhundert haben sich die
Missionsschulen allgemein eingebürgert; ge-
gen Mitte des vergangenen Jahrhunderts wur-
den die ersten Mittelschulen und Lehrerausbil-
dungsseminare eröffnet. Viele der praktischen
und arbeitsweltbezogenen Ausbildungsange-
bote sind den Salesianern zu verdanken, die
seit hundert Jahren in allen Ländern des Sub-
kontinents Berufsschulen unterhalten und eine
beachtliche Anzahl von Fachkräften ausgebil-
det haben, nicht zuletzt in graphischen Berufen
(Druckerei).
Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Ab-
schaffung der Sklaverei und nach den Massa-
kern der Kautschukbarone (Casa Arana im
Amazonas), kam im Zuge der zögernden
Industrialisierung allmählich die Nachfrage
nach qualifizierter Arbeitskraft auf. Diese
Nachfrage förderte die Eröffnung von Schulen
für die indigene Bevölkerung. Einige Regie-
rungen (unter García Moreno in Ecuador und
Balmaceda in Chile beispielsweise) riefen auch
Lehrerseminare für indigene Lehrkräfte ins
Leben, zunächst mit der Idee, die Kinder in
ihrer Muttersprache zu unterrichten.
Es setzten sich aber die “Fortschrittsgläubigen“
und “Modernisierer“ durch, die verlangten,
dass die indigenen Völker Spanisch lernen
sollten, um sich zu “zivilisieren“ und hierfür
ausschließlich in Spanisch zu unterrichten
seien. Diese Forderungen gewannen immer
mehr Anhänger und entwickelten sich inner-
halb der herrschenden sozialen Ausgrenzung
zum Kern der Politik der Mestizen gegenüber
den indigenen Völkern, bis weit in die zweite
Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein.
Die Skepsis und der Widerstand vieler indige-
ner Gemeinschaften und Organisationen ge-
genüber der staatlichen Schule sind bis heute
nicht vollständig ausgeräumt. Aber schon früh
im 20. Jahrhundert forderten viele indigene
Vertreter, Schulen auch in ihren Dörfern zu
eröffnen, da sie erkannt hatten, dass die
Schule ein möglicher Weg aus der Armut und
der Diskriminierung sein könnte. So gab es in
den 20er Jahren des vergangenen Jahrhun-
derts in den Anden Perus einen Aufstand zur
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
121
Verteidigung der von den Adventisten einge-
führten zweisprachigen Schulen und in Ecua-
dor und Guatemala noch in den 60er Jahren
auf dem Lande Mobilisierungen der indigenen
Bevölkerung, um Schulen für ihre Landge-
meinden zu erwirken.
Es gibt aber bis heute keinen Konsens dar-
über, ob die staatliche Grundschule, wie sie in
den meisten Ländern Lateinamerikas üblich ist,
der beste Weg für die indigenen Völker ist, Bil-
dung zu erwerben und gleichzeitig ihre Kultur
und Sprache zu bewahren und zu entwickeln.
Für diese Schule, insbesondere wenn sie in-
terkulturelle zweisprachige Erziehung (IZE)
anbietet, sprechen allerdings eine Reihe von
Gründen:
Die Elterngeneration sieht sich nicht mehr
in der Lage, die gesamte Tradition zu ver-
mitteln. Die Informationsmöglichkeiten sind
enorm gewachsen und die indigenen Kin-
der sind einer ganzen Reihe von Einflüs-
sen und Gesellschaftsmodellen ausge-
setzt, was früher so nicht der Fall war. Kin-
der und Jugendliche übernehmen die Tra-
dition nicht mehr en bloc und nicht hinter-
fragt. Die Schule kann in diesem Prozess
neben den Eltern und der Gemeinschaft
eine Rolle als Vermittlerin der Traditionen
spielen.
Die Schule bietet zudem die Möglichkeit,
die Überlieferungen zu bearbeiten und zu
erklären.
In der Schule ist die systematische Unter-
richtung in der indigenen Sprache möglich,
so dass sie nicht nur Umgangssprache
bleibt und sich der Schrift öffnet. Die
Verschriftlichung ist eine der Vorausset-
zungen für den Erhalt der indigenen Spra-
chen neben der dominanten Sprache.
Die Sprache hat eine grundlegende Be-
deutung in der Bewahrung und Vermittlung
der Kultur, der Weisheit, Kenntnisse und
Geschichte indigener Völker. Aber auch in
der Reproduktion dieses Wissens für die
neue Generation ist die indigene Sprache
unerlässlich. Der Verlust der Sprache be-
deutet auch einen Verlust von Wissen, von
Tradition und von Werten. Die Schule kann
zum Erhalt und zur Entwicklung der Kultur
und der Sprache beitragen.
Darüber hinaus bietet die Schule, insbe-
sondere die Grundschule mit IZE eine an-
gemessene Vermittlung von Grundtechni-
ken (Lesen, Schreiben, Rechnen) und In-
formationen über die Gesamtgesellschaft,
führt die Nationalsprache des Landes
(spanisch bzw. portugiesisch) ein. Sie ist
damit eine der wesentlichen Vorausset-
zungen für indigene Völker Ausgrenzung
und Diskriminierung zu überwinden.
Schließlich kann die Schule, vor allem
wenn sie interkulturell gestaltet ist, dazu
beitragen, Aufbauarbeit für die multikultu-
relle und multilinguale Gesellschaft zu leis-
ten.
2. Die Situation heute
Das Panorama ist positiver als noch vor 20
Jahren.3 Der Zugang zu Schule und Ausbil-
dung hat sich auch für indigene Jugendliche
sehr erweitert, allerdings bleibt ihre Bildungs-
beteiligung immer noch hinter der der Mestizen
zurück und ist in den Städten deutlich höher
als in ländlichen Regionen. IZE gibt es als
anerkannte Modalität der Grundbildung in allen
Ländern, wenn auch nicht flächendeckend und
nicht immer als integrierten Bestandteil des
Schulsystems. In seltenen Fällen funktioniert
die IZE als autonomes (Kolumbien) oder
paralleles System (Ecuador). Weiterführende
Schulen werden mehr und mehr als Folge der
Nachfrage der Abgänger/innen der Grundbil-
dung aufgebaut und in einzelnen Fällen führt
IZE bis zum Abitur.
Die berufliche Aus- und Weiterbildung für
indigene Fachkräfte mit speziell interkulturel-
lem oder zweisprachigem Curriculum ist noch
spärlich. Vereinzelt bieten indigene Organisati-
onen Lehrgänge an, oft in Zusammenarbeit mit
NRO. Im Auftrag des BMZ unterstützt die GTZ
in Quito einen Ausbildungsgang für die Hand-
habung ökologischer Ressourcen. In Ecuador,
3 http://topics.developmentgateway.org/ik bringt wöchentlich Nachrichten zu Bildung und Kultur der indigenen Völker Lateinamerikas. Unter anderem gibt es Nachrichten bei www.quechuanetwork.org und in den Websites der Weltbank und der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
122
Guatemala, Panama und Costa Rica gibt es
Angebote nonformaler Ausbildung für Fach-
kräfte im Öko-Tourismus in indigenen Territo-
rien, v.a. im Tiefland. Diese Art von Ausbildung
nimmt mit der Schaffung von Naturparks und
dem von indigenen Gemeinden aufgebauten
Ökotourismus zu. Innerhalb des Kunsthand-
werks haben vor allem NRO Frauengenossen-
schaften ins Leben gerufen, in denen auch
Ausbildung in Verwaltung, Vermarktung und
Geschäftsführung in indigenen Sprachen
stattfindet.
In einigen Ländern Mittel- und Südamerikas ist
die Sekundarschulbildung für indigene
Jugendliche noch oft in den Händen der Kirche
(Guatemala 72%). Es sind kirchliche Institute,
die in vielen Ländern Ausbildungsgänge für
indigene Mädchen (Haushaltsschulen, soziale
Berufe, Lehrerinnenausbildung) und Jungen
(Handwerk, Kunsthandwerk, technische Be-
rufe, Landwirtschaft) anbieten. Dadurch bleibt
der Einfluss der Kirche auf die indigenen Eliten
weiterhin groß. In Guatemala bestehen alter-
nativ dazu auch ca. 20 Sekundarschulen der
Mayaorganisation ACEM mit Bildungsange-
boten in IZE mit berufsorientiertem Abschluss,
vor allem in der Ausbildung von Primarschul-
lehrer/innen.
Ein weiteres Bildungsangebot, das sich schon
seit Jahrzehnten immer wieder an die ländliche
Bevölkerung und insbesondere an die indigene
Bevölkerung richtet, ist die Alphabetisierung
von Erwachsenen. Dabei wird zweisprachiges
Lernen besonders in der Alphabetisierung von
Bauersfrauen erprobt. In der Auseinanderset-
zung um die ursprünglich nur in spanisch
konzipierte Alphabetisierungskampagne der
Sandinisten an der Atlantikküste von Nicara-
gua, konnten sich die Misquitos 1981/ 82 mit
ihrer Forderung, in ihrer Sprache unterrichtet
zu werden, durchsetzen. Viele andere Alpha-
betisierungskampagnen hatten zweisprachige
Komponenten, so in Bolivien (SENALEP), in
Ecuador und in Guatemala. In diesem letzten
Land wurde 1999 mit Unterstützung von
CEPAL eine “Bialphabetisierung“ unter der
Mayabevölkerung erprobt. Diese Kampagnen
folgten in verschiedener Intensität den Lehren
des brasilianischen Befreiungspädagogen
Paolo Freire von einer emanzipatorischen
Bildung. Sie hatten oft eine praktische Seite
und versuchten, die Frauen (und die weniger
zahlreichen Männer) zur Bildung von Genos-
senschaften, Arbeitsgemeinschaften und
Zusammenschlüssen für produktive Unter-
nehmungen zu animieren. Wie in der Grund-
schule, ging man bei der eigentlichen Alpha-
betisierung zunächst von der Muttersprache
aus und präsentierte dann zu den bekannten
und zentralen indigenen Begriffen (“palabras
generadoras“) die Übersetzung ins Spanische
und das geschriebene Wort. Nicht alle Kam-
pagnen waren mit Erfolg gekrönt und die Kritik
an den massiven, oft generalstabsmäßig
organisierten Aktionen ist nicht ausgeblieben.
Vereinzelt hat es auch weniger spektakuläre
Alphabetisierungen in Selbsthilfeorganisation
gegeben, wobei die indigenen Organisationen
meist indigene Lehrer und Schüler verpflichte-
ten. Leider fehlt es an geeignetem Lesestoff für
Neuleser, insbesondere in indigenen Sprachen
und auf dem Lande, so dass erreichte Lerner-
folge nicht dauerhaft gesichert werden können.
Bis vor kurzem waren die überdurchschnittlich
hohen Schulabbrecherraten unter der ländli-
chen indigenen Bevölkerung in der gesamten
Region einer der Gründe, warum ein leicht zu
vermeidender, sekundärer Analphabetismus
nicht zurückging. Die Situation bessert sich in
den einzelnen Ländern unterschiedlich schnell
und ist abhängig von der noch unzureichenden
Qualität der Grundbildung.
Die Lehrerausbildung wird dort, wo IZE zum
Bestandteil des Bildungssystems geworden ist,
als zweisprachige und interkulturelle Vorbe-
reitung auf das Lehramt organisiert und immer
mehr universitäre Lehrgänge werden einge-
richtet, die mit diesem Schwerpunkt arbeiten.
So gab es beispielsweise 2003 in Brasilien 28
Kurse zur Lehrerfortbildung, in 15 Bundes-
staaten und in 20 verschiedenen indigenen
Sprachen.4 In den letzten Jahren entstanden
mehr und mehr Lehrerseminare mit dem Fokus
IZE, um den Bedarf an Lehrkräften für IZE zu
decken, insbesondere in Ländern mit einem
hohen Anteil indigener Völker und Sprecher
4 SUSANA GRILLO GUIMARAES, 4. Juni 2003, briefliche Mitteilung
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
123
indigener Sprachen, wie Bolivien, Ecuador und
Guatemala. Dabei werden vielfach die Fehler
der Vergangenheit korrigiert und dieser Ausbil-
dung ein zweisprachiges und interkulturelles
Curriculum zu Grunde gelegt. Allerdings sind
die Erfolge der Lehrerausbildung in IZE noch
nicht überzeugend. Hierin liegt eine wesentli-
che Ursache für die mangelnde Qualität der
Grundbildung.
In mehreren Ländern wird über Projekte zur
Schaffung von indigenen Universitäten5
beraten, so in Guatemala die Universidad
Maya und in Ecuador die Universidad In-
dígena, die bereits ihre Tätigkeit aufgenommen
hat. Der Fondo Indígena bereitet mit Unterstüt-
zung der Interamerikanischen Entwicklungs-
bank BID und der deutschen EZ eine interkul-
turelle Universität vor, die eine Vernetzung von
Universitätsinstituten innerhalb Lateinamerikas
mit spezieller Ausrichtung auf Themen, die für
indigene Völker relevant sind, zum Ziel hat.
Zusammenfassend kann festgehalten werden,
dass trotz der nicht völlig ausgeräumten Zwei-
fel und des Widerstands gegen die formelle
staatliche Schulbildung von Seiten indigener
Elterngemeinschaften, in vielen Ländern
Lateinamerikas die indigenen Organisationen
ihre Forderungen nach Bildung und Ausbildung
– in ihren Sprachen und ausgehend von ihren
Kulturen – über die Grundbildung hinaus
ausgedehnt haben. Die Grundbildung, ob
zweisprachig oder spanisch bzw. portugie-
sisch, ist in Lateinamerika im allgemeinen für
indigene Kinder und Jugendlichen zugänglich,
Versorgungsengpässe bestehen weiterhin in
ländlichen Regionen. Es stellt sich zunehmend
die Frage, wie die weitere Schulbildung ges-
taltet werden kann. Seitens der indigenen
Völker besteht die Nachfrage nach berufsvor-
bereitenden Ausbildungsgängen in der Sekun-
darstufe als Alternative zu den eher kopflasti-
gen Bildungsangeboten der weiterführenden
Schulen. In den letzten Jahren wenden sich
zunehmend Ausbildungen, Schulen, Fernstu-
dien, Universitätskurse und Akademien an
5 vgl. dazu den interessanten Aufsatz von Andrea Repetto über die Benachteiligung indigener Studen-ten: Access barriers for poor indigenous peoples in chilean higher Education, LCSHD papers, Weltbank, 2002.
indigene Schüler/innen und Student/innen. In
den meisten dieser Studiengänge spielt die
Herkunftssprache und -kultur eine nur unter-
geordnete Rolle. Indigene Organisationen
fordern nun verstärkt, auch auf den übrigen
Ausbildungsstufen den Jugendlichen eine
Bildung anzubieten, die auf ihren Kulturen und
ihrer Sprache basiert.
3. Frühere Politiken zum Thema “Bildungfür indigene Völker“
Im dritten und vierten Jahrzehnt des 20. Jahr-
hunderts machte sich in den Mestizen-
Gesellschaften Lateinamerikas die Überzeu-
gung breit, die Modernisierung der Gesell-
schaften und des Staates setze eine gewisse
Anzahl von Schuljahren voraus, um ganz
bestimmte, dem Fortschritt und der Entwick-
lung dienliche Kenntnisse, Verhaltens- und
Denkweisen einzuüben und zu verinnerlichen.
In den Ländern mit starker indigener Bevölke-
rung wurde die Schulferne der indigenen
Völker als Erklärung für deren “rückschrittliche“
Lage herangezogen. Länder wie Argentinien,
das sich 1900 als “frei von Indios“ erklärt hatte,
galten als Entwicklungsmodell.6
Die Allianz für den Fortschritt (1961) nahm
diese Vorstellungen in ihre Modernisierungs-
ideologie auf. Die Politik gegenüber den indi-
genen Völkern hieß nun “Integration“. Gemäß
diesem Modell sollten indigene Jugendliche
Grundbildung erhalten, als Arbeitskräfte in den
nationalen Entwicklungsprozess eingebunden
werden und somit mithelfen, den Fortschritt
herbeizuführen. Dafür war es unerlässlich,
dass sie ihre “atavistischen“ Bräuche und
Gepflogenheiten und ihre vielen Sprachen
aufgaben und sich in die Mestizen-Gesell-
schaft integrierten.
Vorläufer dieser Integrationspolitik waren die
Anstrengungen einiger Regierungen, wie der
unter Juan José Arévalo in Guatemala (1944
bis 1948), Paz Estenssoro in Bolivien nach der
6 Heute versucht Argentinien gegenüber den indige-nen Völkern im Norden (Missiones) und im Süden des Landes (Patagonien), die etwas mehr als 1% der Gesamtbevölkerung ausmachen, eine faire Politik zu verfolgen, was nicht immer gelingt. Es gibt eine eigene Direktion im Erziehungsministerium für “Etnoeducación“.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
124
Revolution (ab 1952) und Galo Plaza in Ecua-
dor (1948-52). Modernisierung bedeutete in
dieser Politik für die indigenen Völker, ihre
Identität aufzugeben, und sich einzureihen in
das Heer der armen Mestizen und billigen
Arbeitskräfte in den Städten. So ist es be-
zeichnend, dass im Auftrag der Allianz für den
Fortschritt nationale Initiativen (wie etwa Mi-
sión Andina in den Anden) die staatlichen
spanischsprachigen Schulen aufs Land brach-
ten und dafür sorgten, dass die indigenen
Kinder spanisch lernten. Die indigene Sprache
und Kultur sollten als veraltet erkannt und
aufgegeben werden, ihre Bedeutung im Lern-
prozess endete bei der Einführung der spani-
schen Sprache. Die Schule und der junge
Mestize als Lehrer sowie die spanische Spra-
che wurden somit zum Sinnbild des Zugangs
zur Gesamtgesellschaft, zu Fortschritt, Moder-
nisierung, Technik und Konsum.
Eine Institution, die diese Politik überall sinn-
fällig vorgeführt hat, ist die Sekte der “Wicliff
Bible Translaters“, auch Summer Institut for
Linguistics genannt (ILV). Ihre Missionare,
unterstützt durch etliche sicher wohlmeinende
und zum Teil auch kompetente Linguisten,
drangen in die entlegensten Winkel vor und
begannen, die Bibel in fast alle der in Latein-
amerika noch vorhandenen über 500 indige-
nen Sprachen zu übersetzen. Anschließend
wurden Schulen eingerichtet und Lehrersemi-
nare gegründet. Dabei organisierten die Lin-
guisten des ILV eine zweisprachige Schule,
benutzten ein phonetisches Alphabet und eine
ihnen eigene Methode des Spracherwerbs. Die
Schüler wurden im zweiten Jahr von ihrer
eigenen Sprache, in der sie alphabetisiert
worden waren, weg und dem Spanischen
zugeführt.
In mehreren Ländern beriet das ILV mit gro-
ßem Einfluss die Erziehungsministerien und
hatte in der Erziehung indigener Kinder in
entlegenen Urwaldgebieten praktisch ein
Monopol inne. In Lima und in Bogotá besetzte
es mit seinen Mitarbeitern ganze Stockwerke
in den Ministerien. Sein Einfluss ist immer
noch groß (z.B. in Peru). Das Modell, welches
das ILV verbreitete, wird als Übergangs-Zwei-
sprachigkeit (bilingüismo de transición, siehe
unten) bezeichnet.
Ein Merkmal der Beziehung zwischen den
Mestizen-Gesellschaften und den indigenen
Völkern in den Ländern Lateinamerikas war
bislang die auffallende Unkenntnis der Kultur
und der Sprache der jeweils anderen Seite.
Die indigenen Lateinamerikaner unternehmen
große Anstrengungen, um Spanisch zu erler-
nen und sich im “anderen“ mestizischen La-
teinamerika zurechtzufinden, nicht zuletzt, um
sich an den Institutionen und an der politischen
Machtausübung auf allen Ebenen zu beteili-
gen. Das Interesse der Mestizen an den indi-
genen Kulturen und Sprachen wächst nur sehr
langsam, selbst in Ländern, mit einer großen
bis mehrheitlich indigenen Bevölkerung. Vor-
urteile und Rassismus sind noch immer weit
verbreitet. Um eine in Frieden miteinander
lebende Gesellschaft aufzubauen, kann eine
interkulturelle Schule bei den Jugendlichen
den Weg bereiten helfen.
4. Forderungen und Vorstellungen der indigenen Völker
Im 20. Jahrhundert fand ein Bewusstseins- und
Organisierungsprozess der indigenen Völker in
allen Ländern Lateinamerikas statt (siehe auch
STRÖBELE-GREGOR in diesem Band). Von den
Aufständen in Peru in den 1920er Jahren bis
zu dem Friedensschluss zwischen der Regie-
rung und der Guerilla in Guatemala (1996) und
dem Aufstand der CONAIE (Confederación de
Nacionalidades Indígenas del Ecuador) im
Februar 2002 in Ecuador gab es einen langen
Weg von Widerstand, politischer Einfluss-
nahme und Präzisierung verschiedener indige-
ner politischer und sozialer Programme. Dabei
wird ab Mitte des Jahrhunderts ein ausdrückli-
ches Interesse an Bildung und Ausbildung
deutlich, das sich zum ersten Mal in Peru als
Forderung nach zweisprachiger Erziehung
ausdrückt und seit den 1980er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts in den Forderungs-
katalogen fast aller indigenen Organisationen
wiederkehrt. Im Folgenden sollen einige Bei-
spiele diese Entwicklung belegen.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
125
Die Forderungen des ersten Aufstands von 1990 in Ecuador
Der Aufstand des Inti Raimi (Sommersonn-
wendfest) 1990 hatte die ecuadorianische
Mestizen-Gesellschaft überrascht. Die indige-
nen Völker aus dem Hoch- und Tiefland hatten
mehrere Tage lang das gesamte Land blo-
ckiert und eine Liste von 16 Punkten vorgelegt,
die u.a. Forderungen nach Land und Landre-
form enthielten, nach Durchführung von Infra-
strukturmaßnahmen, nach Steuernachlass für
ländliche Betriebe sowie die Forderung nach
Mitteln und Stellen, um die IZE als paralleles
indigenes Bildungssystem in den Provinzen zu
organisieren.
Der darauf folgende Erste Kontinentale Kon-
gress Indigener Völker (1990) betont in Para-
graph 3 in seiner Erklärung von Quito: “Wir
unterstreichen die Entscheidung, unsere
Kultur, Erziehung und Religion als grundle-
gende Basis unserer Identität als Völker zu
verteidigen...“.
Die ecuadorianische Verfassung von 1998 hat
viele dieser von den indigenen Organisationen
formulierten und von ihnen auf der verfas-
sungsgebenden Versammlung vorgetragenen
Forderungen aufgenommen und sowohl zu-
sammenfassend in Artikel 84 wie auch einzeln
in zahlreichen anderen Artikeln festgeschrie-
ben. Artikel 84, Absatz 11 stellt fest: “Die
indigenen Völker verfügen über ein eigenes
interkulturelles und zweisprachiges Bildungs-
system.“
Der Friedensvertrag von Guatemala
Schon seit der Gründung der Akademie der
Maya Sprachen (1990) besteht die Forderung
nach einem eigenen Schulsystem in den 22
Maya Sprachen und organisiert nach den
Werten und der Weltanschauung (Cosmovi-
sión) der Maya Kultur. Diese Idee wird im
Abkommen “Rechte und Identität der Indige-
nen Völker“ (Kapitel 3 des Friedensvertrages)
aufgenommen und als ein Recht der Maya
Bevölkerung festgeschrieben. Der Maya Rat
für Erziehung (CNEM) wird beauftragt, ein
solches System vorzubereiten. Das Ministe-
rium für Erziehung soll den Maya bei dieser
Aufgabe behilflich sein, die zweisprachige
Lehrerausbildung organisieren und die Curri-
culumreform auf gesamtstaatlicher Ebene
vorbereiten. Für das gesamte System ist eine
interkulturelle Erziehung vorgesehen, die
versucht, Inhalte der Maya Kultur in die mesti-
zischen Schulen zu bringen, um die verschie-
denen Bevölkerungsgruppen einander anzu-
nähern. Diese interkulturelle Erziehung wird
ausdrücklich als Erziehung für den Frieden
verstanden.
In einzelnen Artikeln wird auf die Spiritualität
der Maya eingegangen, auf die Gültigkeit ihres
Gewohnheitsrechtes, auf die Anerkennung
ihrer traditionellen Führungsstrukturen, auf den
kollektiven Landbesitz und auf ihr Recht, die
Verwaltung der heiligen Stätten mit dem Staat
zu teilen. Auch wird von einer zukünftigen
Maya Universität gesprochen.
Die Erziehungsreform hat ab 1999 die IZE
landesweit in allen von Maya besuchten Schu-
len gestattet, eine flächendeckende Umset-
zung ist noch lange nicht erreicht. Der Maya
Rat verfolgt die Einhaltung der Vereinbarungen
von 1996, hat aber gegenüber dem Bildungs-
ministerium nur eingeschränkte Möglichkeiten.
Die Praxis der selbstorganisierten Schulen
In vielen Ländern haben indigene Organisatio-
nen und zum Teil auch einzelne Gemeinden
selbst Schulen geschaffen. Die Modelle sind
sehr unterschiedlich, ebenso ihr Erfolg. Es
handelt sich um arme Schulen, die oft mit dem
an sich schon bescheidenen Standard der
staatlichen Landschulen nicht mithalten kön-
nen. Das Curriculum besteht im wesentlichen
im Alphabetisierungsprozess, erweitert um das
Erlernen der vier Grundrechnungsarten. Dazu
wurde versucht, die Kinder auf das Leben in
der Gemeinschaft vorzubereiten. Dort, wo
NRO oder religiöse Organisationen unterstüt-
zend eingriffen, war der Lernerfolg größer, weil
die Lehrer fortgebildet und Lehr- und Lernma-
terialien in den indigenen Sprachen bereitge-
stellt werden konnten. Es gibt in Kolumbien,
Guatemala und Bolivien einige Beispiele von
erfolgreichen autonomen Schulen, die zur
Entwicklung der indigenen Gemeinden beige-
tragen haben.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
126
“Wir werden uns einsetzen, um die öffentlichenund privaten Bildungssysteme zu verändern,auf das sie die kulturelle Vielfalt eines jedenLandes anerkennen und unterrichten. DieCurricula müssen überarbeitet werden, diegeschichtliche Wahrheit muss anerkannt (...)und unsere Sprachen müssen eingeführtwerden.“
Aktionsplan der indigenen Völker, Johannes-burg, September 2002
Zu Lehrkräften bestanden und bestehen in den
indigenen Gemeinden bis heute mehrere
Positionen:
Eine Position bevorzugt auf der Grundlage
der Ablehnung von Staatsschulen als ak-
kulturierend Lehrkräfte aus ihren eigenen
Reihen (Promotorenmodell). Diese Lehr-
kräfte sind Gemeindemitglieder, die über
anerkannte Kenntnisse verfügen und ge-
eignet scheinen, die Kinder zu unterrich-
ten. Oft werden sie von NRO fortgebildet.
Die andere Position bevorzugt junge
indigene Lehrer, die allerdings auf den
Lehrerseminaren des Staates in spanisch
und mit einem Curriculum ausgebildet
worden sind, das die indigene Kultur und
Sprache nicht berücksichtigt. Doch haben
diese jungen Lehrer den Vorteil, den Un-
terricht so organisieren zu können, wie die
Eltern dies in den Staatsschulen beo-
bachten; dazu gehört vor allem der Unter-
richt des Spanischen. Zudem können auch
sie, wenn sie aus der Region stammen,
zwar oft mit anfänglichen Schwierigkeiten,
in der indigenen Sprache unterrichten.
Eine dritte Position, die weniger unter den
Organisationen als unter der Elternschaft
verbreitet ist, besteht auf einem Unterricht
ausschließlich in Spanisch, um für ihre
Kinder den Übergang in die Gesamtgesell-
schaft zu erleichtern, und ihre Ausgren-
zung zu verringern. Hierfür werden Mesti-
zen als Lehrkräfte bevorzugt.
Bezüglich der ersten Gruppe haben die Erfah-
rungen gelehrt, dass das Promotoren-Modell
den steigenden Anforderungen beispielsweise
für einen Wechsel an weiterführende Schulen
nicht gerecht wird. So forderten im Jahre 2003
auch die Paez in Kolumbien für ihre Schulen
staatlich besoldete, indigene Lehrer unter
Aufsicht der Organisation.
Die mit der zweiten Gruppe bisher gemachten
Erfahrungen sind gespalten. Viele dieser
jungen Lehrer trugen zur Öffnung der Gemein-
den, zum Einlass der spanischen Sprache und
zu einer Entwicklung bei, die zu einer Minde-
rung des Prestiges der indigenen Sprache und
Kultur bei den Jugendlichen geführt hat.
Bei aktiver Aufsicht und Mitarbeit der indigenen
Organisationen konnten andere Ergebnisse
erzielt werden. So in den Schulen der Paez im
Cauca, Kolumbien; in einigen Maya Schulen in
Guatemala; in den Gemeindeschulen in Coto-
paxi, Ecuador und in einigen Schulen in indi-
gener Selbstverwaltung der Mapuche in Chile.
Die Mehrheit der Schulen für indigene Kinder
entspricht noch immer der dritten Position,
auch wenn diese nicht von allen betroffenen
Dorfgemeinschaften und Stadtteilen geteilt
wird. Diese Verteilung zeigt die noch immer
nicht ausreichende Versorgung mit einem
Angebot an IZE in den Schulen.
5. Ansätze der Entwicklungszusammen-arbeit
Die zweisprachige Erziehung, wie sie von den
indigenen Organisationen gefordert wird, hat in
den letzten zwei Jahrzehnten auch unter den
indigenen Gemeinden und in den Bildungsmi-
nisterien mehr Anhänger gewonnen. Erst in
jüngster Zeit hat sich auch die Interkulturalität
in diesem neuen Schulmodell herausgebildet.
Die Schüler sollten nicht nur in zwei Sprachen
beheimatet sein, sondern das Curriculum sollte
aus den beiden Kulturen, der herrschenden
gesamtgesellschaftlichen und der indigenen
heraus gedacht und entwickelt werden. Spra-
che und Kultur sollten erhalten und, wo not-
wendig und möglich, auch entwickelt werden.
Ziel ist einerseits die Verbesserung der Be-
rufschancen der Schüler und Studierenden
und eine bessere Ausgangsposition auf dem
Arbeitsmarkt, andererseits aber nach wie vor
die Festigung der eigenen Identität und das
Erlernen und Verinnerlichen der eigenen Her-
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
127
kunftskultur im Kontext und in der Auseinan-
dersetzung mit der herrschenden Kultur.
Seit Mitte der 1990er Jahre wurde die Diskus-
sion erneut erweitert und in etlichen Ländern
Interkulturalität als Strukturelement schulischer
Bildung für alle Kinder einer multiethnischen
Gesellschaft, d.h. auch für die nicht indigenen
Schüler/innen eingeführt und gesetzlich veran-
kert, vielleicht am sichtbarsten in der Bildungs-
reform in Bolivien. Dahinter steht die Anerken-
nung der verschiedenen Kulturen in einer
Gesellschaft und in einem Nationalstaat als
Potential und Bereicherung. Damit wird eine
weitere Bedeutungsebene der IZE deutlich,
nämlich der Beitrag, den Schule und Bildung
zum Aufbau offener, multikultureller Gesell-
schaften leisten können. Eine besondere
Bedeutung gewinnt diese Dimension in ehe-
maligen Bürgerkriegsländern, wie Nicaragua
und Guatemala.
Die Entwicklungszusammenarbeit, insbeson-
dere die deutsche EZ hat zur Entwicklung
zweisprachiger interkultureller Schulmodelle in
Lateinamerika entscheidend beigetragen.
Das Modell Puno (Peru)
In Puno wurde seit 1975 vom peruanischen
Erziehungsministerium mit Unterstützung der
deutschen EZ ein zweisprachiges Grund-
schulmodell für Spanisch-Quechua und Spa-
nisch-Aymara entwickelt. In seinen 20 Jahren
hat dieses Projekt eine Vorreiterrolle einge-
nommen und Produkte hervorgebracht, die in
anderen Projekten in Lateinamerika übernom-
men wurden und andere Modelle inspiriert
haben.
Wichtig und beispielhaft war die Erarbeitung
von Lehr- und Lernmaterialien für sämtliche
Fächer und für die sechs Grundschuljahre.
Dabei spielte die schulgerechte Aufbereitung
der Forschungsergebnisse über die Inhalte der
beiden andinen Hauptkulturen eine große
Rolle. So gab es Handbücher zur Aymara
Mathematik, zur andinen Naturwissenschaft
und Lesestoff, Legenden, Erzählungen und
Sagen in den drei Sprachen. Für die Vermitt-
lung von Spanisch als Zweitsprache für indi-
gene Kinder wurde eine eigene Methodik
entwickelt.
Neue Fachdidaktiken wurden eingeführt und
Lehrer zweisprachig weitergebildet. Aus dieser
Ausbildung entwickelte sich dann ein Postgra-
duiertenstudium an der Universität in Puno, in
dem sich dank eines international zugängli-
chen Stipendiensystems zahlreiche Fachkräfte
der IZE aus Bolivien und Ecuador qualifiziert
haben.
Ansätze in Ecuador, Guatemala, Bolivien
Das Projekt Educación Bilingüe Intercultural
(Ministerio de Educación – GTZ) hat 1985 in
den zentralen Hochlandprovinzen in Ecuador
mit 75 Versuchsschulen angefangen. Jährlich
wurden die Materialien und das Curriculum
fortgeschrieben, zur Erstellung der Textbücher
und Lehrerhandreichungen kam die Lehrer-
fortbildung, die handwerkliche Produktion von
konkretem Lehr- und Lernmaterial, die For-
schungsarbeit und die Herausgabe von
Grammatiken und Wörterbüchern in kichwa7,
sowie die Edition einer 13-bändigen Reihe zu
Pädagogik, Schulgeschichte, Didaktik etc.
hinzu (vgl. ABRAM, 1991; KÜPER-VALIENTE,
1993). Das Vorhaben entwickelte sich weiter
zur Unterstützung des seit 1989 etablierten
parallelen IZE Bildungssystems und wurde
2000 abgeschlossen.
In Guatemala begann das Proyecto de Edu-
cacion Maya Bilingue Intercultural (MEC-
GTZ), im Jahre 1995, mit einem Einstieg über
die Lehrerausbildung in fünf Maya Lehrersemi-
naren. Versuchsschulen und eine Gruppe von
weiteren 25 privaten Lehrerseminaren (ACEM)
wurden ebenfalls in dem Vorhaben gefördert.
Materialien für die zweisprachige Lehrerausbil-
dung und ein Curriculum für die IZE Leh-
rerausbildung wurden in Zusammenarbeit mit
mehreren Universitäten erarbeitet. Das Curri-
culum wurde an verschiedenen Instituten
erprobt und als Grundlage für die gesamte IZE
Lehrerausbildung des Landes befristet über-
nommen.
7 Die Sprache der Inkas, die sie selbst als runashimi (Sprache der Menschen) bezeichnet haben, wird in Peru Quechua genannt. Die regionale Variante in Ecuador bedient sich nur der drei Vokale a i und u und wird folglich als Quichua (in der neuen Schreibweise: kichwa) bezeichnet.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
128
In Bolivien unterstützte die deutsche EZ die
Bildungsreform durch ein Projekt zur IZE
Lehrerausbildung. Die Reform ist unter den
letzten beiden Regierungen nicht zügig fort-
geführt worden. Grundlagen (Methoden, Texte
und die Qualifizierung von Ausbildern) für die
grundständige Ausbildung von Lehrkräften in
IZE für Quechua und Aymara wurden in vier
Ausbildungszentren erprobt und bei Beendi-
gung des Projektes 2004 dem bolivianischen
Bildungssystem übergeben.
Kurze Charakterisierung des von der deutschen TZ geförderten IZE Modells
Die Projekte wurden in einer Dreiecksstruktur
zwischen Erziehungsministerien, indigenen
Organisationen und der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit organisiert. Absicht war
dabei, sowohl in den Ministerialbürokratien wie
in den indigenen Organisationen Fachpersonal
auszubilden.
Das im Rahmen der o.g. Projekte entwickelte
Modell wendet sich vor allem an indigene
Kinder und Jugendliche. Es besteht in einer
IZE Grundbildung, in der der Unterricht und
das Lernen in den beiden Sprachen und den
beiden Kulturen zu einer koordinierten sprach-
lich-kulturellen Kompetenz der Schüler führt,
ihre Identität und Selbstachtung stärkt, ihr
Lernen fördert und sie befähigt, im interkultu-
rellen Dialog mit Jugendlichen anderer Kultu-
ren und Sprachen ihre Berufschancen und
Lebensbedingungen zu verbessern.
Dazu werden die Kinder in ihrer eigenen
Muttersprache alphabetisiert und erlernen das
Spanische (Portugiesische) als Zweitsprache,
zunächst mündlich, dann, ab der zweiten
Klasse, auch schriftlich. Ab der dritten und bis
zur sechsten Klasse werden die einzelnen
Fächer in beiden Sprachen unterrichtet. Die
Inhalte der indigenen Kultur sind systematisch
im Curriculum verankert. Das IZE Modell ist
ohne pädagogische Reform nicht denkbar, es
ist kindzentriert und nutzt aktive Methoden des
entdeckenden Lernens. Das Curriculum soll
möglichst praktisch ausgerichtet werden
(Schule und Arbeit, Schulprojekte, berufliche
Hinführung usw.).
Die wissenschaftliche Begleitung durch Fach-
institute und Universitäten findet vor allem im
Bereich der Evaluierung statt, um die Erfolge
der Schüler zu messen.
Andere Modelle
a) Zweisprachige Übergangserziehung (Bilin-
güismo de transición): Dies war das Modell der
fünfziger und sechziger Jahre, vor allem vom
ILV und anderen Missionen, z.T. auch von
Staaten (Guatemala) favorisiert. Die Sprache
der Kinder wird zur Alphabetisierung benutzt,
um dann umso schneller und effektiver zur
dominanten Sprache überzuleiten, und die
Kinder “der Zivilisation zuzuführen“. Dabei wird
die Herkunftskultur abgewertet. In den Län-
dern, in denen die Einführung von IZE grund-
sätzlich auf erheblichen Widerstand in der
Bildungsverwaltung stößt, wird auch weiterhin
dieses Modell als Minimalkonsens umgesetzt.
b) Zweisprachige Erziehung: In diesem Modell
werden die beiden Sprachen benutzt, meist
auch bis zum Ende der Grundbildung. Das
Curriculum ist aber das allgemeine und die
Herkunftskultur der Kinder spielt keine beson-
dere Rolle. Die Texte und Übungen sind fast
immer Übersetzungen aus der dominanten
Sprache in die Muttersprache, die somit nicht
als Trägerin und Vermittlerin eigener, kulturell
diverser Inhalte auftritt. Die andere Kultur ist
also nicht gegenwärtig. Auch dieses Modell
findet als Minimalkonsens Anwendung, u.a.
weil es auf der Grundlage einfacher sprachli-
cher Übersetzungen von Curricula und Schul-
büchern funktioniert und somit kostengünstiger
ist als das Modell der IZE.
c) Die indigene oder endogene Erziehung: Es
ist die Schule für indigene Kinder, von den
Dörfern, Gemeinden und indigenen Organisa-
tionen eingerichtet und geführt. Dieses Modell
hat viele Namen und mehrere Varianten. Die
Ältesten und die Führer spielen eine große
Rolle in der Weitergabe des Wissens und der
Kenntnisse der Kultur. Spiritualität und Tradi-
tion sind zentrale Themen. Große Anstrengun-
gen werden unternommen, um das traditionelle
Wissen zu erforschen und curricular zu ver-
mitteln. Oft werden diese Schulen im Gegen-
satz zur akkulturierenden, mestizischen
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
129
Staatsschule gegründet und mit viel Eigeniniti-
ative am Leben erhalten. Die Lehrer sind meist
pädagogisch befähigte Gemeindemitglieder,
die über ein gewisses Wissen verfügen und oft
durch NRO oder indigene Organisationen
fortgebildet werden. Dieses Modell hat eine
entscheidende Rolle in dem Prozess der
indigenen Völker gespielt, sich gegenüber den
Mehrheitsgesellschaften zu positionieren
(Guatemala, Brasilien, Warisata in Bolivien in
den 1950er Jahren, usw.) und ist heute weiter-
hin u.a. bei verschiedenen Völkern in Kolum-
bien, bei einzelnen Amazonasvölkern, Maya
und Guarani von Bedeutung. Der Gedanke der
“autonomen Schule“ wird auch in den Bil-
dungssystemen anderer Länder diskutiert. So
übernehmen in Ecuador die indigenen Völker
die Verantwortung für die staatliche Schule in
ihren Territorien.
6. Lessons learned
Die IZE hat Erfolge aufzuweisen, die die Be-
hauptung erlauben, dass sie ein besseres
Modell darstellt als die einsprachige monokul-
turelle Land- oder Vorstadtschule für indigene
Kinder (KÜPER & LOPEZ, 2002; ROCKWELL,
1989; MOYA, 1996).
Die zentralen Erfolge der IZE sind die Stärkung
der kulturellen Identität der Schüler/innen,
bessere Lernleistungen und mehr Chancen für
Mädchen.8
Die Verwendung der Muttersprache als Unter-
richtssprache führt zu höheren Kompetenzen
im Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften
und in der Zweitsprache (CUMMINS, 2000;
BERGMANN, 1999). Insbesondere in Fächern
mit hohem Verbalisierungsgrad wie Sprache
und Mathematik führt IZE zu besseren Leis-
tungen (ROCKWELL, 1989).
Die IZE Schulen lassen eine Tendenz erken-
nen, die klassischen Differenzen zwischen
Mädchen und Jungen bezüglich Einschulung,
Wiederholung und Schulabbruch zu verringern:
auch Mädchen, die traditionellerweise mit
weniger Spanischkenntnissen als Jungen in
die Schule kommen, lernen mit IZE länger und
erfolgreicher.
8 Vgl. KÜPER & LOPEZ (2002)
Defizite bestehen in Methoden und Materialien.
Bislang konzentrieren sich die methodischen
Ansätze auf Schüler/innen mit bei Schuleintritt
guten mündlichen Kenntnissen in der indige-
nen und geringen oder keinen Kenntnissen in
der nationalen Sprache. Mit Kindern, die mit
der dominanten Sprache aufwachsen und die
indigene Sprache als Zweitsprache erwerben,
gibt es noch wenige Erfahrungen. Ebenso
wenig bestehen Modelle für IZE in Schulklas-
sen mit mehr als zwei Sprachen, beispiels-
weise in Vorstadtschulen und mit heterogenen
Sprachkenntnissen innerhalb einer Gruppe.
Die Rolle der Indigenen Organisationen
Der Unterricht in der Muttersprache ist noch
nicht selbstverständlicher Teil der allgemeinen
Bildungspolitik in Lateinamerika. Zwischen
dem Fehlen einer geeigneten Sprachpolitik von
Seiten der Regierungen und dem Widerstand
vieler Eltern versuchen die indigenen Organi-
sationen ihre eigene Politik zur Verbreitung
und flächendeckenden Anwendung der IZE
voranzutreiben. Es hat sich sehr schnell her-
ausgestellt, dass IZE Programme und Projekte
ohne die Mitarbeit und Zusammenarbeit mit
den maßgeblichen indigenen Organisationen
nicht funktionieren. Die indigenen Völker
haben ihre eigenen Autoritäten, deren aktive
Beteiligung an IZE von großer Bedeutung ist.
So ist die gesamte Umfeldarbeit am besten
von den indigenen Organisationen zu leisten.
Die zeitlichen Rhythmen der Entwicklungspro-
jekte und der indigenen Organisationen stim-
men nicht überein. Indigene Organisationen
benötigen mehr Zeit für Konsensbildung. Bei
genauerem Eingehen auf die jeweiligen Bedin-
gungen und bei partnerschaftlichem Planen
erweist sich, dass Nachhaltigkeit in Regionen
mit indigener Bevölkerung nur durch die Zu-
sammenarbeit mit ihren Organisationen er-
reicht werden kann. Dies gilt nicht nur für
Bildungsvorhaben, hier aber in besonderer
Weise, da IZE sowohl in die Bildungsadminist-
ration als auch in die Elternschaft vermittelt
werden muss.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
130
Foto: Schule in Guatemala (A. BEGEMANN)
Die Elternarbeit
IZE fördert die Teilnahme der Gemeinschaft
und versetzt die Schule als den Ort intergene-
rationellen Lernens in deren Mittelpunkt. Die
Arbeit mit der Gemeinde und mit den Eltern ist
in der IZE eine wichtige Voraussetzung des
Erfolgs. Der Lernprozess wird somit zu einem
sozialen Ereignis und die Eltern lernen mit.
Dies gilt insbesondere in ländlichen Regionen:
Die Schule wird zu einer dorfeigenen Institution
und kann weitere Funktionen übernehmen, wie
Alphabetisierung der Erwachsenen, Weiterbil-
dung, Initiation von Projekten im Kunsthand-
werk, in der Landwirtschaft, in der Aufzucht
von Kleintieren usw.
Notwendige Aus- und Weiterbildung
Eine große Herausforderung an EZ-Projekte ist
die Heranbildung, Ausbildung und Fortbildung
indigener Führungskräfte und Fachkräfte.
Diese sollen in die Lage versetzt werden, alle
Aspekte einer Bildungsreform selbst in die
Hand zu nehmen. Erst in den letzten Jahren
gibt es vereinzelt auch indigene Funktionäre in
den Ministerien und indigene Mitarbeiter/innen
in verantwortlichen Positionen in den Projek-
ten.
Lesestoff in indigener Sprache
Damit Lesen und Schreiben in indigenen
Sprachen als sinnvoll erfahren wird, brauchen
die Neuleser Lesestoff. Bisher fehlen Texte
und geeignetes Lesematerial in den indigenen
Sprachen für die höheren Klassen, für die
Sekundarstufe sowie für die Freizeit. Literatur
in indigenen Sprache muss gefördert werden.
Ob es sich um das bereits traditionelle Sam-
meln von Legenden, Sagen und Erzählungen
handelt, um literarische Texte oder um die
Edition von alten Texten, all dies belebt die
Sprache und eröffnet die Möglichkeit, in der
eigenen Sprache zu lesen. Auch das vielfältige
Wissen indigener Völker, das vor allem für die
Nutzung in Schulen noch systematisiert wer-
den muss, kann in indigenen Sprachen vorge-
legt werden.
Daneben muss das Schreiben in den indige-
nen Sprachen allgemein gefördert werden, an
Zeitschriften ist zu denken, und vielleicht auch
an Zeitungen. Seminare zum Schreiben, die an
allen Universitäten für das Spanische ab-
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
131
gehalten werden und sich eines großen Inte-
resses erfreuen, können auch für indigene
Sprachen eingeführt werden.
Erforschung und Adaptation kultureige-ner Lern- und Lehrweisen
Bislang ist es nicht gelungen, Elemente einer
kulturgebundenen Pädagogik in die Modelle für
IZE einzubauen. Meist bleibt es bei den spora-
dischen Auftritten von Ältesten und Weisen.
Kultureigene Formen der Wissensvermittlung
sind oft unbekannt. Jede Kultur besitzt eine ihr
eigene Methode, Tradition, Wissen, Weisheit
und Kenntnisse an die nächstfolgende Gene-
ration weiterzugeben und zu erreichen, dass
diese die Tradition übernimmt und die in ihr
enthaltenen Werte als die eigenen akzeptiert.
Dies erfolgt in einem dialektischen Prozess
von Annahme, Anpassung und Neuerfindung.
Diese Methoden sollten erforscht und als
pädagogische Ansätze für das Curriculum der
IZE weiterentwickelt und umgesetzt werden.
Sprachenpolitik
Ohne eine Sprachenpolitik, die den Gebrauch
der beiden Sprachen auf alle Dimensionen des
Lebens ausdehnt (soziale Zweisprachigkeit),
ist die IZE mittelfristig zum Scheitern verurteilt.
Wenn die herrschende Kultur und Sprache alle
Bereiche des öffentlichen Lebens besetzt und
die indigene Sprache auf die Familie und das
häusliche Leben zurückgedrängt wird, selbst in
mehrheitlich von indigenen Bürgern bewohnten
Dörfern oder Stadtvierteln, kann keine Wieder-
belebung der Sprache und keine Angleichung
an das Prestige der dominanten Sprache
stattfinden. Die Kinder und ihre Eltern merken
schnell, ob das bewusste Sich-Aneignen der
eigenen Kultur und Sprache außerhalb der
Schule Bedeutung hat und Prestigegewinn
einbringt. Das heißt, IZE ist nicht nur eine
Angelegenheit der Bildungspolitik, sondern der
allgemeinen Kultur- und Sprachenpolitik eines
Landes.
7. Schlussbemerkung
Dieser kurze Überblick über Interkulturelle
Zweisprachige Bildung soll beispielhaft den
gesamten und überaus reichhaltigen Bereich
“Bildung, Kultur und indigene Völker“ vertreten.
Dazu wurde der enorme, erst in Teilen er-
forschte Reichtum an Sprachen und Kulturen
der indigenen Völker auf die Bildung der jun-
gen Generationen verengt, auch deshalb, weil
die EZ nur über IZE die Thematik bearbeitet.
Die deutsche EZ ist in diesem Arbeitsfeld in
Lateinamerika in einem Schlüsselbereich für
das Überleben und die Entwicklung der indige-
nen Gesellschaften aktiv. Sie hat an der Ent-
wicklung des IZE Modells entscheidend mitge-
arbeitet und es in verschiedenen Fällen er-
reicht, gemeinsam mit den indigenen Organi-
sationen den Staat zur Wahrnehmung seiner
Bildungsverantwortung den indigenen Völkern
gegenüber zu bewegen. Dabei sollte auch
aufgezeigt werden, dass die IZE zwar nur ein
Teil des Bildungssystems ist, aber den Kernbe-
reich der Bildung für indigene Jugendliche
darstellt, in dem heute die pädagogischen und
didaktischen Erneuerungen stattfinden und
Aufbauarbeit für die demokratische, multikultu-
relle Gesellschaft von morgen geleistet wird.
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
132
“QA AT TJA QXNAQ´S IK TZAN TQAN Q´IJ NMEQ´SAN QE QWITZIK”
Escuela, el sol que calienta los sueños – Educación autogestionada en Guatemala
Llegar hasta la aldea Cruz Quemada Santa Bárbara no fue fácil, pero una vez que se llegó, la luz que se
abría paso por entre las hojas de los árboles grandes y frondosos iluminó los rostros alegres e inquietos de
niños y niñas quienes sabían que algo novedoso ocurría. Los adultos nos recibieron con un cálido apretón
de manos impregnadas del color de la tierra que durante generaciones han trabajado. Ahí estaban todos,
esperando la llegada de un grupo de desconocidos que les llevan la noticia que por años habían esperado:
pronto podrían tener la escuela que tanto habían soñado.
Más que la mitad de los casi 12 milliones de Guatemaltecos son indígenas. En el país se habla 21 idiomas
mayas, el xinca y el garífuna. Los idiomas mayas mayoritarios son el Kíche´, el Mam, el Kaqchikel y el
Qéqchi´, los cuales reúnen más de 2.7 millones de habitantes. Aproximadamente el 30% de los niños y
niñas en su mayoría indígenas no tenían acceso a la educación básica en 1996 cuando se inició el Progra-
ma Nacional de Autogestión para el Desarrollo Educativo –PRONADE. Es un mecanismo que facilita el
acceso de las comunidades a la educación, especialmente en áreas rurales lejanas y desatendidas. A la
vez promueve modalidades de participación protagónica de las comunidades.
La estrategia del trabajo de PRONADE consiste en organizar “Comités Educativos (COEDUCA)”, quienes
cuentan con respaldo legal para administrar el servicio educativo en las comunidades. Instituciones priva-
das, denominadas Instituciones de Servicios Educativos –ISE– acompañan a los Comités Educativos en las
tareas que desempeñan bajo lineamientos del Ministerio de Educación.
Los logros están a la vista: hasta marzo del 2004, 444,917 niños y niñas son atendidas por 14,575 docentes
en 4,559 comunidades. El 60% de la población atendida es indígena y como política interna del PRONADE
se exige que sean atendidos por maestros y maestras que hablan el idioma de las comunidades. Para su
labor, PRONADE cuenta con el apoyo de KfW y del Banco Mundial.
A estas alturas del siglo XXI, no todos los niños y niñas son cobijados en una escuela; Guatemala tiene
mayor déficit al respecto. Sin embargo, muchas personas siguen soñando con la diferencia que puede
hacer en sus vidas el sólo tenerla. Quizá don Ramón López, padre de familia de la aldea Cruz Quemada
Santa Bárbara tiene razón cuando dice en su idioma mam que “QA AT TJA QXNAQ´S IK TZAN TQAN Q´IJ
NMEQ´SAN QE QWITZIK” (Tener escuela es como que el sol caliente los sueños). Podemos ayudar a que
esos sueños se tornen realidad.
ANTJE BEGEMANN, IPC/ KfW, Guatemala
Indigene Völker, Bildung und Kultur: Interkulturelle zweisprachige Erziehung
133
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Indigene Völker und Gesundheit
134
Indigene Völker und Gesundheit
KLAS HEISING & SYLVIA REINHARDT
In den letzten Jahrzehnten haben sich die
Lebensweise und die Umwelt der indigenen
Bevölkerung Lateinamerikas stark verändert.
Die Gesundheitssituation ist in den meisten
indigenen Gemeinden, insbesondere aufgrund
der beträchtlichen Armut, als prekär einzustu-
fen. Der häufig fehlende oder erschwerte Zu-
gang zu Gesundheitsdiensten, soziale Prob-
leme, Umweltverschmutzungen, mangelhafte
Nahrungsversorgung, unzureichende Hygie-
nepraktiken und fehlender Zugang zu (Trink-)
Wasser sind oft der Grund für Krankheiten und
Epidemien.
Die heutige Gesundheits- und Hygienesituation
der indigenen Bevölkerung wurde durch die
jahrhundertelange Abhängigkeit und Marginali-
sierung verursacht, wie auch die Panamerika-
nische Gesundheitsorganisation PAHO (Pa-
namerican Health Organization) bei ihrer Sit-
zung von Winnipeg im Jahre 1993 feststellte.
Traditionelle Praktiken und Kenntnisse zur
Gesundheitsvorsorge und Hygiene sowie zur
Behandlung von Krankheiten etc. gehen verlo-
ren und werden kaum noch angewendet, weil
sie in der heutigen Lebenssituation als nicht
mehr angepasst empfunden werden.
Meist haben indigene Bevölkerungsgruppen
eine weit höhere Sterblichkeits- und Anfällig-
keitsrate für Krankheiten als die übrige Bevöl-
kerung der jeweiligen Nationalstaaten was
ihren im Vergleich niedrigeren Lebensstandard
und sozialen Status reflektiert (vgl. PAHO,
1993). So liegt die Lebenserwartung der indi-
genen Bevölkerung ca. 10 bis 20 Jahre unter
der der übrigen Bevölkerung eines Landes
(PAHO, 2004a). Bestehende staatliche Ge-
sundheitsprogramme tragen den spezifischen
soziokulturellen Rahmenbedingungen der indi-
genen Bevölkerung bisher kaum Rechnung.
Oft fehlt neben den notwendigen ökonomi-
schen Ressourcen auch der politische Wille
(vgl. PAHO, 1993).
Säuglings- und Müttersterblichkeit
Als grober Indikator für die Gesundheitssitua-
tion eines Landes eignet sich die Säuglings-
sterblichkeit (Anzahl der Säuglinge, die im
ersten Lebensjahr sterben pro 1000 Neuge-
burten), da diese von der Qualität und dem
Zugang zur öffentlichen und privaten Gesund-
heitsversorgung, den Hygiene- und Gesund-
heitspraktiken und der allgemeinen Lebens-
situation der Bevölkerung abhängt. Tabelle 1
zeigt Säuglingssterblichkeitsraten in Ländern
Lateinamerikas, die zwischen 19 und 56 lie-
gen, während eine beispielhafte Untersuchung
verschiedener indigener Völker in den gleichen
Ländern Zahlen zwischen 81 und 145 aufweist.
Tabelle 1: Beispiele zur Säuglingssterblichkeit in ausgewählten Ländern (eigene Zusammenstellung)
Land Landesdurch- schnitt der Säuglings-sterblichkeit in 2003 (von 1000 Lebend-geburten)
Durchschnitt der Säuglingssterb-lichkeit der indigenen Bevölkerung (von 1000 Lebendgeburten)
Deutschland 4
Kolumbien 19 111 (Wayu)
Brasilien 31 106 (Xavante)
Ecuador 30 62 (Quichua, Provinz Cotopaxi)
Bolivien 56 145 (indigene Gruppen im Chaco)
Mexiko 40 81 (Tzotzil)
Peru 43 99 (Ashaninka)
Quelle: Gesundheitsministerien; UNO; PAHO; PIÑEROS-PETERSEN, 1998
Oft ist die Gesundheitssituation indigener Völ-
ker noch schlechter, als die auf Provinz-, De-
partement- oder nationaler Ebene aggregierten
Daten vermuten lassen. Viele Todesfälle
werden durch die generell unzureichenden
Datenerhebungen der staatlichen Gesund-
heitsdienste nicht erfasst, da diese in den Ge-
Indigene Völker und Gesundheit
135
bieten der indigenen Bevölkerung wenig prä-
sent sind. Eine neuere Studie der PAHO
(2004b) belegt, dass die Raten der Säuglings-
und Müttersterblichkeit in indigenen Gemein-
den zu den höchsten Amerikas gehören. In
Guatemala beispielsweise ist die Sterblichkeit
indigener Frauen bei der Geburt 300% höher
als der Landesdurchschnitt. Ursachen für die
starken intranationalen Differenzen sieht
PAHO u.a. in der geringen Sensibilität und
dem unzureichenden Verständnis für traditio-
nelle Praktiken der Gesundheitsarbeiter, im
Kommunikationsmangel mit den indigenen
Patienten, aber auch darin, dass die Ausdeh-
nung der medizinischen Versorgung in indige-
nen Gemeinden keine Priorität in der Gesund-
heitspolitik hat.
Ein Beispiel soll die kulturelle Barriere, die
zwischen einem westlichen Mediziner und
einer indigenen Frau bestehen kann, verdeutli-
chen: “Undressing during childbirth for us is
synonymous with death“ says Gonzáles.
"When a pregnant woman goes to a health
center, the first instruction she is given, is
‘Take off your clothes.' At that moment, a bar-
rier has been erected between the physician
and the Aymara woman, because Aymara
women believe that at the moment of delivery
there is an opening of the entire body. If our
body has opened, we should cover ourselves
much more because the cold can penetrate us.
Penetration of the cold will result in illness.
Furthermore there is not only an opening of the
physical body, but of the place where the
spiritual body exits and enters, which will re-
quire other care..." (PAHO, 2004b).
Um diesem Problem entgegenzutreten, arbei-
tet beispielsweise die PAHO in Bolivien zur
Verbesserung der sanitären Verhältnisse wäh-
rend der Entbindung und zur Identifizierung
von Risikofällen auf lokaler Ebene mit indige-
nen Hebammen zusammen. Entbindende
Mütter geben Hebammen den Vorzug vor
Krankenhäusern. Ihnen wird von den indige-
nen Frauen weit mehr Vertrauen entgegenge-
bracht und damit verfügen sie wiederum über
mehr Einflussmöglichkeiten. Außerdem soll im
Rahmen des Projektes gemeinsam von Pro-
jektmitarbeitern der PAHO und Hebammen
eine Strategie entwickelt werden, traditionelle
Medizin und Praktiken in den öffentlichen Ge-
sundheitsdienst zu integrieren, um den
schwangeren Frauen kulturell angepasste und/
oder schulmedizinische Dienste anbieten zu
können (PAHO, 2004b).
Krankheitsbilder
Es treten eine Vielzahl von Krankheitsbildern
auf, die von der Lebensweise, den klimati-
schen Bedingungen und der Verfügbarkeit und
Qualität der öffentlichen und traditionellen Ge-
sundheitsversorgung bei der indigenen Bevöl-
kerung abhängen.
Für einige kleinere Völker, die manchmal erst
seit einer oder zwei Generationen Kontakt mit
der “westlichen“ Kultur haben, stellen neue
übertragbare Krankheiten wie Virenerkrankun-
gen etc. eine existenzielle Gefahr dar. Da sie
weder die Möglichkeit hatten, biologisch eine
Immunität noch kulturell Therapien gegen
diese zu entwickeln, sind sie schutzlos.
Insbesondere aufgrund ihrer sich wandelnden
Umwelt, was u.a. die Auflösung sozialer
Strukturen, Verarmung, Identitätskrise und
Legitimationsverlust der traditionellen Autori-
täten mit sich führt, befinden sich indigene
Völker in einer schwierigen Orientierungssitua-
tion, die auch zu psychosomatischen Krank-
heitsbildern führen kann.
Indigene Völker und Gesundheit
136
Kasten 1: Beispiele häufig auftretender Erkrankungen indigener Völker in Lateinamerika
(Ausgewählt aus PAHO-Länderprofilen, 1998)
Bolivien:
Bei den Indigenen des Chaco und des Oriente tritt Tuberkulose 5- bis 8-mal häufiger auf als im Landesdurchschnitt.
Magendarmerkrankungen sind die häufigste Todesursache bei Kindern
Honduras:
95% der unter 14-jährigen Indigenen sind unterernährt.
68% der Todesfälle sind auf ansteckende Infektionskrankheiten zurückzuführen.
Die Lebenserwartung indigener Männer wird auf 36 Jahre, die der Frauen auf 43 Jahre geschätzt.
Panama:
Bei den Kuna in San Blas sind Lungenentzündungen 6-mal, Tuberkulose 80-mal häufiger als im Landesdurchschnitt
Venezuela:
Studien des Tropeninstituts “Simon Bolivar“ weisen darauf hin, dass bis zu 84% der Yanomami sich im Laufe ihres Lebens mit Hepatitis B infizieren.
In einigen Dörfern sind bis zu 74% der Bevölkerung mit Flussblindheit (Onchozerkose) infiziert.
Armutskrankheiten? Ja, aber…
Indigene leiden überproportional an soge-
nannten “Armutskrankheiten“ wie Diarrhoe,
Lungenentzündungen, Mangelernährung, Ma-
sern, Bronchitis, Tuberkulose, Hauterkrankun-
gen oder Parasiten. Im Rahmen einer Basis-
studie im Jahre 2001 eines Umweltgesund-
heitsprojektes der GTZ (zusammen mit der
PAHO) in zwei Hochland- und einer Amazo-
nastieflandgemeinde Perus, wurde festgestellt,
dass zwischen 66% und 94% der untersuchten
Indigenen von einem oder mehreren Darmpa-
rasiten befallen waren.
Die Vermutung liegt nahe, dass Indigene von
diesen Krankheiten betroffen sind, weil sie
besonders arm sind. Das ist zwar richtig, je-
doch würde die Schlussfolgerung, dass mit
einem Armutsbekämpfungsprogramm eben
auch diese Krankheiten verschwinden würden,
deutlich zu kurz greifen. Es gibt spezifische
Faktoren, die wesentlich zur schlechten Ge-
sundheitssituation der indigenen Bevölkerung
beitragen und eine auf indigene Bevölkerung
orientierte Gesundheitspolitik nahe legen.
Dazu gehören u.a.:
Veränderungen der Umwelt und der
Lebensweisen der Indigenen: z.B. Ver-
drängung traditioneller Praktiken, verän-
derte Ernährungsweisen aufgrund von Än-
derungen in der Bewirtschaftung oder
durch Umweltverschmutzungen. Bei-
spielsweise haben Indigene des Amazo-
nastieflands ihren Proteinbedarf fast aus-
schließlich durch Fischfang gedeckt. In
vielen Gemeinden ist das Fischaufkom-
men heute durch Übernutzung stark zu-
rückgegangen oder die Fische sind durch
Industrie- und Bergbauabwässer so stark
belastet (Quecksilber), dass ihr Verzehr
gesundheitsgefährdend geworden ist.
Unzugängliche Lage vieler indigener
Gemeinden, wodurch kein regelmäßiger
Zugang zu Gesundheitsleistungen möglich
ist.
Ein anderes Verständnis der indigenen
Völker von Gesundheit und Krankheit
sowie die Existenz von komplexen traditi-
onellen Gesundheitssystemen, die mit
der Schulmedizin in Konflikt geraten (siehe
unten).
Konzeption staatlicher oder EZ
geförderter Gesundheitsprogramme:
Staatliche Programme tragen den spezifi-
schen soziokulturellen Rahmenbedingun-
gen oft nicht ausreichend Rechnung; sie
Indigene Völker und Gesundheit
137
sind meist sehr technisch (z.B. Trinkwas-
serversorgung) oder ausschließlich auf die
Schulmedizin orientiert. Es gibt keine spe-
zifischen, an die Anforderungen der indi-
genen Bevölkerung angepassten Ange-
bote und Dienstleistungen. Die zentralisti-
sche Praxis, Programme in der Hauptstadt
zu planen und von dort zu steuern, ver-
stärkt diese Tendenz.
Mangelhafte Einbeziehung der indige-
nen Bevölkerung, insbesondere der
Frauen, in die Planung und Durchführung
von Gesundheits- und Aufklärungskam-
pagnen behindern die Akzeptanz und
Nachhaltigkeit von Verbesserungen in den
indigenen Gemeinden.
Fehlende kulturell angepasste Gesund-
heitserziehung in den indigenen Gemein-
den sowie unzureichende Ausbildung und
fachliche Begleitung der indigenen Ge-
sundheitsberater.
... und die Gesundheit indigener Frauen?
Die Gesundheit indigener Frauen steht in Ab-
hängigkeit zu ihrem meist noch untergeordne-
ten sozialen Status sowohl in der ehelichen,
familiären Beziehung als auch in der jeweiligen
nationalen Gesellschaft. Aufgrund ihrer ethni-
schen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts und
meist ländlichen Herkunft bzw. ihrer Armut sind
sie dreifach benachteiligt. Frauen sind in ihrer
sozialen Rolle verantwortlich für die Kinderer-
ziehung, die tägliche Haushaltsarbeit und in
vielen Gemeinschaften auch für den Feldbau.
Die schweren und zeitaufwendigen Arbeiten
lassen selten andere Aktivitäten wie Bildung,
Teilnahme an Gemeindeversammlungen oder
Gesundheitsvorsorge für sie und ihre Kinder zu
– was auf ihre Gesundheitssituation große
Auswirkungen hat (PAHO, o.J.). Außerdem
verschließt ihnen ihr gesellschaftlicher Status
oft die Beteiligung.
Gesundheitsprobleme von Frauen treten sehr
oft in Verbindung mit der Reproduktion auf
(u.a. frühe Schwangerschaften, Schwanger-
schafts- und Geburtskomplikationen, Anämie).
Oft sind Frauen Opfer von Gewalt und sexuel-
lem Missbrauch, was zu psychischen Trau-
mata, Ängsten führt (PAHO, o.J.).
Viele indigene Frauen bevorzugen bei der
Geburt die Betreuung durch traditionelle He-
bammen anstelle von Gesundheitsstationen
und Krankenhäuser. Einige der ausschlagge-
benden Faktoren sind größeres Vertrauen,
muttersprachliche Betreuung während
Schwangerschaft und Geburt, Geburt in der
Hocke (anatomisch sinnvoller), Wahrung der
Privatsphäre sowie die Möglichkeit Zeremo-
nien beizubehalten. Zum Beispiel die Ehrer-
weisung an die Plazenta im andinen Raum:
Der Plazenta wird in einer Zeremonie dafür
gedankt, dass sie das Kind ernährt und be-
gleitet hat, und sie wird in einigen Fällen rituell
bestattet oder verbrannt. Die gängige Praxis
der Gesundheitsstationen, die Plazenta ent-
weder wegzuwerfen, oder an die Kosmetikin-
dustrie zu verkaufen, ist für viele werdende
Mütter ausschlaggebend, sich nicht an diese
zu wenden. Außerdem setzen staatliche Pro-
gramme und Fördermaßnahmen oft Mitarbeiter
ein, die ausschließlich spanisch sprechen, und
sich aufgrund der meist mangelnden Spa-
nischkenntnisse der Frauen, eher an die Män-
ner richten. So werden medizinische Behand-
lungen von dem technischen Personal oft im
Vorfeld nicht erklärt bzw. das Recht der Pati-
entin auf eine Aufklärung nicht respektiert.
Verständnis indigener Völker von Gesundheit und Krankheit und deren Behandlung
Jede Kultur versteht etwas anders unter
Krankheit und Gesundheit. Wann einer Miss-
befindlichkeit Krankheitswert beigemessen
wird, hängt von individuellen und kulturellen
Variablen ab. Unsere westlichen Definitionen,
die auf das körperliche, geistige und seelische
Wohlbefinden abzielen, gehen von einer
christlichen Konzeption des Menschenbildes
aus. Wenn Körper und Seele, entsprechend
eines anderen Weltbildes, anders verstanden
werden, passen diese Definitionen nicht mehr.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)
beschreibt Gesundheit als Zustand "of com-
plete physical, mental and social well-being
and not merely the absence of disease or in-
firmity” (WHO, 1946).
Indigene Völker und Gesundheit
138
Foto: Behandlung in einer indigenen Gemeinde in Peru (K. HEISING)
Viele indigene Völker sehen in Krankheiten die
Folge eines Ungleichgewichtes des Geistes
und der Seele des Einzelnen oder der Ge-
meinschaft, die z.B. durch bösen Zauber,
Geister oder Dämonen verursacht werden
können. Bei Krankheiten wird zwischen natürli-
chen und übernatürlichen Ursachen unter-
schieden, was sehr komplexe und ausdifferen-
zierte Behandlungssysteme hervorgebracht
hat, die von verschiedenen Personen der Ge-
meinschaft wie z.B. Schamanen, Kräuterhei-
lern, Pflanzenexperten, Knochenrichtern,
Kräuterfrauen oder Heilkundigen praktiziert
werden (siehe Kasten 2). Die Besonderheiten
der lokalen Heiler liegen in ihrer Kompetenz,
Autorität und Berufung. Meist haben sie eine
lange Initiationszeit bis sie ihre Anerkennung
als Heiler erfahren. Die Erklärungsmodelle des
Heilers und des Patienten stammen meist aus
demselben kulturellen Umfeld. Heiler beheben
Gesundheitsstörungen indem sie kulturell ak-
zeptierte und erprobte Methoden anwenden.
Ihre Funktion ist meist umfassender als die der
westlichen Ärzte, denn auch soziale, psychi-
sche, spirituelle Aspekte gehen in die Be-
handlung ein. Dabei wird der Heiler oft zum
Mittler zwischen der Gemeinschaft und der
übernatürlichen Welt.
Bei Behandlungsmethoden gibt es einen ent-
scheidenden und interessanten Unterschied:
Während in der modernen Medizin z.B. bei
psychischen Erkrankungen dem Patienten
psychoaktive Substanzen verabreicht werden,
ist es in der traditionellen Medizin meist der
Heiler der diese zu sich nimmt, um die Diag-
nose zu erstellen, und die weitere Behandlung
zu bestimmen.
Es gibt auch Krankheiten, die in einem Volk so
stark verbreitet sind (endemische Krankhei-
ten), dass sie von diesem kaum mehr als
Krankheit wahrgenommen werden. PAHO und
GTZ begleiteten ein Programm unter Federfüh-
rung des Gesundheitssekretariats von Chiapas
(Mexiko), zur Reduzierung des Trachoms1 bei
den Tzeltal (Hochchiapas). Hier war viel Über-
zeugungsarbeit zu leisten, damit der sehr all-
mähliche Krankheitsverlauf von der
Bevölkerung als behandelbar erkannt wurde
und nicht als natürlicher Lauf der Dinge.
1 eine Bindehautentzündung, die, wenn unbehan-delt, zur Blindheit führt
Indigene Völker und Gesundheit
139
Kasten 2: Beispiele indigener Heilerpersönlichkeiten in verschiedenen Gemeinschaften
Indigene
Gemeinschaft
Protagonisten des traditionellen Gesundheitssystems
Aymara
(Bolivien,
Peru)
Yatiri (bedeutet “der Meister“): Er diagnostiziert die Krankheiten, konsultiert dabei Kokablätter
und behandelt mit Naturheilmitteln. In einigen Fällen wird eine komplizierte Opfergabe an die
Kräfte und Geistwesen, die etwas mit der Krankheit zu tun haben, vorbereitet.
Ch´amakani (bedeutet “der Herr der Dunkelheit“): Er nutzt die Dunkelheit, die Schatten und die
Nacht, um sich mit den übernatürlichen Wesen in Verbindung zu setzen und mit Ihnen zu spre-
chen. Er ist Vermittler zwischen diesen Wesen und den Patienten, um die Gründe für eine
Krankheit herauszufinden.
Kallawaya oder Naturheiler: Neben der Anwendung von Medizin aus Flora, Fauna und Minera-
lien setzen sie spezifische Rituale für verschiedene Krankheitsbilder ein.
Ngöbe
(Panama)
Sukia: Heiler, Hellseher und Autorität in spirituellen und rituellen Angelegenheiten. Er ruft die
übernatürlichen Kräfte, redet mit ihnen und wendet Naturheilmittel an.
Bicho: Frauen, die in Familiengesundheit kundig sind und ihr Wissen auf Familienebene oder
auch Dorfebene anwenden.
Ashaninka
(Peru)
Sheripari (Schamane): Er hat Zugang zu Aspekten und Sphären der Wirklichkeit, die anderen
Ashaninka verborgen bleiben, und kann in Trance die Geistwesen der Natur und Herren der
Tiere besuchen. Er hat außerdem besondere Beziehungen zu weiblichen Geistern bestimmter
Pflanzen, die ihm bei der Anwendung von Naturheilmitteln den Weg weisen.
Tucano
(Kolumbien)
Payés (Schamanen): Sie sind zuständig für das ökologische und soziale Gleichgewicht der
Gemeinschaft.
Cumus: Heiler, die neben traditionellen Methoden auch Elemente der westlichen Medizin ver-
wenden.
Quellen: PAHO, 2002c; AIDESEP/ PSI, 2002; REICHEL-DOLMATOFF, 1997
Traditionelle Medizinsysteme in Lateinamerika
Traditionelle Medizin ist das Gegenstück zur
Schulmedizin. Die Traditionelle Medizin ist
anders als die Schulmedizin von Region zu
Region sehr verschieden. Der Begriff “Traditio-
nelle Medizin“ bedeutet nicht, dass es zu kei-
nen Neuerungen gekommen sei, sondern
vielmehr, dass das Medizinsystem Teil der
Kultur und direkt mit den jeweiligen Wertevor-
stellungen, Weltanschauungen, Theorien,
Normen etc. verknüpft ist (GREIFELD, 2001:71).
Dabei gibt es nicht nur eine Traditionelle Medi-
zin, sondern vielmehr viele unterschiedliche
sich gegenseitig beeinflussende Systeme.
Medizinsysteme unterscheiden sich in den
Erklärungskonzepten von Krankheitsursachen,
in den Heilerpersönlichkeiten bzw. Experten
und in den Behandlungen/ Therapien. Indiani-
sche Heilkunst wurde zur Kolonialzeit von den
Missionaren und westlichen Wissenschaftlern
als Aberglaube bekämpft. Heute wird dieses
Wissen anders beurteilt: Viele westliche Wis-
senschaftler wenden sich Schamanen und
ihrer Heilkunst mit großem Interesse zu.
Zu den in Lateinamerika sowohl bei der indi-
genen als auch mestizischen Bevölkerung
bekannten Konzepten in der traditionellen Me-
dizin gehört z.B. das Warm-Kalt-System und
Susto (siehe Kasten 3 und 4).
Viele traditionelle Behandlungsweisen verraten
eine sehr gute Kenntnis von Anatomie, (Heil-)
Botanik und Neurologie. So sind die Tucanos
des kolumbischen Amazonastieflands in der
Lage geistige Aktivitäten im Gehirn korrekt zu
verorten (REICHEL-DOLMATOFF, 1997).
Indigene Völker und Gesundheit
140
Moderne und traditionelle Medizin werden von
den Indigenen weniger als Konflikt empfunden
sondern als verschiedene Optionen. Auf mo-
derne Medizin wird gerne bei akuten Erkran-
kungen und Unfällen zurückgegriffen, während
z.B. bei chronischen Erkrankungen eher die
traditionelle Medizin geschätzt wird. Was letzt-
lich als effektive Behandlung beurteilt wird,
hängt vom Krankheitsverständnis ab. Als Ent-
scheidungskriterien treten Vertrauen, Sym-
ptome, räumliche Distanz, erwartete Effektivität
und Geld in den Vordergrund. Die Bedeutung
der Kosten für eine Behandlung ist aber als
Entscheidungskriterium zwischen traditioneller
oder Schulmedizin eher gering einzuschätzen,
da viele traditionelle Heiler mittlerweile mone-
täre Honorare verlangen (KNIPPER, 2000,
2001) bzw. auch bei nicht monetärer Bezah-
lung nicht mehr “billig“ sind.
Kasten 3: Das Warm-Kalt-System in Lateinamerika – ein Konzept der ausgewogenen Elemente
Das Warm-Kalt-System ist ein Konzept innerhalb der traditionellen Medizin, das mit kulturellen und regionalen
Unterschieden in ganz Mittel- und Südamerika zu finden ist. Grundsätzlich kann es als eine Art Harmonielehre
nach dem Prinzip der ausgewogenen Elemente verstanden werden. Die Einteilung in Warm und Kalt ist ein we-
sentliches Merkmal der indigenen Kultur und bezieht sich auf eine Gruppierung verschiedener Substanzen (Nah-
rungsmittel, Pflanzen etc.). Warm und Kalt ist dabei die Benennung einer Energie, deren Komponenten sich ge-
genüberstehen, einander ergänzen bzw. zu einer Ausgewogenheit führen. Diese Lebensenergie muss vom Men-
schen ausgelotet werden, da eine Störung des Gleichgewichts zu Krankheit bzw. Missbefinden führt. Das Warm-
Kalt-System ist Teil einer komplexen Weltanschauung. Als Verursacher kalter Krankheiten gelten u.a. Wasser,
Geburt, Menstruation, Mond oder Regenbogen. Verursacher warmer Krankheiten sind u.a. Sonne, Schadenszau-
ber oder unausgewogene Ernährung.
Kasten 4: “Susto“, der Seelenverlust
Susto ist als Erkrankungskonzept in Süd- und Mittelamerika weit verbreitet und wird mit dem Warm-Kalt-System
in Verbindung gebracht, d.h. es handelt sich ebenfalls um ein Ungleichgewicht. Susto bedeutet Schreck oder
Erschrecken, was auf die Ursache der Krankheit verweist. Auch der natürliche Schreck als Folge von Unfällen,
Albträumen und der Schreck nach der Begegnung mit Geistwesen jeglicher Art kann diese Erkrankung bewirken.
Ein Schreck kann zum Seelenverlust bzw. zur Abwesenheit der Seele des Kranken führen. Symptome der Er-
krankung umfassen Schwäche, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Depression, Unruhe, Fieber, epileptische Anfälle.
Susto kann auch zum Tod führen. So vielfältig die Symptome und Auslöser der Krankheit sind, genauso vielfältig
sind die Behandlungsmethoden: z.B. Zurückrufen der Schattenseele, Opfer an die Geister, die die Seele gefan-
gen haben, Massagen, Bestreichen des Körpers mit rituellen Gegenständen und Pflanzen, Schwitzen bis hin zum
erneuten Erschrecken des Kranken. Deutungsversuche im Sinne schulmedizinischer Kategorien sind schwierig.
Die Bedeutung traditionell verwendeter Heilpflanzen
Bei den meisten indigenen Völkern haben
Heilpflanzen und das Wissen um ihre Anwen-
dung immer noch eine hohe Bedeutung für die
Gesundheitsversorgung. Die traditionell ver-
wendeten Naturheilmittel sind nicht nur billiger
als moderne Medikamente sondern stellen in
abgelegenen ländlichen Gebieten oft die einzig
verfügbare Medizin dar (GTZ, 2001). In der
traditionellen Medizin der Quichua des Ama-
zonasgebietes in Ecuador beispielsweise ha-
ben viele Personen Kenntnisse und Fertigkei-
ten von der jeweils älteren Generation erlernt,
die ihnen ermöglichen allgemeine Krankheiten
wie Kopfschmerzen, Fieber und Erbrechen mit
Hilfe von Medizinalpflanzen zu lindern oder zu
heilen. Darüber hinaus gibt es auch noch Spe-
zialist/innen mit besonderen Heilpflanzen-
Indigene Völker und Gesundheit
141
kenntnissen, die mehr als 70 Pflanzenspezies
einzusetzen wissen (BORGTOFT ET AL., 1999).
Heute werden viele Heilpflanzen bzw. deren
Inhaltsstoffe, die ihre ursprüngliche Verwen-
dung in indigenen Kulturen haben, wie z.B. das
Curare (Strychnos toxifera) oder der Chinarin-
denbaum (Cinchona officinalis), weltweit er-
folgreich eingesetzt und von der Pharmain-
dustrie vermarktet. Insbesondere die über
Generationen gesammelten Pflanzenkennt-
nisse indigener Spezialisten (z.B. Schamanen)
sind für Ethnobotaniker und die pharmazeuti-
sche Industrie interessant und versprechen
eine wesentlich höhere Trefferrate bei der
Entdeckung neuer Wirkstoffe (vgl. REINHARDT,
2002; siehe auch ROSSBACH DE OLMOS in die-
sem Band).
Foto: Eine Shuar-Frau zeigt eine von ihr verwendete Heilpflanze (S. REINHARDT)
In Chile hat die GTZ im Auftrag des BMZ ein
Projekt von Mapuche-Frauen zur Wiederge-
winnung und zur Bewahrung des Wissens von
Kräuterfrauen (Yerbareras), Hebammen (Par-
teras), Medizinfrauen und -männern (Machi)
über traditionelle Medizin und Heilmittel, die
aufgrund des starken Einflusses westlicher
Kultur immer weiter verloren geht und immer
weniger angewendet wird, unterstützt. Das
Projekt leistet einen Beitrag zur Erhaltung der
traditionellen Kultur und zur Verbesserung der
medizinischen Situation in den indigenen Ge-
meinden. Die Wiederbelebung traditioneller
Heilmethoden kann die Bevölkerung für die
Behandlung einiger Krankheiten unabhängig
von der staatlichen medizinischen Versorgung
machen. Die chilenische Regierung hat in den
letzen Jahren das staatliche Gesundheitsnetz
auch in die entlegenen ländlichen Gebiete der
Mapuche ausgeweitet. Bisher bieten diese
Einrichtungen jedoch den Mapuche selten eine
adäquate Behandlung, die ihrer kulturellen
Denkweise entspricht. Behandlungen können
oft nicht durchgeführt werden, da viele Mapu-
che keine dazu nötige Krankenversicherung
haben bzw. ihnen die finanziellen Mittel fehlen.
Diese Situation macht es notwendig, auf lokale
Heilmethoden zurückzugreifen, und eine Ver-
bindung und einen Austausch zwischen dem
staatlichen Gesundheitswesen und den Kennt-
nissen traditioneller Medizin herzustellen. Viele
der Hilfe suchenden Kranken würden keinen
Arzt benötigen, wenn sie mit einer verbesser-
ten Grundhygiene und mit natürlichen Heilmit-
teln den Krankheiten begegnen könnten.
Auch im Rahmen des TZ-Projektes “Förderung
des lokalen Wissens zum Erhalt der Biodiver-
sität und zur Ernährungssicherung aus der
Gender-Perspektive“ in Peru wurde das traditi-
onelle Wissen zur Heilung von Krankheiten
durch Pflanzen gestärkt. Ergebnisse des Pro-
jektes konnten in die nationale Politik einflie-
ßen und tragen sowohl zum Erhalt als auch zur
Anerkennung des traditionellen Wissens der
lokalen, meist indigenen Bevölkerung der Pro-
vinzen Ayacucho und San Martín (Peru) bei
(GTZ, 2002).
Internationale Ansätze zum Thema indigene Gesundheit
Das grundlegende Dokument für die Rechte
indigener Völker ist zweifellos die Konvention
169 der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) von 1989 (siehe auch SPEISER in diesem
Band). Artikel 24, 25 und 30 nehmen Bezug
zum Thema Gesundheit indigener Völker. Die
Unterzeichnerstaaten werden aufgefordert,
Indigene Völker und Gesundheit
142
ihre Gesundheitsdienste progressiv so auszu-
richten, dass auch die indigene Bevölkerung
erreicht wird. Die Gesundheitsdienste sollen
kulturell angemessen und möglichst auf Ge-
meindeebene unter partizipativer Einbeziehung
der Bevölkerung entwickelt werden, wobei
ihrer traditionellen Gesundheitsvorsorge, ihren
Heilverfahren und -mitteln Rechnung getragen
werden soll.
Auch durch die UN-Dekade für indigene Völker
(199-2004) bei der Gesundheit ein Pro-
grammschwerpunkt bildete, bekam das Thema
Aufschwung.
Die WHO (World Health Organisation der UN)
entwickelt ein Aktionsprogramm “Indigene und
Gesundheit“, dessen Ziel die Bekämpfung der
Ungleichbehandlung indigener Völker im Ge-
sundheitsbereich ist. Die prekäre Gesund-
heitssituation indigener Völker soll in den
WHO-Programmen auf nationaler, regionaler
und globaler Ebene aufgegriffen werden.2
Weiterhin hat die WHO eine Strategie zu tradi-
tioneller Medizin (2002-2005) entwickelt. Ziel
dieses Dokumentes ist es, u.a. die Bedeutung
traditioneller Medizin in Gesundheitssystemen,
aktuelle Möglichkeiten und Änderungen sowie
die Rolle und Strategie der WHO zu traditio-
neller Medizin für die kommenden Jahre zu
diskutieren.
Auch die Panamerikanische Gesundheitsorga-
nisation PAHO hat das Thema vertieft und für
den Gesundheitsbereich auf dem lateinameri-
kanischen Kontinent ein umfassendes Konzept
für die besondere Förderung indigener Ge-
meinschaften entwickelt. Aufgrund der Emp-
fehlungen der “Sitzung von Winnipeg“, Ka-
nada, im Jahre 1993 ist die Initiative “Gesund-
heit indigener Völker“ entstanden. Sie orientiert
sich an den Prinzipien (PAHO, 1993):
1. Ganzheitliches Gesundheitsverständnis
2. Recht der indigenen Völker auf Selbstbe-
stimmung
3. Respekt und Wiederbelebung der indige-
nen Kulturen
4. Reziprozität der Beziehung
2 Das Programm ist nicht veröffentlicht, kann aber auf Anfrage bezogen werden (siehe auch unter www.gtz.de/indigenas).
5. Recht auf systematische Einbeziehung der
indigenen Völker
Die aktuelle Umsetzung erfährt diese Politik in
dem strategischen Arbeitsplan 1999-2002:
"Marco estratégico y plan de trabajo 1999-
2002: Salud de los Pueblos Indígenas". Das
Ziel der PAHO und ihrer Partner ist es, den
Zugang zu Basisgesundheitsdiensten, und die
Versorgung indigener Völker zu verbessern.
Die drei Hauptkomponenten des Aktionspro-
gramms sind: a) Entwicklung von Gesund-
heitsplänen mit indigenen Gemeinschaften in
ausgewählten Ländern; b) Entwicklung von
Projekten, um die dringendsten Gesundheits-
probleme besonders gefährdeter indigener
Gruppen anzugehen und c) Unterstützung und
Stärkung traditioneller Medizin.
Auch die Erreichung der UN Millennium Deve-
lopment Goals (4) "Senkung der Säuglings-
sterblichkeit", (5) "Verbesserung der Gesund-
heit von Müttern" und (6) "Bekämpfung von
HIV/ Aids, Malaria und anderen Krankheiten"
dürfte in einigen Ländern Lateinamerikas wie
Guatemala, Bolivien, Peru und Ecuador ohne
eine wirkungsvolle und speziell auf Indigene
ausgerichtete Gesundheitspolitik sehr schwie-
rig werden.
Staatliche Gesundheitspolitik und Gesundheitsdienste
Vom Staat eingerichtete Gesundheitsposten
gibt es in indigenen Gemeinden eher selten
und wenn sie vorhanden sind, dann oft nur mit
spärlicher Ausstattung. Auch das qualifizierte
angestellte Personal ist nicht permanent an-
wesend. Viele der eingesetzten Ärzte sind
Berufsanfänger, die ihr praktisches Jahr absol-
vieren und manche empfinden die Arbeit mit
Indigenen als Bestrafung. Oft sind sie nur we-
nig oder überhaupt nicht mit der indigenen
Sprache und den Gebräuchen der Bevölke-
rung vertraut und schlimmstenfalls mit starken
Vorurteilen behaftet. Im Rahmen von staatli-
chen Gesundheitsprojekten werden aber auch
speziell indigene Gemeindemitglieder mit
schulmedizinischen Grundkenntnissen ausge-
bildet und praktizieren als Dorfgesundheitsar-
beiter.
Indigene Völker und Gesundheit
143
In großen, von indigener Bevölkerung be-
wohnten Regionen sind traditionelle Heiler und
Hebammen die einzigen Experten, die Ge-
sundheitsdienstleistungen anbieten. Kampag-
nen zur Abwertung und Illegalität traditioneller
Heilmethoden bei gleichzeitiger unzureichen-
der Präsenz und Qualität von staatlichen Ge-
sundheitsdiensten tragen zur Verwirrung und
zur chronischen Unterversorgung der indige-
nen Patienten bei. In Peru z.B. lautet § 290
des Strafgesetzbuches: “Derjenige, der nicht
über den entsprechenden (akademischen)
Titel verfügt und Diagnosen oder (die Gesund-
heit betreffende) Gutachten erstellt und ir-
gendwelche Mittel zur Erlangung der Gesund-
heit verschreibt oder verabreicht (und sei es
kostenfrei), soll mit bis zu 2 Jahren Freiheits-
strafe oder 20 bis 50 Tagen gemeinnütziger
Arbeit bestraft werden (…)“ (Übersetzung K.
Heising). Dieses Gesetz wird zwar in den Ge-
bieten mit mehrheitlich indigener Bevölkerung
nicht angewandt, steht aber einer konstrukti-
ven indigenen-orientierten Gesundheitspolitik
im Weg. Auch in Ecuador ist das traditionelle
Medizinsystem rechtlich nicht anerkannt und
damit illegal, es wird jedoch vom Staat gedul-
det (BUÍTRON, 1999).
Teilweise haben auch sehr aggressive Kam-
pagnen im Bereich reproduktiver Gesundheit
stattgefunden, die das Vertrauen der indigenen
Bevölkerung in die staatlichen Gesundheits-
dienste gebrochen haben: In einigen Ländern
wurden systematisch Zwangssterilisierungen
bei indigenen Frauen durchgeführt (v.a. Peru
1995-1998, aber auch Mexiko). Viele Indigene
hatten bei anstehenden Impfkampagnen Angst
vergiftet oder sterilisiert zu werden, so dass sie
sich und vor allem ihre Kinder versteckten.
Positive Ansätze einer auf die indigene Bevöl-
kerung zugeschnittenen staatlichen Gesund-
heitspolitik sind u.a. in Panama, Chile und
Brasilien sichtbar:
Panama: In den autonomen Indigenen-Ge-
bieten (Comarca) von Ngöbe-Bugle arbeiten
traditionelle Heiler und Hebammen mit den
staatlichen Gesundheitsdiensten zusammen.
1999 hat das Gesundheitsministerium den
Bereich "Indigene Gesundheit" gegründet und
versucht, Ansätze einer interkulturellen Ge-
sundheitspolitik umzusetzen. Die Verwaltung
hat sich zum Ziel gesetzt, die traditionelle und
moderne Medizin zu harmonisieren und zu
fusionieren. Den traditionellen Heilern und
Hebammen wird in diesem Rahmen innerhalb
ihres Aufgabenbereichs das Recht zugestan-
den, zu diagnostizieren, zu behandeln und
Medizin zu verabreichen. Einer effektiven Zu-
sammenarbeit steht allerdings im Wege, dass
die staatlichen Dienste wenig von den Be-
handlungs- und Wirkungsweisen, Effektivität,
Grenzen und Möglichkeiten der traditionellen
Medizin wissen. Umgekehrt fehlt den traditio-
nellen Experten wiederum das Wissen über die
Schulmedizin (PAHO, 2002a).
Chile: Seit 1999 steht in der IX. Region das
Makewe-Pelale Hospital erfolgreich unter der
Verwaltung der gleichnamigen indigenen Or-
ganisation. Im Einzugsgebiet des Krankenhau-
ses leben etwa 16 000 Mapuche. Das gesamte
Personal spricht die Sprache der Mapuche,
und beherrscht sowohl die traditionelle als
auch die moderne Medizin. Die Behandlung
orientiert sich an der Tradition der Mapuche:
Empfang, Ablauf des Patientengesprächs,
Diagnose, Behandlung mit moderner oder
traditioneller Medizin oder komplementär,
Überweisung an Fachärzte oder Machi etc..
Die Zusammenarbeit der beiden Behandlungs-
systeme scheint gut zu funktionieren, wenn es
auch Barrieren gibt: Den Schulmedizinern fällt
es schwer, zu verstehen, dass die Machi mit
übernatürlichen Kräften in Verbindung stehen,
sie gestehen aber ein, dass bei Patienten, die
von den Machi behandelt werden, Erfolge er-
zielt werden, und dass diese heilen können
(PAHO, 2002b).
Brasilien: 1999 wurde die Zuständigkeit für die
Gesundheit der indigenen Bevölkerung lan-
desweit der Nationalen Stiftung für Gesundheit
FUNASA (Fundação Nacional de Saúde)
übertragen. Das Programm von FUNASA zielt
auf die Einrichtung von speziellen indigenen
Gesundheitsdistrikten (DSEI) und auf die Aus-
bildung und Untervertragnahme von Gesund-
heitspersonal indigener Herkunft, fördert den
interinstitutionellen und partizipativen Ansatz,
und versucht die Vorstellungen von Gesund-
heit und Krankheit und Behandlungsmethoden
Indigene Völker und Gesundheit
144
der jeweiligen Völker zu berücksichtigen (FU-
NASA, 2004).
Ansätze indigener Organisationen
Obwohl politische Themen wie Landrechte,
Menschenrechte und Bürgerrechte bei den
Indigenen-Organisationen klare Priorität ha-
ben, haben einige Organisationen in den
1990er Jahren angefangen, sich für das
Thema Gesundheit in den indigenen Gemein-
den einzusetzen. Die Organisationen des
Amazonastieflandes AIDESEP (Asociación
Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana)
in Peru, OPIAC (Organización de los peublos
indígenas de la Amazonia Colombiana) in
Kolumbien und COIAB (Coordenação das
Organizações Indígenas da Amazônia) in Bra-
silien haben eigene Gesundheitsprogramme
entwickelt und beziehen konstruktiv Stellung.
Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine Reform der
staatlichen Gesundheitsdienste und die Zu-
sammenarbeit mit ihnen vorschlagen. Das
Programm Indigene Gesundheit (PSI) von
AIDESEP (2004) umfasst:
1. “Wiederherstellung und Weiterentwicklung
der indigenen Medizin als eine der Grund-
komponenten der Kultur und menschlicher
und materieller Ressourcen sowie spiritu-
eller, magischer und anthropologischer
Aspekte
2. Annäherung der wirkungsvollen Beiträge
der westlichen Medizin an die indigenen
Gesundheitssysteme
3. Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsmi-
nisterium um Epidemienkontrolle, Impf-
und andere Gesundheitskampagnen zu
unterstützen
4. Vorschlag an das Gesundheitsministerium
zur Einrichtung eines interkulturellen ama-
zonischen Gesundheitsinstitutes“
Schlussbemerkung
Respekt für die kulturelle Diversität und ein
tiefes Verständnis der unterschiedlichen Be-
dürfnisse, sind nach Ansicht der PAHO3
Schlüsselelemente um die Gesundheitssitua-
3 Internetveröffentlichung. http://www.paho.org/English/DD/PIN/pr040809.htm
tion der indigenen Bevölkerung nachhaltig zu
verbessern. Insbesondere EZ-Vorhaben die
eine Zusammenarbeit der lokalen Bevölke-
rung, traditionellen Heilern, Hebammen mit
den staatlichen Gesundheitsdiensten fördern
und somit dazu beitragen eine indigenen-ori-
entierte Gesundheitspolitik in den jeweiligen
Staaten zu verankern und umzusetzen, sind in
diesem Kontext von besonderer Wichtigkeit.
Dabei sollte auch an der Schaffung von (ge-
setzlichen) Rahmenbedingungen mitgewirkt
werden, die eine Zusammenarbeit von indige-
nen Gesundheitssystemen und der Schulme-
dizin fördern. Meist werden indigene Gesund-
heitssysteme und Schulmedizin als schwer
kompatibel betrachtet. Es gibt jedoch Beispiele
dafür, dass durch eine komplementäre Be-
handlung bessere Heilerfolge erzielt werden
können. Dabei ist es unverzichtbar, dass
sowohl die traditionellen Heiler als auch das
staatliche Personal die Grundzüge, Methoden,
Behandlungsweisen, Möglichkeiten und Gren-
zen des jeweils anderen Systems kennen und
dieses respektieren. Es sollte im Rahmen der
bilateralen EZ auf beiden Seiten (Staat – Indi-
gene) angesetzt werden. Zur Durchführung
spezifischer Gesundheitsprojekte in der EZ
sind sehr gute Kenntnisse der lokalen Ziel-
gruppe und ihres Gesundheitssystems unab-
dingbar. Es wäre wünschenswert, dass diese
Informationen und Daten zunehmend zur
Verfügung stehen bzw. erhoben werden und
insbesondere auch weitere Methodenkompe-
tenz geschaffen und vermittelt werden.
Indigene Völker und Gesundheit
145
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1948
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
KARIN MARITA NAASE, HEIDI FELDT & SILKE SPOHN
Indigene Völker in Lateinamerika haben ange-
passt an ihre jeweilige Umwelt vielfältige Pro-
duktions- und Reproduktionsmuster entwickelt.
Ihre Integration in die nationalen Wirtschafts-
systeme ist unterschiedlich stark ausgeprägt.
Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten reichen vom
Brandrodungsfeldbau in (tropischen) Waldge-
bieten und Viehzucht in den Hochplateaus der
Anden, über kleinbäuerliche Landwirtschaft bis
zu Lohnarbeit und Handel in den Städten. Auf-
grund dieser Vielfalt gibt es nicht die Wirtschaft
indigener Völker in Lateinamerika und es muss
statt im Singular im Plural von Wirtschaften
gesprochen werden.
Wirtschaftsethnologen unterschieden zwischen
indigener oder ethnischer Wirtschaft und den
marktorientierten Wirtschaftsformen und –akti-
vitäten einer eher unternehmerischen indige-
nen Bevölkerung. Für die Wirtschaftsethnolo-
gen ist indigene Wirtschaft ein kulturelles Re-
gelsystem, das weitgehend unabhängig von
Marktprinzipien funktioniert. Indigene Wirt-
schaft existiert heutzutage in den wenigsten
Fällen in Reinform. Ihre Aktivitäten sind in so-
ziale und politische Beziehungen und Interakti-
onen eingebettet und es gibt keine ausge-
prägten eigenen wirtschaftlichen Institutionen
und Einheiten (POLANYI, 1979; PLATTNER,
1989; NAASE, 1998). Außerdem gibt es keine
monetäre Lohnarbeit innerhalb dieses Systems
und die Akkumulierung von Besitz in den Hän-
den einiger weniger ist weitgehend ausge-
schlossen. Besitzunterschiede innerhalb einer
Gruppe kann es zwar geben, doch existieren
zahlreiche Mechanismen, die diese Unter-
schiede nivellieren. Von den Personen, die
über größeren Besitz als die Mehrheit verfü-
gen, wird Großzügigkeit gegenüber den ande-
ren Gruppenmitgliedern erwartet.
Die Sozialeinheiten wie der Haushalt oder die
erweiterte Familie sind in ein Netzwerk von
verwandtschaftlichen Beziehungen eingebun-
den, das die Mitglieder dieses Beziehungsnet-
zes unterstützt. Zur Aufrechterhaltung dieses
Netzes ist der konstante Austausch von Gütern
und Leistungen notwendig. Der wechselseitige
Austausch von Gütern und die Beantwortung
von Leistungen wird als Reziprozität bezeich-
net, da es sich um Transaktionen handelt, die
auf Gegenseitigkeit basieren.
Die mehr oder weniger intensive Integration in
den Markt und in die jeweilige Nationalgesell-
schaft hat bei den indigenen Völkern zu einer
Reihe von Anpassungsproblemen geführt. Die
Marktmechanismen stellen die vorhandene
moralische Ordnung der indigenen Gruppe
infrage. So funktionieren zum Beispiel die
Austauschregeln nicht mehr in vollem Masse
und torpedieren das gute Funktionieren der
Gemeinschaft (ENSMINGER, 1990; NAASE,
2001). Fortschreitende Integration in den Markt
führt zum Widerspruch zwischen Werten und
Normen der indigenen, vorrangig auf Sub-
sistenz orientierten Wirtschaft und den Werten,
Normen und Regeln der Marktwirtschaft. Dies
führt zum Beispiel in Amazonien zu einer ge-
wissen Orientierungslosigkeit bei der indigenen
Bevölkerung (COICA, 1996)1. Andere indigene
Völker, z.B. in Zentralamerika, scheinen die
unterschiedlichen Logiken besser miteinander
kombinieren zu können (ZARATE, 2002).
In diesem Beitrag wird – beispielhaft – die ak-
tuelle wirtschaftliche Situation der indigenen
Völker, ihre Wirtschaftweisen und Vorstellun-
gen sowie die nationale Wirtschaftspolitik ein-
zelner Staaten und ihre Beachtung der Indige-
nen dargestellt. Daran schließt sich die Frage
an, was die multi- und bi-laterale Entwick-
lungszusammenarbeit in diesem Zusammen-
hang leisten kann und ob eine gezielte Unter-
1 Eigentlich: Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica (COICA) & OXFAM América (1996) Amazonía: Economía indígena y mercado. Los desafíos del desarrollo autónomo, Quito. Um die Zitierung zu vereinfachen in Zukunft immer unter COICA 1996 aufgeführt.
146
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
147
stützung indigener Wirtschaftsprojekte sinnvoll
ist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der
Situation der indigenen Gemeinschaften, die in
ländlichen Regionen leben (zur Situation der
städtischen indigenen Bevölkerung siehe auch
SPEISER in diesem Band).
Foto: Bearbeitung des Rohkaffees in Panama (S. SPOHN)
Die wirtschaftliche Situation der indigenen Völker in Lateinamerika
Indigene Völker in Lateinamerika leben in Re-
gionen mit sehr unterschiedlichen Ökosyste-
men, die ihre Wirtschaftsweisen maßgeblich
bestimmen.
Amazonien
Es ist für die indigenen Völker der Amazonas-
region charakteristisch, dass sie relativ egalitär
aufgebaut sind, solange sie nur marginal in die
Nationalgesellschaft und in den Markt integriert
sind. Produktion, Verteilung und Konsum sind
dezentralisiert und es bestehen keine formalen
(Wirtschafts-) Institutionen.
Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zur Sub-
sistenzsicherung setzen sich aus mehreren
Tätigkeitsfeldern zusammen: Die wichtigste
Grundlage für die Nahrungssicherung bildet
bei den meisten Völkern der Brandrodungs-
feldbau. Weitere Tätigkeitsbereiche sind Jagd,
Sammeln und der Fischfang, wobei Jagd weit-
gehend von Männern und Sammlertätigkeiten
von Frauen betrieben werden. Was gesammelt
wird (Früchte, Wurzeln, Insekten, Larven)
richtet sich nach den jeweiligen Umweltgege-
benheiten. Einige Völker sammeln Honig, der
mittlerweile sowohl national als auch internati-
onal nachgefragt ist. Die indigene Landwirt-
schaft Amazoniens nutzt eine große Vielfalt
von Pflanzen. In den Hausgärten wurden bis
zu 50 verschiedene Sorten vorgefunden. Auch
ist die Variantenbreite bei ein und derselben
Pflanzenart sehr groß. Auf einer einzigen
Pflanzung indigener Produzenten in Acre
(Bundesstaat in Amazonien, Brasilien) hat man
rund 40 verschiedene Maniok-Arten vorgefun-
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
den (SCHRÖDER, 2003:35-41). Dieser Arten-
reichtum ist jedoch durch zunehmende Markt-
orientierung bedroht.
Die meisten Amazonasvölker erwirtschaften
nur sehr geringe Überschüsse für die Ver-
marktung, können aber mit ihren Wirtschafts-
weisen ihre Nahrungsgrundlage sichern, so-
lange ihnen ein ausreichendes Territorium2 zu
Verfügung steht. Nachhaltige Reproduktions-
zyklen sind in der Amazonasregion in größe-
rem Umfang erhalten geblieben als in anderen
Regionen. Das Ziel der Ökonomien der indige-
nen Völker im Amazonas definiert SMITH (in
COICA 1996:154) wie folgt:
Befriedigung der Bedürfnisse des täglichen
Lebens der lokalen Gemeinschaften wie
Ernährung, Kleidung, Werkzeuge und kul-
turell bedingte Bedürfnisse,
Reproduktion der (erweiterten) Familie,
Durch den Tausch von Waren Solidaritäts-
beziehungen innerhalb der (Dorf-) Ge-
meinschaft und mit anderen Ansiedlungen
zu knüpfen und zu festigen.
In den meisten Regionen des Amazonas be-
steht heute eine Verflechtung zwischen Sub-
sistenz- und Marktwirtschaft, wobei der Zu-
gang zu den Märkten oft über Zwischenhändler
erfolgt. Diese bestimmen Preis und Abnah-
memenge der Produkte.
Der ökonomische Druck, der von außen auf
die Amazonasregion ausgeübt wird, hat sich in
den letzten 50 Jahren enorm verstärkt. Holz-
einschlag, Bergbau und Erdölförderung über-
lagern die indigenen Wirtschaftsweisen und
verursachen einen Bruch mit den traditionellen
Formen der Ernährungs- und Lebenssiche-
rung. Möglichkeiten eigene Alternativen zu
entwickeln, die ihren Kulturen und Wirt-
schaftsweisen entsprechen, bestehen kaum.
Die extraktive Industrie zerstört die Jagd-,
Fisch- und Sammelgebiete, schafft aber an-
derseits kaum alternative Beschäftigungs- und
Einkommensmöglichkeiten für Indigene3.
2 Zur Bedeutung der Territorialfrage für indigene Völker siehe RATHGEBER in diesem Band 3 Zu den Auswirkungen der extraktiven Industrie auf indigene Völker siehe FELDT in diesem Band
Ein anderes gravierendes Problem, mit dem
die indigenen Völker konfrontiert sind, ist die
Ausweitung des Drogenanbaus (vor allem
Koka und Schlafmohn). Dieser hat zu weitrei-
chenden sozialen, wirtschaftlichen und kultu-
rellen Veränderungen in der Regionen geführt.
In Bolivien sind zum Beispiel arbeitslose Mi-
nenarbeiter und verarmte Bauern aus der An-
denregion in das Amazonastiefland abgewan-
dert und haben dort Beschäftigung im Anbau
von Koka und deren Verarbeitung gefunden
(LEHM, 2002:10). Die Migranten stehen in di-
rekter Konkurrenz zu der lokalen Bevölkerung
und die einseitige Ausrichtung auf Drogenan-
bau führt zur Vernachlässigung des Anbaus
von Nahrungsmitteln, was zu Engpässen bei
der Eigenversorgung führt.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage,
ob die indigenen Völker in Amazonien durch
Marktintegration verlieren. Im Prinzip bejaht
SCHRÖDER diese Frage für Brasilien. Er kommt
zu dem Ergebnis, dass bis jetzt noch kein Fall
für Amazonien einer erfolgreichen und nach-
haltigen Marktintegration dokumentiert ist.
(SCHRÖDER, 2003:76f). Die Koordination der
indigenen Organisationen des Amazonasbe-
ckens (COICA) hat in einer Studie über “indi-
gene Ökonomien und Markt“ zehn Projekte
indigener Völker in Brasilien, Bolivien, Peru,
Ecuador und Kolumbien untersucht (COICA,
1996) und kommt zu dem Schluss, dass die
Amazonasvölker sich sehr schnell auf eine
verstärkte Marktintegration hinbewegen und
aber kaum eine wirkliche Vorstellung haben
wie die Marktmechanismen funktionieren. Die
untersuchten Projekte zeigten kaum langfris-
tige Entwicklungsperspektiven und schienen
dem Wunsch zu entsprechen “de lograr ac-
ceso a los regalos de generosas agencias
extranjeras de financiamiento, antes que a un
intento de encontrar una relación viable y du-
radera con el mercado“ (COICA, 1996:225)
148
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
Die Andenregion
Ungefähr 20 Mio. Indigene4, die mehrheitlich
den Aymara und Quechua angehören, leben in
den Anden. Sie sind meist Kleinbauern oder
landwirtschaftliche Lohnarbeiter, wobei die
meisten nur saisonal beschäftigt sind. Ihre
Wirtschaftstruktur unterscheidet sich kaum von
der anderer Kleinbauern im Hochland Latein-
amerikas. Im Gegensatz zu den Tieflandvöl-
kern sind sie bereits seit langem ein Teil des
nationalen Wirtschaftssystems - allerdings
unter schlechten Bedingungen. Die meisten
Indigenen in der zentralandinen Region leben
von dem, was die kargen Böden bis auf über
4000 m Höhe hervorbringen. Aus den fruchtba-
ren Tälern wurden sie bereits in der Kolonial-
zeit verdrängt. Wichtigstes Grundnahrungs-
mittel ist die Kartoffel, die es dort in 650 Va-
rietäten gibt. Laut MÜNZEL betreiben die
zentralandinen Indigenen eine Landwirtschaft,
die an “Diversifikation und Produktivität der
aller anderen amerikanischen Ureinwohner
überlegen ist“. (MÜNZEL, 1985:92). Doch trotz
dieser ausdifferenzierten Subsistenzwirtschaft
ist die materielle Lage der indigenen Bauern in
den Zentralanden schlecht. Gründe dafür sind
unter anderem:
Ungenügender Zugang zu landwirtschaft-
lich nutzbarem Land;
Bodenerosion und Versteppung weiter
Flächen aufgrund der Übernutzung der
Böden, schwer zu bewirtschaffende Flä-
chen können nicht weiter bearbeitet wer-
den;
Schlechte Marktanbindung und Transport-
infrastruktur, Probleme der Lagerhaltung,
niedrige Preise für landwirtschaftliche Pro-
dukte;
Zu wenig alternative Einkommensmöglich-
keiten außerhalb der Landwirtschaft.
Um das Überleben der Familien zu sichern,
migrieren einzelne Familienmitglieder in die
Städte, in andere landwirtschaftliche Regionen
oder in die Nachbarländer, zum Beispiel im
4 Es gibt unterschiedliche Angaben zum Anteil der indigenen Bevölkerung in den einzelnen Ländern. Siehe dazu die Tabelle im Anhang.
Falle der Bolivianer nach Argentinien. Frauen
und Mädchen arbeiten meist als Hauspersonal
oder in anderen Bereichen des informellen
Sektors in den Städten, Männer suchen eher
auf den Plantagen oder auf dem Bau nach
einer Beschäftigung. In der Andenregion selber
sind Einkommensmöglichkeiten außerhalb der
Landwirtschaft sehr gering.
Das Beispiel Bolivien
Die Mehrheit der bolivianischen Bevölkerung
ist indigen. Trotzdem ist dieser Bevölkerung
der Zugang zu wirtschaftlichem und sozialem
Aufstieg meist verwehrt. 45% der indigenen
Bevölkerung lebt in Städten, 55% in ländlichen
Regionen. Die ärmsten Provinzen sind
zugleich die Regionen mit dem höchsten Anteil
indigener Bevölkerung. Ein Grund für die Ar-
mut ist die ungleiche Landverteilung, die den
kleinbäuerlichen Familienbetrieben kaum die
Subsistenz ermöglicht. 27% der landwirtschaft-
lichen Einheiten umfassen weniger als 0,66 ha
und 43% sind nicht größer als zwei ha. Nur
26% der landwirtschaftlichen (Klein-) Betriebe
haben Zugang zu Krediten. Der Staat hat sich
aus der Vergabe von (Agrar-) Krediten weitge-
hend zurückgezogen und überlässt Kreditin-
stituten, die von NROs betrieben werden, die
Aufgabe Kleinkreditprogramme durchzuführen.
Das Beispiel Ecuador
Wie in Bolivien ist auch in Ecuador die indi-
gene Hochlandbevölkerung vor allem landwirt-
schaftlich tätig und der Zugang zu der Res-
source Land bleibt auch in absehbarer Zukunft
ein wichtiger Faktor für die ökonomische Ent-
wicklung. Allerdings haben die wenigsten Fa-
milien genügend Land zur Verfügung, da auch
in Ecuador die indigenen campesinos an die
erosionsbedrohten Hanglagen der Anden ver-
drängt wurden. Außerdem werden die kleinen
Felder wegen des hohen Bevölkerungsdruckes
(Erbteilung) immer weiter geteilt. 1998 lebten
85,8% der indigenen ländlichen Bevölkerung
unter der Armutsgrenze5 (WELTBANK, 2004).
5 Armutsgrenze ist hier definiert als ein monatliches Pro Kopf Einkommen von 48,30 US$ bzw. unter 243 $ pro Haushalt und dem mangelhaften Zugang zu sozialen Dienstleistungen.
149
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
Arbeitsweise und Strategien zur Überlebenssi-
cherung der indigenen Hochlandbauern in
Ecuador sind ähnlich wie in Bolivien. Unter
diesen Rahmenbedingungen gibt es wenig
Möglichkeiten für die (indigenen) Kleinbauern
ihre Produktion und Produktivität zu erhöhen.
Der Zugang zu mehr und fruchtbarerem Land
und zu einer besseren Markteinbindung sind
wichtige Voraussetzungen, um die Armut zu
überwinden. Allerdings ist das Entwicklungs-
potenzial in der Landwirtschaft auch bei besse-
ren Voraussetzungen begrenzt.
Beispiele für eine erfolgreiche Markteinbindung
sind bisher eher rar. Das Volk der Otavaleños
hat ein eigenes erfolgreiches Produktions- und
Vermarktungssystem für indigene Textilien und
Kunsthandwerk aufgebaut. Dieses Beispiel
lässt sich nicht beliebig reproduzieren, da der
Markt für indigenes Kunsthandwerk ein Ni-
schenmarkt ist und die Voraussetzungen in
anderen Regionen bei anderen indigenen Völ-
kern unterschiedlich sind.
Foto: Verkauf von Chacaras (traditionellen Netztaschen aus Naturfasern) in Panama (K. LECKEBUSCH)
Zentralamerika und Mexiko
In Zentralamerika leben in den Staaten Gua-
temala und Nicaragua die meisten Angehöri-
gen indigener Völker. Mexiko hat mit ca. 12
Mio. in absoluten Zahlen die größte indigene
Bevölkerung Lateinamerikas. Der heutige Ein-
druck von relativem sozialen Gleichgewicht
indigener Gemeinden in Mexiko resultiert in
erster Linie aus den wirtschaftlichen Möglich-
keiten der Migration in die USA und der damit
einhergehenden finanziellen Unterstützung von
Familienmitgliedern, die in Mexiko geblieben
sind. Die “traditionelle“, d.h. zumeist subsisten-
zorientierte Landwirtschaft überlebt durch
Transfers des Staats und durch Zahlungen der
Migranten in den Städten und in den USA
(ZARATE, 2002:10ff).
150
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
Das Beispiel Guatemala
Die Wirtschaft Guatemalas basiert auf der
Agrarproduktion für den Export und den Ei-
genbedarf. Hauptprodukte sind Kaffee, Zucker-
rohr, Bananen, Baumwolle und seit den 1980er
Jahren sogenannte ‚nicht-traditionelle’ Agrar-
produkte wie Blumen, Gemüse und Früchte.
Auf der Basis dieser nicht-traditionellen Agrar-
produkte hat sich eine Agrarindustrie heraus-
gebildet, die für Verarbeitung, Vermarktung
und Export der Produkte zuständig ist. Die
kleinen und mittleren Bauern profitieren aller-
dings kaum davon.
Die Landbevölkerung und vor allem die indi-
gene Bevölkerung ist arm. Fast 60% aller
Guatemalteken sind arm. 80% der indigenen
Bevölkerung Guatemalas leben in Armut und
60% in extremer Armut (STEELE, 1994; TOVAR,
1999). Der Zugang zu Land ist für die indigene
Bevölkerung nach wie vor lebenswichtig und
der Landverteilungskonflikt hält an. 1950 wa-
ren 17% der Landbevölkerung ohne Land. Im
Jahre 2000 ist dieser Anteil auf 29% gestiegen
(LOPEZ RAQUEQ & CRISÓSTOMO, 2004). Nach
wie vor besitzen 96% der Bauern nur 20% des
Bodens während 4% über 80% des nutzbaren
Landes verfügen (STAVENHAGEN, 2003). Indi-
gene und andere arme Bauern haben nur Zu-
gang zu den schlechtesten Böden, auf denen
sie vor allem Bohnen und Mais für den Eigen-
bedarf, sowie Reis, Sorghum, Kartoffeln und
auch Kaffee für den Markt anbauen. Die Kom-
merzialisierung der Produkte findet auf den
regionalen Marktplätzen statt. In 44 von 331
Municipios ist die Ernährung nicht gesichert
(TOVAR, 1999). Zusätzlich zur Subsistenz in
der Landwirtschaft sind indigene und nicht-
indigene arme Bauern gezwungen als Wan-
derarbeiter auf Plantagen zu arbeiten oder in
die Städte zu gehen, wo sie im informellen
Sektor arbeiten und ihre Familien auf dem
Land unterstützten. TOVAR (1999) weist auch
nach, dass Indigene bei Arbeiten auf den
Plantagen, als Dienstmädchen oder bei ande-
ren Tätigkeiten, nur ein Drittel des üblichen
Lohnes erhalten.
Erschwerend ist für die indigenen und nicht-
indigenen Kleinbauern, die nicht nur für die
Subsistenz anbauen, dass sie kaum Zugang
zu Krediten haben. Eine einzige Bank, die
Banrural, vergibt Kredite an Klein- und mittlere
Produzenten. Darüber hinaus gibt es kaum
Zugang zu kommerziellen Krediten für Indi-
gene. Um diesen Mangel zu überwinden, sind
in den letzten Jahren in den Gemeinden kleine
bancos comunales entstanden, die Rotations-
fonds aufbauen.
Trotz der Verschmelzung mit anderen Wirt-
schaftsformen seit der Kolonialisierung haben
die Maya Teile ihres Weltbildes und ihrer Soli-
daritäts- und Austauschbeziehungen unterein-
ander erhalten. Letztendlich sind es diese Be-
ziehungen und Netzwerke, die die indigene
Bevölkerung davor bewahren, in die endgültige
Armut abzusinken.
Zusammenfassung
Die indigenen Völker im Amazonasgebiet sind
marginal in die Marktwirtschaft integriert und
üben viele ihrer traditionellen Wirtschaftsprak-
tiken (noch) aus. Sie unterscheiden sich in der
Sicherung ihrer Ernährungsgrundlage deutlich
von den Siedlern, die aus dem Hochland ins
Tiefland abgewandert sind. Demgegenüber
sind sich die Wirtschaftsweisen und Lebens-
bedingungen der indigenen und nicht-indige-
nen armen Landbevölkerung in den Anden und
Zentralamerikas sehr ähnlich. Zwar leben die
Aymara, Quichua, Maya und andere indigenen
Völker (Teile) ihre Kultur. Ihre Wirtschaftsprak-
tiken weisen aber strukturelle Gemeinsamkei-
ten mit denen anderer Kleinbauern in anderen
Regionen der Welt auf.
Bei der Frage nach Förderungsmöglichkeiten
zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation
der indigenen Völker sollte daher unterschie-
den werden zwischen dem traditionellen Ma-
nagement natürlicher Ressourcen und der
Teilnahme der indigenen Bevölkerung an der
Volkswirtschaft. Während im Tiefland die Si-
cherung der Territorien und ihr Management
sowie der Erhalt der natürlichen Umwelt le-
benswichtig sind für die (wirtschaftliche) Ent-
wicklung der dort lebenden Völker (PLANT,
2002; siehe auch RATHGEBER in diesem Band),
müssen im Hochland, wo Indigene nicht über
151
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
ausgedehnte Territorien verfügen, andere
Maßnahmen entwickelt werden, um die wirt-
schaftliche Marginalisierung der indigenen und
ländlichen Bevölkerung zu überwinden.
Wirtschaftliche Entwicklungskonzepte
Konzepte des Staates
Die Institutionen des Staates sind in den länd-
lichen Regionen Lateinamerikas meist nur
schwach vertreten und in den staatlichen Kon-
zepten regionaler Entwicklung haben indigene
Völker bisher kaum eine Rolle gespielt. Dies
scheint sich zu ändern.
Beispiele dafür sind das Entwicklungsprojekt
PRODEPINE (Proyecto de Desarrollo de los
Pueblos Indígenas y Afroecuadorianos), das
der ecuadorianische Staat mit Unterstützung
der Weltbank und dem Internationalen Fonds
für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) zu-
sammen mit indigenen und afro-ecuadoriani-
schen Organisationen durchführt. Dies ist das
erste große Projekt der ecuadorianischen Re-
gierung, dass sich gezielt an die indigene Be-
völkerung richtet und mit ihnen gemeinsam
entwickelt wurde (s.u.).
Ein weiteres Beispiel ist Bolivien. Bolivien hat
in den letzten Jahren zusammen mit den inter-
nationalen Verhandlungen zum Schuldener-
lass (HIPIC) eine Armutsreduzierungsstrategie
entwickelt. In dieser Strategie werden gezielt
Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaft-
lichen Situation indigener Völker aufgegriffen.
Das bolivianische Armutsreduzierungsstrate-
giepapier wird im Folgenden kurz vorgestellt.
Armutsreduzierungsstrategie in Bolivien
Die Armutsreduzierungsstrategie des Landes
wurde bereits 2001 erstellt. Kernstück sind vier
miteinander verknüpfte Sektorstrategien:
Beschäftigungs- und Einkommenspolitik:
die Produktionskapazität von Kleinbauern
und Kleinunternehmern soll vor allem
durch Investitionen in die Infrastruktur er-
höht werden;
Verbesserung der sozialen Dienstleistun-
gen: das Grundbildungssystem, die Basis-
gesundheitsversorgung sowie die Trink-
wasserversorgung und Abwasserentsor-
gung sollen verbessert werden;
Schutz besonders gefährdeter Gruppen:
für Bevölkerungsgruppen, die besonderen
Risiken ausgesetzt sind, sollen Schutzpro-
gramme entwickelt werden. Dazu gehören
die Definition von Besitzrechten wie auch
Maßnahmen zur Vorbeugung von Natur-
katastrophen;
Soziale Integration und Partizipation: durch
Trainingsmaßnahmen soll die Teilhabe der
Bevölkerung an politischen Entscheidun-
gen werden. Die Dezentralisierung der
Verwaltung soll intensiviert werden.
Als Querschnittsaufgaben werden die Ver-
besserung der Möglichkeiten ethnischer
Gruppen und indigener Völker, Schutz der
Frauenrechte und Umweltmanagement
und nachhaltige Nutzung natürlicher Res-
sourcen genannt. (Armutsreduzierungs-
strategie Bolivien, 2001: 58)
Die wirtschaftliche Entwicklung der indigenen
Völker Boliviens soll im Rahmen eines „natio-
nalen indigenen Entwicklungsplans“ gefördert
werden. Dieser Plan ist noch zu erstellen. Es
sollen u.a. “culturally based micro-enterprises“
(Armutsreduzierungsstrategie Bolivien,
2001:119) aufgebaut und unterstützt werden,
um zu zeigen, dass Kleinbauern und indigene
Produzenten von Waren und Dienstleistungen
Einkommen schaffen und Armut reduzieren
können, wenn sie Zugang zu Finanzdienst-
leistungen, technischer Beratung und Training
erhalten.
Die Armutsreduzierungsstrategien in den la-
teinamerikanischen Ländern sind wichtige
Ansatzpunkte für die Förderung indigener Völ-
ker im staatlichen Kontext. In Bolivien zeigen
sich Ansätze dafür, in anderen Ländern wie
Nicaragua und Honduras wurde die man-
gelnde Partizipation der indigenen Organisati-
onen an der Erstellung der Armutsreduzie-
rungsstrategie bemängelt (siehe www.prsp-
watch.de, 2004).
Indigene Konzepte
Die Frage nach einem indigenen Konzept zur
wirtschaftlichen Entwicklung ist schwer zu
152
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
beantworten. So wie es keine einheitliche indi-
gene Wirtschaftsweise gibt, so gibt es auch
kein einheitliches Konzept, das die unter-
schiedlichen Weltanschauungen, Lebensum-
stände und –umwelten der Völker zusammen-
fassen könnte. Nach VITERI (2004) gibt es bei
den indigenen Völker des Amazonastieflandes
nicht die Vorstellung von Entwicklung als ei-
nem linearen Prozess: “En la cosmovision de
las sociedades indígenas, en la comprensión
del sentido que tiene y debe tener la vida de
las personas no existe el concepto de desarro-
llo. Es decir, no existe la concepción de un
proceso lineal de la vida que establezca un
estado anterior o posterior, a saber, de sub-
desarrollo y desarrollo; dicotomía por los que
deben transitar las personas para la consecu-
ción de bienestar, como ocurre en el mundo
occidental. Tampoco existen conceptos de
riqueza y pobreza determinado por la acumu-
lación y carencia de bienes materiales.”
(VITERI, 2004).
Dem linearen Entwicklungskonzept setzt er
daher einen ganzheitlichen Ansatz entgegen:
“Mas existe una visión holística a cerca de lo
que debe ser el objetivo o la misión de todo
esfuerzo humano, que consiste en buscar y
crear las condiciones materiales y espirituales
para construir y mantener el ‘buen vivir’, que
se define también como ‘vida armónica’, que
en idiomas como el runa shimi (quichua) se
define como el ‘alli káusai’ o ‘súmac káusai’.”
(VITERI, 2004)
Viteri kritisiert, dass sowohl Nichtregierungsor-
ganisationen als auch die indigenen Organisa-
tionen selbst mit der Durchführung von soge-
nannten integrierten Entwicklungsprojekten
den ‚Entwicklungsdiskurs’ übernommen haben
und so dazu beitragen, dass die Fähigkeiten
und das Wissen der Indigenen Völker, ihre
Probleme autonom zu lösen, untergraben wer-
den.
Man muss hier allerdings anmerken, dass für
viele Völker im Tiefland und für alle im süd-
amerikanischen Hochland und in Zentralame-
rika die traditionellen „Entwicklungsoptionen“
nicht mehr greifen, weil durch Kolonialisierung
und Marginalisierung die Bedingungen dafür
zerstört wurden und weil sich andere Bedürf-
nisse durch den Kontakt mit der Mehrheitsge-
sellschaft herausgebildet haben. Es gibt aber
auch Beispiele, wo indigene Gemeinschaften
und Organisationen den Spagat zwischen der
Weiterentwicklung eigener Wirtschaftsweisen
und den sich verändernden äußeren Bedin-
gungen versuchen. Im Folgenden werden ei-
nige kurz skizziert.
Die Schwefelmine Puracé (Cauca)
In Kolumbien leiden die indigenen Völker unter
der politischen und wirtschaftlichen Ausgren-
zung und dem seit Jahrzehnten dauernden
Bürgerkrieg, der Gewalt der Drogenmafia und
der Paramilitärs. Trotzdem haben indigene
Völker eigene wirtschaftliche Alternativen ent-
wickelt.
Seit dem Jahre 2000 gibt es die Empresa Mi-
nera Indígena del Cauca. Der cabildo (Dorfrat)
des resguardo (Gebiet unter indigener Ver-
waltung) hat die Schwefelmine im Cauca über-
nommen, nach dem der bisherige Betreiber
Konkurs beantragte und damit über 300 Fami-
lien (von 1129 in dem Dorf) Einkommensver-
lust drohte.
RATHGEBER (2002) hebt drei positive Effekte
der Minenrettung hervor:
Ein neues Nachhaltigkeitskonzept soll die
Betriebsrenten und die Arbeitsplätze si-
chern und die sozialen Beziehungen und
die kulturelle Eigenständigkeit der Ge-
meinschaft garantieren.
Die Umweltschäden werden reduziert und
die Altschäden sollen nach und nach be-
seitigt werden.
Der Betrieb soll so organisiert werden,
dass “eine gemeinsame Schnittstelle von
betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten
und kulturell abgestimmter Arbeitsrhythmik
gefunden wird, die gewinnorientiertes Pro-
duzieren zulässt.“ (RATHGEBER, 2002:176)
Nach Übernahme der Mine hat sich der Pro-
duktionsablauf verändert, Arbeitsrhythmus und
Produktausstoß wurden verlangsamt. Die Pro-
duktion soll so gestaltet werden, dass eine
längerfristige Existenz der Mine und ein scho-
153
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
nender Abbau der Ressource möglich ist. Für
Rathgeber ist es ein Beispiel “vom Vermögen
der Indígenas, Strategien zur Bewältigung
einer sozialen und wirtschaftlichen Krise im
Kontext ihrer kulturellen Leitbilder zu bewerk-
stelligen.“ (2002:176). Es wäre interessant zu
beobachten, ob dies gelingt und sich eine indi-
gene Vorstellung von Unternehmertum her-
ausbilden kann oder ob diese Beispiel nur ein
weiteres von mehr oder minder erfolgreichen
Betriebsübernahmen, wie sie in vielen Teilen
der Welt durch die Beschäftigten stattfinden,
sein wird.
Amazon Gas
Die Frage nach einem indigenen Unterneh-
mertum wirft auch das Beispiel Amazon Gas
auf, das sich noch in der Planungsphase be-
findet. Amazon Gas ist ein gemeinsames Un-
ternehmen von der ecuadorianischen Konföde-
ration der indigenen Völker des Tieflandes,
CONFENIAE, und einem indigenen kanadi-
schen Unternehmen. Ziel des Unternehmens
ist die Nutzung und der Verkauf von Erdgas,
das auf mehreren Erdölfeldern von Petroecua-
dor als Nebenprodukt anfällt und bisher ledig-
lich abgefackelt wurde. Amazon Gas ist mo-
mentan im Entstehungsprozess, so dass über
Erfolg oder Misserfolg noch keine Bilanz gezo-
gen werden kann. Es ist allerdings ein Experi-
ment, das großen Einfluss auf die wirtschaftli-
che Situation der indigenen Organisation
CONFENIAE und der nutznießenden indige-
nen Dörfer haben wird.
Weitere Beispiele
Es gibt mehrer Beispiele über die Nutzung und
Vermarktung von Waldprodukten, die über
Nischenmärkte in den Ländern aber auch in
den USA und Europa abgesetzt werden. So
kauft die Kosmetikkette “Body Shop“ mit
Hauptsitz in England Paranussöl direkt von
den Kayapó Dörfern A-Ukre und Pukanuv in
Brasilien für die Herstellung von Cremes und
von den Nahnu aus Mexiko Sisalmassage-
handschuh zum Verkauf in den Läden. Diese
direkten Handelsbeziehungen laufen in der
Außendarstellung von Body Shop unter dem
Schlagwort “Hilfe durch Handel“: den Dörfern
soll dadurch der Zugang zum Markt und zum
Aufbau weiterer Geschäftsbeziehungen er-
leichtert werden. Allerdings wird von dem Un-
ternehmen kritisch angemerkt, dass man das
Interesse der Kundinnen an „Hilfe durch Han-
del“ Produkten überschätzt hat.6 Direkt ver-
marktete Produkte indigener Völker aus La-
teinamerika bedienen in Europa nur einen sehr
kleinen Markt.
Andere Beispiele für indigene Wirtschaftsun-
ternehmen sind lokale und regionale Touris-
musprojekten, oder die Entwicklung von eige-
nen, zum Teil lokalen Kreditsystemen. PLANT
(2002) kommt zu dem Schluss, dass in ganz
Lateinamerika sich ein “indigenes“ Unterneh-
mertum auszubilden beginnt. Damit ist in erster
Linie die Herausbildung von eigenen Ver-
marktungsstrukturen wie bei den K’iche in
Guatemala, der Aufbau von eigenen bancos
communales in mehreren Ländern oder der
Aufbau von eigenen kleinen Tourismusunter-
nehmen in Ecuador gemeint. Der Aufbau eige-
ner wirtschaftlicher Unternehmen in Latein-
amerika hat weder das Ausmaß der indigenen
Unternehmen in Kanada, Australien oder Neu-
seeland angenommen noch hat es die Unter-
stützung erfahren, die zum Beispiel die indige-
nen Unternehmen in Kanada durch die Regie-
rung erhalten haben.
Ansätze der EZ
Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit
wurde von Seiten der Weltbank aber auch von
der Interamerikanischen Entwicklungsbank das
Konzept des “Ethnodevelopment“ oder auch
“Development with identity“ zum Leitbild für die
Zusammenarbeit mit indigenen Völkern erho-
ben. Dieses Konzept wurde ursprünglich von
der UNESCO entwickelt und beinhaltet die
Verbesserung der Lebensqualität indigener
Völker durch folgende Elemente zu erreichen
(PARTRIDGE & UQUILLAS, 1996).
(1) Verbesserung des Zugangs zu sozialen
Dienstleistungen und natürlichen Ressour-
cen unter besonderer Berücksichtigung in-
digener Formen der Landnutzung und des
Landbesitzes,
6 Siehe www.the-body-shop.de.
154
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
(2) Stärkung indigener Kulturen, Gemein-
schaften und sozialen Organisationen,
(3) Stärkung indigener Kapazitäten, ihre eige-
nen Entwicklungsprojekte zu entwerfen
und zu managen.
Die Weltbank
Im Rahmen dieses Ethnodevelopmentkon-
zeptes hat die Weltbank bisher einige wenige
Projekte durchgeführt, die sich ausschließlich
an die indigene Bevölkerung richten. Eines
davon ist, PRODEPINE7 (Proyecto de Desar-
rollo de los Pueblos Indígenas y Afroecuadori-
anos in Ecuador), dessen erste Phase mittler-
weile abgeschlossen ist. Inhalt des Projektes
waren
Maßnahmen zur Stärkung der indigenen
Organisationen und der staatlichen Institu-
tion für indigene Völker, dem Consejo de
Desarrollo de las Nacionalidades y
Pueblos Indígenas de Ecuador CO-
DENPE;
Management natürlicher Ressourcen, vor
allem Boden- und Wasserschutz, Wieder-
aufforstungen, Management der Mangro-
vengebiete, Sicherung von Landrechten.
Im Hochland erfolgte die Sicherung von
Landrechten durch den Kauf von Parzel-
len;
Investitionen in ländliche Vorhaben, hier
wurden unterschiedliche Kleinmaßnahmen
sowie Vorstudien für langfristige Vorhaben
finanziert.
Das Projektmanagement lag in der Hand eines
Steuerungsgremiums, dass sich aus Vertre-
ter/innen der Regierung und der indigenen und
afroecuadorianischen Organisationen zusam-
mensetzte. Dies hat zwar den Planungs- und
Umsetzungsprozess verlangsamt, aber ent-
scheidend zur Nachhaltigkeit des Projektes
beigetragen (UQUILLAS & NIEUWKOOP, 2003).
Die indigenen Gemeinschaften und ihre Orga-
nisationen waren nicht nur die Zielgruppe son-
dern die zentralen Akteure des Projektes. Das
Projekt ist von der Weltbank positiv als Beitrag 7 PRODEPINE wird von dem International Fund for Agricultural Development und der Inter- American Foundation kofinanziert.
zur Armutsreduzierung von Indigenen beurteilt
worden8 und soll in einer zweiten Phase
weitergeführt werden.
Die deutsche EZ
Die Zusammenarbeit der deutschen EZ mit
indigenen Völkern ist nicht auf die direkte För-
derung von Wirtschaftsprojekte ausgerichtet.
Die Unterstützung von angepassten Wirt-
schaftsweisen ist jedoch integraler Bestandteil
mehrerer Projekte. Im Folgenden werden bei-
spielhaft einzelne Projekte erwähnt:
Pilotprogramm zur Bewahrung der tropi-
schen Regenwälder Brasiliens (PPG 7)
Das Pilotprogramms, das noch bis 2008 läuft,
ist der Versuch, die wirtschaftlichen Interessen
an der Entwicklung der brasilianischen Re-
genwaldregion mit dem Schutz des Waldes in
Einklang zu bringen. In dem Programm werden
Förder- und Schutzprogramme durchgeführt,
die von der Demarkierung indigener Territo-
rien, über die Förderung indigener wirtschaftli-
cher Kleinprojekte bis zu Initiativen zur Ver-
marktung organischer Produkte reicht.
Foto: Vorbereitung des Kaffees für den Verkauf in Panama (S. SPOHN)
Ngöbe Buglé
Das Projekt „Management der natürlichen
Ressourcen im Gebiet Ngöbe“ der Nationalen
Umweltbehörde (ANAM) mit technischer und
finanzieller Unterstützung der GTZ arbeitete
von 1993 bis 2004 in der Comarca Ngöbe-
Buglé. Ziel des Projektes war es, einen Beitrag 8 Zur weiteren Information über das Projekt siehe Uquillas & Nieuwkoop (2003) und Griffiths (2000)
155
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
zur Verbesserung der Lebensbedingungen der
Bevölkerung zu leisten und die Bevölkerung zu
unterstützen, sich in die politische und wirt-
schaftliche Entwicklung des Landes unter Er-
halt ihrer Identität zu integrieren.
Über die Förderung von nachhaltigen Produk-
tionssystemen, Qualitätsverbesserung der
Produktion (hauptsächlich Kaffee und Kunst-
handwerk), Unterstützung bei der Organisation
in Erzeugergemeinschaften und bei der Suche
nach Vermarktungsmöglichkeiten, wurden
kurze Vermarktungsketten aufgebaut, die den
indigenen Bauern und Bäuerinnen eine deutli-
che Einkommenssteigerung erbrachte. Die
Vermarktung von Kaffee und Kunsthandwerk
auf dem regionalen Markt und der Export von
Bio-Kaffee sichern die Abnahme der Produk-
tion. Neben den wirtschaftlichen Erfolgen ist
das sichtbar gesteigerte Selbstbewusstsein
und die verbesserte Verhandlungsfähigkeit der
Ngöbe-Bevölkerung ein weiteres Ergebnis.
Die kanadische EZ
Zum Schluss sei noch kurz auf die kanadische
Entwicklungszusammenarbeit hingewiesen.
Das spezifische der kanadischen EZ ist, dass
sie im Rahmen des Indigenous Peoples Part-
nership Programme gezielt gemeinsame Vor-
haben von indigenen kanadischen Organisati-
onen und Unternehmen mit ihren lateinameri-
kanischen indigenen Partnern fördert. Indigene
Organisationen in Lateinamerika sollen direkt
von den Erfahrungen der indigenen Völker in
Kanada profitieren und in ihre eigene Praxis
umsetzen können. Es hat auf der einen Seite
Elemente einer „Auslandsförderung“ kanadi-
scher indigener Unternehmen, zum Beispiel
von Beraterfirmen. Andererseits haben indi-
gene Organisationen in Lateinamerika dadurch
die Möglichkeit, Erfahrungen anderer indigener
Organisationen im Aufbau von Unternehmen
kennen zu lernen und eventuell produktiv für
ihre Arbeit zu nutzen. So stellt sich die Frage,
ob nicht die gezielte Förderung kanadischer
indigener Betriebe durch die Regierung und
die Unterstützung bei der (Auslands-)Ver-
marktung durch die Organisierung von Messen
u.ä. nicht auch gangbare Maßnahmen in La-
teinamerika wären.
Schlussbetrachtung
Zur Verbesserung der Chancen indigener Völ-
ker ist der erste Schritt, der notwendigerweise
durch die Nationalstaaten erfolgen muss, die
rechtlichen Rahmenbedingungen zur Siche-
rung der Menschenrechte der indigenen Be-
völkerung zu schaffen. Darüber hinaus muss
das Eigentum an indigenem Land und seiner
natürlichen Ressourcen eindeutig durch Ge-
setze und deren Umsetzung abgesichert sein.
Das Vorhandensein von eindeutigen Grenzen
und Landtiteln ist jedoch im Umkehrschluss
keine ausreichende Voraussetzung für ökono-
mische Entwicklung. Der Staat ist die Institu-
tion, die die rechtlichen Mechanismen und die
physische Infrastruktur bereitstellen muss, die
notwendig sind, damit dauerhafte selbstbe-
stimmte Entwicklung stattfinden kann.
Auch wenn es vordringlich die Aufgabe des
jeweiligen Staates ist, die indigene Rechte
abzusichern und Voraussetzungen zu schaf-
fen, um die (ökonomische) Benachteiligung
indigener Völker zu überwinden, so kann die
EZ – in bescheidenem Maße - dazu beitragen,
die Marginalisierung der indigenen Völker zu
verringern durch:
Unterstützung der indigenen Völker und
ihrer Organisationen bei der Erarbeitung
von strategischen Entwicklungsplänen, um
Visionen und Wirtschaftsalternativen für
ihre Regionen zu entwickeln; Schaffung
von Foren für indigene und nicht-indigene
Bewohner einer Region, auf denen über
alternative Entwicklungsmöglichkeiten
nachgedacht und debattiert werden kann.
Gezielte Förderung indigener Unterneh-
men, Kooperativen und Erzeugergemein-
schaften. Dazu kann die Qualitätsverbes-
serung der Produktion und der Zugang zu
einer verbesserten nationalen und interna-
tionalen Vermarktung genauso gehören
wie die Weiterqualifizierung im Manage-
mentbereich zur Leitung von Unterneh-
men;
Beitrag zur verbesserten Bildung – neben
der Grundbildung vor allem im Bereich der
beruflichen Weiterbildung und universitä-
156
Indigene Völker und Wirtschaftsentwicklung
ren Ausbildung (z.B. Stipendienpro-
gramme);
Eine gezielte Förderung indigener wirtschaftli-
cher Projekte ist dann sinnvoll, wenn sie die
Anstrengungen zur Sicherung der Eigenver-
sorgung unterstützen. Sie sind in marginalen
Regionen sinnvoll, die mit besonders schwieri-
gen Ausgangsbedingungen konfrontiert sind.
Ferner sollten die indigene Völker privilegiert
unterstützt werden, die nur über geringe Erfah-
rungen im Umgang mit dem Markt und seinen
Mechanismen verfügen. Sie müssen bei ihren
Versuchen sich in diese Mechanismen einzu-
finden begleitet werden. So bedarf es beson-
deren Wissens um indigene Produkte, wie
Webtextilien und Keramiken auf dem Markt zu
etablieren. Bei diesen Fördertypen stellen sich
auch Fragen zum Schutz von indigenem intel-
lektuellem, materiellem und nicht-materiellem
Eigentum. Zahlreiche andere Maßnahmen, wie
die Gewährung von speziellen Krediten oder
Beratungsleistungen, die im Rahmen von Res-
sourcenschutzprogrammen oder im Rahmen
von Kleinbauernförderung durchgeführt wer-
den, sollten sensibel auf den Beratungsbedarf
indigener (Dorf-) Gemeinschaften eingehen
und mit deren besonderen Bedingungen be-
denken. Gleichzeitig sollte das Empowerment
und die Schulung von indigenen Organisatio-
nen gestärkt werden, damit sie in die Lage
versetzt werden, selbst langfristig Maßnahmen
zu steuern und zu begleiten.
Im Andenhochland, wo die Lebenssituation der
indigenen und nicht-indigenen Bevölkerung
sich kaum voneinander unterscheidet, er-
scheint ein regionaler Ansatz erfolgverspre-
chender als ein ethnisch begründeter. Aber
auch in der Amazonasregion sollten Ansätze
unterstützt werden, in denen indigene und
nicht-indigene Bevölkerung gemeinsam Kon-
zepte für die Entwicklung ihrer Region ent-
werfen.
Wirtschaftsförderungsprojekte und Staatsmo-
dernisierungsprogramme, die an sozial ge-
rechteren Rahmenbedingungen arbeiten, soll-
ten indigene Völker als zentrale Akteure wahr-
nehmen und in ihrer Planung und Umsetzung
angepasste Aktivitäten für die indigene Bevöl-
kerung berücksichtigen.
Bleibt noch anzumerken, dass Projekte mit
indigener Bevölkerung nicht kurzfristig nach-
haltig sind, selbst dann nicht, wenn sie gut
entworfen sind. Sie verlangen ein Engage-
ment, das zumeist über den Zeit- und Pla-
nungshorizont von Entwicklungsprojekten hi-
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Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
159
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social:Desencuentros, herejías y otros éxitos
RENÉ RODRIGUEZ HEREDIA
La devolución de responsabilidades a los Pueblos Indígenas es un acto de justicia histórica
Desde hace poco menos de seis años la Co-
operación Financiera Oficial Alemana, a través
del Grupo KfW, Banco Alemán de Desarrollo,
juntamente con sus contrapartes nacionales,
han iniciado en América Central el diseño y la
ejecución de programas de desarrollo comu-
nitario cuya característica principal es poner a
las comunidades y a sus autoridades locales al
mando de su propio desarrollo. Es lo que ac-
tualmente se está denominando la metodolo-
gía participativa promotora del Desarrollo Lo-
cal con Enfoque Indígena. Esta metodología
tiene como pivote central la aplicación del
principio de subsidiariedad y el respeto de la
diversidad étnica, es decir, que los niveles
superiores del gobierno no deben realizar
aquello que los niveles inferiores pueden hacer
si son convenientemente apoyados para asu-
mir tal responsabilidad. Esta metodología,
cuando se trata de trabajar con Pueblos Indí-
genas1, es más pertinente aún, pues se trata
de promover el desarrollo pero un desarrollo
con identidad.
En la promoción del Desarrollo Local el lugar
privilegiado de transferencia de los recursos y
responsabilidades son las autoridades locales
y las comunidades, y, cuando se trata de co-
munidades indígenas, incluyendo a sus autori-
dades cuya legitimidad se sustenta en las
tradiciones y prácticas ancestrales de estos
(jus gentium o derecho consuetudinario).
El Desarrollo Local es fundamentalmente un
proceso que devuelve a las comunidades y
1 Pueblo Indígena es el conjunto de familias y comunidades que se autoreconocen como diferentes a los demás por razones de idioma y cultura y que desde el comienzo de su historia habitan un territorio por ellos poseído.
sus autoridades todo el poder de decisión
sobre los temas que directamente les concier-
nen y les afectan, con la menor intervención
posible de las autoridades de los niveles cen-
trales o intermedios.
Con esta metodología los indígenas no son
simples objetos de las intervenciones, ni tan
siquiera sujetos de las mismas, sino los acto-
res protagónicos y al mando de su desarrollo.
De ahí que las principales herramientas de
aplicación del Desarrollo Local sean: la planifi-
cación participativa, democrática e incluyente
de cada pueblo indígena; la transferencia de
recursos financieros y técnicos para que cada
pueblo ejecute los programas y proyectos que
implica su plan de desarrollo2; y el fortaleci-
miento organizativo tanto de las comunidades
como de sus estructuras de gobierno tradicio-
nal.
Estas tres herramientas tienen como objetivo
devolver de manera sistemática aquellas ca-
pacidades que los colonizadores, sus descen-
dientes criollos y las democracias formales de
manera igualmente sistemática expoliaron y
casi siempre a golpe de látigo y fusil. La de-
volución preconizada por la Cooperación Fi-
nanciera Oficial Alemana a través KfW Ban-
kengruppe (Banco Alemán de Desarrollo),
mayormente limitada a lo que se refiere la
gerencia del propio desarrollo y del ciclo de
proyectos, lo cual es un elemento primordial,
pero no el único, de lo que debe ser un pro-
ceso integral de devolución histórica de todo
aquello que los pueblos indígenas necesitan
2 Estos Programas están poniendo en práctica la ejecución de los proyectos por las comunidades en orgánica relación con sus autoridades. Es lo que se ha dado en llamar Desarrollo Guiado por la Comunidad y conocido por su sigla en Inglés como CDD (Community Driven Development), que se está ejecutando en nueve Programas financiados por el KfW y Banco Mundial en América Central.
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
160
para retomar la senda de un desarrollo reali-
zado con identidad. Esto último es todavía
punto de agenda en los gobiernos que real-
mente deseen vivir dentro de la ”unidad con
diversidad”.
Foto: Workshop indigener Organisationen Perus (S. REINHARDT)
Invertir sustantivamente en capacitación comunitaria y capacitación de las autori-dades locales
Consecuencia inmediata del anterior principio,
es que los Programas de Desarrollo Local que
financia el Gobierno de Alemania a través del
KfW están diseñados para invertir sustantiva-
mente en la capacitación de las comunidades,
las autoridades locales y las unidades de pro-
yectos de las organizaciones incluyendo las de
los Pueblos Indígenas. No se trata solamente
de capacitar a las comunidades y a los gobier-
nos municipales, como se hacía hasta hace
poco, en el buen cuidado y uso de sus pro-
yectos, sino en temas como la importancia del
fortalecimiento organizativo, historia del pueblo
indígena, la cuentadancia ciudadana, la plani-
ficación democrática, el manejo del ciclo de
proyectos y temas tendientes a fomentar un
desarrollo con identidad. Lejos están los días
en los que el componente capacitación era la
cenicienta de los presupuestos de los Progra-
mas, pues ahora de lo que se trata es de ge-
nerar capacidades, habilitar organizaciones,
empoderar a los Pueblos.
Fomento del capital social o prevención de conflictos
Capital social es la capacidad que tienen los
grupos humanos de poder concertar y trabajar
por el bien común. Por ello se afirma que la
prevención de conflictos y el fomento del ca-
pital social son sustantivamente complementa-
rias entre sí. La experiencia muestra que el
fomento del capital social es tal vez la más
poderosa herramienta para la prevención y
solución de conflictos, cuando los conflictos
son principalmente a nivel local (comunitario o
municipal). La prevención de conflictos puede
convertirse en una categoría abstracta sino se
la incrusta en el fomento del capital social, en
la cuentadancia ciudadana, en los mecanis-
mos de participación y todo ello en el ámbito
de las comunidades y grupos de comunidades.
De esta forma la prevención de los conflictos y
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
161
su resolución encuentran la contundencia de la
vida cotidiana, al menos a nivel local.
El capital social es el conjunto de tradiciones,
instituciones y costumbres que facilitan el tra-
bajo solidario para el bien común de una de-
terminada comunidad o conjunto de comuni-
dades y también de un Pueblo Indígena,
cuando de indígenas se trata. No es cierto que
el único capital de los pobres sean sus hijos y
su fuerza de trabajo, sino que también es ca-
pital de los pobres, principalmente a nivel rural
y periurbano, su capacidad de trabajar por el
bien común. La Mita, Minka, Minya, Faina, son
algunas de las modalidades de trabajo por el
bien común y colectivo y que las sociedades
modernas, las democracias formales y sus
aparatos militares pretendieron debilitar, feliz-
mente con éxito muy limitado.
Todos aquellos que trabajan en el campo
práctico del desarrollo local saben que los
pobres tienen una gran riqueza y que ellos
mejor que nadie la utilizan a su favor. Capital
social es trabajo en común, pero es también
negociación, parlamentarismo y llegada a so-
luciones concretas a problemas concretos. El
capital social les permite a las comunidades y
conjuntos de comunidades identificar sus pro-
blemas, priorizarlos, dilucidar soluciones y
llevarlas a la práctica, todo ello de manera
solidaria y disciplinada.
Los ejercicios de planificación democrática
local, la ejecución de los proyectos por las
propias comunidades, la prestación colectiva
de servicios sociales, la creación de comités
especializados, los mecanismos de manteni-
miento, etc. no son sino aplicaciones concre-
tas del capital social de los pobres.
Por ello es que se afirma que la prevención y
solución de conflictos encuentra un caldo de
cultivo de primer orden para la solidariedad y
la paz, al menos a nivel local, en los Progra-
mas que sustentan su metodología en el fo-
mento del capital social y el desarrollo local.
La trampa de la igualdad
En países como Guatemala y Honduras toda-
vía es frecuente escuchar en discusiones y
publicaciones que no es necesario diseñar
Programas ni Proyectos especialmente dirigi-
dos a los indígenas aduciendo que ello es
atentar contra la igualdad de todos los ciuda-
danos y, peor aún, que es fomentar el divisio-
nismo entre los ciudadanos.
La peligrosidad de una falacia consiste preci-
samente en que utiliza las verdades a medias,
los lugares comunes y los argumentos del
sentido común (que en otras circunstancias
serían totalmente válidos) para justificar lo
injustificable. Pero cuando se trata de generar
precisamente condiciones de igualdad y de
generación de oportunidades en sociedades
altamente marginadoras y con vestigios racis-
tas, esos argumentos tienen que ser rechaza-
dos clara y fundamentadamente y a la vez
proponer alternativas concretas, incluyendo la
“discriminación positiva” y el fomento de la
interculturalidad y el multilingüismo. Si el obje-
tivo de las personas de buena voluntad es
crear una sociedad verdaderamente creadora
de oportunidades para todos y no solamente
para los “iguales a nosotros” entonces la
igualdad es una trampa, pues la igualdad no
es un punto de partida sino de llegada en una
sociedad signada por la democracia, la partici-
pación ciudadana y la equidad. Es pues nece-
sario diseñar y poner en práctica medidas bien
concretas que lleven el péndulo de la acepta-
ción ciudadana a su nivel y ello solamente se
logra con medidas de “discriminación positiva”
de inmediato y largo plazo.
Bajo esa aparente igualdad de que “todos
somos iguales y no hay que estar dividiendo al
pueblo”, se esconde la peor de las discrimina-
ciones al ignorar la existencia de aquellos que
son “diferentes” a nosotros; ignorar esto es
declarar su muerte en cuanto ciudadanos con
cultura, valores e instituciones diferentes.
Esta es una de las lecciones que más ha cos-
tado aprender a los organismos nacionales
promotores del desarrollo local y financiados –
entre otros- por la Cooperación Alemana a
través del KfW. Particularmente los Fondos de
Inversión Social fueron reacios a entender que
hay una estrecha y consubstancial relación
entre lo que se pretende lograr (objetivo) y las
normas y procedimientos utilizados (metodolo-
gía). No se puede pretender fomentar la de-
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
162
mocracia y la gobernanza, utilizando metodo-
logías autoritarias y poco transparentes; no se
puede pretender la sustentabilidad de una
actividad o servicio, empleando métodos de
ejecución paternalistas y poco “apropiantes”
por los beneficiarios; por último, no se puede
buscar el autodesarrollo y la práctica de la
autogestión local, imponiendo ejecutores ale-
jados de la realidad local.
Los proyectos como medio y no como fin
En los programas de fomento del Desarrollo
Local, el papel de los proyectos es más de
instrumento que de fin en sí, pues de lo que se
trata es de utilizar a la obra de infraestructura
como un medio para prestar un servicio y a la
vez generar capacidades económicas, socia-
les, políticas y de gobernabilidad entre los
pobladores y sus autoridades formales y tradi-
cionales. Considerar que las obras de ingenie-
ría son el objetivo es desconocer el papel
transformador que tiene una actividad con-
creta, bien diseñada y mejor ejecutada por sus
propios actores y beneficiarios. No hay pues
que confundir la obra física con el proyecto,
pues mientras la primera es una herramienta
(de alta calidad por cierto), el proyecto es el
servicio que se desea brindar y el fortaleci-
miento de las organizaciones locales, respon-
sables de operarlo sustentablemente es el fin.
Aquí radica precisamente la gran ventaja com-
parativa de la Cooperación Financiera Oficial
Alemana a través del KfW cuando promueve el
Desarrollo Local: las ideas y los planes son
llevados inmediatamente a la práctica por los
propios interesados, siendo su principal valor
agregado el empoderamiento y el incremento
del capital social de los pobres y no solamente
la satisfacción de una necesidad inmediata.
Los Fondos Sociales de Centroamérica y su proceso de trabajo con los Pueblos Indígenas
Los Fondos de Inversión Social de tercera
generación3 así lo han entendido y en Hondu-
3 Los Fondos de Inversión Social son organismos que han venido evolucionando de simples compensadores a los efectos de los ajustes (Fondos de primera generación) a máquinas
ras, Nicaragua y Guatemala se han vuelto los
abanderados, entre los demás organismos
estatales, del fomento del desarrollo local y de
la opción preferencial por los pueblos indíge-
nas. Por lo anterior es que en la Cooperación
Financiera y el KfW se afirma que el Desarrollo
Local en América Latina y el Caribe es a la vez
un objetivo a lograr pero también una estrate-
gia para lograrlo.
La Cooperación Financiera (KfW) en América
Central financia actualmente Programas con
clara opción por la interculturalidad y el desa-
rrollo con identidad. El FIS y el PRONADE de
Guatemala, el FISE de Nicaragua y el FHIS de
Honduras son los responsables de llevar a la
práctica los principios mencionados y es preci-
samente sobre este último que a continuación
se ejemplifica la opción del KfW por la devolu-
ción a los Pueblos Indígenas las riendas de su
propio desarrollo, de una manera práctica y de
inmediata ejecución. No es que los nueve
Programas sean todos igualmente exitosos, ni
que en todos se haya logrado con altos niveles
de apropiación institucional la puesta en prác-
tica los conceptos de Desarrollo Local y Fo-
mento de la Interculturalidad, sino que los
éxitos y fracasos realizados por los Fondos
demuestran que por ahí va el camino.
Los pueblos indígenas representan poco más
de la mitad de la población de Guatemala,
entre el 10 y el 20 por ciento en Honduras y
Nicaragua y menos del 10 de por ciento en
Panamá y El Salvador. Desgraciadamente, ser
indígena y extremadamente pobres en esta
parte del continente son casi sinónimos. En
ninguno de los países existe una política na-
cional de alto nivel de tratamiento de la Cues-
tión Indígena, si bien en Guatemala y Hondu-
ras existen sendas instituciones oficiales res-
ponsables. Una vez reinstalados los gobiernos
democráticos y habiéndose terminados los
procesos de guerra interna, en todos los paí-
ses, en unos más en otros menos, el tema de
contratistas de pequeñas y medianas obras de infraestructura social (Fondos de segunda generación). Finalmente, y como reacción a las limitaciones y deficiencias de las dos anteriores generaciones, los Fondos de tercera generación, se han convertido en instituciones fomentadoras del desarrollo local.
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
163
los Pueblos Indígenas ha sido puesto sobre la
mesa y este artículo precisamente quiere po-
ner a conocimiento de cómo la Cooperación
Financiera Oficial Alemana y el KfW, en estre-
cha colaboración con el Banco Mundial, han
contribuido con relativo éxito en el tema.
Foto: Wahltag in der Comarca Ngöbe-Buglé (Proyecto Agroforestal Ngöbe)
Los Fondos de Inversión Social de Honduras,
Guatemala y de Nicaragua han sido los ins-
trumentos para tal fin, pues en tales países
fueron las únicas organizaciones que respon-
dieron con reticencia al comienzo y con entu-
siasmo finalmente al reto de acomodar sus
estructuras, normas y procedimientos a un
trabajo sistemático y adecuado con los Pue-
blos Indígenas.
Los Fondos de Inversión Social (FIS) son or-
ganizaciones estatales que nacieron a fines de
los años 80 y hoy operan en 21 países lati-
noamericanos, si bien también existen en
África, Asia y Europa del Este. Son institucio-
nes que han sido modeladas como instru-
mentos modernos y eficientes para transferir
fondos a las comunidades y gobiernos locales,
con el fin de financiar procesos de autodes-
arrollo y a la vez pequeños y medianos pro-
yectos de diferente naturaleza. Son institucio-
nes/ instrumento de ejecución de las políticas
sociales de los gobiernos y, desde hace unos
años, también de las políticas de descentrali-
zación y modernización de las administracio-
nes públicas. En sus más de 15 años de estar
operando en América Central, muchos son los
errores cometidos, muchos los éxitos, pero
sobre todos destaca su tremenda capacidad
de adecuarse a los nuevos retos y situaciones.
Por ello es que fueron escogidos por sus go-
biernos y los bancos de desarrollo, para llevar
a cabo Programas especialmente diseñados
para trabajar con los Pueblos Indígenas.
El FHIS de Honduras, un caso de “herejía metodológica” hecho Programa
Los pueblos indígenas en Honduras son
nueve: Xicaques, Pech, Miskitos, Lencas, Ta-
wahkas Chortíes, Nahoas, Garífuna y Negros
de Habla Inglesa. El pueblo mayoritario es el
Lenca (60% de los indígenas) y el minoritario
el Tawahka (0.5%). El 86% de los indígenas
hondureños está en el peor quintil de pobreza.
Poco menos del 80% de las comunidades no
tienen ni servicio de agua potable ni de dispo-
sición adecuada de excretas. Más de 85% de
las mujeres mayores de 25 años son analfa-
betas. La mortalidad materna es de lejos la
más alta de Honduras.
Durante las dos décadas de guerra civil en
América Central –años 75 a 95–, los Pueblos
Indígenas no encontraron mejor modo para
defenderse colectivamente de los embates de
las fuerzas armadas y de su infaltable secuela
de expoliaciones de tierras por parte de los
militares y sus aliados, que optar por formas
modernas de organización. Esta especial ca-
racterística de los indígenas hondureños hizo
del trabajo del Fondo Hondureño de Inversión
Social (FHIS) una tarea exigente para la crea-
tividad en el trabajo conjunto, la equidad social
y el fomento del desarrollo con identidad.
A pesar de su importancia numérica en la po-
blación de Honduras (12%) y de su condición
de vivir en la extrema pobreza –es común la
alta correlación entre extrema pobreza y ser
indígena–, los pueblos indígenas no recibieron
de las autoridades nacionales, casi siempre
dictadores bananeros, más respuesta a sus
reclamos que represión, expoliación de tierras
y muchas veces la muerte de sus autoridades.
Inclusive, ya bien entrada la democracia, la
“cuestión indígena” no era reconocida ni por la
sociedad ni por muchas autoridades hondure-
ñas, y por ello es que en los comienzos de los
años 80 los pueblos indígenas (ocho nativos y
uno de migración forzada: los afro descen-
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
164
dientes) tomaron una decisión de defensa
colectiva, cuyas consecuencias aún no han
sido convenientemente evaluadas al haberse
organizado bajo la modalidad de federaciones
campesinas de corte sindical reivindicativo.
Los indígenas llegaron a la conclusión que sus
organizaciones tradicionales, tales como los
caciques, ancianos, consejos de tribus o fra-
ternidades de pueblos, no eran los instrumen-
tos más idóneos para defender sus intereses
ante las autoridades estatales. Por ello es que
se empiezan a formar las Federaciones Indí-
genas, las cuales asumen una estructura,
reglamentos, virtudes y defectos propios de los
organismos gremiales campesinos común-
mente conocidos en América Latina, casi
siempre a la sombra de partidos políticos de
izquierda. No es objetivo de este artículo reali-
zar un balance de tal decisión, sino exponer
sus consecuencias cuando el Fondo Hondu-
reño de Inversión Social (FHIS) decide al fin
trabajar de manera sistemática y con una es-
trategia de genuino indigenismo y no con un
indigenismo folklórico y paternalista, convir-
tiéndose así en el primer, y hasta el momento
único, organismo estatal hondureño en tomar
tal decisión.
La gran decisión
Para empezar, el año 2002 el FHIS hace un
esfuerzo por asumir que lo indígena es un
problema desde que los españoles llegaron a
Honduras y que el tema debe ser, de una vez
por todas, abordado de la manera más profe-
sional posible y siguiendo los mejores cánones
existentes. Por ello hecha mano al Convenio
Nº 169 de las Naciones Unidas sobre “Pueblos
Indígenas y Tribales”, hecho ley en Honduras
el año 1996.
Después de muchas discusiones se tomaron
dos decisiones vitales: por un lado diseñar y
poner en marcha un Programa especial a favor
de los Pueblos Indígenas y por otro, que dicho
Programa sea diseñado y ejecutado siguiendo
los cánones del Convenio Nº 169, cuando
norma la forma cómo los gobiernos deben
trabajar con éstos y que fueron asimilados por
el FHIS bajo los siguientes términos:
”El FHIS debe ser la punta de lanza de
entre las instituciones estatales y privadas
sobre la forma de trabajar solidariamente
con los Pueblos Indígenas”.
”Los indígenas tienen derecho a un Desa-
rrollo con Identidad, es decir que sus ca-
racterísticas ancestrales y diferencias de-
ben ser potenciados en su propio beneficio
y de todo Honduras”.
”Es necesario impulsar la Discriminación
Positiva, con el fin de asegurar que las
ventajas del FHIS se dirijan exclusiva-
mente a ellos. Otros hablan de compensa-
ción histórica”.
”Se tiene que reconocer que los pueblos
indígenas existen, son numerosos y tienen
mucho que aportar al desarrollo de Hondu-
ras, es decir que los pueblos indígenas
tienen una Importancia Cuantitativa y Cua-
litativa en el país”.
”Las políticas, programas y proyectos que
tengan directa o indirectamente que ver
con los pueblos indígenas deben ser dis-
cutidos, ejecutados y evaluados con la
participación ilustrada de las representa-
ciones de estos pueblos”.
Democracia en pañales
Fue precisamente este último principio, el de la
participación democrática de los indígenas en
su propio desarrollo, el que más costó cumplir,
sin menospreciar la dificultad de los otros. El
FHIS era una institución poco consciente que
los indígenas hondureños son tan ciudadanos
como los otros, como los más pobres, con
iguales derechos, pero a la vez con culturas,
valores y principios todos derivados de cos-
mogonías muy diferentes a las occidentales.
Tales diferencias habían sido melladas por
más de 500 años de intentos de culturización y
exitosos esfuerzos de expoliación y represión,
pero fundamentalmente habían quedado in-
cólumes. “Cómo es que vamos a discutir con
ellos el Programa si los indios son ignorantes”,
preguntaba un funcionario; “si nosotros que
somos profesionales universitarios no sabe-
mos bien cómo sacar a Honduras de su sub-
desarrollo, menos lo va a saber esa gente
ignorante.”
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
165
“Si el FHIS quiere trabajar con los pueblos indígenas está muy bien, pero esta vez no vamos a permitirle que venga con espejitos y collares y mucho menos con engaños, como lo ha venido haciendo. Si el FHIS acepta que el nuevo Programa sea trabajado desde el co-mienzo con plena participación de las Federa-ciones Indígenas, y, si ahora de trata de ver-daderos proyectos y no solamente de regalitos, entonces estamos dispuestos a autorizar a nuestras bases para que participen. De otra manera no lo aceptamos, y más aún, denunciaremos ante los organismos internacionales que el FHIS y todo el gobierno de Honduras, están despreciando y marginando a los pueblos indígenas e incumpliendo el Convenio 169 que en Honduras es una ley muerta.”
SILVESTRE GONZÁLEZ, Presidente de una Federación Lenca
Así se preguntaban los funcionarios del Fondo,
reflejando de esta manera la mala relación
interétnica existente en su país. Por ello es
que el Ministro/ Director del FHIS tomó la deci-
sión de convocar a tres representantes de
cada una de las nueve Federaciones Campe-
sinas para discutir abiertamente cómo trabajar
juntos bajo la égida de los principios del Con-
venio 169. Fue una decisión difícil de aceptar
por una Institución que en los pasados diez
años había recorrido todo el país, como nin-
guna en Honduras, construyendo proyectos de
infraestructura, pero ignorando que el desarro-
llo es mucho más que obras, y, que en el caso
de los indígenas, éstos son ciudadanos dife-
rentes y que no hay peor discriminación que
tratar a los diferentes de manera igual.
El primer taller de trabajo
Finalmente, después de casi cuatro meses de
dudas y desconfianzas de todas las partes y
con más de diez años de estrategias equivo-
cadas, se llevó a cabo el 4 de febrero de 2003
un primer taller de trabajo, contándose con la
participación de la totalidad de las Federacio-
nes Indígenas y Negras de Honduras (27 diri-
gentes) y seis funcionarios del FHIS. Fue un
total de 33 personas, la una más diferente de
la otra, todos unidos por el temor y la descon-
fianza. No fue fácil iniciar las conversaciones,
pues algunos dirigentes venían llenos de una
mezcla de ira contenida y timidez; otros no sa-
bían bien de qué se trataba, otros hasta temor
tenían (no están muy lejos los años en que los
dirigentes indígenas eran citados o persegui-
dos por las autoridades militares y funcionarios
gubernamentales y siempre para nada bueno;
ahora no tenía por qué ser diferente). A partir
de ese momento conjuntamente se comenzó a
diseñar un Programa de Desarrollo Indígena a
ser implementado también conjuntamente.
País pequeño, distancias grandes
Algunos dirigentes, los con más suerte, venían
de tan solo ocho horas de viaje en los ya co-
nocidos ”autoabuses” (abuso y autobús son
casi sinónimos en el interior de Honduras), y
los más alejados, por ejemplo las autoridades
Kawakas habían invertido más de 30 horas en
llegar entre tramos a caballo, otros en canoa
por los ríos fronterizos con Nicaragua, cami-
natas y siempre en los infaltables y desvenci-
jados camiones rurales. Pero la democracia y
la participación tienen otros costos y a veces
muy grandes y esos costos tienen que ser
pagados en aras de la eficacia y la justicia.
En primer lugar fue necesario asegurarse que
todos los participantes se entendieran entre sí.
Fue necesario buscar dos intérpretes para el
español, que felizmente se encontraron entre
los asistentes, pues algunos de ellos, a em-
pujones de una vida en lengua dominante, se
habían profesionalizado en tal menester. Otro
problema fue trabajar con dos tipos de diri-
gentes, los Federativos y los Ancestrales. Los
Federativos con su calidad de luchadores so-
ciales de la más prístina izquierda de las diri-
gencias campesinas y los Ancestrales, ancia-
nos indígenas que jamás aceptan las voces en
alto, el lenguaje altisonante de sus socios fe-
derativos y mucho menos que se les contra-
diga en público. Es menester decir que sola-
mente una mujer participó en el primer taller, la
hija de un jefe de tribu Pech quien debía ayu-
dar a su padre con el idioma. Por su lado los
funcionarios del FHIS estaban deslumbrados
por la solemnidad que los ancianos impusieron
al acto de inauguración y sin saber qué hacer,
pues nunca habían participado en eventos con
gente tan diferente y tan digna en su pobreza.
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
166
“Qué tanto temor tienen que nosotros manejemos esos dineritos de gobierno y que nos los robemos, si mucho más dinero se roban los políticos y sus amigotes empresarios y no les pasa nada. Además los controles que nosotros tenemos son mucho más duros y los castigos son terribles”.
SANTIAGO CARPINCHE, dirigente Lenca
”Es cierto que mi señorita hija no es dirigente,pero solicito a los señores presentes laautoricen a que les diga lo que yo desee decir,pues ella honra la presencia de todas lasmujeres que aseguran la vida de nuestrasfamilias y nuestras tierras; además, ella haestudiado mucho en la escuela y sin ella yo nopodría ser un buen dirigente ante ustedes.”
CACIQUE TEODORO LUJXA, Miskito Hondureño/ Nicaragüense
“Nos parece muy bien que el dinero seaentregado a las comunidades y no a lasgrandes empresas constructoras. Nosotroscontrataremos a los técnicos que necesitemosy vamos a hacer las obras de mejor calidad ymás baratas”.
DIÓMEDES SÁNCHEZ, dirigente Tawaka
Obviamente, pasada la primera impresión ante
lo desconocido, en el taller se optó por dar la
prioridad en la palabra y en la razón a los diri-
gentes Ancestrales, pues aquí no se trataba
de ganar ninguna batalla política o sindical,
sino de “diseñar conjuntamente un Programa
de Desarrollo Indígena, en el que los propios
indígenas debían participar sustantivamente
en las tomas de decisión, en el manejo del
dinero y en la organización de la ejecución de
los proyectos y actividades”, como dijo el Mi-
nistro Director del FHIS al momento de la in-
auguración. Los dirigentes Federativos enten-
dieron y aceptaron pasar a un segundo plano,
como debe ser en los tiempos de paz y demo-
cracia.
Todo el dinero del Programa a las comunidades indígenas
En segundo lugar fue necesario establecer
claramente que la forma de ejecución del pro-
grama no solamente implicaba una codirección
del mismo entre el FHIS y los dirigentes, sino
que la democratización tenía que llegar hasta
el fondo. Por ello es que se optó por una me-
todología de administración de los recursos
financieros y técnicos en los que las comuni-
dades y sus autoridades son los responsables
y depositarios del poder de decisión.
Los proyectos ejecutados por las propias co-
munidades son una nueva forma de procesar
el ciclo de proyectos que están implementando
los denominados Fondos Sociales de Tercera
Generación. Esta modalidad consiste en en-
tregar a las comunidades organizadas o en
proceso de organización todos los recursos
financieros y técnicos que ellas requieran para
que ellas mismas planifiquen, formulen, eje-
cuten, operen y den mantenimiento a sus pro-
yectos. Esta modalidad se basa en el principio
básico que los pobres saben mejor que nadie
cómo solucionar sus problemas, si es que se
les dota de los recursos técnicos y financieros
necesarios. La autogestión comunitaria está
probando, principalmente en el caso de los
pueblos indígenas, que el desarrollo con iden-
tidad y cuentadancia es un poderoso instru-
mento de desarrollo social y económico en
manos de los pobres.
Es también condición básica que los proyectos
ejecutados por las comunidades sean proce-
sados en orgánica relación con los respectivos
gobiernos municipales y a la vez con la enti-
dad representante de los Pueblos. Los pro-
yectos mismos tenían que ser identificados,
formulados, administrados y ejecutados por las
propias tribus.
En consecuencia, se acordó que todos los
proyectos fueran ejecutados bajo la modalidad
de ejecución comunitaria, es decir por la co-
munidad y sus representantes. Se acordó
también facilitarles los recursos para que con-
traten los consultores que consideren de su
agrado. Se puso una sola condición: el FHIS
será el responsable de supervisar la calidad de
los proyectos y la corrección en el uso del
dinero. La condición fue aceptada.
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
167
El manual de operaciones y la herejía sistemática
Por último, para dar cuerpo y seriedad a un
Programa de 15 millones de dólares, la tarea
principal fue elaborar un Manual de Operacio-
nes, específico para el Programa, a ser traba-
jado hasta en los más mínimos detalles entre
el FHIS y las representaciones indígenas y
para tal fin se organizó una comisión paritaria.
A los encargados de asesorar el proceso co-
rrespondió asegurar que el manual indígena
estuviera en concordancia con las normas del
KfW y del Banco Mundial4, sabiendo bien que
tales normas no fueron diseñadas teniendo en
mente a los indígenas y sus particularidades.
La indicación principal que recibieron fue que
“el manual debía adecuarse a los principios
generales de los bancos y que se fuera lo más
creativo posible”. Sabia instrucción, pues se
trataba de crear algo nuevo, que no fuera una
repetición moderna de esa colonización cultu-
ral de más de quinientos años de “amaestra-
miento civilizador” e inventar de la nada un
manual de inversiones a ser ejecutadas por los
propios indígenas y a su manera. Por ello, una
fría noche del mes de mayo de 2003, en el
pueblo de Intibucá, ubicado en las montañas
nor-orientales de Honduras en la frontera con
El Salvador, ante los vítores y danzas de los
indígenas asistentes, se hizo una hoguera con
el actual manual de operaciones del FHIS: de
alguna manera había que simbolizar el deseo
de emprender un esfuerzo creativo y manco-
munado, jugándose por un manual íntegra-
mente consensuado con las dirigencias indí-
genas, hecho a la medida de los indígenas
“aunque nos quede lleno de herejías y aposta-
sías” afirmó el Ministro/ Director del FHIS. El
principio metodológico adoptado consistió en
que la imaginación prevalezca sobre los ma-
nuales y normas antiguos, con tal de hacer
algo totalmente nuevo y en consenso con los
indígenas y después veremos qué dicen en el
KfW y en el Banco Mundial. Felizmente, una
vez terminado el manual al cabo de casi seis
meses de trabajo conjunto, el documento fue
enviado a los dos Bancos para el famoso dic- 4 En América Central el Banco Mundial y el KfW trabajan de manera coordinada sus programas de inversión social y fomento del desarrollo local.
tamen de conformidad. Después de muchas
preguntas y repreguntas, las herejías fueron
aceptadas y el manual entró en plena vigencia.
Se tienen ya más de 200 proyectos en ejecu-
ción al calor de este tipo de manual. La mayor
parte está siendo ejecutada con altos niveles
de calidad y se sabe perfectamente dónde
está el dinero. Contra las pruebas no valen los
argumentos, decían los antiguos.
Lecciones metodológicas aprendidas
Del proceso vivido con el FIS de Honduras se
pueden sacar algunas conclusiones que po-
drían ser útiles para los profesionales que
deben trabajar en Programas en los que de
manera directa o indirecta tengan que ver
poblaciones indígenas. No se trata solamente
de instituciones como los Fondos Sociales,
sino también de instituciones especializadas
en dotación de agua y saneamiento rurales, en
educación, en salud, en fomento de la produc-
ción y en general en todos aquellos programas
en los que la comunidad indígena es o debería
ser el sujeto principal de la acción. De manera
más o menos esquemáticas las lecciones
aprendidas serían las siguientes:
En los ejercicios de microplanificación de
inversiones, cuando se trate de comunida-
des o municipalidades mixtas (indígenas y
no indígenas), se deben hacer dos planes
paralelos y, posteriormente, unificarlos en
uno solo, respetando la proporcionalidad
por población (indígena y no indígena),
para efectos de asignación de los recursos
y de priorización de proyectos.
Se requiere ser particularmente exigente
en el respeto a los mapas de pobreza, con
el fin de asegurar la equidad (sino la dis-
criminación positiva) en la distribución de
los recursos financieros y promotores de la
entidad ejecutora.
No es conveniente priorizar y financiar
solamente proyectos comunitarios, sino
también proyectos que beneficien al pue-
blo indígena en su conjunto, con el fin de
fortalecerlo y contribuir a su desarrollo
como pueblo y no solamente como con-
junto de comunidades. Proyectos que sir-
van a todo el Pueblo y no solamente a una
Pueblos Indígenas y Fondos de Inversión Social: Descuentros, herejías y otros éxitos
168
comunidad (p.ej.: diccionario y gramática
del idioma, historia y tradiciones del pue-
blo, protección legal ante expoliaciones de
tierra, etc.).
Es mejor que los comités y diferentes ins-
tancias de dirección sean conformados
tanto por miembros de la organización tra-
dicional (p.ej.: los ancianos), como por
miembros de la organización reivindicativa
(dirigentes modernos). En el caso de co-
munidades mixtas, es mejor tener dos co-
mités (uno indígena y otro no indígena) y
aplicar posteriormente técnicas de codi-
rección paritaria para el caso del comité
único que siempre se deberá formar.
No se deben crear comités o instancias ad
hoc para los proyectos, sino utilizar las or-
ganizaciones existentes y fortalecerlas.
Menos aún imponer formas de organiza-
ción solamente para poder cumplir con re-
quisitos legales de detalle y que perfecta-
mente pueden ser suplidas por las organi-
zaciones tradicionales.
En el caso en que algún o alguna indígena
no domine la lecto/ escritura o las opera-
ciones aritméticas básicas, ello no debe
impedir que sean elegido a los puestos de
dirección, pues éste puede ser apoyado
por algún hijo o hija mayor de 12 años y
menor de 18 que sea alfabetizado.
La ejecución de los proyectos debe ser,
por lo general, bajo la modalidad de auto-
gestión, es decir la comunidad organizada
debe ser la responsable de manejar los
fondos y de organizar la ejecución del pro-
yecto y del servicio, obviamente, contando
con el apoyo técnico contratado por la
propia comunidad.
Hay que asegurar que los Facilitadores o
Promotores de la entidad ejecutora domi-
nen el idioma propio de la comunidad con
la que se quiere trabajar.
En el material de apoyo a la capacitación,
además de estar en el idioma de la comu-
nidad, los dibujos y fotografías deben co-
rresponder al grupo indígena.
Incluir en los módulos de capacitación
comunitaria, un módulo sobre la historia,
valores y cosmogonía correspondientes al
respectivo pueblo indígena.
Los diseños, materiales y técnicas cons-
tructivas de los proyectos de infraestruc-
tura deben ser modernizaciones y adecua-
ciones de las usadas tradicionalmente por
la comunidad o pueblo.
Cuando una comunidad no desea tener
relaciones estrechas y continuas con las
autoridades municipales, no se les debe
obligar, si bien se les debe informar de las
ventajas de tenerlas.
Por último, es necesario concientizar a los
alcaldes municipales y demás autoridades
locales para que los indígenas de su terri-
torio reciban el tratamiento especial que
compense las discriminaciones del pa-
sado.
Son lecciones que quizás no se apliquen a
todos los países que tengan la suerte de tener
una riqueza multicultural, pluriétnica y multilin-
güe, como es el caso de Guatemala, Honduras
y Nicaragua, pero aún así son derroteros
aprendidos en la fatiga de la práctica y que en
general pueden aplicarse en los programas de
lucha contra la pobreza y en sociedades rura-
les y urbano marginales altamente conflictivas.
Al menos en Centro América, el trabajo con los
indígenas está pasando del ámbito de los
buenos deseos y floridos discursos al campo
de los hechos; de las tesis académicas a las
prácticas cotidianas; de los proyectos paterna-
listas, a los programas de desarrollo con iden-
tidad. Por ello bien vale la pena recordar aque-
lla frase que pronunció esa gran mujer indí-
gena guatemalteca, Premio Nóbel de la Paz,
Rigoberta Menchú, cuando afirmó no hace
mucho tiempo que “si los pueblos mayas no
son capaces de fortalecer sus valores y cos-
mogonías con programas y proyectos técni-
camente diseñados y ejecutados, son pueblos
condenados a desaparecer”.
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
169
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
DR. SABINE SPEISER
Städte bestimmen zunehmend den Lebens-
raum der Menschen in allen Ländern. Die Ent-
wicklung zu weiterer Verstädterung ist nicht
aufzuhalten: Bis zum Jahr 2025 werden mehr
als 60% der Weltbevölkerung in Städten leben.
Neun von zehn dieser stark bevölkerten Städte
werden in Entwicklungsländern liegen. In den
nächsten zwanzig Jahren werden 2 Mrd. Men-
schen in die ohnehin schon extrem belasteten
Städte der Entwicklungsländer ziehen (BMZ,
2002). Für Lateinamerika liegen diese Anteile
höher, in einigen Ländern, wie beispielsweise
Peru, leben bereits 70% der Bevölkerung in
Städten. Weltweit leben bisher 30% der Armen
in Städten, die Armut in ländlichen Regionen
ist wesentlich ausgeprägter.
Die Situation indigener Völker in Städten ge-
winnt vor diesem Hintergrund auch an Gewicht
in der internationalen Diskussion. Die indige-
nen Siedlungsräume und deren Nutzung ver-
ändern sich ebenso wie die Zahlenverhältnisse
zwischen ländlichen und städtischen Indige-
nen. Die Indigenen selbst machen auf diese
Problematik aufmerksam, wie im Jahr 2003 in
der Session des Ständigen Forums für indi-
gene Fragen: “The Forum notes that indige-
nous peoples are increasingly confronted with
issues and problems related to more urban
characteristics such as access to adequate
housing, services and infrastructure in human
settlements” (STÄNDIGES FORUM FÜR INDIGENE
FRAGEN, 2003:7).
Land – Stadt Migrationen sind ein Massenphä-
nomen der letzten 50 Jahre und haben sowohl
die ländlichen Herkunftsregionen als auch die
aufnehmenden Städte von ruralen Unterzent-
ren bis zu den Megastädten verändert. Dies
gilt auch für indigene Migrationen vom Land in
die Städte, die generell ähnlichen Mustern
folgen. Diese Wanderungsbewegungen haben
sowohl ihre Auswirkungen auf indigene Völker
in den ländlichen Herkunftsregionen selbst als
auch auf die Städte, in die sie migrieren, und
die sie trotz Anpassung auch mitgestalten (“in-
digenisieren“). LESTAIGE (zitiert in BENGOA,
2000:53) beschreibt das für den Sonderfall
indigener Migranten aus Mexiko in den USA
folgendermaßen: “A miles de kilómetros de su
región de procedencia, los migrantes (...) si-
guen percibiéndose como miembros de su
grupo regional o étnico de origen y al mismo
tiempo se adaptan a la sociedad que los recibe
y recrean una comunidad parecida a la que
dejaron.“ Ohne das Konzept der multiplen I-
dentitäten lassen sich diese Prozesse nicht
adäquat interpretieren (siehe auch STRÖBELE-
GREGOR in diesem Band).
Trotz dieser Veränderungen des städtischen
Raums hält sich hartnäckig das Bild der Stadt
als Hort der Moderne, des schnellen Wandels
und – in der jüngsten Diskussion – des An-
schlusses an die Globalisierung. Mit diesem
Bild scheint das bis heute ebenso hartnäckige
Bild Indigener als traditioneller, eher rückwärts
orientierter, und in jedem Fall ländlicher Bevöl-
kerungsgruppen in Widerspruch zu stehen. Mit
diesen vermeintlichen Widersprüchen be-
schäftigt sich dieses Kapitel in drei Schritten:
(1) einer quantitativen Annäherung, (2) den
Wegen in und aus den Städten und (3) den
ggf. dort, bzw. im Migrationsprozess entste-
henden neuen Identitäten. Diese Reflektionen
werden (4) mit einer Durchsicht entsprechen-
der Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit
(EZ) und (5) den daraus entstehenden Emp-
fehlungen ergänzt.
1. Indigene in Städten – eine quantitative Annäherung
Gemeinhin assoziieren die meisten Menschen
und Institutionen beim Stichwort “Indigene“
einen ländlichen, meist noch ökologisch sen-
siblen Kontext, häufig Tropenwald. Dies ist
keine Assoziation, die im “Wesen“ indigener
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
170
”(...) la mirada de las principales políticas pú-blicas de Chile como de otros estados latinoamericanos contiene un fuerte sesgo ruralista... dejando de lado a una importante cantidad de personas y familias indígenas que habitan los espacios urbanos de nuestra América mestiza y particularmente las ciudades capitales.”
CLAUDIO SAAVEDRA (CONADI) Chile
Völker begründet ist oder sich historisch bele-
gen ließe, insbesondere nicht angesichts der
indigenen Hochkulturen und ihrer wenn auch
heute weitgehend unbekannten urbanen Struk-
turen1. Auch in den Städten der Kolonialzeit
stellten indigene Siedler häufig die Bevölke-
rungsmehrheit. Vielmehr handelt es sich um
eine Assoziation mit den Bildern und Vorstel-
lungen gängiger Diskurse zu indigenen Völ-
kern. Nach einer ersten Anerkennung indi-
gener Völker und ihrer Ansprüche auf das
Land, das sie bearbeiteten (1950er Jahre)
kamen diese in jüngerer Zeit verstärkt mit der
“Ökologiediskussion“ und insbesondere der
Diskussion um Ressourcen- und Klimaschutz
in den internationalen Blick. Dabei verselbst-
ständigte sich u.a. das Bild der Indigenen als
Schützer tropischer Regenwälder. Die indige-
nen Völker der Regenwälder, insbesondere im
Amazonastiefland, stellen zwar die größte
Vielzahl der Völker, aber gegenüber den we-
sentlich größeren indigenen Hochlandvölkern
eine quantitative Minderheit dar. Die folgende
bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre
vorgelegte Einschätzung (PÉREZ SAINZ,
1994:335) hat auch heute noch Gültigkeit und
würde jetzt, 10 Jahre später mit dem Stichwort
der Globalisierung verknüpft: “(...) una cómoda
asociación entre indígena/ campesino(a) que,
en el fondo, remite a una concepción de este
mundo étnico en términos de tradicionalidad e
inmovilidad. La otra cara de esa misma mo-
neda es que los contextos urbanos, especial-
mente los metropolitanos, han sido caracteri-
zados (...) como escenarios de modernización
y donde, se ha pensado que identidades uni-
versalizantes, ligadas a procesos de abstrac-
ción y de mercantilización generalizada, aca-
barían diluyendo referentes concretos de iden-
tidad, como el de etnicidad.“
Viele Ethnolog/innen aber auch indigene Or-
ganisationen – einschließlich das bereits zi-
tierte Ständige Forum – haben eine deutliche
Tendenz, die Migration in die Städte als Ver-
lust von Traditionalität, Kultur und Werten zu
interpretieren, und damit eine Bedrohung zu
1 Die Veröffentlichung der GTZ zur Armutsbekämp-fung in Städten (GTZ, 2003a:8) weist auf diese urbane Vorgeschichte für Lateinamerika hin.
verbinden. Dahinter steht das beständige, em-
pirisch allerdings nicht haltbare Bild von Kultur
als monolithischer Einheit, die tradiert und
bewahrt wird, wobei Veränderung negativ kon-
notiert ist (siehe auch STRÖBELE-GREGOR in
diesem Band). Übersehen wird dabei nicht
selten, dass auch die aktuell in ländlichen Ge-
meinschaften vorherrschende Kultur selbst das
Produkt historischer Prozesse und auch ohne
Migration ständigen Veränderungsprozessen
ausgesetzt ist. Richtig dagegen ist der Hinweis
auf die massive Ausgrenzung und den vor-
herrschenden Rassismus in den meisten la-
teinamerikanischen Städten, der eine nicht
identifizierbare Anzahl indigener Migrant/innen
dazu bringt oder zwingt, ihre Identität als Indi-
gene zumindest in der Öffentlichkeit auf-
zugeben. Aber auch dann ist die nicht indigene
Öffentlichkeit häufig nicht bereit, indigene
Migrant/innen als Mestiz/innen gleichberechtigt
anzuerkennen.
Auch die eigenen Organisationsstrukturen
indigener Völker reflektieren die enge Bezie-
hung indigener Völker mit ländlichen Regio-
nen, wenn beispielsweise die Hochlandindige-
nen (Aymara und Quechua) Boliviens in der
Bauerngewerkschaft organisiert sind und sich
mit campesinos durchaus angesprochen füh-
len.
Die Institutionen der Entwicklungszusammen-
arbeit, die “ihre Indigenen“ im Zuge des Res-
sourcenschutzes entdeckten, gehen zum Teil
so weit, die Definition von “indigen“ im Sinne
der eigenen Institution nur auf Indigene zu
beziehen, die nicht in urbane Ballungszentren
migriert sind (vgl. das Weltbankkonzept OD
4.20; WELTBANK, 1991). Dagegen widmet sich
das Indigenenkonzept des Bundesministeri-
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
171
ums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) den Indigenen in Latein-
amerika und der Karibik in größerer Breite und
schließt explizit indigene Stadtbevölkerung ein.
Will man sich nun dem Thema der indigenen
Bevölkerung in der Stadt nähern, ist man zu-
nächst mit zwei schwierigen Definitionsaufga-
ben konfrontiert:
Wer sind Indigene?
Und was ist Stadt?
Die erste Frage wird mit Verweis auf die Defi-
nition von MARTÍNEZ COBO (1987:379-381) der
Vereinten Nationen beantwortet (siehe auch
SPEISER und STRÖBELE-GREGOR in diesem
Band): Indigen ist eine soziale Kategorie auf
der Grundlage von Eigen- und Fremdzuschrei-
bung, wobei der Selbstidentifikation im Zu-
sammenhang mit öffentlichen Erhebungen
besondere Bedeutung zukommt. Bei dem Ver-
such, sich einen quantitativen Überblick zu
verschaffen, ist die Frage, wer Indigene sind,
gekoppelt an die Fragestellung der nationalen
Statistikämter und ihrer Volkszählungen. Wenn
jedoch schon insgesamt die Datenlage zu indi-
genen Völkern in Lateinamerika zu höchst
unterschiedlichen Zahlen führt2, so gilt das
umso mehr für die Indigenen in Städten (vgl.
MEENTZEN, 2001:49).
Die zweite Frage nach der Stadt kann eben-
falls im Rückgriff auf entsprechende internatio-
nale Diskussionen nur näherungsweise be-
antwortet werden: Eine allgemein anerkannte
Definition für den Begriff ”Stadt“ gibt es auch
im UN Kontext von Habitat noch nicht: “As the
authoritative global agency on sustainable
urban development, UN–HABITAT should first
take the lead in ensuring that the definition of
city is not limited by formalistic legal or ge-
ographical approaches, but captures the dy-
namic functional reality of the urbanisation
process and places the city in its regional con-
text.” (UN HABITAT, 2003, Internetveröffentli-
2 Auf der Seite http://www.gtz.de/indigenas werden die Schätzungen des Instituto Interamericano Indi-genista (III, Mexiko), der Weltbank und der Inter-amerikanischen Entwicklungsbank (IDB) vorgestellt. Neueste Vergleiche vorliegenden Datenmaterials vgl. BARIÉ, 2004. Ein Überblick bietet die Tabelle im Anhang 1.
chung).3 Die Entwicklungszusammenarbeit
greift diese komplexe Diskussion auf: “Die Ab-
grenzung urban – im Sinne von Mindestein-
wohnerzahl – wird in den einzelnen Ländern
auf recht verschiedene Weise vorgenommen.
Unabhängig von diesem quantitativen Krite-
rium beinhaltet urban weitere Merkmale wie
Siedlungsdichte, hoher Grad an Marktattrakti-
onen und möglicherweise einige Verwaltungs-
eigenschaften. Dabei deckt der Begriff urban
ein Spektrum von Einheiten ab: von kleinen
Städten zu mittelgroßen Städten über Groß-
städte bis hin zu den Megastädten, die sich
jeweils unterschiedlichen Problemen gegen-
über sehen und unterschiedliche institutionelle
Kapazitäten aufweisen“ (GTZ, 2003b:33).
Städte enden nicht einfach an der administrativ
gezogenen Stadtgrenze, sondern setzen sich
weit ins Hinterland fort. Die Zersiedlung des
Umlandes, v.a. durch Zuordnung ländlicher
Gebiete in städtische Verwaltungseinheiten
und die damit einhergehende “Urbanisierung“,
beeinflusst die Entwicklung ländlicher Regio-
nen. Umgekehrt wirken ländliche Zusammen-
hänge auf Städte, wie sich beispielsweise an
urban-ruralen Wirtschaftskreisläufen sowie an
kulturellen und religiösen Darbietungen und
Verhaltensweisen zeigen lässt.
Im Rückgriff auf nationale Statistiken wird im
Folgenden dieses differenzierte Bild von Stadt
nicht aufrecht zu erhalten sein, vielmehr wird
positivistisch da von Städten gesprochen wer-
den, wo die jeweiligen Quellen von Städten
sprechen, und das ist meist dann der Fall,
wenn in Siedlungen mehr als 2000 Einwoh-
ner/innen leben. Die Uneinheitlichkeit dieser
Definition erschwert quantitative Vergleiche.
CELADE4 hat 1992 einen Überblick über die
Volkszählungen ausgewählter lateinamerikani-
scher Länder erstellt und die jeweiligen Frag-
stellungen, mit denen die indigene Bevölke-
rung differenziert erhoben werden sollte, un-
3
www.unhabitat.org/campaigns/tenure/articles/vision_strategic%20vision_1.asp; vgl. auch die Zusam-menstellung von Stadtdefinitionen unter www.ifs.tu-darmstadt.de/club/global/stadtbegriff.htm 4 Centro Latinoamericano y Caribeño de Demogra-fía, Teilinstitution von CEPAL (Comisión Económica para América Latina y el Caribe).
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
172
tersucht (TORRES-RIVAS, o.J.:8). Die im An-
hang 1 angeführte Tabelle weitet die Analyse
aus.
Foto: Workshop indigener Organisationen in Lima, Peru (S. REINHARDT)
Das häufigste Kriterium ist Selbstidentifikation,
gefolgt von Sprache und Zugehörigkeit, zum
Teil in Kombinationen. Diese Kriterien werden
in manchen Ländern bis heute weiter genutzt,
so zum Beispiel in Mexiko und Peru. Dabei
kommt es aber zusätzlich auf eine sensible
Fragestellung an. Die direkte Frage: “Sind sie
Indianer?“ oder “Sprechen Sie eine der folgen-
den Dialekte/ Sprachen?“ führt mit Sicherheit
zu Unterschätzungen.
Eine genaue und vergleichende Analyse der
Fragen zur Erfassung indigener Bevölkerung
kann hier nicht vorgelegt werden. Wie wichtig
die spezifische Formulierung der Fragen nach
ethnischer Zugehörigkeit ist, stellt HESS-
KALCHER, 2004 überzeugend in ihrem Beitrag
zu Chile dar, der hier ausführlich zitiert werden
soll.5
5 Für Chile stellt auch SAAVEDRA PELAEZ (2002:18) ähnliche Überlegungen an. Die Fragen im Original lauteten: (1992) ”Si Ud es chileno, se considera perteneciente a una de las siguientes culturas:Mapuche, Aymara, Rapa Nui, ninguna?“; (2002)
“Laut der im Jahr 2002 durchgeführten Volks-
zählung beläuft sich der Anteil der indigenen
Bevölkerung in Chile auf 692 192 Personen,
also 4,6% der Gesamtbevölkerung. Diese Er-
gebnisse der Volkszählung von 2002 sind nicht
vergleichbar mit denen der vorangegangenen
Volkszählung aus dem Jahr 1992, nach der
10,3% der Gesamtbevölkerung zur indigenen
Bevölkerung zählte. Diese Differenz erklärt
sich aus der Art der unterschiedlichen Frage-
stellungen. Bei der Volkszählung von 1992
wurde gefragt: “Vorausgesetzt Sie sind Chi-
lene: Fühlen Sie sich zu einer der folgenden
Kulturen zugehörig?“ Als Alternativen wurden
Mapuche, Aymara und Rapa Nui (Osterinsel)
angegeben. Bei der Volkszählung von 2002
hingegen wurde gefragt: “Gehören Sie zu einer
der originären oder indigenen Bevölkerungs-
gruppen?“ Als Alternativen wurden die acht
gesetzlich definierten (Ley 19.253) indigenen
Ethnien aufgeführt (Alacalufe, Atacameño,
Aymara, Colla, Mapuche, Quechua, Rapa Nui
und Yámana). Es wurde also von einem Kon-
zept der Identifikation zu einem Konzept der
Zugehörigkeit übergangen, was sich in einer
deutlich niedrigeren statistischen Repräsen-
tanz der indigenen Völker niederschlug. (...) Im
Großraum Santiago konzentrieren sich 28%
der indigenen Bevölkerung des Landes, (...) im
Vergleich zu mehr als der Hälfte der Mapuche-
bevölkerung in Santiago de Chile (1992). Die
Mapuche im Großraum Santiago leben in den
11 ärmsten Stadtteilen mit einem indigenen
Bevölkerungsanteil zwischen 13% und 17%
(...)“.6
Möglicherweise ist ein weiterer Faktor, der die
indigene chilenische Bevölkerung zur vorsich-
tigeren Selbstidentifizierung motivierte, auch in
dem medial breit vermittelten Widerstand der
Mapuche, und damit verbundenen polizeilichen
Maßnahmen zu suchen.
Für die großen mexikanischen Städte konsta-
tiert DE LA PEÑA (2003:97) das größte Bevölke-
rungswachstum unter der dort lebenden indi-
genen Bevölkerung. Eine andere interessante
Herangehensweise stellt für Mexiko eine
”Pertenece Ud a alguno de los siguientes pueblosoriginarios o indígenas?“ (Hervorhebungen SSp) 6 vgl. hierzu auch INE/ Chile (2002:23).
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
173
haushaltsgestützte Untersuchung dar
(FERNÁNDEZ, GARCÍA & ÁVILA, 2002:171ff): Die
Mitglieder eines Haushalts, in dem zumindest
eine Person indigene Charakteristika hat, gel-
ten als indigen. Damit kommt die Schätzung zu
2,55 Mio. indigenen Haushalten mit 12,4 Mio.
Mitgliedern. Ausgenommen sind dabei die
Haushalte mit indigenen Hausangestellten.
In Paraguay (DIRECCIÓN GENERAL DE
ESTADÍSTICA, ENCUESTAS Y CENSOS, 2003a:35)
wird indigen definiert als: “Persona originaria
del país. Se dice de la persona que se declara
perteneciente a una etnia o pueblo originario y
se manifiesta miembro de una comunidad,
núcleo de familias o barrio indígena, indepen-
dientemente de que siga hablando o no la
lengua de origen.” Auf der Grundlage dieser
Definition und der entsprechenden Selbstiden-
tifikation gelangt das statistische Amt
(DIRECCIÓN GENERAL DE ESTADÍSTICA,
ENCUESTAS Y CENSOS, 2003b:563f) zu einem
Verhältnis 1:10 zwischen der indigenen Bevöl-
kerung in Stadt (7 407) und Land (79 692). Auf
Grund der offiziellen Zweisprachigkeit in Para-
guay (Guaraní und Spanisch) war es nötig
geworden, ein von der Sprachkompetenz un-
abhängiges Kriterium zu identifizieren.
Für Bolivien stellt VELASCO (2001:6)7 fest,
dass nur 15% der städtischen Bevölkerung
gegenüber 63% der ländlichen Bevölkerung
gemäß dem Kriterium Sprachbeherrschung
indigen ist. Sie schränkt dieses Ergebnis aber
gleichzeitig mit dem Verweis ein, dass das
Sprachenkriterium eine nicht definierbare Zahl
von Indigenen insbesondere in Städten aus-
schießt, da die Migration in urbane Kontexte
oftmals den Verlust der indigenen Sprache
nach sich zieht. Die Schätzung des Nationalen
Statistikinstituts beträgt 77,73% für die ländli-
che und 53,45% für die städtische Bevölke-
rung. Insgesamt spricht das INE/ Bolivien
(2003:27) von 50% indigenem Bevölkerungs-
anteil, der zu 45% in Städten lebt. Das Instituto
Interamericano Indigenista und ALBÓ & ANAYA
(2004:71) geben mehr als 60% an.
7 Auf der Grundlage einer Befragung des Instituto Nacional de Estadística (Encuesta Mecovi, 1999).
Für Peru lässt sich im Vergleich der Volks-
zählung von 1993 und der Encuesta Nacional
de Hogares von 2000 zeigen, dass die abso-
luten Zahlen erheblich ansteigen, sobald an-
statt der Muttersprache ein offeneres Kriterium
benutzt wird, in diesem Fall: “Por sus antepa-
sados y de acuerdo a sus costumbres, Usted
se considera (...)?“. Mit dieser Fragestellung
haben sich 38% der Gesamtbevölkerung und
31% der urbanen Bevölkerung als zugehörig
zu “origen aymara“, “origen quechua“ oder
“indígena de la Amazonía“ identifiziert, wäh-
rend die Volkszählung 1993 (Kriterium Spra-
che) nur 20% und 15% bezogen jeweils auf die
Gesamt- bzw. Stadtbevölkerung erbrachte
(GRADE, 2002:19-22). Diese Untersuchungen
sind für Peru auch insofern besonders rele-
vant, weil die peruanische Bevölkerung zu
mehr als 70% bereits in Städten lebt. Auf
welch unsicherem Boden man sich mit den
quantitativen Annäherungen bewegt, zeigt der
Verweis auf ALBÓ (zitiert nach BENGOA,
2000:56), der 1993 eine Gesamtzahl von
11 Mio. urbaner Indigener in Peru, doppelt so
viele wie in den ländlichen Gemeinden schätz-
te. Gemäß der 2002 von GRADE im Auftrag
der Weltbank vorgelegte Studie der Quechua
Bevölkerung (85% der peruanischen Indige-
nen) in Lima (15% indigene Bevölkerung) und
Cuzco (zwei Drittel indigene Bevölkerung)
leben 30% der indigenen Bevölkerung mittler-
weile in Städten, mehrheitlich in Lima. Aller-
dings sind die Zahlen vorsichtig zu inter-
pretieren, da sich die Studie auf der Grundlage
der Volkszählung von 1993 auf das aus-
schließliche Kriterium “indigene Sprache“ be-
zieht und damit von einer indigenen Gesamt-
bevölkerung von nur 3,5 Mio. ausgeht.
Aber diese Unsicherheiten haben Tradition:
BARRIG (2001:101) dokumentiert die Tendenz
zur “Entindigenisierung“ unter vergleichendem
Verweis auf die Volkszählungen seit 1908,
insbesondere für die Städte Lima und Cuzco
(Peru) sowie Quito (Ecuador). Dieser Prozess
erklärt sich über die Bedeutung der Selbst-
identifizierung. Diese reagiert besonders im
multiethnischen Umfeld von Städten auf Aus-
grenzung und Rassismus entweder über die
Negation des eigenen ethnischen Bezugs und
damit eine öffentlich sichtbare Assimilation an
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
174
das Umfeld oder über indigene Selbstbehaup-
tung. Häufig reagiert das gesellschaftliche
Umfeld nicht erwartungskonform, d.h. viele
Indigene, die sich nicht mehr als Indigene be-
haupten, sondern als Mestizen darstellen,
werden weiterhin als Indigene wahrgenommen
und ausgegrenzt.
2. Wege in und aus den Städten
Migration
Die Gründe für die Migration Indigener sind
keine anderen als die, die auch nicht indigene
Bevölkerung zur Migration vom Land in die
Stadt bewegen. BELLO & RANGEL (2002:41)
fassen die “Push-Faktoren“ wie folgt zusam-
men: ”El deterioro de las economías campesi-
nas, la pérdida y disminución de las tierras
comunitarias, la carencia general de recursos
productivos, el crecimiento de la población, la
‚salarización’, la pobreza.“ Dem gegenüber
wird mit dem Leben in Städten die Möglichkeit
besserer Lebensbedingungen, insbesondere
Arbeit und Einkommen und für Kinder und Ju-
gendliche die Suche nach besseren (Aus-) Bil-
dungsmöglichkeiten verbunden. Vertreibung
als Folge von gewaltsamen Auseinanderset-
zungen (v.a. in Kolumbien, Guatemala und
Peru) und von eklatanten Umweltzerstörungen
(v.a. in der Amazonasregion) sind Sonderfälle.
Die Migrationsbewegungen haben sich seit
Mitte des vergangenen Jahrhunderts intensi-
viert.
Es gibt vielerlei Formen der Migration, die
Stadt und Land, neuen Lebensmittelpunkt und
Herkunft nachhaltig miteinander verknüpfen.
Dies nimmt BENGOA (2000:76-81) vor allem für
indigene Migrant/innen in Anspruch. Indigene
Migrant/innen entwickeln eine Zugehörigkeit zu
mehreren Wohnorten und damit auch mit ei-
nem städtisch-ländlichen Selbstverständnis.
Dabei entstehen neue Wirtschaftszweige in der
Verbindung von informeller Wirtschaft und
Handel in Städten mit erweiterter Subsistenz-
landwirtschaft der Herkunftsgemeinden. An
Stelle einer eindeutigen Verortung entwickelt
sich ein Kontinuum zwischen Stadt und Land,
das unterschiedlich ausgestaltet sein kann:
Migration findet statt in Pendlermodellen mit
Rückkehr in bestimmten Rhythmen, als Projekt
für einen Lebensabschnitt, zum Beispiel der
Ausbildung, als vorübergehende Überlebens-
strategie oder als endgültige Abwanderung.
Die Option der Rückkehr ist dabei v.a. von
sozialer und psychischer Bedeutung und wird
weitgehend aufrechterhalten.
Migration verläuft meist in Etappen aus der
ländlichen Gemeinde über ländliche Unterzent-
ren in die (Haupt-)städte der Provinzen oder
Departamente und ggf. anschließend in die
Megastädte des Landes, oder in ausländische
Städte (v.a. USA). Für Lima zeigt die Studie
von GRADE (2002:18) diese Etappen der
Migrationsverläufe, da die Mehrheit der Que-
chuabevölkerung in Lima nicht direkt aus den
Dörfern sondern aus kleineren Städten des
Hochlandes nach Lima kam. Im Falle von Ver-
triebenen8 ist die Orientierung abhängig von
der Sicherheitslage und von spezifischen Auf-
nahmeprogrammen.
Am Beispiel von drei Städten kann die spezifi-
sche und sehr unterschiedliche Verarbeitung
der Migration Indigener in Lateinamerika kurz
dargestellt werden:
El Alto (Bolivien), ursprünglich die Vorstadt-
region von La Paz auf dem Altiplano, 1987 zur
eigenen Stadt erklärt, ist in spezifischer Weise
eine “Aymarastadt“, da sie vor allem die Migra-
tionsströme aus dem Altiplano, d.h. dem rura-
len Siedlungsgebiet der Aymara aufnimmt. El
Alto ist in seinem Stadtbild geprägt von Ayma-
ras, die selbstbewusst ihre Kultur (z.B. Klei-
dung und Sprache) ausdrücken, und in dieser
Form und Größe sicher einmalig (vgl.
STRÖBELE-GREGOR, 1990).
Santiago de Chile ist eine auf den ersten Blick
ganz “un-indigene“ Stadt, in der jedoch – nach
der Volkszählung von 1992 – die Mehrheit der
Indigenen des Landes lebt. Auch als Spiegel
des nationalen Umgangs mit dem “indigenen
Thema“ wurde hier immer die Anpassung aller
an eine europäisch orientierte Metropole ge-
fordert, was häufig ethnischem Rassismus
gleich kam. In Vergessenheit geraten ist die
8 GRADE (2002:31) weist beispielsweise nach, dass 70% der Vertriebenen in Peru Indigene sind. Auch in Kolumbien stellt die indigene Bevölkerung einen überproportional großen Anteil an den Vertriebenen.
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
175
vorkoloniale Mapuchevergangenheit des aktu-
ellen Santiago de Chile. Nur der Süden des
Landes, wo die Mapuchebevölkerung bis 1883
erfolgreich gegen die Kolonialisierung Wider-
stand leistete, gilt gemeinhin als “traditionelles
Mapucheterritorium“. Nachdem die Mapuche
Migrant/innen aus dem Süden sich zunächst
jahrzehntelang in Santiago anzupassen ver-
suchten, dennoch aber von der nicht indigenen
Mehrheit der Stadt ausgegrenzt und diskrimi-
niert wurden, sind in jüngster Zeit interessante
sozio-organisative Entwicklungen zu beo-
bachten. Vor allem jugendliche indigene Stu-
dierende, Migrant/innen der zweiten oder drit-
ten Generation, befassen sich explizit mit der
neuen Realität “urbaner Mapuche“ und entwi-
ckeln eine neue urbane indigene Identität.
Auch ohne quantitative Untersuchungen dazu,
ist zu vermuten, dass diese Dynamik eine Min-
derheit betrifft. Dagegen scheint sich die eher
“angepasste Mehrheit“ der Mapuche in Santi-
ago in der Volkszählung 2002 gegen eine indi-
gene Zuordnung ausgesprochen zu haben.
Das Indigenengesetz von 1993 definiert seinen
Geltungsbereich explizit auch für den städti-
schen Raum. Die im Gesetz vorgesehenen
administrativen Strukturen wie das Büro für
indigene Angelegenheiten finden sich ebenfalls
in Santiago mit einem an den städtischen
Raum angepassten Angebot an Maßnahmen,
wie beispielsweise der Förderung von indige-
nen Verbänden und Kleinunternehmer/innen
(vgl. INSTITUTO DE ESTUDIOS INDÍGENAS,
2003:381ff).
Lima (Peru) ist die lateinamerikanische Metro-
pole, die am schnellsten von Migration aus
dem ländlichen Andenraum “überrollt“ wurde
und sich “ruralisierte“, teilweise auch “indigeni-
sierte“. Die massiven Migrationen und die Stra-
tegien der Landnahmen führten zur Ent-
wicklung eines neuen kollektiven Bewusstseins
als “Städter“ und entsprechenden politischen
Organisationsformen, die weniger an der Her-
kunft als an der aktuellen Situation in der Stadt
und den damit verbundenen Forderungen und
Erwartungen anknüpfen. Die Migrant/innen
legen ihre indigene Identität ab, werden jedoch
von den nicht indigenen Städtern weiterhin
diskriminiert. Diese Veränderungsprozesse
lassen sich in Lima sowohl in den Siedlungs-
modellen der Migrant/innen in den Armutsgür-
teln der Stadt als auch in ihrer Selbstdarstel-
lung beobachten. Die Mehrheit der
Migrant/innen findet nur im informellen Sektor
eine meist prekäre Beschäftigung. Dies gilt
auch für indigene Migrant/innen. In Lima ist der
informelle Sektor besonders stark differenziert.
Mittlerweile haben sich – wie auch in La Paz,
El Alto und Santiago de Chile – indigene Mit-
telschichten aus der informellen Wirtschaft
entwickelt und z.T. organisiert.
Foto: Kinder in Guatemala (A. BEGEMANN)
Urbanisierung
Eine andere und unfreiwilligere Weise zum
Städter zu werden ist die Dynamik, mit der sich
Städte zunehmend in ihr ländliches Umland
ausdehnen und dieses administrativ oder inf-
rastrukturell eingemeinden. Indigene Gruppen,
die eigentlich in der Nähe von Städten ländlich
siedeln, finden sich dann unfreiwillig innerhalb
der urbanen Parameter wieder. SCHRÖDER9
stellt dies für einige Orte in Brasilien fest, zum
Beispiel für das Volk der Fulni-ô im Sertão
Pernambucos, die ihr Dorf nicht verlassen ha-
ben, sich aber aktuell bereits in einem Stadtteil
von Aguas Belas wiederfinden.
Wege zurück aus der Stadt
Auch unter indigenen Migrant/innen haben sich
vielfältige Weisen, Stadt und Land zu ver-
knüpfen, entwickelt. Diese Dynamik ist abhän-
gig von den Entfernungen, dem Wegenetz und
der Verkehrsanbindung und lässt sich für die
indigenen ruralen Siedlungen im Umfeld von
9 Persönliche Kommunikation
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
176
Städten, beispielsweise für La Paz, El Alto,
Quito, Cuzco und viele andere nachweisen.
Auch die Rückkehr in die Gemeinden zu kultu-
rell relevanten Festen mit den entsprechenden
ökonomischen Verpflichtungen ist ein wichtiger
Faktor in der kulturellen Reproduktion der
Migrant/innen, aber auch im sich wandelnden
Konsumverhalten ländlicher Bevölkerungen.
Teil von Rückkehr und Beziehungspflege zwi-
schen Herkunftsgemeinde und neuem urbanen
Umfeld sind wirtschaftliche Interessen und
Überlebensstrategien, beispielsweise in der
Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte der
Herkunftsgemeinden in den Städten. Darin
sehen einige Ethnologen eine aktuelle Variante
der Strategie der Risikominimierung, die Hoch-
landindigene in der andinen Landwirtschaft mit
der Verteilung ihrer Produktion auf verschiede-
ne Höhenstufen praktizierten (z.B. Altiplano –
Yungas in Bolivien). Auch PSACHADOPOULOS &
PATRINOS (1994:217) verweisen in ihrer Studie
für die Weltbank für die urbanen Indigenen
Boliviens auf alte Muster wirtschaftlicher Rati-
onalität. Die Herkunftsgemeinden sind abhän-
gig von den Zuwendungen ihrer Migrant/innen
und werden ebenso wie ländliche Gemeinden
nicht indigener Bevölkerung durch diese Dy-
namik an die Wirtschaftsentwicklung urbaner
Zentren, insbesondere ländlicher Unterzentren
angeschlossen. Umgekehrt tragen sie durch
die landwirtschaftliche Produktion zum Überle-
ben der Städter bei. Mitglieder der Herkunfts-
gemeinde oder Verwandte in der Stadt sind
darüber hinaus die erste Anlaufstelle für neue
Migrant/innen.
Trotz dieser verschiedenen Formen des Aus-
tausches pflegen zahlreiche Migrant/innen
keinen Kontakt mehr zu ihrer Herkunftsge-
meinde, bzw. reduzieren diesen auf die Unter-
stützung neu Ankommender in der Stadt. Dies
ist umso mehr der Fall, wenn sich ihre Erwar-
tungen an den Erfolg der Migration nicht erfül-
len, bzw. wenn sie sich von der indigenen Her-
kunft “losgesagt“ haben.
Das Bild des Landes aus Sicht der Städte
Wenig verlässliche Auskunft gibt es über die
Verschiebung von Deutungen der ländlichen
Herkunftsregion aus der städtischen Perspek-
tive der Migrant/innen. Abhängig sind diese
Bilder immer von der konkreten Situation aus
der heraus sie entwickelt werden, beispiels-
weise vom Erfolg der eigenen Migration. Ge-
meinsam mit nicht indigenen Migrant/innen
haben auch indigene die Tendenz der “rosa-
roten Brille“ für den Blick zurück und den
Traum von der idealisierten Heimkehr, wohin
sie zwar zu Besuch gehen, aber sehr wahr-
scheinlich nicht mehr zurücksiedeln. Die Fik-
tion der Rückkehr in diese “bessere, reinere
Welt“ wird aufrecht erhalten, auch als Gegen-
gewicht gegenüber der Härte der Ausgrenzung
in einer urbanen nicht indigenen Gesellschaft,
selbst dann, wenn die Besuche in der Her-
kunftsgemeinde bereits unregelmäßig gewor-
den sind. Diese Dynamik wurde in der Migrati-
onssoziologie eingehend untersucht; indigene
Migrant/innen stellen keinen Sonderfall dar.10
Wenn die Rückkehr nicht oder selten möglich
ist und das Umfeld sich erheblich von der Her-
kunftssituation unterscheidet, wie beispiels-
weise für die Indigenen des Hochlandes in
Lima, ist die Vorstellung der Herkunftsgemein-
den ein Agglutinationspunkt für lokale Organi-
sationen und spiegelt sich zusammen mit Ver-
wandtschaft in der Siedlungsweise in den Vor-
städten der Metropolen. Der Bezug auf die
Herkunft verbindet die Migrant/innen unterein-
ander (vgl. für Peru GRADE, 2002:48f.).
MÉNDEZ DOMÍNGUEZ (1994:351f.) weist das
anhand der vorherrschenden indigenen Spra-
chen in einzelnen Stadtteilen von Guatemala
Stadt nach. Diese Dynamik reagiert teilweise
auf ethnische Segregation in den Städten im
Sinne der Selbstorganisation und Selbstbe-
hauptung “in der Fremde".
Dagegen ist es in Städten im indigenen Um-
land wie Cuzco noch möglich, die Beziehun-
gen zu den Herkunftsgemeinden konkret und
real aufrecht zu erhalten durch häufigere Rei-
sen, Teilnahme an Festen, etc., und damit die
Reproduktion kultureller Strukturen aus dem
Herkunftsumfeld wieder zu aktualisieren. Auf
Grund des realen Austausches mit den Her-
10 Vgl. die Diskussionsbeiträge zur ADLAF (Arbeits-gemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung) Jahrestagung 2003 zum Thema Migration in Frei-burg (im Druck) und GABBERT ET AL., 1999.
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
177
kunftsgemeinden ist die symbolische Bedeu-
tung der Herkunftsgemeinde als Strukturprinzip
von Organisationen und Ansiedlung weniger
relevant.
3. Neue Identitäten – Urbane Indigene oder Mestizen
Die Diskussion der schwierigen quantitativen
Bestimmung Indigener in urbanen Zentren
erbrachte schon Verweise auf Prozesse der
Anpassung und Mestizisierung, die in unter-
schiedlichem Maße wahrscheinlich die Mehr-
heit der Migrationsverläufe kennzeichnen, aber
für weitere Veränderungen offen bleiben. Die
eigene Identifizierung und “performance“ (die
öffentlich sichtbare Form dieser Identifizierung)
sind Reaktionen auf die Umfeldsituation, die
meist bestimmt ist von Armut und Ausgren-
zung. Weitere wesentliche Faktoren für die
eigene Positionierung, die in dieser Form erst
gefordert ist, wenn die Indigenen ihre dörfli-
chen Strukturen verlassen bzw. mit dem nicht
indigenen Umfeld konfrontiert sind, sind die
Zugehörigkeit zu einer lokal vertretenen Min-
derheit oder Mehrheit, die gesellschaftliche
Stellung Indigener im Allgemeinen, sowie die
relevanten gesellschaftlichen Strömungen.
Diese Reaktionen können grundsätzlich als
Anpassung an das Umfeld oder als gegenläu-
fige Selbstbehauptung erfolgen. Sie wirken
sich unterschiedlich für Frauen, für Jugendli-
che und für Organisationen und ihre Leitungs-
kader aus.
Wirtschaftliche Optionen, Unterschich-tung und Marginalisierung
Arbeitsplätze sind vor allem in Städten, die viel
Migration anziehen und aufnehmen, eine Sel-
tenheit. Wirtschaftlich findet sich die Mehrheit
indigener Migrant/innen im informellen Sektor,
wie ausgeführt z.T. unter Nutzung von Poten-
zialen aus den Herkunftsgemeinden wider. Ihr
geringer Bildungsstand ist einer der Gründe für
die ökonomische Ausgrenzung. Spezifische
familiäre und soziale Strukturen der Zusam-
menarbeit, wie beispielsweise Familienmikro-
unternehmen haben sich dabei herausgebildet.
Migrant/innen, die bereits länger in Städten
leben, haben spezifische indigene Mittel-
schichten gebildet, beispielsweise erfolgreiche
Aymara Händlerinnen in El Alto und La Paz
(Bolivien; vgl. STRÖBELE-GREGOR, 1990). Inte-
ressant ist auch das Phänomen professioneller
Mapuche-Vereinigungen in Santiago de Chile,
in denen sich Migrant/innen der Mittelschicht
nach einer Phase der Anpassung nun im Sinne
der Re-Ethnisierung öffentlich als Indigene
organisieren. Diese gelungenen Migrations-
verläufe stellen unter der indigenen Bevölke-
rung noch immer eine Minderheit dar, sind
aber Teil der Motivation für vor allem junge
Indigene.
Der Anteil indigener Armer in Städten ist vor
allem in den Städten der Andenländer höher
als der nicht-indigenen Bevölkerung. Für Lima-
und die Quechua-Migranten in der Stadt lässt
sich das Phänomen der Unterschichtung quan-
titativ nachweisen (GRADE, 2002:7): dreimal
so viele Indigene als nicht Indigene leben in
extremer Armut. Sowohl quantitative Analysen
als auch Einzel- und Gruppeninterviews bele-
gen repräsentativ für Lima und Cuzco den
größeren Grad an Exklusion, dem die indigene
Bevölkerungsgruppe unterliegt, eine verschärf-
te Armut, und einen geringeren Zugang zu
staatlichen Dienstleistungen, allen voran Ge-
sundheit und Bildung (vgl. GRADE, 2002:33ff).
Bestätigt wird die größere indigene Armut auch
durch die qualitativen Studien der Weltbank
“Voces de los Pobres“ (DFID/ WELTBANK,
2003) in Peru an Hand von Untersuchungen
aus Juliaca auf dem Altiplano. Die befragten
Indigenen beider Untersuchungen stellten je-
doch keinen expliziten Bezug zwischen Armut
und Ethnizität her, sondern verwiesen auf Pro-
xyindikatoren wie Sprache, Aussehen, traditio-
nelle Kleidung oder die Wohngegend, die eine
sozio-ökonomische Zuordnung erlauben. Ähn-
liche Verhältnisse lassen sich für andere Städ-
te in anderen lateinamerikanischen Ländern
vermuten.
GRADE kommt zu dem Schluss, dass die
schlechtere Position indigener Migranten in
Lima gegenüber nicht indigenen hinsichtlich
Arbeitsplätzen, Einkommen, Armut in einem
Mangel an in der Stadt relevantem Sozialka-
pital begründet ist. Quechua-Migranten in Lima
knüpfen an die Verwandtschaftsstrukturen aus
den Herkunftsregionen, d.h. wieder bei Que-
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
178
chua, an und nehmen an den Angeboten des
Staates zur Minderung der Auswirkungen ex-
tremer Armut (Suppenküchen etc.) teil. Beides
ist nicht geeignet, die Platzierung im Arbeits-
markt oder für einkommensschaffende Selbst-
ständigkeit zu verbessern. Erschwerend
kommt dabei noch ihre signifikant geringere
Bildung hinzu, auch weil Bildungseinrichtun-
gen, v.a. Sekundarstufe II und Universität häu-
fig der Ursprung professionell relevanter Netz-
werke sind.
Bereits 1994 analysierten WOOD & PATRINOS
das urbane Bolivien und stellten auf der
Grundlage der zensalen Daten von 1989 einen
direkten Bezug zwischen Ethnizität und Armut
her. Teilursachen für eine sehr eingeschränkte
Teilhabe an gesellschaftlichen und wirtschaftli-
chen Möglichkeiten wurden in unzureichenden
Spanischkenntnissen und Bildung identifiziert,
insbesondere für indigene Frauen. Daneben
wird festgestellt (1994:94): “Even after control-
ling for schooling attainment, indigenous indi-
viduals have a 16 percentage point greater
probability of being poor than non-indigenous
individuals.“
Die Ausgrenzung Indigener ist seitens der
nicht indigenen Gesellschaft, der Mehrheitsge-
sellschaft in den meisten Städten, ethnisch
motiviert und begründet. Indigene ihrerseits
wollen diese Bezüge nicht öffentlich machen,
wenn sie sich selbst bereits im Prozess der
“Entindigenisierung“ befinden und um Aner-
kennung als “Gleiche“ bemüht sind. Sprache,
Kleidung, etc. lassen sich ändern, damit aber
nicht immer die erhoffte Teilhabe erwirken.
Entindigenisierung und Mestizisierung
Hinsichtlich der unterschiedlichen Anpas-
sungsleistungen indigener Migrant/innen un-
terscheiden sich bestimmte Städte ganz grund-
legend: in El Alto, La Paz (Bolivien), auch
Quetzaltenango (Guatemala), Otavalo und
teilweise auch Quito (Ecuador), das heißt in
Städten im Umland indigener Siedlungen und
Traditionen, bewahren indigene Migrant/innen
auch äußerlich sichtbare Anzeichen ihrer Posi-
tionierung als Indigene. In Städten wie Lima
(Peru), Santa Cruz (Bolivien), Guayaquil (Ecu-
ador) und den meisten mittelamerikanischen
Hauptstädten mit Ausnahme von Guatemala
Stadt wird diese Positionierung unsichtbarer,
die Anpassung scheinbar intensiver. Diese
Differenzierungen lassen sich auch für unter-
schiedliche Stadtteile in diesen und anderen
lateinamerikanischen Städten beobachten. Im
Folgenden werden nur einige untersuchte Bei-
spiele kurz skizziert:
Quechua in Lima (Peru) – und hierin ist die
Studie nicht auf die Nachbarländer übertragbar
– identifizieren sich weder als Quechua, noch
als Indigene, sondern bevorzugen für sich den
relativ neuen Sprachgebrauch provinciano,
erkennen sich jedoch auch wieder in dem ei-
gentlich pejorativ verwandten cholo (GRADE,
2002:73-79). Damit wird eine deutliche Orien-
tierung hin zu regionalen statt ethnischen Be-
zügen zum Ausdruck gebracht. Der Begriff des
cholo ist, v.a. unter den peruanischen Indige-
nen, insbesondere in Lima gebräuchlich, fasst
diese Komplexität von (unvollständiger) An-
passung, verweigerter Anerkennung und
Rückgriff auf die eigene Herkunft zusammen
(BENGOA, 2000:55f): “Acholarse tiene dos sen-
tidos, uno transformarse en “misti“, en blanco.
Cambiarse la vestimenta y tratar de hablar en
español. Como los blancos se dan cuenta de
que la transformación ha sido parcial, se les
denomina “cholos“. Término racial y despec-
tivo. Pero “acholarse“ también tiene el sentido
de ”timidez“, de retraimiento, de incapacidad
de expresarse en forma decidida.“
Mit dieser Selbstidentifizierung kann die Que-
chua Migrantenbevölkerung in Lima als Bei-
spiel für Anpassungsbestrebungen angeführt
werden. Bestätigt wird dies im Vergleich mit
der Selbstidentifizierung in Cuzco. GRADE
(2002:67) stellt mit Blick auf den Urbanisie-
rungsprozess Perus seit den 1950er Jahren
einen Identitätswandel vom “indígena“ zum
“poblador urbano“ fest, bei dem sich in den
Armutsgürteln der Hauptstadt ein neues
Selbstverständnis im Sinne der “cholificación“
als Vorstufe zu einer offeneren nationalen I-
dentität bereits seit den 1980er Jahren entwi-
ckelt hat. Gegenüber GRADE stellen die Que-
chua in Lima und Cuzco ihre Wahrnehmung
von Diskrimination und Ausschluss dar und
begründen sie im wesentlichen mit Sprache,
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
179
Herkunft, Aussehen und sozio-ökonomischer
Schichtzugehörigkeit. Drei der vier Kriterien
weisen einen deutlichen Bezug zu ethnischen
Faktoren auf, der aber in der Interviewsituation
verschwiegen wird. Die Konsequenzen aus
dieser Wahrnehmung sind entweder eine ver-
stärkte Anpassung oder eine bewusste Identi-
fizierung mit den Kriterien, die den Ausschluss
markieren und positiv für die Selbstbehauptung
und -wahrnehmung umgedeutet werden kön-
nen.
Dieser Prozess zeigt umgekehrt auch eine
spezifische Beeinflussung der sich entwickeln-
den urbanen Kulturen in den Armenvierteln,
die im Falle von Lima mit cholo bzw. andin
charakterisiert werden. Damit wird der indige-
nen Bevölkerung – möglicherweise gegen ihre
eigene Verortung – ein kultureller Beitrag zu-
gewiesen. Eines der kulturellen Elemente, die
besonders stark unter Anpassungsdruck ste-
hen, ist die indigene Sprache, die sich im all-
gemeinen in den Städten auch auf Grund des
Schulsystems schneller verliert als in den länd-
lichen Kommunen, womit das Kriterium
Sprachkompetenz in Volkszählungen kritisch
hinterfragt werden muss.
PATRINOS (1994:18) stellte für Guatemala die
Bedeutung der Migration und des intensiveren
“Kulturkontaktes” für Veränderungsprozesse
unter der Mayabevölkerung fest: “(...) identifi-
cation becomes a matter of social class rather
than indigenous origins. The factors identified
in the study that relate to change are: family
structure, work/ economics, government poli-
cies, telecommunications and travel, education
and religion.” Diese Faktoren spielen im urba-
nen Kontext eine gewichtigere Rolle als auf
dem Land. Aus ihnen wird in Abhängigkeit vom
Erfolg oder Misserfolg der Migration gewählt
und damit die neue Selbstverortung erklärt:
Mestize, poblador/a urbano/a provinciano/a
oder auf der anderen Seite Indigene/r.
In Bolivien dagegen haben sich gemäß ALBÓ,
1995 in den Städten des Hochlandes indigene
urbane Kulturen neu entwickelt, die sich vor
allem in La Paz und El Alto beobachten lassen.
Indigene Selbstbehauptung ist hier verbunden
mit einer erfolgreichen Anpassung an urbane
Strukturen und ihre wirtschaftlichen Möglich-
keiten, vor allem im Handel. Die Kulturen der
Aymara und Quechua in den Städten sind
nicht die Konservierung der Kulturen ihres
Herkunftsumfeldes, sondern vielmehr das Pro-
dukt einer Weiterentwicklung, d.h. neue urbane
indigene Kulturen, die die Städte prägen und
zurückwirken auf die ländlichen Herkunftsregi-
onen.
Ethnisierung und Politisierung
Eine Gegenbewegung zur anhaltenden Dis-
kriminierung und Ausgrenzung als Indigene
sind Prozesse der Re-Ethnisierung, wie sie
interessanterweise insbesondere in der zwei-
ten und dritten Generation von Migrant/innen
zu beobachten sind.
In Chile, vor allem im Großraum Santiago und
angesichts der insgesamt wesentlich geringe-
ren politischen und rechtlichen Anerkennung
indigener Völker, lässt sich ein doppelter Pro-
zess beobachten: Wie ausgeführt, lebt ein
Großteil der Mapuche, der größten indigenen
Bevölkerungsgruppe des Landes, bereits in
Städten und bewegt sich dort “unauffällig“, d.h.
positioniert sich nicht als indigen, sondern ist
um Anpassung an “chilenische Standards“
bemüht. Erst in jüngster Zeit haben sich in
Santiago ethnische Bewegungen insbesondere
unter den Mapuche etabliert, in denen sich
Migranten/innen als Mapuche “wiederentde-
cken“ und sich zu ethnisch strukturierten Or-
ganisationen zusammen finden. Diese Organi-
sationen haben ein kulturelles, wirtschaftliches
oder zur Selbsthilfe orientiertes Selbstver-
ständnis. Eine von mehreren tausend ethnisch
orientierten Organisationen in Santiago ist
Kaxawaiñ, die auf ihrer Website11 stellvertre-
tend für andere formulieren: “(...) nos reunimos
buscando y luchando por la recuperación de
nuestras tradiciones, sistematización de nues-
tros diálogos y reflexiones, nuestros ritos y
memorias, teniendo la esperanza que la teoría
y práctica abrirán un sendero para el respeto
de la sabiduría del sistema cultural mapuche,
(...)“ In diesem Prozess intensivierten sie auch
die Beziehungen zu ihren Herkunftsregionen
im Süden des Landes.
11 Vgl. beispielsweise eine Sammelseite http://mapuches-urbanos.tripod.com/
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
180
Das unabhängige Centro de Documentación y
Estudios Mapuche in Temuco ist ein weiteres
Beispiel für diese Re-Ethnisierungsprozesse,
in diesem Fall gekoppelt mit der Rückkehr in
das historische Mapucheterritorium: Ihre Grün-
der kehrten aus Santiago de Chile zurück,
nach eigenen Angaben nach einer persönli-
chen Identifizierung als Mapuche und bauten
dieses Zentrum mit einer Gruppe Gleichge-
sinnter auf. Andere aus Santiago nach Temuco
zurückkehrende Mapuche verfolgen eine an-
dere Strategie und arbeiten in den staatlichen
Strukturen indigener Vertretung (CONADI,
Corporación Nacional de Desarollo Indígena
bzw. Nationale Gesellschaft für indigene Ent-
wicklung). Dies ist gleichzeitig ein Beispiel für
die Gestaltung von Rückkehr, nicht eine Rück-
kehr auf das Land, sondern eine (Teil-) Rück-
kehr in Provinzstädte.
Ein weiteres Beispiel für eine Re-Ethnisierung
nach gelungener Anpassung an urbane Kon-
texte und eher von nationalen Parametern
bestimmte Kulturen sind die politischen Orga-
nisationen in El Alto (Bolivien), die sich aller-
dings im Unterschied zu Santiago de Chile in
einem mehrheitlich indigenen Umfeld etablier-
ten. Insbesondere die 1994 durch den “Com-
padre Palenque“ gegründete Partei CONDEPA
(Conciencia de Patria) griff auf die Symbole
der Aymarakultur zurück und positionierte sich
als Partei der städtischen Aymara. Sie ist somit
in besonderer Weise ein Produkt der Ausei-
nandersetzung der Aymarabevölkerung mit
ihrem nationalen Umfeld unter den spezifi-
schen Bedingungen des städtischen Lebens.
Auf Grund der geografisch begünstigten und
intensiven Austauschbeziehungen zwischen
der Aymarabevölkerung in El Alto und den
Dörfern des umliegenden Altiplano übernahm
die Partei auch die Vertretung der ländlichen
Aymara. CONDEPA konnte aus dem Stand ein
erhebliches Wählerpotenzial speziell unter der
Aymarabevölkerung mobilisieren und war unter
Präsident Banzer einige Jahre an der Regie-
rung beteiligt, ist jedoch mittlerweile politisch
bedeutungslos.12
12 STRÖBELE-GREGOR hat dazu zahlreiche Veröffent-lichungen vorgelegt, auf die sie im Einleitungskapitel verweist.
Die indigenen Händler und Händlerinnen aus
Otavalo (Ecuador) sind dagegen ein interes-
santes Beispiel, wie die öffentlich sichtbare
Positionierung über die Kleider- und Haar-
tracht, d.h. die eigene Folklorisierung, ökono-
misch erfolgreich eingesetzt wird. Sie hat nati-
onal und international zum Erfolg des ecuado-
rianischen Kunsthandwerkshandels beigetra-
gen und unterstützt den Wiedererkennungs-
wert der entsprechenden Waren, die jedoch
meist nicht aus der Kultur und Produktion der
Händler/innen, sondern von Indigenen aus
dem ganzen Land stammen, die möglicher-
weise wesentlich unsichtbarer und in jedem
Fall im Handel weniger erfolgreich sind. Sicht-
bar indigene Händler/innen aus Otavalo bewe-
gen sich dagegen auch außerhalb ihrer Klein-
stadt erfolgreich bis in die Fußgängerzonen
westeuropäischer Städte.
Auch wo Phänomene der (Re-) Ethnisierung
nicht deutlich beobachtbar oder noch nicht
untersucht sind, wird ein gewisses Substrat an
“kulturellen Werten“ aufrecht erhalten, das sich
auf die Strukturen in der Herkunftsgesellschaft
bezieht. Besonders hervorgehoben werden
dabei Verwandtschaft und damit begründete
Sozialbeziehungen, Feste, insbesondere reli-
giöser Natur, und einige konkrete Manifestati-
onen wie Küche und Musik. Dass diese kultu-
rellen Werte und – in Abhängigkeit von den
Mehrheitsverhältnissen – auch die indigene
Sprache eine wichtige Rolle spielen können,
zeigt ALBÓ, 1995 in seiner Mikroanalyse der
Stadtteile bolivianischer Städte.
Die indigene Kultur in den Städten unterschei-
det sich von den Kulturen in den Herkunftsge-
meinden und ist das sich ständig weiter wan-
delnde Produkt eines kontinuierlichen Prozes-
ses der Re-Interpretationen bekannter und
mitgebrachter Traditionen in Auseinanderset-
zung mit dem neuen Umfeld. Aktuell scheinen
die Wiederbelebungen “alter Traditionen“ stär-
ker dokumentiert zu werden, so stellt BENGOA
(2000:58) ein Anwachsen von prehispanischen
religiösen Phänomenen in lateinamerikani-
schen Städten fest. RÖSING (1987) untersuchte
in den 1980er Jahren Manifestationen von
Ethnomedizin in La Paz (Bolivien) und die Rol-
le traditioneller Callawaya-Heiler. Sie stellte ein
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
181
wachsendes Interesse an diesen rituellen
Dienstleistungen, aber auch eine Gefährdung
ihrer Komplexität im urbanen Raum fest und
reflektierte ihre kulturelle und soziale Funktio-
nalität. Ethnische oder ethnisch-professionelle
Organisationsgründungen sind ein weiterer
Ausdruck dieses kulturellen “Wiedererwa-
chens“ und veränderter Wahrnehmung.
Diese Prozesse der (Re-) Ethnisierung sind
ebenso wenig abgeschlossen wie die kulturelle
Weiterbearbeitung und Weiterentwicklung in
den ländlichen Herkunftsgemeinden. Sie ver-
laufen allerdings in den Städten in einem urban
angepassten Tempo. Sie setzen sich, unter-
stützt durch die breiter zugänglichen elektroni-
schen Medien, zunehmend mit den Tendenzen
der Globalisierung auseinander. Für die Ent-
wicklungszusammenarbeit werden indigene
Städter ebenfalls zunehmend relevant, da die
Vertreter/innen indigener Völker und damit
Gesprächspartner von EZ Institutionen ihre
Büros in den lateinamerikanischen Haupt-
städten unterhalten.
Foto: Näherin in Panama (K. LECKEBUSCH)
Neue Rolle für indigene Frauen
“On the whole, women migrate more than men,
and non-indigenous people more than indige-
nous people. Migrants are more likely to be
young, female and non-indigenous” (PATRINOS,
1994:18). Diese allgemeine Aussage ist noch
immer gültig. Indigene Frauen migrieren je-
doch weniger als indigene Männer in die Städ-
te der Provinzen oder die Metropolen. Eine
Ausnahme stellen die gewaltsamen Ver-
treibungen dar, in denen Frauen und Kinder
auch unter Indigenen die Mehrheit bilden.
BARRIG (2001:102-115) reflektiert diese Fakten
mit dem Geschlechterverhältnis andiner indi-
gener Gesellschaften und sieht in der Begren-
zung von Frauen auf die dörfliche Gemein-
schaft und die eigene traditionelle Kultur (bei-
spielsweise die Nutzung von Trachten) einen
Hinweis auf das Geschlechterungleichgewicht
und eine deutliche Einschränkung von Frauen.
Diese Ungleichheit zwischen den Geschlech-
tern wird häufig mit der Komplementarität an-
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
182
diner Kulturen erklärt und legitimiert. Damit
übernehmen indigene Frauen jedoch gleich-
zeitig eine funktionale Rolle für die Möglichkeit
des Rückbezugs, als Bild des Eigenen, des
Reinen, “der Kultur“.
Auch im urbanen Kontext geben sich mit weni-
gen Ausnahmen die Frauen durch die Tracht
öffentlich als Indigene zu erkennen: “Las muje-
res son más indias“ (DE LA CADENA in BARRIG,
2001:108). Indigene Migrantinnen werden häu-
fig in ihrem besonderen Beitrag zum Erhalt der
Kultur auch unter den erschwerten Bedin-
gungen der Stadt gewürdigt.
Einen anderen Aspekt beleuchtet PÉREZ SAINZ
(1994:338): In einem Vergleich indigener und
nicht indigener Frauen in Guatemala Stadt
konstatiert er die intensivere Beteiligung indi-
gener Frauen im Vergleich zu nicht indigenen
an Erwerbsarbeit bei gleichzeitig schlechteren
Arbeitsbedingungen und geringerem Einkom-
men. Es gibt in diesem Zusammenhang auch
Anzeichen, dass sich indigene Frauen über
Migration eine intrakulturelle und intrafamiliäre
Unabhängigkeit erwirken, vor allem in indige-
nen Kulturen mit einem stark patriarchalen
Charakter. Die spezifische Problematik der
Hausangestellten in noch häufig sklavenähnli-
chen Arbeitsverhältnissen, in denen vor allem
junge Mädchen aus ländlichen Regionen, und
damit auch junge indigene Mädchen und Frau-
en ausgebeutet werden, kann hier nicht im
Einzelnen beleuchtet werden.
Migration bringt sowohl für die Frauen in den
Herkunftsgemeinden als auch für die migrier-
ten Frauen in den Städten Veränderungen mit
sich, da sie in beiden Kontexten neue Aufga-
ben übernehmen und dabei neue Rollenmuster
entwickeln. In diesem Prozess ändert sich
sowohl ihr Selbstbild als auch das Bild der
indigenen Frau allmählich in Richtung auf eine
größere und öffentlich sichtbare Gleichberech-
tigung.
Indigene Jugendliche – eine neue Sub-gruppe
Jugendliche sind entweder eigenständige
Migrant/innen – meist motiviert durch bessere
Bildungsmöglichkeiten in den Städten, insbe-
sondere nach abgeschlossener Grundbildung
– Vertriebene oder bereits Migrant/innen der
zweiten und dritten Generation. Sie vollziehen
die genannten Optionen der Anpassung und
Eigenständigkeit ebenfalls nach, kennen je-
doch die ländliche Herkunftsregion, in der die
indigene Kultur verbürgt ist, teilweise nur mit-
telbar.
Jugend als Lebensabschnitt kommt verstärkt
im städtischen Umfeld zum Tragen. Durch
verbesserte und verlängerte Ausbildungszeiten
gewinnt diese Etappe des Lebens einen ei-
genständigeren Charakter als in den Her-
kunftsgemeinden, wo Jugendliche schon früh
geschlechtsspezifische Arbeiten übernehmen
und schnell in die Rolle junger Erwachsener
hineinwachsen. Allgemein ist der gesamte
Jugend relevante Diskurs im wesentlichen
städtisch. Die entsprechenden Instanzen so-
wohl staatlicher Jugendpolitik als auch nicht
staatlicher Jugendarbeit und Jugendorganisa-
tion beginnen erst langsam die Wirklichkeit
ländlicher Jugendlicher wahrzunehmen und
einzubeziehen. Die Wahrnehmung indigener
Jugendlicher erfolgt verzögert und analog zu
dem allgemein verbreiteten Bild von Indigenen
v.a. bezogen auf den ländlichen Kontext.13
Die Migrationsrealität gewinnt für jugendliche
Indigene eine spezifische Relevanz. Darauf
verweist auch das Ständige Forum in seiner
Session vom Mai 2003 (vgl. STÄNDIGES FORUM
FÜR INDIGENE FRAGEN, 2003) und interpretiert
die Situation jugendlicher Migrant/innen vor
allem unter der Perspektive des Kultur- und
Identitätsverlustes und der erzwungenen An-
passung an eine neue und fremde Umwelt.
Mittlerweile hat UNICEF (2003) eine vertie-
fende Studie zur Thematik indigener Kinder
und Jugendliche durchgeführt.
BARRIG (2001:102) zitiert eine Befragung unter
jugendlichen Sekundarschüler/innen in Lima,
die Kinder und Enkel andiner Migrant/innen
sind. Mit großer Mehrheit beantworteten sie die
Frage: “Wen hasst du?“ Mit: “Meine Großmut-
13 Das GTZ-Vorhaben zur Beratung der Jugendpoli-tik in Kolumbien hat in Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Partner Colombia Jovén und der landesweiten Organisation indigener Völker ONIC (Organización Nacional Indígena de Colombia) 2004 eine interessante Maßnahme hierzu eingelei-tet.
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
183
ter“ und begründeten ihre Wahl mit der Ableh-
nung gegenüber den indigenen Attributen, die
die Großmutter noch verkörperte und die ihre
Enkel noch immer zum Gespött der Mitschü-
ler/innen werden lassen. Konsequent sagten
90% der Befragten, sie hätten keinerlei Kennt-
nisse zur Herkunftsregion der Familie. Hier
wurde “der Zopf abgeschnitten“.
Neue Rollen und Organisationsformen
Im bolivianischen “Erdgasaufstand“ im Jahr
2003 waren neben El Alto mit seinen indigenen
Organisationsstrukturen auch Kleinstädte wie
Achacachi mit indigener Führung der Stadt-
verwaltung Zentren der Organisation von stra-
tegischer Bedeutung. Sie konnten diese Funk-
tion übernehmen, weil sie die Kommunikation
mit den Aymaras der umliegenden Hochebene
aufrechterhielten. Diese Kombination zwischen
Stadt und Land wurde im legendären “levan-
tamiento indígena“ 1990 in Ecuador auch be-
sonders deutlich, als zeitgleich mit der Beset-
zung der ländlichen Zufahrtsstraßen und Tei-
len der Panamericana die Kirche Santo Do-
mingo in Quito besetzt wurde (vgl. ALMEIDA ET
AL., 1991).
Die Erfahrung von Migration und Integration in
urbanen “modernen“ Zusammenhängen hat
ebenfalls Auswirkungen auf indigene Füh-
rungspersönlichkeiten und Organisations-
strukturen. Die Initiatoren und Präsidenten
indigener Organisationen sind vermehrt keine
Bauern mehr sondern Städter, die Realität der
ländlichen Gemeinden jedoch ist noch immer
Hauptgegenstand von Forderungen und Ver-
handlungen mit staatlichen Instanzen. Diese
ländliche Realität kennen die Sprecher oft nur
vermittelt, umgekehrt kennen sie jedoch das
Umfeld und die Parameter ihrer nicht-indige-
nen Gesprächspartner. Sowohl indigene Ge-
meinden und Völker als auch ihre nicht-indige-
nen Gesprächspartner sind für ihren Dialog
häufig auf Personen angewiesen, die diese
Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit leisten
können. “(...) la fuerza política de este nuevo
dirigente está en ser capaz de manejar todos
los códigos occidentales y al mismo tiempo
manejar la distinción, el hecho de ser indígena,
(...)“ (BENGOA, 2000:83). In diesem Zusam-
menhang wird die Frage wichtig, wie sehr die
Vertreter und seltener Vertreterinnen der indi-
genen Völker tatsächlich diese und ihre mehr-
heitlichen Interessen vertreten, insbesondere
in den Ländern, in denen die Mehrheit der
Indigenen noch im ländlichen Raum lebt, bzw.
in Themenbereichen, die direkt die ländliche
Bevölkerung betreffen. Dies betrifft auch die
Entwicklungszusammenarbeit, denn die Orga-
nisationsführer sind auch die Gesprächspart-
ner im Planungsprozess von EZ Programmen
und Projekten. Umgekehrt sind die Anforde-
rungen der Kommunikation mit indigenen Ver-
treter/innen so, dass sie praktisch nur aus dem
städtischen Umfeld mit funktionierender Tele-
kommunikation und angeschlossen an Infra-
struktur und Verkehrsbetriebe zu leisten sind.
Diese neuen Erfahrungen und Herausforde-
rungen haben auch den Diskurs indigener
Organisationen geprägt: Neue Themen wurden
in die Diskurse der indigenen Organisationen
aufgenommen. Forderungen nach Anerken-
nung von Differenz, Eigenständigkeit und Re-
spekt, sowie die Überlegungen zu multiethni-
schen Gesellschaften (“unidad en la diversi-
dad“) gewinnen zunehmend an Gewicht. Sie
stellen gegenüber den Forderungen früherer
Dekaden nach Entwicklungsteilhabe v.a. im
ländlichen Raum eine Weiterentwicklung dar,
die auch deshalb möglich wurde, weil indigene
Vertreter die Diskussionen auf nationaler und
internationaler Ebene wahrnehmen und daran
partizipieren. Migration und ihre Präsenz in
Städten war eine Voraussetzung dafür.
BENGOA (2000:129) fasst das folgendermaßen
zusammen: “La característica principal de la
emergencia indígena es la existencia de un
nuevo discurso identitario, esto es, una ‘cultura
indígena reinventada’. Se trata de una ‘lectura
urbana’ de la tradición indígena, realizada por
los propios indígenas, en función de los intere-
ses y objetivos indígenas. (...) discurso de
identidad étnica arraigado profundamente en
la tradición, pero con capacidad de salir de ella
y dialogar con la modernidad.“ Dies führt nicht
zu dem bekannten Diskurs des “mestizaje“
sondern vielmehr zu einer ethnischen Selbst-
behauptung, einer Behauptung der Differenz
unter Kenntnis “des anderen“ und im Dialog
mit “den anderen“. Mit den neuen Parametern
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
184
der Differenz und den Beiträgen zum Aufbau
multiethnischer und plurikultureller Gesell-
schaft knüpfen indigene Organisationen im
Dialog an ähnlichen Phänomenen in anderen
Teilen der Welt an. Im Zuge der Globalisie-
rung, auf Grund intensivierter Migrationsbewe-
gungen und kürzer werdender Entfernungen,
entstehen an zahlreichen Orten diese und
ähnliche Forderungen und Modelle. In ihrem
Zentrum steht die Anerkennung der Differenz
und der respektvolle Dialog mit “Anderen“.
4. EZ Ansätze
Das BMZ-Konzept für die EZ mit indianischen
Bevölkerungsgruppen notiert die unterschiedli-
chen Faktoren, die Indigene aus ihren ange-
stammten Siedlungsgebieten verdrängen und
damit die Migration verstärken und schließt
migrierte Indigene explizit in die Zielgruppe ein
(BMZ, 1996:11): “Dabei sollte auch der beson-
deren Situation der indianischen Bevölkerung
in den urbanen Ballungsräumen ausreichend
Rechnung getragen werden“. Zu diesen Fakto-
ren zählen neben Gewalt und Krieg auch die
Problematik von Landrecht und Landnutzung
(siehe RATHGEBER in diesem Band) und die
Verdrängung durch extraktive Industrie und
Ressourcenkonflikte (siehe FELDT und
ROSSBACH DE OLMOS in diesem Band). Die
Evaluierung des BMZ-Konzepts zur Zusam-
menarbeit mit indigenen Völkern kommt zu
dem Schluss, dass indigene Völker nicht über-
all dort, wo sie leben und von spezifischen
Problemen betroffen sind, in den Vorhaben
und dem entsprechenden Politikdialog der EZ
Berücksichtigung finden. Dies gilt umso mehr
für die indigene Bevölkerung außerhalb ländli-
cher Gebiete, insbesondere außerhalb des
Regenwaldes. Denn Vorhaben der EZ mit In-
digenen als explizit aufgeführter Zielgruppe
finden noch immer fast ausschließlich in ländli-
chen Regionen statt.
Ansätze der Stadtentwicklung und Ar-mutsminderung
Vorhaben der Stadtentwicklung der EZ sind
zum einen auf Infrastrukturmaßnahmen und
Stadtteilsanierung orientiert, zum anderen auf
die Verbesserung der städtischen Organisation
und die Stärkung der Stadtverwaltung zur
Erbringung verbesserter Dienstleistungen.
Dabei konzentriert sich die deutsche TZ auf
Mittelstädte und ländliche Unterzentren nach
einer anfänglichen Konzentration auf die Lega-
lisierung urbaner Landnahme durch
Migrant/innen. Die “Leitlinie Kommunal- und
Stadtentwicklung“ der GTZ (2002:4) führt ex-
plizit die Vorgaben Menschenrechte, demokra-
tische Teilhabe, sozial-politisch orientiertes
Handeln und die Orientierung auf Gender-,
Armuts- und Umweltprobleme auf. Zunehmend
orientieren sich auch Stadtentwicklungsvorha-
ben der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) auf
die Partizipation der lokalen Bevölkerung, wie
in Medellín und Bogotá. Erfahrungen mit der
Beteiligung indigener Stadtbevölkerung, die als
solche reflektiert wurden, sind nicht greifbar,
sollten aber in Städten mit indigenen
Migrant/innen, die sich als solche verstehen
und organisieren, im Sinne der Zielgruppen-
differenzierung Gegenstand der Komponenten
Bürgerbeteiligung und Dialog mit Organisatio-
nen der Zivilgesellschaft sein. Ohne die spezi-
fische Fokussierung können Indigene nur als
Städter und Bürger/innen bestimmter Stadtteile
und sofern sie nicht sozial ausgegrenzt sind an
den Wirkungen der Vorhaben partizipieren.
Ansätze der Dezentralisierung
Vor allem in Ländern bzw. Regionen mit einem
hohen indigenen Bevölkerungsanteil bot die
Dezentralisierung und insbesondere die neue
Rolle, die dabei Kommunen als bürgernähester
Ebene zukommt, indigenen Völkern eine
Chance, die eigene Entwicklung in die Hand zu
nehmen, “ethnodesarrollo“ (siehe auch
STRÖBELE-GREGOR in diesem Band) mit regio-
naler Entwicklung zu verknüpfen, in staatlichen
Funktionen präsent zu sein, und damit auch
Zugang zu den Strukturen der Macht zu erlan-
gen. Dies realisiert sich von wenigen Ausnah-
men wie Quetzaltenango abgesehen, vor allem
in kleineren Kommunen mit noch ländlichem
Zuschnitt. Bolivien und Ecuador weisen zahl-
reiche Beispiele auf, die im Rahmen der dort
umgesetzten Vorhaben zur Förderung der
Dezentralisierung und Kommunalentwicklung
auch unterstützt wurden. Unter der Perspektive
von Partizipation und Good Governance wer-
den diese Ansätze bei FELDT in diesem Band
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
185
“La participación, la coordinación interinstitu-cional, la capacitación y la instalación de capacidades en nuestros propios Pueblos Indígenas debe ser el horizonte de toda cooperación técnica para el desarrollo, y también constituye una necesidad pragmáti-ca para garantizar la sustentabilidad de la experiencia en el tiempo.”
CLAUDIO SAAVEDRA (CONADI) Chile
beleuchtet. Die Option der Mitgestaltung von
Politik und lokal-regionaler Entwicklung “con
visión indígena“ birgt jedoch auch die Gefahr,
kooptiert zu werden, und damit die Anerken-
nung und Legitimität als Vertreter/in indigener
Bevölkerungsgruppen zu verlieren. Es ist da-
von auszugehen, dass diese Entwicklungen
vor allem in Mittelstädten und ländlichen Un-
terzentren relevant werden.
Andere Ansätze in lateinamerikanischen Städten
In Chile wurde 2002 und 2003 eine Eigen-
maßnahme der GTZ umgesetzt, die u.a. die
indigene Stadtbevölkerung des Großraums
Santiago explizit als Zielgruppe definierte, und
sich die Förderung einer interkulturellen Ver-
ständigung zwischen (1) verschiedenen indi-
genen, (2) indigenen und nicht-indigenen Be-
völkerungsgruppen sowie (3) zwischen indige-
ner Bevölkerung und den öffentlichen Instituti-
onen zum Ziel setzte. Das Vorhaben arbeitete
zu drei zentralen Bereichen: Gender, Jugend
und Förderung produktiver Maßnahmen mit
einem durchgehend interkulturellen Fokus.
WENTZEL (2003:9) weist aus dem Kontext der
PDPI Projekte (Projetos Demonstrativos dos
Povos Indígenas) in Brasilien mit Fokus auf
indigene Völker der Amazonasregion (Rio
Negro) auf eine weitere interessante und för-
derungswürdige Fragestellung hin: “Como
melhor aproveitar as experiências e os recur-
sos destes migrantes para os desenvolvimen-
tos das Terras Indígenas? Como fortalecer a
articulacão entre os indígenas nas cidades e
os que vivem nas aldeias?“ Darin kann sich die
Berücksichtigung städtischer Indigener und die
Bearbeitung ihrer spezifischen Probleme nicht
erschöpfen, aber damit können die bestehen-
den oder erloschenen Beziehungen zwischen
Städtern und Landbevölkerung aktiviert und
gestärkt sowie eine gemeinsame Orientierung
gefördert werden.
CLICHE & GARCÍA (O.J.) verweisen für Ecuador
darauf, wie Ansätze – in diesem Fall der zwei-
sprachigen interkulturellen Bildung – für die
indigenen Zielgruppen in den Städten weiterhin
Gültigkeit besitzen, aber angepasst und ent-
sprechend abgewandelt werden müssen.
5. Empfehlungen
Horizont der folgenden Empfehlungen ist die
Notwendigkeit auch für die EZ im urbanen
Kontext Gleichberechtigung in den Gesell-
schaften der Partnerländer zu fördern, und
Diskriminierung und Ausgrenzung abzubauen.
Damit kann ein Beitrag dazu geleistet werden,
dass diese Gesellschaften selbst sich in Rich-
tung auf ihre in den Verfassungen häufig
schon verbrieften Modelle multiethnischer und
plurikultureller Gesellschaften hin entwickeln,
in denen Differenz einschließlich der ethni-
schen, kulturellen und sprachlichen als Berei-
cherung und nicht als Bedrohung oder Min-
derwertigkeit wahrgenommen wird. Dieser
Paradigmenwechsel ist eine aktuell weltweite
Herausforderung und betrifft nicht nur Latein-
amerika.
Das BMZ Konzept nennt Indigene in der Stadt
und spricht sich explizit gegen eine Einengung
auf ländliche Regionen und Wald aus. Die
Berücksichtigung indigener Völker im urbanen
Raum öffnet gleichzeitig den Blick der EZ auf
indigene Völker im Allgemeinen: Wenn Indi-
gene nicht mehr vorrangig “auf der Scholle“
und “unter dem Baum“ gesehen werden, wer-
den sie differenzierter und in ihren realen Le-
bensbedingungen wahrgenommen. Somit ist
zu vermuten, dass diese Wahrnehmung sich
auch positiv auf die Vorhaben der EZ mit indi-
genen Völkern in ländlichen Regionen auswir-
ken kann. Bei der konzeptionellen Verknüp-
fung zwischen Förderung indigener Völker und
Entwicklung in Städten können die folgenden
Empfehlungen zum Tragen kommen:
1. Indigene Völker sind wesentlich städti-
scher als ihr Bild. Die EZ sollte (1) dies in
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
186
ihren entsprechenden Grundsatzpapieren
deutlicher einbeziehen, (2) zum Thema in-
digene Völker nicht ausschließlich ihre Ko-
operationen mit Indigenen im ländlichen
Raum darstellen und (3) in ihren Vorhaben
im urbanen Raum auf die ggf. dort lebende
indigene Bevölkerung reagieren, und für
ihre Beteiligung an den Vorhaben in Städ-
ten und damit an den städtischen Struktu-
ren der Verwaltung und Politik Sorge tra-
gen.
2. Urbane Zentren haben in ihren Ländern
die Rolle von Modellen für Moderne und
Entwicklung. In diesem Sinne ist es wich-
tig, dass insbesondere in den Städten die
Entwicklung von multiethnischen Gesell-
schaften, wie verfassungsgemäß veran-
kert, sichtbar wird. Stadtentwicklungspro-
jekte können hierzu durch eine sensible
Auswahl der Zielgruppen (einschließlich
Maßnahmen im Sinne von affirmative ac-
tion) beitragen.
3. Indigene Völker in Städten sind trotz Dis-
kriminierung und Segregation Teil der loka-
len Gesellschaften. Es bestehen in den
Städten wenige partikulare “indigene
Räume“. Daher ist zu empfehlen, die Be-
teiligung indigener Vertreter/innen zusam-
men mit anderen Zielgruppenvertre-
ter/innen in den im Projekt vorgesehenen
Beteiligungsstrukturen zu integrieren. Da-
mit können EZ Maßnahmen dazu beitra-
gen, dass sich Indigene nicht zur Unsicht-
barkeit gezwungen sehen und Ausgren-
zung und Rassismus der Partnergesell-
schaften aufgebrochen wird.
4. Eigene Beteiligungsstrukturen für Indigene
sind nur dort sinnvoll, wo ihre Beteiligung
in den allgemeinen Strukturen unterzuge-
hen droht bzw. wo es sich ausschließlich
um die Vertretung ihrer spezifischen Inte-
ressen handelt. Die EZ soll vermeiden,
selbst Re-Ethnisierungsprozesse in Gang
zu setzen, indem sie Indigene identifiziert
und explizit fördert, die sich nicht mehr als
solche verstehen, sondern an einer Integ-
ration und Assimilierung an die urbane na-
tionale Gesellschaft interessiert sind. In
diesen Situationen ist davon auszugehen,
dass die Beteiligung “ehemals Indigener“
durch die Konzentration auf Arme weitge-
hend sicher gestellt werden kann.
5. In Vorhaben der Kommunalentwicklung in
indigen besiedelten Regionen und mit be-
stehenden indigenen Organisationen sind
Maßnahmen der Qualifizierung und Orga-
nisationsförderung zur Beteiligung an den
politischen Strukturen sinnvoll. Indigene
Organisationen, die erst jüngst auf dieser
Bühne des demokratischen Wettbewerbs
agieren, haben ggf. mehr Förderbedarf als
andere bereits parteipolitisch orientierte
und organisierte gesellschaftliche Grup-
pen.
6. Die zu Grunde liegenden Fragen: wer und
wie viele Menschen als indigen gelten und
wo sie leben, können im Rahmen der EZ
nicht beantwortet werden. Die entspre-
chende wissenschaftliche Diskussion sollte
jedoch beobachtet und wenn möglich bei
Schlüsselfragen auch gefördert werden.
Sie wird in fast allen Ländern und durch
einige renommierte überregionale Instituti-
onen wie FLACSO (Facultad Latinoameri-
cana de Ciencias Sociales) oder CLACSO
(Consejo Latinoamericano de Ciencias
Sociales) geführt. Dasselbe gilt für die Dis-
kussion internationaler Foren unter maß-
geblicher Beteiligung indigener Repräsen-
tant/innen, die stärker in den Vorhaben der
EZ wahrgenommen werden sollten.
Indigene Völker in Städten: präsent und doch nicht wahrgenommen
187
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Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika
189
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern in Lateinamerika¹
DR. EDGAR KÖPSELL
Vorbemerkung
In den vorangegangenen Kapiteln wurden
bereits Empfehlungen1 für die Entwicklungszu-
sammenarbeit mit indigenen Völkern gegeben,
sie lassen sich auch aus den Ausarbeitungen
selbst ableiten. Im Folgenden und abschlie-
ßend sollen noch kurz einige Hinweise für die
EZ-Praxis aufgeführt werden, die sich aus der
Arbeit der “Koordinationsstelle Indigene Völker
in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK)“
ergeben haben. Diese Hinweise folgen (noch)2
keiner umfassenden Systematik, es sei denn
der, dass sie sich im Rahmen der Arbeit von
KIVLAK dem Autor besonders eingeprägt ha-
ben. Ein Teil dieser Hinweise stammt aus der
intensiven Unterstützungsarbeit, die die Koor-
dinationsstelle für das BMZ leistet. Hier ist
insbesondere die Fallstudie
“Erfahrungsauswertung der Zusammenarbeit
mit indigenen Bevölkerungsgruppen und
Organisationen in Bolivien, Ecuador und
Guatemala“ zu nennen, bei deren Konzeption
KIVLAK das BMZ unterstützt, daran
anschließend die Studie im Auftrag des
Ministeriums ausgeschrieben und in der
Durchführung sehr intensiv betreut hat.3 Die
1 Für diesen Artikel werden wesentliche Teile aus einem Gutachten von Frau DR. JULIANA STRÖBELE-GREGOR, dass im Auftrag von KIVLAK erstellt wurde, verwendet bzw. übernommen. Die Ver-antwortung für etwaige Fehler u.ä. trägt jedoch nur der Autor. 2 Eine umfassende und systematische Ausarbeitung von Empfehlungen ist von KIVLAK geplant. 3 Die Studie ist Basis für die zukünftigen Überlegungen des BMZ für die Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern in Lateinamerika und der Karibik. Auch soll, so die weiterführende Planung des Ministeriums, das BMZ-Konzept für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern überarbeitet und aktualisiert werden. Es ist geplant, die Studie allen Interessenten zugänglich zu machen und auch auf der Webseite von KIVLAK http://www.gtz.de/indigenas/ zu veröffentlichen.
Studie, deren Fertigstellung sich mit der
Herausgabe dieses Readers überschnitten hat,
ist die zur Zeit aktuellste Aufarbeitung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit
indigenen Völkern in Lateinamerika und kann
deshalb, begleitend zu diesem Buch, als
Lektüre sehr empfohlen werden.
Der andere Teil der Hinweise geht auf die EZ-
Arbeit in Projekten bzw. Programmen zurück,
wobei nicht nur “good practices“ genannt, son-
dern auch auf mögliche Fehlerquellen auf-
merksam gemacht werden soll.
Empfehlungen und Hinweise, mögen sie auch
noch so umfassend und detailliert sein, können
keine Blaupause sein, die unabhängig von der
jeweiligen Situation schematisch anzuwenden
ist. Allgemein lässt sich sagen, dass mit der
konsequenten Anwendung des aktuellen und
erprobten EZ-Instrumentariums (z.B. Zielgrup-
pen- und Akteursanalyse, partizipative Vorge-
hensweise usw.) kaum etwas falsch gemacht
werden kann. Wichtig ist, dass man sich dabei
auf der Höhe der Zeit befindet, denn die Vor-
gehensweisen und Methoden der EZ unterlie-
gen Wandlungen, meist nicht nur sprachlicher
Art. Um ein Beispiel zu nennen: War mit der
zielorientierten Projektplanung (ZOPP) u.a.
untrennbar der Begriff der Zielgruppenanalyse
verbunden, so hat aktuell diese Methodik an
Stellenwert verloren und zu der Zielgruppen-
analyse ist heute verstärkt die Akteursanalyse
hinzugetreten. In diesem Zusammenhang sei
erwähnt, dass verschiedentlich die Vertre-
ter/innen von indigenen Organisationen darauf
hinweisen, dass sie sich nicht als Zielgruppe,
sondern als eigenständige Akteure und damit
als vollwertige Partner der Internationalen Zu-
sammenarbeit verstehen.
Von daher unterliegen auch die folgenden
Hinweise der Gefahr, durch neue Erkenntnisse
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
190
und Entwicklungen überholt zu werden. Sie
müssen deshalb fortgeschrieben, aktualisiert
und immer wieder auf Relevanz und Anwend-
barkeit geprüft werden. Letztlich können sie
auch nur Anregungen geben und Themen
anreißen, die konkrete Vorgehensweise wird
immer auf die jeweilige Situation zugeschnitten
sein müssen.
Foto: Kundgebung in der Comarca Ngöbe-Buglé (Proyecto Agroforestal Ngöbe)
1. Konfliktvermeidung und –entschärfung
Bei der EZ mit indigenen Völkern ist es wichtig,
sich immer vor Augen zu führen, dass die
Emanzipation der indigenen Bevölkerung in
den lateinamerikanischen Staaten ein sehr
konfliktreiches Thema ist. Denn mit dieser
Emanzipation verschieben sich – extrem ver-
kürzt gesagt - die Machtverhältnisse innerhalb
der jeweiligen Gesellschaft und damit letztlich
auch der Zugang zu Ressourcen, seien sie
nun materiell oder immateriell. Bei den davon
betroffenen Gesellschaftsgruppen werden
Ängste ausgelöst und Spannungen aufgebaut,
die in Konflikte münden können. Dieser Sach-
verhalt ist deshalb bei der Zusammenarbeit mit
indigenen Völkern generell zu beachten.
Um diese, auch ethnisch begründeten,
Konflikte nicht (unbeabsichtigt) zu schüren,
müssen die EZ-Projekte die Konfliktrisiken
verstehen, beobachten und präventiv
bearbeiten können. Es muß also darauf
geachtet werden, dass (unwillentlich) negative,
gewaltverschärfende Wirkungen vermieden
und die Ursachen für gewaltsame Konflikte
durch das Projekt zumindest nicht verstärkt
werden. Dabei geht es letztlich um die Frage,
wie vermieden werden kann, dass ein latent
vorhandener Konflikt, der u.a. ethnisch
begründet wird, durch die EZ verschärft wird
bzw. wie bereits zu einem frühen Zeitpunkt
Konfliktrisiken erkannt und ein Beitrag zur
Prävention und friedlichen Konflikttrans-
formation geleistet werden kann.
Interethnischen Konflikten liegen oft Landkon-
flikte zugrunde. Dazu gehören Invasionen von
Bauern-Migranten, indigener wie nicht-indige-
ner Herkunft, in Territorien, die von anderen
ethnischen Gemeinschaften genutzt werden.
Oftmals spielen auch historisch begründete
interethnische Spannungen, unterschiedliche
politische und ökonomische Strategien, Pro-
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
duktionsweisen und kulturell geprägte Bezie-
hungen zur jeweiligen natürlichen Umwelt eine
Rolle.
Von daher ist eine positive Erweiterung des
Aktionsfeldes der EZ die Konfliktmoderation.
Sie kann dazu beitragen, gewalttätige Aus-
einandersetzungen zu entschärfen. Obwohl
eigentlich selbstverständlich, soll aber noch
einmal ausdrücklich darauf hingewiesen wer-
den, dass aufgrund der Brisanz von Konflikten
Moderation nur von entsprechend qualifizierten
und erfahrenen Personen bzw. Institutionen
geleistet werden kann.
Die Erfahrung der EZ zeigt sehr deutlich, dass
es Indizien dafür gibt, dass die Kanalisierung
von Ressourcen in ein Konfliktgebiet Konflikte
schüren kann. Deshalb muss unbedingt bei der
Planung von Vorhaben potentielles, durchaus
auch interethnisches Konfliktpotential genau
durch unabhängige kompetente Expert/innen
untersucht werden, um nicht aufgrund fehlen-
der Kenntnisse Konflikte anzuheizen. Eine
solche Untersuchung darf sich nicht auf die
Projektregion beschränken, sondern muss
auch die angrenzenden Gebiete einbeziehen.
2. Stärkung der Verhandlungsmacht indigener Organisationen innerhalb von Dialogstrukturen
Bei diesem Sachverhalt ist zu prüfen, ob die
Partizipation indigener Repräsentant/innen auf
lokaler und nationaler Ebene nicht unterstützt
werden kann. Wenn der Auftrag dies abdeckt,
sollte die EZ entsprechende Initiativen fördern.
Instrumente der formalen Partizipation sind
häufig Konsultationen oder “runde Tische”, an
denen sämtliche zivilgesellschaftliche Organi-
sationen vertreten sind. Weitere Instrumente
wären zu prüfen. In jedem Fall sollte der Aus-
gleich von Interessensdifferenzen zwischen
sozialen Gruppen sowie die Stärkung der Ver-
handlungsmacht von sozial schwachen Akteu-
ren (Kleinbauern, indigene Gemeinschaften,
Frauen) besonders berücksichtigt werden.
Diese Gruppen sollten bei Bedarf unterstützt
werden, z.B. durch Beratungspersonal und die
Bereitstellung von notwendigen Informationen.
3. Berücksichtigung des Genderaspektes
In bestehende oder geplante Vorhaben ist der
Genderansatz umfassend verankert. Diesbe-
züglich bietet es sich an, mit Frauenorganisati-
onen und Gruppen, die auf das Thema indi-
gene Frauen spezialisiert sind sowie mit ei-
genständigen indigenen Frauen-Initiativen
zusammenzuarbeiten.
Aus der EZ-Praxis ist bekannt, dass indigene
Frauen oftmals über keine eigenen Ausweis-
dokumente verfügen. Dadurch sind sie häufig
an der Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte, aber
auch im Zugang zu Krediten und Investitionen
gehindert. Projekte und Programme, die dazu
die Möglichkeit haben, sollten deshalb auf
jeden Fall indigene Frauen unterstützen, Aus-
weisdokumente zu erhalten.
Anschließend an diese Empfehlung muss dar-
auf hingewiesen werden, dass Vorhaben4, die
bei der Eintragung individueller Landtitel in
indigenen Gemeinden unterstützend tätig sind,
darauf achten müssen(!), dass Frauen ihre
Landrechte nicht verlieren. In vielen Regionen
gibt es “traditionell” ein Erbrecht, dass Frauen
Eigentum an Land sichert. Frauen verlieren
jedoch häufig ihre Ansprüche, wenn sich bei
der Individual-Titulierung nur der Mann eintra-
gen lässt. Nicht selten rechtfertigen Männer die
Eintragung auf ihren Namen damit, dass sie ja
traditionell die Familie nach außen vertreten
(Familienoberhaupt). Tatsächlich sichern sie
damit nur ihren Vorteil.
Indigene Frauen sollten auch unterstützt wer-
den, wenn sie sich in Interessensgruppen or-
ganisieren. Wo dies bereits geschehen, kön-
nen existierende Zusammenschlüsse gefördert
und institutionell gestärkt werden. Capacity
Development und Empowerment sind dazu die
Stichworte. Auch dabei gilt wieder, dass vor
der Unterstützungsleistung die nötige fachliche
Expertise, in diesem Falle über die Organisati-
onen, ihre Repräsentativität und Legitimität,
einzuholen ist.
4 Die überwältigende Mehrzahl der Vorhaben wird nicht auf diesem, sehr politischen, Gebiet arbeiten. Wenn aber doch, ist der genannte Sacherhalt unbe-dingt zu beachten, damit eine eigentlich erfolgreiche Maßnahme sich für indigene Frauen nicht in das Gegenteil verkehrt. Stattdessen gilt “Land auch in indigene Frauenhand“.
191
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
4. Aus- und Fortbildung .... .... von indigenen Fachkräften
Im Dialog mit indigenen Repräsentant/innen
zeigt sich immer wieder, dass Ausbildung,
insbesondere die formale und Hochschulaus-
bildung, einen hohen Stellenwert hat, denn
daran ist die Hoffnung und Erwartung ver-
knüpft, dass diese in eine entsprechend quali-
fizierte Arbeitsstelle und auch gesellschaftliche
Teilhabe mündet.
Zurückhaltender werden dagegen Seminare,
Workshops und dergleichen bewertet. Diese
mögen zwar der Fortbildung dienlich sein,
vermitteln aber schlussendlich keine national
bzw. international anerkannte Qualifikation.
Die Schlussfolgerung für die Vorhaben kann
deshalb nur sein, dass indigene Mitarbei-
tern/innen zur Teilnahme an Fort- und Weiter-
bildung und (Postgraduierten-) Studium er-
muntert und bei der Suche nach Stipendien,
der geeigneten Ausbildungsstätte u.ä. unter-
stützt werden sollten5.
Eine solche Förderung von Seiten der EZ-Vor-
haben setzt natürlich voraus, dass überhaupt
indigene Fachkräfte beschäftigt werden. Die
zusätzliche, klare Empfehlung lautet deshalb,
in Regionen mit indigener Bevölkerung gezielt
indigene Fachkräfte zu suchen und einzustel-
len. Diese sollten auch für Verantwortungs-
bzw. Führungspositionen unter Vertrag ge-
nommen werden um keine ethnischen Hierar-
chien entstehen zu lassen. Indigene Frauen
sollten diesbezüglich besonders gefördert wer-
den.
Eine weitere Schlussfolgerung und Empfeh-
lung ist, in Ländern mit einem relevanten Anteil 5 Oftmals gibt es durchaus Möglichkeiten innerhalb der deutschen EZ bzw. IZ. Erwähnenswert ist, daß die Hanns-Seidel-Stiftung in Ecuador seit Anfang der 90er Jahre ein Stipendienprogramm aufgebaut hat, das sich ganz bewußt an junge indigene Frauen und Männer richtet, um ihnen ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Auch die GTZ führt im Auftrag des BMZ Maßnahmen durch, um die Hochschulausbildung von indigenen Frauen und Männern zu fördern. Aktuell ist das Vorhaben “Indigene Interkulturelle Universität“ zu nennen, das mit dem Fondo para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas de América Latina y el Caribe als Träger durchgeführt werden soll.
indigener Bevölkerung als Beitrag zur gesell-
schaftlichen Integration der indigenen Bevölke-
rung, qualifizierte indigene Fachkräfte auch für
Projekte einzustellen, die sich nicht direkt an
die indigene Bevölkerung richten.
.... von Projektpersonal
In Fortsetzung des vorhergehenden Punktes
ist auch zu prüfen, ob nicht in geeigneter Form
beim Personal der Projekte und den Trägern
eine Fortbildung zum Thema indigene Bevöl-
kerung, gesellschaftliche Partizipation und
Interkulturalität angebracht wäre. Ein entspre-
chendes Ausbildungskonzept sollte partizipativ
mit erfahrenen Durchführungsorganisationen/
Fachkräften und/ oder eigenen Mitarbeitern
erstellt werden, denn der Prozess der Ausar-
beitung des Planes bedeutet bereits für die
Mitarbeiter/innen einen Aneignungs- und Lern-
prozess.
.... von neuausreisenden EZ-Mitarbeiter/innen
Die Einführung von EZ-Mitarbeiter/innen in die
indigene Thematik Lateinamerikas – wenn
relevant - wird vor der Ausreise in der
Vorbereitungszeit geleistet. Wenn allerdings
mit indigenen Völkern gearbeitet wird, kann die
Situation so speziell sein, dass dies in der Vor-
bereitungszeit nur bedingt machbar ist. In sol-
chen Fällen muss dann die Vorbereitung im
Projekt für den/ die neu ausgereiste EZ-Mitar-
beiter/in fortgesetzt werden.
Es wird oftmals darauf hingewiesen, dass in
das Curriculum der Vorbereitungskurse für
ausreisende Mitarbeiter/innen in Vorhaben, die
einen direkten oder indirekten Bezug zu indi-
gener Bevölkerung haben, die Themen indi-
gene Völker und Interkulturalität noch besser
und systematischer integriert werden können.
Dies ist sicherlich zutreffend, in diesem Zu-
sammenhang darf aber auch daran erinnert
werden, dass Vorgesetzte mit für die Ausbil-
dungsinhalte in der Vorbereitungszeit verant-
wortlich sind und diese von ihnen auch mit
festgelegt werden (können).
KIVLAK sieht es als wünschenswert an, wenn
in die Vorbereitung – je nach Ausrichtung des
Vorhabens – Themen wie Rechtssituation,
192
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
Bodenrecht, Nutzungsrechte natürlicher Res-
sourcen und Rechtspraxis; politische Teilhabe,
indigene Organisationen und ihre Forderungen
im jeweiligen Land, Verhältnis Indigene – nati-
onale Gesellschaft, indigene Kulturen und ak-
tuelle kulturelle Ausdrucksformen, Gender und
indigene Kultur – kulturell definierte Gender-
Rollen und ihre Auswirkung auf politische Be-
teiligung, Wirtschaft und Ausbildung einbe-
zogen werden. Desweiteren sollten Kenntnisse
über internationale Konventionen, die indigene
Völker betreffen – in diesem Buch werden die
wichtigsten genannt – sowie wichtige theo-
retische und methodische Ansätze und good
practices, welche die kulturelle und Ge-
schlechterdimension berücksichtigen, in der
Vorbereitung beinhaltet sein.
Auch Mitarbeiter/innen von Vorhaben zur De-
mokratieförderung, Menschenrechte, Staats-
modernisierung und Dezentralisierung, die in
Ländern mit einem relevanten indigenen Be-
völkerungsanteil eingesetzt werden, sollten in
der Vorbereitung mit der Indigenen-Thematik
ausreichend vertraut gemacht werden. Stär-
kung von Demokratie und Dezentralisierung
verlangt notwendigerweise, die Berücksichti-
gung kultureller und ethnischer Bedingungen,
der darin enthaltenen Schwächen, Potentiale
und möglicher Interessenskonflikte.
5. Wenn immer möglich: Direkte Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung, ihren Organisationen und ihren Repräsentant/innen
Die indigenen Bewegungen und Organisatio-
nen sind – insbesondere auch von Europa und
den USA – unterstützt worden. Nicht nur von
der bilateralen und der multilateralen EZ, son-
dern in einem ganz bedeutenden Ausmaß
auch von NROs. Dabei wurde von den NROs
Beachtliches geleistet, wenn auch manchmal
eine Tendenz zu einer kulturalistischen und
paternalistischen Vorgehensweise festzustel-
len war.
Mittlerweile sind viele indigene Organisationen
erstarkt, sie treten selbstbewusst auf und wün-
schen, dass sie ohne Mittler und unmittelbar
als Akteure angesprochen werden. Auf pater-
nalistische oder assistenzialistische Konzepte
reagieren die indigenen Organisationen ableh-
nend. Wie bereits eingangs festgestellt, weisen
manche Vertreter/innen von indigenen Organi-
sationen darauf hin, dass sie sich nicht als
Zielgruppe, sondern als eigenständige Akteure
und als vollwertige Partner der Internationalen
Zusammenarbeit verstehen, die an den Ent-
wicklungsprozessen in ihrem Land beteiligt
sein wollen.6
Die Schlußfolgerung kann deshalb nur sein,
daß in den Vorhaben der bilateralen EZ (und
nicht nur in diesen) direkt mit indigenen Ge-
meinschaften und Organisationen zusammen-
zuarbeiten ist, ohne die Zwischenschaltung
von Mittlern und sonstigen, nicht indigenen
Organisationen, bzw. das Gegenteil sorgfältig
überlegt und begründet sein sollte. Noch ak-
zentuierter vertritt diese Ansicht Frau HEIDI
FELDT, sie kommt in ihrem Artikel “Indigene
Völker und Staat“ im Abschnitt “Legitimität von
Repräsentant/innen“ kurz und bündig zu der
Aussage: “Von indigener Seite wird die Ver-
mittlung oder Vertretung indigener Belange
durch nicht-indigene NRO abgelehnt.“
6. Detaillierte und umfassende Datenerhebung/ Kenntnisse der Innenansicht indigener Gemeinschaften und Organisationen
Wird direkt mit indigener Bevölkerung zusam-
mengearbeitet, wie zum Beispiel in Vorhaben
der ländlichen Entwicklung und der Armutsbe-
kämpfung, ist es unabdingbar, detaillierte und
umfassende Kenntnisse über die Innenansicht
von indigenen Gemeinden, ihre Wertvorstel-
lungen und Eigenbewertung von Potentialen
einzuholen. Die entsprechenden Daten sind zu
erheben. Indikatoren, seien sie von dem jewei-
ligen Staat oder multilateralen Institutionen,
sind nicht immer vollständig zutreffend für die
jeweilige indigene Bevölkerung in einem Ge-
biet, auch nicht immer deckungsgleich mit der
Perspektive indigener Gemeinschaften. Fach-
kräfte, die mit der jeweiligen Kultur, Sprache
6 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass indi-gene Repräsentant/innen oftmals ihre Beteiligung an den bilateralen Regierungsverhandlungen for-dern, wenn es um indigenen-relevante Vorhaben geht. Dies dürfte aber nicht einfach zu erfüllen sein, geht auch über die Möglichkeiten der EZ-Vorhaben hinaus.
193
Hinweise für die Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern
und den lokalen Bedingungen vertraut sind
und Erfahrungen in partizipativen Methoden
unter Einbeziehung des Genderaspektes ha-
ben, sollten diese Erhebungen vornehmen.
Im Rahmen der Planung von Vorhaben mit
indigener Bevölkerung sind bei den damit ver-
bundenen Vorstudien, u.a. genderdifferenziert,
folgende Aspekte zu erheben: Soziale Arbeits-
organisation, Weltbild, soziale Normen und
Werte, Zugang zu Bildung und Ausbildung,
Formen und Folgen der Zeitmigration, welche
Folgen hat dies für Haushalt, Produktion, Teil-
nahme an lokalen Entscheidungsprozessen,
lokale Ämter. Auch hier gilt, dass die Datener-
hebung mit partizipativen Methoden lokal er-
fahrenen (Kurzzeit-) Expert/innen anzuver-
trauen ist.
7. Wissens- und Erfahrungstransfer, Öffentlichkeitsarbeit
Vorausgesetzt, dass das Mandat dazu legiti-
miert, sollten entsprechende EZ-Vorhaben den
Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen
indigenen Organisationen in einem Land und
länderübergreifend fördern.
Dazu gehört, den Zugang von lokalen, regio-
nalen und nationalen indigenen Organisatio-
nen zu verschiedenen Informationspools und
zu anderen Projekten zu fördern (z.B. Wis-
senspools in der GTZ, im Fondo Indígena, der
ILO, Weltbank, BID). Indigenen Organisatio-
nen, obgleich zum Teil mit neuer Technologie
ausgestattet, fehlt vielfach (noch) die Kenntnis
über die Existenz von Informationspools. Es
genügt auch nicht, sich auf die Unterstützung
eines Dachverbandes – oder auf nationale
Dachverbände – zu konzentrieren, da deren
interne Strukturen oftmals die Weiterleitung
von Informationsmaterial an die “Basis” nicht
leisten (kann). Der Mangel an Informationen
schränkt dann die Erarbeitung konkreter,
machbarer alternativer Strategien ein.
Bei Wissens- und Erfahrungstransfer ist auch
der themenbezogene Besucheraustausch von
Gruppen indigener Repräsentant/innen und
Fachkräften von Bedeutung. Die Reise in ein
Projekt oder Programm, in die Region, die
direkte Anschauung, Gespräche und Erfah-
rungsaustausch vor Ort sind bisweilen wir-
kungsvoller und vermitteln mehr Kenntnisse
als Workshops und Kongresse.
Zu prüfen ist auch, ob im Rahmen der Öffent-
lichkeitsarbeit nicht gesellschaftliche Bewusst-
werdungsprozesse unterstützt werden können,
in bezug auf die Bedeutung der Partizipation
indigener Bevölkerung in verschiedenen ge-
sellschaftsrelevanten Bereichen, wie Men-
schenrechte, Recht, Demokratisierung, Regio-
nalentwicklung, Naturschutz und Biodiversität
u.a. Dazu gehört auch das Bewusstsein über
die Rolle der lokalen indigenen Bevölkerung
bei der nachhaltigen Nutzung und beim Schutz
natürlicher Ressourcen insbesondere der
Biodiversität.
Ausblick
Die in diesem Kapitel genannten Hinweise
wollen einen (kleinen) Beitrag dazu leisten, die
indigene Bevölkerung Lateinamerikas in den
entsprechenden Vorhaben der deutschen EZ,
sei es in der Durchführung oder auch in der
Phase der Vorbereitung, wo die entscheiden-
den Weichen gestellt werden, noch adäquater
wahrzunehmen, zu berücksichtigen und einzu-
beziehen. Eine umfassende Berücksichtigung
sollte eigentlich immer gegeben sein, die Er-
fahrung von KIVLAK ist aber, dass es diesbe-
züglich durchaus noch Verbesserungspotential
gibt, die eingangs genannte Fallstudie bestätigt
dies ebenfalls. Die Möglichkeiten zur Verbes-
serung zu nutzen, gebietet die Professionalität,
damit wird man auch dem zunehmenden Stel-
lenwert der indigenen Bevölkerung in Latein-
amerika gerecht.
194
Anhang
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Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl
Anhang 2:Organisationen indigener Völker - eine Auswahl
CHRISTOPH KOHL
Die folgende Tabelle versucht einen Überblick über die indigenen Organisationen in Lateinamerika zu
geben. Sie erhebt dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, die angesichts der Vielfalt der Organi-
sationen schwer zu erreichen wäre. Die Angaben zu den Organisationen entsprechen dem Stand Au-
gust 2004.
Land/ Gebiet Organisationen Kontakt/ Sitz
Argentinien Asociación Indígena de la República de Argentina (AIRA)
Balbastro No. 179 C.P. 1406 Buenos Aires Argentina
E-Mail: [email protected] Belize
Confederación Sindical Única de Trabajadores campesinos de Bolivia (CSUTCB)
C.C. 11589 La Paz Bolivia
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.puebloindio.org/CSUTCB3.html
Organización de Mujeres Aymaras del Kollasuyo(OMAK)
C.P. 13195 El AltoBolivia
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.aymaranet.org/OMAK.html
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Centro de Comunicación y Desarrollo Andino (CENDA)
C.C. 3226 Tadeo Haenke No. 2231 La Paz Bolivia
E-Mail: [email protected] Webseite: http://secrur.ls.net/cenda.htm
Confederación de los Pueblos Indígenas de Bolivia (CIDOB)
*Mitglied der COICA
Villa 1ero. de Mayo, Barrio San Juan Casilla No. 6135 Santa Cruz de la Sierra Bolivia
E-mail: [email protected] Webseite: http://www.cidob-bo.org/
Mitglieder der CIDOB
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Asamblea del Pueblo Guaraní (APG)
Calle AVAROA esq. Comercio Macharetí - Provincia Luis Calvo / Chuquisaca Bolivia
E-Mail: [email protected]
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl
Coordinadora de los Pueblos etnicos de Santa Cruz (CPESC)
Santa Cruz
Central de Pueblos Indígenas del Beni (CPIB) Central Indígena de la Región Amazónica de Bolivia (CIRA-BO)Central Indigena de Pueblos Originarios de la Amazonia de Pando (CIPOAP)
Av. Circunvalación s/n (Barrio Mapajo) Casilla 99 Cobija – Pando Bolivia
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.laneta.apc.org/rci/organinteg/cipoap.html
Central de Pueblos indígenas de La Paz (CPILAP)
La Paz
E-Mail: [email protected] [email protected]
Coordinadora de Pueblos In-dígenas del Tropico de Co-chabamba (CPITCO)
Cochabamba
Organización de la Capitania Weehnayek y Tapiete (OR-CAWETA)
Villamontes – TarijaBolivia
E-Mail: [email protected]ão das Organizações Indígenas da Amazônia Brasileira (COIAB)
*Mitglied der COICA
Avenida Ayrão 235 Bairro: Presidente Vargas 69025-290 Manaus – Amazonas Brasil
E-mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.coiab.com.br/
Brasilien
Conselho de Articulaçâo dos Po-vos e Organizaçôes Indígenas do Brasil(CAPOIB)
SDS – Ed. Venâncio III - 1º andar – sala 107 70393-900 Brasília – DF Brasil
E-Mail: [email protected] Chile Coordinadora Nacional Indianista
(CONACIN) Nataniel Cox No.185-B Casilla 154 Correo 22 de Santiago de Chile Chile
E-Mail: [email protected]: http://www.olca.cl/conacin/
Costa Rica Asociación Indígena de Costa Ri-ca (AICR)
C.C. 6979-1000 San José Costa Rica
Ecuador Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE)
Av. Granados 2553 y 6 de Diciembre Casilla 17-17-1235 QuitoEcuador
E-Mail:[email protected] [email protected] Webseite: http://www.conaie.org/
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl
Mitglieder der CONAIE:Federación de Organizaciones Indígenas del Napo (FOIN) Federación de Comunas U-nión de Nativos de la Amazo-nía Ecuatoriana (FCUNAE)
Prof. Luciano Mamallacta Malecón y Padre Miguel Torrano s/n. Orellana Ecuador
E-Mail: [email protected] Webseite: http://fcunae.nativeweb.org/
Jatun Comuna Aguarico (JCA) Asociación de Centros Sionas-Secoyas Nacionalidad (HUAO) Huao Nacionalidad (Cofán) A'I Comunidad Cofan Zabalo
Casilla 17 11 06089 QuitoEcuador
Pastaza Runaguna Tandana-cui/ Organización de Pueblos Indígenas de Pastaza (OPIP)
Tnte Ortíz y Gral VillamilApartado 16-01-790 Puyo – Pastaza Ecuador
Webseite: http://www.unii.net/opip/intro.html Federación de Centros Shuar-Achuar
SucuáDomingo Comín 17-38 Morona Santiago, Región amazónica Ecuador
Asociación Independiente del Pueblo Shuar Ecuatoriano (AIPSE)
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Confederación de Nacionali-dades Indígenas de la Ama-zonia Ecuatoriana (CONFE-NIAE)
*Mitglied der COICA
Av. 6 de Diciembre 159 y Hermanos Pazmiño, Edif.Parlamento 4to. Piso Casilla 17-1-4180 QuitoEcuador
E-Mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.ecuanex.net.ec/confeniae/
Imbabura Runacunapac Jatun Tantanacui-INRUJTA-FICI (Federación Indígena y Cam-pesina de Imbabura)
Jaramillo 608 y Morales Casilla 65 OtavaloEcuador
E-Mail: [email protected] Webseite: http://fici.nativeweb.org/
Pichincha Riccharimui Unión de Comunidades Indí-genas de Calderón (UCIC) El Movimiento Indígena de Cotopaxi (MIC)
Av. 2 de Mayo y Félix Valencia Latacunga - Cotopaxi Ecuador
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Movimiento Indígena de Tun-gurahua (MIT)
Calle Olmedo 246 entre Benigno Vela y Cevallos Casilla 1193 Ambaro -Tungurahua Ecuador
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl
Unión de Indígenas Salasacas (UNIS) Movimiento Indígena de Chimborazo (MICH)
Casa Indígena Calle Guayaquil y Juan de Velasco QuitoEcuador
Federación Campesina de Bo-lívar-Bolivarmanta Runacuna-pac Riccharimui (IECAB-BRUNARI)Fundación Runacunapac Ya-chana Huasi (FRYH) Unión Provincial de Comuni-dades y Cooperativas del Ca-ñarUnión de Campesinos del Azuay (UNASAY)
Calle Larga # 7-35 Cuenca – Azuay Ecuador
Organización de Indígenas de Saraguro Ecuador Runacunapac Ric-charimui / Confederación de Pueblos de la Nacionalidad Kichwa del Ecuador (ECUA-RUNARI)
Julio Matovelle 128 entre Vargas y Pasaje San Luis - Edif. El Conquistador, 1er piso Apartado 17-15-96C QuitoEcuador
E-Mail: [email protected] [email protected]: http://ecuarunari.nativeweb.org
Federación de Centros Awa Federación de Centros Cha-chis K
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Gobernación Tsáchi El Salvador Asociación Coordinadora de Co-
munidades Indígenas de El Salva-dor (ACCIES)
1ª. Ave. Norte No.5-4 ABarrio Mejicanos, Consonate Apartado Postal 23, Correos de Sonsonate San Salvador El Salvador
E-Mail: [email protected] [email protected]
Französisch Guyana
Fédération des Organisations Au-tochtones de Guyane (FOAG)
*Mitglied der COICA
Village amerindien 97310 Kourou Guyane Française
E-Mail: [email protected] [email protected]
Consejo de Organizaciones Ma-yas de Guatemala (COMG)
2 Calle No. 3-40, Zona 3 Chimaltenango Guatemala
E-Mail: [email protected]
Guatemala
Defensoría Maya 32 Avenida 1-56 zona 7 Colonia Utatlan I Guatemala
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.laneta.apc.org/rci/defmay/
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl
Consejo Nacional de Educación Maya (CNEM)
4ta Calle 1-57 Zona 10. Guatemala
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.guate.net/cnem/
Guyana Amerindian Peoples' Association of Guyana (APA)
*Mitglied der COICA
163 Crown Street, Queenstown Georgetown Guyana
E-mail: [email protected] Webseite: http://www.sdnp.org.gy/apa/
Honduras Confederacion de Pueblos Autoc-tonos de Honduras (CONPAH)
La Granja, 2a Ave. entre 1 y 2 calle, # 3327 Apartado 220-585 Comayaguela Honduras
E-Mail: [email protected] Mexiko
NationalOrganización Nacional de In-dígenas de Colombia (ONIC)
Calle 13 No. 4 - 38 BogotáKolombien
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.onic.org.co/
Cabildo Mayor de San Andrés de Sotavento Córdoba y SucreConsejo Regional Indígena del Cauca (CRIC)
Calle 1ª. No. 4-50 Popayán, Cauca Colombia
E-Mail [email protected] regional Indígena del Guainía (CRIGUA I)
Casa Indígena Puerto Inírida, Guainía Colombia
Consejo Regional Indígena del Guaviare (CRIGUA II)
Oficina de Asuntos Indígenas San José del Guaviare, Guaviar Colombia
Consejo Regional Indígena de Caldas (CRIDEC)
Carrera 8 No. 8-10 Riosucio, Caldas Colombia
Consejo Regional Indígena del Tolima (CRIT)
Calle 17 A No. 7-112 piso 2 Ibagué, Tolima Colombia
E-Mail: [email protected] Regional Indígena del Vaupés (CRIVA)
Autoridades indígenas Vaupés Mitú, Vaupés Colombia
Consejo Regional Indígena del Vichada (CRIVI)
Secretaría de Asuntos Indígenas Pedro Carreño, Vichada Colombia
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Organización Indígena de An-tioquia (OIA)
C.C. 53433 Carrera 49 No. 63-57 Medellín, Antioquia Colombia
E-Mail: [email protected]
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl
AsoU´waOrganización Regional Em-bera Wounaan (OREWA)
C.C. 285 Calle 19 No. 5-14 Quibdó, Chocó Colombia
E-Mail: [email protected]ón de Trabajo por la De-fensa de la Vida (UNUMA) Organización Regional Indí-gena del Valle del Cauca (O-RIVAC)
Carrera 23 No. 7 A-08 Cali, Valle del Cauca Colombia
Consejo Regional Indígena de Risaralda (CRIR)
E-Mail: [email protected]
Consejo Regional Indígena de Arauca (CRIA) Consejo Regional Indígena del Huila (CRIHU) Organización Regional Indí-gena del Quindío (ORIQUIN) Organización Regional Indí-gena del Casanare (ORIC)
Jetsemani, Casanare Colombia
Amazonas-Tiefland Organización de los Pueblos Indígenas de la Amazonía Co-lombiana (OPIAC)
*Mitglied der COICA
Carrera 8 No. 19-34 Edificio las Nieves Oficina 501 - 502 412 BogotáKolombien
E-Mail: [email protected] [email protected] Webseite: http://www.opiac.org/
Consejo Regional Indígena del Medio Amazonas (CRIMA)
Araracuará, Caquetá
Confederación Indígena del Alto Amazonas (COIDAM) Cabildo Indígena Mayor de Tarapacá (CIMTAR)
Tarapacá, Amazonas
Autoridades Indígenas de la Pedrera Amazónica (AIPEA)
La Pedrera
Asociación de Cabildos Indí-genas del Trapecio Amazóni-co (ACITAM)
Leticia
Consejo Regional Indígena del Orteguaza, medio Caquetá (CRIOMC)
Calle 18 No 8-10 Florencia, Caquetá Colombia
Organización Uitoto del Ca-quetá y Putumayo (ORUCA-PU)
Florencia, Caquetá
Organización Puinave del Guainía (OPDEGUA) Asociación de Autoridades Tradicionales Indígena Curri-paco del río Guainía (AICU-RIGUA)
San José, río Guainía
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Consejo Regional Indígena del Guaviare (CRIGUA II)
Oficina de Asuntos Indígenas San José del Guaviare, Guaviar Colombia
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl
Organización Zonal Indígena del Putumayo (OZIP)
Barrio Jardín Mocoa, Putumayo Colombia
E-Mail: [email protected] Consejo Regional Indígena del Vaupés (CRIVA)
Autoridades indígenas Vaupés Mitú, Vaupés Colombia
Consejo Regional Indígena de Arauca (CRIA)
Gobernación Saravena, Arauca Colombia
Consejo Regional Indígena del Casanare (ORIC)
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Asociación de Cabildos y Au-toridades Indígenas de la Sel-va Mataven (ACATISEMA)
Secretaría de Asuntos Indígenas Pedro Carreño, Vichada Colombia
Nicaragua Asociación de Mujeres Indígena de la Costa Atlántica (AMICA)
E-mail: [email protected] [email protected]
Congreso General de la Cultura Kuna
Calle Florida Dr. Edificio 15-12 Apartado Postal: 6-8299 El Dorado Panamá
E-Mail: [email protected] Webseite: http://onmaked.nativeweb.org/
Panama
Asociación Napguana Avenida Justo Arosemena y calle 41° Casa 3-38 Calidonia Panamá
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.geocities.com/TheTropics/Shores/4852/casa.html
Asociación de parcialidades Indí-genas (API)
Casilla de correo 3242 Calle Don Bosco 745 Asunción Paraguay
Coordinadora de Pueblos Nativos de la Cuenca del Río Pilcomayo
E-Mail: [email protected]
Paraguay
Coordinadora Nacional de la Pa-storal Indígena (CONAPI)
Alberdi 782 Asunción Paraguay
E-Mail: conapi@conexión.com.py Peru Conferencia Permanente de los
Pueblos Indígenas del Perú (COPPIP)
Av. San Eugenio 981 Urbanización Santa Catalina, La Victoria Lima 13 Perú
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.rcp.net.pe/coppip/
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl
Mitglieder der COPPIP Confederación Nacional Agra-ria (CNA)
Mariscal Miller 932 Jesús María LimaPerú
E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CNA1.html
Confederación Campesina del Perú (CCP)
Plaza Bolognesi 588 Lima 5 Perú
E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CCP1.html
Unión Nacional de Comunida-des Aymaras (UNCA)
Jr. Arequipa N° 1185 PunoPerú
E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/UNCA1.html
Coordinadora Nacional de Comunidades Campesinas e Indígenas del Perú (CONAC-CIP)
Comunidad Campesina San Pedro de Pirca Huaral LimaPeru
Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CONACCIP1.html
Asociación de Defensa y De-sarrollo de las Comunidades Andinas del Perú (ADECAP)
Gral. Santa Cruz 470 Jesús María LimaPerú
Consejo Aguaruna Huambisa Av. San Eugenio Nº 981 Urbanización Sta. Catalina La Victoria Lima 13 Perú
Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CAH1.html
Comisión de Emergencia As-háninka Taller Permanente de Mujeres Indígenas Andinas y Amazó-nicas - Chirapaq
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – eine Auswahl
Federación Puquina Calle Mariscal Benavides 309 Parque de Selva Alegre Cercado Arequipa Lima
Av. Salaverry 2023 LinceLimaPerú
Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/F_PUQUINA1.html
Organización de Comunida-des Aymaras, Amazonenses y Quechuas (OBAAQ) Comunidad Indígena Ashánin-ka Marankiari Bajo (CIAMB)
Av. José Gálvez 1346 LinceLima 14 Perú
E-Mail: [email protected] Webseiten: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/CNMBsintesis.htm http://www.rcp.net.pe/ashaninka
Federación Provincial de Co-munidades Campesinas de Huaral Federación Departamental de Comunidades Campesinas de Pasco – Frente Ecológico Alto Andino (Pasco - Junín)
Av. Los Próceres N°100 San Juan Cerro de Pasco Perú
Av. San Juan 661 San Luis LimaPerú
E-Mail: [email protected] Webseite: http://webserver.rcp.net.pe/convenios/coppip/F_PASCO.htm
Coordinadora Nacional de Comunidades Afectadas por la Minería.Asociación Interétnica de De-sarrollo de la Selva Peruana (AIDESEP)
*Mitglied der COICA
Av. San Eugenio 981Urb. Santa Catalina Distrito de La Victoria LimaPerú
E-mail: [email protected] Webseite: http://www.aidesep.org.pe/
Confederación de Nacionali-dades Amazónicas del Perú (CONAP)
Jr. Brigadier Puchmacahua No 974 Jesús María Lima 11 Perú
E-Mail: [email protected] [email protected]
Anhang 2: Organisationen indigener Völker – Eine Auswahl
Suriname Organisatie van Inheemsen in Su-riname (OIS)
*Mitglied der COICA
Johannes Kingstraat 7, Rainville Paramaribo Suriname
E-mail: [email protected] [email protected]
Venezuela Consejo Nacional Indio de Vene-zuela (CONIVE)
*Mitglied der COICA
Oficina junto a la Dirección de Asuntos Indígenas Edif.Ministerio de Educación, Piso 14 Caracas Venezuela
E-Mail: [email protected] [email protected] [email protected]
Überregional Organisation Kontakt
Amazonien Coordinadora de las Organizacio-nes Indígenas de la Cuenca Ama-zónica (COICA)
Calle Luis Beethoven No. 47-65 y Capitán Rafa-el Ramos QuitoEcuador
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.coica.org/
Caribbean Organization of Indige-nous People (COIP)
P.O. Box 229 Belize City Belize
Karibik
The United Confederation of Taíno People (UCTP)
United Confederation of Taíno People U.S. Regional Coordinating Office PO Box 4515 New York, NY 10163 USA
E-Mail: [email protected] Webseite: http://www.uctp.org/index.html
Mittelamerika Consejo Indígena de Centro Amé-rica (CICA)
11 Avq. 14-86, zona 10 Guatemala
E-Mail: [email protected]
Weitere indigene Organisationen und Interessensvertretungen sind u.a. aufgelistet unter: http://www.cdi.gob.mx/conadepi/iii/organizaciones.html
(Stand: 1. August 2004)
Abkürzungsverzeichnis
ACEM Asociación de Centros Mayas del nivel medio
ACP Africa, Caribbean, Pacific (AKP-Staaten)
ADLAF Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung
AIDESEP Asociación Interétnica para el Desarrollo de la Selva Peruana
ANAPQUI Asociación Nacional de Productores de Quinoa (Bolivien)
ASODIRA Asociación de Desarrollo Indígena, Región Amazónica (Ecuador)
BID Interamerikanische Entwicklungsbank
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
CBD Convention of Biological Diversity (Konvention über die biologische Vielfalt)
CEH Comisión de Esclarecimiento Histórico (Guatemala)
CEDAW Un-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen
CELADE Centro Latinoamericano y Caribeño de Demografía
CEPAL Comisión Económica para América Latina y el Caribe (Economic Commission for Latin America and the Caribbean, ECLAC)
CIA Central Intelligence Agency
CLACSO Consejo Latinoamericano de Ciencias Sociales
CNEM Consejo Nacional de Educacion Maya
CODENPE Consejo de Desarrollo de las Nacionalidades y Pueblos Indígenas de Ecuador
COEDUCA Comités Educativos (Guatemala)
COIAB Coordenação das Organizações Indígenas da Amazônia
COICA Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica
COMPITCH Consejo de Organizaciones de Médicos y Parteras Indígenas Tradicionales de Chiapas (Mexiko)
CONADI Corporación Nacional de Desarollo Indígena (Nationale Gesellschaft für indigene Entwicklung, Chile)
CONAIE Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador
CONAP Confederación de Nacionalidades Amazónicas del Perú
CONAPO Consejo Nacional de Población (Mexiko)
CONDEPA Conciencia de Patria (Bolivien)
CONFENIAE Confederación de Nacionalidades Indígenas de la Amazonía Ecuatoriana
CONIVE Consejo Nacional Indio de Venezuela
CRIC Consejo Regional Indígena del Cauca (Kolumbien)
CSUTCB Confederación Sindical Única de Trabajadores Campesinos de Bolivia
DED Deutscher Entwicklungsdienst
DFID Department for International Development (U.K.)
DINEIB Dirección Nacional de Educación Intercultural Bilingüe (Ecuador)
EAP Energía–Ambiente–Población (Dialogprozess im lateinamerikanischen Erdölsektor)
ECOSOC Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat der UN)
EIA Energy Information Administration (USA)
EIR Extractive Industry Review
ESMAP Energy Sector Management Assistance Programme
EU Europäische Union
EZ Entwicklungszusammenarbeit
EZLN Ejercito Zapatista de Liberación Nacional
FANPE Proyecto Fortalecimiento de Areas Nacionales Protegidas del Perú
FAO Food and Acriculture Organisation of the UN
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
FCUNAE Federación de Comunas Unión de Nativos de la Amazonía Ecuatoriana
FHIS Fondo Hondureño de Inversión Social
FI Fondo de Desarrollo de los Pueblos Indígenas de América Latina y el Caribe – Fondo Indígena
FICSH Federación Interprovincial de Centros Shuar (Ecuador)
FINAE Federación Interprovincial de Nacionalidad Achuar (Ecuador)
FIP Frente Indígena de Pastaza (Ecuador)
FIS Fondo de Inversión Social (Guatemala)
FISE Fondo de Inversión Social de Emergencia (Nicaragua)
FLACSO Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales
FONDI Apoyo al Fondo Indígena
FOISE Federación de Organizaciones Indígenas de Sucumbíos
FSC Forest Stewardship Council
FUNASA Fundação Nacional de Saúde
FZ Finanzielle Zusammenarbeit
GfbV Gesellschaft für bedrohte Völker
GRADE Grupo de Análisis para el Desarrollo
GTZ Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH
IDB Inter-American Development Bank (Interamerikanische Entwicklungsbank)
III Instituto Interamericano Indigenista (Mexiko)
ILA Institute of Latin American Studies
ILO International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation)
ILV Instituto Lingüístico de Verano (Wiclif Bible Translaters)
INE Instituto Nacional de Estadísticas (Chile)
InWEnt Internationale Weiterbildung und Entwicklung GmbH
ISO International Organization of Standardization
IUCN International Union for Conservation of Nature and Natural Resources
IZ Internationale Zusammenarbeit
IZE Interkulturelle zweisprachige Erziehung
KfW KfW Entwicklungsbank
KIVLAK Koordinationsstelle Indigene Völker Lateinamerika und Karibik
LASR Latin American Special Report
MAIPO Ministerio de Asuntos Indígenas y Pueblos Originarios
MDG Millennium Development Goals (Millennium Entwicklungsziele)
MEC Ministerio de Educación y Cultura (Ecuador)
MINUGUA United Nations Verification mission on Guatemala
MIP Movimiento Indígena Pachakutik (Ecuador)
MJDDHH Ministerio de Justicia y Derechos Humanos (Bolivia)
MRTA Movimiento Revolucionario Tapac Amaru (Peru)
NRO Nichtregierungsorganisation (Non-governmental Organization, NGO)
OAS Organization of American States (Organisation Amerikanischer Staaten)
ODAHG Oficina de Derechos Humanos del Arzobispado (Guatemala)
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OEI Organización de Educación Interamericana
OEI Organización de Estados Iberoamericanos (Organisation Iberoamerikanischer Staaten)
OIA Organización Indígena de Antioquia (Kolumbien)
OLADE Organización Latinoamericana de Energía
ONIC Organización Nacional Indígena de Colombia
OPIAC Organización de los Pueblos Indígenas de la Amazonia Colombiana
OPIP Organización de los Pueblos Indígenas de Pastaza (Ecuador)
OREALC Organización Regional de Educación para América Latina y el Caribe
PADEP Programa de Apoyo a la Gestión Pública Descentralizada y Lucha contra la Pobreza
PAHO Pan-American Health Organization (Organización Panamericana de Salud, DPS; Panamerikanische Gesundheitsorganisation)
PAPICA Programa de Apoyo al Desarrollo de los Pueblos Indígenas de Centro America (EU)
PDPI Projetos Demonstrativos dos Povos Indígenas (GTZ/ Brasilien)
PdVSA Petroleos de Venezuela S.A.
PEMBI Proyecto de Educación Maya Bilingüe Intercultural (GTZ/ Guatemala)
PPG7 Pilotprogramm zur Erhaltung der brasilianischen Regenwälder (Programa Piloto para a Proteção das Florestas Tropicais do Brasil)
PRONADE Programa Nacional de Autogestión de la Educación (Guatemala)
PRSP Poverty Reduction Strategy Paper
PPTAL Projeto Integrado de Proteção às Populações e Terras Indígenas da Amazônia Legal (GTZ/ Brasilien)
SENALEP Servicio Nacional de Alfabetización y Educación Profesional (Bolivien)
TCO Tierras Comunitarias de Origen (Bolivien)
TRIPS Agreement on Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum)
TZ Technische Zusammenarbeit
UN/ UNO United Nations Organisation (Vereinte Nationen)
UNCED United Nations Conference on Environment and Development
UNDP United Nations Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen)
UNEP United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der Vereinten Nationen)
UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur)
UNHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights (Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte)
UNICEF United Nations Children's Fund (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)
UVP Umweltverträglichkeitsprüfung
WB/ WBG Weltbank/ Weltbankgruppe
WGDD Open Ended Working Group on the Draft Declaration the Rights of Indigenous Peoples
WHO World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
WIPO World Intellectual Property Organization (Weltorganisation für geistiges Eigentum)
WPC World Park Congress
WWF World Wide Fund for Nature
YPFB Yacimientos Petroliferos Fiscales Bolivianos
ZE Zweisprachige Erziehung
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
ABRAM, Matthias, Dr.; Philosoph, seit Mitte der siebziger Jahre in der Internationalen Zusammenarbeit tätig, zunächst mit dem DED, dann mit TERRA NUOVA, Rom und seit 1985 mit der GTZ, vorwiegend in Lateinamerika. In Ecuador und Guatemala Mitarbeit beim Aufbau zweisprachiger, interkultureller Schul-systeme für die indigenen Völker. Lebt in Quito und Bolzano/ Bozen.
FELDT, Heidi, MSc in Ressourcenmanagement und Umweltpolitik Universität London, freiberufliche ent-wicklungspolitische Beraterin, arbeitet seit über zehn Jahren zu Themen der Entwicklungszusammen-arbeit mit indigenen Völkern, Schwerpunkt Konflikte um Ressourcennutzung.
HEISING, Klas; Diplom-Volkswirt und Auslandsmitarbeiter der GTZ; seit 1999 in Peru ansässig und derzeit Ansprechpartner eines zusammen mit der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) durchgeführten Projektes zur Verbesserung der Umweltgesundheit (Trinkwasser, Hygiene, Innenraumluft etc.) der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika.
KÖPSELL, EDGAR, DR.; Studium der Betriebs- und Volkswirtschaft, Aufbaustudium an der TU Berlin. Nach Tätigkeit an der Universität Frankfurt für die GTZ seit 25 Jahren im In- und Ausland tätig, u.a. im Sudan, Pakistan und Costa Rica. Desweiteren zahlreiche Aufenthalte in Nord- und Ostafrika, Asien und insbe-sondere Lateinamerika. Seit 2002 in der Andengruppe der GTZ beschäftigt und auch zuständig für den Aufbau der “Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK)“.
KOHL, Christoph, M.A.; Ethnologe und Politikwissenschaftler. Arbeitsgebiete: Entwicklungsethnologie, Ethnizität und Nationalismus; Staat, Gesellschaft und Kolonialismus; Bildung und Wissen. Z.Zt. Mitarbeiter bei einer im EZ-Bereich tätigen Consulting. Zahlreiche Aufenthalte und Forschungen im südlichen und westlichen Afrika.
NAASE, Karin Marita, Dr. phil. in Ethnologie (FU Berlin), Regionalkenntnisse: Andenraum, Amazonien. Feldforschung zu wirtschaftlicher Handlungsrationalität indigener Kleinbauern (Bolivien); Feldforschung in Siedlung der Agrarreform in Brasilien, Amazonien. Berufserfahrung in der EZ sowohl TZ als auch FZ und internationale Zusammenarbeit. Zur Zeit als Gastwissenschaftlerin am Museu Paraense Emílio Goeldi (MPEG), Belém, Brasilien. Interessensgebiete: Migration, kultureller Wandel, Stadt-Land-Beziehungen, Globalisierung, Entwicklungsethnologie.
RATHGEBER, Theodor, Dr. rer. pol.; Politologe, freiberuflich als wissenschaftlicher Autor sowie Berater für die Bereiche Entwicklungspolitik, Menschenrechte, Minderheiten und indigene Völker tätig. Lehrbeauf-tragter an der Universität Kassel (Fachbereich 05). Arbeitete 12 Jahre im Bundesbüro der Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen). Koordiniert zur Zeit die Bemühungen um eine Ratifizierung der ILO-Konven-tion 169 durch die Bundesregierung und ist im Vorstand der Adivasi-Koordination in Deutschland e.V.
REINHARDT, SYLVIA; Dipl.-Geographin; seit 2003 freiberufliche Mitarbeiterin in der GTZ im Konventions-projekt “Umsetzung der Biodiversitätskonvention“ und bei der Koordinationsstelle Indigene Völker in La-teinamerika & der Karibik (KIVLAK). Arbeitsschwerpunkte: Ethnobotanik, Traditionelles Wissen indigener Völker, nachhaltige Umweltnutzungs- und Bewirtschaftungspraktiken, Biodiversitätskonvention.
RODRIGUEZ, René, M.A.; Soziologe und Experte für Kommunal- und Stadtentwicklung, seit 2003 in Gua-temala als Sektorkoordinator der KfW Entwicklungsbank für Mittelamerika und Mexiko tätig. Bis 1998 ar-beitete er in Peru als Dozent und Berater für ländliche Entwicklung und Präsident des Instituto de Desar-rollo de la Autogestión (INDA). Für PNUD bearbeite er anschließend die Neustrukturierung der Sozial-fonds in Honduras und Guatemala und beriet Entwicklungsvorhaben der KfW, Weltbank und GTZ.
ROSSBACH DE OLMOS, Lioba, Dr.; Studium der Völkerkunde, Soziologie und Pädagogik an Universität Frankfurt am Main, 1998 Promotion an Universität Mainz, Forschungen zur Atlantikküste Nicaraguas und Feldforschung im Chocó/ Kolumbien, zahlreiche Aufenthalte in Lateinamerika, Lehrbeauftragte für das Fach Völkerkunde an der Philipps-Universität Marburg, seit 1995 tätig bei "Klima-Bündnis/ Alianza del Clima" e.V. in Frankfurt a.M., zuständig für die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern, Teilnahme an internationalen UN-Umweltkonferenzen, zahlreiche Veröffentlichungen zu indigenen Völkern Lateinameri-kas und Afroamerikanern.
SPEISER, Sabine, Dr. phil., studierte in Regensburg, Rom und Berlin Sozialwissenschaften und promo-vierte mit einer Feldforschung über afroecuadorianische Kultur. Sie arbeitete als Dozentin an Universitä-ten in Ecuador und Deutschland und ist seit 1993 in der Entwicklungszusammenarbeit, seit 1999 freibe-ruflich tätig (http://www.interculture-management.de). Inhaltliche Schwerpunkte ihrer entwicklungspoliti-schen Beratung sind Bildung, Gender und Minoritäten. Als Organisationsberaterin begleitet sie Prozesse interkultureller Verständigung.
SPOHN, Silke, Dipl-Ing., Studium der Landschaftsplanung an der TU Berlin, seit 1998 in der Entwick-lungszusammenarbeit tätig. Zuletzt Ansprechpartnerin der GTZ im Projekt "Management der natürlichen Ressourcen in der Region Ngoebe" in Panama von 2002-2004. Seit kurzem Koordinatorin der GTZ für indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik.
STRÖBELE-GREGOR, Juliana, Dr. phil., Altamerikanistin, Ethnologin und Pädagogin, Freien Universität Berlin; 1989-1995 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut Berlin, Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt a.M., Costa Rica und Cuenca (Ecuador). Spezialgebiete: Ethnologie der Anden-länder und Guatemala; Religionsethnologie; Politische Anthropologie; Geschlechterforschung. Zahlreiche Feldforschungen. Freie Gutachterin in der EZ. Mitherausgeberin des “Jahrbuches Lateinamerika- Analy-sen und Berichte“. Beteiligt am Forschungsprojekt der EU “Mulikulturelle Autonomien in Lateinamerika“.