hygiene – das müssen sie beachten

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PflegeAlltag Recht 44 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (7-8) Infusion und Injektion Hygiene – das müssen Sie beachten Im pflegerischen Alltag kommt es häufig zu rechtlichen Auseinander- setzungen in Zusammenhang mit Injektionen, dem Anlegen von Infu- sionen, Perfusoren und Infusomaten. Die Gründe liegen zumeist in der Delegationsfähigkeit und Umsetzungskompetenz. D ie Anordnung und Dosierung obliegen dem Arzt im Sinne seiner Verantwortung für diagnostische und therapeutische Entscheidungen. Die Delegation einzelner ärztlicher Tätigkei- ten auf das Pflegepersonal ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich erlaubt. Mit dem Alten- pflegegesetz und dem Krankenpflegege- setz wird die Ausführung ärztlich ver- ordneter Maßnahmen jeweils im § 3 als Kenntnis, Fähigkeit und Fertigkeit vor- ausgesetzt. Qualifikation bei der Übernahme ärztlicher Anordnungen Bei der Übernahme von ärztlichen An- ordnungen und bei ihrer anschließenden Durchführung spielt die fachliche Quali- fikation der Pflegeperson eine wesentliche Rolle. In der Anästhesie, Intensivpflege und Dialyse sind die Aufgaben der Infu- sion für die Pflegeperson selbstverständ- lich, zumal sie sich für den jeweiligen Bereich zusätzlich qualifizieren musste. Doch geht es im Wesentlichen nicht nur um die zu erlernende Technik, sondern um die Fähigkeit, im Vorfeld mögliche Komplikationen abschätzen zu können. Darüber hinaus sind die Rahmenbedin- gungen des Arbeitsvertrages, der Dienst- anweisungen, Standards, Einwilligung des Patienten, personelle und zeitliche Res- sourcen zu berücksichtigen. Bei der Delegation sollte jedoch immer berücksichtigt werden: Die Umsetzung ärztlicher Tätigkeiten darf die Kapazitäten der eigenverantwortlichen Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Pflege nicht zusätzlich belasten. Der Träger der Ein- richtung beziehungsweise die Pflege- dienstleitung muss daher im Sinne der Organisationsverantwortung, Vertrags- haftung sowie der Qualitätssicherung dafür Sorge tragen, dass die quantitative und qualitative Sicherheit gewährleistet ist, entsprechende Maßnahmen sind zu organisieren. Hierbei kann eine Katego- risierung in „delegationsfähig“ oder „nicht delegationsfähig“ hilfreich sein. Rechtlich verbindlich sind Standards, Dienstanweisungen und Befähigungs- nachweise. Diese Sicherheitselemente dienen der multiprofessionellen Zusam- menarbeit, sie helfen zugleich bei der Beweisführung im aufkommenden Haf- tungsprozess für den Träger gegenüber dem Patienten im Sinne des Kranken- hausaufnahme-, Heim- oder Pflegever- trages sowie der Pflegeperson im Falle der persönlichen deliktischen Haftung. Festzustellen ist, dass eine dreijährig ausgebildete Pflegeperson intramuskuläre Injektionen nicht an Altenpflege- oder Krankenpflegehelfer und subkutane In- jektionen nicht an unausgebildete Hilfs- kräfte übertragen darf. Der Arzt hat seine Anordnung in gutem Glauben der kor- rekten Umsetzung an den hierfür quali- fizierten Mitarbeiter delegiert, somit übernimmt die weiter delegierende Pfle- gefachkraft die Anordnungs- und Durch- führungsverantwortung für einen entste- henden Schaden. Eine Injektion bedeutet den Tatbestand der Körperverletzung, wenn der Patient nicht eingewilligt hat. Infektionsrisiko bei Injektionen und Infusionen Injektionen und Infusionen gehören zu den häufigsten invasiven Eingriffen in Krankenhäusern, auch in Pflegeheimen und ambulanten Pflegebereichen. In der grundsätzlichen Problematik der Delega- tion und Verantwortungskomponente bezüglich technischer und pharmakolo- gischer Kenntnisse kommt der Infekti- onsverhütung eine besondere Komponen- te zu. Es handelt sich jeweils um eine Punktion der Haut oder Vene. Bei der Infusion ist zwischen Kurz-, Langzeit- oder Dauerinfusion zu unterscheiden. Insbesondere die Infusionstherapie und Injektionen müssen als eine der zahl- reichen Quellen nosokomialer Infekti- onen gesehen werden. Deshalb muss bei der Durchführung sichergestellt sein, dass ein exogener Keimübergang in das Punkt- ionsgebiet verhindert wird. So ist ein hy- gienisch einwandfreier Umgang mit den Injektionskanülen/-spritzen und den In- fusionssystemen und -lösungen bezie- hungsweise -behältern besonders wichtig. An den Richtlinien des Robert Koch-In- stitutes orientiert sind die wesentlichsten Schritte: Händedesinfektion DOI: 10.1007/s00058-014-0793-5 Bei der Delegation von invasiven Tätigkeiten kommt der Infektionsverhütung eine besondere Bedeutung zu. Buchtipp Rolf Höfert, Markus Schimmelpfennig . Hygiene Pflege – Recht. Fallbeispiele, Urteile, Praxistipps von A bis Z . Springer Verlag 2014 ISBN 978-3-642-30006-6; 24,99 €; Erscheinungster- min: August 2014

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PflegeAlltag Recht

44 Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (7-8)

Infusion und Injektion

Hygiene – das müssen Sie beachten Im pflegerischen Alltag kommt es häufig zu rechtlichen Auseinander-setzungen in Zusammenhang mit Injektionen, dem Anlegen von Infu-sionen, Perfusoren und Infusomaten. Die Gründe liegen zumeist in der Delegationsfähigkeit und Umsetzungskompetenz.

Die Anordnung und Dosierung obliegen dem Arzt im Sinne seiner Verantwortung für diagnostische

und therapeutische Entscheidungen. Die Delegation einzelner ärztlicher Tätigkei-ten auf das Pflegepersonal ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich erlaubt. Mit dem Alten-pflegegesetz und dem Krankenpflegege-setz wird die Ausführung ärztlich ver-ordneter Maßnahmen jeweils im § 3 als Kenntnis, Fähigkeit und Fertigkeit vor-ausgesetzt.

Qualifikation bei der Übernahme ärztlicher AnordnungenBei der Übernahme von ärztlichen An-ordnungen und bei ihrer anschließenden Durchführung spielt die fachliche Quali-fikation der Pflegeperson eine wesentliche Rolle. In der Anästhesie, Intensivpflege und Dialyse sind die Aufgaben der Infu-sion für die Pflegeperson selbstverständ-lich, zumal sie sich für den jeweiligen Bereich zusätzlich qualifizieren musste. Doch geht es im Wesentlichen nicht nur um die zu erlernende Technik, sondern

um die Fähigkeit, im Vorfeld mögliche Komplikationen abschätzen zu können. Darüber hinaus sind die Rahmenbedin-gungen des Arbeitsvertrages, der Dienst-anweisungen, Standards, Einwilligung des Patienten, personelle und zeitliche Res-sourcen zu berücksichtigen.

Bei der Delegation sollte jedoch immer berücksichtigt werden: Die Umsetzung ärztlicher Tätigkeiten darf die Kapazitäten der eigenverantwortlichen Aufgaben und Verantwortungsbereiche der Pflege nicht zusätzlich belasten. Der Träger der Ein-richtung beziehungsweise die Pflege-

dienstleitung muss daher im Sinne der Organisationsverantwortung, Vertrags-haftung sowie der Qualitätssicherung dafür Sorge tragen, dass die quantitative und qualitative Sicherheit gewährleistet ist, entsprechende Maßnahmen sind zu organisieren. Hierbei kann eine Katego-risierung in „delegationsfähig“ oder „nicht delegationsfähig“ hilfreich sein. Rechtlich verbindlich sind Standards, Dienstanweisungen und Befähigungs-nachweise. Diese Sicherheitselemente dienen der multiprofessionellen Zusam-menarbeit, sie helfen zugleich bei der Beweisführung im aufkommenden Haf-tungsprozess für den Träger gegenüber dem Patienten im Sinne des Kranken-hausaufnahme-, Heim- oder Pflegever-trages sowie der Pflegeperson im Falle der persönlichen deliktischen Haftung.

Festzustellen ist, dass eine dreijährig ausgebildete Pflegeperson intramuskuläre

Injektionen nicht an Altenpflege- oder Krankenpflegehelfer und subkutane In-jektionen nicht an unausgebildete Hilfs-kräfte übertragen darf. Der Arzt hat seine Anordnung in gutem Glauben der kor-rekten Umsetzung an den hierfür quali-fizierten Mitarbeiter delegiert, somit übernimmt die weiter delegierende Pfle-gefachkraft die Anordnungs- und Durch-führungsverantwortung für einen entste-henden Schaden. Eine Injektion bedeutet den Tatbestand der Körperverletzung, wenn der Patient nicht eingewilligt hat.

Infektionsrisiko bei Injektionen und InfusionenInjektionen und Infusionen gehören zu den häufigsten invasiven Eingriffen in Krankenhäusern, auch in Pflegeheimen und ambulanten Pflegebereichen. In der grundsätzlichen Problematik der Delega-tion und Verantwortungskomponente

bezüglich technischer und pharmakolo-gischer Kenntnisse kommt der Infekti-onsverhütung eine besondere Komponen-te zu. Es handelt sich jeweils um eine Punktion der Haut oder Vene. Bei der Infusion ist zwischen Kurz-, Langzeit- oder Dauerinfusion zu unterscheiden.

Insbesondere die Infusionstherapie und Injektionen müssen als eine der zahl-reichen Quellen nosokomialer Infekti-onen gesehen werden. Deshalb muss bei der Durchführung sichergestellt sein, dass ein exogener Keimübergang in das Punkt-ionsgebiet verhindert wird. So ist ein hy-gienisch einwandfreier Umgang mit den Injektionskanülen/-spritzen und den In-fusionssystemen und -lösungen bezie-hungsweise -behältern besonders wichtig. An den Richtlinien des Robert Koch-In-stitutes orientiert sind die wesentlichsten Schritte:

▶ Händedesinfektion DO

I: 1

0.10

07/s

0005

8-01

4-07

93-5

Bei der Delegation von invasiven Tätigkeiten kommt der Infektionsverhütung eine besondere Bedeutung zu.

Buchtipp

Rolf Höfert, MarkusSchimmelpfennig.

Hygiene – Pflege – Recht. Fallbeispiele, Urteile, Praxistipps von A bis Z.

Springer Verlag 2014 ISBN 978-3-642-30006-6; 24,99 €; Erscheinungster-min: August 2014

45Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (7-8)

▶ Einhaltung der Hygienevorschriften bei der Vor-/Zubereitung von Injektion, Infusionen, Perfusoren und Spritzen und vor der Manipulation an den Sys-temen. Infusionen dürfen nicht länger als eine Stunde vor dem Anhängen ge-richtet werden (BGH, Urteil vom 03.11.1981, OLG Frankfurt am Main, AZ: VI ZR 119/80). Die Flächendesin-fektion der Arbeitsfläche ist Grundvo-raussetzung dafür.

▶ Das Richten der Injektionen bezie-hungsweise Infusionen muss zeitnah zur Applikation erfolgen.

▶ Bei der Infusion ist die Zumischung von Medikamenten erst unmittelbar vor Gebrauch vorzunehmen.

▶ Die Infusionsflasche ist auf Verfallsda-tum, Haarrisse, Trübung, Ausflockung und Bodensatz zu überprüfen.

▶ Geschützte Membran beziehungsweise Gummistopfen von Infusionsflaschen, Stechampullen müssen vor dem Einste-chen mit einem alkoholischen Haut-desinfektionsmittel desinfiziert werden. Es ist die Mindesteinwirkzeit von 15 Sekunden zu beachten.

▶ Die Membranen von Zuspritzpforten vor der Punktion sind ebenfalls zu des-infizieren.

Als mögliche infektiöse Komplikationen nach Punktionen und Injektionen gelten Abszess, Phlegmone, Spritzenabszess, ne-krotisierende Phlebitis und Septikämie.

Im pflegerischen Alltag muss beachtet, dass die Maßnahmen zur Desinfektion der Punktionsstellen in einem einrich-tungsspezifischen Hygieneplan festgelegt sind. Dabei sind die Richtlinien des Ro-bert Koch-Institutes umzusetzen. Auch die im Einzelfall bestehenden individu-ellen Risiken des Patienten oder die In-fektabwehr unterdrückende Eigenschaft des applizierten Medikamentes dürfen nicht übersehen werden. Anhand eines Hygieneplans sollten die für Injektionen und Infusionen verantwortlichen Mitar-beiter in der Technik geschult werden. Im Sinne der Beweislast sollte das auch do-kumentiert werden.

Rolf HöfertGeschäftsführer Deutscher PflegeverbandExperte für PflegerechtMittelstr. 1, 56564 [email protected]

Urteil 1: Keine Desinfektion der Injektionsstelle

Eine Notärztin hatte vor einer Injektion keine Desinfektion durchgeführt. Die Patientin bekam eine Sepsis und musste wochenlang stationär behandelt werden. Nekrotisie-rendes Bindegewebe an beiden Armen führte zu Verwachsungen und Narbenbil-dungen. Das Urteil verweist darauf, dass auch in Notfällen die Standards (Einweghand-schuhe und Desinfektion der betroffenen Hautstelle) einzuhalten sind. 10.000 EuroSchmerzensgeld (OLG Naumburg, AZ: 1U 86/08).

Urteil 2: Unquali� ziertes Personal

Für die mit einem Spritzenabszess verbundenen Komplikationen hat ein Krankenhaus-träger einzustehen, wenn er intramuskuläre Injektionen an nicht hinreichend qualifi-ziertes Personal überträgt (OLG Köln, Urteil vom 22.01.1987, AZ: 7U 193/86).

Urteil 3: Mangelnde Desinfektion der Infusions� asche

Der Krankenhausträger hat gemäß § 831 BGB für pflichtwidriges Handeln des Pflege-personals einer Kinderintensivstation, dessen er sich als Verrichtungsgehilfe bedient hat, haftungsrechtlich einzustehen. Werden Neugeborene bzw. Frühgeborene auf der Kin-derintensivstation mit einem Bakterium (hier: Klebsiella oxytoca) infiziert, weil das Pfle-gepersonal bei der Desinfektion der Infusionsflasche regelmäßig gegen den Hygiene-plan der Klinik und die anerkannten Hygienestandards verstößt, so haftet der Kranken-hausträger für die bei den Kindern eingetretenen Folgen der Bakterieninfektion.Ergibt sich bereits aus der erheblichen Anzahl von nachweislich aufgrund der fehler-haften Desinfektion infizierten Kindern (insgesamt 28 Kinder innerhalb eines Zeitraums von 2,5 Jahren), das für die Patienten der Intensivstation das allgemeine Risiko einer In-fektion mit dem fraglichen Bakterium erheblich erhöht war, so ist zu Gunsten eines früh-geborenen Kindes, das infolge einer Infektion mit dem Bakterium erhebliche Gesund-heitsschäden erlitten und keine Möglichkeiten hat den Ursächlichkeitsbeweis zu führen, von einer Umkehr der Beweislast bezüglich der Kausalität der festgestellten Desinfekti-onsfehler für den eingetretenen Gesundheitsschaden auszugehen. Insoweit kommt es auf den Nachweis der Versäumnisse im Einzelfall nicht an (BGH, 16.11.1970, AZ: VI ZR 83/69, NJW 1971, 241).Maßgeblich für die Höhe des Schmerzensgeldes sind mangels weiterer Bemessungs-kriterien allein Art und Schwere der Schäden, unter denen das geschädigte Kind unter der Infektion leidet und auch in Zukunft immer leiden wird.Hat die Bakterieninfektion bei dem Kind zu einem Multiorganversagen, Hirnblutung und Hydrozephalus geführt, und leidet (das nunmehr 5-jährige Kind) an einer mentalen Ent-wicklungsstörung und zerebralen Bewegungsstörung, kann nicht sprechen, ist blind und an allen vier Gliedmaßen (inkomplett) gelähmt, so ist ein Schmerzensgeldkapital von 250.000 Euro und eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 Euro sowie zu-sätzlich eine monatliche Rente von 500 Euro wegen vermehrter Bedürfnisse nach § 843 BGB angemessen (LG Gießen 3. Zivilkammer, Urteil vom 30.09.2004, AZ: 3O 99/03).

Urteil 4: Keine Händedesinfektion vor Injektion

Der Arzt hatte zwei Patienten untersucht und dann, ohne zuvor seine Hände zu desinfi-zieren, bei einem weiteren Patienten die Spritze gesetzt. Das Gericht hat darin einen groben Behandlungsfehler gesehen. In Anbetracht der stets zu bedenkenden Infekti-onsgefahren sei das Unterlassen der gebotenen Desinfektion der Hände ein unter kei-nen Umständen verständliches und verantwortbares Versäumnis. Das Gericht hat wegen des groben Behandlungsfehlers eine Beweislastumkehr angenommen mit der Folge, dass der Arzt nachweisen müsse, dass die unterbliebene Desinfektion seiner Hände tat-sächlich nicht zum Eindringen von Bakterien in das Gewebe geführt hat. Der Arzt konnte im konkreten Fall den Nachweis nicht erbringen.Bei Pflegepersonen gilt entsprechendes. Auch sie würden bei schuldhafter fehlender Desinfektion zur Verantwortung gezogen, z.B. wenn eine Pflegekraft eine intramusku-läre Spritze gibt, ohne vorher die Einstichstelle zu desinfizieren. Das ist ein grober Be-handlungsfehler (OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.06.1987, VersR 1988, S. 40 f.).

FALLB E ISPI E LE U N D U R TE I LE