hyle (studien zum aristotelischen materie-begriff) || 1.3 zur problematik der aristotelischen...

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58 i. Die Problemsituation Beide Methoden führen nicht selten auf Diskrepanzen in den Gedan- ken des Aristoteles, die man vielleicht entwicklungsgeschichtlich er- klären mag 238 . Hinsichtlich unseres Gesamtthemas jedoch kann man keine .Entwicklung' des Aristoteles feststellen: Es gibt keine frühe Stufe der aristotelischen Schriften, in welcher der Hyle-Begriff noch nicht vorhanden wäre oder fehlen könnte 239 . Auch lassen sich nicht die verschiedenen, zum Teil fast polar gegensätzlichen Charakteristika der entwicklungsgeschichtlich auseinanderlegen und so ausglei- chen. Vielmehr ist, soviel wir sehen, der Hyle-Begriff mit all seinen Aspekten von der ,frühen' bis zur .späten' Zeit des Aristoteles ziemlich konstant geblieben 240 . Man darf also sagen, daß für unsere Darstellung der Entwicklungsgedanke keine große Bedeutung hat 241 . 1.3 Zur Problematik der aristotelischen Wir haben soeben in 1.2 versucht, den philosophischen Standort unserer Arbeit anzudeuten. Indes genügt das bisher Gesagte noch nicht, weil die Frage nach dem Wesen der aristotelischen Hyle so komplex ist, daß sie nahezu alle Bereiche aristotelischen Philosophie- rens erfaßt. Jedes dieser Teilprobleme mit der sachlich notwendigen Ausführlichkeit zu behandeln, hieße den Rahmen des Buches sprengen und ist deshalb nicht möglich. Aber es scheint doch von der Sache her nötig zu sein, die Probleme hier in der Einleitung wenigstens kurz zu erwähnen, d. h. die Fragen immerhin zu stellen 2 * 2 . Beantwortet werden einige davon mit näherer Begründung in den folgenden Kapiteln des Hauptteils, andere werden nur hier in der Einleitung notgedrun- gen — in apodiktischer Kürze entschieden oder auch offengelassen. Die angesprochenen Probleme gehören ganz verschiedenen Ebenen an 243 , kreisen aber letztlich doch um einen gemeinsamen Punkt, den aristotelischen Begriff der . Wieso gerade um diesen? 238 Ygi_ j n d em .systematisierenden' Kapitel über das Schwanken des Aristoteles hinsichtlich Materie und Form der (7.46), in dem mehr an einzelnen Textpartien orientierten Abschnitt über die Äther-Materie die Diver- genzen der aristotelischen Äther-Lehre (5.3210). 239 Vgi di e u . s. 276 A. 1006 zitierte Ansicht Dürings, der den Hyle-Begriff schon für den Protreptikos voraussetzt. Ygj o I-III> I-I 6, 1.17 und über das Verhältnis von met. zum Hyle-Begriff etwa von u. 4.64 Ende. vgl. noch Gnomon 35 (1963) 465 mit A. 2. 242 Natürlich kann ein solcher .Katalog' von Fragen nicht .vollständig' sein, denn jeder Leser, jede Zeit wird andere, neue Fragen zu stellen haben. Wir hoffen aber, daß wir doch die allerwichtigsten Gesichtspunkte berücksichtigt haben. 243 Deshalb kann im Folgenden auch nicht ganz streng und folgerichtig gegliedert wer- den, sondern die Fragen werden mit gleitenden Übergängen auseinander entwickelt. Brought to you by | Universitaetsbibliothek Frankfurt/Main Authenticated Download Date | 11/21/14 12:15 AM

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Page 1: Hyle (Studien zum aristotelischen Materie-Begriff) || 1.3 Zur Problematik der aristotelischen ἀρχαί

58 i. Die Problemsituation

Beide Methoden führen nicht selten auf Diskrepanzen in den Gedan-ken des Aristoteles, die man vielleicht entwicklungsgeschichtlich er-klären mag238. Hinsichtlich unseres Gesamtthemas jedoch kann mankeine .Entwicklung' des Aristoteles feststellen: Es gibt keine früheStufe der aristotelischen Schriften, in welcher der Hyle-Begriff nochnicht vorhanden wäre oder fehlen könnte239. Auch lassen sich nichtdie verschiedenen, zum Teil fast polar gegensätzlichen Charakteristikader entwicklungsgeschichtlich auseinanderlegen und so ausglei-chen. Vielmehr ist, soviel wir sehen, der Hyle-Begriff mit all seinenAspekten von der ,frühen' bis zur .späten' Zeit des Aristoteles ziemlichkonstant geblieben240. Man darf also sagen, daß für unsere Darstellungder Entwicklungsgedanke keine große Bedeutung hat241.

1.3 Zur Problematik der aristotelischen

Wir haben soeben in 1.2 versucht, den philosophischen Standortunserer Arbeit anzudeuten. Indes genügt das bisher Gesagte nochnicht, weil die Frage nach dem Wesen der aristotelischen Hyle sokomplex ist, daß sie nahezu alle Bereiche aristotelischen Philosophie-rens erfaßt. Jedes dieser Teilprobleme mit der sachlich notwendigenAusführlichkeit zu behandeln, hieße den Rahmen des Buches sprengenund ist deshalb nicht möglich. Aber es scheint doch von der Sache hernötig zu sein, die Probleme hier in der Einleitung wenigstens kurz zuerwähnen, d. h. die Fragen immerhin zu stellen2*2. Beantwortet werdeneinige davon mit näherer Begründung in den folgenden Kapiteln desHauptteils, andere werden nur hier in der Einleitung — notgedrun-gen — in apodiktischer Kürze entschieden oder auch offengelassen.Die angesprochenen Probleme gehören ganz verschiedenen Ebenenan243, kreisen aber letztlich doch um einen gemeinsamen Punkt, denaristotelischen Begriff der . Wieso gerade um diesen?

238 Ygi_ jn dem .systematisierenden' Kapitel über das Schwanken desAristoteles hinsichtlich Materie und Form der (7.46), in dem mehr aneinzelnen Textpartien orientierten Abschnitt über die Äther-Materie die Diver-genzen der aristotelischen Äther-Lehre (5.3210).

239 Vgi die u. s. 276 A. 1006 zitierte Ansicht Dürings, der den Hyle-Begriff schon für denProtreptikos voraussetzt.Ygj o I - I I I > I-I6, 1.17 und über das Verhältnis von met. zum Hyle-Begriff etwavon u. 4.64 Ende.

2« vgl. noch Gnomon 35 (1963) 465 mit A. 2.242 Natürlich kann ein solcher .Katalog' von Fragen nicht .vollständig' sein, denn jeder

Leser, jede Zeit wird andere, neue Fragen zu stellen haben. Wir hoffen aber, daß wirdoch die allerwichtigsten Gesichtspunkte berücksichtigt haben.

243 Deshalb kann im Folgenden auch nicht ganz streng und folgerichtig gegliedert wer-den, sondern die Fragen werden mit gleitenden Übergängen auseinander entwickelt.

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Page 2: Hyle (Studien zum aristotelischen Materie-Begriff) || 1.3 Zur Problematik der aristotelischen ἀρχαί

1.3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 59

1.31 Wenn man einen Begriff wie ύλη bestimmen will, empfiehlt essich, nach erprobtem lexikographisch-philologischem Brauch244 immerwieder zun chst von dem auszugehen, was Aristoteles ,positiv' und,negativ' ber Hyle sagt. Positiv, indem er sie direkt definiert246 oderdurch ,Synonyma' erkl rt246 oder ph nomenologisch an Hand ihrerWirkungen beschreibt247. Negativ, indem er sie durch Abgrenzungvon ihren ,Opposita' und von deren Wesenseigenschaften zu fassensucht248. Beide Arten von Aussagen werden im Folgenden allenthalbenber cksichtigt249.

Von den Begriffen, durch welche die Hyle .positiv' charakterisiertwird, ist nun derjenige des .Prinzips' (αρχή) deshalb ganz besonderswichtig, weil, wie u. a. das Schlu kapitel ber die ,Hyle als Seins-prinzip' zeigen wird, im Arche-Begriff die verschiedenen Aspekte derHyle zu einer Einheit konvergieren. Auch der Begriff der »Ursache'(αιτία, αίτιον), an den man im Zusammenhang mit Ολη und αρχήgleich denkt, f gt sich diesem Rahmen zwanglos ein und kann dabeimitbehandelt werden250. Hingegen erfassen andere Begriffe, z. B. derdes .Substrats', jeweils nur einen Einzel-Aspekt der Hyle261 undk nnen deshalb jetzt au er Betracht bleiben. Somit konzentrieren wiruns auf die Frage: Worin besteht das Wesen der aristotelischenάρχαί und wie gelangt Aristoteles zu ihnen ?

1.32 L t sich ein Prinzip Beweisen1 ?

Dem Wortsinn entsprechend ist αρχή etwas .Anf ngliches',Unabgeleitetes: „Die Prinzipien h ngen weder voneinander noch von

244 Diese Methoden werden seit der Antike bei semantischen Fragen (in PhilosophieLexikographie u. dergl.) immer wieder angewendet und erscheinen in etwas ver-wandelter Form (als .collocation* und .opposition') auch heute noch in der struk-turalistischen Semantik.

245 Die ber hmten drei Hyle-,Definitionen' (a 9, igaa 31 f, H i, iO42a 27 f, Z 3, 1029320f) sind u. 3.15 zitiert.

246 Z. B. Ολη ~ δυνάμει όν ~ ύποκείμενον usw. Bei der Betrachtung der mitHyle irgendwie verwandten Begriffe, die hier kurz .Synonyma' genannt werden, istnicht nur das wichtig, worin sie mit Hyle bereinkommen, sondern vor allem auch,worin sie davon abweichen. Verweise Sach-Index s. v. Hyle 2b .

247 Man denke nur an a, Z 3, gen.corr. A 3, 3i7b 13 ff, B i, 328b 31 ff und viele andereStellen, die im Hauptteil besprochen werden.

248 Zusammengestellt Sach-Index s. v. Hyle 2by.249 Die Beispiele sind so zahlreich, da sie nicht einzeln erw hnt werden k nnen. Vgl.

wiederum Sach-Index s. v. Hyle 2b die .Synonyma' und .Opposita'. Einen Hinweisverdient aber die .negative' Methode in Θ 6, wo die δύναμίξ nicht direkt, sonderndurch ihren Bezug zur ενέργεια erkl rt wird (u. 8.124).

250 Ygj die stellen, an denen αρχή und αίτια (αίτιον) ,synonym' miteinander ver-bunden werden, wobei aber letztlich doch αρχή gegen ber αίτιον als etwas

bergeordnetes, .Urspr nglicheres' erscheint (Bonitz 112 a 49—60).i Sach-Index s. v. Hyle 2—4 passim.

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60 i. Die Problemsituation

etwas anderem ab, wohl aber h ngt von ihnen alles andere ab"262.Das gilt f r die beiden Hauptarten von Prinzipien, die sich bei Aristo-teles unterscheiden lassen: a) Die obersten Pr missen der Wissen-schaften; b) die vier Ursachen samt der στέρησις253. Ob beide Artenmiteinander zusammenh ngen und wie, m te eine genaue Spezial-untersuchung zeigen254; f r uns gen gt es, die zweite Art herauszu-nehmen und f r sich zu betrachten.

Die vier Prinzipien k nnen, weil unabgeleitet, nicht von einembergeordneten her bestimmt werden, lassen also weder eine streng

logische Definition noch eine strikte άττόδειξι$ zu. Das bedeutet abernat rlich nicht, da sie damit der Unverbindlichkeit anheimgegebenw ren: Wenn man sie schon nicht deduktiv, more geometrico, ^weisenkann, so kann man sie doch sehr wohl im/weisen, um deutlich zumachen, warum just diese Prinzipien angenommen werden und keineanderen256. Zwar stellt Aristoteles fter die vier Prinzipien einfach als262 α 5, iSSaay f δει γαρ τά$ άρχά$ μήτε εξ αλλήλων είναι μήτε εξ άλλων, καΐ εκ

τούτων πάντα. Weitere Stellen Bonitz 112 a 42 ff.263 Die erste Art nennt Bonitz ,principia cognoscendi' (111058 ff) , die zweite ,principia

realia' (112a 41 ff) . Wenn auch die Gegen berstellung von cognitio und res philoso-phisch nicht haltbar ist, so bietet sich doch, diese Einteilung vom Text her an. —Daf r, da auch die στέρησίξ als αρχή bezeichnet wird, ein paar Belege: α 7, igia13 f. Λ 2, io6gb 34. 4, loyob 18 f.

254 Die Untersuchung von G. Morel, De la notion de principe chez Aristote, Archives dePhilosophie 23 (1960) 487—511 u. 24 (1961) 497—516 beleuchtet gut einige Aspektedes aristotelischen Prinzipien-Begriffes, bleibt aber viel zu skizzenhaft und beziehtandererseits manches nicht Hergeh rige ein. Die uns haupts chlich interessierendeFrage, wie Aristoteles n herhin zu seinen Prinzipien kommt, wird nur kurz behan-delt. Deshalb ist eine Spezialarbeit ber ,άρχή bei Aristoteles', die auch die Hinweisevon E. Tugendhat, Gnomon 35 (1963) 550 f verwerten m te, weiterhin ein dringen-des Bed rfnis.

256 \vje Aristoteles sich einen solchen nicht-apodeiktischen .Aufweis' vorstellt, beleuch-tet (unter Erl uterungen der einschl gigen Stellen aus An. post.) Lugarini 201—205(vgl. E. Berti, Giornale di metafisica 18, 1963, 273). Instruktiv hierzu auch Reale,L'impossibilit 291 ff. Die falsche Alternative zwischen strikt deduktivem .Beweis'und ganz hypothetischer Unverbindlichkeit, die in der Diskussion ber die aristote-lischen Prinzipien immer wieder Verwirrung stiftet, sollte aufgegeben werden. Siefindet sich z. B. bei Ross (u. A. 256); Owens 284—286 (vgl. 205—207) zeigt richtig,wie Aristoteles auf das .Faktum' der Prinzipien einfach .hinweist', spricht aber danndoch wieder mi verst ndlich von .demonstrate' (304). Wieland sagt zutreffend, daPrinzipien nicht abgeleitet werden k nnen (217), schlie t aber dann daraus, da sieunverbindliche Topoi seien, die sich im Bereich der δόξα (nicht der έττιστήμη) be-wegen (217 ff) — d.h. auch er bleibt der genannten Alternative verhaftet. Von ihrgeht auch Aubenque aus: Weil die aristotelische Metaphysik keine apodiktischeWissenschaft ist (sein kann), kann sie ihren Gegenstand berhaupt nicht wissenschaft-lich erfassen (richtig dazu die Kritik von E. Berti, Giornale di metafisica 18, 1963,271). berwunden ist sie u. a. bei Morel 1960, 497—499, Tugendhat 1963, 552 (mitUmgebung), Lugarini und Berti (s. o.). Ein Modellfall daf r, welche Mi verst ndnissedie Alternative hervorruft, ist der Streit um die sogen. .Gottesbeweise', die ur-spr nglich (z. B. auch bei Aristoteles) als ,Gottes-Aufweise' konzipiert wurden; vgl.

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ι. 3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 61

gegeben hin256, aber es fehlt auch nicht an Ans tzen zu solchen .Auf-weisen' : So gewinnt er offenbar die ,vier' άρχαί ζ. B. in phys. α ausder Art und Weise unseres Sprechens, in met. A (u. .) aus der Be-trachtung seiner Vorg nger, in met. Λ 1/2 aus „einer blo en ph no-menologischen Analyse dessen, was der Begriff der μεταβολή impli-ziert"257. Viel deutlicher ist der , Aufweis' bei den , Wegen zur reinenForm', die unter den verschiedensten berschriften behandelt werden(Beweise f r den unbewegten Beweger; Gottesbeweise; usw.). Sprechenwir zuerst ber phys. α und met. A, wo Aristoteles etwas ihm »Vor-gegebenes' , deutet'. Wie ist das zu verstehen?

1.33 ,Hermeneutik' des ,Vorgegebenen'2&* ?

Die berschrift zeigt die zwei Aspekte des Problems: Erstens,was ist ihm vorgegeben ? Und zweitens, wie deutet er das Vorgegebeneund worauf hin P

Vorgegeben ist ihm die ,Tradifion' im weitesten Sinne: a) Das,was die Menschen so gemeinhin ber die betreffende Frage, die Aristo-teles gerade behandelt, gedacht haben und noch denken, also die corn-munis opinio aus Vergangenheit und Gegenwart ; b) speziell die Theo-rien der bisherigen Philosophie™; c) die Sprache, in der sich Traditionniedergeschlagen hat und die Medium unseres Denkens ist. Diese dreiFormen von Tradition bezieht Aristoteles intensiv und bewu t in seinPhilosophieren ein — viel st rker als sonst ein antiker Philosoph voroder nach ihm: Der Consensus omnium ist f r ihn „ein g ltiges Kri-terium der Wahrheit"260. In den ber hmten doxographischen Ab-

Hirschberger, Gottesbeweise passim und u. 7.822. Die k nftige Diskussion dieserFragen sollte au er den platonisch-aristotelischen .Wegen zu den Prinzipien' (u. 1.36)auch die von Aristoteles in De ideis referierten akademischen .Ideen-Beweise' heran-ziehen, ber die wir dank Wilpert (Zwei arist. Fr hschriften ber die plat. Ideen-lehre, 1949; vgl. auch Lugarini 63 A. 24, wo weitere Verweise) jetzt recht gut Be-scheid wissen.

256 Z. B, β 3, i94b 16 — 195 a 3 (dazu Ross), gen.corr. A 3, 3i8a i f. met. A 3,24 — b i (dazu Schwegler 3, 28 und Ross I 126 f). Ross Met. I 126: „Here, as in thePhysics, the doctrine of the four causes is introduced quite abruptly. Aristotle no-where shows us how he reached it, nor offers any logical deduction of it". .LogischeDeduktion' ist sachlich ausgeschlossen (vgl. oben), aber das .how he reached it'm chte man schon gern wissen.

257 Tugendhat, Gnomon 35 (1963) 548; dazu die Bemerkung u. 3.16.258 Vgl., auch zum Folgenden, Tugendhat 555.259 Termini f r a) sind ϋπόληψις und τα ένδοξα (Bonitz s. vv.), z. B. top. A i,

ioob2i f ένδοξα δε τα δοκοϋντα πασιν ή τοις ττλείστοιςή τοΐ$ σοφοΐς. Tugendhat555 (der indes Οττόληψι$ etwas zu eng fa t: es kann auch die philosophische Ansichtmeinen) .

280 K. Oehler, Der Consensus omnium als Kriterium der Wahrheit in der antiken Philo-sophie und der Patristik, Antike u. Abendl. 10 (1961) 103 — 129, bes. 105 — 108 (dasZitat 105). Vgl. auch die in der folg. Anm. genannte Lit.

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62 i. Die Problemsituation

schnitten seiner Pragmatien befragt er die Ansichten seiner philoso-phischen Vorgänger problemgeschichtlich und sieht in der Vielfaltihrer Theorien ein kontinuierliches ideengeschichtliches Fortschreiten,das teleologisch bestimmt ist und in seiner eigenen Philosophie gipfeltsowie zugleich sich in ihr vollendet261. Und an Stellen wie phys. 7gewinnt er, wie gesagt, offenbar seine Prinzipien aus der Art und Weiseunseres Sprechens262.

Das klingt so, als erschöpfe sich sein Philosophieren in — mehroder weniger »passiver* — Anpassung an diese vorgegebene Tradition.Und doch verhält es sich ganz anders: Aristoteles ist mit der Tradi-tion verbunden und hört auf sie, aber er ist ihr nicht hörig, sondernbleibt stets ihr überlegen. Dies läßt sich am besten am letztgenanntenPunkt, der Sprache, zeigen: Aristoteles philosophiert in ihr und ausihr, mißt sie jedoch immer an der gemeinten ,Sache' und geht überdie Sprache hinaus, sobald sie gegenüber der .Sache' defizient ist263.

Auch die problemgeschichtlichen Partien sind mitnichten so auf-zufassen, als ergebe sich für Aristoteles die eigene Philosophie mit fastzwangsläufiger Notwendigkeit aus der — gleichsam »unpersönlichen' —Denkbewegung der Philosophiegeschichte264. Vielmehr ist ihm um-

zei Vgl. außer den Kommentaren (z.B. Schwegler 3, 113 f; Bonitz 135 f) O.Gigon, DieGeschichtlichkeit der Philosophie bei Aristoteles, Archivio di filosofia 1954, > S. 129bis 150. K. Oehler, Die Geschichtlichkeit der Philosophie, Zeitschr. philos. Forsch, n(1957) 504—526, bes. 506 f. 512 A. 9. 514 f. 518. 525. Die zahlreiche Literatur, diesich speziell mit der Kritik des Aristoteles an Platon und den Vorsokratikern befaßt,lassen wir beiseite. — Interessant für unsere Frage auch K. Gaiser, Platon und dieGeschichte, 1961, bes. S. 18.

282 Nach Le Blond, Logique et möthode (S. 308—328 Schemes du langage) und Aubenque(f.tre et langage 94—250) umfassend und extrem entwickelt in W. Wielands Physik-Buch.

263 Vgl. o. 1.18.264 Diese von Hegel in faszinierender Weise entwickelte Auffassung von Philosophie-

geschichte lehnt Schwegler mit Recht für Aristoteles ab, wenn er (3, 27; vgl. 30)sagt: „Die modern-philosophische Ansicht [sc. die Hegeische] von der Geschichteder Philosophie ist dem Aristoteles völlig fremd. Er sieht in ihr so wenig einen gesetz-mäßigen, mit begrifflicher Notwendigkeit verlaufenden Entwickelungsprocess, daßer sie vielmehr nur von der pädagogischen Seite, als Ubungsschule für das Denken,als brauchbares Gedankenmaterial auffaßt usw." (dort weitere Verweise). Die ge-nannte hegelsche Sehweise kommt wieder zum Tragen bei Joachim Ritter, Aristote-les und die Vorsokratiker, Felsefe Arkivi 3 (1954) 17—37 (jetzt auch in JoachimRitter, Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, 1969, 34—56;vgl. ders., Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks, Viertelj.Sehr. f. wiss. Pädagogik 32, 1956, 60—94, bes. 64—66 mit A. 12 [= Metaphysik undPolitik^—105,bes. 64—68 mit A. 12]). Diese ganz hervorragende Arbeit, der ich vielverdanke, philosophiert mit und an Aristoteles, deutet ihn aber historisch nicht zu-treffend: Je mehr man nämlich glaubt, daß Aristoteles ähnlich wie Hegel das .Ge-gebene', besonders das geschichtlich Gegebene, eo ipso für vernünftig und wahr hältund deshalb .hinnimmt', um so mehr macht man ihn dem Gegebenen Untertan.Durch eine solche Auffassung wird seine aus souveränem, apriorischem Denken

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.3 Zur Problematik der aristotelischen 63

gekehrt die Problemgeschichte nur Bestätigung der vorher auf anderemWeg schon aufgefundenen Prinzipien265. Er philosophiert also ge-schichtsverbunden, jedoch aus gescMchtsüberlegener Haltung266. EtwasÄhnliches gilt vom Consensus omnium: Aristoteles bezieht sich aufihn und nimmt ihn ernst, betrachtet ihn aber letztlich doch nur alseinen zusätzlichen Beweis für die mit anderen Mitteln bereits erreichteLösung eines Problems267. Kurz: Aristoteles bewegt sich natürlich inder „vorgegebenen philosophischen Problemsituation mit ihren Apo-rien"268, aber sein Denken erschöpft sich nicht in ihr.

Hat man einmal die Spannung zwischen .Tradition' und Eigen-ständigkeit erkannt und stehengelassen, statt sie aufzuheben, kannman unbefangen würdigen, wieviel Aristoteles seinen Vorgängern ver-dankt, gerade was den Hyle-Begriff angeht. In dreierlei Form nimmter die ,Materie'-Tradition auf: Die Vorsokratiker direkt; die Vor-sokratiker über Plat on und die Akademie; Plat on und die Akademie.Hiervon wird im Folgenden die Beziehung zu Platon und zur Akademienäher dargestellt269 und die direkte Einwirkung ,vorsokratischer'Theorien auf Aristoteles an einem wichtigen Einzelfall exemplarisch

kommende Eigenleistung ebenso verdeckt, wie wenn man ihn andererseits empi-ristisch deutet, d. h. ihn a posteriori die Dinge assoziativ summieren läßt.

265 Auch wenn man Aristoteles' Haltung gegenüber den Lehren der Vorsokratiker undPlatons nicht mehr so streng verurteilt wie Cherniss, bleibt doch bestehen, daß erseine Vorgänger unter seine eigenen (schon vorhandenen) Begriffe subsumiert, abernicht seine Begriffe aus ihnen entnimmt. Typisch dafür sind A 3, 983 a 24—b 6(dazu Schwegler, Bonitz, Ross) und weitere Bemerkungen im Verlaufe des A, z. B.A 5, 986a 13—15. b 4—6. A 10, 993a n—16 (dazu jeweils die Erklärer). Wie er zuseinen eigenen kommt, die er als Maßstab an die Lehren seiner Vorgängerheranträgt, ist wieder eine Frage für sich, die erst weiter unten behandelt wird.

286 Das ist richtig gesehen in dem methodisch sehr wichtigen und anregenden Aufsatzvon O. Gigon (o. S. 62 A. 261).

287 Oehlers lehrreiche Arbeit über den Consensus omnium hebt zunächst richtig hervor,wie Aristoteles sich immer wieder anhand von Geschichte und Tradition philo-sophisch vergewissert, gibt aber dann der .Tradition' im Denken des Aristoteles einzu starkes Übergewicht. Der mißverständliche Ausdruck vom ,,kumulativen Wahr-heitsverständnis" des Aristoteles (107) rückt gar — was (nach dem Zusammenhangzu urteilen) Oehler bestimmt nicht gewollt hat — Aristoteles in die Nähe eines Em-pirismus. Der Wahrheitsbegriff des Aristoteles ist idealistischer Apriorismus undvon der (richtig verstandenen) Nus-Lehre her zu deuten. Das muß besonders des-halb betont werden, weil neuerdings During die aristotelische Formel 005

mit „das statistisch Normale" (239) oder sogar ,,die statistische Wahrheit"(491. 518) wiedergibt. Solche von der Soziologie beeinflußten modernistischen Ter-mini verfehlen das von Aristoteles Gemeinte, wenigstens in Ontotogie und Natur-philosophie: Er zieht nicht additiv-assoziativ eine Summe aus der Erfahrung,sondern denkt trotz einer Art .größerer Lebensnähe' das Naturgeschehen doch vomplatonischen Eidos und der teleologischen .Ordnung' der aus. — Ob man imZusammenhang mit der aristotelischen Politik von .Summierungstheorie' sprechensoll (During 498 f nach Braun), lasse ich dahingestellt.

263 Formulierung von Tugendhat 555.269 Vgl. 2 und 4.

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64 ι. Die Problemsituation

aufgezeigt270. Und da die neueren Untersuchungen ber Platons inner-schulische Lehre den engen Zusammenhang zwischen dem vorsokra-tischen Prinzipiendenken und der Prinzipienlehre Platons deutlicherkennen lassen271, schlie t die Beziehung der aristotelischen Hylezur platonisch-akademischen ,Materie' zugleich auch die vorsokra-tische ,Materie'-Tradition mit ein. Die obengenannten drei Traditions-str nge sind also eng ineinander verschlungen, und die aristotelischeHyle ist als wahrhaft umfassendes Seinsprinzip272 letztes Glied konti-nuierlichen Arche-Denkens, das bei den Vorsokratikern beginnt und

ber Platon bis zu Aristoteles f hrt273. Letztes Glied und zugleich ent-scheidender Neuanfang: Denn Aristoteles pr gt nicht nur den Terminus.Materie' (ϋλη)274, sondern bestimmt den Begriff auch inhaltlich inideengeschichtlich sehr folgenreicher Weise276. Also Anverwandlungdes bereits Vor-Gedachten und zugleich neue ,Setzung'276.

1.34 System und Aporetik, Philosophie und Dialektik

Wenn Aristoteles die ihm vorliegenden ,Meinungen' aus Ge-schichte und Gegenwart (die ένδοξα) pr ft, diskutiert er auf Grundallgemeiner Wahrscheinlichkeitserw gungen das F r und Wider jedeseinzelnen Problems durch, ohne sich festzulegen oder zu einer Ent-scheidung zu dr ngen. Man nennt dieses Vorgehen ,aporetisch' oder270 u. 6.271 Hier sind besonders die Arbeiten H. J. Kr mers zu nennen.272 Vgl. hierzu den Sach-Index s. v. Hyle 46, 7.273 Die Kontinuit t des Arche-Denkens von den Vorsokratikern des Aristoteles wird

gut erkannt von J. Ritter, Aristoteles und die Vorsokraiiker (vgl. o. S. 62 A. 264).Ritter nimmt aber 35—37 (= Metaphysik und Politik 54—56) — offenbar unterdem Eindruck von Aristoteles' Darstellung in met. A — u.a. Platon (Akademie) unddie Eleaten aus dieser Tradition heraus und verbindet so Aristoteles ber Platon(Akademie) und die Eleaten hinweg direkt mit den ionischen Arche-Denkern. Manmu jedoch mit der neueren Forschung ber alle polemisch zugespitzten Kritikendes Aristoteles hinweg sehen, wie schon Platon in seiner Prinzipienlehre die vorso-kratische Arche-Problematik aufgreift und Aristoteles (trotz scharfer Platon-Kritik)in diesem zentralen Punkt ganz eng an Platon ankn pft (u. 2.52). Platonischer .Ver-mittlungsbegriff' zwischen der parmenideischen Alternative von Sein und Nichtseinist nicht nur die .Teilhabe' (Ritter 36), sondern vielmehr auch das .zweite Prinzip',das im K rperbereich u. a. die γένεσις els ούσίαν, bei den Ideen deren Vielheit er-m glicht (u. 2.51 u. .). In gleicher Weise entwickelt Aristoteles seinen Ολη/ 5ύ-ναμις-Begriff, um zwischen der schroffen Alternative des Parmenides zu vermitteln.

274 Vgl. u. 2.6.275 Hierf r mu pauschal auf alles Nachstehende verwiesen werden.27« \venn man den Ausdruck .Setzung' nicht im Kantischen Sinne mi versteht, kann

man ihn durchaus verwenden, um die Selbst ndigkeit des Aristoteles gegen ber derTradition hervorzuheben. Anders Ritter 34 (= Metaphysik und Politik 53 f) imSinne seiner Auffassung vom .hypoleptischen' Charakter aristotelischen Philoso-phierens.

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.3 Zur Problematik der aristotelischen 65

auch — was hier ungefähr dasselbe bedeutet — .dialektisch'. DieFrage ist nun, ob ,Aporetik' bzw. ,Dialektik' das gesamte Wesen deraristotelischen Philosophie ausmachen oder ob sie nur die erste, vor-bereitende Stufe auf seinem Wege zur Lösung des Problems und zur.eindeutigen' Wahrheit sind. Da die zweite Möglichkeit zu sehr nachetwas wie .Systematik' aussieht, hat die moderne Systemfeindlichkeitsich öfter für die erste Möglichkeit entschieden, was man u. a. so be-gründen kann277: Aristoteles sei es gar nicht auf die Lösung angekom-men, sondern auf die „Totalität der Probleme"278; die Wahrheit liegefür Aristoteles gerade nicht in der Eindeutigkeit, sondern im dialek-tischen Widerspruch, den er scharf herausarbeite, um ihn dann un-überbrückt stehenzulassen279.

Was die ,Aporetik' betrifft, so sucht unsere Darstellung, wiebereits angedeutet, vor allem die ,systematische Einheit' der aristote-lischen Hyle auf, versteht aber .Einheit' und .System' als leben-dige Denkbewegung, etwa als .Konvergenz' der mit verschiedenenDenkansätzen in den Einzeluntersuchungen gewonnenen Ergebnisse.Ein solch dynamisches System kann man auch .Seinsentwurf' nennen,sofern man nicht ein ganz .offenes Philosophieren' damit meint, daswahrheits-indifferent Problemlösungen weder erreicht noch erstrebt280.In einem derartigen System ,gegenstrebiger Fügung' ist auch Platzfür die ,Aporetik' des Aristoteles, mit welcher er unerbittlich jeder.Problemkonsequenz' nachgeht, um aus der durch konsequentesAustragen der Schwierigkeiten ( ) zur Problemlösung ( -

) zu gelangen281. Also ist die Aporetik im .Systematischen', das

277 Hierbei wird natürlich vorausgesetzt, daß Aristoteles das, was er über Metaphysiksagen wollte, tatsächlich fixiert hat und daß uns hiervon auch das Wesentliche er-halten ist. Spekulationen darüber, ob Aristoteles durch den Tod an der Fertigstel-lung seiner Metaphysik gehindert worden sei oder die Überlieferung uns um wichtigeTeile der Metaphysik gebracht habe, sind nutzlos, weil wir dafür keinerlei Anhalts-punkte haben. Wir dürfen auch nicht das Problem .System—Aporetik' durch eil-fertigen Rekurs auf den historischen Zufall verharmlosen, sondern müssen ihmins Auge sehen.

278 So Jaeger 401: „Wenn es eine Totalität gibt, nach der Aristoteles strebt, so ist esnicht die der fertigen Erkenntnis, sondern die Totalität der Probleme" (vgl. 399„Deshalb bleibt sein .System' nach jeder Richtung provisorisch und offen" und dieUmgebung der Stellen). Diesen Satz Jaegers greifen auf z. B. P. Wilpert, Diewissenschaftliche Persönlichkeit des Aristoteles, Blätter f. deutsche Philosophie 12(1938/39) 303. K. Oehler, Zeitschr. philos. Forsch, n (1957) 512 A. 9. Dirlmeier1963, 65 (der es aber dann einschränkt, vgl. u.).

279 So Aubenque mit seiner Aristoteles-Deutung.2li° In einem für uns akzeptablen Sinn wird , Seinsentwurf' gebraucht bei Martin, A llge-

meine Metaphysik, 1965, Kap. 2 (im Anschluß an Heidegger, Sein und Zeit 324.362).Obwohl Martin die antike Philosophie manchmal recht summarisch und nicht immerzutreffend behandelt, ist sein Buch auch in dieser Hinsicht wichtig und anregend.

-81 Das ergibt sich so klar aus den Belegen, daß es nie zu den modernen Umdeutungender aristotelischen Aporetik hätte kommen sollen. Wichtig B i, 995 a 24—b 4, aus5 Happ.Hyle

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66 i. Die Problemsituation

sie bergreift, ,aufgehoben'. Diesem ,Ineinander' werden diejenigenmodernen Deutungen nicht gerecht, die einem extrem verstandenenSystem-Begriff282 einen ebenso einseitigen Aporie-Begriff283 alternativgegen berstellen und dann eine der beiden Seiten verabsolutieren284.

dem nur zitiert sei a 27—30 Ιστι δε τοις εύπορήσαι βουλομένοις ττροΟργου το δια-ττορήσαι καλώς* ή yap ύστερον εύττορία λύσις των πρότερον άπορον/μένων εστί, λύει ν6* ουκ εστίν ayvooOvras τον δεσμόν κτλ.; dazu die Erkl rer, bes. Schwegler 3,113—115. Noch pr gnanter gen.corr. A 5, 321 b n—13 Irrel δε διηττόρηται περίαυτών Ικανώς, δει καΐ της απορίας πειρδσθαι λύσιν εύρεϊν, . . . . Richtige Beurteilungζ. Β. bei Lugarini 123—14?» bes. 134—137· Owens 211—219 (u. ., s. Indexs. v.), Wieland 29—33 (der nur 32 die Konstanz der Probleme in der Geistes-geschichte zu gering veranschl gt) und Dirlmeier 1963, 65—67 (trotz mancherKonzessionen an existentialistisches .offenes Philosophieren' und .offenenHorizont' 64 f), ferner Reale 91—98.

282 Die Geschichte des Begriffs .System' von der Antike an m te noch geschriebenwerden: Zum griechischen Gebrauch ein Hinweis bei Jaeger 400 A. i. Mehr oderminder starre .Systeme' gab es seit Hellenismus und Kaiserzeit immer wieder (vorallem bei den Schulphilosophien), im strikten Sinne aber wohl erst seit Beginn derNeuzeit: Bezeichnend hierf r sind schon die Disputationes metaphysicae des FranzSuarez (1548—1617), welcher nicht mehr kommentierend den Texten des Aristotelesfolgt, sondern doctrinae ordine eine „apriori deduzierende, streng systematische Meta-physik" verfa t und deshalb auch mit der aristotelischen Aporetik nichts anfangenkann. Suirez rei t zum erstenmal bewu t eine Kluft auf zwischen (systemloser)Aporetik und (aporieloser) Systematik und stellt sich sogleich entschieden auf dieSeite des Systems, worin ihm die z nftige Philosophie bis ins 19. Jahrhundert folgt.Die .Aporetik' fand zun chst nur fern von den .Kathedern' bei wenigen wie Mon-taigne (der deshalb auch auf die aristotelische Aporetik achtet) und Pascal eineHeimstatt, bis sie dann mit Nietzsche, der Lebensphilosophie und dem Existen-tialismus auch von der .Zunft' selber bernommen und gleich verabsolutiert wurde.Vgl. K. Flasch, Metaphysik und Skepsis in der fr hen Neuzeit, Philos. Jb. 73 (1966)285—305. — Die undifferenzierte Rede vom .starren, toten* System d rfte bei denmodernen System-Gegnern aufgekommen sein; vgl. etwa Nietzsches Ausspruch, da„der Wille zum System ein Mangel an Rechtschaffenheit" sei, oder an das Bild vomstarren „Geh use" (Jaspers). Diese Verzeichnung des Begriffs hat dazu gef hrt, daman ihn heute nicht mehr auf Aristoteles anzuwenden wagt, selbst nicht ein so be-sonnener Forscher wie J. Owens (23. 79.131. 202 f). Doch ist zu hoffen, da der inFrankreich aufgekommene philosophische .Strukturalismus' hierin demn chst eine

nderung bewirkt, d. h. den .System'-Begriff wieder unbefangener zu sehen er-m glicht.

283 άττορητικός, bei Aristoteles noch nicht belegt, kommt erst sp ter bei Sext. Emp.usw. vor; aber auch da scheint man nicht von άπορητική (sc. μέθοδος) oder dergleichengesprochen zu haben. Das Wort .Aporetik', das eine Gesamthaltung bzw. eine Ge-samtmethode suggeriert, ist also offenbar ein moderner Kunstausdruck (zuerst beiN. Hartmann ?), der zumindest auf Aristoteles sachlich nicht zutrifft.

284 Der Uberbetonung des Systematischen seit Suirez folgte die Vereinseitigung derAporetik in Lebensphilosophie und Existentialismus. Von ersterer ist offenbarWerner Jaeger 399—402 beeinflu t, vielleicht auch N. Hartmann, der im Er-scheinungsjahr von Jaegers Buch 1923 die .Aporetik' des Aristoteles gut charakteri-sierte und doch berbetonte (Kl. Sehr. 2, 2igf; vgl. ebd. 15 A. i. 30 A. i). Bei Hart-mann vermag das Subjekt nur einen Teil des Seins zu erkennen, und au erhalb derErkennbarkeitsgrenze erstreckt sich der unendliche Bereich des nicht-erkennbaren

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ΐ·3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 67

Hiermit ist auch schon unsere Stellung zur »dialektischen* Me-thode des Aristoteles umrissen: Aus den wenigen knappen u erungendes Aristoteles ber seine »Dialektik'285 l t sich immerhin sovielentnehmen, da sie — wie oben schon angedeutet — ein Argumen-tieren εξ ενδόξων ist, also innerhalb der Metaphysik mit dem διοατορεΐνzusammenf llt286. Wie weit man nun auch die Grenzen der Dialektikstecken mag287, sie macht keineswegs das Wesen der aristotelischenPhilosophie schlechthin aus288, sondern sie bleibt etwas Vorl ufiges289,

.transobjektiven' Seins (Grundz ge Met. Erkenntnis 57; Einf hrung in die Philo-sophie, 1949, 84). Die so zugunsten des Irrationalen eingeschr nkte Erkenntnis ver-f llt der Wahrheit gegen ber in eine Art m der Skepsis, die Aporie wird zur Gnind-verfassung des Menschen, der immer wieder vergeblich an die Grenzen der Erkenn-barkeit st t. Weder dieser Seinsbegriff noch diese skeptische Aporetik (um weitereWesensz ge der Hartmannschen Philosophie beiseite zu lassen) haben etwas mit Ari-stoteles zu tun. Vgl. auch Wielands (29—33) Einw nde gegen Hartmanns Beurteilungder aristotelischen Aporetik. — Ganz extrem bersteigert ist (unter dem Einflu derExistenzphilosophie) die .aporetische' Aristoteles-Deutung bei Aubenque, Probleme( ber das Buch vgl. die kurze Bemerkung u. 4.11) und besonders in seinen beiden Auf-s tzen Sur la notion aristotelicienne d'aporie, in: Aristote et les problemes de mothode,1961, 3—19; Aristoteles und das Problem der Metaphysik, Zeitsch. philos. Forsch. 15(1961) 321—333. Richtig dagegen die Kritik von Owens 23—25.

285 Die wichtigsten Belege bei Bonitz s. v. διαλεκτικός.286 So richtig schon Schwegler 3, 113—116. 157—159. Bonitz, Met. S. 136. Vgl. auch

Joachim zur Nik. Ethik 28—30.287 So betrachtet etwa Owens sogar Γ/Ε (304) und ΖΗΘ (415f) noch als »dialektisch1,

nimmt also eigentlich nur den Komplex ber die .Separate Entity' (ΜΝΛ) von derDialektik aus. Wie man daraus ersieht, fa t er Dialektik in einem weiten Sinn („wellwithin the Realm of Wisdom itself", ,,not .introductory' in the modern sense" 304)und versteht sie trotzdem noch als etwas Vorl ufiges (z. B. 205—207), weil gemseiner Metaphysik-Deutung die Frage nach dem ,Sein' ja erst bei der .separateEntity' eigentlich zum Austrag kommt (416; vgl. 4.12).

288 So in neuerer Zeit Wieland 216—229, Aubenque 251—302 (weitere Stellen in seinemIndex). Zu Wieland vgl. Tugendhat, Gnomon 35 (1963) 551, zu Aubenque denwichtigen Aufsatz von Jacques Brunschwig, Dialectique et onfologie chez Aristote. Apropos d'un livre recent, Revue philosophique (de la France et de l'Etranger) 154(1964) 179—200 bes. 186—190. — Weitere Literatur ber die aristotelische Dialektikbei Aubenque 519—523, dazu Livio Sichirollo, Limiti e significato diuna ricercainiorno alia dialeftica aristotelica, Studi Urbinati 1959, 15—23. Ders., Dialetticaaristotelica e storia della dialetfica, Festschrift H. J. de Vleeschauwer (Pretoria 1960)58—65. Ders., Dialegesthai — Dialektik. Von Homer bis Aristoteles, Hildesheim 1967.Wagner, Kommentar 397 f.

289 Neben der o. Anm. 286, 287 und 288 zitierten Literatur vgl. Lugarini, Aristotele,148—172, bes. 158 A. 29, wo er die These seiner fr heren Arbeit (Dialettica e filosofiain Aristotele, Pensiero 4, 1959, 48—69), da bei Aristoteles Dialektik und Philo-sophie schlechthin identisch seien, ausdr cklich modifiziert: „L'ulteriore appro-fondimento della questione, alia luce dell'argomento del presente volume, mi hasuccessivamente convinto della necessit di circoscrivere alquanto la tesi prospettatain quel saggio. Per Aristotele, in effetti, la dialettica (intesa pur sempre come metododiscutivo) entra soltanto nei due primi momenti del filosofare: in quello aporetico edin quello diaporetico. A motivo del suo andamento dialogico essa rimane per contro

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68 i. Die Problemsituation

das dann , auf gehoben' wird in die eigentlich philosophische Problem-betrachtung, welche auf Wahrheit ausgeht und die angesprochenenProbleme zu lösen unternimmt.

1.55 Denkformen, Denkmodelle und philosophische Intention

Die und die Sprache als Medium des Philosophierens be-trachtet Aristoteles bewußt als etwas .Vorgegebenes', mit dem er sichauseinandersetzt (o. 1.33). Vielleicht gibt es aber darüber hinaus nochmehr »Vorgegebenes', nämlich verschiedene ,Denkformen' und ,Denk-modelle'. Sie hier wenigstens kurz zu erwähnen scheint um so mehrangebracht, als Aristoteles (anders als bei den ) zumeist nichtkritisch auf sie reflektiert, sondern sie ungeprüft verwendet. Zu fragenist also: Werden die philosophischen Intentionen des Aristoteles durchbestimmte ,Denkformen' und ,-modelle', in denen er sich bewegt undderen er sich bedient, gehemmt oder gefördert ?

Bevor eine Antwort auf die Frage versucht wird, ist zu überlegen,ob und wieweit die Frage als solche überhaupt berechtigt ist. Dennes ist zwar hermeneutisch legitim, ja sogar notwendig, das antikeDenken aus seinen Voraussetzungen verstehbar machen zu wollen;jedoch bleibt es zweifelhaft, ob dies gerade an Hand der Begriffe ,Denk-form' und ,Denkmodell' geschehen kann, die beide vorbelastet sind:,Denkform' entstammt dem Bereich der Psychologie und Lebensphilo-sophie, ,DenkmodelT dem der .Technik', so daß man Gefahr läuft, mitden zwei Begriffen zugleich moderne Befangenheiten (eben moderne.Denkformen') an das Material heranzutragen. Dem läßt sich aberdurch methodische Reflektiertheit begegnen. Mit dieser kritischenEinschränkung hat die Suche nach Denkformen und Denkmodellen,mit der man sich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts intensiverbeschäftigte290, auch heute noch ihre Berechtigung, zumindest alsheuristische Methode für die Philosophiegeschichte291. Man darf dabei

esclusa da quella fase piu strettamente epistematica del filosofare e in genere dellaricerca scientifica ehe e il momento euporetico e nella quäle si tratta di formulare un.logo' esprimente le cose stesse, nelle guise ehe siano loro connaturate".

290 Repräsentativ hierfür ist das Werk von Hans Leisegang, Denkformen 1ig28, 2i95i(dort alle weiteren Verweise). Wie man an Leisegang sieht, ging man dabei offenbarmeist von der Lebensphilosophie und der Psychologie aus.

291 Nach einigen Ansätzen etwa bei Julius Stenzel zeigen wohl die Arbeiten HermannFränkels am schönsten, wie man in historisch und philologisch adäquater Weise dieDenkformen einer bestimmten Epoche und einzelner Autoren erforschen und dar-stellen kann (Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, 2ig62; Wege undFormen frühgriechischen Denkens, 2ig6o). — Methodisch wichtig der (von Topitsch96 A. 3 genannte ) Aufsatz von Heinrich Gomperz, Problems and Methods of EarlyGreek Science, Journ. Hist. Ideas 4 (1943), auch in: H. Gomperz, Philosophical

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1.3 Zur Problematik der aristotelischen 69

durchaus über die Probleme hinausgehen, welche die Antike ausdrück-lich thematisiert hat (z. B. — ), muß aber freilich erstensvermeiden, vom heutigen Standpunkt aus Denkformen in die Antikehineinzuverlegen, die es dort gar nicht gab (s. u. h). Und man mußzweitens Denkform und philosophische Intention scharf trennen undgegeneinander abwägen: Denn weder erschöpft sich die Intention inden Denkformen, welche sie verwendet292, noch kann sie sich unab-hängig von diesen unmittelbar zum Ausdruck bringen293. Sobald nureine der beiden Seiten bedacht wird, läßt sich die antike Philosophienicht historisch zutreffend beurteilen, und sie läßt sich dann auch nicht,indem man das nur Zeitbedingte an ihr abstreift und dadurch ihrenüberzeitlichen Gehalt heraushebt, auf das heutige Denken hin ,ent-mythologisieren'.

Die nachstehend in Auswahl aufgeführten ,Denkformen' und,Denkmodelle'293a sind nach Eigenart und Bedeutung sehr verschie-den294. Da aber eine exakte Untergliederung nicht möglich ist, werdensie in zwangloser Folge besprochen.

a) An erster Stelle ist zu nennen das aristotelische Weltbild, nachdem die Welt als begrenzter, axiologisch gestufter Kosmos verstanden

Studies, Boston 1953, 72 ff. Gomperz unterscheidet im wesentlichen drei Denk-formen (thought-patterns): a) .biological', b) .political' bzw. ,a well- or an ill-orderedhousehold', c) .artistic creativity' bzw. .mechanic'. Das entspricht ungefähr den ,bio-morphen1, .soziomorphen' und .technomorphen' Modell-Vorstellungen, wie sie ErnstTopitsch (s. folgende Anm.) schildert. — Hierher gehört auch der Begriff des ,Welt-modells' (der Griechen), den Wolfgang Schadewaldt einführte (vgl. W. Seh., DasWeltmodell der Griechen, 1955, in: Hellas und Hesperien, 1960, 426—450) und derseitdem vielerorts verwendet wird.

292 Dies nicht gesehen zu haben, ist der Fehler von Ernst Topitsch, Vom Ursprung undEnde der Metaphysik. Eine Studie zur Weltanschauungskritik, Wien 1958. Topitschweist in seiner stark soziologisch bestimmten Untersuchung instruktiv auf ver-schiedene Denkformen der antiken Philosophie hin, glaubt aber damit zugleichschon ihren Gehalt erfaßt zu haben und kommt so zu einer oberflächlichen Abwer-tung der antiken Metaphysik. Indem er das von den Denkformen Gemeinte ver-nachlässigt, veräußerlicht er sie zu unverbindlichen Leerformen, mit denen man sichdie Welt ordnet, also fast im Sinne Wielands Metaphysik als Topologie. Zum,techno-morphen' Denkmodell vgl. o. 1.112 und gleich unten, zur ganzen Frage vgl.das Nachstehende.

283 Das gilt vor allem für Aristoteles, der ja mehr als Platon mit bestimmten Denk-Schemata arbeitet.

293a Nicht besprochen wird hier das ,Inhärenzschema' des Substanzbegriffes, das an-läßlich Z 3 (7.823 a) und auch sonst (3. i u. ö.) auch für den Hyle -Begriff wichtig wird.

2M Wenn hier inhaltliche und formale Tatbestände unterschiedlichen Charakters neben-einandergestellt werden, so rechtfertigt sich das einmal daraus, daß das komplexePhänomen des .Prinzips' nur durch vielfachen Wechsel der Aspekte erfaßt werdenkann, und zum ändern daraus, daß die von uns gegebene knappe Skizze nicht aus-reicht, die einzelnen Gesichtspunkte noch genauer zu gliedern. Hierfür wäre eineMonographie erforderlich.

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70 i. Die Problemsituation

wird295. Die kosmologische Ponderierung des aristotelischen Denkensbeeinflu t so stark die gesamte aristotelische Metaphysik und Philo-sophie, da man fast von einer ,kosmo-morphen' Denkform des Ari-stoteles sprechen k nnte296. Sie droht nat rlich auch den Hyle-Begriffzu .verfestigen' und auf die k rperliche Welt des Werdens einzuen-gen297, vermag aber dann letztlich doch nichts gegen die Denk-Inten-tion des Aristoteles auszurichten, die sich eindeutig auf ein unk rper-liches, ,geistiges' Hyle-Prinzip von genereller Wirksamkeit richtet298,

b) Damit h ngt eng zusammen, da wie f r Platon, so auch f rAristoteles das Sein eine hierarchische Stufenfolge, eine Wert-Pyramideist299. Woher auch immer das Bild der Seins-Hierarchie stammenmag300, es soll die aristotelische Gesamtauffassung des Seins verdeut-lichen. Dabei besteht nun — wie bei jedem schematischen Modell —die Gefahr, da sich das Schema selbst ndig macht, d. h. da die.Schichten' der Seinsschichtung zu starrer ,Konkretheit' verdinglichtund voneinander isoliert werden. Mindestens vier solcher χωρισμοίtreten bei Aristoteles auf, die den Zusammenhang des Seins ernsthaftgef hrden301. Und doch gelingt es Aristoteles, das Sein in einer ber-295 Die meisten Elemente dieses Weltbilds entstammen der Tradition, aber die Kon-

zeption insgesamt ist typisch aristotelisch. Vgl. vorl ufig Kosmologie und Meta-physik (Lit.) und Weltbild und Seinslehre.

298 Damit ist nur gesagt, da Aristoteles bei Behandlung metaphysischer Fragen immerwieder den Kosmos miteinbezieht, ihn gleichsam als .Modell' betrachtet. Aus wel-chen Elementen sich dann wieder sein Bild vom Kosmos letztlich zusammensetzenmag, ist eine weitere Frage: Topitsch z. B. betrachtet die kosmische Hierarchie als(.soziomorphes') Abbild der menschlichen Familie; Leisegang w rde das Vorbildeher in der Begriffspyramide sehen. 297 Vgl. bes. u. 8.2620.

288 Die berwindung der ,kosmo-morphen' Denkform beginnt schon innerhalb desKosmos selber bei dem Begriff der Ολη τοπική (s. z. B. 5.325) und setzt sich dannfort ber verschiedene andere Auspr gungen der Hyle (wie die Ολη νοητή) bis hinzur ber hmten Hyle-Definition von met. Z 3 (vgl. etwa 8.21/22).

299 vgi. u. 8.271 ber .Seinsstufung' (mehr Sach-Index s. v. Stufung) und die SchemataS. 700.

800 Leisegang leitet es von der Begriffspyramide her, Topitsch von der menschlichenFamilie (.soziomorph'); vgl. o. A. 296. F r beides lassen sich Gr nde anf hren: a) DieBegriffspyramide beeinflu t zumindest seit Platon das philosophische Denkenau erordentlich stark und ist g ngiges Traditionsgut, an dem Aristoteles festh lt.Nat rlich k nnte man im Sinne Topitschs auch die Begriffspyramide letztlich auf.soziomorphe' Ur-Vorstellungen zur ckf hren, aber das ndert ja nichts daran, dasie qua Begriffspyramide auf Aristoteles eingewirkt hat. b) Da das Bild der Seins-hierarchie seit fr hgriechischer Zeit (vgl. etwa H. Fr nkel, Dicht, u. Philos.z 600).soziomorph' beeinflu t ist, steht au er Frage: Bei Aristoteles braucht man nur anΛ ίο zu erinnern, wo die Seinsordnung (τάξΐξ!) mit einem Heer und einem Haus-wesen verglichen wird. Aber diese berlegungen helfen sachlich doch nichtweiter: Selbst wenn — ber das rein Zuf llige hinaus — die formale Herkunft der.Denkform' richtig bestimmt sein sollte, ist damit berhaupt noch nichts ber ihrenphilosophischen Gehalt und ihre Relevanz ausgesagt.

301 Es sind dies die Verh ltnisse Gott—Welt, ther—sublunarer Bereich, Leben-diges—tote Stoffe, έο-χάτηΰλη—άτομον εΐδθ£. Hinweise Sach-Index s. v. Charismas.

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1.3 Zur Problematik der aristotelischen 71

greifenden Ordnung — nach dem .Mehr und Weniger' gestuft — zu-sammenzufassen302.

c) In .Kosmos' und,Wertpyramide des Seins' zeigt sich eine Denk-weise, die man als ,horror infiniti' bezeichnet hat. Dieses Verlangennach Begrenztheit führt dazu, daß auch die Ursachen von Werdenund Sein nicht in einer unendlichen Kette immer weiter zurückverfolgtwerden, sondern einen Abschluß finden in einer Ursache, die ihrerseitsnicht wieder verursacht ist. Am klarsten wird ein ungegründeter Grundals Abschluß gesetzt in der Reihe der Zweckursachen: der ,unbewegteBeweger' als Quelle aller Bewegung. Aber auch hinsichtlich des Hyle-Prinzips läßt sich ein solches Streben erkennen, den infiniten Regreßzu vermeiden, d. h. die reine Hyle, aus welcher alles hervorgeht, aberwelche selber nicht mehr aus etwas anderem hervorgeht, in den Blickzu bekommen303.

d) Aristoteles erläutert öfter seine vier Ursachen mit Beispielen,die dem Bereich des menschlichen Herstellens entnommen sind, jaer scheint sie ganz am Techne-Modell abzulesen, so daß man bis heutevon der ,techno-morphen' Befangenheit des aristotelischen Denkensüberzeugt ist. Indes sollte man nicht beim Techne-Modell und demtypisch modernen Gegensatz von (geistfremder) ,Natur' und (natur-fremdem) ,Geist' stehenbleiben, sondern dahinter die »geistige' Einheitvon und sehen. Die Techne ist kein Modell-Bereich, ausdem etwas .übertragen' wird, sondern es werden an ihr, die besondersklare Beispiele liefert, diejenigen Phänomene aufgezeigt, welche in-folge der Einheit von und eo ipso für beide Bereichegelten304. Nur in diesem sehr eingeschränkten Sinn kann man auchin Zukunft noch vom ,Techne-ModelT des Aristoteles sprechen.

e) Eng verbunden mit dem Stufen-Modell des Seins ist bei Ari-stoteles das ,Gegensatz-Substrat-Schema', das seine Lösung des Werde-problems augenfällig machen soll: Werden als Wechsel von Gegen-sätzen, die an einem beharrenden Substrat einander ablösen. WennAristoteles diese seine ,Triade' scharf der ,reinen Gegensatzlehre'(Dyade) seiner Vorgänger gegenüberstellt, so trifft das historisch nichtganz zu305, aber es bleibt bestehen, daß er als erster die Triade syste-matisiert und schematisiert hat. Sie ist so eng mit dem Hyle-Begriffverbunden, daß wir sie für ein Stück Wegs zum Leitfaden unserer302 Über das ,Mehr und Weniger' Sach-Index s. v. Mehr und Weniger, über den -

Gedanken Sach-Index s. v. Ordnung.303 Ygj_ u> -7.823 über die ,Wege zum Hyle-Prinzip'. Bestätigt wird diese empirisch aus

den Texten gewonnene Auffassung durch met. 2. — Die Aufdeckung dieses Denk-Schemas darf nun freilich nicht dazu führen, das Hyle-Prinzip etwa als ,rein for-malen Grenzbegriff' verstehen zu wollen (dazu o. 1.15, u. 8.273).

304 Ygi o j.112, wo weitere Hinweise.305 Über das Verhältnis des aristotelischen .Vermittlungsbegriffes' Substrat/Steresis zu

den entsprechenden platonischen Lehren vgl. u. 2.25, 3.14, 4.64.

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72 ι. Die Problemsituation

Untersuchung nehmen k nnen. Dabei werden sich bald die Grenzendes Schemas zeigen: σ) Es l t sich an der akzidentellen »Ver nderung1

(αλλοίωση) leicht ablesen und aufzeigen, schwer oder gar nicht je-doch am (allein wichtigen) substantiellen ,Werden und Vergehen'(γένεσις, φθορά). Wenn nun Aristoteles in einer Art Analogieschlu 'von der , Ver nderung' auf das .Werden' schlie t306, besteht unter demZwang des Schemas die Gefahr, da analog dem (k rperlichen, sub-stantiellen) Substrat der άλλοίωσίζ auch das (z. T. unk rperliche)Substrat der γένεσις allgemein .k rperlich' und substantiell gedachtwird und entsprechend die Wesensform zu einem Akzidens herab-sinkt307, ) Die Triade ist auf den sublunaren Bereich beschr nkt308

und sagt deshalb nichts ber diejenigen Arten von Materie aus, diesich au erhalb dieses Bereiches befinden ( ther-Materie) oder ber-haupt nichts mit dem Kosmos zu tun haben (Ολη νοητή). Gleichwohldr ngt sich das Schema bei Aristoteles doch scheinbar so vor, da die,Hyle als Substrat des Werdens' oft mit dem aristotelischen Materie-Begriff berhaupt gleichgesetzt wird309. Das entspricht, wie wir zeigenzu k nnen glauben, nicht der Intention des Aristoteles, und so darfman sagen, da das von ihm geschaffene triadische Gegensatz-Sub-strat-Schema den von ihm intendierten umfassenden Hyle-Begriffeher verstellt als verdeutlicht.

f) Die Betonung der .Triade' bedeutet nicht, da Aristoteles dietraditionellen Gegensatz-Lehren aus seinem Denken verbannt. Viel-mehr spricht er au erhalb der Stellen, an denen er (z. B. in polemischerAbsicht) die Triade mit Nachdruck schematisch hervorhebt, fter,dyadisch' wie Platon und die Vorsokratiker: Das Werden ist ihm dannein Konflikt zweier Prinzipien, die fast in urt mlicher Weise mitein-ander um die Vorherrschaft ringen310 und doch andererseits sich zuvereinigen dr ngen311. Das Sein aus dem Widerspiel zweier gegens tz-

3oe Vgl. u. 3.12 und 3.13 ber phys. oc 7.307 N heres u. 6.222b, 6.4, 9.308 Auch da ist es ja nicht l ckenlos durchgef hrt, vgl. u. 6.309 Die Interpreten, welchen sich derart vom Gegensatz-Substrat-Schema beeindrucken

lassen, beachten nicht, wie oft Aristoteles ,dyadisch' spricht (vgl. nachstehend f).310 Zum .Kampf der beiden Prinzipien (und zum Ausdruck κρατεΐν) u. S. 537 A. 82.

Die .agonale' Komponente im Denken des Aristoteles betont richtig During 545.Sie ist ein Bestandteil aller .dualistischen' Welterkl rungen zu jeglicher Zeit und beijedem Volk. Zum polaren Denken des fr hen Griechentums Fr nkel, Dicht, u.Philos.2 Index 603—605 (wo weitere Hinweise).

311 Das Streben der Materie nach der Form vergleicht Aristoteles α g, 192 a 22 f (vgl.192 a 14 μήτηρ) mit dem Verlangen des Weiblichen nach dem M nnlichen. Sofernman diesen Vergleich berhaupt auswerten will (er denkt ja 192 a 23 auch an dasStreben des H lichen nach dem Sch nen!), so zeigt sich in ihm entweder das .bio-logische' Denken des Aristoteles insgesamt (dazu u.) oder es wird auf die mythischenVereinigungen z. B. zwischen Uranos und Gaia angespielt (letzteres nennt Topitsch.biomorph', z. B. S. 10. 18 u. .); vgl. auch 3.14 Ende.

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Page 16: Hyle (Studien zum aristotelischen Materie-Begriff) || 1.3 Zur Problematik der aristotelischen ἀρχαί

ι.3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 73

licher Prinzipien zu begreifen — dieses Denken kann man dualistisch,polar, antithetisch, antinomisch oder sogar »dialektisch' nennen, so-fern man nur nicht die .Einheit', die »Harmonie' zwischen beiden Prin-zipien leugnet und die Polarit t verabsolutiert312.

g) Im Vorstehenden ist neben dem techno-morphen auch immerwieder das ,bio-morphe' Denkmodell gestreift worden, das nunmehrnoch einmal kurz f r sich betrachtet werden m ge, und zwar verengtauf den eigentlich Biologischen' Bereich: Die quantitativ und quali-tativ bedeutende Leistung des Aristoteles auf dem Gebiet der Biologielegt die Frage nahe, ob er nicht seine Prinzipien an spezifisch biolo-gischen Zusammenh ngen abgelesen und von da aus verallgemeinerthabe: Man denkt zun chst an den e!5o$-Begrif f, der unter dem Aspektder εντελέχεια etwas hnliches meint wie .gepr gte Form, die lebendsich entwickelt'; dementsprechend k nnte man auch δύναμι$ und ύληprim r als biologisches .Angelegtsein' verstehen313 usw. Nun hat Ari-stoteles ganz gewi nicht panpsychistisch oder vitalistisch im heutigenSinne gedacht, so da man also seine Philosophie und seine Prinzipiennicht vordergr ndig ,biologistisch' deuten kann. Dies geht — um vonallem ndern abzusehen — schon deswegen nicht, weil man so dentypisch modernen Gegensatz von Natur und Geist (s. o. unter d) undeinen ebenso modernen Irrationalismus in Aristoteles hineintr gt.Jaeger war mithin sachlich im Recht, als er die ,biologistische' Aristo-teles-Deutung ablehnte314, wobei er sie freilich durch die nicht minder

318 D. h., man darf nicht, um einer .monistischen' Aristoteles-Interpretation zu ent-gehen, nun zwischen den beiden Prinzipien eine un berbr ckbare Kluft auftun(und dabei vielleicht Aristoteles zu einem absoluten .aporetischen Dialektiker' wiein der Deutung Aubenques machen), sondern mu auch all das bedenken, was es an.Vermittlungen' zwischen ihnen gibt. Vgl. Sach-Index s. v. Vermittlung.

313 Dieser Gesichtspunkt kommt bei Er rterung von δύναμι; und Ολη gew hnlich zukurz.

314 Aristoteles 4iof. Vielleicht wendet Jaeger sich hier u. a. gegen die lebensphilo-sophische Neupr gung und Umdeutung der aristotelischen εντελέχεια durchHans Driesch (1909), die ein Jahr nach dem Erscheinen von Jaegers Buch PaulGohlke aufgriff und in die Deutung der aristotelischen ενέργεια einf hrte. Vgl.W. Jaeger, Rez. verschiedener Schriften Paul Gohlkes, Gnomon 4 (1928) 625—637.Berti, Lafilosofia 58f. Weitere Hinweise auf .Biologismen' im Denken des Aristote-les bei Leon Brunschwicg (verwertet von Le Blond, Logique et methode z. B. 72. 347.354 u. ., Ausgabe von part. an. A S. 9; seine Schriften zusammengestellt Logique etmethods XV und Ausgabe 196); Le Blond, Logique et moihode 72 f. 346—370 (Lesschemes biologiques); ders., Ausgabe von part. an. A (Untertitel Philosophe de la vie!)Einl. passim (sehr anregend und wichtig, wenn auch Aristoteles insgesamt etwas zunahe an Henri Bergson heranger ckt wird, der auch z. B. Logique et mSthode 363.part. an. A S. 51 direkt zitiert ist); Aubenque 7 A. 4. 351—355. 359 A. 2. 364, dersich mit Recht dagegen wendet, gelegentlich bei Aristoteles auftretende .biologische'(bzw. .soziologische' oder .technologische') Bilder extrem berzubewerten unddaraus weittragende Schl sse zu ziehen (vgl. auch noch u. S. 75 A. 324). Reservenauch bei Owens 472 A. 51. Die Herkunft wichtiger Grundkategorien der aristote-

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74 i. Die Problemsituation

einseitige ,techno-morphe' Deutung ersetzte315. Seitdem erforschteman zwar die biologischen Schriften nach Inhalt und besonders Me-thode viel genauer316, zog aber von der Biologie keine Fäden zur Meta-physik. Vielleicht stand man dabei immer noch unter dem Eindruckvon Jaegers Urteil, obwohl sich doch seit Jaeger die Situation völliggewandelt hat: Zum einen wissen wir heute sicher, daß die biologischenForschungen des Aristoteles, die Jaeger auf Grund seines Entwicklungs-schemas spät datierte317, mindestens bis in die Zeit von Assos hinauf-reichen318. Und zum ändern sind philosophische Strömungen wieLebensphilosophie und Vitalismus, gegen die Jaeger sich damals ab-grenzen mußte, uns heute so ferngerückt, daß wir eine biologischeKomponente des aristotelischen Denkens, falls sie sich aus den Be-legen ergibt, wieder unbefangen würdigen könnten. Was spricht nunfür einen solchen biologischen ,Einschlag' in der aristotelischen Philo-sophie319 ?

Die Wendung des Aristoteles zum , Kosmos'320 bringt zugleicheine stärkere Betonung des Biologischen mit sich:

Der Ätherbereich wirkt in zweifacher Weise auf die sublunareWelt ein, aktiv-mechanisch und ,passiv'-teleologisch. Die mechanischeWirkung (z. B. der Sonnen wärme) regelt nicht nur die Elementen-bewegung, sondern auch den gesamten biologischen Lebensrhythmusvon Tier und Mensch (Lebensdauer usw.). Ebenso umfaßt der Kreis-lauf des sublunaren Geschehens, mit dem die Welt unter dem Monddie vollkommene Kreisbewegung der Äthergestirne »nachahmt' (,teleo-logische' Wirkung), zwar zunächst (und primär) den wechselseitigenÜbergang der (anorganischen) vier Elemente ineinander, wird aberdann auch besonders sichtbar in der Kette von Zeugung und Tod derlebenden Wesen. Dieser Kreislauf des Lebens findet prägnanten Aus-druck in der überaus bedeutsamen aristotelischen Formel

321, welche unter anderem besagt, daß durch Geburtund Tod vergänglicher Individuen hindurch die Wesensform als etwas

lischen Biologie aus der platonisch-akademischen Metaphysik weist überzeugendnach H. J. Krämer, Grundbegriffe akademischer Dialektik in den biologischenSchriften von Aristoteles und Theophrast, Rhein. Mus. in (1968) 293—333, bes.331—333-

315 s. o. unter d), wo weitere Verweise.sie Ygi (jig einschlägigen Abschnitte bei During.317 Aristoteles 3521.318 During 12. 510; vgl. auch Dirlmeier 1963, 61.s« Ygj zum folgenden ständig Le Blond, Logique et m&thode 346—370; ders., part. an.

A S. 196. S. auch Owens 472 A. 51. Dort jeweils weitere Lit.320 Vgl., auch zum Folgenden, Kosmologie und Metaphysik und Weltbild und Seinslehre.321 Den philosophischen Sinn der aristotelischen Formel hat K. Oehler wieder verstehen

gelehrt: K. Oehler, Ein Mensch zeugt einen Menschen, Sonderausgabe 1963 (zuerstin: Festschrift Gerhard Krüger, 1962), 37—65.

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.3 Zur Problematik der aristotelischen 75

Ewiges erhalten bleibt. Es kann also nicht bezweifelt werden, daßEidos- und Telos-Begriff zumindest eine biologische Komponente insich schließen. Nimmt man hinzu, daß Aristoteles nicht selten Telos,

usw. an .biologischen' Beispielen demonstriert322 und daß erden Bereich des Anorganischen von dem des Organischen her beur-teilt323, dann läge die Vermutung nahe, er habe manche seiner Grund-begriffe im wesentlichen .biologisch' konzipiert.

Indes sollte man die biologische Komponente seines Denkens, sowichtig sie auch ist, weder überschätzen noch gar seine Fundamental-begriffe ohne weiteres von dort herleiten. In seiner .ersten Philosophie'ist er von solchen Einseitigkeiten genau so frei wie Platon, auf den jaauch seine Lehren von Eidos, Telos u. dgl. letztlich zurückgehen; wiedieser denkt er .philosophisch' schlechthin, .ontologisch' oder wie mansonst sagen will324. Das gilt besonders für die Materie, die dem Wortnach überhaupt nicht325 und der Sache nach nicht sehr viel326 .bio-logisch' gedacht wird.

h) Nach Denkformen und Denkmodellen fragen heißt annehmen,daß ein Tatbestand in einem bestimmten Einzelbereich erkannt undvon dort dann (,modellhaft') auf andere Bereiche übertragen wird.Während wir bisher mehr von den Denkmodellen ausgingen, die über-

322 Vgl. nur das Beispiel von der ,Hand' (Bonitz 848 a 47—52) u. dgl. mehr.323 "Wenn man meteor. 4, wo dies am deutlichsten ist, nicht heranziehen will, kann man

nur auf wenige Stellen wie gen.corr. 321 b 28—32 verweisen. Trotz der geringen An-zahl unzweifelhaft .echt-aristotelischer' Belege dafür ist aber die Tatsache als solchevöllig sicher, weil sie sich bruchlos aus den Verhältnissen damaliger Naturforschungergibt, die ohne chemische Analyse nach dem Augenschein gehen mußte und derdeshalb das Lebendige (natürlich oberhalb einer bestimmten Größenordnung undnur in einer bestimmten Hinsicht) leichter zugänglich war als das Anorganische.Vgl. 6.222a/b.

321 Der von D. M. Balme, Phronesis 7 (1962) 91—104 hervorgehobene Umstand, daß diebiologischen Forschungen des Aristoteles in seinen sonstigen Schriften (z. B. in derMetaphysik) keinerlei konkrete Spuren hinterlassen haben, gibt für unsere Fragewenig aus, weil Aristoteles auch sonst .isolierend' denkt, so daß er aus anderenSpezialbereichen nichts in seine Ontologie aufnimmt (sondern — etwa in den Ver-gleichen und Beispielen — lieber die gängigen Meinungen zitiert).

325 ist kein vitalistisch sprossender .Wald', sondern , ' als Rohstoff, Materialtechnischer Prozesse, gehört also noch eher zum .techno-morphen' Aspekt desaristotelischen Philosophierens (alles Nähere u. 2.6).

326 Ihre Aktivität hat, wenn auch vielleicht nur der Formulierung nach, unleugbar einengewissen .biologischen' Einschlag (vgl. 3.14 Ende, 8.245/6, 8.25), beruht aber imGrunde auf der Aktivität des zweiten platonisch-akademischen Prinzips (vgl. nur2.5id, dazu Sach-Index s. v. Aktivität 2), also auf .ontologischen' Gedankengängen.Sonst sind bei der Hyle kaum biologische Einflüsse festzustellen: Natürlich werdenje nach dem thematischen Zusammenhang auch einmal .Materien' aus dem Bereichdes Lebendigen genannt, aber das besagt nichts Grundsätzliches. Im übrigenherrscht bei der Betrachtung der Hyle, wenn man überhaupt eine bestimmte Denk-form nennen will, eher die .techno-morphe' Betrachtungsweise (s. o. 1.112 undvorst. Anm.).

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76 i. Die Problemsituation

tragen werden, wenden wir uns jetzt dem Denkmittel der bertragungselber zu. Zwei Fragen stellen sich: i. Liegt tats chlich eine . ber-tragung' vor oder nicht? 2. Wenn ja, wie ist sie philosophisch zu be-urteilen ?

a) Es ist stets mit der M glichkeit zu rechnen, da Aristoteleszwei Bereiche, die wir in der Moderne zu trennen gewohnt sind, alsEinheit sah, so da die von uns vermutete , bertragung' gar nichtvorliegt, weil er sich eben innerhalb ein und desselben Sinnbereichesbewegt. Deshalb ist beim Aufsp ren von Denkmodellen und , ber-tragungen' u erste Vorsicht geboten. Nat rlich kann der moderneForscher trotzdem seine eigenen Kategorien anwenden, von » ber-tragung' sprechen und Aristoteles kritisieren, aber er mu dabei stetsbedenken, wieweit Aristoteles selber gegangen ist. So scheint Aristo-teles z. B. die hierarchische Gliederung von Familie, Staat, Kosmosund Sein berhaupt nicht als sekund re bertragung von der Familieaus eis άλλο yevos (soziomorph), sondern als verschiedene Auspr -gungen, gleichsam Variationen, des gleichen Seins-Tatbestandes ver-standen zu haben.

) Aber auch da, wo Aristoteles selbst zwei Bereiche klar trennt,wie bei τέχνη und φύσις, sollte man nicht dabei stehenbleiben, den. bergang' aus dem einen in den anderen Bereich als ganz vorder-gr ndige , bertragung' (etwa von der τέχνη auf die φύσι$) aufzufassen:Denn damit leugnet man, da die von Aristoteles vorgenommene. bertragung' in der seinsm igen Strukturverwandtschaft beiderBereiche gr nde, d. h. man leugnet, da Aristoteles mit seinem Philo-sophieren nicht auf ein regulatives Sich-Zurechtlegen der Umwelt mitHilfe von Topoi, sondern auf Wahrheit ausgeht. Solche Deutung deraristotelischen Philosophie wird in vorliegender Darstellung mehr alseinmal zu widerlegen gesucht327. Und was speziell das τέχνη—φύσις-Problem angeht, so d rfte die L sung darin liegen, da Aristotelesden modernen Gegensatz von ,Natur' und .Geist' nicht kennt, sondernbeide Bereiche als Teile derselben Geiststruktur betrachtet328. Die.Analogie' als Verbindung beider Bereiche ist weder bei τέχνη—φύσι$noch sonst ein sachlich unverbindliches, rein formales Leer-Schema,sondern Ausdruck der inneren Verwandtschaft verschiedener Seins-bereiche, die der menschliche vo s ans Licht hebt, indem er ber diescheinbare Differenziertheit der uns umgebenden ,Dinge' zur ckgreiftauf ihren geistigen Zusammenhang, in welchem sie gr nden329. Diese,auf Platon zur ckweisende, philosophische Haltung ist eine ganzandere als die, welche der logische Positivismus und die z. T. aus den

327 Vgl. z. B. o. 1.18.328 Vgi Sach-Index s. v. Denkmodell 4,329 Vgl. dazu vorl ufig u. 7.8230.

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1.3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 77

gleichen Quellen gespeiste moderne Soziologie330 Aristoteles zuschrei-ben m chten, da er n mlich willk rlich, ohne nach der ,Wahrheit'zu fragen, ,anthropomorph' und vordergr ndig sich die Welt einge-teilt und etikettiert habe.

Damit wird auch deutlich, da das Problem der Denk-Formenund Denk-Schemata sehr viel komplizierter ist, als es zun chst denAnschein hatte. Wenn man nicht mit gro er methodischer Vorsichtund philosophisch differenziert an die Frage herangeht, ist die Gefahrgro , da die Eigenart aristotelischen Denkens und aristotelischerPrinzipienfindung nicht erleuchtet, sondern verdunkelt wird. Sovielwir sehen konnten, ist durch alle Denkformen u. dgl., die man auf-sp ren mag, die philosophische Intention des Aristoteles unbeirrt aufdie ,Sache' gerichtet, mit anderen Worten: .sachgerecht'. Was bedeu-tet ,Sache' und .sachgerecht' ?

1.36 Die ,Sachen selbst'

Woraufhin interpretiert Aristoteles das .Vorgegebene' (vgl. 1.33} ?Wohin zielt im Bunde mit und im Gegensatz zu den eben (1.35) auf-gezeigten Denkformen und Denkmodellen seine philosophische In-tention? Sie intendiert zweifelsohne die »Wahrheit'. Was ist aberwiederum mit .Wahrheit' gemeint?

Eine erste Antwort k nnte lauten: ,die S ache (n) selbst'. Aristo-teles beruft sich ja fter auf die ,Sachverhalte', an die man beimWiderspruch der Meinungen appellieren kann und die als .Wahrheit'sich zwingend geltend machen331. Diese ,Sachverhalte', welche sichuns als φαινόμενα zeigen332, k nnen wir »ph nomenaleGegebenheiten',.ph nomenale Tatbest nde' o. dgl. nennen und demgem von einer.ph nomenologischen' Methode des Aristoteles sprechen333. Aristotelesw rde also sein Philosophieren ganz auf den ,ph nomenalen Tatbe-stand' gr nden.

Diese Bestimmungen sind aber immer noch recht vorl ufig undunscharf, so da sie weiterer Pr zisierung bed rfen:

330 Gemeint sind die Arbeiten Wolfgang Wielands (o. 1.18) und Ernst Topitschs (o.S. 69 A. 292).

331 Die Stellen sind bekannt: A 3, 984a 18 f αυτό το πράγμα ώδοποίησεν αύτοϊς καΐσυνηνάγκασε ζητεί ν. Vgl. Α 3. 984 b ίο πάλιν υπ' αυτής της αληθείας, ώσττερείττομεν (wohl R ckverweis auf 984» 18), άναγκαζόμενοι (α 5, i88b 29 f. part. an.Α ι, 642a 18—20 αγόμενος υπ' αυτής της αληθείας . . . αναγκάζεται). Vgl. Bonitzs. ν. πράγμα 62ga 59—b 21, s. v. έργον 286a 37 ff. Lugarini 38—42, bes. 41.

338 A 5, g86b 31 άναγκαζόμενος δ' άκολουθεϊν τοις φαινομένοις. Vgl. Bonitz s. v.φαίνεσθαι 8o8b 37—809 b 7 und dazu Lugarini 38 A. 18.

333 Diese Termini verwendet z. B. Tugendhat, Gnomon 35 (1963) 547. 552 f.

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78 i. Die Problemsituation

1.361 Erstens bedeutet .ph nomenal' nicht, da diese Tatbest ndeuns ohne weiteres empirisch gegeben seien und etwa wesentlich durchdie Sinne erfa t w rden. Vielmehr mu die Erkenntnis, je prinzipiel-leren Charakter die φαινόμενα haben, desto tiefer durch die unmittel-bar gegebenen Sinnesdaten hindurch zu den ideellen Gr nden derSinnendinge vordringen334, was sich n herhin etwa so beschreibenl t:

Von den platonischen Wegen ,zu den Prinzipien hin' (έττΐ τά$αρχάς; Analysis, Reduktion) und ,νοη den Prinzipien her' (από τωναρχών; Synthesis, Deduktion)336 greift Aristoteles die Reduktionbesonders auf und stellt sie dar als den Weg vom ,f r uns Bekannteren'zum ,an sich, der Natur nach Bekannteren'336: Wir setzen mit derAnalyse bei dem ,f r uns Deutlicheren (Bekannteren)' an, d. h. beiden konkreten, zusammengesetzten Dingen und Tatbest nden unsererUmwelt, und gehen dann zur ck auf die den Konkreta zugrunde lie-genden Prinzipien, die ,an sich (von Natur) deutlicher (bekannter)'sind. Was ,an sich (von Natur) deutlicher (bekannter)' eigentlich meineund wie demgem der R ckgang auf die Prinzipien zu verstehen sei,dar ber ist schon viel verhandelt worden. Zweifellos ist die herk mm-liche Deutung, es handele sich um den Gegensatz von Erkenntnis-ordnung (ordo cognoscendi) und Seinsordnung (ordo essendi) zu sche-matisch und nicht angemessen: Denn dabei trennt man — unaristo-telisch — die Subjektseite von der Objektseite und stellt ,realistisch'beide Seiten einander .gegen ber'. Vielmehr liegen hier zwei subjektiv-objektive Weisen des Bekanntseins und zugleich des Seins vor: In den,f r uns deutlicheren' Tatbest nden sind deren Prinzipien schon im-plizit, zun chst .undeutlich', mitgegeben. Wir erfassen sie auf Grundeines apriorischen , Vor Verst ndnisses', explizieren sie und bringen sieso uns zur Deutlichkeit337. Der menschliche vo $ ist einerseits (infolge

334 hnlich sagt auch Lugarini 113—117, da der νους die Wahrheit der Dinge ,ent-berge' (La funzione rivelativa del pensare). Das ist aber nur eine sehr eingeschr nkteAktivit t, da bei Aristoteles (nach Lugarini, der hierin Heidegger folgt) die .Sachen'sich uns manifestieren und unser Denken bestimmen (vgl. z. B. 41 f und, mit inter-essanten Vorbehalten, 262—64).

335 EN A 4, iOQ5a 30—b 3 (= TP Nr. 10, vgl. Gaisers Komm.) schildert Aristotelesdiese beiden Wege als platonisch. Sehr wahrscheinlich bezieht er sich nicht nur aufdie Dialoge, sondern vor allem auch auf die Lehrvortr ge. Aus der Stelle kann man— was sachlich ohnehin klar ist — ersehen, da Aristoteles in diesem Punkt anPlaton ankn pft und ihn zugleich weiterdenkt. Vgl. auch u. 7.543, 7.61.

836 Stellen bei Bonitz 1593. 33—49. 6753 3 f. 839b2—9.387 Soweit kann ich Wieland 69—85 folgen. Tugendhat 545 f stimmt ihm gleichfalls

hierin zu, mit folgender Formulierung: „Ebenso stehen sich nat rlich das yvcopt-μώτερον ιτρός ή μας und τη φύσει nicht als Erkenntnis-und Seinsordnung gegen ber,sondern als zwei Pole unseres eigenen Kennens: das Kennen, worin wir uns zun chstundurchsichtig befinden, und auf der anderen Seite dasjenige, was darin schon im-pliziert ist und in dem wir, wenn wir es explizieren, zur Durchsichtigkeit kommen".

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ι.3 Zur Problematik der aristotelischen άρχαί 79

seiner Kontingenz gegen ber dem g ttlichen Geist) dinggebunden,weil er (nicht direkt, sondern) nur im Durchgang durch die Erfahrung(d. h. von den σαφέστερα ήμϊν aus) zu den Prinzipien gelangt unddas hei t: seine eigenen apriorischen Gehalte aktualisiert. Er ist anderer-seits ,ding-enthoben', weil er durch das unmittelbar Gegebene hin-durch hinter es zur ckgreift auf die Seinsgr nde dieses Gegebenenund ,dann' von den Gr nden aus (welche er ebenso .drau en' wie ,insich selbst' vorfindet) das Gegebene durchleuchtet. Er ,liest' somitdas unmittelbar Vorhandene bzw. konkret Erfahrbare von den Prin-zipien aus, die vor ihren Prinzipiaten (eben diesem Vorhandenen) Vor-rang dem Sein und zugleich der Erkenntnis nach haben338.

Beispiele f r solche Reduktionen ,auf die Prinzipien hin' findensich am deutlichsten da, wo Aristoteles die ,reine Form' des unbeweg-ten Bewegers aufweisen will, also an den Stellen, die als Vorstufen dersp teren ,Gottesbeweise' viel diskutiert worden sind339. Man pflegt siemethodisch als kinesiologischen Beweis (exparie moius', phys. β, met. Λusw.)340, Beweis aus den Vollkommenheitsstufen (ex gradibus perfectio-num; vgl. De philos. fr. 16 Ross) und teleologischen Beweis (vgl. Dephilos. fr. 13 Ross) zu sondern, aber sie geh ren nat rlich der Sachenach eng zusammen: Der Bewegungsbeweis beruht auf der Wert-Hierarchie der Bewegungen und damit der Seinsschichten und f hrtzum unbewegten Beweger als dem obersten Telos der Welt, der alsvollkommenes Gutes von der Welt erstrebt wird. Hinter dieser axio-logischen Hierarchie und dem »Aufstieg* zum Prinzip steht letztlich

berall die platonische Auffassung von Sein und Erkennen341.In diesen Zusammenhang geh rt auch die Pros-hen-Methode von

Γ/Κ, die — wie auch immer man ber das Objekt der aristotelischenMetaphysik denken mag — eine Analyse des Seins ,auf die Prinzipienhin' darstellt342. Wenn man Γ/Κ mit den aristotelischen Aussagen ber»Abstraktion' verbindet, gewinnt man auch einen Einblick in die Artund Weise, wie der Pros-hen-Aufstieg vonstatten ging: noetisches Er-338 Wieland 69—85 setzt zun chst richtig an (s. o.), bersieht jedoch den platonischen

Hintergrund der Prinzipienreduktion (dazu etwa Hirschberger I4 173 f, Tugendhat546 A. i) und erfa t deshalb das Wesen der φύσει γνωριμώτερα nicht zutreffend(61—85; dagegen richtig Tugendhat a. O.).

339 Die Stellen verzeichnen z. B. Eugen Rolfes, Die aristotelische Auffassung vom Ver-h ltnisse Gottes zur Welt und zum Menschen, Berlin 1892, 17—65; Konrad Eiser, DieLehre des Aristoteles ber das Wirken Gottes, M nster 1893, 7—n; Zeller II 24

359—362; vgl. auch Eugen Rolfes, Die Gottesbeweise bei Thomas von Aquin undAristoteles, 21927. Die Belege m ten m glichst n chtern neu durchinterpretiertwerden, philologisch wie philosophisch; ein erster ertragreicher Vorsto ist J.Hirschberger, Gottesbeweise. Verg ngliches—Unverg ngliches, in: Denkender Glaube(Frankfurt 1966) ιοί—149.

340 Zum Beweis ,aus der Bewegung' vgl. auch u. 5.22, Weltb. u. Seinsl. 90 A. 78.341 Vgi. hierzu bes. Hirschberger, Gottesbeweise (s. o. A. 339).342 Vgl. u. 4.21 und S. 390 ff.

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80 i. Die Problemsituation

fassen des Wesentlichen und zugleich ,Eliminierung' (άφαίρεσις)des Unwesentlichen343.

Entsprechend den eben genannten ,Wegen zur reinen Form'(= Telos) lassen sich umri haft auch ,Wege zur reinen Materie' ge-winnen, einer κατ' άφαίρεσιν, ein zweiter κατ' άναλογίαν344.

1.362 Die ,Wege zu den Prinzipien' machen deutlich, da dieφαινόμενα durchaus nicht nur an der Oberfl che der ,Dinge' liegen undda die menschliche Erkenntnis sie keineswegs passiv hinnimmt345,sondern sich aktiv ihrer bem chtigt. Wie diese Aktivit t beschaffenist, wurde schon oben angedeutet346: Sie ist kein willk rliches, Setzen'347,sie ist aber auch nicht einfaches Hinzeigen auf etwas Seiendes, das —vom Geist unabh ngig — fertig vorhanden w re. Vielmehr erfa t diemenschliche Erkenntnis die Seinsgr nde des ,au en' Vorgegebenendadurch, da sie sich nach innen wendet und ihre eigenen apriorischenGehalte aktualisiert. Dadurch l t sie die Seinsgr nde berhaupt erstsichtbar werden, d. h. sie macht sie zu φαινόμενα. In diesem Zusam-menwirken von spontaner Erkenntnis und objektiv Vorgegebenemliegt das Wesen der aristotelischen Prinzipienfindung. Wenn man dieπράγματα so deutet, kann man von »ph nomenalen Tatbest nden'und ,ph nomenologischer' Methode des Aristoteles sprechen348.

z.J7 Folgerungen

Die methodischen Folgerungen aus dem Gesagten sind entwederschon vorhin ausgesprochen worden oder sie ergeben sich von selber,so da sie keiner weiteren Er rterung mehr bed rfen. Nur auf einenPunkt mu zur Vermeidung von Mi verst ndnissen nochmals hin-gewiesen werden:

343 u. 7.6, 7.822. 344 u. 7.823a—c.345 Vgl. u. A. 347. 34β Vgl. o. 1.33, 1.361.347 In diesem Sinne m ssen auch die oben zitierten Belege aus met. A usw. verstanden

werden, wo bildhaft.(vgl. ώσπερ phys. i88b 29) vom Sich-Auf dr ngen der Wahrheitgesprochen wird: Zum Sich-Aufdr ngen kommt es nur, wenn man —- wie die Vor-g nger des Aristoteles (um die allein geht es bei den genannten Belegen) — noch un-vollkommen und unmethodisch philosophiert. Von sich selber sagt Aristoteles na-t rlich nie, da er von der .Wahrheit selbst gezwungen' werde. Auf jeden Fall abersagen die Belege so viel, da es eine .Konsistenz des Objektiven' gibt, an welche derGeist gebunden ist.

348 G nter Patzig, Bemerkungen ber den Begriff der Form, Archiv f. Philosophie 9(1959) 93—in, betont ιοί. iO3ff vielleicht etwas zu stark, da die Prinzipien-findung des Aristoteles bei der Wahrnehmung anhebt, und l t das apriorischeMoment seines Denkens zu sehr in den Hintergrund treten. Aber er hebt richtig her-vor, da Aristoteles zwar beim sinnlichen Sehen ansetzt, aber nicht dabei stehen-bleibt.

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·3 Zur Problematik der aristotelischen 81

Vorliegende Arbeit bemüht sich, sofern die Ergebnisse der Einzel-interpretationen zu einem Sinnganzen konvergieren, die aristotelischePhilosophie als .Einheit' zu verstehen, also nicht um jeden PreisPluralität, unlösbaren Widerspruch usw. zu konstatieren. Das bedeu-tet aber keineswegs, daß sie nun um einer vermeintlichen Einheit wil-len den einzelnen Text geringschätzt, umbiegt o. dgl., im Gegenteil:Die Widersprüche und Unklarheiten werden als solche in aller Schärfeaufgezeigt und gewürdigt349. Wenn dann hin und wieder (aber erst ineinem zweiten Schritt!) versucht wird, auch diese Diskrepanzen zuerklären und womöglich noch auf eine Einheit zu beziehen, geschiehtdas mit aller Vorsicht. Der Leser, der von diesen Lösungsvorschlägennicht überzeugt wird, mag sie ignorieren und den Widerspruch un-erklärt stehenlassen. Nur kann er nicht — das scheint sachlich aus-geschlossen — den Widerspruch bei Aristoteles verabsolutieren undAristoteles zum dialektischen Aporetiker schlechthin machen350.

349 In diesem Punkt hofft der Verfasser genau so textgetreu zu verfahren wie die .Anti-Systematiker' (diese Sammelbezeichnung sei einmal erlaubt), also z. B. wie N. Hart-mann (Kl. Sehr. 2, 31 Anm.), During, Aubenque und Seeck.

350 Vgl. o. 1.34.

6 Happ.Hyle

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