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 Leseprobe aus: Impulse für Kommunikation im Alltag Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Leseprobe aus:

Impulse für Kommunikation im Alltag

Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.

Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Inhaltsverzeichnis

Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun

Einführung    7

Umgang mit Konflikten und

schwierigen Situationen

Friedemann Schulz von Thun

Verstehen – Verständnis – Einverständnis   

13

Eberhard Stahl

Konfliktinszenierungen    40

Christoph Thomann

Klärungshilfe mit Kindern    63

Eberhard Stahl

Die Kunst der Entfesselung.Vom Umgang mit lähmenden Beziehungsdefinitionen    71

Larissa Stierlin Doctor 

Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun undGewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg –eine gegenseitige Bereicherung?    115

Maud Winkler 

Auf die Absicht kommt es an:Über die Relativität von Feedbackregeln    156

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Risiken und Nebenwirkungen

der Psychologie

Dagmar Kumbier 

Der Kommunikationsexperte im Privatleben –begnadet oder behindert?    179

Eberhard Stahl

Lob der Intransparenz   

206

Dagmar Kumbier 

«Ich hoffe, ich habe dich nicht …» Zu Risiken undNebenwirkungen von Metakommunikation    234

Die Autorinnen und Autoren    253

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 7Einführung

Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun

Einführung

Aller guten Dinge sind drei. Nach «Beratung und Therapie»(Band 1) und «Führung und Training» (Band 2) stellen wir indiesem dritten Band der «Impulse» ein Potpourri aus neuenErfahrungen und Erkenntnissen aus dem kommunikations- psychologischen Umkreis von Schulz von Thun zusammen. Ein

Potpourri: nur locker ist der thematische Zusammenhang dereinzelnen Beiträge, die unter dem Titel «Kommunikation imAlltag» ein gemeinsames Dach gefunden haben. Die Beiträgeselbst aber haben es in sich! Mögen ein paar einleitende Wortedie Vorfreude entfachen …

Für Auseinandersetzungen aller Art gilt: «Verstehen heißtnicht einverstanden sein!»  Friedemann Schulz von Thun greift

diesen Satz auf und fügt eine dritte Stufe hinzu: «Verstehen»heißt noch nicht unbedingt «Verständnis haben», und «Ver-ständnis haben» heißt nicht unbedingt auch «einverstandensein». Mit dieser Dreistufung wird eine differenzierte Reaktionauf den Kontrahenten und die Quadratur des Kreises möglich:auf sein Gegenüber einzugehen und doch die Treue zum eige-

nen Standpunkt zu wahren.«Wer Konflikte zu einem guten Ende bringen möchte, mussdie richtigen Worte finden», beginnt   Eberhard Stahl seinenBeitrag zum Thema «Konfliktinszenierungen». Seine These:die richtigen Worte hängen ab von dem Feld, auf dem wir unsbegegnen (wollen). Zwölf solcher Felder ergeben sich aus sei-ner neuen Konflikttypologie. Es lohnt sich, dieses Dutzend zu

kennen!Die Klärungshilfe von Christoph Thomann hat sich seit lan-

gem in der Mediatorenpraxis bewährt und etabliert. Sie war ur-

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8 Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun

sprünglich für Erwachsene konzipiert. Aber Streit gibt es nichtnur in Büro und Küche, sondern auch im Kinderzimmer. Kannman als Vater und Mutter mit «hochstrittigen» Kindern dieKonflikte klären helfen und dabei genauso vorgehen, wie es in

der Klärungshilfe mit Erwachsenen geschieht? Christoph Tho-mann weiß, wovon er spricht: Er berichtet aus seiner Zeit alsklärungsaktiver Vater.

Den eigenen Standpunkt zu wahren ist dann besondersschwer, wenn wir durch unterschwellige Beziehungsbotschaf-ten manipuliert und blockiert werden. Manche Zeitgenossen

haben eine diabolische Meisterschaft entwickelt, uns in «un-haltbare» Situationen zu bringen. Der gute Mensch mit seinemreinen Herzen wird sich dieser Kunstgriffe der Oberhandsiche-rung kaum erwehren können. Eberhard Stahl lehrt uns, solcheManöver zu erkennen und zu entlarven, und bringt uns eineschlagfertige Kunst der Selbstverteidigung bei.

Die «Gewaltfreie Kommunikation» (GFK) von Marshall Ro-

senberg hat im letzten Jahrzehnt besonders bei Mediatoren vielAnklang gefunden. In welchem Verhältnis steht sie zur Kom-munikationspsychologie von Schulz von Thun in Theorie undPraxis? Führen vielleicht viele Wege nach Rom, und dies sindzwei davon? Oder wollen gar nicht beide nach «Rom»?  Larissa

Stierlin Doctor  hat sich mit beiden Ansätzen beschäftigt und

bringt Vertreter dieser beiden Kommunikationslehren in einenfruchtbaren und zum Teil kontroversen Dialog. Sind beispiels-  weise «Du-Botschaften» in Konflikten erlaubt und potenziellhilfreich (Schulz von Thun) oder aber als kommunikatives Giftzu Recht verpönt (Rosenberg)?

Weiter geht es mit dem Thema «Feedback», einem Klassikerder Kommunikationspsychologie, der es in der Praxis weit ge-

bracht hat – bis hin zum 360°-Giganten. Der traditionelle Ansatz,um Feedback «richtig» zu geben, sind die bekannten Feedback-Regeln. Maud Winkler weist nach: Wenn Feedback stimmig sein

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9Einführung

soll, folgt es je nach Situation und Rolle sehr unterschiedlichenRegeln, und die bekannten Feedback-Regeln gelten für mancheKontexte, für andere aber gerade nicht!

Nun haben Sie als Leserin oder Leser die Kommunikations-

 psy chologie gründlich studiert, haben die Grundlagenwerkegelesen, ihr Wissen anhand der Praxisbände gezielt vertieft,Impulse aus drei Bänden aufgenommen und umgesetzt – undsind also bestens gerüstet für Beruf und Privatleben! Oder dochnicht? Die letzten drei Beiträge dieses Bandes und dieser Reihemachen warnend auf Risiken und Nebenwirkungen der (Kom-

munikations-)Psychologie aufmerksam. Was blüht dem Kom-munikationsexperten im Privatleben? Ist er bestens gewappnetund gefeit gegen menschliche Verwicklungen und Verstrickun-gen? Dagmar Kumbier zeigt Fallstricke auf, die gerade uns Ex- perten drohen, und gibt zugleich die Hoffnung, dass uns unserWissen auch privat weiterhelfen kann, noch nicht ganz auf.

Klärungshilfe zielt auf Transparenz, das steckt schon im

Wort «Klärung». Wenn Eberhard Stahl in diesem Band ein Lob-lied auf die Intransparenz singen will, scheint das dem Grund-anliegen der gesamten Kommunikationspsychologie zu wider-sprechen. Alltägliche Vernebelungen machen uns doch genug zuschaffen, was soll gut sein an der Intransparenz? Sie dürfen ein wenig gespannt sein! Nur so viel sei vorweg verraten: Sobald im

zwischenmenschlichen Kontakt etwas transparent gewordenist, wird manches unmöglich. Manch segensreiche Lösung, dienur gedeihen kann, solange etwas im Unklaren bleibt, fällt nun weg. Sei dir dessen bewusst, wenn du Transparenz anstrebst!

Dies gilt ähnlich auch für Metakommunikation. Sie soll jafür die Beteiligten transparent machen, was zwischen ihnen imKontakt abläuft. Als «Heilmittel für gestörte Kommunikation»

  wurde sie in den Schriften von Watzlawick 1969 sowie vonMandel und Mandel 1971 nachdrücklich empfohlen. Schulzvon Thun hat 1981 Metakommunikation als «Gewohnheit der

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nächsten Generation» für möglich gehalten. Inzwischen ist diesteilweise eingetreten, und sicher zum Teil segensreich. Jedochzeigt Dagmar Kumbier , dass das, was als Heilmittel gedacht war,ebenfalls Risiken und Nebenwirkungen birgt und dass Kontra-

indikationen zu beachten sind. Zuweilen wird durch Metakom-munikation nämlich alles nur noch schlimmer!

So weit als Vorankündigung für unser drittes Potpourri zurzwischenmenschlichen Kommunikation im Alltag! Jetzt haben wir die Warnung von Kohelet (Prediger 12) im Ohr: «Es nimmtkein Ende mit dem vielen Bücher-Schreiben, und viel Studieren

ermüdet den Leib.» Doch, es nimmt hier jetzt ein Ende, jeden-falls vorerst. Sollte aber Ihr Leib noch nicht ermüdet sein, solltein Ihnen sogar der Wunsch nach «Zugabe» aufkommen, dannladen wir Sie ein, die Suche nach der gelungenen Verbindungvon Professionalität und Menschlichkeit in unseren Kursbau-steinen zu vertiefen. Dort kann das Wissen mit dem Könnenverknüpft werden, durch Training und geleitete Selbstreflexion.

Näheres finden Sie unter www.schulz-von-thun-institut.de. Indiesen Fortbildungen lernen Sie auch die meisten unserer Auto-ren näher kennen, die, 23 an der Zahl, an diesen Impulsbändenmitgearbeitet haben. Ihnen allen an dieser Stelle herzlichenDank dafür!

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Umgang mit Konflikten und

schwierigen Situationen

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13Verstehen – Verständnis – Einverständnis

Friedemann Schulz von Thun

Verstehen – Verständnis –Einverständnis

«Verstehen heißt nicht einverstanden sein!», kann man in jedemLehrbuch zum aktiven Zuhören lesen, wird einem in jedem Ba-siskurs Kommunikation beigebracht. Das stimmt ja auch, und

es gibt gute Gründe, dies zu betonen und daran zu erinnern. Indiesem Aufsatz möchte ich darlegen, dass eine weitere Unter-scheidung hilfreich und angebracht ist:1. Verstehen2. Verständnis haben3. Einverstanden sein.

Ich baue also in die Leiter noch eine Zwischenstufe, eine

mittlere Sprosse ein: Verständnis haben. Das ist mehr als nur«verstehen», bedeutet jedoch nicht automatisch «billigen, zu-stimmen, einverstanden sein».

Aber der Reihe nach! Warum hat der kommunikations-  psychologische Lehrsatz «Verstehen heißt nicht einverstan-den sein!» eine so große praktische Bedeutung? Und welchen

«Mehrwert» kann die Dreistufenlehre erbringen?

«Verstehen heißt nicht einverstanden sein!»

Angenommen, Sie sind eine Führungskraft und nehmen an ei-nem Kommunikationstraining zur «Konfliktfähigkeit» teil. Nunsollen Sie üben, einem Ihrer (imaginierten) Konfliktgegner «ak-

tiv zuzuhören». Etwas in Ihnen sträubt sich: Wird der Gegnerdas nicht als Wasser auf seine Mühle empfinden? Wird er sichnicht wunderbar verstanden und bestärkt fühlen? Wird dadurch

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14 Konflikte   Friedemann Schulz von Thun

nicht Ihre eigene Position und dringend benötigte Kampfkraftgeschwächt? «Nein», widerspricht der Kommunikationstrainer,«im Gegenteil: Überzeugen können Sie nur jemanden, der sicherst einmal verstanden fühlt. Und machen Sie sich immer klar:

verstehen heißt nicht einverstanden sein!»Wir spüren, dass mit dieser Aussage nicht nur an eine be-

griffliche Unterscheidung erinnert wird, sondern dass sie auchund vor allem einen Appell enthält: Mögest du das psychischgut voneinander trennen! Denn es scheint in der Seele desMenschen eine Neigung zu geben, mit zunehmendem Verste-

hen unversehens in das Fahrwasser des Einverstandenseins zugeraten, nicht nur dem Anschein nach für den Gegner, sondernauch faktisch im eigenen Fühlen und Bewerten. Diese Neigunggilt es gut zu ergründen, denn sie kann dazu führen, dass je-mand, der sich abgrenzen will oder muss, jedes «Verstehen-Wollen» prophylaktisch unterbindet, um sich nicht diesemNeigungswinkel auszusetzen, der ihn in seiner Entschiedenheit

schwächen könnte, gegen den anderen vorzugehen, sich ihm zu widersetzen, ihm unerbittlich etwas abzuverlangen oder zu ihmauf Distanz zu gehen.

Es lohnt sich, dieser Neigung zu widerstehen. Denn sonst wäre menschliches Verstehen gerade dort in Gefahr, neigungs- prophylaktisch im Keime erstickt zu werden, wo es im Sinne

humaner Lösungen am dringendsten gebraucht wird, nämlichim Konflikt.

Verstehen

Betreten wir die erste Sprosse der Leiter! «Ich will es erst malnur verstehen!», lautet das heilsame Programm. Schauen wir

uns die beiden wichtigen Komponenten dieses Satzes genaueran: «verstehen» und «erst mal nur». «Jemanden verstehen» hatim Deutschen zwei verschiedene Bedeutungen, und beide sind

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15Verstehen – Verständnis – Einverständnis

 wichtig für unser Thema. Zum einen: den Sinn der Worte (oderder nonverbalen Signale) erfassen. Ich verstehe, was du meinstund was du mir damit sagen willst. Gemäß der «Quadratur»einer Äußerung (Schulz von Thun, 1981) enthält dieses Verste-

hen vier Komponenten (Sachinhalt, Selbstkundgabe, Beziehungund Appell), aber das können wir einmal außer Acht lassen.

Nicht-Verstehen bedeutet hier entsprechend: Mir erschließtsich der Sinn deiner Worte nicht. Was meinst du damit, wenn dusagst, das sei für dich «keine Zieldivergenz, sondern ein reinesImplementierungsproblem»? Dunkel bleibt der Rede Sinn, ich

verstehe immer nur Bahnhof! Ich will es erst mal nur verstehen.Oder was bedeutet es, wenn du so skeptisch (?) die Augenbrau-en hochziehst und nichts mehr antwortest? Ich würde es gern(erst mal nur) verstehen!

«Verstehen» heißt zum Zweiten: die inneren Beweggründeund/oder Ziele des anderen nachvollziehen. «Ich versteh dichnicht!» hat oft genau diese Bedeutung. «Ich versteh dich nicht:

 wochenlang freust du dich auf den Urlaub, um mal aus allem her-auszukommen. Und das Erste, was du tust, wenn wir am Meersind: du holst dein Laptop heraus!» Auch wenn ein Ehepartnerklagt: «Meine Frau (mein Mann) versteht mich nicht!», ist inaller Regel gemeint: Sie (er) kann oder will nicht nachvollziehen, was in mir vorgeht, was mich bewegt. «Er versteht mich nicht»

kann allerdings auch bedeuten: Er hat kein Verständnis für mich.Dann fehlt es an etwas anderem, ich komme darauf zurück.Hinzufügen möchte ich hier: «Jemanden verstehen» voll-

zieht sich nicht nur durch Empathie mit dem inneren Men-schen («so also sieht es in deinem Herzen aus!»), sondern auch(und ebenso bedeutsam) durch Betrachtung und Analyse desäußeren Kräftefeldes, auf dem er steht. «Aha, du hast in diesem

System jene Rolle inne, bist umgeben von …, wirst daran gemes-sen, ob und wie es dir gelingt …, und musst folglich das Inter-esse haben …» etc.

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16 Konflikte   Friedemann Schulz von Thun

Aus diesem Grund erheben wir im Coaching, in der Beratungzu dem jeweiligen Anliegen sowohl den äußeren Kontext  (das«Schachbrett», auf dem jemand steht, sei es als Bauer, Läufer,Turm oder Dame), als auch den inneren Kontext (die Konstella-

tion der Figuren auf dem seelischen Spielfeld) mithilfe des In-neren Teams (Schulz von Thun, 1998).

Halten wir die drei Bedeutungen und Komponenten von«Verstehen» hier fest:

den Sinn der Worte (oder nonverbalenSignale) erfassen

Verstehen die inneren Beweggründe nachvollziehen

sich das äußere Kräftefeld, auf dem je-mand steht, vor Augen führen

«Ich will es erst mal nur verstehen» kann (und sollte) sich auf alle drei Komponenten beziehen.

Und was heißt «erst mal nur»? Das heißt: Ich möchte es (vor

dir und vor mir selbst) noch völlig offen lassen, wie ich michdazu stelle – ob ich es für klug oder dumm halte, für ehrenwertoder egoistisch, für normal oder krankhaft, für beruhigend oderschockierend. Wie ich darauf reagiere, das lasse ich vorerst nochoffen: denn erst einmal will ich es nur verstehen! Für die Drei-Stufen-Leiter heißt es: ob ich dafür Verständnis habe oder gareinverstanden bin, das steht hier (noch) nicht zur Debatte.

Dieses «Erst-mal-nur-verstehen-Wollen» ist eine für dieMenschwerdung wichtige, aber gemeinhin unterentwickelteTugend. Noch trifft man diese Haltung selten an, und wo man

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17Verstehen – Verständnis – Einverständnis

sie antrifft, empfindet man sie als wohltuend und überraschendzugleich. Ich sehe drei Gründe für die Rarität. Zum einen, derMensch ist ein wertendes Wesen: Ergründen, Erkennen undBewerten sind in seinem Gehirn «verschaltet» – die reine Er-

kenntnis war im Laufe der Evolution zum Überleben nicht er-forderlich. Daher verschmelzen im menschlichen Miteinanderdas «Nachvollziehen» und das «Bewerten» zur Einheit: «Aha,ich verstehe: du hast ihr ein Kind gemacht und jetzt willst dudich davonstehlen!?» Der junge Mann fühlt sich nicht verstan-den, sondern verurteilt, zumindest angeklagt.

In der Haltung des bloßen Nachvollziehens hört sich dasganz anders an: «Du bist Vater geworden und willst mit derFrau aber nicht zusammenleben? Willst du auch mit dem Kindnichts zu tun haben? Oder strebst du eine aktive Vaterschaft an,mit Sorgerecht und allem Drum und Dran? Wie hat sich alles er-eignet, wie reagierst du innerlich auf die entstandene Situation,und welche Lösung strebst du an?» – Ich will es erst mal nur

verstehen!Der zweite Grund, warum diese Haltung wenig verbreitet ist:

Wer sich um das Verstehen bemüht, für den besteht immer die«Gefahr», dass er in das «Verständnis-Haben» hineinrutscht!Wir werden zu erörtern haben, wieso hier ein Rutschpotenzialbesteht und warum dies als Gefahr empfunden werden kann.

Ein dritter Grund: «Verstehen» macht Arbeit, erfordertLiebesmüh. Diese bringe ich ungern auf, wenn jemand meinevolle Ablehnung verdient. Zum Beispiel lese ich in der Zeitung,dass US-amerikanische Bürger ein Foto ihres PräsidentenBarack Obama mit einem Hitlerbart bemalt haben und seinegeplante Gesundheitsreform mit hasserfülltem Fanatismus alsdiktatorisch und sozialistisch an den Pranger stellen. Meine

Güte, die ticken doch nicht richtig, denke ich. 47 Millionen US-Amerikaner sind nicht krankenversichert, sind ohne Grundver-sorgung, und nun kommt ein neuer Präsident und hat den Mut,

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18 Konflikte   Friedemann Schulz von Thun

hier etwas zum Guten zu bewegen, woran mancher Vorgängergescheitert ist. Und diesen Mann machen sie dafür zum Hitler!?Die haben doch nicht alle Tassen im Schrank! Man weiß nicht,ob das Boshafte, das Krankhafte oder die abgrundtiefe Dumm-

heit hier dominieren – wahrscheinlich eine unselige Mischungaus allen dreien …

So regt es sich in mir – und dieser innere Zustand ist ver-führerisch: er sichert die eigene intellektuelle/moralische Über-legenheit und verheißt selige Einigkeit mit allen guten undvernünf tigen Menschen meiner Bezugsgruppen.

Die alternative Haltung («Ich will es erst mal nur verste-hen!») verheißt dagegen zunächst mehr Arbeit, und am Endekomme ich zwar klüger und differenzierter, aber wahrscheinlichauch ambivalenter heraus, als ich hineingegangen bin. Ach so,in Amerika verletzt jede staatliche Zwangsmaßnahme das Ehr-gefühl des freien Individuums, auch wenn es zu seinem Wohlegeschieht? Ach so, die staatliche Reglementierung des Gesund-

heitssystems wird auch Verlierer hervorbringen, die an demgegenwärtigen System gut verdienen und jetzt ihre Geschäfts-grundlage wackeln sehen? Nicht, dass ich dafür Verständnishätte, ich will es ja erst mal nur verstehen. Aber ganz so boshaft,krankhaft und dumm kommen mir die Leute jetzt doch nichtmehr vor. Der Gute in mir, der sich über das Schlechte empört,

hat an glückseliger Eindeutigkeit eingebüßt – das soll der Lohnder ganzen Arbeit sein?

Ich komme auf die Gefahren des Verstehens noch zurück. Aberzunächst: Was unterscheidet «Verständnis haben» vom bloßen«Verstehen»?