hessler_bilder zwischen kunst und wissenschaft

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Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG) is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Geschichte und Gesellschaft. http://www.jstor.org Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft. Neue Herausforderungen für die Forschung Author(s): Martina Heßler Source: Geschichte und Gesellschaft, 31. Jahrg., H. 2 (Apr. - Jun., 2005), pp. 266-292 Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG) Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40186229 Accessed: 14-03-2015 15:25 UTC Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. This content downloaded from 168.176.5.118 on Sat, 14 Mar 2015 15:25:12 UTC All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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HESSLER_Bilder Zwischen Kunst Und Wissenschaft

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    Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft. Neue Herausforderungen fr die Forschung Author(s): Martina Heler Source: Geschichte und Gesellschaft, 31. Jahrg., H. 2 (Apr. - Jun., 2005), pp. 266-292Published by: Vandenhoeck & Ruprecht (GmbH & Co. KG)Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40186229Accessed: 14-03-2015 15:25 UTC

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft

    Neue Herausforderungen fr die Forschung

    von Martina Heler

    Nachdem Bilder in den Geistes- und Kulturwissenschaften lange Zeit wie Stiefkinder behandelt wurden, erfahren sie seit einigen Jahren eine ungeahn- te Aufmerksamkeit. Kaum eine geisteswissenschaftliche Disziplin, die den Rufen eines pictorial", Visual" oder iconic turn" nicht folgen wrde und Bilder als Objekt der Forschung nicht entdeckt htte. Geschichtswissen- schaft, Philosophie, Kulturwissenschaften, Technikgeschichte sowie die Wissenschaftsforschung widmen sich gleichermaen dem Bild. Wenngleich noch nicht die Rede davon sein kann, dass Bilder als selbstverstndlicher Teil der historischen Analyse gelten, sind Historiker in diesem sich etablie- renden Forschungsfeld keineswegs nur Zuschauer. Das Feld der in den Ge- schichtswissenschaften behandelten Themen reicht von der Frage nach Bil- dern als Quelle, ber die Geschichte einzelner Medien wie Fotografie oder Film bis hin zu verschiedensten Visualisierungen von Macht, Staat oder Po- litik oder der Rolle von Bildern im Krieg. Zwar dominieren hierbei hufig kulturgeschichtliche Zugnge, die Bilder im Hinblick auf ihren Symbolge- halt, ihre Semantik, ihren Status als Reprsentationen oder ihre Wahrneh- mung hin untersuchen. Gleichwohl hielt Bernd Roeck krzlich der Neuen Kulturgeschichte zu Recht den Spiegel vor, indem er ihre Textorientiertheit und ihre Bilderlosigkeit beklagte, die sie nicht zuletzt wesentlich von der klassischen" Kulturgeschichte unterscheidet. Roeck forderte die Integra- tion von ,,Kunstwerke]n] im allgemeinen" und ,,Bilder[n] im besonderen" in die kulturhistorische Forschung und in die theoretische Reflexion.1 Dies verweist allerdings nicht nur darauf, dass die Geschichtswissenschaft in der Bilderfrage noch viel Arbeit leisten muss, sondern vor allem auch darauf, dass Historiker allein die neuen Herausforderungen von iconic" oder Visual turn" kaum bewltigen knnen, sondern die Perspektiven anderer Disziplinen integrieren mssen, um zu einem adquaten geschichtswissenschaftlichen Umgang mit Bildern zu gelangen. Whrend allerdings Bernd Roeck noch in aller Vorsicht die Prognose wagte, da der Blick auf Bilder bald ein groes Thema der , neuen Kulturhistoriker? sein wird"2 und damit den visual turn" in der Geschichtswissenschaft prophezeite, ist dies bereits in einem Zweig der

    1 B. Roeck, Visual turn? Kulturgeschichte und die Bilder, in: GG 29. 2003, S. 294-315, hier S. 295.

    2 Ebd., S. 313.

    Geschichte und Gesellschaft 31 (2005) S. 266-292 Vandenhoeck & Ruprecht 2005 ISSN 0340-613 X

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 267

    Geschichtswissenschaft, der vom mainstream der Historiker zumeist nur am Rande wahrgenommen wird, seit einigen Jahren der Fall: in der Wissen- schafts- und Technikgeschichte. Diese widmet sich, in enger Auseinanderset- zung mit Kunstwissenschaft, Kulturwissenschaft und wissenssoziologischen Anstzen, dem Phnomen der Visualisierungen und der Rolle von Bildern in der Wissenschaft. Besonders in jngster Zeit erschienen hier wegweisende Studien, die ein breites Forschungsfeld umspannen und deren erste Ergebnisse einige Selbstverstndlichkeiten ins Wanken geraten lieen. So entfachte die Entdeckung der Bilder als Forschungsgegenstand eine Debatte ber die ad- quate Methode ihrer Beschreibung und Interpretation sowie einen Diskurs zwischen den Disziplinen - vor allem zwischen der Kunst- und Wissenschafts- geschichte - ber die Notwendigkeit der Integration kunsthistorischer Per- spektiven in die Bildforschung. Herkmmliche Grenzziehungen werden al- lerdings nicht nur im Kontext eines Methodenstreits" auf ihre Gltigkeit befragt. Die Beschftigung mit Bildern fhrte auch zur Infragestellung der seit dem 18. Jahrhundert proklamierten Differenz von Kunst und Wissenschaft. Weiter beschftigen bildtheoretische Fragen sowie der epistemologische Rang des Bildes die Forschung; nicht zuletzt aktuelle Wissenschaftsbilder und ihr prekrer Status als Reprsentationen, die hufig auf theoretischen Model- len oder Berechnungen, nicht jedoch auf einer (visuellen) Referenz in der Wirklichkeit" beruhen, forderten zu neuen Betrachtungsweisen auf, die zu- gleich den Blick in die Vergangenheit zurcklenken. Die historische Rolle der Bilder in den Wissenschaften selbst wurde lange von der Forschung missach- tet und gert nun infolge der derzeitigen Auseinandersetzung der Geisteswis- senschaft mit dem Phnomen Bild genauso in den Fokus der Aufmerksamkeit wie die Prozesse ihrer Herstellung und die Erzeugung von Bildevidenz. Das breite Feld der Beschftigung mit Bildern in der Wissenschafts- und Technik- geschichte vollzieht sich in aufflliger Weise in einem interdisziplinren Dia- log mit der Kunstgeschichte, dessen produktives Potenzial im folgenden auf- gezeigt werden soll und der doch erst einen Anfang noch notwendiger For- schung und Zusammenarbeit darstellen kann.

    /. Ein turn"? Die Zahl der turns", die die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten ereilte, sollte skeptisch stimmen gegen die stete Ausrufung neu- er turns". Nach dem linguistic turn", dem cultural turn" folgte krzlich der spatial turn". Gleichermaen ist die Rede vom performative turn", auch vom body turn", vom medial turn" und schlielich vom iconic", pictorial" oder Visual turn". Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die eine Ka- tegorie, sei es die Sprache, der Raum, der Krper oder das Performative" erfhrt, kann es jedoch nicht allein rechtfertigen, von einem turn" zu spre- chen. Bei der Ausrufung verschiedenster turns" in den letzten dreiig Jah- ren changierte der Begriff von seiner Verwendung zur Indikation eines tat- schlichen Paradigmenwechsels, wie es beim linguistic turn" der Fall war, der erkenntnistheoretische Gewissheiten erodieren lie und den Text in den

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  • 268 Martina Heler

    Status eines erkenntnistheoretischen Konstituens zu heben trachtete, ber das ernsthafte Bemhen, sich mit einem Phnomen (wie nun den Bildern) auseinander zu setzen und nach dessen Rolle und Bedeutung fr Erkenntnis, fr Wissenschaft und Gesellschaft zu fragen, bis hin zu rein politisch lan- cierten turns", die ein bestimmtes Forschungsfeld mit einer erheblichen Wichtigkeit zu adeln versuchten. Letztlich fehlen uns jedoch klare Kriterien, wann von einem turn" zu spre- chen sei und wann nicht. Sinnvoll scheint es daher, sich noch einmal der Begriffe zu vergewissern. Geprgt wurden die Termini iconic" und picto- rial turn" zu Beginn der 90er Jahre von Gottfried Boehm und William T. J. Mitchell. Seitdem ist vom iconic" oder pictorial turn" in den verschiedens- ten Disziplinen die Rede, so auch in der Geschichtswissenschaft, beispiels- weise sprach David Gugerli 1999 vom pictorial turn"3 oder Bernd Roeck krzlich in Geschichte und Gesellschaft" vom visual turn". Gottfried Boehm entwarf den Begriff iconic turn" in seinem Aufsatz Die Wiederkehr der Bilder" in Anlehnung an den und in Auseinandersetzung mit dem linguistic turn".4 Zwar sei die Philosophie durch die Orientierung am Logos lange Zeit daran gehindert gewesen, dem Bild die gleiche Aufmerk- samkeit zuzugestehen wie der Sprache, gleichwohl habe schlielich das Problem der Sprache im Sinne ihrer Uneindeutigkeit, ihrer Bildhaftigkeit und ihrer Metaphorizitt, wie es in der Philosophie Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts diskutiert wurde, zu einer Rckkehr der Bilder gefhrt, die Boehm als ikonische Wendung" bezeichnete.5 Mithin verortet Boehm die Rckkehr der Bilder im philosophischen Argumentieren in der Hinwendung zur Metapher, die aus dem radikalen Zweifel an einer referen- ziellen Beziehung des Menschen zur Welt resultierte. Es sei die Befragung der Sprache gewesen, die der ihr innewohnenden Bildpotenz Nachdruck ver- schaffte und damit den linguistic turn" in einen iconic turn" berleitete. Vor allem in Ludwig Wittgensteins Konzept des Sprachspiels", das auf der Familienhnlichkeit" von Begriffen basiere und reklamiere, dass sich Be- griffe mittels hnlichkeiten anstelle strenger Regeln der Logik verbinden, sieht Boehm eine Rckkehr der Bilder. Denn hnlichkeiten, so Boehm, sti- mulieren eine vergleichende Wahrnehmung, sie appellieren strker ans Auge als an den abstrakten Verstand."6 Somit leitet Boehm den iconic turn" von der Bildhaftigkeit der Sprache her, um schlielich daraus sein Programm der Eigenstndigkeit des Bildes, der genuin bildlichen Logik, nmlich der iko- nischen Differenz"7 zu entwickeln.

    3 D. Gugerli, Soziotechnische Evidenzen. Der pictorial turn" als Chance fr die Ge- schichtswissenschaft, in: Traverse. Zeitschrift fr Geschichte 6. 1999, 3, S. 131-59.

    4 G. Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: ders, Was ist ein Bild? Mnchen 1 994, S. 1 1-38. 5 Ebd., S. 13. 6 Ebd., S. 14. 7 Ebd., bes. S. 30 ff.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 269

    Auch Mitchell konstatierte in seinem begriffsprgenden Aufsatz, der in erwei- terter Form 1994 in seinem Buch Picture Theory" erschien, einen pictorial turn" in der Gegenwartskultur.8 Er fhrte diesen gleichfalls auf den linguistic turn" zurck, wenngleich in anderer Weise als Boehm. Mitchell sieht die Wur- zeln des pictorial turn" in jenen Traditionen, die, wie beispielsweise Charles S. Peirce und Nelson Goodman, nicht vom Primat des Sprachlichen, sondern von einem allgemein Symbolischen her gedacht htten, weiter in der Phno- menologie sowie in der Frankfurter Schule und deren Beschftigung mit der Massenkultur. Wie Gottfried Boehm rekurriert auch Mitchell auf die Arbeiten Wittgensteins, wobei er allerdings nicht bei dessen spteren Konzept des Sprachspiels" ansetzt. Vielmehr meint er - auf die im Tractatus" entwickelte Bildtheorie verweisend - eine Entwicklung Wittgensteins vom Entwurf einer Bildtheorie zu Beginn seines Schaffens hin zu einem ikonoklastischen Den- ken der Sptzeit zu beobachten. hnliche ikonoklastische Tendenzen mahnt Mitchell auch bei Rorty an, dem Protagonisten des linguistic turn".9 Der pictorial turn", so nun die These Mitchells, zeige sich aber gerade an diesem Unbehagen am Bild, am Bildhaften der Sprache und der damit verbundenen Prferierung der Sprache, die zugleich immer mit dem Versuch der Unterwer- fung des Bildes verbunden gewesen sei. Symptome eines virulent werdenden pictorial turn" seien ikonoklastische Bewegungen und die Anstrengungen, sich einmal mehr der berlegenheit von Sprache und Diskurs gegenber dem Visuellen zu versichern.10 This anxiety, this need to defend ,our speech' against ,the Visual' is, I want to suggest, a sure sign that a pictorial turn is taking place."11 Mitchells Argumentation basiert gleichsam auf einer psycho- analytischen Denkfigur, nach der das durch die Sprache verdrngte Bild schlielich doch an die Oberflche gert und sich vehement einen Platz ver- schafft. Auf diese Weise werden Sprachphilosophen zu Ikonoklasten, die wi- der Willen die Basis zu einem pictorial turn" schufen. Sowohl Gottfried Boehms Beobachtungen als auch Mitchells These rufen allerdings die Frage hervor, warum diese an der Sprache und am Logos orientierte Tradition der Bildunterwerfung gerade heute die Rede von einem pictorial turn" hervorbringt, zumal es sich bei der Depravierung des Bildes um eine Jahrhunderte alte Tradition handelt. Mitchell verweist hier auf die Allgegenwart neuer Medien, die das Bilderrepertoire in vllig neuer Weise erweitert htten und zugleich die Gewissheit ber Status und Funktionieren der Bilder erodieren lieen.12 Mithin gerieten die Verdrngungsstrategien des

    8 W. J. T. Mitchell, The Pictorial Turn, in: ders., Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation. Chicago 1994, S. 11-34, hier S. 12 ff.

    9 Ebd., S. 12. 10 Gesprch mit W. J.T. Mitchell, in: Springerin. Hefte fr Gegenwartskunst 4. 1998, Heft

    2, S. 18-21. 11 Ebd., S. 12 f. 12 Mitchell verweist allerdings zugleich darauf, dass - auch wenn Zusammenhnge zwi-

    schen einem pictorial turn" und neuen visuellen Technologien bestnden - sich das

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  • 270 Martina Heler

    Bildes, wie sie die Geistesgeschichte lange prgten, an ein Ende, man knne dem Problem des Visuellen schlichtweg nicht mehr ausweichen, die bislang bliche Strategie der Eindmmung sei nicht mehr mglich. Vielmehr sei ein weiteres Kennzeichen des pictorial turn", dass Bildern, Medien und visu- ellen Reprsentationen nun ein bertriebener Status zugesprochen werde.13 Beide Begriffsbildungen, pictorial turn" wie iconic turn", verweisen mithin auf eine Auseinandersetzung mit dem Sprachparadigma sowie auf Versuche einer Neubestimmung des Status des Bildes. Sie waren mit dem Anspruch ver- bunden, in kritischen und historischen Untersuchungen der Rolle des Visuellen auf verschiedenen Ebenen - wie beispielsweise in der Wissenschaft, den Me- dien oder der philosophischen Reflexion - nachzugehen. Analog zum linguis- tic turn" wird nun nicht nur dem Text, sondern auch den Bildern eine bedeu- tende Rolle in der Erkenntnisgewinnung und der Erzeugung von Bedeutung zugeschrieben, womit vielerlei bildtheoretische Fragen aufgeworfen sind. Zu- dem besteht, ber die innerwissenschaftliche Debatte hinaus, der Eindruck, wir seien heute in ungekannter Weise von Bildern umgeben, ohne dass wir ber ein ausreichendes theoretisches Repertoire zu ihrer Beschreibung oder ber histo- risches Wissen ber ihre gesellschaftliche Rolle verfgen wrden. Letzteres scheint nun allerdings fr die heutige Beschftigung mit dem Bild und die Ausrufung eines turns" wesentlicher zu sein als die innerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen um Bild und Sprache. Denn nicht zuletzt die Verunsi- cherungen der Gegenwart bringen die Forschungsfragen, auch der Geschichts- wissenschaft, hervor. Entsprechend sind die verschiedensten Disziplinen mit dem Problem des Bildes befasst. Als etwa der Technikhistoriker David Gugerli, auf Mitchell verweisend, 1999 in einem Aufsatz vom pictorial turn" in der Geschichtswissenschaft sprach,14 geschah dies in der doppelten Absicht, die gesellschaftsrelevante Funktion von Bildern als generalisierbare Kommunika- tionsmittel zu historisieren und dabei gleichzeitig den heuristischen Wert von Visualisierungen zu bestimmen".15 Er schtzte die zu beobachtende Bilderflut wie die Bemhungen um eine theoretische Neufassung des Bildes als Heraus- forderung ein, die der Gesellschaftsgeschichte neue methodische Impulse ver- leihen knnten. Die Geschichtswissenschaft msse Bilder vor allem im Kon- text ihrer technischen Herstellungsweisen und ihrer gesellschaftlichen Wahr- nehmungsformen analysieren und sich der genuin historischen Frage widmen, wie Evidenz von Bildern entsteht.16 Wie die Herausforderungen durch die Bilder in den Geisteswissenschaften aufgenommen wurden, inwieweit es nun tatschlich berechtigt ist, von ei-

    Phnomen eines pictorial turns" nicht auf das 20. Jahrhundert beschrnken lasse. Viel- mehr, so Mitchell, drfte es, kulturgeschichtlich betrachtet, schon mehrere pictorial turns" gegeben haben.

    13 Ebd. 14 Gugerli, Soziotechnische Evidenzen. 15 Ebd., S. 132. 16 Ebd.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 27 1

    nem pictorial" oder iconic" turn zu sprechen, soll am Beispiel jngerer Publikationen betrachtet werden. Offensichtlich ist, dass der iconic turn", wenn er denn tatschlich ein turn" ist, mehr umfassen msste als die Tat- sache, dass die Zahl der Bilder in unserer Gesellschaft gestiegen ist und sie daher eine besondere Aufmerksamkeit erfahren.

    //. Methodenstreit". In dem Mae, in dem Bilder Gegenstand ffentlicher und wissenschaftlicher Debatten werden, sind nicht nur die verschiedensten Disziplinen mit ihnen beschftigt, es entsteht vor allem ein Diskurs ber den adquaten Umgang mit Bildern, ber die Art und Weise ihrer theoretischen Fassung und methodischen Betrachtung. In der Geschichtswissenschaft ist unreflektierte Verwendung von Bildern als pure Illustration eines Textes oder der naive Glaube an die Objektivitt", wie sie beispielsweise Fotogra- fien zugeschrieben wurde, inzwischen vielfach angeprangert worden und Reflexionen um den Status der Bilder in der Geschichtswissenschaft gewi- chen. Hatte sich die Geschichtsschreibung der Frhen Neuzeit bereits frher mit Bildern beschftigt, so geschieht dies inzwischen auch in weitaus gr- erem Mae in der Zeitgeschichte, wie Tagungen und Sammelbnde anzei- gen.17 Unterschiedliche Schwerpunkte lassen sich dabei beobachten: Erstens wurde die selbstreflexive Frage des Umgangs der Historiker mit Bildern, im besonderen mit Kunst, gestellt, die Francis Haskeil in seinem Buch Die Geschichte und ihre Bilder" zu beantworten suchte.18 Zweitens beschftigen sich Historiker in jngster Zeit, wie eingangs schon angedeutet, mit Bildern in gesellschaftlicher Kommunikation, ihrem Reprsentationscharakter, ihrer Funktion zur historischen Sinnstiftung oder ihrem Symbolcharakter. Schlielich ist, drittens, die Geschichtswissenschaft mit der fr sie wichti- gen Frage nach Bildern als Quelle befasst. Dabei gilt die Ikonologie in An- lehnung an Warburg und Panofsky als methodisch fundierte Bildanalyse. Vor allem nach ihrer Weiterentwicklung im Umkreis der Historischen Bild- forschung um Rainer Wohlfeil Anfang der 80er Jahre wird der ikonologische Dreischritt bestehend aus vorikonografischer, ikonografischer und ikonolo- gischer Ebene zur Bildinterpretation angewandt.19 Jens Jger fasste krzlich die Ziele einer Historischen Bildforschung folgendermaen zusammen:

    17 Exemplarisch seien genannt: Arbeitskreis Historische Bildforschung (Hg.), Der Krieg im Bild - Bilder vom Krieg. Hamburger Beitrge zur Historischen Bildforschung, Frankfurt 2003; das am 677. Dezember 2002 vom Arbeitskreis fr Historische Bildforschung ver- anstaltete Symposium Fotografie und Nation - Nationale Fotografie"; die Tagung Die DDR im Bild", veranstaltet von der Arbeitsstelle fr Historische Anthropologie des MPI fr Geschichte an der Universitt Erfurt am 22724. Mai 2003.

    1 8 F. Haskeil, Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit. Mnchen 1995; dazu: W. Hardtwig, Der Historiker und die Bilder. berlegungen zu Fran- cis Haskell, in: GG 24. 1998, S. 305-322.

    19 Vgl. z.B. R. Wohlfeil, Methodische Reflexionen zur Historischen Bildkunde, in: ZHF, Beiheft 12. 1991, S. 17-35.

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  • 272 Martina Heler

    Historische Bildforschung zielt also nicht auf eine wesensmige Erfas- sung bestimmter Bildtypen, sondern auf die historische Bedingtheit und Be- deutung der Bilder und ihre Wahrnehmung sowie auf ihre gesellschaftliche, kulturelle und soziale Rolle in sich wandelnden zeitlich-rumlichen Kon- stellationen".20 Ganz in diesem Sinne behandeln Historiker Bilder in der Regel als historisches Dokument, ohne dass die Bilder als Bilder Beachtung finden. Ihre Formgebung, ihre sthetik, ihre Produktionsbedingungen, die Instrumente ihrer Erzeugung, ihr inszenatorischer Charakter sowie die bild- spezifischen Mittel zur Sinnerzeugung erfahren in der Regel keine Aufmerk- samkeit. Bilder werden zumeist gewissermaen inhaltistisch" gelesen, ohne dass der sthetik eine sinngebende Rolle zugedacht wird. Wurde dies bereits innerhalb der Geschichtswissenschaft von wenigen kritisiert, indem beispielsweise Gerhard Oexle darauf verwies, Historiker mssten bei ih- rem Blick auf die Bilder knftig wohl mehr leisten, als diese nur auf ihren historischen Zeugniswert zu interpretieren",21 so erhob vor allem die Kunst- geschichte angesichts dieser - aus ihrer Sicht unzulnglichen - Art und Wei- se der Beschftigung mit Bildern ihre Stimme, um gegen die Missachtung des Bildlichen die Eigenstndigkeit des Bildes hervorzuheben. Diesem Zweck soll auch das Jahrbuch dienen, dass Horst Bredekamp und Gabriele Werner 2003 grndeten, die Bilderwelten des Wissens", das sich im Unter- titel als Kunsthistorisches Jahrbuch fr Bildkritik" zu erkennen gibt.22 Die Begrndung fr das Jahrbuch liege, so die Herausgeber, darin, dass die Spe- zifik des Ikonischen, nmlich Form zu sein, oftmals nicht nur unterbewertet, sondern geradezu ausgeblendet werde. Die Herausgeber reklamieren die Gewissheit, da sich die visuellen Gehalte und Wirkungen, sei es im Be- reich der Kunst, der Wissenschaft oder der Politik, ohne die Errterung der Formen und ihrer Geschichte schlechterdings nicht erklren lieen".23 Die Kunstgeschichte beharrt damit nicht nur auf der Notwendigkeit der Beach- tung der Formanalyse zum Verstndnis von Bildern, zugleich dehnt sie ihren eigenen Untersuchungsbereich aus. Programmatisch kann auch hier das er- whnte neu gegrndete Jahrbuch verstanden werden, das den Anspruch deutlich macht, Bilder verschiedenster Herkunft der kunsthistorischen Kri- tik auszusetzen: Bilderwelten" umfasse alle Bildarten der Geisteswissen- schaften, der Massenmedien und der Populrkultur, der Naturwissenschaft

    20 J. Jger, Photographie: Bilder der Neuzeit. Einfhrung in die Historische Bildforschung. Tbingen 2000. S. 12.

    21 O.G. Oexle, Vorwort, in: ders. (Hg.), Der Blick auf die Bilder. Kunstgeschichte und Geschichte im Gesprch. Gttingen 1997, S. 5. Vgl. dazu auch K. Krger, Geschichtlich- keit und Autonomie. Die sthetik des Bildes als Gegenstand historischer Erfahrung, in: Oexle (Hg.), Der Blick, S. 55-86. Haskell sprach davon, man habe Historikern oft zu Recht vorgeworfen, sie verlieen sich grob und unsensibel auf die Ikonografie. Vgl. Haskell, Geschichte, S. 10.

    22 Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch fr Bildkritik 1. 2003. 23 H. Bredekamp u. G. Werner, Editorial, in: Bildwelten 1. 2003, S.7.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 273

    und der Technikgeschichte, so die Herausgeber. Das erste Heft startet denn auch mit Aufstzen zu Prnataldiagnostik, Militrwesen, Massenmedien und Satellitenfotografie. Nun verweist die Vehemenz, mit der die Kunstgeschichte sich derzeit zu Wort meldet, jedoch zugleich auf die Infragestellung ihrer Zustndigkeit. Denn whrend die Kunstgeschichte derart auf ihre Kompetenzen pocht und ihr Terrain ausweitet, machen das neu erwachte Interesse an Bildern in an- deren Disziplinen und vor allem die Debatten um die Konstituierung und Institutionalisierung einer Bildwissenschaft ihr das Revier streitig. Beson- ders die Wissenschafts- und Technikgeschichte hat ihrerseits die bislang missachteten Wissens- und Technikbilder in den Mittelpunkt ihrer For- schung gerckt und betrachtet deren Rolle in der Wissenschaft, ihre Bedeu- tung fr die Erkenntnisgewinnung, die Prozesse ihrer Herstellung und auch die Visualisierungstechniken, die berhaupt erst die Bildherstellung ermg- lichen. So kommt es bei der Betrachtung von Bildern in Wissenschaft und Technik zu einer neuen Art der berschneidung der Forschungsfelder. Die Beschftigung mit dem Bild fhrt zum Aufweichen der traditionellen Dis- ziplinengrenzen, zu neuen Forschungsthemen, die zwischen den Disziplinen angesiedelt sind, und vor allem auch, wie im folgenden zu sehen sein wird, zu produktiven Streitigkeiten in einem interdisziplinren Diskurs.

    ///. Wissenschaft und Kunst: eine alte neue Verbindung. Kunst und Natur- wissenschaften galten als zwei separierte Welten, die nach unterschiedlichen Logiken funktionieren, unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedli- chen Zwecken dienen. Wird der Wissenschaft gemeinhin das Rationale, In- strumentelle und Kognitive zugeordnet, so steht die Kunst fr das Schpfe- rische, Sinnliche und Intuitive. Die Ausdifferenzierung von Kunst und Wis- senschaft in polare Sphren vollzog sich, so die gngige Vorstellung, im 18. Jahrhundert. Seitdem bestehen sie in unserer Wahrnehmung un verbun- den nebeneinander und sind zudem das Forschungsobjekt verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen. In jngster Zeit wurden jedoch die strikte Unterschiedlichkeit der beiden Bereiche und damit auch die Zustn- digkeiten der Disziplinen theoretisch hinterfragt wie auch praktisch ent- grenzt. Gerade heute lassen sich in ganz neuer Weise Annherungen und berschneidungen zwischen Wissenschaft und Kunst beobachten. Whrend sich beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Feuilleton naturwissenschaftlichen Themen widmet, verffentlicht die renommierte Zeitung Nature" Essays des Kunsthistorikers Martin Kemp.24 Zudem ver- suchen sich Wissenschaftsbilder in ihrer aufflligen sthetisierung zwi- schen Kunst und Wissenschaft anzusiedeln. So publizieren Wissenschaftler

    24 Diese wurden inzwischen publiziert: M. Kemp, Bilderwissen. Die Anschaulichkeit natur- wissenschaftlicher Phnomene. Kln 2003.

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  • 274 Martina Heler

    im Internet Art Galleries" ihrer wissenschaftlichen Bilder,25 whrend sich Knstler naturwissenschaftlichen Theorien widmen.26 Nicht zuletzt die 7 Hgel"- Ausstellung in Berlin suchte den spielerischen Kontakt von Wissen- schaft und Kunst.27 Zwar war die Verbindung von Wissenschaft und Kunst bereits zuvor Thema der Forschung, indem sie beispielsweise im Hinblick auf die Bedeutung der kreativen Intuition diskutiert wurde; zudem stilisierten sich auch Techniker und Ingenieure um 1900 als Knstler und die Technik als Kunstwerk".28 Das neu erwachte Interesse an der Trennung bzw. den Verbindungslinien zwischen Kunst und Wissenschaft resultierte jedoch zweifellos in hohem Mae aus der Beschftigung mit Bildern. Heutige Erfahrungen einer alltg- lichen Konfrontation mit einer bislang unbekannten Anzahl von Bildern wie auch mit deren neuer Qualitt, lenkten dabei das Interesse auch zurck auf die Rolle von Bildern zwischen Kunst und Wissenschaft in frheren Epo- chen. So betonte Barbara Stafford in ihrem Buch Kunstvolle Wissenschaft" die Konvergenzen von Kunst und Wissenschaft und zeigte vor allem die visuelle Orientierung der Wissenschaft im 18. Jahrhundert auf. Die visuelle Bildung der Frhen Neuzeit, so Stafford, habe sich an den Schnittstellen zwischen Kunst und Technik, Spiel und wissenschaftlichem Experiment, Bild und Sprache" befunden.29 Gottfried Boehm verwies darauf, dass Leo- nardo da Vincis wissenschaftliche Zeichnungen an der Schnittstelle wissen- schaftlicher Bilder und der Malerei lagen. Das naturforschende Sachinte- resse geht in ein anderes, ein knstlerisches ber, dessen Maxime es war, anschauliche Bildkrper zu produzieren", so Gottfried Boehm.30 Um solche Konvergenzen von Wissenschaft und Kunst ausfindig zu machen, ist es allerdings unerlsslich, angestammte Sichtweisen zu verlassen und die Disziplinengrenzen zu berschreiten. Einige Publikationen leisten einen

    25 http://www.csc.fi/chem/gallery.phtml 26 So z. B. das Zentrum fr Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, das sich mit neuen

    Technologien wie auch naturwissenschaftlichen Theorien auseinandersetzt. Weitere Bei- spiele beschreibt z. B. M. Lindner, Kunst im Gentech-Zoo, in: Gegenworte. Zeitschrift fr den Disput ber Wissen. 5. 2002, S. 71-74.

    27 Vgl z. B.M. Kampmeyer-Kding, 7 Hgel - Spielerische Kontakte zwischen Kunst und Wissenschaft, in: Gegenworte. Zeitschrift fr den Disput ber Wissen 5. 2002, S. 37^0.

    28 Vgl. z. B. U. Eco, Hrner, Hufe, Sohlen. Einige Hypothesen zu drei Abduktionstypen, in: ders. U. T. A. Sebeok (Hg.), Der Zirkel oder Im Zeichen der Drei. Dubin, Holmes, Peirce, Mnchen 1985, S. 288-320, vor allem S. 314; T. Rohkrmer, Eine andere Moderne. Zi- vilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880-1933, Paderborn 1999, bes. S.66f.

    29 B. Maria Stafford, Kunstvolle Wissenschaft. Aufklrung, Unterhaltung und der Nieder- gang der visuellen Bildung, Amsterdam 1998, S. 14.

    30 G. Boehm, Zwischen Auge und Hand: Bilder als Instrumente der Erkenntnis, in: J. Huber u. M. Heller (Hg.), Konstruktionen Sichtbarkeiten, Wien 1999, S. 215-27, hier S.223. Vgl. dazu auch F. Fehrenbach (Hg.), Leonardo da Vinci. Natur im bergang, Mnchen 2002.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 275

    Beitrag hierzu, indem sie ihr Untersuchungsfeld erweitern und neue Gegen- stnde integrieren, wie beispielsweise ein vom Kunsthistoriker Hans Hol- lnder herausgegebener Sammelband, der sich mit Wissenschafts- und Tech- nikbildern in der Zeit vom spten Mittelalter bis zum 18./19. Jahrhundert beschftigt.31 Der Band, ein von der DFG gefrdertes Projekt, kritisiert die Verengung der Kunstgeschichte und stellt gewissermaen programmatisch die technische Zeichnung und das Funktionsdiagramm gleichberechtigt ne- ben die perspektivische Abbildung und das sakrale Bild.32 Aus dieser Per- spektive heraus machte der Band den Tatbestand, dass naturwissenschaft- liche und technische Darstellungen der Neuzeit nur sehr selten berhaupt als kunsthistorisch interessante Gegenstnde" wahrgenommen wurden oder je- denfalls nur dann, wenn sie sich auch einwandfrei als sthetische Gegen- stnde dem Erwartungshorizont der Kunstgeschichte einfgen lieen"33 zum Ausgangspunkt innovativer Forschungen, die eine fast 1000 Seiten umfas- sende Publikation hervorbrachten. Auch wenn Hollnder das Projekt ein- gangs als interdisziplinres Unternehmen bezeichnet und sich die Kunstge- schichte hier zweifellos einem neuen Feld ffnet und damit einen neuen Gegenstand, nmlich Wissenschafts- und Technikbilder gewissermaen ein- verleibt, verbleibt der Band in seiner Methodik doch stark in der Kunstge- schichte. Schlielich berlsst das beeindruckende Projekt, das zweifellos wegweisende Arbeit geleistet hat, weiterer Forschung ein Desiderat, indem die Untersuchungsphase - von wenigen Beitrgen, die das 19. Jahrhundert streifen, abgesehen - mit dem 18. Jahrhundert, also dem Zeitpunkt, an dem Kunst und Wissenschaft/Technik ausdifferenzierten, endet. Es bleibt damit weiteren Studien berlassen, ber diese in der Forschung bislang gltige Zeitschwelle hinaus nach Verwandtschaften, hnlichkeiten und Gemein- samkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft zu fahnden. Andere Publikationen, wie die von Peter Galison und Caroline A. Jones, stellen die Grenzziehung von Wissenschafts- und Kunstgeschichte in ande- rer Weise in Frage, indem sie nmlich die eindeutige Zuordenbarkeit der Dinge in eine Disziplin bezweifeln und daraus neue methodische Herange- hensweisen formulieren: Do the alligators that hang from the ceiling in the late Renaissance cabinet of wonders [. . .] form part of the history of scien- tific classification, or part of the history of aesthetics? [. . .] Did early pho- tographs of mammals in motion serve primarily to educate the eye, or to provide raw data for physiologists?"34 An diese Uneindeutigkeiten" an- schlieend versucht der Band zu erkunden, wie Kunsthistoriker, Wissen-

    31 H. Hollnder (Hg.), Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaft und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2000.

    32 Ders., Spielformen der Mathesis universalis, in: ders., Erkenntnis, S. 325-45, hier S. 335. 33 Ders., Einfhrung, in: ders., Erkenntnis, S. 9-15, hier S. 9. 34 C. A. Jones u. P. Galison, Introduction, in: dies. (Hg.), Picturing Science, Producing Art,

    London 1998, S. 1.

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  • 276 Martina Heler

    Schaftshistoriker, Philosophen und Kulturhistoriker in ihren Methoden und Fragestellungen voneinander lernen knnen. Die Herausgeber postulieren, quer zu disziplinren Orientierungen zu denken. Entsprechend formulieren sie die wesentliche historische Frage ihrer Publikation folgendermaen: What are the conditions under which objects become visible in culture, and in what manner are such visibilities characterized as ,science* or ,art'?"35 Mithin wird vom Gegenstand, vom Bild ausgegangen und gefragt, welche historischen Umstnde es jeweils zum wissenschaftlichen oder zum knst- lerischen Bild machen. Der Band, zu dem renommierte Autoren wie Lorraine Daston, Carlo Ginzburg, Donna Haraway und Simon Shaffer beitrugen, ver- deutlicht, wie sich ein gemeinsames Arbeitsfeld zwischen verschiedenen Disziplinen etabliert, das die Historizitt wie die Konstruiertheit der Dicho- tomie von Wissenschaft und Kunst reklamiert. Damit sind neue Perspektiven dieses Forschungsfeldes erffnet, die zuknftig noch zu fllen wren. Nicht zuletzt die jngste Entwicklung von forschenden Knstlern" und Kunst- hochschulen, die ihre Forschungsanteile" strken mssen,36 verweisen auf die Aktualitt des Themas, das es historisch wie aktuell auf berschneidun- gen, aber auch auf Unterschiede und Grenzen und letztlich vor allem auf das jeweilige Verstndnis von Forschung und Erkenntnis hin zu befragen gilt. Einen Schritt in diese Richtung liefert das sicherlich auch provozierende Buch des Oxforder Kunsthistorikers Martin Kemp, das sich den Schnittstel- len von sthetischer und wissenschaftlicher Produktion widmet.37 Indem die zweiundsiebzig, jeweils sehr kurzen Essays von Leonardos Zeichnungen ber Bilder Vermeers, biologischen Illustrationen des 18. Jahrhunderts, Ar- beiten von James Turell bis zu physikalischen Modellen des Atomzeitalters reichen, scheint ein verwirrendes Sammelsurium unterschiedlichster Bilder in den Blick zu geraten. Lsst man die vielen spannenden empirischen Ver- weise auf berschneidungen und Verwandtschaften von knstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit - wie, um nur eines zu nennen, das Beispiel der Chemiker, die Buckminster Fllers geodtischen Kuppelbau als Muster zur Modellierung der Bindungsstruktur hoch komplexer Kohlenstoffmolekle38 nutzten

    -, auen vor, und versucht das vielschichtige Buch zusammenzufas- sen, so lassen sich zwei wesentliche Thesen Kemps formulieren, die zwei- fellos ins Zentrum der Frage nach den Verbindungen von Wissenschaft und Kunst zielen. Zum einen prgt Kemp den Begriff der strukturellen Intui- tion,"39 der den Wahrnehmungsakt beschreiben soll. Dieser werde durch eine

    35 Jones u. Galison, Introduction, S. 1. 36 Zu den spezifischen Formen knstlerischer Forschung" vgl. A. Goehler u. G. Hrn,

    David und Goliath, in: Gegenworte. Zeitschrift fr den Disput ber Wissen 5. 2002, S. 50-54.

    37 Kemp, Bilderwissen. 38 Ebd., S. 189-92. 39 Ebd., S. 12.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 277

    ganze Reihe von Faktoren bestimmt, nmlich durch gespeicherte Wahrneh- mungserfahrung, Selektion, vorgefasste Interpretationskriterien, physikali- sche Parameter unseres Sinnesapparates, vor allem aber durch Tiefenstruk- turen, die genetisch bedingt seien, whrend die jeweilige Realisierung der Tiefenstrukturen durch Sinneserfahrung und Erfahrung anderer Art geprgt sei.40 Indem er der strukturellen Intuition" eine zentrale Bedeutung zu- schreibt, konzipiert Kemp den Menschen als ein von Natur aus sthetisches Wesen: Die strukturelle Intuition" sei eine anthropologische Konstante, die zugleich aber auch kulturell beeinflussbar sei. Kemp exemplifiziert diese These anhand einer aufflligen und historisch durchgngigen Kongruenz der knstlerischen und wissenschaftlichen Bildproduktionen; er ist auf der Su- che nach gemeinsamen Motiven in den imaginativen Welten der Knstler und der Wissenschaftler".41 Whrend man ber den Begriff der strukturel- len Intuition" sicherlich trefflich streiten kann, lenkt Kemp den Blick aller- dings auf Konvergenzen in den Herstellungsprozessen von Wissenschaft und Kunst, die weiter zu befragen und schlielich auch in ihren Differenzen zu analysieren wren. Zum anderen betont Kemp - und hier erffnet sich zwei- fellos ein wichtiges Arbeitsfeld -, dass Stil eine Kategorie des wissenschaft- lichen Denkens sei, denn ein visuelles Erzeugnis resultiere aus der Wahl eines bestimmten Designs oder einer bestimmten Prsentationsform, der im- mer eine Entscheidung fr eine Stil- Alternative zugrunde liege. Der Stil, so die These Kemps, sei bei wissenschaftlichen Artefakten fr die Vermittlung von Inhalt und Bedeutung nicht weniger entscheidend als bei Kunstwerken. Dies versucht Kemp unter anderem am Beispiel des Watson-Crick-Modells zu beweisen.42 Die These, dass Stile" fr naturwissenschaftliches Arbeiten von Bedeutung seien, mag nun Wissenschaftshistoriker, die mit der Idee des Denkstils seit Ludwik Flecks Studie von 1935 und vor allem aufgrund der jngeren wis- senschaftshistorischen Arbeiten, wie beispielsweise den Studien von Hans- Jrg Rheinberger, vertraut sind, auf den ersten Blick nicht berraschen.43 Befassten sich diese Studien mit der Art und Weise experimenteller Praxis, wurde allerdings die Frage im Hinblick auf Darstellungssle bislang kaum gestellt. Inwieweit Diagramme, Grafen, wissenschaftliche Zeichnung oder auch Computerbilder einen sich historisch wandelnden Stil aufweisen, der wesentlich fr die wissenschaftlichen Aussagen ist, ist noch kaum erforscht und, wie ein Gesprch zwischen Horst Bredekamp, Gabriele Werner und Michael Hagner im kunsthistorischen Jahrbuch Bilderwelten des Wissens"

    40 Ebd. 41 Ebd., S.7. 42 Ebd., S. 183-85. 43 L. Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, hg. von L.

    Schfer u. T. Schnelle, Frankfurt 19994; H.-J. Rheinberger, Experimentalsystem und epi- stemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Gttingen 1991.

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  • 278 Martina Heler

    zeigt, durchaus umstritten.44 Whrend Bredekamp und Werner eine Form- oder Stilgeschichte des naturwissenschaftlichen Bilder, eine ikonografische Reihe" naturwissenschaftlicher Bilder als notwendig zum Verstndnis der Wissenserzeugung erachten und der Frage nachgehen wollen, ob sich nicht auch naturwissenschaftliche Bilder in einem solchen Ma auf ihre eigene Vorgeschichte der Bilder und nicht nur auf ihre jeweils aktuelle Erkenntnis- leistung beziehen, da von einer veritablen Traditionsbildung gesprochen werden kann",45 ist Michael Hagner der Ansicht, dass es nicht sehr ergiebig wre, die Visualisierung von Zellen vom 18. Jahrhundert bis heute in einer Art Stilgeschichte einzuschreiben."46 Scheint es nun fr Historiker eigentlich kaum fraglich, dass auch Bilder zeitgenssischen Darstellungsweisen folgen, insofern sie in ihrer Formge- bung jeweils Teil einer zeitgenssischen visuellen Kultur sind und sich ihre Formen daher historisch wandeln - ein kurzer Blick auf wissenschaftliche Darstellungen des 18. Jahrhundert offenbaren aufgrund unserer historischen Distanz den Stil der Zeit, der uns bei zeitgenssischen wissenschaftlichen Darstellungen entgehen mag -, so ist die Frage, welche Konsequenzen da- raus fr den epistemischen Status des Wissens folgen, bislang ungeklrt. Hatte beispielsweise Hayden White innerhalb der Historikerzunft fr Auf- ruhr gesorgt, indem er Geschichtswerke des 19. Jahrhunderts als sprachliche Gebilde untersuchte, die durch die vier Tropen (Metapher, Metonymie, Sy- nekdoche und Ironie) erkenntnistheoretisch prfiguriert und damit zugleich begrenzt seien, so hat eine Diskussion in bezug auf die Form naturwissen- schaftlicher Darstellung noch kaum begonnen. Zeigte White, wie Koselleck zusammenfasst, wie schon die tropischen Vorgaben der Sprache, wie ihre berkommenen Wendungen, Gleichnisse und aktualisierbaren Vergleiche den unendlichen Raum mglicher Daten endlich begrenzen",47 stellt sich letztlich die Frage, inwieweit dies in gleicher Weise auf Bilder als erkennt- nisstrukturierende Medien zutrifft und inwieweit unterschiedliche Stile, zeit- genssisch sowie im historischen Wandel, nachgewiesen werden knnen.48 Die Beschftigung mit Stilen im Sinne der Form der Darstellung blieb, ge- nauso wie das Feld der sthetik, bislang das Metier der Kunstgeschichte, whrend nun die Wissenschaftsgeschichte herausgefordert ist, sich mit die- sem Thema zu beschftigen. Ein wesentlicher Kern der berschneidungen zwischen Kunst und Wissenschaft liegt dabei zweifellos im sthetischen.

    44 Gesprch mit Michael Hagner, in: Bildwelten des Wissens, Kunsthistorisches Jahrbuch fr Bildkritik 1. 2003, S. 103-111.

    45 H. Bredekamp, Interview, S. 111. 46 M. Hagner, Interview, S. 1 10. 47 R. Koselleck, Einfhrung, in: H. White, Auch Klio dichtet oder Die Fiktion des Fakti-

    schen: Studien zur Tropologie des historischen Diskurses, Stuttgart 1986, S. 1-6, hier S. 4. 48 Es stellt sich dabei sicherlich die Frage, inwieweit die Kategorie des Stils berhaupt eine

    brauchbare Begrifflichkeit darstellt. Vgl. dazu beispielsweise C. Ginzburg, Style as In- clusion, Style as Exclusion, in: Jones u. Galison (Hg.), Picturing, S. 27-54.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 279

    Dies trifft selbstverstndlich gleichermaen fr Bilder anderer Art zu, seien es Propagandabilder, Fotografien, Symbole, Kriegsbilder etc. Alle Subdis- ziplinen der Geschichtswissenschaft, die sich mit Bildern beschftigen, se- hen sich daher mit dem Problem konfrontiert, wie Historiker mit dem Bild- lichen des Bildes, mit Form und Gestalt der Bilder umgehen sollten, und welchen Stellenwert dies in der Interpretation und Analyse der Bilder ein- nehmen sollte.

    IV sthetik versus Objektivitt? Stilisierten Naturwissenschaftler einer- seits selbst ihre Wahrnehmung der Natur als eine sthetische, verwiesen sie auf die Schnheit der Natur,49 -am bekanntesten ist Hckels Buch Kunst- formen der Natur"-,50 so wird andererseits hufig noch die Ansicht vertreten, wissenschaftliche Bilder befnden sich jenseits sthetischer Kategorien. In der Regel gelten, wie Peter Geimer kritisierte, sthetische Phnomene als kulturelle Peripherie einer im Kern autonomen Wissensproduktion",51 gera- de weil sie mit dem Nimbus der Objektivitt versehen sind, der sich, so die landlufige Vorstellung, nicht mit sthetischen Eingriffen verbinden lsst. Allerdings bersieht eine solche Sichtweise die Tatsache, dass auch Wissen- schaftsbilder mittels Form, Farbe, Linienfhrung, Kontrasten etc. Sinn er- zeugen, dass sie mithin per definitionem auf sthetischen Verfahren beruhen. Wie Texte mittels rhetorischer Verfahren, Duktus und Grammatik erzeugt werden, so gibt es kein Bild ohne sthetische Verfahrensweisen. Wandte sich der linguistic turn" der Rolle der Sprache, den diskursiven Herstellungs- prozessen von Sinn zu, so fehlen bislang Untersuchungen, die die stheti- schen Produktionsweisen von Bildern gleichermaen ernst nehmen. Wich- tige Schritte in diese Richtung stellen einige Publikationen der jngsten Zeit dar, die sich vor allem der Analyse des historischen Wandels des Verhltnis- ses von sthetik und Objektivitt zuwandten und beobachteten, wie dieses im Kontext wissenschaftlicher Produktionen seit dem 18. Jahrhundert dis- kutiert wurde. Ein von Peter Geimer herausgegebener Sammelband stellt - unter anderem - die Frage der sthetik von wissenschaftlichen Bildern am Beispiel der Photographie.52 Geimer fordert, zu fragen, wo sthetische Prozesse von An- fang an konstitutiv an der Herstellung von Wissen beteiligt waren".53 Der Band liefert Beispiele von Astronomen, deren Bildproduktion sthetische Entscheidungen verlangten, sowie von Kunstfotografien, deren sthetik

    49 E. P. Fischer, Das Schne und das Biest. sthetische Momente in der Wissenschaft, Mn- chen 1997.

    50 Vgl. K. Bayertz, Biology and Beauty: Science and Aesthetics in Fin-de Siecle Germany, in: M. Teich u. R. Porter (Hg.), Fin de siecle and Its Legacy, Cambridge 1990, S. 278-95.

    51 Geimer, Einleitung, in: ders. (Hg.), Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissen- schaft, Kunst und Technologie, Frankfurt 2002, S. 7-25, hier S. 8.

    52 Geimer (Hg.), Ordnungen. 53 Ebd., S. 8.

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  • 280 Martina Heler

    sich an Ergebnissen der zeitgenssischen Physiologie orientierte. Insgesamt wird ein breites Spektrum von fotografischen Bildern in Astronomie und Kunst, in Physik, Medizin, Okkultismus, Recht und Literatur untersucht.54 Zu erwhnen ist vor allem der Beitrag von Lorraine Daston und Peter Galison, der dem Verhltnis von sthetik und Objektivitt in einer historischen Lang- zeituntersuchung am Beispiel wissenschaftlicher Atlanten nachgeht.55 Die Autoren beschreiben, wie im 18. Jahrhundert ein Bild als ideal, typisch oder charakteristisch galt, das seinen Anspruch auf Perfektion, Genauigkeit und Allgemeingltigkeit gerade aus der normativ und sthetisch begrndeten Aus- wahl, dem Urteil und der Intervention des Wissenschaftlers bezog. Das Aus- bleiben eines solchen Eingriffs, der Verzicht auf Verbesserung eines fehler- haften oder atypischen Beispiels, wre aus dieser Perspektive als Zeichen von Inkompetenz gedeutet worden, denn die Qualitt der Bilder resultierte nach diesem Verstndnis gerade aus dem Urteilsvermgen und der Erfahrung des Bildproduzenten. Im 19. Jahrhundert finden sich dagegen technisch produ- zierte Bilder, die mit dem Typus einer mechanischen Objektivitt" verbun- den wurden, deren Ideal die Enthaltung jeglichen sthetischen Eingriffs und damit die Ausschaltung jeglicher Subjektivitt und menschlicher Interpreta- tion war. Es entstand eine Moral der Selbstbeschrnkung, des Nichteingriffs. Wie Peter Galison in weiteren Aufstzen zeigte,56 verschwand im 20. Jahr- hundert dieses Ideal der Selbstverleugnung, der Zurcknahme der Interven- tion und entsprechend die Vorstellung, die Natur zeichne sich selbst auf. Die Interpretation kehrte wieder. Nur durch die individuelle, subjektive und krea- tive Bewertung sei es berhaupt mglich, so nun das neue Diktum, den Bil- dern das stille Geheimnis ihrer Rohform zu entlocken. Allein das bewertende Auge erkenne das Bild.57 Galison fasste diesen langen historischen Wandel im Verhltnis von Objektivitt und sthetik zusammen, indem er fr die Bildexperten von einer Entwicklung vom genius" ber den manufacturer" zum trained expert", und fr das Bild von einer Entwicklung vom meta- physischen ber das mechanische zum interpretierten Bild sprach.58

    54 Allerdings wird man dem Band nicht gerecht, wenn man ihn auf die Frage nach der sthetik wissenschaftlicher Bilder reduziert, beinhaltet er doch ein weitaus breiteres Spektrum, indem er auch die Abhngigkeit des Bildbegriffes von technischen und wis- senschaftlichen Praktiken sowie die Frage der Sichtbarmachtung von fr das menschliche Auge nicht Wahrnehmbarem thematisiert.

    55 L. Daston u. P. Galison, Das Bild der Objektivitt, in: Geimer (Hg.), Ordnungen, S. 29-99. Vgl. auch die frhere Publikation der Autoren, in der sie die Einfhrung von grafischen Aufzeichnungsinstrumenten in der Physiologie des 19. Jahrhunderts als Beispiel fr das Ideal einer mechanischen Objektivitt errtern. L. Daston u. P. Galison, The Image of Objectivity, in: Representations 37. 1992, S. 67-106.

    56 P. Galison, Judgement against Objectivity, in: Jones u. Galison (Hg.), Picturing, S. 327-59; P. Galison, Urteil gegen Objektivitt, in: H. Wolf (Hg.), Diskurse der Fotogra- fie. Fotokritik am Ende eines fotografischen Zeitalters, Frankfurt 2003, S. 384-426.

    57 Galison, Judgement, S. 345. 58 Ebd.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 28 1

    Diese Thematik des Spannungsverhltnisses zwischen notwendiger und il- legitimer sthetischer Intervention im Bild - und insbesondere die Vorstel- lung des 19. Jahrhunderts, das technisch erzeugte Bild und der damit ver- bundene Nimbus des Nichteingriffs" -, wurden in weiteren Publikationen analysiert, die diese Ergebnisse besttigten,59 whrend andere Korrekturen eintrugen, ein abweichendes Szenario"60 zeichneten und das Bild differen- zierten, indem sie beispielsweise im Hinblick auf Rntgenbilder oder die Fotografie auf eine ambivalente Haltung gegenber den technisch erzeugten Bildern bzw. das Wissen um deren Subjektivitt" hinwiesen.61 Dies verdeutlicht erstens die Komplexitt dieses Verhltnisses, zweitens den historischen Wandel, dem es unterliegt, sowie drittens seine beraus hohe Relevanz fr die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Frage der Legitimitt sthetischer Interventionen ist nicht zuletzt derzeit in der Wis- senschaftsforschung und unter Naturwissenschaftlern ein heftig debattiertes Feld. Angesichts der Tatsache, dass sich anstelle nchterner Formeln und Kurven farbige, perfekte", offensichtlich in aufflliger Weise sthetisch be- arbeitete Bilder in wissenschaftlichen Aufstzen finden, sprechen Kritiker davon, deren Schnheit gehe zu Lasten der wissenschaftlichen Genauigkeit, die perfekten Bilder wrden oft ein Wissen oder einen Entwicklungsstand suggerieren, der keine Entsprechung fnde.62 David Edgerton und Michael Lynch wiesen in einer wegweisenden Untersuchung der Bildherstellung von Astrophysikern darauf hin, dass Wissenschaftler in der eigenen Wahrneh- mung zwischen doing science" einerseits und der Verschnerung" wissen- schaftlicher Bilder, die fr die ffentlichkeit bestimmt sind, unterscheiden.63

    59 Vgl. z. B. S. de Chadarevian, Sehen und Aufzeichnen in der Botanik des 19. Jahrhunderts, in: M. Wetzel u. H. Wolf (Hg.), Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitten, Mnchen 1994, S. 121-44; Thomas Schlichs bereits 1997 erschienenen Aufsatz, in dem er die Rolle der Fotografie als Inbegriff einer unverflschten Abbildung am Beispiel Robert Kochs thematisierte. Kochs Verzicht auf Zeichnungen aus eigener Hand und die Prferierung der Selbstzeichnung des Lichts" sollte mgliche Verzerrungen verhindern. T. Schlich, Die Reprsentation von Krankheitserregern. Wie Robert Koch Bakterien als Krankheitsursa- che dargestellt hat, in: H.-J. Rheinberger u. a. (Hg.), Rume des Wissens. Reprsentation, Codierung, Spur, Berlin 1997, S. 165-90.

    60 So Jutta Schickore, die sich mit der Erzeugung von Naturtreue" im Prozess der Fixierung der mikroskopischen Beobachtung beschftigt. Vgl. Schickore, Fixierung mikroskopi- scher Beobachtungen: Zeichnungen, Dauerprparat, Mikrofotografie, in: Geimer (Hg.), Ordnungen, S. 285-310, hier S. 287.

    61 M. Dommann, Das Rntgen-Sehen muss im Schweisse der Beobachtung gelernt wer- den." Zur Semiotik von Schattenbildern, in: Traverse. Zeitschrift fr Geschichte 6. 1999, S. 1 14-30, hier S. 1 19 f. H. Wolf, Die Divergenz von Aufzeichnen und Wahrnehmen. Ernst Machs erste fotografiegesttzte Experimente, in: dies. (Hg.), Diskurse, S. 427-55; sowie M. Frizot, Der menschliche Gang und der kinematische Algorithmus, in: H. Wolf (Hg.), Diskurse, S. 456-78.

    62 Vgl. J. Ottino, in: Nature, 412, 2003, S. 474-76. 63 M. Lynch u. S. Y. Edgerton, Aesthetics and Digital Image Processing: Representational

    Craft in Contemporary Astronomy, in: G. Fyfe u. J. Law (Hg.) Picturing Power. Visual Depiction and Social Relations, London 1988, S. 184-220.

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  • 282 Martina Heler

    Allerdings erscheint es fragwrdig, inwieweit sich diese Unterscheidung aufrechterhalten lsst, insofern Bilder, wie gerade kurz skizziert, per se in ihrer Herstellung sthetischer Bearbeitung unterliegen und es angesichts der auf Datenmengen basierenden Bilder oft keineswegs eindeutig ist, wo die Grenze zwischen erlaubter Bearbeitung und verbotener Bildinterpretation verluft, zumal hufig kein Originalbild" mehr existiert.64 Vor allem aber verweist gerade der Aufsatz von Edgerton und Lynch auf ein wesentliches Desiderat, indem sich die Autoren mit dem Bedeutungsgehalt des sthetik- begriffes auseinander setzen, wie er von Wissenschaftlern erzeugt wurde. Diese verwenden den Begriff oft schlichtweg im Sinne des Schnen" - gerade aus kunstwissenschaftlicher Sicht eine ausgesprochen problemati- sche und unzulssige Verkrzung. Der sthetikbegriff wre vielmehr nher zu definieren und im Hinblick auf seine Verwendung im Kontext der Natur- wissenschaften im Feld sthetischer Theorien zu verorten. Dies steht als systematisches Unterfangen bislang aus. Aber gerade um die wichtige Frage nach der erkenntnistheoretischen Bedeutung der sthetik von Wissen- schaftsbildern zu analysieren, ist eine solche Begriffsklrung unabdingbar.

    V Bildtheorie. Die sthetik wissenschaftlicher Bilder stellt nicht den einzi- gen Aspekt dar, der epistemische Fragen berhrt. Bettina Heintz und Jrg Huber formulierten grundlegend das Problem des Bildhaften" der wissen- schaftlichen Bilder, indem sie fragten, inwieweit es berhaupt berechtigt sei, die Produkte wissenschaftlicher Visualisierungen als Bilder zu bezeichnen: Macht es tatschlich Sinn, allen medialen Phnomenen, die irgendwie das Auge erreichen - Fotografien, Grafen, Computerbilder, Animationen, Kunstbilder, Logos, Handzeichnungen usw. - einen Bildstatus zuzuschrei- ben?"65 Dies, so Heintz/Huber, seien Fragen, die die Kunstwissenschaften betreffen, whrend sich die Wissenschaftsforschung bislang auf die Analyse der epistemischen Stile" beschrnkt habe.66 In der Tat hat sich die Wissenschaftsforschung in erster Linie Bildern als einem Medium der Generierung, Mitteilung und Veranschaulichung von Wissen gewidmet. Dies wird schlielich auch mit der Ausbildung von Ter- mini wie der Piktoralisierung der Naturwissenschaft"67 oder dem Vis-

    64 Alles so schn bunt hier. Grafische Tricks bei der Prsentation von Forschungsergebnis- sen erzeugen oft mehr Schein als Sein, in: Sddeutsche Zeitung, 4.2.2003, S. 18. Zur sthetisierung heutiger Wissenschaftsbilder siehe auch: A. Benz, Das Bild als Bhne der Mustererkennung: Ein Beispiel aus der Astrophysik, in: B. Heintz u. J. Huber (Hg.), Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Wien 2001, S. 65-78; R. Burri, Doing Images: Zur soziotechnischen Fabrikation visueller Erkenntnis in der Medizin, in: Heintz u. Huber (Hg.), Mit dem Auge, S. 277-303, hier S. 284 f.

    65 B. Heintz u. J. Huber, Der verfhrerische Blick. Formen und Folgen wissenschaftlicher Visualisierungsstrategien, in: dies (Hg.), Mit dem Auge, S. 9-40, hier S. 10.

    66 Ebd., S. 10. 67 Ebd., S. 9.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 283

    kurs"68 deutlich. Auch wenn Heintz/Huber zweifellos zu Recht feststellen, dass der erkenntnistheoretische Status und die performative Funktion von Bildern noch nicht wirklich geklrt seien,69 entstanden doch bereits einige bedeutende Arbeiten - nicht zuletzt der von ihnen selbst herausgegebene Sammelband -, die erste wegweisende Erkenntnisse zeitigen. Eine der grundlegendsten Resultate fr die Frage nach der Rolle von Visualisierungen in der Wissenschaft ist die in der Wissenschaftsforschung, der Wissen- schafts- und Technikgeschichte wie auch in den Kultur- und in den Kunst- wissenschaften konstatierte Einsicht, dass Bilder Wissen formen, verndern, organisieren und allererst hervorbringen. Einigkeit besteht mithin in der Ein- schtzung, dass Bilder keineswegs einfache Abbildungen oder die Wieder- gabe eines Sachverhaltes darstellen; vielmehr konstruieren sie Erkenntnis wesentlich mit. Wissenschaftliche Bilder kann man daher, wie Heintz/Huber im Anschluss an Gottfried Boehm hervorheben, als Instrumente bezeichnen, als Werkzeuge, mit denen gearbeitet wird.70 Damit entstehen neue theoreti- sche Probleme, die zum einen im Kontext einer noch ausstehenden Bildtheo- rie naturwissenschaftlicher Bilder zu verorten wren, zum anderen das Feld der Reprsentation" betreffen. Eine Bildtheorie htte nach der Logik des Bildes und seinen Mglichkeiten sowie seinen Grenzen, wissenschaftliche Sachverhalte zu denken", zu fra- gen. Whrend das Problem der Differenz und des Verhltnisses von Bild und Text eines ist, das zu den Grundfragen einer Bildtheorie gehrt wie es sich beispielsweise auch in der Geschichtswissenschaft in semiotischen Anstzen der Bildinterpretation spiegelt,71 harrt die Frage, inwieweit das Medium Bild in seiner spezifischen Struktur ein wissenschaftliches Denken hervorbringt, das sich von logischen Verfahrensweisen unterscheidet, noch einer systema- tischen Analyse. Daran schliet sich das entscheidende erkenntnistheoretische Problem der Reprsentation an, nmlich die Frage, worauf sich Bilder, vor allem wissen- schaftliche Bilder, beziehen, ob sie etwas reprsentieren, wofr sie stehen. Die Vorstellung, Reprsentationen stnden fr etwas anderes, indem sie sich auf die Wirklichkeit beziehen, auf einen wirklichen" Referenten verweisen, diesen substituieren oder vergegenwrtigen, wurde durch pragmatistische, strukturalistische und postmoderne Anstze seit langem hinterfragt und ein Reprsentationsbegriff, der ein unmittelbares Verhltnis zwischen Realitt

    68 K. Knorr Cetina, Viskurse" der Physik. Wie visuelle Darstellungen ein Wissenschafts- gebiet ordnen, in: J. Huber u. M. Heller (Hg.), Konstruktionen Sichtbarkeiten, S. 245-63.

    69 Heintz u. Huber, Der verfhrerische Blick, S. 10 70 So Heintz u. Huber, Der verfhrerische Blick, S. 28, in Anlehnung an Gottfried Boehm.

    Er bezeichnet wissenschaftliche Bilder als schwache Bilder im Unterschied zu starken Bildern der Kunst. Vgl. dazu: Boehm, Zwischen Auge und Hand, 215-27.

    71 Vgl. dazu den berblick bei H. Talkenberger, Von der Illustration zur Interpretation: Das Bild als historische Quelle, in: ZHF 21 . 1994, S. 298-3 1 3. vor allem, S. 303 f. sowie Jger, Bilder.

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  • 284 Martina Heler

    und Abbild, zwischen Reprsentierendem und Reprsentiertem suggerierte, verabschiedet. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Debatte in der Wissenschaftsforschung leistete der von Michael Lynch und Steve Woolgar herausgegebene Band Representation in Scientific Practice", der betont, dass Reprsentationen nicht einfach Abbilder von natrlichen Objekten darstellen, sondern viel- mehr von lokalen und kontextuellen Produktionsbedingungen abhngig sei- en.72 Michael Hagner fasste die berlegungen dieses Bandes folgenderma- en zusammen: Der gemeinsame Nenner der recht verschiedenen Untersu- chungen besteht in der Annahme, dass Reprsentation an materielle Vorrichtungen gebunden ist, die wissenschaftliches Wissen berhaupt erst zur Sprache bringen."73 Diese Thematik aufnehmend, widmetet sich der 1998 erschienene Band Inscribing Science" - im Anschluss an Derrida - dem Verhltnis des wissenschaftlichen Objektes zu seiner Darstellung, um auf die materiellen Vorrichtungen und somit auf die konstituierenden Eigen- schaften von sprachlichen Strukturen und instrumenteilen Anordnungen wissenschaftlicher Experimente hinzuweisen.74 Die Position der Bilder hier- bei harrt noch der Untersuchung. Im Hinblick auf Bilder drngte sich die Frage der Reprsentation in neuer Brisanz dadurch auf, dass Bilder etwas sichtbar werden lassen, was der menschlichen Wahrnehmung nicht zugnglich ist bzw. dass sie gar etwas vi- sualisieren, was als reales Phnomen nicht existiert, sondern lediglich auf Theorien, Modellen oder Berechnungen basiert. Wie stark heutige Bilder das Ergebnis eines komplexen Herstellungs- und Transformationsprozesses sind, der in der Regel auf technisch erzeugten Daten oder mathematischen Model- len beruht, wird in Werkstattberichten"75 von Naturwissenschaftlern offen- bar, die beschreiben, wie viele Apparaturen und Techniken, Entscheidungen und Interventionen notwendig sind, bis die Bilder die Perfektion erreicht ha- ben, die wir heute gewohnt sind. Ob die Sache so aussieht, wie die Bilder sie uns zeigen, werden wir nie mit Sicherheit wissen"76, fassen Heintz/Huber das Dilemma zusammen, das aber gerade dadurch eine noch strkere Brisanz erfhrt, dass es gar keine Originale mehr gibt, mithin die Sache" gar nicht existiert, sondern die Bilder Transformationen von Daten sind.

    72 M. Lynch u. S. Woolgar (Hg.), Representation in Scientific Practice, Cambridge/Mass. 1990. Vgl. vor allem die Einleitung der Herausgeber: Sociological orientations to repre- sentational practice in science, S. 1-18.

    73 M. Hagner, Zwei Anmerkungen zur Reprsentation in der Wissenschaftsgeschichte, in: Rheinberger u. a. (Hg.), Rume, S. 339-55, hier S. 339. Der Aufsatz bietet einen sehr guten berblick ber die wissenschaftsgeschichtliche Debatte um den Begriff der Repr- sentation.

    74 T. Lenoir, Inscribing Science. Scientific Texts and the Materiality of Communication, Stanford 1998.

    75 Vgl. Heintz u. Huber, Mit dem Auge denken. 76 Heintz u. Huber (Hg.), Der verfhrerische Blick, S. 9

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 285

    Whrend sich in den heutigen Naturwissenschaften darber nur in beschei- denem Ausma eine Debatte findet und diese gewissermaen von einer zu- weilen gar euphorischen Praxis der Bildproduktion an den Rand gedrngt wird - ein Beispiel ist die Nanotechnologie, die nun gar mittels des Raster- sondenmikroskops Bilder von Atomen zu liefern scheint -,77 entfachten sol- che Verwendungen von Bildern in der Geschichte der Naturwissenschaften immer wieder Diskussionen. So zeichnete Peter Galison die Auseinander- setzung zwischen einer logischen und einer bildlichen Forschungstradition in seinem 1997 erschienen Buch Image and Logic" fr das 20. Jahrhundert am Beispiel der Physik nach.78 In einem Aufsatz im Begleitband zur Aus- stellung Iconoclash", die 2002 am Zentrum fr Kunst und Medientechno- logie in Karlsruhe zu sehen war, veranschaulicht Galison am Bilderstreit" in der frhen Quantenmechanik zwischen Niels Bohr, Werner Heisenberg und Ernst Schrdinger dieses umstrittene Verhltnis von Bild und Zahl, in dem Niels Bohr jegliche Veranschaulichung der inneratomaren Prozesse mit dem Argument, inneratomare Prozesse seien nicht darstellbar, strikt ablehn- te.79 Das Paradox des Bilderstreits" in den Naturwissenschaften brachte Galison schlielich auf die eingngige Formel: We must have images, we cannot have images".80

    VI. Bilder in den Naturwissenschaften. Whrend also die Verwendung von Bildern in den Naturwissenschaften selbst keineswegs ein neues Phnomen ist und auch die Debatte ber die Legitimitt und den Status des Bildes in den Naturwissenschaften historisch bereits gefhrt wurde, ist die Reflexion darber in den Geschichtswissenschaften sowie der Wissenschaftsforschung jngeren Datums. Der Befund, dass Naturwissenschaften keine ausschlie- lich logisch-diskursiven Disziplinen darstellen, sondern dass sich Forschung vielmehr wesentlich mit Bildern vollzieht, unterstreicht die Notwendigkeit, sich ber die jeweilige historische Funktion und die grundstzliche theore- tische Struktur von Bilderwissen klar zu werden. Zwar hatte Martin Rud- wick schon 1976 in einem Aufsatz in der Zeitschrift History of Science" die Beschftigung mit Bildern in der Wissenschaftsgeschichte angemahnt und die Tradition einer textorientierten Wissenschaft kritisiert, doch blieb sein Appell lange Zeit ungehrt.81 Die neue Aufmerksamkeit gegenber Bil-

    77 Heute werden Atome mit Instrumenten wie dem Rastersondenmikroskop abgebildet". Vgl. dazu J. Krug, Ein Auge welches sieht, das andere welches fhlt". Bilder aus der physikalischen Nanowelt, in: Huber u. Heller (Hg.), Konstruktionen, S. 229-44.

    78 P. Galison, Image and Logic: A Material Culture of Microphysics, Chicago 1997. 79 P. Galison, Images Scatter into Data. Data Gather into Images, in: B. Latour u. P. Weibel,

    Iconoclash. Beyond the Image Wars in Science, Religion, and Art, Cambridge 2002, S. 300-23.

    80 Galison, Images, S. 300. 81 M. J. Rudwick, The Emergence of a Visual Language for Geological Science, 1760-1840,

    in: History of Science 14. 1976, 149-95.

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    dem resultierte einerseits aus den Herausforderungen und der Bedeutung neuer Visualisierungstechniken (medizinische Diagnoseverfahren, compu- tergenerierte Bilder, bildgebende Verfahren, Digitalisierung), wie sie sich seit den 80er Jahren durchzusetzen begannen. Andererseits brachte die Hin- wendung der Wissenschaftsforschung und der Wissenschaftsgeschichte zu wissenschaftlichen Praxen - beispielsweise Arbeiten wie der bereits er- whnte, von Michael Lynch und Steve Woolgar 1990 herausgegebene Sam- melband zu Reprsentationstechniken in den Wissenschaften - die Bilder in den Blick.82 Die Forschung der letzten Jahre offenbarte nun, welch bedeutende Rolle Bildern in den Naturwissenschaften historisch in verschiedenen Feldern zu- kam. Neben der bereits referierten, fr die Wissenschaftsforschung ganz zentralen Frage nach dem epistemischen Status des Bilderwissens, verwies die Forschung auf die Bedeutung von Bildern in der Konstituierung von Disziplinen selbst sowie fr die Kommunikation von Wissen innerhalb der Naturwissenschaften sowie an die ffentlichkeit. Martin Rudwick demonstrierte 1976 die Rolle von Bildern fr die Entwick- lung der Geologie als Disziplin.83 Im Zeitraum von ca. 1760 bis 1840 sei eine visuelle Sprache entstanden, die wesentlich zur Konstituierung des Faches beigetragen habe. Diese Visualisierungen waren nicht nur illustrativ, wie Rud- wick unterstreicht, sondern Teil des theoretischen Fachdiskurses, der zugleich eine wissenschaftliche Community ausgebildet habe, indem diese die Regeln der Bildherstellung akzeptierte und die Konventionen zu teilen begann. Eben- falls stellt ein von Klaus Hentschel und Axel D. Wittmann herausgegebener Sammelband fr die Astronomie fest, dass diese ohne visuelle Reprsentatio- nen nicht existieren wrde.84 Von prhistorischen Zeichnungen des Mondes ber Sternkarten in antiken Tempeln, Himmels- und Mondkarten im Mittel- alter bis hin zu Fotografien und Spektrogrammen waren Bilder immer ein integratives Element der Astronomie. Klaus Hentschel wirft in seinem einlei- tenden berblick die Frage auf, wie mit Bildern gedacht und berzeugt werde; er verweist dabei auf die Bedeutung der Sehtraditionen und der visuellen Kultur in einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Bilder hatten schlielich nicht nur Anteil an der Konstituierung einer neuen Disziplin, sondern vor allem auch an der Kommunikation innerhalb der Wis- senschaft - was Karin Knorr-Cetina mit der Prgung des Begriffes Viskur- se" 85 prgnant markierte - sowie der Kommunikation von Wissen an eine

    82 Vgl. dazu auch: M. Lynch, The Production of Scientific Images: Vision and Re-vision in the History, Philosophy, and Sociology of Science, in: Communication & Cognition 31. 1998, S.213-28.

    83 Rudwick, Emergence. 84 K. Hentschel u. A. D. Wittmann (Hg.), The Role of Visual Representations in Astronomy:

    History and Research Practice, Frankfurt 2000. 85 Knorr Cetina, Viskurse.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 287

    nichtwissenschaftliche ffentlichkeit. Auch wenn die Popularisierung von Wissenschaft mittlerweile ein historisch gut erforschtes Feld darstellt, ist die Rolle von Visualisierungen darin doch weitaus weniger beachtet worden als die textliche und museale Vermittlung von Wissen.86 Zwar bemht sich der krzlich erschienene Band von Jrgen Kretschmann um die Beachtung von Bildern in der Wissenspopularisierung,87 doch steht eine systematische Ana- lyse noch aus. Die wenigen, bislang zu findenden Publikationen, zumeist Aufstze, die in Sammelbnden oder Zeitschriften erschienen, lassen jedoch bereits einige Schlsse zu.88 Die Ergebnisse korrespondieren mit denen der Forschung zur Popularisierung von Wissenschaft, wie sie im Hinblick auf diskursive Medien gewonnen wurden. Diese konstatierte, dass der populr- wissenschaftliche und der akademische Diskurs jeweils eng verflochten und nicht voneinander zu trennen waren, vielmehr der ffentliche Raum Aus- tragungsort und in gewisser Hinsicht Akteur der Wissenschaft" wurde.89 Dies wird nun auch in einer von Lars Bluma und Sybilla Nikolow heraus- gegebenen Sondernummer der Internationalen Zeitschrift fr Geschichte und Ethik der Naturwissenschaften, Technik und Medizin" mit dem Thema Bilder zwischen ffentlichkeit und wissenschaftlicher Praxis" deutlich.90 Die spezifische Rolle des Bildes, eine Betrachtung der verwandten Bilder, ihre reine Quantitt, ihre sthetisierung oder ihr Verhltnis zum Text in der historischen Entwicklung blieben dabei jedoch unterbelichtet.

    VII. Visualisierungstechniken. Bislang blieb ein Feld der Forschung weitge- hend unerwhnt, das fr die Diskussion der Rolle von Bildern in der Wis- sensproduktion jedoch zentral ist, nmlich das der Techniken der Bildher- stellung. Es stellt einen genuinen Themenbereich der Technikgeschichte dar, deren Metier die historischen Prozesse der Entwicklung der Apparate, die

    86 P. Sarasin, La Science en Familie". Populre Wissenschaft im 19. Jahrhundert als br- gerliche Kultur - und als Gegenstand einer Sozialgeschichte des Wissens, in: U. Gyr (Hg.), Soll und Haben. Alltag und Lebensformen brgerlicher Kultur, Zrich 1995, S. 97-1 10; C. Goschler (Hg.), Wissenschaft und ffentlichkeit in Berlin, 1870-1930, Stuttgart 2000; A. Daum, Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert, Mnchen 2002; A. Schwarz, Der Schlssel zur modernen Welt. Wissenschaftspopularisierung in Grobritannien und Deutschland im bergang zur Moderne, Stuttgart 1999.

    87 C. Kretschmann (Hg.), Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel, Berlin 2003.

    88 Vgl. C. Armstrong, Der Mond als Fotografie, in: H. Wolf (Hg.), Diskurse, S. 359-83. C. Borck, Das Gehirn im Zeitbild. Populre Neurophysiologie in der Weimarer Republik, in: D. Gugerli u. B. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder. Historische Beitrge zur visuellen Herstellung von Selbstverstndlichkeit, Zrich 2002. 195-225. S.Giess, Merckwrdige Begebenheiten". Wissensvermittlung im Volkskalender des 18. Jahrhundert, in: Traverse, Zeitschrift fr Geschichte 6. 1999, S. 35-50, hier S.48; Schlich, Reprsentation, S. 176.

    89 Borck, Gehirn, S. 199. 90 S. Nikolow u. L. Bluma, Bilder zwischen ffentlichkeit und wissenschaftlicher Praxis,

    in: Internationale Zeitschrift fr Geschichte und Ethik der Naturwissenschaften, Technik und Medizin (NTM), 10. 2002, S. 201-08.

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  • 288 Martina Heler

    Diskurse um sie sowie die Wahrnehmung und Aneignung neuer Technolo- gien sind. Gerade die Visualisierungstechniken, von Mikroskop ber Tele- skop und Photographie bis zu Ultraschall, Magnetresonanztomographie oder Computertomographie, erfuhren bereits einige Aufmerksamkeit, und zwar nicht nur von Seiten der Technikgeschichte. Bekannt sind die Arbeiten von Barbara Duden, die sich in Anatomie der Guten Hoffnung"91 der Bildge- schichte des Ungeborenen widmete und in ihrem Buch , ,Frauenleib als f- fentlicher Ort"92 untersuchte, wie Visualisierungstechniken wie der Ultra- schall die Krpererfahrung schwangerer Frauen vernderten. Barbara Or- land beschrieb, wie die Sichtbarmachung des Foetus den Status der Geburt nachhaltig beeinflusste und sich das Verhltnis zum Embryo in verschiede- nen Stadien seiner Visualisierung wandelte.93 Betonen diese Arbeiten ein durch Visualisierungstechniken verndertes Verhltnis zum Krper, beschf- tigen sich andere Studien strker mit der Rolle von Visualisierungstechniken bei der Produktion von Wissen. Diese knnen gewissermaen als empirische Arbeiten zu theoretischen Errterungen ber Reprsentationen betrachtet werden, ohne dass die Empirie hierbei immer explizit diesen Diskurs reflek- tierte.94 Insgesamt wird dabei zweierlei deutlich: erstens, dass der Aussage- wert vieler Abbildungen hufig schwer zu kontrollieren war, weil kein Kor- rektiv zur vergleichenden Betrachtung zur Verfgung stand. Zweitens, eng damit zusammenhngend, dass ein vllig neuer Raum des Wissens entstand, dessen Glaubwrdigkeit zwischen Experten und ffentlichkeit erst entste- hen und ausgehandelt werden musste. Diese Herausbildung einer Evidenz von Bildern ist eine wichtige For- schungsfrage, die auf die Aporie hinweist, dass die Erzeugung der Evidenz im Bild selbst nicht sichtbar werden kann, dass also die Technik als das Medium der Sichtbarmachung im Bild verschwindet. Dem entspricht die in der Wissenschaftsgeschichte und -Soziologie gemachte Beobachtung, dass Herstellungsprozesse im historischen Prozess in der Regel in Vergessenheit geraten. Wie Latour und Woolgar schrieben: The result of the construction of a fact is that it appears to be unconstructed by anyone".95 Cornelius Borck bezeichnete dieses Verschwinden der Technik" als Paradox der Transpa- renz: Auf der einen Seite sind die Bilder Dokumente eines vielfach gestei- gerten Einsatzes von Technik und auf der anderen Seite vermeintliche Ab-

    91 B. Duden, Die Anatomie der Guten Hoffnung. Bilder vom ungeborenen Menschen 1500-1800, Frankfurt 2003.

    92 Dies., Der Frauenleib als ffentlicher Ort: vom Missbrauch des Begriffs Leben, Mnchen 1994.

    93 B. Orland, Der Mensch entsteht im Bild. Postmoderne Visualisierungstechniken und Ge- burten, in: Bildwelten 1. 2003, S. 21-32, hier S. 31.

    94 M. Domman, Rntgen-Sehen; J. Snyder, Sichtbarmachung und Sichtbarkeit, in: Geimer (Hg.), Ordnungen, S. 171-210, Schlich, Reprsentation.

    95 B. Latour u. S. Woolgar, Laboratory Life: The Social Construction of Scientific Facts, Beverly Hills 1979, S. 240.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 289

    bilder der Natur selbst bzw. einzelner Aspekte von Natur".96 Dass Herstel- lungsprozesse in Vergessenheit geraten, ist nun Gegenstand des von David Gugerli und Barbara Orland herausgegebenen Sammelbandes Ganz norma- le Bilder".97 Im Zentrum stehen Bilder, die mittlerweile ber eine unhinter- fragte Evidenz verfgen, Bilder also, die zeitgenssischen Erwartungen ent- sprechen und keinerlei Irritation auslsen. Ziel des Bandes ist es, die Her- stellungsverfahren der Bilder zu beleuchten, um somit die Produktion von Selbstverstndlichkeit", mithin den Normalisierungsproze", zu verste- hen. Dies betrachten die Autoren als genuin historische Aufgabe. Die behan- delten Visualisierungstechniken werden daher in statu nascendi analysiert, um erkunden zu knnen, wie Visualisierungstechniken mgliche Einsatz- gebiete erkundet, erobert und besetzt haben".98 Es bedrfe gerade histori- scher Analysen, um diese Vorgnge des Selbstverstndlichwerdens sichtbar zu machen. In der Tat ist dies zweifellos eine genuin historische Frage, denn weniges, was uns heute selbstverstndlich erscheint, war dies von Anfang an. Vielmehr bedurfte es bei Neuerungen immer der berzeugungsstrate- gien, der Aushandlungsprozesse und Diskussionen, der Aneignungen; erst im Laufe eines historischen Prozesses werden Technologien, Dinge, aber auch andere Neuerungen in allen Lebensbereichen selbstverstndlich. David Gugerli hatte diesen Prozess bereits am Beispiel der Rntgenbilder aufge- zeigt.99 Der Sammelband nimmt diese Frage der Evidenzerzeugung wiede- rum auf, wobei nun neben weiteren empirischen Beispielen auch auf theo- retischer Ebene Normalisierungskonzepte" diskutiert werden. Die Heraus- geber selbst knpfen in ihrer Einleitung an Hans Blumenberg an, der einen Begriff von Evidenz entwickelt hatte, der sich aus einem Prozess der Nor- malisierung erklrt. [. . .] Danach wird das Technische unsichtbar (nicht mehr hinterfragt), weil es in die Lebenswelt implantiert wird und diese zu regulieren beginnt."100 Was normal ist, so Gugerli/Orland, habe den Zustand der Natrlichkeit erreicht.101 Glaubwrdigkeit resultiere aus der Veralltgli- chung spezifischer Formen der Bildherstellung. Sabine Hhler rekurriert in ihrem Aufsatz zur Ozeanographie auf Rolands Barthes' Buch Mythen des Alltags", wobei sie auf die naturalisierende" Funktion von Mythen verweist und eine Theorie der Mythen als Mglichkeit betrachtet, sich der Historizitt wissenschaftlich-technischer Evidenzen zu versichern,102 whrend Jrgen

    96 C. Borck, Die Unhintergehbarkeit des Bildschirms: Beobachtungen zur Rolle von Bild- techniken in den prsentierten Wissenschaften, in: Heintz u. Huber (Hg.), Mit dem Auge, S. 383-394, hier S. 388.

    97 Gugerli u. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder. 98 Ebd., S. 10. 99 Gugerli, Soziotechnische Evidenzen.

    100 Gugerli u. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder, S. 1 1. 101 Ebd., S. 12. 102 S. Hhler, Dichte Beschreibungen". Die Profilierung ozeanischer Tiefe im Lotverfahren

    von 1850-1930, in: Gugerli u. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder, S. 19-46, hier S. 22.

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    Link sich im Anschluss an Foucault Prozessen der Normalisierung widmet und hervorhebt, diese mssten in einen Alltagsdiskurs eingebunden sein.103 Die empirischen Beitrge des Bandes, in denen diese Prozesse der Evidenz- erzeugung aufgezeigt werden sollen, sind in drei groe Hauptblcke einge- teilt: Rume im Visier", Kurven", Krperwirklichkeiten". Zeitlich um- fassen sie den Zeitraum vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Versucht man die Ergebnisse des Bandes zusammenzufassen, lsst sich festhalten, dass die Herstellung von Normalitt ein lange Zeit offener Prozess ist. Die wissen- schaftlich-technisch erzeugten Bilder sind dabei stets auf externe Legitima- tionsressourcen angewiesen. Neue Bildtechniken mssen also anschlussf- hig sein an vorstrukturierte Kommunikationsprozesse, an gesellschaftliche Debatten und diskursive Praktiken der wissenschaftlichen, technischen f- fentlichkeit. Dies leitet zugleich zu einem weiteren Themenbereich ber, der im Kontext der Debatte um den pictorial turn" Aufmerksamkeit erhlt, nmlich die Seh- erfahrungen und die Wahrnehmung whrend einer spezifischen historischen Epoche. Vernderte Sehgewohnheiten sind zur Durchsetzung eines neuen Me- diums und neuer Bildherstellungstechniken unerlsslich, wie in verschiede- nen Publikationen betont wurde.104 Vor allem der Wandel von Wahrnehmungs- konzepten sowie der visuellen Erfahrungen im Wechselspiel mit neuen Tech- nologien stellen ein Forschungsfeld dar, das durch das Interesse am Visuellen und die Verbreitung neuer Medien in den Fokus verschiedener Disziplinen gerckt ist. Peter Weibel sprach gar vom Verlust eines anthropomorphen Mo- nopols, der durch die maschinengesttzte Wahrnehmung eingetreten sei.105 Wesentlich scheint es in der Tat, die Wechselwirkung von Wahrnehmung und Technik in den Blick zu nehmen, ein Thema, dem sich beispielsweise Jona- than Crary widmete, der in Anlehnung an Foucault einen Wandel der Wahr- nehmung im frhen 19. Jahrhundert aufweist und im Wechselspiel mit Be- obachtungstechniken nachzeichnet.106 Letztlich ist die Geschichte der Wahr- nehmung und deren Wechselwirkung mit Technik vor allem in die jeweilige visuelle Kultur" einer Zeit einzubetten, ein Themenfeld, das erst langsam in der deutschen Diskussion auf Interesse stt und das die Frage nach den

    103 J. Link, Das normalistische Subjekt" und seine Kurven. Zur symbolischen Visualisierung orientierender Daten, in: Gugerli u. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder, S. 107-28.

    104 Beispielsweise konstatiert Jakob Tanner, dass die Popularitt von numerisch-statistischen Reprsentationen, die konomische Vorgnge und kommerzielle Transformationen dar- stellen, das Resultat einer visuell-sthetischen Erziehungsarbeit von Medien und Volks- aufklrern" gewesen sei. J. Tanner, Wirtschaftskurven. Zur Visualisierung des anonymen Marktes, in: Gugerli u. Orland (Hg.), Ganz normale Bilder, S. 129-58, hier S. 147.

    105 P. Weibel, Neurocinema. Zum Wandel der Wahrnehmung im technischen Zeitalter, in: B. Felderer (Hg.), Wunschmaschine Weiterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien 1996, S. 167-84, hier S. 168.

    106 J. Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert, Dresden 1996.

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  • Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft 291

    Sehgewohnheiten und visuellen Erfahrungen, der Stellung der Bilder in einer Gesellschaft, ihrer gesellschaftlichen Rolle, ihrer Funktionen, ihren Bedeu- tungen, ihrer Anzahl, ihrer Gebrauchsweisen und ihrer Rezeption umfasst.107 Was eine visuelle Kultur ausmacht, wie sie sich historisch wandelt und mit welchen Methoden sie zu erforschen wre, ist ein erst noch zu erschlieendes Feld, das eng verknpft ist mit einer Mediengeschichte und das eines weiteren Forschungsberblickes bedrfte.

    VIII. Fazit: ein turn"? Die Flle der Literatur und die Breite der Themen- stellung lassen keinen Zweifel daran, dass die Aufmerksamkeit gegenber Bildern gestiegen ist. Die Wissenschafts- und Technikgeschichte befindet sich inmitten eines Forschungsdiskurses um die Rolle der Bilder in der Ge- sellschaft, in der Erkenntnis sowie um die Bildherstellungsprozesse. In den neueren Publikationen dominiert dabei deutlich eine konstruktivistische Perspektive: Bilder konstruieren Wissen, ihr Status als Reprsentation wird in Frage gestellt, die Evidenz, die sie erzeugen, unterliegt einem historischen Prozess, die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst wird als historisch und kulturell konstruierte gedeutet. Unbersehbar ist aber auch, wie der Forschungsberblick deutlich zu ma- chen versuchte, dass Bilder in den Naturwissenschaften selbst seit Jahrhun- derten eine wesentliche Rolle spielten und dies in den Naturwissenschaften bereits reflektiert wurde, whrend es in den Geisteswissenschaften wenig Beachtung fanden. Die wesentliche Frage wre daher weniger, weshalb wir heute in einem solchen Ausma mit Bildern beschftigt sind, sondern viel- mehr, warum die Bilder so lange bersehen wurden. In der Regel wird die Tradition einer Orientierung am Text, am Logos fr die Missachtung der Bilder verantwortlich gemacht. Nicht zuletzt die Herkunft der Begriffe iconic" und pictorial turn" verweisen in der Tat auf die Dominanz des Sprachparadigmas. Ob nun angesichts der Hinwendung zu Bildern in der Wissenschafts- und Technikgeschichte von einem pictorial" oder iconic turn" zu sprechen ist, bleibt allerdings noch zu prfen. Zwar ist das Bild tatschlich zum Problem geworden, um das sich verschiedene Diskurse ranken, theoretische Debatten gefhrt werden und das die Erforschung seiner historischen Rolle nach sich zieht. Zweifellos stellt die Beschftigung mit Bildern auch alte Gewissheiten in Frage; man wird der Bilder unsicher, die Methoden ihrer Analyse werden debattiert, die Disziplinengrenzen geraten in Unordnung, ein Streit um Zu- stndigkeit schwelt latent. Die Rede vom iconic turn", die den Begriff des turn" jenseits seines inflationren Gebrauchs verwendet, wrde jedoch be- deuten, dass sich eine erkenntnistheoretische Wende vollzieht, die das Den-

    107 Zur visuellen Kultur vgl. N. Mirzoeff, The Visual Culture Reader, London 1998; sowie W.J.T. Mitchell, Interdisziplinrst und visuelle Kultur, in: H. Wolf (Hg.), Diskurse, S. 38-50.

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  • 292 Martina Heler

    ken vom Bildlichen her und das Denken in Bildern impliziert. Sie wrde nahelegen, dass die Betrachtung und Analyse der Bilder sich als unabdingbar zum Verstndnis historischer Prozesse darstellt. Viele der erwhnten Publi- kationen stellen heraus, dass dies im Bereich der Wissenschafts- und Tech- nikgeschichte tatschlich der Fall sein knnte. Um zu einer fundierten Ein- schtzung zu gelangen, welchen Stellenwert das Bild in der historischen Forschung einnehmen sollte, bedarf es allerdings noch einer Flle weiterer Studien. Es scheint wichtig, dass sich Historiker in diese Debatte weiter einmischen und in einem interdisziplinren Forschungsfeld auf die Bedeu- tung der Geschichte zum Verstndnis der Bilder in gleicher Weise hinweisen, wie dies die Kunstgeschichte im Hinblick auf die Formanalyse tut.

    Dr. Martina Heler, Historisches Institut der RWTH, Neuere Geschichte, Kopernikusstr. 16, 52056 Aachen, E-mail: [email protected]

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    Article Contentsp. [266]p. 267p. 268p. 269p. 270p. 271p. 272p. 273p. 274p. 275p. 276p. 277p. 278p. 279p. 280p. 281p. 282p. 283p. 284p. 285p. 286p. 287p. 288p. 289p. 290p. 291p. 292

    Issue Table of ContentsGeschichte und Gesellschaft, Vol. 31, No. 2 (Apr. - Jun., 2005), pp. 149-318Front Matter"Weil nun der Kampf der Vlker die jdischen Bruchstcke gegeneinander schleudert ..." Die deutsch-jdische ffentlichkeit im Krieg von 1870/71 [pp. 149-168]Wirtschaftsbrger und Brgerlichkeit im Knigreich Polen: das Beispiel von Lodz, dem "Manchester des Ostens" [pp. 169-202]The Moral Economy of Ethnic Violence: The Pogrom in Lww, November 1918 [pp. 203-226]"Asoziale Lebensweise". Herrschaftslegitimation, Sozialdisziplinierung und die Konstruktion eines "negativen Milieus" in der SED-Diktatur [pp. 227-254]DiskussionsforumVon der Opfererzhlung zum schnellen Moralisieren. Interpretationen des Nationalsozialismus in sterreich [pp. 255-265]Bilder zwischen Kunst und Wissenschaft. Neue Herausforderungen fr die Forschung [pp. 266-292]

    LiteraturberichtDemokratisierung und Parlamentarisierung: Neue Forschungen zur politischen Entwicklungsfhigkeit Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg [pp. 293-316]

    Abstracts [pp. 317-318]Back Matter