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Download Hiromi Kawakami Herr Nakano und die Frauen Roman · PDF fileHiromi Kawakami Herr Nakano und die Frauen Roman Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Kimiko Nakayama-Ziegler

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  • Hiromi Kawakami

    Herr Nakano und die Frauen

    Roman

    bersetzt aus dem Japanischen von Ursula Grfe, KimikoNakayama-Ziegler

    ISBN: 978-3-446-23274-7

    Weitere Informationen oder Bestellungen unter

    http://www.hanser.de/978-3-446-23274-7

    sowie im Buchhandel.

    Carl Hanser Verlag, Mnchen

    http://www.hanser.de/978-3-446-23274-7

  • In der Woche darauf hatten wir eine Menge Kundschaft undwaren von morgens bis abends beschftigt. Zwar ging es inHerrn Nakanos Laden nicht ein Drittel so hektisch zu wie indem Gemsegeschft in unserer Strae, aber zum Stickenblieb Masayo und mir dennoch keine Zeit.

    Wann fliegen Sie denn nach Boston?, fragte Takeo.Und berhaupt das hngt von Kurusu ab, antwortete

    Herr Nakano und verschwand im Hinterzimmer. Ratlos undmit verlorenem Ausdruck blieb Takeo in der Ladentr stehen,

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  • so dass ihn ein junger Kunde beim Eintreten rempelte. Er kamdas erste Mal und musterte Takeo misstrauisch.

    Hier . . ., sagte er und legte etwas in Zeitungspapier Ge-wickeltes neben der Kasse ab. Es hatte in etwa die Gre vondrei kleinen gebackenen Skartoffeln.

    Haruo! rief Masayo. Herr Nakano kam aus dem Hinter-zimmer geschlurft.

    Eine Zigarette im Mund, beobachtete Herr Nakano, wie derjunge Mann das Paket auswickelte. Asche fiel zu Boden. DerKunde hielt inne und sah Herrn Nakano missbilligend an.

    Ist das Seladon?, fragte Herr Nakano, unbeeindruckt vonseinem Blick.

    Antikes koreanisches Seladon, korrigierte ihn der Kunde.Aha, Pardon, entschuldigte sich Herr Nakano sofort. Der

    Kunde sah noch missbilligender drein.Es gibt Hndler, die sich mit solchen alten Dingen besser

    auskennen, sagte Herr Nakano und stellte die Keramik, dieetwa die Gre einer Reisschale hatte, behutsam auf seineHandflche. Dann legte er seine brennende Zigarette in denAschenbecher.

    Ich will sie eigentlich gar nicht verkaufen, sagte derKunde.

    Herr Nakano sah ihn fragend an. Der Kunde wandte fr einen Moment den Blick ab.

    Er war ein Mann mit schner Haut. Unter seiner Nase wuchsein dichter Flaum, kein Schnurrbart. Er trug einen gut ge-schneiderten dunkelblauen Anzug und dazu eine ebenfallsblaue Krawatte. Dem Anzug nach htte man ihn fr einen ehr-geizigen Angestellten in den Dreiigern halten knnen, aberwahrscheinlich war er viel jnger.

    Ich mache keine Expertisen. Herr Nakano drehte dieSchale um und betrachtete aufmerksam den Boden.

    Knnten Sie sie vielleicht in Ihrem Laden ausstellen?

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  • Ausstellen?Nun ja, einfach hinstellen, aber nicht verkaufen.Nur hinstellen?, wiederholte Herr Nakano und lachte. Er

    sah sich im Laden um. Auch Masayo und ich lieen unsereBlicke durch den Laden schweifen. Nur der Kunde starrte wei-ter auf seine Schale.

    Dieses Stck ist zu wertvoll fr unseren Laden. Sie sehendoch, was fr ein Durcheinander hier herrscht. So redeteHerr Nakano von seinem eigenen Laden.

    Der Mann lie den Kopf hngen. Herr Nakano griff nachder Zigarette im Aschenbecher und nahm einen tiefen Zug.Eine Weile sagte niemand etwas.

    Wohin bringen Sie Ihre Sachen denn sonst?, fragte Ma-sayo.

    Ich, also, ich war noch nie in einem Antiquittengeschft,stammelte der junge Mann unsicher.

    Und woher haben Sie die Schale?, fragte Herr Nakano.So redet man doch nicht mit einem Kunden, dachte ich.Von einer Bekannten, antwortete er und lie den Kopf

    noch tiefer hngen.Das hat doch sicher eine Geschichte?, sagte Masayo er-

    mu tigend. Der Mann hob das Gesicht und sah sie hilfesu-chend an.

    Erzhlen Sie nur, ermunterte sie ihn.Zaghaft und langsam begann der Kunde, die Geschichte

    der Schale zu erzhlen.

    Der junge Mann er hie Hagiwara hatte die Schale von sei-ner ehemaligen Freundin bekommen. Drei Jahre war er mitihr zusammengewesen. An eine Heirat hatte er nie gedacht.Er wollte sich einfach mit ihr amsieren, und so waren dreiJahre vergangen. Eines Tages unterbreitete ihm sein Vorge-setzter ein Heiratsangebot. Es hrte sich verlockend an. So-

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  • gleich teilte Hagiwara seiner bisherigen Freundin mit, dass siesich trennen mssten.

    Sie strubte sich eine Weile, aber schlielich gab sie auf,zwang ihn aber, ein Andenken an sie anzunehmen. Er htteverstanden, wenn sie sich ein Andenken von ihm gewnschthtte, aber dass er etwas von ihr haben sollte, erschien ihmseltsam. Doch ohne sich viel dabei zu denken, akzeptierte erdie Schale als Geschenk.

    Schon bald platzte die arrangierte Verlobung. Die Nichtedes Vorgesetzten, die er hatte heiraten sollen, war mit ihremFreund durchgebrannt. Etwa zur gleichen Zeit brach sich Ha-giwara das Schlsselbein. Nicht etwa beim Sport, sondern ein-fach so, als er sich im Bett herumdrehte. Auch in der Firmalief es auf einmal nicht mehr gut. Aufgrund von Personaln-derungen in der Verkaufsabteilung geriet er ins Abseits, undes wurde sogar gemunkelt, er habe eine Kollegin der Abtei-lung sexuell belstigt. Zu allem berfluss sollte das Haus, indem er wohnte, abgerissen werden, und ihm wurde gekndigt.

    All dies geschah, nachdem er die Schale bekommen hatte.Er versuchte nun, mit seiner frheren Freundin Verbindungaufzunehmen, um womglich zu ihr zurckzukehren, aberihre Handynummer stimmte nicht mehr. Ihre Mailadresseauch nicht. Sie war umgezogen und hatte berdies den Ar-beitsplatz gewechselt.

    Als er sich in seiner Not an einen Bekannten wandte, dersich als Hobby mit Wahrsagerei beschftigte, sagte ihm die-ser, die Schale sei an allem schuld. Da sie mit Groll angeflltsei, drfe er sie jedoch weder verkaufen noch bei sich behal-ten. Er msse sie jemandem zum Aufbewahren geben oderverleihen, was aber nicht hie, dass die Schale auf diese Weisevon dem Groll gereinigt wrde. Immerhin wre es besser, alsgar nichts zu unternehmen. Stockend rckte Herr Hagiwaramit dieser Geschichte heraus.

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  • Wenn es wirklich eine Seladonschale ist, muss sie sehr kost-bar sein. Ihre Freundin ist eine nette Person, sagte Masayo,als er zu Ende erzhlt hatte.

    Das ist doch nicht das Problem, warf Herr Nakano ein,aber Herr Hagiwara errtete ein wenig vor Freude ber Ma-sa yos Bemerkung.

    Ja, wirklich nett. Htte ich mich nur nie von ihr getrennt,sagte er und blickte zu Boden.

    Ganz recht, bekrftigte Masayo. Ein Mann soll sich nievon einer Frau trennen, mit der er einmal intim war.

    War das jetzt die Moral von der Geschichte? Ich sah HerrnHagiwara an, der heftig nickte. Herr Nakano seinerseitsschaute etwas verlegen drein. Wahrscheinlich dachte er anseine drei Pferdchen.

    Haruo, wie wre es, wenn du Sakiko die Schale fr Asu-kado gibst?, schlug Masayo mit auffllig gespannter Stimmevor. Herr Nakano blickte auf und sah unruhig nach rechtsund links.

    Ja, genau, so etwas gehrt in ein richtiges Antiquitten-geschft, erklrte sie und wickelte die koreanische Seladon-schale sorgfltig wieder in das Zeitungspapier. Herr Hagiwarasah zu. Ohne die Antwort ihres Bruders abzuwarten, nahmMasayo den Hrer ab. Asukado, Asukado, murmelte sie,whrend sie die Nummer drckte. Herr Nakano starrte sie mithalb geffnetem Mund von hinten an. Hagiwara und ich sa-hen ebenso sprachlos zu.

    Nachdem Masayo Sakiko angerufen hatte, dauerte es keineViertelstunde, bis sie kam.

    Guten Tag, sagte sie.Sakiko brauchte nur Guten Tag zu sagen, um diese schlichte

    Begrung wie einen Fluch oder einen Segen klingen zu las-sen. Welches von beidem es dieses Mal war, wusste ich nicht.

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  • Herr Hagiwara, der Kunde, um den es sich handelt. Ma-sayo deutete mit dem Kinn auf den jungen Mann. Im Gegen-satz zu Herrn Nakano sprach sie in einem hflichen Ton, aberihre Haltung gegenber Herrn Hagiwara lie doch sehr zuwnschen brig.

    Sakiko ffnete das Zeitungspapier. Ganz anders als HerrNakano oder Masayo ging sie uerst behutsam mit der Ke-ramik um.

    Das ist eine koreanische Seladonschale. Sie erkannte esauf den ersten Blick.

    Herr Hagiwara nickte brav.Ungefhr 300000 Yen wrde ich sagen, mit dieser Gla-

    sur, fgte sie hinzu.Ich wollte sie eigentlich nicht verkaufen, setzte er an,

    aber Masayo schaltete sich sofort ein und erzhlte die Ge-schichte.

    Groll, sagte Sakiko ruhig und sah Herrn Nakano an.Wre er nur im Hinterzimmer geblieben, aber er musste ja

    dumm herumstehen und dem ganzen Hin und Her zuhren.Und berhaupt, Sakiko, knntest du sie nicht bei Asukado

    ausstellen?, sagte er. Er hatte in seinem blichen Tonfall mitund berhaupt angefangen, aber am Ende klang er nichtmehr so zuversichtlich.

    Sakiko starrte ihn ausdruckslos an. Etwas mit einer sol-chen Geschichte kann ich auch nicht annehmen, erwidertesie kalt.

    Herrn Hagiwara war uerst unbehaglich zumute.Ach was, sagte Masayo frhlich, einen Groll hat doch je-

    der, was ist schon dabei.Sakiko, die bei Herrn Nakanos Worten ungerhrt geblie-

    ben war, erstarrte fr einen Moment.Bitte, nehmen Sie sie mit, flehte Herr Hagiwara Sakiko

    an. Sofort setzte sie wieder ihre ausdruckslose Miene auf.

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  • Oder wenn Sie sie nehmen, ist es mir auch recht, wandteer sich bittend an Herrn Nakano. Nein, sagte dieser undblies den Rauch aus. rgerlich drehte Herr Hagiwara sein Ge -sicht weg. Das Rauchen schien ihn mehr zu stren als HerrnNakanos dreister Ton.

    Wenn Sie mit 20000 Yen einverstanden sind, knnte ichsie mieten, sagte Sakiko leise.

    Wie mieten?, fragte Masayo laut.Da ich sie nicht kaufen kann, knnte Herr Hagiwara sie

    mir fr lngere Zeit vermieten. Sobald er seine Meinung n-dert, knnte er sie mir spter doch noch verkaufen, erklrteSakiko noch immer ausdruckslos.

    So richtig verstand ich es nicht. Auch Herrn Nakano undMasayo sah man ihre Ratlosigkeit an. Doch eingeschchtertvon Sakikos Klte, wagten sie nichts zu sagen.

    Das heit, ich darf Ihnen die Schale berlassen, und Siegeben mir 20000 Yen?, fragte Herr Hagiwara.

    Sie kriegen jetzt 20000 Yen, aber am Ende werden Sie IhreS