hazrat inayat khan - musik und kosmische harmonie aus mystischer sicht

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Die Grundlage der Schöpfung ist Klang. Die Vedenbezeichnen den Laut - Nada Brahma, das ersteWort - als den Schöpfer. Der Sufimeister Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan sagt: „Die Schöpfungist die Musik Gottes.“Zu seiner Zeit galt er als der bedeutendste MusikerIndiens, er sang und spielte die Vina und weckte inden Menschen, nach altem Brauch der Chishtitradition,geistige Wahrheiten durch Musik. Der Sufinennt Musik Giza-i-Ruh, das heißt Nahrung derSeele.Das vorliegende Buch enthält Vorträge, die er biszu seiner Rückkehr nach Indien, im Jahre 1926, inungezählten Städten Nordamerikas und Europasgehalten hat, und mit denen er die Lehre von derkosmischen Harmonie, die Botschaft von „Liebe,Harmonie und Schönheit“ verbreitete.

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Page 1: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht
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,,Wer das Mysterium der Schwingungen erkennt, wahrlich, der weiß um das Wesentliche.“

Die Grundlage der Schöpfung ist Klang. Die Veden bezeichnen den Laut - Nada Brahma, das erste

Wort - als den Schöpfer. Der Sufimeister Pir-o- Murshid Hazrat Inayat Khan sagt: „Die Schöpfung ist die Musik Gottes.“

Zu seiner Zeit galt er als der bedeutendste Musiker Indiens, er sang und spielte die Vina und weckte in den Menschen, nach altem Brauch der Chishtitra- dition, geistige Wahrheiten durch Musik. Der Sufi nennt Musik Giza-i-Ruh, das heißt Nahrung der

Seele.

Das vorliegende Buch enthält Vorträge, die er bis zu seiner Rückkehr nach Indien, im Jahre 1926, in ungezählten Städten Nordamerikas und Europas gehalten hat, und mit denen er die Lehre von der kosmischen Harmonie, die Botschaft von „Liebe, Harmonie und Schönheit“ verbreitete.

Es geht also nicht um eine Darstellung der Musik­theorie, sondern um den in Indien höchst subtil entwickelten psychischen, metaphysischen und mystischen Aspekt der Musik, geht um das Zu­sammenwirken von Seele, Natur und Kosmos und damit um die heilende Wirkung der „rechten“ Mu­sik, durch die Harmonie mit dem Selbst, mit den Menschen, mit dem Weltall und mit dem Unendli­chen hergestellt werden kann.

Fortsetzung auf der rückwärtigen Klappe.

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Pir-o-Murshid

Hazrat Inayat Khan

1882-1927

MUSIK UND KOSMISCHE

HARMONIEaus mystischer Sicht

Verlag Heilbronn

Page 6: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Titel der englischen Originalausgabe:„The Mysticism of Sound” aus„The Sufi Message of Hazrat Inayat Khan”Gesammelte Werke, Band 2Barrie and Jenkins, London 1960Übersetzung: Inge von Wedemeyer

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Inayat Khan »Hazrat«:Musik und kosmische Harmonie aus mystischer Sicht/ Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan.[Übers.: Inge von Wedemeyer], - 3. Aufl. - Heilbronn: Verlag Heilbronn, 1990 Einheitssacht.: The mysticism of sound »dt.«Teilausg. von Inayat Khan »Hazrat«:The Sufi message of Hazrat Inayat Khan ISBN 3-923000-49-9

Verlag HeilbronnPostfach 3641 - D-7100 HeilbronnISBN 3-923000-49-9Copyright 1990 by Verlag HeilbronnAlle Rechte VorbehaltenGesamtherstellung: Druckerei Wolf GmbH, 7110 Öhringen

Scan & OCR von Shiva2012

Page 7: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Inhaltsverzeichnis

Vorwort............................................................................................................Das schweigende Leben ..........................................................................Schwingungen.............................................................................................Harmonie .......................................................................................................Namen..............................................................................................................Form, - Gestalt und Ordnung .................................................................Rhythmus........................................................................................................Musik.................................................................................................................Abstrakter Klang...........................................................................................

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Vorwort

Die Grundlage der Schöpfung ist Klang. Die Veden be­zeichnen den Laut - Nada Brahma, das erste Wort - als den Schöpfer. Im Alten Testament heißt es: „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Und im Neuen Testament: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

„Die Schöpfung ist die Musik Gottes“, sagt Hazrat Inayat Khan. Mit anderen Worten: Das Weltall ist aus der Mu­sik Gottes hervorgegangen, die in der ganzen Natur erklingt und sich offenbart. Daher haben die Weisen aller Zeitalter die Musik als heilige Kunst betrachtet; sie ist ein Abglanz der kos­mischen und metakosmischen Musik des Schöpfers, durch die der Gottsucher seinen Weg findet und in Harmonie mit dem Unendlichen kommen kann.

Der Sufimeister und Mystiker Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan brachte in den Jahren 1910-1926 die Botschaft von „Liebe, Harmonie und Schönheit“, die Lehre von der kosmischen Harmonie, in die westliche Welt. Zu seiner Zeit galt er als der bedeutendste Musiker Indiens und wurde als „Tansen“ verehrt, konnte er doch mit seiner Musik Kranke heilen*. Schon als ganz junger Mensch war er ein Gottbegna­deter Vinaspieler und Sänger, ist es doch bei den Sufis alter Brauch, geistige Wahrheiten durch die Sprache der Musik zu

vermitteln. Später, als Botschafter des Sufismus in der Chishti- tradition, überzeugte er nicht nur durch seine hohe Kunst, sondern auch durch seine gütige und starke Persönlichkeit als

* Hierzu auch die Einleitung zu „Hazrat Inayat Khan: Sufi-Weishei­ten“ von R. F. v. Scholtz. Heilbronn 1982

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Mystiker. Vieles was er über Musik und Schwingungen gesagt hat, inspirierte eine Generation junger Musiker, und dieses gei­stige Gut geht seit Jahren bei uns im Westen nicht nur von Hand zu Hand, sondern auch von Herz zu Herz.

„Indien“, so schreibt Hazrat Inayat Khan, „hat das My­sterium von Laut, Klang und Ton, das von den Alten entdeckt wurde, bewahrt, und seine Musik gibt Zeugnis davon.“ So vermittelt er aus der Fülle und Tiefe des Wissens und der Er­kenntnis Einblick in die in seiner Heimat nach wie vor leben­

dige Wissenschaft von Klang und Harmonie, von Rhythmus und Ton, Name und Gestalt.

Musik gilt, im Sinne klassischer Überlieferung, als eine vollkommene und universelle Sprache, durch deren rechte Anwendung man Charakter und Persönlichkeit entwickeln, verfeinern und inspirieren kann. „Wer auf dem Pfade der Mu­sik stufenweise voranschreitet, wird am Ende die höchste Vollkommenheit erreichen."

Die tiefe Unzufriedenheit, Unrast und Zweifel der westli­chen Menschen haben ihre Wurzeln wohl letztlich in der Ver­

haftung an ein materialistisches Weltbild, dem sich auch der idealistisch gesonnene Mensch oft nicht ganz entziehen kann. Hazrat Inayat Khan sagt: „Mit jedem Schritt aus dem inneren Wesen nach außen ist da ein augenscheinlicher Fortschritt, ... jedoch jeder Schritt in die äußere Erscheinungswelt bringt Be­grenzung und Abhängigkeit mit sich.“ Es geht also darum, wieder zur Mitte des inneren Wesens zu finden, zur Quelle des Lebens. Und es ist nicht zuletzt die Musik, durch die die geisti­gen Sinne wieder entwickelt werden können, um Geist und Seele aus den Fesseln zu befreien. Der Sufi nennt Musik ,,Giza-i-Ruh“, das heißt Nahrung der Seele und des Geistes.

Die Faszination, die von den Schriften des Sufimeisters Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan ausgeht, so als säße man ihm eben jetzt gegenüber, unauslöschlich geprägt vom Ein­

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druck der Begegnung, deutet darauf hin, daß wir im Westen wieder fähig werden, die Impulse aus den geistigen Welten aufzunehmen. Das Mysterium der Transzendenz wird heute wieder geahnt, und man lauscht bereitwillig einer Stimme, die aus der Sackgasse des weitgehend materialistischen Denkens hinauszuführen vermag.

Allerdings ist vieles, was hier gesagt wird, nicht leicht nachvollziehbar für den in seiner Vorstellungswelt befangenen Menschen. Dabei trägt Hazrat Inayat Khan, mit der Schlicht­heit und Sicherheit des Meisters, die natürlichen, psychologi­schen und geistigen Grundgesetze von Harmonie und Schwin­

gung vor, eben jene Gesetze, die uns westliche Menschen vor dissonanten Erfahrungen bewahren und von mancher Fehl­entwicklung befreien können.

Die Meister gehen davon aus, daß alles Sichtbare Mani­festation des Einen Unsichtbaren, Unnennbaren ist. Und so sieht, erkennt und beschreibt Hazrat Inayat Khan die Welt, das Leben und das Dasein auf eine Art und Weise, die auch bei uns wieder entdeckt wird.

Alles Erschaffene schwingt und klingt in unendlichen Kreisen ineinander und miteinander: der Tanz der Gestirne, der Tanz der Atome, der Tanz der Seele; alles singt das erha­bene Lied der Schöpfung.

,,In allem ist Musik verborgen, wie die Seele im Körper.“ Auch die Seele des Menschen ist Musik und sehnt sich nach Musik, nach jener Musik, die sie auf den Weg zur Vollkom­

menheit und Beseligung führen kann. Die Sprache ist meist nur ihr profaner Abglanz, und es geht nun darum, die Seele wieder

auf den ihr eigenen Ton zu stimmen, durch den sie das Unend­liche erfahren kann.

Welches aber ist die „rechte“ Musik? „Die höchste und idealste Komposition ist jene, die dem Leben Ausdruck ver­leiht, dem Charakter, den Empfindungen und Gefühlen, denn

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hier geht es um die innere Welt, die nur vom inneren Auge ge­schaut“, vom inneren Ohr gehört werden kann, - es ist jene Musik, die den Menschen in seiner geistigen Entfaltung unter­stützt.

Es geht darum, zu erkennen, worin Leben und immer­währende Schöpfung zum Ausdruck kommen und den eige­nen Beitrag zu leisten. Aber nur wenn der Mensch dankbar die unermeßliche Herrlichkeit der Schöpfung sieht, ist er zu der ihm anvertrauten und notwendigen Aufgabe fähig, so daß die unheilvollen Dinge schwinden, indem die heilsamen gesche­hen.

„Musik“, so sagt Hazrat Inayat Khan, „ist die Kunst aller Künste und die Wissenschaft aller Wissenschaften; und sie enthält die Quelle aller Erkenntnis.“

„Musik wird eine Göttliche oder Himmlische Kunst ge­nannt, nicht nur, weil sie in den religiösen Bräuchen ihren Platz gefunden hat, sondern wegen ihrer Subtilität im Ver­gleich zu allen anderen Künsten und Wissenschaften.“

Die Kapitel des vorliegenden Buches „Musik und kosmi­sche Harmonie aus mystischer Sicht“ sind Vorträge, wie Haz­rat Inayat Khan sie bis zu seiner Rückkehr nach Indien im Jahre 1926 in ungezählten Städten gehalten hat. Sie wurden von seinen Schülern mitgeschrieben, und vieles wurde ins

Deutsche übersetzt.Das Buch gipfelt mit begeisterndem Schwung im letzten

Kapitel, vom abstrakten Klang, der von den Großen im Geiste vernommen wird und sich in den Gottesnamen manifestiert. Das ehrfurchtsvolle Anrufen Gottes mit diesen Namen, die ei­nem vom geistigen Lehrer anvertraut werden, ist daher in allen Religionen jene große, geheiligte Übung, durch die die geisti­gen Sinne langsam erweckt werden und sich bei entsprechen­der Führung organisch entfalten. Eben das ist es, was der Murshid für seine Mureeds (Schüler) zu tun vermag, im Geiste

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unwandelbarer Gesetze und klassischer, zeitloser Überliefe- rung.

Nach einer tiefen metaphysischen Deutung einiger Got­tesnamen - wobei der Hinweis auf das Hallelujah für uns als Christen besonders wichtig ist, schließt Hazrat Inayat Khan mit einem alten Sufiwort: „Ich, im Lichte der Seele, erkenne,

daß die Schönheit der Himmel und die Erhabenheit der Erde das Echo Deiner Zauberflöte ist.“

Eines Tages legte Hazrat Inayat Khan seine Vina für im­mer beiseite. Uber dieses ergreifende Opfer berichtet er selbst:

„Ich gab meine Musik auf, weil ich von ihr alles empfan­gen hatte, was ich empfangen sollte. Wer Gott dienen will, muß das opfern, was ihm am liebsten ist; und so opferte ich meine Musik. Ich hatte Lieder komponiert, ich sang und spielte die Vina, und in Ausübung dieser Musik erreichte ich eine Stufe, auf der ich die Musik der Sphären berührte. Da wurde jede Seele für mich eine Musiknote, und alles Leben wurde Musik. Von ihr inspiriert, sprach ich zu den Menschen, und diejenigen, die sich durch meine Worte angezogen fühl­

ten, lauschten jetzt meinen Worten statt meiner Musik. Und wenn ich nun etwas tue, dann ist es dies, daß ich statt der In­strumente die Seelen stimme, statt der Noten Menschen har­monisiere. Wenn irgend etwas in meiner Philosophie ist, dann das Gesetz der Harmonie, wonach man sich in Harmonie mit sich selbst und mit anderen bringen muß. Ich habe in jedem Wort einen bestimmten musikalischen Gehalt gefunden, in je­dem Gedanken eine Melodie, Harmonie in jedem Gefühl. Und ich habe versucht, eben dies jenen, die sonst meiner Musik lauschten, mit klaren und einfachen Worten darzulegen. Ich spielte die Vina, bis mein eigenes Herz zu diesem Instrument wurde; dann brachte ich dieses Instrument dem Göttlichen Musiker dar, dem einzigen Musiker, den es gibt. Seither wurde ich Seine Flöte; und wenn Er will, spielt Er Seine Musik. Die

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Leute achten mich wegen meiner Musik, aber in Wahrheit ge­bührt das nicht mir, sondern Dem Musiker, der auf dem In­strument spielt, das Ihm zu eigen ist.“

In tiefster Dankbarkeit und Verehrung für Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan, in dessen Tradition ich stehe, begleite ich dieses Buch mit allen guten Wünschen.

R. F. von Scholtz-Wiesner

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Das schweigende Leben

Das absolute Leben, aus dem alles entstanden ist, was ge­fühlt, gesehen und wahrgenommen wird, und in dem alles zu seiner Zeit aufgehen wird, ist schweigendes, bewegungsloses und ewiges Leben und wird von den Sufis Zat genannt.

Jede Bewegung, die aus diesem schweigenden Leben ent­springt, ist eine Schwingung und erzeugt Schwingungen. Eine Schwingung erzeugt viele Schwingungen; ebenso wie Bewe­gung Bewegung verursacht, wird das schweigende Leben gleichsam teilweise aktiv und erschafft in jedem Augenblick mehr und mehr Aktivität, wodurch der Friede des ursprüng­lich schweigenden Lebens verloren geht.

Durch den Grad der Aktivität dieser Schwingungen sind

die verschiedenen Ebenen des Daseins bedingt. Diese Ebenen stellt man sich als voneinander verschieden vor, in Wirklichkeit aber können sie nicht gänzlich voneinander abgelöst und ge­trennt werden. Die Aktivität der Schwingungen vergröbert sie immer mehr, und so wird die Erde aus den Himmeln geboren.

Das Mineral-, das Pflanzen-, das Tier- und das Menschen­reich entsprechen den stufenweisen Änderungen der Schwin­gungen, und die Schwingungen der einzelnen Ebenen unter­scheiden sich voneinander durch Gewicht, Breite, Länge, Far­be, Wirkung, Klang und Rhythmus.

Der Mensch ist nicht nur aus Schwingungen gebildet, sondern er lebt und bewegt sich auch in Schwingungen; sie umgeben ihn wie das Wasser den Fisch umgibt, und sie sind in ihm enthalten wie eine Zisterne Wasser enthält. Seine verschie­denen Stimmungen, Neigungen, Geschäftigkeiten, Erfolge

und Mißerfolge und alle Lebensbedingungen hängen von einer bestimmten Aktivität der Schwingungen ab, mag es sich dabei

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um Gedanken, Gemütsbewegungen oder Empfindungen han­

deln.

Die Richtung der Aktivität der Schwingungen bedingt die Mannigfaltigkeit der Dinge und Wesen. Diese pulsierende Ak­tivität bildet die Grundlage der Sinneswahrnehmung und die Quelle aller Freuden und Leiden; hört diese Aktivität auf, so ist dies das Gegenteil der Sinneswahrnehmung. Alle Sinnes­eindrücke werden also durch einen bestimmten Grad der Schwingungsaktivität verursacht.

Es gibt zwei Aspekte der Schwingungen: fein und grob. Beide bestehen aus verschiedenen Stufen oder Graden; einige werden von der Seele wahrgenommen, einige durch die Ge- müts- und Gedankenkräfte (mind) und einige durch die Au­gen. Was die Seele wahrnimmt, sind die Schwingungen der Ge­fühle; was Gemüt und Verstand aufnehmen, sind Gedanken­schwingungen; und was die Augen sehen, sind Schwingungen, die sich aus ihrem ätherischen Zustand verdichtet und zu Ato­men gewandelt haben, die in der stofflichen Welt erscheinen und die Elemente Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde bilden. Die feinsten Schwingungen können auch von der Seele nicht wahrgenommen werden. Die Seele selbst ist aus diesen Schwingungen gebildet, durch deren Aktivität sie sich ihrer selbst bewußt wird.

Schöpfung beginnt mit der Aktivität des Bewußtseins, die man Schwingung nennen kann, und alle von der ursprüngli­chen Quelle ausgehenden Schwingungen sind gleich, sie unter­scheiden sich nur durch ihren Ton und Rhythmus, die durch einen größeren oder geringeren Grad der dahinter stehenden Kraft verursacht werden. Auf der Ebene des Klanges bewirken die Schwingungen Verschiedenheit der Töne, und in der Welt der Atome Verschiedenheit der Farben. Durch ihre Ansamm­lung werden die Schwingungen hörbar, und mit jedem Schritt

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in die äußere Welt vervielfältigen sie sich und materialisieren sich entsprechend ihrer Beschleunigung.

Der Klang gibt dem Bewußtsein einen Beweis für sein Vorhandensein, obgleich es in Wirklichkeit der aktive Teil des Bewußtseins selbst ist, der sich in Klang umwandelt. Der Er­kennende erkennt sozusagen sich selbst; mit anderen Worten: Das Bewußtsein bestätigt sich selbst durch seine eigene Stim­me. Daher spricht der Klang den Menschen an.

In allen Dingen, die von den Schwingungen herrühren und von ihnen gebildet werden, ist Klang verborgen, wie das Feuer im Feuerstein; und jedes Atom im Weltall bekennt mit seinem Ton: „Mein alleiniger Ursprung ist Klang.“ Wenn ir­gendein fester oder hohler Klangkörper angeschlagen wird, gibt er zur Antwort: „Ich bin Klang.“

Klang hat seine Geburt, seinen Tod, hat Geschlecht und Form, hat seinen Planeten, seinen Gott, hat Farbe, Kindheit, Jugend und Alter. Jedoch jene Klangfülle, die in der Sphäre des Abstrakten, jenseits der Sphäre des Konkreten, liegt, ist Ur­sprung und Grundlage aller Klänge.

Sowohl der Klang als auch die Farbe haben ihre Wirkung auf die menschliche Seele, entsprechend dem Gesetz der Har­monie. Eine feinfühlige Seele wird von Farben angesprochen, und eine noch feinfühligere Seele vom Klang. Der Ton hat entweder eine warme oder eine kalte Wirkung, seinen Elemen­ten entsprechend, weil alle Elemente aus verschiedenen Stufen (Graden) von Schwingungen gebildet werden. Deshalb kann Klang eine angenehme oder unangenehme Wirkung auf Ge­

müt (mind) und Körper des Menschen ausüben und kann eine heilende Wirkung haben, auch ohne Anwendung von Kräu­tern und Arznei, die jedoch ebenfalls ihren Ursprung in Schwingungen haben.

Die Erscheinungswelt ist aus Schwingungen gebildet, und die Planeten sind die ersten Manifestationen, wobei jeder Pla­

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net seinen ihm eigenen Grundton hat; deshalb verkörpert jede Note einen Planeten. Daher hat auch jedes Individuum einen ihm eigenen Ton, entsprechend seinem Geburtsplaneten, und gefällt ein bestimmter Ton einem bestimmten Menschen, ent­sprechend der Stufe seiner Entwicklung.

Jedes Element hat einen ihm eigentümlichen Klang; in den feineren Elementen erweitert sich der Klangumfang und in den gröberen verengt er sich. Daher ist er in den ersteren klar und

deutlich und in den letzteren unklar.Die Erde hat sowohl mannigfaltige Aspekte der Schönheit

als auch Mannigfaltigkeit in ihren Klängen. Ihre höchste Fre­quenz erscheint im Außen, ihre Form ist die des zunehmenden Mondes, ihre Farbe gelb. Der Klang der Erde ist undeutlich und trübe und verursacht Erregung, Aktivität und Bewegung im Körper. Alle Saiteninstrumente, sowohl die mit Draht- als auch die mit Darmsaiten, sowie die Schlaginstrumente, Trommeln, Zimbeln etc., stellen den Klang der Erde dar.

Der Klang des Wassers ist tief, er ist wellenförmig, seine Farbe grün. Man hört ihn am besten im Brausen des Meeres. Der Klang fließenden Wassers, des Bergbaches, das Plätschern und Prasseln des Regens, der Klang des Wassers, das aus einem irdenen Krug in ein Becken fließt, aus einer Leitung in eine Wanne, aus einer Flasche in ein Glas, sie alle haben eine sanfte und munter-lebendige Wirkung und regen die Phantasie an, rufen Einfälle, Träume, Empfindungen und Gemütsbewegun­gen hervor.

Das Jalatarang genannte Instrument besteht aus einer Anordnung von Porzellanschalen oder Gläsern, die der Größe nach aufgestellt und entsprechend der gewünschten Tonart mit Wasser gefüllt werden. Mehr Wasser macht den Ton tiefer, weniger macht in höher. Dieses Instrument hat eine bewe­gende Wirkung auf die Empfindungen des Herzens.

Der Klang des Feuers hat eine hohe Frequenz, die Form

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ist lockig, gekräuselt und die Farbe rot. Man hört diesen Klang im Einschlag des Blitzes und in einem Vulkanausbruch, im Ge­räusch des lodernden Feuers, im Lärm der Feuerwerkskörper, der Knallfrösche, Gewehre, Flinten und Kanonen. Sie alle ha­

ben die Tendenz Furcht zu erregen.Der Klang der Luft ist unstet, seine Form Zickzack und

seine Farbe blau. Seine Stimme wird in den Stürmen gehört, im Wehen des Windes und im Säuseln der Morgenbrise. Die Wir­kung ist aufbrechend, fegend, durchdringend. Der Klang der Luft kommt in allen Blasinstrumenten aus Holz, Messing und Bambus zum Ausdruck; er neigt dazu, das Feuer des Herzens zu entzünden, wie Rumi es in seinem Masnavi über die Flöte beschreibt. In der indischen Kunst wird Krishna stets mit einer Flöte dargestellt. Der Klang der Luft überwältigt alle anderen Klänge, denn sie lebt, und in jedem Aspekt bewirkt ihr Einfluß

Begeisterung.Der Klang des Äthers ist in sich vollständig und enthält

alle Formen und Farben.. Er ist die Grundlage aller Klänge und ist der Grundton, der ununterbrochen weiterführt und be­ständig ist. Sein Instrument ist der menschliche Körper, weil er durch ihn gehört werden kann; obgleich durchdringend, wird er allerdings im allgemeinen doch nicht gehört. Er tut sich dem Menschen kund, soweit dieser seinen Kern von materiellen Ei-, genschaften reinigt. Der Körper kann ein taugliches Instru­ment werden, wenn der Innenraum geöffnet wird, wenn alle Kanäle und Gefäße in ihm gereinigt sind. Dann wird der Klang, der außen im Raum vorhanden, auch innerlich mani­fest. Ekstase, Erleuchtung, Friedfertigkeit, Furchtlosigkeit, Verzückung, Freude und Offenbarung sind die Wirkungen dieses Klanges. Einigen tut er sich von selbst kund, anderen, wenn sie in einem passiven Zustand sind, durch Schwäche des Körpers oder des Gemütes. Aber weder für diese noch für jene ist es ein Vorteil oder Segen, denn es führt dazu, daß der

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Mensch unnormal wird. Dieser Klang ist nur für diejenigen er­hebend, die sich ihm durch die den Mystikern bekannten heili­gen Übungen öffnen.

Der aus Erde und Wasser gemischte Klang hat Zartheit und Empfindsamkeit. Der Klang aus Erde und Feuer bringt Herbheit, Härte. Der Klang aus Erde und Luft hat Kraft und Macht. Der Klang aus Wasser und Feuer hat eine heiter-fröhli- che und belebende Wirkung. Der Klang aus Wasser und Äther hat eine besänftigende und tröstliche Wirkung. Der Klang aus Feuer und Luft hat eine erschreckende und furchterregende Wirkung. Der Klang aus Feuer und Äther hat eine durchbre­chende und befreiende Wirkung. Der Klang aus Luft und Äther erzeugt Ruhe und Frieden.

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Schwingungen

Das schweigende Leben erfährt und erprobt sich selbst durch Aktivität in der äußeren Welt. Verglichen mit dem akti­ven Leben im Außen erscheint das schweigende Leben wie tot.

Nur dem Weisen erscheint - in Anbetracht der stets sich wan­delnden und vergänglichen Natur - das ewige Leben doch als das, was vorzuziehen ist. Das Leben in der äußeren Welt scheint das wirkliche Leben zu sein, weil in diesem alle Freude erfahren wird.

Im schweigenden Leben gibt es keine emotionale Freude sondern nur Frieden. Der Seele ursprüngliches Wesen ist Friede und ihre Natur ist Freude, diese beiden arbeiten gegen­

einander. Dies ist die verborgene Ursache der ganzen Tragödie des Lebens. Ursprünglich hat die Seele keinerlei Erfahrung, sondern sie erfährt und erprobt alles erst dann, wenn sie die Augen für die äußere Welt öffnet, und hält sie offen und ge­nießt das Leben im Außen bis zur Sättigung. Dann beginnt die Seele, die Augen für die Außenwelt zu schließen, und sucht unablässig Frieden, den ursprünglichen Zustand ihres Wesens.

Der innere und wesentliche Teil jedes Wesens ist aus fei­nen Schwingungen gebildet und der äußere Teil aus gröberen. Den feineren Teil nennen wir Geist und den gröberen Stoff, wobei der erstere der Wandlung und Zerstörung weniger aus­gesetzt ist als der letztere.

Alles was lebt, ist Geist, und alles was stirbt, ist Stoff. Und alles was im Geiste stirbt, ist Stoff, und alles was im Stoffe lebt, ist Geist. Alles Sichtbare und Wahrnehmbare scheint zu leben, obgleich es dem Tode und dem Verfall unterworfen ist und in jedem Augenblick in sein feineres Element aufgelöst wird; je­doch der Blick des Menschen ist durch die Wahrnehmung der

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Scheinwelt so irregeführt, daß der Geist, der wirklich lebt, vom Mantel des Stoffes verdeckt und sein wahres Wesen ver­borgen ist.

Die allmählich ansteigende Aktivität veranlaßt die Schwingungen sich zu materialisieren, und durch das allmähli­che Abnehmen der Aktivität werden sie wieder in Geist um­gewandelt. Wie schon gesagt, durchlaufen die Schwingungen fünf verschiedene Phasen, wenn sie sich vom Feinen zum Gro­ben wandeln; und die Elemente Äther, Luft, Feuer, Wasser und Erde haben jedes ihren eigenen Geruch und Geschmack, ihre Farbe und Form. So bilden diese Elemente ein Rad, das sie alle zu ihrer Zeit in die äußere Welt bringt. Mit jedem Schritt ihrer Aktivität ändern die Schwingungen sich und unterschei­den sich immer mehr voneinander, und ihre Gruppierung ver­ursacht die Mannigfaltigkeit der gegenständlichen Welt. Das

Gesetz, das sie veranlaßt sich wieder zu zerstreuen, nennt der Mensch Zerstörung.

Schwingungen werden zu Atomen und bringen das her­vor, was wir Leben nennen. So geschieht es, daß ihre Gruppie­rung, durch die Macht der Affinität der Natur, eine lebendige Wesenheit bildet; und in der Weise, wie der Atem sich durch die Gestalt manifestiert, erlangt die Materie Bewußtsein.

In jedem Einzelwesen sind viele feine und kleine Wesen verborgen, in seinem Blut, in den Gehirnzellen, in der Haut und auf allen Ebenen seines Daseins. So wie in der Physis eines Einzelwesens viele kleine Keime, die doch auch lebende Wesen sind, geboren und ernährt werden, so gibt es auch auf der Men­talebene viele Wesen und Elementarwesen, sie werden Mu- wakkals genannt. Es sind noch feinere Wesen, geboren aus den eigenen Gedanken des Menschen; und wie die Keime in seinem physischen Körper leben, so wohnen die Elementarwesen in seiner mentalen Sphäre. Der Mensch bildet sich oft ein, Ge­

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danken hätten kein Leben; er erkennt nicht, daß sie lebendiger sind als die körperlichen Keime und Geburt, Kindheit, Ju­gend, Alter und Tod haben. Sie arbeiten zum Vorteil oder zum Nachteil des Menschen, - je nach ihrer Natur. Der Sufi er­

zeugt, gestaltet und überwacht sie. Er erzieht sie und be­herrscht sie im Verlauf seines Lebens; sie bilden sein Heer und führen seine Wünsche aus. Wie die Keime die physische Natur des Menschen bilden und die Elementarwesen sein mentales Leben, so gestalten die Engel sein geistiges Dasein. Man nennt

sie Farishtas.Schwingungen haben in der Regel sowohl Länge als auch

Breite; und sie können den geringsten Bruchteil eines Augen­blicks dauern aber auch den größten Teil des Weltzeitalters. Wenn die Schwingungen hervorschnellen, erschafft eine die andere, und so erstehen Myriaden aus einer einzigen, und sie bilden verschiedene Ordnungen, Gestalten und Farben. Auf diese Weise gibt es Kreise unter Kreisen und Kreise über Krei­sen, sie alle zusammen aber bilden das Universum. Nach ihrer Manifestation geht jede Schwingung wieder in ihrer ursprüng­

lichen Quelle auf.Die Reichweite der Schwingungen entspricht der Feinheit

der Ebene, von der sie ausgegangen sind. Einfacher gesagt: Das Wort, das die Lippen sprechen, kann nur die Ohren des Hö­rers erreichen; aber der Gedanke, der aus dem Verstand her­vorgeht, reicht weit und fliegt von Geist zu Geist. Die Schwin­gungen der Gemüts- und Gedankenkräfte sind viel stärker als die der Worte. Die aufrichtigen Empfindungen eines Herzens können in das Herz eines anderen eindringen; sie sprechen im Schweigen, indem sie sich in der Sphäre ausbreiten, so daß die Atmosphäre, die ein Mensch um sich verbreitet, seine Gedan­ken und Empfindungen verkündet. Die Schwingungen der Seele sind die mächtigsten und reichen am weitesten, sie laufen

wie ein elektrischer Strom von Seele zu Seele.

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Alle Dinge und Wesen im Weltall sind, sichtbar oder un­sichtbar, miteinander verbunden, und durch Schwingungen besteht zwischen ihnen auf allen Ebenen des Daseins eine Ver­bindung. Hier ein einfaches Beispiel: Wenn jemand in einer Gesellschaft hustet, fangen viele an, ebenfalls zu husten; und dasselbe ist beim Gähnen der Fall. Es gilt auch für Gelächter, Erregung und Niedergeschlagenheit. Dies zeigt, wie Schwin­gungen die Verfassung eines Wesens auf ein anderes übertra­gen; dadurch erkennt der Seher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gewahrt und versteht die Verhältnisse auf al­len Ebenen des Daseins.

Schwingungen wirken durch das Band der Anteilnahme und der Wechselwirkung, die zwischen den Menschen und ih­rer Umgebung besteht, und sie enthüllen vergangene, gegen­wärtige und zukünftige Verhältnisse. So ist es auch zu verste­hen, wieso das Heulen von Hunden den Tod voraussagt und das Wiehern der Pferde das Nahen einer Gefahr ankündigen kann. Man kann dies aber nicht nur bei Tieren beobachten, sondern sogar Pflanzen sterben in Zeiten des Kummers nach und nach ab, und die Blumen welken, während sie in Zeiten des Glücks wachsen und gedeihen. Der Grund dafür, daß Pflanzen und Tiere die Schwingungen wahrnehmen können und Kommendes vorherwissen, während der Mensch nichts davon merkt, liegt darin, daß er sich selbst durch seinen Dün­kel blind gemacht hat.

Der Einfluß der Schwingungen haftet an dem Stuhl, auf dem man sitzt, an dem Bett, in dem man geschlafen hat, in dem Haus, in dem man wohnt, in den Kleidern, die man trägt, an der Nahrung, die man zu sich nimmt, und sogar an der Straße, durch die man geht.

Jede Gemütsbewegung geht aus der Intensität der Schwingungen hervor, die verschiedene Gemütsbewegungen hervorrufen, indem sie in verschiedenen Richtungen aktiv

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sind. So ist die Hauptursache aller Gemütsbewegungen nichts anderes als Aktivität. Jede Schwingung hebt, wenn sie aktiv ist, das Bewußtsein sehr weit in das Bewußtsein der äußeren Welt, und der durch diese Aktivität verursachte Nebel sammelt sich zu Wolken an, die wir Gemütsbewegungen nennen. Die Wol­ken der Gemütsbewegung verdunkeln die klare Sicht der Seele. Darum wird Leidenschaft blind genannt. Ein Übermaß an Schwingungsaktivität macht nicht nur blind, sondern schwächt auch den Willen, und ein schwacher Wille entkräftet die Gemüts- und Gedankenkräfte und den Körper.

Die Beschaffenheit der Schwingungen, auf die der Mensch

gestimmt ist, erklärt die seiner Seele eigene besondere Note. Die verschiedenen Tonstufen dieser Noten bilden eine Viel­zahl von Frequenzen, die von den Mystikern in drei verschie­dene Grade eingeteilt werden. Erstens: Der Grad, der Kraft und Intelligenz ausbildet. Das kann im Bilde des ruhigen Mee­res veranschaulicht werden. Zweitens: Der Grad einer gemä­ßigten Aktivität, die alles in Bewegung hält; es ist ein Gleich­gewicht zwischen Kraft und Schwäche, das im Bilde der be­wegten See dargestellt werden kann. Drittens: Der Grad inten­siver Aktivität, die alles zerstört und alle Schwäche und Blind­heit verursacht. Das kann im Bilde eines stürmischen Meeres

dargestellt werden.

In der Aktivität aller Dinge und Wesen erkennt der Seher die Frequenz, so wie ein Musiker die Tonart erkennt, in der ein Musikstück geschrieben ist. Die Atmosphäre eines Menschen läßt den Grad der Aktivität seiner Schwingungen erkennen.

Wenn die Schwingungsaktivität richtig beherrscht wird, kann der Mensch alle Freuden des Daseins erleben, ohne je­doch von ihnen versklavt zu sein. Es ist sehr schwer, die Akti­vität zu beherrschen, wenn sie einmal in Gang gekommen ist; es ist, als versuche man, ein durchgehendes Pferd im Zaume zu

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halten. Aber gerade in dieser Beherrschung liegt die eigentliche Meisterschaft.

Die Heiligen und Weisen verbreiten ihren Frieden nicht nur an dem Platz, auf dem sie sitzen, sondern auch dort, wo sie wohnen, bis in die Nachbarschaft; die Stadt oder das Land, in dem sie leben, sind im Frieden, entsprechend der Macht der Schwingungen, die ihre Seele aussendet und wie es dem Göttli­chen Plane entspricht. Dies ist auch der Grund, weshalb der Umgang mit guten oder schlechten Menschen, mit Gebildeten oder Ungebildeten einen großen Einfluß auf das Leben und den Charakter hat.

Die Gedanken- und Gefühlsschwingungen erschaffen, bilden und bereiten aus sich selbst alle notwendigen Mittel, um sich in der äußeren Welt zu manifestieren. Wenn zum Beispiel jemand den Wunsch hat, Fisch zu essen, und - statt ihn zu be­stellen - ganz stark daran denkt, sprechen seine Gedanken­schwingungen zu den mentalen Ohren des Kochs und über­mitteln ihm diesen Wunsch, und vielleicht wird sein starker Wunsch sogar den Fischhändler ins Haus ziehen. Durch diese Fähigkeit gestalten die Weisen ihr Schicksal mit Hilfe ihrer Gedanken, entsprechend der Stärke, Kraft und Reinheit ihres Gemütes.

Um eine gewünschte Wirkung hervorzurufen, ist ein be­stimmter Grad von Gedankenkraft notwendig, so wie sound­soviel Dynamit gebraucht wird, um einen Felsen zu sprengen, aber eine erheblich größere Menge, um einen Tunnel durch ei­nen Berg zu sprengen.

Auch die Länge der Zeit, während derer ein Gedanke festgehalten wird, spielt bei der Erfüllung eine Rolle, müssen die Gedankenschwingungen doch eine bestimmte Zeitlang ak­tiv sein, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Auch wenn man einen Kuchen backt, braucht das seine Zeit; wenn man es

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übereilt, ist der Kuchen nicht durchgebacken, und bei zu viel Hitze verbrennt er.

Fehlt es demjenigen, der mit mentalen Schwingungen ar­beitet, an Geduld, wird die Gedankenkraft vergeudet, selbst wenn sie schon auf halbem Wege ist oder sogar noch näher am Ziel oder einem erfolgreichen Ergebnis. Wird zur Ausführung einer bestimmten Angelegenheit zu viel Gedankenkraft auf­gewandt, so zerstört sie das, was sie hervorbringen möchte.

Will man Gedanken und Empfindungen auf jemanden re­flektieren, sollte man die gleichen Regeln wie bei der Stimme und beim Wort beobachten. Je lauter jemand in einer Gesell­schaft spricht, desto mehr Aufmerksamkeit zieht er auf sich, und alle Anwesenden müssen ihm notgedrungen zuhören. In der Weise arbeiten die Gedanken und Schwingungen, die ein Sufi aussendet; sie treffen naturgemäß mit großer Festigkeit und Kraft jedes Gemüt, das sie gerade erreichen. Wie der Wohlklang einer Stimme eine gewinnende Macht hat, so ist es auch mit zarten und mitfühlenden Gedanken und Gefühlen. Wenn zu den Gedankenschwingungen das gesprochene Wort hinzukommt, verdoppelt dies ihre Kraft; und durch eine phy­

sische Anstrengung verdreifacht sie sich.Verstand gleicht dem Feuer, er gibt dem Gedanken Licht;

aber überhitztes Denken verliert seine Macht, so wie Hitze auch den physischen Körper schwächen kann. Verstand bringt Zweifel hervor, der aber zerstört die Gedankenkraft, noch ehe sie imstande ist, ihr Ziel zu erreichen.

Die Macht der Gedankenkraft liegt im Vertrauen oder Glauben. Verstand verwirrt, und Zweifel vergeudet die Wellen der Gedankenschwingungen; sie zerstreuen und verlieren sich in verschiedene Richtungen, weil ihnen die bindende Kraft und

Festigkeit fehlt.Nie sollte man gegen seine eigenen Wünsche denken oder

sprechen, denn das schwächt die Gedankenschwingungen und

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führt oft zu widrigen Ergebnissen. Ein buntes Allerlei von gleichzeitig entstehenden Gedanken schwächt natürlich die Gemüts- und Gedankenkräfte, hat doch keiner der Gedanken die Möglichkeit auszureifen, so wie Zwillinge oft nicht ganz

entwickelt sind und Drillinge selten am Leben bleiben.Im Leben wird stets dann eine große Verwirrung hervor­

gerufen, wenn zwischen den Begierden und dem Ideal eines

Menschen eine Disharmonie besteht, denn sie arbeiten dann ständig gegeneinander.

Spricht oder denkt man von jemandem freundlich oder unfreundlich, sei es auch nur in der Empfindung, so erreicht dies das Gemüt des anderen, bewußt oder unbewußt, durch die Macht der Schwingungen. Wenn uns jemand beleidigt und wir uns im Sprechen und Handeln nichts anmerken lassen, so kann es doch nicht verborgen bleiben, denn die Schwingungen der Gefühle werden den Betreffenden direkt erreichen, und er wird schließlich unseren Verdruß spüren, mag er auch noch so weit von uns entfernt sein. Dasselbe gilt für unsere Liebe und unsere Freude: Wie sehr wir auch versuchen, sie in unserem Sprechen und Handeln zu verheimlichen, sie können doch nicht verborgen bleiben. Das macht das alte Sprichwort ver­ständlich, nach dem selbst Wände Ohren haben; es bedeutet nichts anderes, als daß auch Wände nicht undurchdringlich für Gedankenschwingungen sind.

Die Sufis achten besonders auf die guten und schlechten Wünsche der Menschen. Sie streben mit all ihren Fähigkeiten danach, in den anderen gute Wünsche zu wecken, seien sie an­gesehen oder auch nicht.

Intensive Aktivität bringt kräftige Schwingungen hervor, die mit einem Sufi-Ausdruck Jelal genannt werden; gütige, ge­linde Aktivität ruft milde Schwingungen hervor, die Jemal ge­

nannt werden. Die erstere Art der Aktivität wirkt als Festigkeit und Kraft, die letztere als Schönheit und Anmut. Das Aufein­

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andertreffen dieser beiden Kräfte wird Kemal* genannt und bewirkt Auflösung.

Die Norm für Recht und Unrecht, die Auffassung von Gut und Böse und die Begriffe Sünde und Tugend werden von den Menschen verschiedener Rassen, Nationen und Religio­

nen unterschiedlich aufgefaßt. Daher ist es schwierig, das Ge­setz zu erkennen, das diese Gegensätze beherrscht. Es wird ei­nem jedoch klar, wenn man das Gesetz der Schwingungen ver­steht. Alle Dinge und Wesen erscheinen im äußeren Dasein als getrennt voneinander, aber auf allen Ebenen unter der Ober­fläche, im Innern, nähern sie sich einander immer mehr, und im innersten Bereich werden sie alle eins. Daher hat jede Stö­rung, die dem Frieden auch des kleinsten Teiles des Daseins in

der äußeren Welt zugefügt wird, innerlich eine Wirkung auf das Ganze. Daher ist jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat, die den Frieden verletzt, unrecht und böse, ist Sünde; was aber Frieden hervorbringt, ist recht und gut, ist eine Tugend. Das Leben gleicht der Kuppel eines Domes (mit ihrem Widerhall), auch sein Wesen ist respondierend. Wird auch nur der gering­ste Teil des Lebens gestört, so stört dies das Ganze und kehrt als Fluch zu demjenigen zurück, der die Störung verursacht hat. Aller Friede, der in der äußeren Welt geschaffen wird, tut dem Ganzen wohl, und kehrt daher als Friede zu dem zurück, der ihn hervorgerufen hat.

Dies ist die Philosophie der Belohnung guter und Bestra­fung schlechter Taten, die von den höheren Mächten eingesetzt

wurde.

Gott ist Richter und Verzeiherunserer Unvollkommenheit.*

* Siehe auch Seite 45

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Gott ist beides, Richter und Verzeiher. Er vergibt sogar öfter als er richtet;Seine Gerechtigkeit entspringt Seiner Göttlichen Vernunft, die Vergebung aber Seiner Göttlichen Liebe.*

* Aus einer Sammlung der Aussprüche von Hazrat Inayat Khan.

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Harmonie

Harmonie ist die Quelle aller Schöpfung, die Ursache für ihr Bestehen und das Verbindende zwischen Gott und Mensch.

Der Friede, um den jede Seele ringt und der die wahre Na­tur Gottes ist und das letzte Ziel des Menschen, ist nichts ande­res als Folge der Harmonie; dies beweist, daß alle Errungen­schaften des Lebens nichtig sind, wenn ein Sinn für Harmonie fehlt. Es ist die Verwirklichung der Harmonie, die Himmel genannt wird, und der Mangel an Harmonie wird Hölle ge­nannt. Nur wer Meister der Harmonie ist, versteht das Leben, und wem sie fehlt, der ist töricht, trotz allen Wissens, das er erworben haben mag.

Der Sufi legt großen Wert auf die Verwirklichung der Harmonie, glaubt er doch, daß Licht für die Engel, Finsternis für den Teufel ist, daß aber für ein menschliches Wesen die Harmonie notwendig ist, um im Leben das Gleichgewicht hal­ten zu können.

Es gibt drei Aspekte der Harmonie: ewig, universal und

individuell.Ewige Harmonie ist die Harmonie des Bewußtseins; weil

es in sich selbst ewig ist, leben und bewegen sich ja alle Dinge und Wesen in ihm; und doch bleibt es unbewegt, ungestört

und friedvoll. Dies ist der Gott des Gläubigen und der Gott des Wissenden. Alle Schwingungen, von den feinsten bis zu den gröbsten, werden von dieser Harmonie zusammengehalten, wie auch jedes Atom der Erscheinungswelt; und beides, Schöpfung und Zerstörung, ereignet sich, um die Harmonie aufrecht zu erhalten. Ihre Macht zieht letztlich jedes Wesen zu immerwährendem Frieden.

Der Mensch wird von der Kraft der Harmonie in zwei entgegengesetzte Richtungen gezogen: zum Unendlichen und

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zur Manifestation. Er ist sich der ersteren weniger bewußt als der letzteren, und dadurch, daß er in die eine Richtung blickt, verliert er die andere aus dem Auge.

Da das Unendliche der wesentliche Geist von allem ist, zieht es schließlich alles zu sich. Der Sufi betrachtet die Har­monie mit dem Unendlichen als das allerwichtigste; er ver­wirklicht sie, indem er sich dem Willen Gottes, des Geliebten, ergibt.

Das Vorhandensein von Land und Wasser, das Land für das Wasser und das Wasser für das Land; die Anziehung zwi­schen den Himmeln und der Erde; - alles veranschaulicht die universale Harmonie. Die gegenseitige Anziehung von Sonne und Mond, die kosmische Ordnung der Sterne und Planeten, die alle miteinander verbunden sind und in Beziehung zuein­ander stehen, sich bewegen und nach einem bestimmten Ge­setz wirken; der regelmäßige Kreislauf der Jahreszeiten; die Nacht, die dem Tage folgt, und der Tag, der seinerseits der Nacht Raum gibt; die Abhängigkeit der Wesen untereinander; die Verschiedenheit, Anziehung und Assimilierung der fünf Elemente, - alles beweist die universale Harmonie.

Männlich und weiblich, Tier und Vogel, Pflanze und Fels

und alle Arten der Dinge und Wesen sind miteinander verbun­den und ziehen einander an durch ein Band der Harmonie. Wenn ein Ding oder Wesen, so nutzlos es auch erscheinen mag, in diesem Universum unendlicher Mannigfaltigkeit feh­len würde, so wäre es, als fehlte ein Ton in einem Lied. Daher sagt Sa’adi: „Jedes Wesen wurde für einen bestimmten Zweck geboren, und das Licht dieses Zweckes ist in seiner Seele ent­zündet.“

Alle Hungersnöte, Seuchen und Katastrophen wie Sturm, Flut, Vulkanausbrüche, Kriege und Revolutionen, so schlecht sie dem Menschen auch erscheinen mögen, dienen in Wirk­lichkeit der Aufrechterhaltung dieser universalen Harmonie.

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In Indien erzählt man sich eine Geschichte, wie einst alle Bewohner eines Dorfes, die unter einer Dürre litten, sich vor dem Tempel ihres Gottes versammelten und beteten, in diesem Jahr möge reichlich Regen fallen.

Eine Stimme aus dem Unsichtbaren antwortete: „O ihr Menschen, was immer Wir tun, dient der besseren Erfüllung Unseres Zweckes. Ihr habt kein Recht, euch in Unser Werk einzumischen.“

Aber sie flehten wieder um Gnade und flehten immer ein­dringlicher. Da kam die Antwort, sie lautete: „Eure Gebete, euer Fasten und eure Opfer haben Uns veranlaßt, euch in die­sem Jahr so viel Regen zu gewähren als ihr haben wollt.“

Alle kehrten jubelnd nach Hause zurück. Im Herbst ar­beiteten sie eifrig auf ihren Feldern, und nachdem sie den Bo­den vorbereitet und das Korn ausgesät hatten, beteten sie um Regen. Und als sie meinten, es sei genug Regen gefallen, nah­men sie wieder Zuflucht zum Gebet, und der Regen hörte auf. So wurde eine reiche Ernte erzielt, und alle Bewohner jenes Landes waren voller Freude. In diesem Jahr war mehr Getreide gewachsen denn je zuvor. Nachdem das Getreide geerntet war, starben jedoch alle, die von dem Korn aßen, und nicht wenige fielen ihm zum Opfer. Verstört nahmen sie wieder Zuflucht zu dem Gott, verneigten sich tief und riefen vor dem Tempel: „Warum zeigst Du dich so zornig, nachdem Du uns so große Gnade erwiesen hattest?“

Der Gott antwortete: „Es war nicht Unser Zorn, sondern eure Torheit, euch in Unser Werk einzumischen. Manchmal senden Wir eine Dürre und zu anderen Zeiten eine Über­schwemmung, so daß ein Teil eurer Ernte zerstört wird, je­doch haben Wir Unsere Gründe dafür, denn auf diese Weise wird auch all das zerstört, was schädlich und nicht wün­schenswert ist, und nur das bleibt übrig, was für die Bewah­rung eures Lebens nützlich ist.“

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Die Dorfbewohner warfen sich in demütigem Gebet zu

Boden und riefen: „Nie wieder werden wir versuchen, in die Angelegenheiten des Weltalls einzugreifen! Du bist der Schöp­fer, und Du bist es, der uns leitet und prüft! Wir sind Deine unwissenden Kinder, und Du allein weißt, was das beste für uns ist.“

Der Schöpfer weiß, wie er Seine Welt zu lenken hat, was zu gedeihen hat und was vernichtet werden soll.

Es gibt zwei Aspekte der individuellen Harmonie: die Harmonie zwischen Körper und Seele und die Harmonie zwi­schen den einzelnen Wesen.

Die Seele erfreut sich an den Erquickungen, die durch das äußere Ich erfahren werden, jedoch wird der Mensch davon so völlig in Anspruch genommen, daß er die wahre Erquickung der Seele außer acht läßt. Dadurch bleibt der Mensch bei allen zeitweiligen Annehmlichkeiten, an denen er sich wohl erfreut, doch unbefriedigt; aber weil er dies nicht versteht, führt er seine Unzufriedenheit auf irgendeinen unerfüllten äußeren Wunsch zurück. Jegliches Ausleben irdischer Leidenschaften schenkt eine momentane Befriedigung, weckt aber den Wunsch nach mehr; in diesem Kampf übersieht der Mensch, der ständig damit beschäftigt ist, irdischen Vergnügungen und Bequemlichkeiten nachzujagen, die Befriedigung der Seele, und so beraubt er die Seele ihrer wahren Seligkeit. Das wahre

Entzücken der Seele liegt in Liebe, Harmonie und Schönheit, aus denen Weisheit, Ruhe und Frieden entstehen; je beständi­ger sie sind, desto größer ist die Genugtuung der Seele.

Würde der Mensch in seinem täglichen Leben jede seiner Handlungen prüfen, die auf seine Seele ein schlechtes Bild ge­worfen hat und Dunkelheit und Unzufriedenheit hervorrief, und würde er andererseits bewußt alle Gedanken, Worte und Taten beobachten, die innere Liebe, Harmonie und Schönheit hervorriefen, und jedes Gefühl, das ihm Weisheit, Ruhe und

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Frieden schenkte, dann würde er den Weg der Harmonie zwi­schen Seele und Körper leicht erkennen, und beide Aspekte des Lebens würden befriedigt, sowohl der innere als auch der äu­ßere.

Die Zufriedenheit der Seele ist viel wichtiger als die des Körpers, denn sie ist dauerhafter. Auf diese Weise können Denken, Sprechen und Handeln so aufeinander abgestimmt werden, daß die Harmonie, durch den Einklang von Körper und Seele, im Selbst begründet werden kann.

Der andere Aspekt der individuellen Harmonie wird im Kontakt zwischen dem einen und dem anderen Wesen ausge­übt. Jedes hat ein durch die eigenen Vorstellungen hervorge­brachtes persönliches Ego. Es begrenzt seine Sicht, die in die Richtung seiner eigenen Interessen gelenkt wird; und man ur­teilt in bezug auf sich selbst und andere, über Gut und Böse, Hoch und Niedrig, Richtig und Falsch durch diese begrenzte Sicht, die im allgemeinen eher einseitig und eingebildet als wahr ist. Diese Unklarheit wird durch das äußere Selbst, das Ego, verursacht, von dem die Seele überschattet wird. So ein Mensch ist dann ebenso blind für die eigenen Schwächen wie für die Vorzüge anderer, und das richtige Handeln eines ande­ren wird in seinen Augen falsch, und der eigene Fehler er­scheint ihm richtig. So steht es um die Menschheit ganz allge­mein, bis der Schleier der Unwissenheit von ihren Augen ge­hoben wird.

Nafs, das Ego des Menschen, verursacht alle Disharmo­nie, sowohl in ihm selbst als auch mit anderen und zeigt so in allen Lebenslagen seine Widerspenstigkeit. Der Löwe, der Herrscher unter den Tieren, überaus mächtig und majestä­tisch, ist den Bewohnern der Wälder stets unwillkommen, und er ist sogar gegen seine Artgenossen unfreundlich. Zwei Lö­

wen werden einander nie freundlich begegnen, weil ihre Nafs zu stark sind; und obgleich der Löwe Beherrscher aller anderen

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Tiere ist, so ist er doch der Sklave seiner eigenen Leidenschaf­ten, die sein Leben ruhelos machen. Das Nafs pflanzenfressen­der Tiere, wie Schafe und Ziegen, ist gebändigt; daher tun sie einander nichts zuleide und sind so harmonisch, daß sie in Herden leben können. Die zwischen ihnen bestehende Har­monie und Zuneigung bewirkt, daß sie an den Freuden und Leiden der anderen teilnehmen; jedoch fallen sie leicht den wilden Tieren zum Opfer. Die Meister der Vergangenheit wie Moses und Mohammed weideten ihre Herden mit Vorliebe in der Wildnis, und Jesus Christus sprach von sich als dem Guten Hirten, während der Heilige Johannes der Täufer vom Lamm Gottes sprach, das ohne Falsch und unschuldig zum Opfer be­reit war.

Das Nafs der Vögel ist noch sanfter, daher können auf ei­nem Baum viele und verschiedene Arten als Familie leben und zusammen Gott lobsingen und in Scharen zu Tausenden um­herfliegen.

Unter den Vögeln gibt es solche, die ihren Partner wieder­erkennen und Zusammenleben, einträchtig das Nest für ihre Jungen bauen, abwechselnd auf den Eiern sitzen, und jeder trägt seinen Teil zur Aufzucht der Jungen bei. Oft trauern und klagen sie über den Tod ihres Gefährten.

Die Insekten haben noch weniger Nafs; eines kriecht über

das andere hinweg, ohne ihm irgendein Leid anzutun, und sie leben zu Millionen als eine Familie, ohne Trennung in Freund und Feind.

Dies alles zeigt, wie die Macht des Nafs mit jedem Schritt in der Entwicklung der Natur wächst und im Menschen den Höhepunkt erreicht und sein ganzes Leben hindurch Dishar­monie schafft, es sei denn, es wird gebändigt, wodurch im Selbst Ruhe und Frieden entstehen und eine Empfindung der

Harmonie mit anderen.

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Jedes menschliche Wesen hat ein seinem Nafs entspre­chendes Merkmal. Der eine gleicht einem Tiger, ein anderer einem Hund, der dritte mag einer Katze ähneln und ein vierter einem Fuchs. So stellen die Menschen in ihrem Sprechen, Denken und Fühlen Tiere und Vögel dar, und der Zustand ih­res Nafs entspricht ihrem Wesen, und manchmal ähneln sie ih­nen sogar in der äußeren Erscheinung. Die Neigung zur Har­monie hängt also von der Entwicklung des Nafs ab.

Wenn man anfängt, das menschliche Leben klarer zu se­hen, erscheint einem die Welt bald wie ein Wald mit wilden Tieren, - kämpfend, tötend und einander zum Opfer fallend.

Es gibt vier verschiedene Arten von Menschen, die ent­sprechend ihrer unterschiedlichen Entwicklungsstufe - mit­einander harmonieren: engelhafte, menschliche, tierische und teuflische.

Die engelhaften trachten nach dem Himmel, und das menschliche Wesen kämpft sich durch in der Welt; der Mensch mit tierischen Neigungen schwelgt in irdischen Freuden, wäh­rend der teuflische Mensch damit beschäftigt ist, Unglück her­vorzubringen, wodurch er sich selbst und anderen eine Hölle bereitet. Nach der Evolution zum wahren Menschen wird der Mensch engelhaft; und durch die Entfaltung der Tierhaftigkeit erreicht er die Stufe des Teufels.

Das Gesetz der Harmonie in der Musik besteht darin, daß die einander zunächstliegenden Töne kein konsonantes Inter­vall ergeben. Dies erklärt das Verbot einer Heirat zwischen na­hen Verwandten, wegen der Nähe der Art und des Blutes. In der Regel beruht die Harmonie auf dem Kontrast, Männer kämpfen gegeneinander, und Frauen streiten miteinander, je­doch männlich und weiblich harmonieren in der Regel, und eine vollständige Einheit ruft eine vollkommene Harmonie hervor.

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In allen Wesen arbeiten ständig die fünf Elemente, und in jedem einzelnen herrscht eines vor. Die Weisen haben daher im Menschen fünf verschiedene Wesensarten unterschieden, ent­sprechend dem vorherrschenden Element. Manchmal sind in einem Menschen zwei oder sogar mehr Elemente mehr oder weniger vorherrschend.

Die Harmonie des Lebens kann auf dieselbe Weise gelernt werden wie die Harmonie in der Musik. Man sollte das Ohr üben, sowohl den Ton und das Wort als auch die darin verbor­gene Bedeutung zu unterscheiden, und sowohl aus der Bedeu­tung des Wortes als auch aus dem Tonfall der Stimme zu er­kennen, ob es ein wahres Wort oder ein falscher Ton ist; es sollte unterschieden werden zwischen Sarkasmus und Aufrich­tigkeit, zwischen Worten, die im Scherz gesprochen werden, und solchen, die ernst gemeint sind; man sollte den Unter­schied zwischen aufrichtiger Bewunderung und Schmeichelei erkennen, den Unterschied zwischen Anspruchslosigkeit und Demut, zwischen Lächeln und Auslachen und der Anmaßung des Stolzes, - gleich ob sie direkt oder indirekt zum Ausdruck gebracht wurden. Wenn man das tut, wird das Ohr allmählich geübt, genauso wie in der Musik, und man erkennt, ob der ei­gene Ton und die eigenen Worte wie auch die eines anderen falsch oder echt sind.

Ebenso wie in der Stimmbildung sollte man lernen, in welchem Ton ein bestimmter Gedanke oder ein Gefühl auszu­drücken sind. Es gibt Gelegenheiten, bei denen man laut spre­chen sollte, und es gibt Gelegenheiten, bei denen eine leise Stimme angebracht ist. Für jedes Wort braucht man einen be­stimmten Ton und für alles, was man ausspricht, eine be­stimmte Klangfarbe. Zugleich sollte der rechte Gebrauch von einem erhöhten oder erniedrigten Ton oder einem Ton ohne Vorzeichen gemacht werden, und man sollte die Tonart beach­

ten.

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Es gibt neun verschiedene Aspekte des Fühlens, von de­

nen jeder eine bestimmte Weise des Ausdrucks hat:

Fröhlichkeit drückt sich in einem lebhaften Ton aus;Kummer in schmerzlichem Ton;Angst in gebrochener Stimme;Mitleid in besorgter Stimme;Staunen in ausrufendem Ton;

Mut durch Nachdruck;Leichtsinn und Oberflächlichkeit in einem leichten Ton;

Zuneigung und Verbundenheit in verinnerlichtem Ton;und Gleichmut in der Stimme des Schweigens.

Ein ungeschulter Mensch bringt dies durcheinander. Er flüstert Worte, die gehört werden sollten, und spricht laut aus, was verborgen bleiben müßte. Uber das eine Thema sollte man in hoher Frequenz, über ein anderes in niedriger Frequenz sprechen. Man sollte den Ort beachten, den Raum, die Anzahl der Anwesenden, die Art der Leute und ihre Entwicklung und sollte Rücksicht nehmen auf ihr Verständnis. Darum heißt es: „Sprich zu den Menschen in ihrer eigenen Sprache.“

Mit einem Kind muß man ein kindliches Gespräch füh­ren, mit dem Jugendlichen sollten nur passende Worte gespro­chen werden, und mit den Alten entsprechend ihres Verständ­nisses. Ebenso sollten wir unsere Absichten stufenweise zum Ausdruck bringen, weil nicht jeder den gleichen Ansporn

braucht. Es ist die achtsame Rücksicht, die den Menschen von den Tieren unterscheidet.

Es muß erkannt werden, daß Rhythmus das Gleichge­wicht zwischen Sprechen und Handeln ist. Man muß zur rech­ten Zeit sprechen, im übrigen ist Schweigen besser als Spre­chen. Ein Wort der Anteilnahme, wenn jemand Kummer hat, und zumindest ein Lächeln, wenn ein anderer lacht! Man sollte die rechte Gelegenheit beachten, um in einem Kreis von Men-

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sehen ein Thema anzuregen, und nie unvermittelt das Ge­sprächsthema wechseln, sondern zwei Themen durch eine harmonische Verbindung geschickt ineinander übergehen las­sen. Auch sollte man geduldig warten, während ein anderer spricht, und die eigenen Worte im Zaume halten, wenn die Gedanken unbändig hervorstürzen, damit man sie im Rhyth­mus vorbringt und unter Kontrolle hält. Man sollte die wichti­geren Worte hervorheben, unter Beachtung starker und schwacher Akzente. Man muß das richtige Wort und die rechte Ausdrucksweise wählen, die Geschwindigkeit regeln und wis­sen, wie man den Rhythmus hält. Einige Menschen sprechen anfangs langsam und steigern die Geschwindigkeit allmählich derartig, daß sie nicht mehr fähig sind, zusammenhängend zu sprechen. Alles eben Gesagte ist auf jedes Tun im Leben an­wendbar.

Der Sufi übt - gleich einem Musikstudenten - sowohl seine Stimme als auch das Ohr in der Harmonie des Lebens. Die Schulung der Stimme besteht darin, sich jedes Wortes be­wußt zu sein, des Tones, des Rhythmus’, der Bedeutung und der Eignung für die Gelegenheit. Zum Beispiel sollten trö­stende Worte in langsamem Rhythmus gesprochen werden, mit sanfter Stimme und in mitfühlendem Ton. Wenn ein Befehl erteilt wird, ist ein lebhafter Rhythmus erforderlich und eine kräftige, deutliche Stimme.

Der Sufi vermeidet alle unrhythmischen Handlungen; voller Geduld kontrolliert er den Rhythmus seiner Sprache, so daß er nicht spricht, bevor der rechte Augenblick gekommen

ist, noch eine Antwort gibt, ehe die Frage fertig ausgesprochen wurde. Ein Wort des Widerspruchs betrachtet er als einen Mißklang, es sei denn in einer Verhandlung oder Debatte, aber auch dann versucht er, es in einen konsonanten Akkord aufzu­lösen. Die Neigung zum Widerspruch entwickelt sich im Men­schen schließlich zu einer Leidenschaft, bis er sogar seiner ei­

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genen Meinung widerspricht, wenn sie ihm von einem anderen

vorgetragen wird.

Um die Harmonie zu bewahren, moduliert der Sufi auch sein Sprechen von einer Tonart in die andere; mit anderen Worten, er geht auf die Meinung eines anderen ein, indem er das Thema vom Standpunkt des Sprechenden aus betrachtet statt von seinem eigenen. Mit einer geeigneten Einleitung stellt er für jedes Gespräch eine Basis her, wodurch er die Ohren des Zuhörers auf eine entsprechende Antwort vorbereitet. Er ach­tet auf jede seiner Bewegungen und auf seinen Ausdruck, so­

wie auf die der anderen, und versucht, einen konsonanten Ak­kord der Harmonie zwischen sich und den anderen herzustel­len.

Die Verwirklichung der Harmonie im Leben erfordert eine längere Zeit und ein sorgfältigeres Studium als die Schu­lung des Ohrs und die Ausbildung der Stimme, obgleich sie auf dieselbe Weise erworben wird wie die musikalische Bildung. Für das Ohr des Sufis ist jedes gesprochene Wort gleich einer Note, die richtig ist, wenn harmonisch, und falsch, wenn un­harmonisch. Je nach der Gelegenheit setzt er sein Sprechen in eine Dur- oder Molltonart oder Chromatik; und seine Worte, sei es mit erhöhten oder erniedrigten Tönen oder ohne Vorzei­chen, stehen in Übereinstimmung mit dem Gesetz der Har­

monie.Zum Beispiel entspricht die aufrichtige, höfliche und

taktvolle Art des Sprechens seiner Dur- oder Molltonart oder seiner Chromatik und verkörpert Beherrschung, Achtung und Gleichmut; in ähnlicher Weise verhält der Sufi sich unter­schiedlich und wie es ihm gerade passend erscheint, entspre­chend dem Zeitpunkt und der Lage, indem er Schritt für Schritt auf die Menschen eingeht, zustimmt und abwägt, und auch einmal widerspricht, wobei er jedoch im Verlauf des Gesprä­ches das Gesetz der Harmonie aufrecht hält.

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Man stelle sich zwei Menschen als zwei Noten vor. Die zwischen ihnen bestehende Harmonie bringt entweder konso­nante oder dissonante, reine, große und kleine Intervalle her­vor, sie stehen in Dur oder Moll, sind vermindert oder über­mäßig, je nachdem wie die beiden Menschen sind.

Sowohl das „Intervall“ des Standes, des Glaubensbe­kenntnisses, der Kaste, der Rasse, Nation oder Religion, als auch das Intervall der Altersstufe oder des Entwicklungsgrades oder der verschiedenen einander entgegengesetzten Interessen

machen dieses Gesetz deutlich. Einem weisen Menschen fällt es leichter, mit seinem törichten Diener in Einklang zu stehen als mit einem Halbgebildeten, der sich für unfehlbar hält. An­dererseits ist es aber auch möglich, daß ein weiser Mann weit davon entfernt ist, sich in der Gesellschaft des Törichten wohl­zufühlen und umgekehrt. Ein stolzer Mensch wird stets mit Stolzen streiten, während er den Demütigen erträgt. Es ist dem Stolzen aber auch möglich, in einer allgemeinen Ansicht, die den Stolz betrifft - etwa den Rassenstolz oder die Abstam­mung - mit dem Stolzen übereinzustimmen.

Zuweilen wird das Intervall zwischen zwei unzusammen­hängenden Noten durch einen Zwischen ton ausgefüllt, wo­durch ein konsonanter Akkord entsteht. So kann zum Beispiel die Dissonanz zwischen Mann und Frau durch das Kind als verbindende Note aufgelöst werden, oder die Dissonanz zwi­schen Brüdern und Schwestern kann dadurch beseitigt wer­den, daß Mutter und Vater sich ins Mittel legen. Auf diese Weise kann - so unharmonisch zwei Menschen auch miteinan­der stehen mögen - ein konsonanter Akkord durch das Hin­zukommen eines verbindenden Gliedes gebildet und Harmo­nie erzeugt werden.

Ein törichter Mensch ist ein ungeschmeidiger Ton, wäh­

rend ein verständiger Mensch geschmeidig ist. Der erstere be- harrt auf seinen Meinungen, Neigungen, Abneigungen und

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Überzeugungen, seien sie richtig oder falsch, während der letztere seine Tonart ändert, indem er den Ton und die Fre­quenz erhöht oder erniedrigt, um mit dem anderen zu harmo­nieren, so wie es die Gelegenheit erfordert.

Der Grundton steht stets in Harmonie mit jeder Note, denn in ihm sind alle Töne der Tonleiter enthalten. Auf die­

selbe Weise harmoniert der Sufi mit jedem, sei er gut oder böse, weise oder töricht, indem er gleich dem Grundton wird*.

Alle Rassen, Nationen, sozialen Schichten und Völker gleichen einer Melodie, der ein Akkord zugrunde liegt, bei dem der Grundton, das gemeinsame Interesse, viele Persön­lichkeiten durch ein einziges Band der Harmonie zusammen­hält.

Durch das Studium des Lebens erlernt der Sufi das Wesen der Harmonie und setzt es in die Tat um. Er stellt Harmonie

mit dem Selbst her, mit anderen, mit dem Weltall und mit dem Unendlichen. Er nimmt regsten Anteil an anderen, er sieht so­zusagen sich selbst in jedem anderen Wesen. Er macht sich nichts aus Tadel und Lob, weil er beide als aus ihm selbst kommend betrachtet. Wenn jemand ein schweres Gewicht fal­len läßt und dabei den eigenen Fuß verletzt, wird er ja auch nicht seiner Hand die Schuld geben, weil sie es hat fallen lassen, denn er sieht sich selbst sowohl in der Hand als auch im Fuß. In ähnlicher Weise ist der Sufi duldsam, wenn ihn ein anderer ver­letzt, und denkt, daß er allein die Schuld trägt. Er wendet den Kontrapunkt an, um unerwünschtes Gerede eines Freundes in eine Fuge übergehen zu lassen.

Er überblickt die Fehler anderer, indem er erkennt, daß sie es nicht besser wissen. Er verbirgt die Fehler anderer und vertuscht alle Fakten, die Disharmonie hervorrufen würden.

* Das gelingt aber nur auf einer höheren Stufe.

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Page 44: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Sein ständiger Kampf ist der mit dem Nafs, der Wurzel aller Disharmonie und dem einzigen Feind des Menschen. Indem er diesen Feind überwältigt, erlangt der Mensch die Herrschaft über sich selbst; das bringt ihm Meisterschaft über das ganze Weltall, weil die Mauer, die zwischen dem Selbst und dem Allmächtigen stand, in sich zusammengefallen ist.

Güte, Freundlichkeit, Hochachtung, Demut, Beschei­denheit, Selbstverleugnung, Gewissenhaftigkeit, Duldsamkeit und Vergebung werden von den Sufis als die Eigenschaften an­gesehen, die sowohl in der eigenen Seele als auch in der des an­deren Harmonie hervorrufen. Dreistigkeit, Zorn, Laster, An­haften, Gier und Eifersucht sind die sechs Hauptursachen der Disharmonie. Das Nafs, der eigentliche Urheber der Dishar­monie, wird immer mächtiger, wenn man ihm nachgibt; d. h. je mehr man seine Wünsche befriedigt, desto erfreuter ist es. Für den Augenblick zeigt es Befriedigung, weil man seine For­derungen erfüllt hat, aber bald darauf verlangt es noch mehr, bis das Leben zur drückenden Last wird. Die Weisen entlarven diesen Feind als den Anstifter allen Unglücks, jedoch die übri­

gen Menschen geben dem anderen die Schuld an den Mißge­schicken ihres Lebens.

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Page 45: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Namen

Die Vielfalt der Dinge und Wesen und die Eigentümlich­keiten, durch die sie sich voneinander unterscheiden, machen Namen notwendig. Der Name ruft das Bild einer Form, Ge­stalt, Farbe, Größe, Eigenschaft, Menge, Empfindung und Bedeutung der Dinge und Wesen hervor, nicht nur der wahr­nehmbaren und begreifbaren, sondern auch jener, die jenseits der Wahrnehmung und des Begreifens liegen; daher ist vor al­lem der Name von großer Wichtigkeit. Im Namen liegt ein großes Geheimnis verborgen, sei es dem einer Person oder ei­nes Gegenstandes, und er wird entsprechend der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Lebensumstände gebildet. Das ist nicht anders als bei einem guten Horoskop, das Aussagen über die Voraussetzungen eines Menschen macht.

Alles Mysterium liegt im Namen"' verborgen. Das Erken­nen von allem, was es auch sei, liegt darin, zunächst einmal den Namen zu wissen, und die Erkenntnis ist unvollkommen, wenn der Name fehlt. Meisterschaft beruht auf Erkenntnis; der Mensch kann eine Sache nicht meistern, von der er nichts weiß. Aller Segen und alle Wohltat, mögen sie von der Erde oder vom Himmel stammen, werden durch Bemeisterung ge­

wonnen, und dies hängt von der Erkenntnis ab. Um Erkennt­nis zu gewinnen, muß man aber den Namen wissen. Ein Mensch, der den Namen einer Sache nicht kennt, ist unwis­send, und der Unwissende ist machtlos, denn der Mensch hat keinen Einfluß auf irgend etwas, von dem er nichts weiß.

* Gemeint ist der Name, mit dem Gott die Dinge und Wesen ins Leben ruft.

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Der Grund für die Würde des Menschen liegt in der Reichweite der Erkenntnisfähigkeit, mit der er begabt ist; und ihr ganzes Mysterium liegt im Erkennen der Unterschiede zwi­schen Dingen und Wesen. Dies gibt dem Menschen nicht nur den Vorrang und die Überlegenheit über alle Geschöpfe der Erde, sondern läßt ihn sogar die Engel, die Bewohner des Himmels übertreffen. Der Koran erläutert dies mit folgenden Worten: „Als der Herr zu den Engeln sagte: ,Wir werden ei­nen Stellvertreter auf der Erde einsetzen“, antworteten sie: ,Willst du dort jemanden einsetzen, der Böses tut und Blut vergießen wird, während wir Dich lobpreisen und Dich heili­gen?“ Gott antwortete: ,Wahrlich, Wir wissen, was ihr nicht wißt', und Er lehrte Adam die Namen aller Dinge, und dann nannte Er sie auch den Engeln und sagte: .Erklärt Mir die Na­men dieser Dinge, wenn ihr recht habt.' Sie antworteten: ,Dir sei Lob, wir wissen nichts als was Du uns gelehrt hast, denn Du bist allwissend und weise.“ Gott sagte: ,O Adam, sag’ du ihnen ihre Namen.“ Und als Adam kam, sagte er ihnen ihre Namen.“

Jeder Name enthüllt dem Seher die darin enthaltene Ver­gangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Name ist nicht nur bezeichnend für die Gestalt, sondern auch für den Charakter. Die Bedeutung des Namens spielt im Leben eines Menschen eine wichtige Rolle, und der Klang, die Vokale des Namens, der Rhythmus, die Anzahl und Wesensart der Buchstaben, aus denen er zusammengesetzt ist, die mystischen Zahlen, Sym­bole und Planeten, auch die Sprachwurzel, aus der er abgeleitet ist, und die Wirkung, die er hervorruft, all dies enthüllt dem Seher sein Geheimnis.

Die Bedeutung eines Namens hat großen Einfluß sowohl auf seinen Träger als auch auf andere. Durch den Klang der Buchstaben und des Wortes, das sie bilden, kann der Mystiker vieles über den Charakter und das Schicksal eines Menschen erfahren. Ein intelligenter Mensch bekommt im allgemeinen

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eine Vorstellung durch den Klang der Buchstaben, die einen Namen bilden, und findet ihn schön oder häßlich, weich oder hart, konsonant oder dissonant, aber er weiß nicht, wodurch das so ist; wer aber wirklich versteht, weiß, warum es so ist.

Buchstaben, als einzelne oder miteinander verbunden, werden entweder leicht oder schwer ausgesprochen und haben dementsprechend ihre Wirkung auf einen selbst und auf ande­re. Namen, die weich und sanft klingen, haben eine linde Wir­kung auf den Sprecher und den Hörenden, während hart klin­gende Namen die entgegengesetzte Wirkung hervorrufen. Es ist eigentlich natürlich, daß der Mensch im allgemeinen weiche Dinge mit sanften Namen und harte Dinge mit hart klingenden Namen benennt. Die Ausdrucksweise und insbesondere der Name kennzeichnen den Stand des Menschen und den Cha­rakter der Familie, Staaten und Rassen.

Im Namen und bei dem von ihm ausgehenden Einfluß

spielen Vokale eine große Rolle. E und I kennzeichnen Jemal, die weibliche Qualität der Anmut, Weisheit, Schönheit und Empfänglichkeit. O und U kennzeichnen Jelal, die männliche Qualität der Kraft und des Ausdrucks. A kennzeichnet Kemal, die Vollkommenheit, in der diese beiden Qualitäten - Jemal und Jelal - vereinigt sind. Die oben genannten Vokale haben in der Komposition des Namens eine Wirkung, die der Stelle ent­spricht, an der sie stehen, sei es am Anfang, in der Mitte oder

am Ende.

Das Schicksal wird im Sanskrit Karma genannt, das be­deutet den Rhythmus vergangener Handlungen. Der Einfluß des Rhythmus’, der durch einen Namen angeregt wird, hat eine Wirkung auf das Wesen des Menschen, des Namensträ­gers, und ebenso auf diejenigen, die ihn mit diesem Namen ru­fen. Gleichmaß des Rhythmus’ gibt Gleichgewicht, während Unebenheit einen Mangel an Gleichgewicht hervorruft. Die

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Schönheit des Rhythmus’ verschönt den Charakter des Menschen.

Unter Rhythmus ist die Art zu verstehen, wie der Name anfängt und wie er endet, ob ebenmäßig oder unebenmäßig, mit Betonung oder mit Auftakt. Der Akzent, der auf den An­fang, in die Mitte oder ans Ende fällt, ändert die Wirkung, die eine Rolle im Charakter und Schicksal eines Menschen spielt. Der Rhythmus des Namens regt etwas an, was das wichtigste im Leben ist: Gleichgewicht oder Mangel an Gleichgewicht. Fehlendes Gleichgewicht ist eine Unzulänglichkeit im Charak­ter und verursacht im Leben Mißgeschick. Die Anzahl der Buchstaben im Namen des Menschen spielt eine große Rolle. Eine gerade Zahl weist auf Schönheit und Weisheit hin, und eine ungerade Zahl auf Liebe und Kraft.

Die Zahl spielt eine große Rolle im Leben, jedoch beson­ders im Namen. Jeder Buchstabe eines Namens hat seinen Zahlenwert; in der Wissenschaft des Orients wird dies Jafar genannt. Nach diesem System werden nicht nur Menschen, Gebäuden und Gegenständen Namen gegeben, die die Zeit ih­rer Entstehung und Vollendung übermitteln, sondern die

Kombination dieser Zahlen übermittelt dem Seher ihre mysti­sche Wirkung.

Namen haben eine psychische Wirkung auf ihre Träger und auf ihre Umgebung. Die Namen der Elementarwesen und

der Jinns, die heiligen Namen Gottes und die heiligen Namen der Propheten und Heiligen, geschrieben entsprechend dem Gesetz ihres zahlenmäßigen Wertes, dienen und wirken als magische Amulette zur Erreichung verschiedener Lebensziele; und durch die Kombination solcher Namen, niedergeschrie­ben oder ausgesprochen, in ihrer zahlenmäßigen Form, wer­den Wunder gewirkt.

Jeder Buchstabe, einzeln oder zum Wort gruppiert, ruft ein Bild hervor, das dem Seher sein Geheimnis erzählt. Zum

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Beispiel bildet das X ein Kreuz und das O die Null, beide ha­ben eine bestimmte Bedeutung. Das Alphabet, das heutzutage in Gebrauch, ist eine Entartung der ursprünglichen, hingegen sind die alten arabischen und persischen Schriften, die man auf

Torbögen, Mauern, Gewandsäumen, auf Messinggefäßen und Teppichen findet, äußerst vollkommen und schön in ihrer Zeichnung. Eine starke symbolische Bedeutung kann man in den chinesischen, japanischen, Sanskrit- und anderen alten Manuskripten finden. Jede Linie, jeder Punkt und jeder Bogen hat eine Bedeutung. Die Alten pflegten die Namen nicht mit verschiedenen Buchstaben zu schreiben, sondern als ein Bild, das eben das bedeutet, was sie zum Ausdruck bringen wollten. Das Bild bestand aus verschiedenen Teilen, und jeder Teil hatte die Aufgabe, einen bestimmten Klang darzustellen, auf diese Weise wurden die Alphabete geschaffen. Durch diese Teilung

ging jedoch das wahre Bild verloren, aber man kann trotzdem noch die Spur einer gewissen Ähnlichkeit darin finden. Selbst heute und obgleich wir eine äußerst entartete Form des Schrei­bens haben, kann doch noch vom Bild des Namens einer Per­son Leben, Schicksal oder Charakter abgelesen werden, gleich in welcher Sprache er auch niedergeschrieben sein mag. Zum Beispiel weist ein Name, der mit I anfängt, auf ein standhaftes und rechtschaffenes Ego hin, auf besondere Eigenart, Gottes­liebe und die Suche nach der Wahrheit. Das E weist auf ein schüchternes, vorsichtiges Wesen hin und auf Interessen, die sich nach drei Richtungen wenden.

Ebenso wie ein Buchstabe ein Bild darstellt, so auch ein ganzes Wort. Die Vorstellung von Allah entstand auf Grund der Vorstellung vom Menschen, und in der Form der Hand kann man das Wort Allah* lesen.

* ... wie es mit arabischen Schriftzeichen geschrieben und in der Kunst häufig dargestellt wird.

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Der Rufname hat einen größeren Einfluß als der Fami­

lienname. Manchmal hat ein Spitzname eine noch größere Wirkung. Die Wirkung des Namens hängt von seinem Ge­brauch ab; je mehr er gebraucht wird, desto größer die Wir­

kung. Abgekürzte Namen wie Mia für Maria oder Willy für Wilhelm verringern die Wirkung des Namens.

Die Namen, die von Heiligen verliehen werden, haben eine doppelte Wirkung, die des Namens als solchem und die des Wunsches und Willens desjenigen, der ihn verliehen hat. Maulabakhsh, zu seiner Zeit der bedeutendste Musiker Indi­ens, erhielt diesen Namen von einem Fakir, der im wahrsten Sinne des Wortes begeistert war, als er ihn musizieren hörte; der Name bedeutet „Gottes Segen“. Nachdem er diesen Na­men empfangen hatte, war er erfolgreich, wohin er auch kam, und gesegnet mit solchen Ehren und Belohnungen, wie man sie als seltene Gaben Gottes bezeichnen kann.

Man könnte viele Beispiele nennen von Menschen, in de­ren Leben eine Änderung des Namens einen völligen Wandel brachte. In der Bibel lesen wir, daß Jakob mit dem Namen Israel, den er durch den Engel empfing, gesegnet wurde.

Im Koran wird Mohammed stets mit besonderen Namen angerufen. Jeder dieser Namen hat nicht nur seine Wirkung auf das Leben des Propheten, sondern auch auf seine Anhän­ger, die all diese Namen annehmen und damit mystisch arbei­ten. Die Sufis haben seit Jahrhunderten den mystischen Wert dieser Namen erprobt. Bei den Sufis gibt der Murshid seinem Schüler den Namen Talib oder Mureed, damit er zu gegebener Zeit das empfängt, was dieser Name eigentlich bedeutet.

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Form, - Gestalt und Ordnung

Das Licht, aus dem alles Leben kommt, hat drei Aspekte, nämlich den Aspekt, der sich als Intelligenz manifestiert, das abstrakte Licht und das Licht der Sonne.

Die Aktivität dieses einen Lichtes arbeitet also in drei ver­schiedenen Aspekten. Der erste wird durch eine langsame, fei-

erlich-ernste Aktivität im Ewigen Bewußtsein verursacht und kann Bewußtsein oder Intelligenz genannt werden. Es ist die Intelligenz, die da ist, ehe ihr etwas gegenübersteht, das be­wußt werden könnte. Steht ihr nun aber etwas Erfahrbares ge­genüber, so wird eben diese Intelligenz Bewußtsein. Im Licht der Intelligenz ruft eine ihr eigentümliche (normale) Aktivität das abstrakte Licht hervor, und so wandelt der abstrakte Klang sich in Licht um. Dieses Licht wird für den Seher, der auf der Reise zum Ewigen Ziel ist, zur Fackel. Dasselbe Licht intensi­ver Aktivität erscheint als Sonne. Kein Mensch würde ohne weiteres glauben, daß Intelligenz, abstraktes Licht und die Sonne ein- und dasselbe sind, doch die Sprache ist keineswegs widersprüchlich, wenn sie alle drei stets mit dem Wort „Licht“ bezeichnet.

Diese drei Aspekte des einen Lichtes bilden die Vorstel­lung, die in der Lehre von der Trinität liegt, sowie auch in der Lehre von der Trimurti, die es schon Tausende von Jahren vor

dem Christentum bei den Hindus gab und durch die jene drei Aspekte des Einen bezeichnet werden, des Einen, der eine Dreiheit ist.

Der Stoff entwickelt sich vom Lichtstrahl zum Atom,

aber schon vorher existiert er als Schwingung. Was der Mensch sieht, hält er für existierend, und was er nicht sehen kann, exi­stiert auch nicht für ihn. Alles, was der Mensch wahrnimmt,

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sieht und fühlt, ist Stoff; die Quelle und Ursache von allem

aber ist Geist.Die Philosophie der Form, Gestalt und Ordnung kann

durch das Studium jenes Vorganges verstanden werden, bei dem das unsichtbare Leben sich im Sichtbaren offenbart. Wie die feinen Wellen der Schwingungen den Klang hervorrufen, so bringen die groben Wellen Licht hervor. Auf diese Weise wird das unsichtbare, unbegreifliche und nicht wahrnehmbare Leben stufenweise erkennbar, indem es erst hörbar und dann sichtbar wird; und dies ist der Ursprung und die einzige Quelle aller Gestaltungen.

Daher ist die Sonne die erste Gestalt, die die Augen sehen, und sie ist der Ursprung und die Quelle aller Gestaltungen in der gegenständlichen Welt. Das ist der Grund, weshalb sie im Altertum als Gott verehrt wurde, und wir können den Ur­sprung aller Religionen bis zu dieser Mutterreligion zurück­verfolgen. Wir können diese Philosophie in den Worten Shams-e Tabrèz finden: „Als die Sonne ihr Antlitz zeigte, er­schienen die Formen und Gestalten aller Welten. Die Schön­heit der Sonne machte ihre Schönheit sichtbar; in ihrem Leuch­ten erglänzten sie; und so sahen, erkannten und benannten wir

sie durch ihre Lichtstrahlen.“All die Myriaden Farben im Weltall sind nichts anderes als

verschiedene Stufen und Schattierungen des Lichtes, dem Schöpfer aller Elemente, der die Himmel so schön mit Sonne, Mond, Planeten und Sternen geschmückt hat, der Land und Wasser, mit all den Schönheiten der unteren Sphären, erschaf­fen, teils dunkel, teils hell, - der Mensch hat es Licht und

Schatten genannt.Sonne, Mond, Planeten und Sterne, das Leuchten der

Elektrizität, das schwächere Licht des Gases, der Lampe, der Kerze, Kohle und Holz, alle deuten auf die Sonne hin, wie sie in verschiedenen Formen wiedererscheint. Die Sonne wird in

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allem reflektiert, in stumpfen Kieselsteinen wie im funkelnden Diamanten, und ihre Ausstrahlung entspricht ihrer Fähigkeit der Widerspiegelung. So zeigt sich, daß Licht die eine und ein­zige Quelle und die Ursache der ganzen Schöpfung ist. „Gott ist das Licht des Himmels und der Erde“, sagt der Koran, und in der Genesis lesen wir: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“

Alle Ordnungen und Gestalten, auf welcher Ebene auch immer, sind nach dem Gesetz der Affinität gebildet. Jedes Atom zieht das Atom seines eigenen Elementes an; jedes posi­tive Atom zieht das negative Atom seines eigenen Elementes an, und das negative zieht das positive an; und doch ist jede Anziehung verschieden- und andersartig. Diese Atome grup­pieren sich und bilden eine Ordnung und Gestalt. Atome der abstrakten Ebenen tun sich zusammen und bilden Gestalten aus Licht und Farbe; diese und alle verschiedenen Formen der subtilen Lebenskräfte werden vom Seher geschaut. Die For­men der Mentalebene werden von Atomen dieser Ebene gebil­det, sie werden vom Auge der Seele gesehen und Imagination genannt. Auf der physischen Ebene kann dieser Vorgang in ge­genständlichen Anordnungen, in Gestalten, gesehen werden.

Der Mystiker sieht, wie auf der abstrakten Ebene das eine oder andere Element zu bestimmten Zeiten vorherrscht, sei es Äther, Luft, Feuer, Wasser oder Erde. In den subtileren Le­

benskräften stellt sich jedes Element durch die Richtung seiner Aktivität und Farbe wahrnehmbar dar; und die verschiedenen

Formen des Lichtes zeigen ein unterschiedliches Maß an Akti­vität. Zum Beispiel entwickelt eine heitere Stimmung sich zu noch größerer Heiterkeit, und Traurigkeit zu noch tieferem Kummer, ebenso ist es mit der Imagination: Jeder angenehme Gedanke entwickelt Freude und dehnt sich zu einem noch an­genehmeren Gedanken aus, und jede unangenehme Vorstel­lung wächst und wird stärker.

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Und wieder auf der physischen Ebene, da sehen wir, wie nicht nur die Menschen in Städten und Dörfern Zusammenle­ben, sondern auch Tiere und Vögel in Herden und Schwärmen leben. In der Kohlengrube wird Kohle gefunden und Gold in der Goldmine; im Wald gibt es Tausende von Bäumen, wäh­rend es in der Wüste nicht einen einzigen gibt. All dies spricht von der Macht der Affinität*, die gleichartige Atome sammelt und gruppiert und daraus zahlreiche Gestalten bildet, wo­durch vor den Augen des Menschen eine Illusion erschaffen wird, und er daher die einzige Quelle der mannigfaltigen Mani­festation vergißt.

Die Richtung, die von jedem Element eingeschlagen wird, um eine Gestalt zu bilden, hängt von der Natur seiner Aktivität ab. Zum Beispiel weist eine Aktivität, die einer horizontalen Richtung folgt, auf das Element Erde hin; eine abwärts gerich­tete auf das Wasserelement; eine aufwärts gerichtete auf das Feuerelement; die Aktivität, die sich im Zickzack bewegt, weist auf das Element Luft hin, und die Gestalt, die der Äther annimmt, ist undeutlich und unbestimmt. Infolgedessen wird dem Seher das Wesen aller Dinge durch deren Form, Ordnung und Gestalt deutlich gemacht. Und an der Farbe erkennt er das Element. Gelb ist die Farbe der Erde, grün die des Wassers, rot die des Feuers, blau die der Luft, und der Äther ist farblos. Die Mischung dieser Elemente bringt gemischte Farben zahlloser

Schattierungen und Töne hervor, und die Mannigfaltigkeit der Farben in der Natur zeugt von dem unbegrenzten Leben, das dahintersteht.

Jede Schwingungsaktivität bringt einen bestimmten Klang hervor, entsprechend des Resonanzbodens und entspre­chend der Aufnahmefähigkeit der Form, in der die Gestalt ge­bildet wird. Dies macht die Vorstellung, die hinter dem alten

* „Wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu.“

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Hinduwort Nada Brahma steht, deutlich, bedeutet es doch Klang, bedeutet den Schöpfergott.

Durch das Gesetz des Entstehens und Vergehens, sowie durch Hinzufügung und Abbau, gruppieren und verwandeln sich die verschiedenen Formen der gegenständlichen Welt. Eine aufmerksame Beobachtung der ständig sich zusammen­ballenden und wieder zerstreuenden Wolken läßt erkennen, wie sich in wenigen Minuten viele verschiedene Gestalten bil­den, und dies ist der Schlüssel zu demselben Vorgang, der in der gesamten Natur beobachtet werden kann.

Das Entstehen und Vergehen, Hinzufügen und Abbauen der Gestaltungen findet überall unter dem Einfluß von Zeit und Raum statt. Nach diesem Gesetz wird jede Form gestaltet und verändert, denn die Substanz unterscheidet sich je nach der Länge, Breite, Tiefe, Höhe und nach dem Umriß der Hohlform, in der die Gestalt gebildet wird, und die charakteri­stischen Merkmale werden entsprechend dem Eindruck gebil­det, der ihr aufgeprägt wird. Es braucht seine Zeit, bis ein jun­ges und zartes Blatt grün wird, und braucht wieder Zeit, um es von Grün in Rot und Gelb zu wandeln; und es ist der Raum, der aus dem Wasser entweder einen Graben, einen Brunnen, einen Teich, Strom, Fluß oder Ozean macht.

Die Unterschiedlichkeit der charakteristischen Merkmale verschiedener Rassen in verschiedenen Zeitaltern kann durch das Gesetz von Zeit und Raum erklärt werden, zudem durch klimatische und völkische Ursachen. Die Afghanen ähneln den Einheimischen des Panjab, und die Singalesen dem Volk von Madras; Araber sind in ihren charakteristischen Merkmalen den Persern ähnlich; Tibetaner ähneln den Einheimischen von Bhutan, und die Burmesen sind den Siamesen sehr ähnlich. All dies zeigt, wie die geographische Nähe der Länder zum größ­ten Teil die Ursache für die Ähnlichkeiten und gemeinsame ty­pische Merkmale der Bevölkerung ist. Die Gleichartigkeit in

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der Form der Keime, Würmer und Insekten ist auf dieselbe Ur­sache zurückzuführen. Als Zwillinge geborene Kinder ähneln einander in der Regel noch mehr, als das sonst bei Geschwi­stern der Fall ist.

Die Gestalt hängt vor allem von der Widerspiegelung ab; es ist die Widerspiegelung der Sonne im Mond, durch die der Mond rund wie die Sonne ist. Die gesamte niedere Schöpfung entwickelt sich nach demselben Gesetz. Tiere, die in der Um­gebung von Menschen leben und sie täglich sehen, fangen an, ihnen zu ähneln. Ein Mensch, der Tiere versorgen muß, wird ihnen mit der Zeit ähnlich, und wir beobachten, wie der Diener eines Obersten das Auftreten eines Soldaten hat, und eine Magd, die in einem Kloster arbeitet, mit der Zeit wie eine Nonne wird.

Nachdem alle Dinge einer Wandlung unterworfen sind, ist nicht ein einziges Ding dasselbe wie noch vor einem Augen­blick, auch wenn die Veränderung nicht bemerkt wird, denn nur eine entschiedene Veränderung ist wahrnehmbar, so bei einer Blume die Wandlung von der Knospe zur Blüte und bei einer Frucht die Wandlung von der Unreife zur Reife.

Sogar Steine verwandeln sich, und von einigen ist be­kannt, daß sie sich sogar im Verlauf von vierundzwanzig Stun­den wahrnehmbar verändern.

Die Zeit hat einen großen Einfluß auf alle Dinge und We­sen, wie man bei der Wandlung von der Kindheit zur Jugend sehen kann und bei der vom mittleren zum reifen Alter. Daher wird die Zeit auf Sanskrit Kala genannt, das bedeutet Zerstö­rung, weil keine Änderung ohne Zerstörung möglich ist; mit anderen Worten: Wandlung kann als Zerstörung beschrieben werden. Alle Dinge, die natürlichen und die künstlichen, die wir heute sehen, unterscheiden sich in ihrer Gestalt ganz er­heblich von dem, wie sie vor einigen tausend Jahren gewesen sind, und das kann man nicht nur an solchen Dingen wie

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Früchten, Blumen, Vögeln und Tieren beobachten, sondern auch am Menschengeschlecht, hat die Struktur des Menschen doch in allen Epochen verschiedene Wandlungen durchge­

macht.Die Gestalt des Menschen besteht aus zwei Teilen, wobei

jeder seine besonderen Eigenschaften hat. Der Kopf ist der gei­stige Körper und der untere Teil der materielle Körper. Daher hat der Kopf, verglichen mit dem übrigen Körper, weit grö­ßere Bedeutung. Da der Kopf der einzige eindeutig unter­scheidbare Teil des Menschen ist, können die Menschen einan­der am Kopf erkennen. Das Gesicht drückt das Wesen des Menschen aus und seine Lebensumstände, auch spricht es von seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Als der Prophet gefragt wurde, ob das Gesicht im Feuer der Hölle verbrannt würde, antwortete er: „Nein, das Gesicht wird nicht verbrannt, denn Allah hat gesagt: Wir haben den

Menschen nach Unserem Bilde erschaffen.“Die Ähnlichkeit zwischen den Dingen und Lebewesen

sowie zwischen Tieren und Vögeln, Tier und Mensch kann uns

viel über das Geheimnis ihres Wesens erzählen. Die Lehren der Phrenologie und Physiologie wurden nicht nur dadurch ent­deckt, daß man das Leben der Menschen mit ihren verschiede­nen Merkmalen erforschte, sondern vor allem dadurch, daß man die Ähnlichkeit studierte, die zwischen ihnen und den Tieren besteht. Zum Beispiel wird ein Mensch mit den Merk­malen eines Tigers eine dominierende Art haben, verbunden mit Mut, Zorn und Grausamkeit. Ein Mensch, dessen Gesicht dem eines Pferdes ähnelt, ist von Natur dienstwillig; ein Mensch mit einem Gesicht gleich einem Hunde wird eine kämpferische Neigung haben, während ein mauseähnliches Gesicht Schüchternheit verrät.

Es gibt vier Quellen, aus denen sich das Gesicht und die

Gestalt des Menschen ableiten lassen, und die verantwortlich

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für die Wandlungen sind, die sich in ihm vollziehen. Diese Quellen sind: die angeborenen Eigenschaften der Seele; der Einfluß durch Erbanlage; die Eindrücke der Umgebung; und schließlich der Eindruck durch einen selbst und durch die eige­nen Gedanken und Handlungen, die Kleidung, die man trägt, die Nahrung, die man zu sich nimmt, die Luft, die man atmet, und die Art und Weise, wie man lebt.

In bezug auf die erste dieser Quellen ist der Mensch machtlos, denn hier hat er keine Wahl. Es war nicht der Wunsch des Tigers, ein Tiger zu sein, noch hat ein Affe es sich ausgesucht, ein Affe zu sein, und das Kind hatte nicht die Mög­lichkeit zu wählen, ob es als Junge oder Mädchen geboren wird. Daraus sieht man, wie die erste Quelle, aus der die Ge­stalt des Menschen sich ableiten läßt, von den angeborenen Ei­genschaften abhängt, die seine Seele mitgebracht hat.

Es gibt keine Worte, mit denen man angemessen von der

Weisheit des Schöpfers sprechen könnte, der die Welt nicht nur gebildet und geschaffen, sondern jedem Wesen eben die Gestalt verliehen hat, die seinen Bedürfnissen entspricht. Die Tiere der kalten Zonen haben zum Schutz gegen die Kälte dicke Pelze erhalten; auch den Tieren in den Tropen wurde eine geeignete Gestalt verliehen; die Meeresvögel haben Flügel, die auf dem Meere geeignet sind, und die Landvögel sind mit Flügeln versorgt, die auf dem Lande geeignet sind. Vögel und Tiere haben Gestalten, die mit ihren Lebensgewohnheiten übereinstimmen. Und die Gestalt des Menschen spricht vom Grad seiner Entwicklung, seines Wesens, seiner Vergangen­heit und Gegenwart sowie von seiner Rasse, Nation und Um­gebung, von Charakter und Schicksal.

Was die zweite Quelle anbetrifft, so erbt der Mensch von seinen Vorfahren Schönheit oder das Gegenteil; aber bei der dritten und vierten Quelle hängt seine Gestalt davon ab, wie er selbst sie bildet. Der Aufbau seiner Gestalt hängt vom Gleich­

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gewicht und der Ordnung seines Lebens ab und von den Ein­drücken, die er von der Welt empfängt; denn in Übereinstim­mung mit der Haltung, die er dem Leben gegenüber einnimmt, mit jedem seiner Gedanken und Handlungen, werden seinem Wesen Atome hinzugefügt oder genommen oder anderswo hingeleitet; dadurch bilden sich die Linien und Muskeln seiner Gesichtszüge und seiner Gestalt. So spricht das Gesicht eines Menschen zum Beispiel seine Freude aus und seinen Kummer, es spricht von Gefallen und Mißfallen, Aufrichtigkeit, Unauf­richtigkeit und allem, was in ihm entwickelt ist. Die Muskeln seines Kopfes berichten dem Phrenologen von seinem Leben und seiner Verfassung. Es gibt Gedanken- und Gefühlsfor­

men, die verschönen, andere, die häßlich machen.Es liegt in der Natur der Entwicklung aller Wesen, sich

von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe der Manifestation zu entfalten, indem man in Verbindung mit einer höher entwik-

kelten Gestalt steht*. Tiere, die sich in ihrer Evolution der Gat­tung Mensch nähern, ähneln primitiven Menschen; und Tiere, die mit Menschen Zusammenleben, erwerben in ihrer Erschei­nungsform Spuren der Ähnlichkeit mit dem Menschen. Dies wird deutlich durch eingehendes Studium der charakteristi­schen Merkmale der Menschen früherer Zeiten und dem Fort­schritt, der sich in ihnen vollzogen hat.

Es liegt im Wesen der Schöpfung, sich stets in die Rich­

tung der Schönheit zu entwickeln. „Gott ist schön, und Er liebt Schönheit“, sagt der Koran. Im Wesen des Körpers liegt es, sich zu verschönen; im Wesen des Geistes liegt es, schöne Gedanken zu haben; das Herz sehnt sich nach schönen Emp­findungen. Darum sollte ein Kind mit jedem Tage schöner

* Über das Vorbild, siehe R. F. v. Scholtz „Grundlagen des medi­tativen Lebens“, 1. Kapitel. Verlag Heilbronn

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werden. Und Unwissenheit sehnt sich danach, wissend zu werden. Verläuft der Vorgang in entgegengesetzter Richtung, so ist das ein Zeichen dafür, daß der Mensch den Pfad des na­türlichen Fortschrittes verloren hat, gibt es doch zwei Arten von Formen, die natürliche und die künstliche, wobei die letz­tere eine schlechte Kopie der ersteren ist.

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Rhythmus

Bewegung ist das Merkmal des Lebens, und das Gesetz der Bewegung ist Rhythmus (Takt und Ebenmaß). Rhythmus ist in Bewegung gehülltes Leben, und in jeder seiner Erschei­nungsweisen zieht er offensichtlich die Aufmerksamkeit des

Menschen auf sich. Das beginnt beim Kind, wenn es sich über das Schütteln einer Rassel freut und durch das Schaukeln der Wiege beruhigt wird, und zeigt sich dann beim Erwachsenen; ist doch in allen Spielen, Sport und Vergnügungen auf diese und jene Weise Rhythmus verborgen, sei es beim Tennisspie­len, Kricket oder Golf, ebenso beim Boxen und Ringen. Und dasselbe gilt für die geistigen Freuden des Menschen. Sowohl die Dichtkunst als auch die Musik, vokale und instrumentale, haben Rhythmus; er ist ihr eigentlicher Geist, ihr eigentliches Leben. Ein Sanskritsprichwort sagt, der Ton sei die Mutter der Natur, aber der Rhythmus der Vater.

Ein kleines Kind, das man daran gewöhnt, zu einer be­stimmten Zeit seine Mahlzeiten zu bekommen, wird stets zu eben dieser Zeit danach verlangen, obgleich es keine Ahnung von der Uhrzeit hat. Dies liegt an der Tatsache, daß die eigent­liche Natur des Lebens Rhythmus ist. Das kleine Kind beginnt sein irdisches Dasein, indem es die Arme und Beine bewegt, und bringt dadurch den Rhythmus seines Wesens zum Aus­druck. Dadurch wird jene Philosophie veranschaulicht, die lehrt, daß Rhythmus das Merkmal des Lebens ist. Alle Men­schen haben Lust und Liebe zum Tanz, daraus erkennt man, daß ihrem Wesen Schönheit angeboren ist, die sich den

Rhythmus als Ausdrucksmittel wählt.Rhythmus ruft eine Ekstase hervor, die man nicht erklä­

ren und mit keiner anderen Quelle der Berauschung verglei­

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chen kann. Darum ist der Tanz bei allen Völkern, zivilisierten und unzivilisierten, die faszinierendste Art der Unterhaltung und Erholung und hat sowohl Heilige als auch Sünder ent­zückt. Rassen, die eine Neigung zu stark akzentuiertem Rhythmus zeigen, müssen von Natur stark und lebhaft sein. Jazz kommt von den Negern, und das Geheimnis seines Reizes liegt in der Synkopierung; es ist der natürliche Ausdruck für den Rhythmus dieser Rasse. Dieser Rhythmus weckt sowohl bei den Ausübenden als auch bei den Zuhörern eine bestimmte Lebenskraft, und die Liebe zu dieser Lebenskraft hat den Jazz so populär gemacht.

Bei vielen wilden Stämmen, in verschiedenen Ländern der Erde, hat der Tanz einen stark betonten Rhythmus, ein Zei­chen dafür, daß der Rhythmus nicht Kultur, sondern Natur ist. Unter den Europäern haben die Spanier, Polen, Ungarn

und Russen die ausgeprägteste Neigung zum Rhythmus.Das Erfolgsgeheimnis des russischen Balletts und der spa­

nischen Tänze liegt in ihrem ausgezeichneten Rhythmus. Bei den asiatischen Rassen sind es die Mongolen, deren Musik hauptsächlich auf Rhythmus basiert, und er wird mehr betont als die Melodie. Auch in der türkischen und persischen Musik

wird der Rhythmus hervorgehoben, und bei den Arabern ist die Mannigfaltigkeit der Rhythmen äußerst vielseitig. In In­dien aber hat die Kultur des Rhythmus’ Vollkommenheit er­reicht. In Indien improvisiert ein erfahrener Musiker eine Me­lodie und behält durch die ganze Improvisation denselben Takt bei. Um in Indien ein Meister der Musik zu werden, muß man nicht nur die raga, die Tonleiter*, sondern auch tala, den Rhythmus, vollkommen beherrschen. Als Rasse sind die Inder

* Jede Raga (Melodietyp, der eine besondere Gestimmtheit und Vor­stellung erweckt) hat ihre Tonleiter (mela, jati) mit entsprechenden Haupttönen (vadi).

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von Natur aus dem Rhythmus zugeneigt; ihr Tanz Tandeva Nrutya, der Tanz des Südens, ist ein Ausdruck des Rhythmus’ in Bewegung.

In der Musikwissenschaft der Hindus gibt es fünf ver­

schiedene Rhythmen, die vor allem vom Studium der Natur abgeleitet werden:

1. Chatura, der Viertaktrhythmus, der von den Devas oder göttlichen Menschen erfunden wurde.

2. Tisra, der Dreitaktrhythmus, erfunden von den Rishis und Heiligen.

3. Khanda, der Fünftaktrhythmus, erfunden von den

Rakshasas.4. Misra, der Siebentaktrhythmus, erfunden vom Volk.5. Sankrian, der Neuntaktrhythmus, erfunden von der

Kaste der Kaufleute.

Mahadeva, der große Gott der Yogis, war der Tänzer des Tandeva Nrutya, und seine Gemahlin Parvati tanzte den Lassis Nrutya.

Die Hindus haben in der mystischen Legende von Sri Krishna, der mit den Gopis tanzt, eine sehr heilige Überliefe­rung. Die Geschichte erzählt, wie Krishna, der bezaubernde, jugendliche Gott der Hindus, bei den Kuhhirten lebte, und alle Jungfrauen, angezogen von seiner Schönheit und seinem Lieb­reiz, wünschten sich, mit ihm zu tanzen. Jeder Jungfrau, die ihn darum bat, versprach er, in der Vollmondnacht mit ihr zu tanzen. In der Nacht des Vollmondes versammelten sich sech­zehnhundert Gopis, und Krishna vollbrachte das Wunder, al­len als ein einzelner Krishna zu erscheinen, und sie alle tanzten gleichzeitig mit ihrem geliebten Herrn.

Im Islam, in dem Musik, Tanz und alle Vergnügungen und leichten Unterhaltungen streng verboten sind, gibt es eine Überlieferung, nach der an einem Feiertage der Prophet seine

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Frau Ayesha rief, um dem Spiel einiger Straßenmusikanten zu lauschen und dem Tanz zuzuschauen. Da kam sein großer Khalif des Weges und war entsetzt, daß der Prophet, der doch solche Dinge verboten hatte, das Musizieren vor seinem Hause

zuließ. Als er dem Spiel der Straßenmusikanten Einhalt gebot, indem er sie darauf hinwies, daß sie sich vor dem Hause des Propheten befänden, bat Mohammed sie, weiterzuspielen und sagte, es sei ein Feiertag, und es gäbe kein Herz, das nicht bei der Bewegung des Rhythmus mitschwingen würde.

In der Überlieferung der Sufis wird Raqs, der heilige Tanz der Ekstase, der auch heute noch bei den Sufis im Osten ver­breitet ist, auf jenen Tag zurückgeführt, da dem Herzen Jelal- ud-Din Rumis während der Kontemplation des Schöpfers die wunderbare Wirklichkeit Seines Anblickes so tief eingeprägt wurde, daß er, vollkommen versunken in die ganze und ein­zige Immanenz der Natur, anfing, sich rhythmisch zu drehen,

so daß der Saum seines Gewandes einen Kreis bildete, und auch die Bewegungen seiner Hände und des Kopfes bildeten einen Kreis. Und zur Erinnerung an den Augenblick dieser Vi­sion wird der Tanz der Derwische zelebriert.

Auch in der niederen Schöpfung, bei Tieren und Vögeln, wird die Freude stets durch Tanzen zum Ausdruck gebracht. Wenn ein Vogel wie der Pfau sich seiner Schönheit bewußt wird und der Schönheit des Waldes ringsum, drückt er seine Freude durch Tanzen aus. In allen Lebewesen weckt Tanzen Leidenschaft und Gemütsbewegung.

Im Osten, und besonders in Indien, wo das Leben des Volkes seit Jahrhunderten auf psychologischen Gesetzen ba­siert, wird bei fürstlichen Prachtumzügen oder Durbars"' dem Gemüt des Volkes durch das Schlagen der Trommeln der Ein­druck feierlicher Erhabenheit eingeprägt. Und dasselbe

* Öffentliche Audienz

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Trommeln findet bei Hochzeitszeremonien statt und beim

Gottesdienst in den Tempeln.

Um im Menschen jenen Teil seiner fühlenden Natur, der im allgemeinen schläft, zu wecken, haben die Sufis eine rhyth­mische Übung, die die gesamte Funktion des Körpers und des Gemütes in Rhythmus versetzt.

In allen Menschen ist - bewußt oder unbewußt - eine Neigung zum Rhythmus vorhanden. In den europäischen Ländern bringt man Freude durch Händeklatschen zum Aus­druck; zum Zeichen des Abschieds winkt man mit der Hand,

und das rhythmisiert.

Alle Arbeit und Mühe, wie hart und schwer sie auch sein

mag, wird in der einen oder anderen Weise durch die Macht des Rhythmus’ erleichtert. Dieser Gedanke öffnet dem nachdenk­lichen Menschen eine Möglichkeit, einen tieferen Einblick ins Leben zu gewinnen.

Rhythmus, in jeder seiner Erscheinungsweisen, sei es un­ter der Maske des Spieles, des Vergnügens, der Dichtung, der Musik oder des Tanzes, ist die eigentliche Natur der ganzen Konstitution des Menschen. Wenn die gesamte Funktion sei­nes Körpers arbeitet, das Klopfen der Pulse, des Herzens, der Schläfen, der Blutkreislauf, Hunger und Durst, so zeigt das al­

les Rhythmus, und eine Störung dieses Rhythmus’ ist das, was Krankheit genannt wird.

Wenn das Kind weint, und die Mutter nicht weiß, was ihm fehlt, hält sie es auf dem Arm und klopft ihm auf den Rük- ken. Das bringt den Blutkreislauf, den Pulsschlag und die ganze Funktion des Körpers in Rhythmus, mit anderen Wor­ten, es bringt den Körper in Ordnung und beruhigt das Kind. Und der Kinderreim „Backe, backe Kuchen“*, den es in ir­

* verbunden mit rhythmischem Händeklatschen.

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gendeiner Form auf der ganzen Welt gibt, beruhigt ein erregtes Kind, indem er sein ganzes Wesen rhythmisiert.

Daher sind die Ärzte, um die wahre Natur einer Krank­heit erkennen zu können, mehr als auf alles andere auf die Un­tersuchung des Pulsschlages angewiesen und auch auf den Herzschlag und die Lungenbewegung in Brust und Rücken.

Nicht nur im Körper spielt der Rhythmus eine wichtige Rolle, sondern auch im Gemüt. Der Wechsel von Freude zu Traurigkeit, das Auftauchen und Verschwinden der Gedanken und das gesamte Arbeiten der Gemüts- und Gedankenkräfte zeugt von Rhythmus, und alle Verwirrung und Verzweiflung können wohl dem Mangel an Rhythmus im Gemüt zuge­schrieben werden.

Wenn die Heilerim Osten, und besonders in Indien, in al­ten Zeiten einen Kranken von irgendeiner Krankheit seelischer

Natur heilen wollten, und man wußte, daß es sich um Beses­senheit oder um eine Einwirkung durch Magie handelte, war es üblich, die Gefühlssphäre des Kranken durch den nachdrück­lichen Rhythmus ihrer Trommeln und Gesänge anzuregen; zugleich ließen sie den Kranken den Kopf im Takt der Musik

auf- und abschwingen. Das weckte seine Emotionen und brachte ihn dazu, das Geheimnis seines Leidens auszuspre­chen, nachdem es bislang unter der Decke von Furcht und her­kömmlichen und konventionellen Formen verborgen gewesen war. Unter dem durch den Rhythmus hervorgerufenen Bann beichtete der Kranke dem Heiler alles, und der Heiler konnte dadurch die Ursache der Krankheit entdecken.

Die Worte „gedankenvoll“ und „gedankenlos“ kenn­zeichnen einen rhythmischen und einen unrhythmischen Zu­stand des Gemütes; und Gleichgewicht, die einzig aufrechter­haltende Kraft im Leben, wird durch Rhythmus gewahrt. At­mung, die Geist und Körper sowie Geist und Seele miteinander verbindet, besteht darin, in jedem Augenblick, im Wachen

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oder Schlafen, den Rhythmus zu halten. Einatmen und Aus­atmen können mit der schwingenden Bewegung eines Uhr­pendels verglichen werden. Da alle Kraft und Energie durch den Atem aufrechterhalten wird, und da Atem das Merkmal des Lebens ist, und da es seine Natur ist, abwechselnd auf die rechte und die linke Seite zu fließen, wird durch all dies bewie­sen, daß der Rhythmus für das Leben von allergrößter Bedeu­tung ist.

Da dem Menschen Rhythmus angeboren ist und dieser seine Gesundheit erhält, hängen alle Lebensumstände des Menschen vom Rhythmus ab. Sein Erfolg, sein Mißerfolg, gute und schlechte Taten, all dies ist in der einen oder anderen Weise einer Änderung des Rhythmus’ zuzuschreiben.

Der Instinkt des Fliegens bringt bei den Vögeln eine rhythmische Bewegung der Flügel hervor; und dieselbe Nei­gung zu rhythmischer Zusammenziehung läßt den Fisch schwimmen und die Schlange dahingleiten.

Bei genauer Beobachtung erkennt man, wie das ganze Weltall ein einziges Triebwerk ist, das nach dem Gesetz des Rhythmus’ arbeitet. Das Steigen und Fallen der Wellen, die Ebbe und Flut der Gezeiten, das Zunehmen und Abnehmen des Mondes, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der Wechsel der Jahreszeiten, die Bewegung der Erde und der Pla­neten, das gesamte kosmische System und die Anordnung des ganzen Universums arbeiten nach dem Gesetz des Rhythmus’. Rhythmuszyklen, bei denen größere und kleinere Zyklen ein­ander durchdringen, erhalten die ganze Schöpfung in ihrer schwingenden Bewegung. Dies stellt anschaulich den Ur­sprung der Schöpfung dar: Bewegung, die aus dem bewe­gungslosen Leben entsprungen ist, wobei sich jede Bewegung notwendig als dualer Aspekt dartun muß. Sobald man einen Stock bewegt, wird diese einfache Bewegung zwei Punkte bil­den; der eine dort, wo die Bewegung beginnt, der andere, wo

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sie endet, der eine stark, der andere schwach; ein Kapellmeister würde eins-zwei, eins-zwei zählen, mit einem starken und ei­nem schwachen Akzent: eine Bewegung mit zwei Wirkungen, jede getrennt von der anderen und verschieden. Dies ist das Mysterium, das unter dem dualen Aspekt aller Phasen und Formen des Lebens verborgen liegt. Und Grund, Ursache und Bedeutung alles Lebens werden im Rhythmus entdeckt.

Es gibt einen psychologischen Begriff des Rhythmus’, der in der Dichtkunst und in der Musik angewandt wird, und den man folgendermaßen erklären kann: Jeder Rhythmus hat eine bestimmte Wirkung, nicht nur auf den physischen und menta­len Körper des Dichters, nicht nur auf denjenigen, für den die Dichtung geschrieben wurde, auf den Musiker oder auf jenen, für den das Lied gesungen wird, sondern auch auf seine Le­bensumstände. Man ist überzeugt davon, daß die Wirkung dem Dichter und Musiker oder dem Zuhörer Glück oder Un­glück bringen kann. Hier liegt die Vorstellung zugrunde, daß im Wesen jeder Tätigkeit, sei sie aufbauend oder zerstörend, Rhythmus verborgen ist, so daß der schicksalhafte Ablauf der Lebensumstände von dem in allen Aktivitäten vorhandenen Rhythmus abhängt.

Ausdrücke, wie man sie im täglichen Leben gebraucht, zum Beispiel ,,Er kam zu spät“ oder ,,Es geschah zu früh“ oder ,,Es geschah rechtzeitig“, sprechen vom Einfluß des Rhythmus’ auf die Lebensumstände.

Ereignisse wie der Untergang der Titanic und die höchst erstaunlichen Wendungen, die sich während des letzten Krie­ges* ereigneten, können, wenn man aufmerksam darüber nachdenkt, dem Rhythmus zugeschrieben werden, der sowohl auf der mentalen als auch auf der physischen Ebene wirksam war.

* Der 1. Weltkrieg

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Die Inder haben einen Aberglauben, wonach - wenn je­mand gähnt - einer der Anwesenden mit den Fingern

schnalzen oder in die Hände klatschen muß. Darin verborgen liegt die folgende Bedeutung: Durch Fingerschnalzen oder Händeklatschen soll man den Rhythmus wieder in seinen ur­

sprünglichen Zustand bringen.

Wenn ein Moslemkind den Koran liest, bewegt es den Kopf vor und zurück. Ganz allgemein ist man der Ansicht, das

Kind verneige sich respektvoll vor den heiligen Worten, die es liest. Psychologisch gesehen geht es jedoch darum, daß es dem Kind hilft, den Koran auswendig zu lernen, indem der Kreis­lauf reguliert und das Gehirn zu einem aufnahmefähigen Werkzeug gemacht wird, so wie man manchmal ein Gefäß schüttelt, wenn man es füllt, um mehr Platz darin zu schaffen.

Dasselbe kann man beobachten, wenn jemand mit dem Kopfe

nickt, weil er einen Gedanken bejaht, oder ihn schüttelt, weil er ihn nicht annehmen kann.

Die Funktion aller Arten von Mechanismen, die sozusa­gen aus sich selbst arbeiten, wird durch das Gesetz des Rhyth­mus’ geregelt und in Gang gehalten; und dies ist ein weiterer Beweis für die Tatsache, daß die gesamte Funktion des Univer­sums auf dem Gesetz des Rhythmus’ beruht.

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Musik

Wenn wir auf die Musik der Natur achten, entdecken wir, wie alle Dinge auf Erden zu ihrer Harmonie beitragen. Die Bäume schwingen ihre Zweige freudig im Rhythmus des Win­des; das Rauschen des Meeres, das Raunen der Brise, das Pfei­fen des Windes zwischen Felsen, Hügeln und Bergen, das Auf­flammen des Blitzes und das Krachen des Donners, die Har­monie zwischen Sonne und Mond, der Lauf der Sterne und Planeten, das Blühen der Blume, das Welken des Blattes, der geordnete Wechsel zwischen Morgen, Abend, Mittag und Nacht, alles enthüllt dem Seher die Musik der Natur.

Die Insekten haben ihre Konzerte und Balletts, und die Chöre der Vögel singen im Einklang ihre lobpreisenden Hym­nen. Hunde und Katzen feiern ihre Orgien. Füchse und Wölfe feiern ihre musikalische Soiree im Walde, und Tiger und Lö­wen führen ihre Opern in der Wildnis auf.

Bei den Vögeln und Tieren ist die Musik das einzige Ver­ständigungsmittel. Man kann es an der Abstufung ihrer Fre­quenz und am Volumen des Tones erkennen, an der Art der

Melodie, der Anzahl der Wiederholungen und der Länge der verschiedenen Laute. Auf diese Weise übermitteln sie ihren Artgenossen den Zeitpunkt, zu dem sich die Schar versammelt, Warnung vor drohender Gefahr, Kriegserklärung, Liebesge- fühl und die Empfindung der Zuneigung, Verdruß, Leiden­schaft, Zorn, Furcht und Eifersucht. So haben sie sich eine ei­gene Sprache geschaffen.

Beim Menschen ist der Atem ein ständiger Ton; und der Pulsschlag, der Herzschlag und der Puls der Schläfen halten ständig den Rhythmus aufrecht.

Ein Kind reagiert auf Musik, noch ehe es zu sprechen ge­lernt hat; es bewegt seine Hände und Füße im Takt und bringt

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Freude und Schmerz durch verschiedene Laute zum Aus­

druck.In der ersten Zeit der menschlichen Bildung gab es noch

keine Sprache gleich der, die wir heute haben, sondern nur Musik. Anfangs drückte der Mensch seine Gedanken und Empfindungen durch tiefe und hohe, kurze oder längere Laute aus. Die Fülle des Tones bezeugte Kraft und Macht, und die Höhe der Frequenz drückte Liebe und Weisheit aus. Der Mensch übermittelte Aufrichtigkeit, Unaufrichtigkeit, Nei­gung, Abneigung, Freude oder Mißfallen durch die Mannigfal­tigkeit seiner musikalischen Ausdrucksweisen.

Die Zunge berührt im Munde verschiedene Punkte; da­durch und durch die verschiedenen Arten, die Lippen zu öff­nen und zu schließen, bringt sie die Mannigfaltigkeit der Laute hervor. Durch das Gruppieren von Lauten wurden Worte ge­bildet, die in abwechslungsreicher Ausdrucksweise verschie­dene Bedeutungen übermittelten. So verwandelte die Musik sich langsam in eine Sprache, aber die Sprache konnte sich doch nie von der Musik lösen.

Ein Wort, das in einem bestimmten Ton gesprochen wird, zeigt Unterwürfigkeit, und dasselbe Wort, in einem anderen Ton gesprochen, drückt einen Befehl aus. In einem bestimm­ten Ton bringt ein Wort Freundschaft zum Ausdruck, in einem anderen Ton zeugt es von Kälte. Worte, die in einem bestimm­ten Rhythmus gesprochen werden, drücken Bereitwilligkeit aus, und dieselben Worte zeugen von Widerwilligkeit, wenn sie in einer anderen Geschwindigkeit gesprochen werden.

Auch heute noch können die alten Sprachen, Sanskrit, Arabisch und Hebräisch, nicht dadurch erlernt werden, daß man nur ihre Worte, Aussprache und Grammatik beherrscht, sondern es ist ein besonderer rhythmischer und tonaler Aus­druck erforderlich. Häufig ist das Wort selbst keineswegs aus­reichend, um die Bedeutung klar zum Ausdruck zu bringen.

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Wer Sprachen studiert, kann dies durch aufmerksame Beob­achtung entdecken.

Auch moderne Sprachen sind nichts anderes als simplifi­zierte Musik. In keiner Sprache kann irgendein Wort nur auf eine einzige Weise, ohne Unterscheidung des Tones, der Fre­quenz, des Rhythmus’, des Akzentes, ohne Absetzen und Pause, gesprochen werden. So einfach eine Sprache auch sein mag, sie kann nicht ohne die ihr eigene Musik leben. Musik verleiht ihr die eigentliche Ausdrucksweise. Daher wird eine Fremdsprache selten perfekt gesprochen; die Worte werden gelernt, aber die Musik wird nicht beherrscht.

Sprache kann (wie schon gesagt) als simplifizierte Musik bezeichnet werden. In der Sprache ist Musik verborgen wie die Seele im Körper. Mit jedem Schritt zur Simplifizierung hat die Sprache etwas von ihrer Musik verloren. Beim Studium der al­ten Kulturen erfährt man, wie die ersten Göttlichen Botschaf­ten als Lieder übermittelt wurden, so die Psalmen Davids, die Lieder Salomons, die Gathas des Zarathustra und die Gita Krishnas.

Als die Sprache komplexer wurde, verschloß sich der Sinn für den Ton - es ist der eine ihrer Flügel, während der andere Flügel, der Sinn für Rhythmus, ausgebreitet blieb. Auf diese Weise trennten sich Dichtkunst und Musik voneinander. In al­ten Zeiten wurden Religionen, Philosophien, Wissenschaften und Künste in Dichtungen zum Ausdruck gebracht. Teile der Veden, Puranas, Ramayana, Mahabharata, Zendavesta, Kab­bala und Bibel stehen in Versform, dasselbe trifft in den alten Sprachen auf verschiedene schöne Künste und Wissenschaften zu. Unter den heiligen Schriften steht nur der Koran ganz in Prosa, und auch er ist nicht ohne Poesie.

Auch in neuester Zeit wurden im Osten nicht nur Schrif­ten über wissenschaftliche Themen, Kunst und Literatur in

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Versform geschrieben, sondern die Gebildeten hielten auch Vorträge und führten Gespräche in Versen.

Auf der nächsten Stufe befreite der Mensch die Sprache vom Band des Rhythmus’ und machte die Dichtung zur Prosa. Jedoch, obgleich der Mensch versucht hat, die Sprache von der Fessel des Tones und des Rhythmus’ zu befreien, lebt der Geist der Musik trotz allem weiter. Der Mensch hört gerne, wenn Dichtung rezitiert und Prosa vorgelesen wird, ein Zeichen da­für, daß die Seele auch im gesprochenen Wort Musik sucht.

Das summende Singen der Mutter beruhigt das kleine Kind und schläfert es ein, und lebhafte Musik regt es zum Tanzen an. Wenn der Soldat in die Schlacht zieht, werden Mut und Kraft durch Musik verdoppelt. Wenn im Osten die Pilger­karawanen von Ort zu Ort wandern, singt man im Gehen. In Indien singen die Kulis bei der Arbeit, und der Rhythmus der

Musik erleichtert ihnen auch die schwerste Arbeit.Eine alte Legende erzählt, wie die Engel auf Befehl Gottes

sangen, um die widerstrebende Seele zu bewegen, sich in den Körper Adams zu begeben. Berauscht vom Gesang der Engel

ging die Seele in den Körper hinein, den man doch für ein Ge­

fängnis hält.Alle Esoteriker, die die Tiefe der Geistigkeit wirklich er­

gründet haben, erkannten, daß es kein besseres Mittel gibt, den Seelen den Weg aus der Sphäre der Ungebundenheit in die ma­terielle Welt attraktiv zu machen als die Musik. Sie gebrauchen verschiedene Instrumente, die den entsprechenden Seelen ge­fallen, und singen Lieder, die eine bestimmte Wirkung auf die Seele, mit der sie in Verbindung kommen möchten, ausüben. Es gibt nichts, was sich in seiner zauberhaften Wirkung auf die menschliche Seele mit der Musik vergleichen ließe.

Der Sinn für Musik ist dem Menschen angeboren und zeigt sich schon beim Kind. Das Kind in der Wiege weiß um Musik, aber wenn es in dieser Welt der Täuschungen heran­

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wächst, werden seine Gemüts- und Gedankenkräfte von so vielen verschiedenen Dingen gefesselt, daß es die musikalische Fähigkeit, die der Seele eigen war, verliert. Auch der Erwach­sene schätzt Musik und freut sich an dem, was seiner Entwick­lungsstufe entspricht sowie der Umwelt, in die er hineingebo­ren und in der er erzogen wurde. Der Mann der Wildnis singt seine wilden Lieder, und der Mann in der Stadt die dort popu­lären Lieder. Je verfeinerter ein Mensch wird, desto subtiler auch die Musik, an der er sich freut. Der Charakter des Men­schen weckt die Neigung zu der ihm entsprechenden Musik; mit anderen Worten: Ein lebenslustiger Mensch freut sich an leichter Musik, während ein nachdenklicher Mensch die klassi­

sche bevorzugt; der Intellektuelle ist begeistert von der Tech­nik, während der Naturhafte mit seiner Trommel zufrieden ist.

Es gibt fünf verschiedene Aspekte der Kunst der Musik: den volkstümlichen, hierbei wird die Bewegung des Körpers angeregt; den technischen, er befriedigt den Intellekt; den künstlerischen, der voller Schönheit und Anmut ist; sodann den Aspekt, durch den das Herz angesprochen und durch­drungen wird; und schließlich den erhebenden, wobei die Seele die Musik der Sphären hört.

Die Wirkung der Musik hängt nicht nur von dem profes­sionellen Können des Ausführenden ab, sondern auch von sei­ner Entwicklung. Die Wirkung auf den Zuhörer entspricht seiner Erkenntnis und Entwicklung, daher ist der Gehalt der Musik bei jedem wieder anders. Ein selbstgefälliger Mensch hat keine Aussicht, Fortschritte zu machen, denn er klebt zu­frieden an seinem Geschmack, der seiner Entwicklungsstufe

entspricht, und weigert sich, über sein derzeitiges Niveau hin­auszusteigen.

Wer auf dem Pfade der Musik stufenweise voranschreitet, wird am Ende die höchste Vollkommenheit erreichen. Keine andere Kunst kann die Persönlichkeit so inspirieren und so lie­

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benswert machen wie die Musik; wer Musik liebt, wird früher oder später die erhabensten Bereiche der Gedankenwelt errei­chen.

Indien hat das Mysterium des Klanges und der Frequenz, das von den Alten entdeckt wurde, bewahrt, und seine Musik

zeugt davon.Die indische Musik basiert auf dem Prinzip der raga*, in

der ihre Verwandtschaft mit der Natur zum Ausdruck kommt. Sie hat technische Einschränkungen vermieden, indem sie eine rein inspirative Methode anwendet.

Die Ragas stammen aus fünf verschiedenen Quellen: aus dem mathematischen Gesetz der Mannigfaltigkeit; aus der In­spiration der Mystiker; aus der Imagination der Musiker; aus den Volksliedern, die in den verschiedenen Gebieten des Lan­des gesungen werden; und aus der Idealisierung durch die Dichter. So entstand eine Welt von Ragas; da gibt es die männ­lichen, die man raga nennt, die weiblichen nennt man ragini,

putra sind Söhne, bharja Schwiegertöchter.Das männliche Thema wird raga genannt, weil sein We­

sen schöpferisch und positiv ist; das weibliche Thema wird ra­gini genannt, weil seine Qualität respondierend und schön ist. Putras heißen jene Themen, die aus der Mischung von ragas und raginis entstehen und daher eine Ähnlichkeit mit der raga und ragini haben, von der sie abgeleitet wurden. Bharja ist das der putra respondierende Thema. Es gibt sechs ragas und sechsunddreißig raginis, von denen sechs zu jeder raga gehö­ren, und achtundvierzig putras und bharjas, sie alle zusammen

bilden die Familie.Jede Raga hat ihre eigene Regierung, dazu gehört der An­

führer, mukhya, der Grundton. Da ist wadi, ein König, eine Hauptnote; samwadi, ein Minister, eine untergebene Note;

* Siehe Fußnote auf Seite 60

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anuwadi, ein Diener, eine assonante Note; viwadi, ein Feind, eine dissonante Note. So hat man, wenn man die Raga studiert, eine genaue Vorstellung von ihrer Anwendung. Jede Raga hat ihr eigenes Image, das sie von den anderen unterscheidet. Auf diese Weise wird die größte Reichweite der Imagination mög­lich.

Die Dichter haben die Vorstellungsbilder (images) der Ragas anschaulich beschrieben, so wie einem intelligenten Menschen in der Imagination das Bild jedes Lebensaspektes vor Augen steht. Die alten Götter und Göttinnen waren ganz einfach Bilder der verschiedenen Aspekte des Lebens, und um die Menschen zu lehren, die Immanenz Gottes in der Natur anzubeten, wurden die verschiedenen Gottesbilder in den Tempeln aufgestellt, so wurde Er dann in jedem Seiner Aspekte der Manifestation verehrt. Eben derselbe Gedanke wurde in den Vorstellungsbildern der Ragas herausgearbeitet, die mit empfindsamer Imagination Typus, Form, Gestalt, Handlung, Ausdruck und Wirkung der Idee erschaffen.

Jede Stunde des Tages und der Nacht, jeder Tag, jede Wo­che, jeder Monat und jede Jahreszeit hat Einfluß auf den kör­perlichen und mentalen Zustand des Menschen. Ebenso hat jede Raga Macht über die Atmosphäre wie auch über die Ge­sundheit und die Gemüts- und Gedankenkräfte des Menschen. Es geht um dieselbe Wirkung, wie sie, abhängig vom kosmi­schen Gesetz, in den verschiedenen Lebensabschnitten sicht­bar wird. Dadurch, daß die Weisen das Wissen um die Zeit­zyklen und um die Raga hatten, haben sie beides so miteinan­der verbunden, daß es zusammenstimmt.

In den alten Kulturen gibt es entsprechende Beispiele, so wenn die Vögel und Tiere durch die Flöte Krishnas bezaubert wurden und durch den Gesang des Orpheus Felsen ge­schmolzen sind. Und als Tansen die dipak raga sang, wurden alle Fackeln entzündet, während er selbst in dem inneren Feu­

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er, das sein Gesang hervorgerufen hatte, verbrannte. Noch heute werden in Indien die Schlangen von der pungi (eine Flötenart) der Schlangenbeschwörer bezaubert. All dies zeigt uns, wie die Alten wohl in den allergeheimnisvollsten Ozean der Musik eingetaucht sind.

Das Geheimnis der Komposition liegt darin, den Grund­ton der Raga ständig und so lange wie möglich durch alle seine verschiedenen Stufen hindurch zu halten. Ein plötzliches Ab­brechen zerstört sein Leben, seine Anmut und Kraft und sei­

nen Magnetismus, genauso wie der Atem das Leben aufrecht hält und ihm alle Anmut, Kraft und aller Magnetismus eigen ist. Es gibt einige Töne, die ein längeres Leben brauchen als an­dere, entsprechend ihrem Charakter und ihrem Sinn und Zweck.

In einer wahren Komposition erkennt man die Musik der Natur in Miniatur. Die Wirkungen des Donners, Regens, Sturms und die anschauliche Schilderung der Hügel und Flüsse macht Musik zu wahrer Kunst. Obwohl Kunst eine Improvi­

sation über die Natur ist, wird sie nur dann echt sein, wenn sie sich nahe an die Natur hält. Noch höher steht die Musik, die Wesen und Charakter von Menschen, Völkern oder Rassen zum Ausdruck bringt. Die höchste und idealste Komposition aber ist jene, die dem Leben Ausdruck verleiht, dem Charak­ter, den Empfindungen und Gefühlen, denn hier geht es um die innere Welt, die nur vom Auge der Seele geschaut werden kann. Ein Genie bedient sich der Musik als einer Sprache, in der er umfassend und ohne Hilfe der Worte ausdrücken kann, was immer er vermitteln möchte; denn Musik, als eine voll­kommene und universale Sprache, kann die Empfindungswelt inhaltsreicher und tiefer zum Ausdruck bringen als irgendeine menschliche Sprache.

Musik verliert ihre Freiheit dadurch, daß sie vom Gesetz der Technik abhängig wird, jedoch die Mystiker befreien in ih­rer heiligen Musik sowohl die Kompositionen als auch die Im­

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provisationen von den Einschränkungen durch technische Verfahren, ohne sich um die Meinung der Welt zu kümmern.

Im Osten wird die Kunst der Musik kalá genannt und hat drei Aspekte: den vokalen, den instrumentalen und den des Ausdrucks durch Bewegung.

Vokale Musik wird als die höchste angesehen, denn sie ist natürlich. Die Wirkung, die von einem Instrument, das ja nur eine Maschine ist, hervorgerufen wird, kann nicht mit der einer menschlichen Stimme verglichen werden. So vollkommen Sai­

teninstrumente auch sein mögen, sie können auf den Zuhörer doch nicht denselben Eindruck machen wie die Stimme, die als Atem unmittelbar aus der Seele kommt, und kraft der Gemüts­und Gedankenkräfte und der Stimmorgane des Körpers in die äußere Welt gebracht wird. Wenn die Seele sich durch die Stimme ausdrücken möchte, verursacht das zunächst eine Ak­tivität der Gemüts- und Gedankenkräfte, und das Gemüt pro­jiziert kraft des Denkens feinere Schwingungen in die mentale Ebene. Diese entwickeln sich im Verlauf des Vorganges und fließen als Atem durch die Region des Bauches, der Lungen, des Mundes, der Kehle, der nasalen Organe, wobei sie überall die Luft in Schwingung versetzen, bis sie sich als Stimme mani­festieren und zutage treten. Daher drückt die Stimme natürli­

cherweise den Zustand des Gemütes aus, sei dies nun redlich oder unecht, aufrichtig oder unaufrichtig.

Die Stimme besitzt all den Magnetismus, der dem Instru­ment fehlt; denn die Stimme ist das ideale Instrument der Na­tur, dem alle anderen Instrumente, die es auf der Welt gibt, nachgebildet sind.

Die Wirkung, die durch Gesang hervorgerufen wird, hängt von der Empfindungstiefe des Sängers ab. Die Stimme eines mitfühlenden Sängers ist ganz anders als die eines lieblo­sen. Wie künstlerisch durchgebildet eine Stimme auch sein

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mag, sie wird nur dann Empfindung, Anmut und Schönheit hervorbringen, wenn auch das Herz ausgebildet ist.

Gesang hat zwei Quellen der Anziehungskraft: die An­mut der Musik und die Schönheit der Dichtung. Je nachdem wie der Sänger die Worte empfindet, die er singt, wird auf den Zuhörer eine Wirkung ausgeübt; sein Herz begleitet sozusagen das Lied.

Obgleich der Klang, der durch ein Instrument erzeugt wird, nicht von der Stimme hervorgebracht werden kann, hängt das Instrument doch ganz vom Menschen ab. Hierdurch wird deutlich, wie die Seele sich der Gemüts- und Gedanken­kräfte bedient und wie diese den Körper beherrschen. Dabei sieht es so aus, als arbeite der Körper, nicht die Gemüts- und Gedankenkräfte, und als habe man die Seele beiseite gelassen. Wenn man den Klang des Instrumentes hört und die Hand des Spielers bei der Arbeit beobachtet, sieht man nicht die dahin­terstehende Arbeit des Geistes, noch sieht man das Wunder der Seele.

Jeder Schritt aus dem inneren Wesen nach außen scheint ein positiver Fortschritt zu sein; jedoch jeder Schritt in die äu­ßere Erscheinungswelt bringt Begrenzung und Abhängigkeit mit sich.

Es gibt nichts, was dem Klang nicht als Medium dienen kann. Allerdings kann der Ton sich unbehinderter durch einen voll mitschwingenden, hohlen als durch einen festen Klang­körper manifestieren, ist der erstere doch offen für die Schwin­gungen, der letztere aber verschlossen. Alle Dinge, die einen reinen, klaren Klang haben, sind voller Leben, während feste, durch die Materie verstopfte Körper tot zu sein scheinen. Re­sonanz ist das Bewahren des Tones, mit anderen Worten, es ist der Aufprall des Tones, durch den ein Echo hervorgerufen wird. Nach diesem Prinzip werden alle Instrumente gebaut,

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der Unterschied liegt in der Qualität und Quantität des Tones, und dies hängt von der Bauweise des Instrumentes ab.

Die Schlaginstrumente, wie die tabla oder die Trommel, eignen sich für allgemein anwendbare Musik; und Streichin­strumente, wie die sitar, Violine oder Harfe, sind für künstleri­sche Musik gedacht. Die vina ist, zur Konzentration der Schwingungen, auf besondere Weise gebaut; da ihr Klang leise ist, manchmal nur für den Spieler hörbar, wird sie für die Me­ditation verwendet.

Auch die Wirkung der Instrumentalmusik hängt von der Entwicklung des Menschen ab, der mit den Fingerspitzen auf dem Instrument seine Entwicklungsstufe darstellt. Mit ande­ren Worten: Seine Seele spricht durch das Instrument. Die Gemütsverfassung eines Menschen kann - bei welchem In­strument auch immer - davon abgelesen werden, wie er den Ton hervorbringt (Strich, Anschlag); denn wie bedeutend er als Virtuose auch sein mag, er kann doch nicht durch bloße Kunstfertigkeit jene Anmut und Schönheit hervorbringen, die die Herzen bewegt, sondern nur durch die in ihm entwickelte Empfindung.

Blasinstrumente, wie die Flöte und die algosa, bringen insbesondere die Wesensart des Herzens zum Ausdruck, denn sie werden mit dem Atem gespielt, der das Leben selbst ist; da­her entzünden sie das Feuer des Herzens.

Mit Darmsaiten bespannte Instrumente haben eine bele­bende Wirkung, denn sie kommen von einem lebenden We­sen, das einst ein Herz besaß. Mit Stahlsaiten bespannte haben eine eher erregende Wirkung; und die Schlaginstrumente, wie die Trommel, üben auf den Menschen eine stimulierende und aufmunternde Wirkung aus.

Nach der vokalen und instrumentalen Musik nun die Be­wegungsmusik des Tanzes: Bewegung ist das Wesen der Schwingung. Jede Bewegung enthält in sich selbst einen Ge­

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danken und eine Empfindung. Diese Kunst ist dem Menschen angeboren; das erste Vergnügen im Leben eines kleinen Kindes besteht darin, sich selbst durch die Bewegung der Hände und Füße zu unterhalten. Sobald ein Kind Musik hört, bewegt es sich. Auch Tiere und Vögel bringen ihre Freude durch Bewe­gung zum Ausdruck. Der in Anbetracht seiner Schönheit selbstgefällige Pfau stellt seine Eitelkeit im Tanz zur Schau. Ebenso entfaltet die Kobra ihre Haube und wiegt den Körper, wenn sie die Musik der pungi hört. Aus all dem ersieht man, daß Bewegung das Merkmal des Lebens ist, und, von Musik begleitet, setzt sie sowohl den Ausübenden als auch die Zu­schauer in Bewegung.

Die Mystiker haben den Tanz stets als eine heilige Kunst verstanden. In den Hebräischen Schriften lesen wir, wie David vor dem Herrn tanzte; und die Götter und Göttinnen der Griechen, Ägypter, Buddhisten und Brahmanen werden in verschiedenen Posen dargestellt, denen eine bestimmte Bedeu­tung und Philosophie zugrundeliegt, und diese steht in Bezie­hung zu dem großen kosmischen Tanz der Evolution.

Auch heute noch hat der Tanz unter den Sufis im Osten

seinen Platz bei den religiösen Zusammenkünften, die suma genannt werden, denn Tanzen ist der Ausdruck des Entzük- kens. Bei der suma lassen die Derwische ihre Ekstase in raqs zum Ausdruck kommen, der die Anwesenden großen Respekt und Ehrerbietung entgegenbringen, ist es doch eine heilige Ze­

remonie.Die Kunst des Tanzens ist durch ihren Mißbrauch weit­

gehend entartet. Die Leute tanzen meistens um ihres Vergnü­gens willen oder um sich Bewegung zu machen, wobei sie, durch ihre Frivolitäten, die Kunst häufig verraten.

Melodie und Rhythmus wecken Lust und Liebe zum Tanzen. Um es zusammenzufassen: Tanzen kann man als an­mutigen Ausdruck für die Gedanken und Empfindungen be­

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zeichnen, ohne daß dabei auch nur ein Wort gesprochen wird. Es kann auch dazu dienen, die Seele durch Bewegung zu be­eindrucken, indem ein ideales Bild vor ihr entworfen wird. Wenn man die Schönheit der Bewegung als die Darstellung des Göttlichen Ideals versteht, wird der Tanz heilig.

Die Musik des Lebens zeigt uns in unserer täglichen Er­fahrung ihre Melodie und Harmonie. Jedes gesprochene Wort ist entweder eine echte oder eine falsche Note, ist hart oder sanft, gleicht einer Flöte oder einem Horn, je nach der Höhe des eigenen Ideals.

Der stufenweise Fortschritt aller Schöpfung von einer

niedrigeren zu einer höheren Evolution, ihre Wandlung von einem Aspekt zum anderen, stellt sich genauso dar wie die Mu­sik, wenn eine Melodie von einer Tonart in die andere transpo­niert wird. Die Freundschaft und Feindschaft unter den Men­schen, ihre Neigungen und Abneigungen, sind gleich Akkor­den und Dissonanzen. Die Harmonie des menschlichen We­sens und die menschliche Neigung zur Anziehung und Absto­ßung gleichen der Wirkung konsonanter und dissonanter In­

tervalle in der Musik.Durch die Empfindsamkeit des Herzens wird der Ton zu

einem Halbton; und durch das Aufbrechen des Herzens bricht der Ton in Mikrotöne*. Je inniger das Herz wird, desto voller der Ton; je härter ein Herz, desto lebloser klingt es.

Jede Note, jede Tonleiter und jede Melodie erlischt zu ge­gebener Zeit; und am Ende des seelischen Erlebnisses steht hier das Finale. Jedoch der Eindruck bleibt dem Bewußtsein als eine strahlende Vision erhalten, wie ein Konzert in einem Traum.

* Shrutis, die indische Oktave kennt zweiundzwanzig Intervalle, die gespielt und bezeichnet werden können; theoretisch besteht sie so­gar aus Sechsundsechzig noch kleineren Einheiten.

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Zusammen mit der Musik des Absoluten schwingt der Baß, der Unterton, unaufhörlich weiter; äußerlich jedoch ist der Unterton verborgen und erklingt gedämpft unter den ver­schiedenen Tonarten all der Instrumente, die die Musik der

Natur spielt.Jedes Wesen, das lebt, kommt in die äußere Welt und

kehrt wieder dorthin zurück, woher es kam, so wie jeder Ton seine Rückkehr in den Ozean des Klanges hat. Der Unterton dieses Daseins ist der lauteste und der leiseste, der höchste und der niedrigste; er überwältigt alle Instrumente, die mit leisem oder lauten, hohem oder niedrigen Ton, bis sie allmählich alle in ihn einmünden; dieser Unterton ist immer und wird immer

sein.Das Geheimnis des Klanges ist Mystik; die Harmonie des

Lebens ist Religion. Die Erkenntnis der Schwingungen ist Me­taphysik und die Analyse der Atome Wissenschaft; und ihre harmonische Anordnung ist Kunst. Der Rhythmus der Form ist Dichtung, und der Rhythmus des Klanges ist Musik. Hier­aus erkennt man, daß Musik die Kunst aller Künste ist und die Wissenschaft aller Wissenschaften; und sie enthält in sich selbst die Quelle aller Erkenntnis.

Musik wird eine Göttliche oder Himmlische Kunst ge­nannt, nicht nur, weil sie in den religiösen Bräuchen ihren Platz gefunden hat, und in sich selbst eine universale Religion ist, sondern wegen ihrer Subtilität im Vergleich zu allen ande­ren Künsten und Wissenschaften. Jede Heilige Schrift, reli­

giöse Bilder oder gesprochene Worte, drückt dem Spiegel der Seele den Stempel ihrer Eigenart auf; jedoch die Musik steht

vor der Seele, ohne irgendein Bild, einen Namen oder eine Form dieser gegenständlichen Welt zu erschaffen, und so be­

reitet sie die Seele darauf vor, das Unendliche zu erfahren.Weil der Sufi dies erkennt, nennt er die Musik Giza-i-

Ruh, die Nahrung der Seele, und übt sie aus als eine Quelle der

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geistigen Vervollkommnung; denn Musik facht das Feuer des

Herzens an, und die daraus aufsteigende Flamme erleuchtet die Seele. In seinen Meditationen empfängt der Sufi aus der Musik viel mehr Förderung als von irgend etwas anderem. Seine anbe­tende und meditative Haltung macht ihn empfänglich für die rechte Musik, die ihm bei seiner geistigen Entfaltung beisteht. Mit Hilfe der Musik befreit das Bewußtsein sich erst vom Kör­per und dann von der Gemüts- und Gedankenwelt. Ist dies einmal erreicht, so ist nur noch ein Schritt erforderlich, um gei­stige Vervollkommnung zu erreichen.

Sufis haben sich zu allen Zeiten sehr für Musik interes­siert, in welchem Lande sie auch leben mochten. Vor allem wandte Rumi diese Kunst aus tiefer Frömmigkeit an. Er lauschte den Versen der Mystiker über Liebe und Wahrheit, die von den Qawwals, den Musikern, mit der Flöte begleitet, gesungen wurden.

Der Sufi vergegenwärtigt sich in seiner Vorstellung den Gegenstand seiner Anbetung, und dieser wird auf den Spiegel der Seele reflektiert. Jedermann besitzt ein Herz, den Schöpfer

der Empfindungen, aber nicht bei jedem ist es ein lebendiges Herz. Dieses Herz wird beim Sufi lebendig gemacht, und er gibt seinen starken Empfindungen durch Tränen und Seufzen Ausdruck. Indem er dies tut, lösen sich die Wolken des Jelal, jener Kraft, die sich im Verlauf der seelischen Entwicklung an­reichert, gleich Regentropfen, in Tränen auf; und der Himmel des Herzens wird hell und ermöglicht es der Seele zu leuchten. Dieser Zustand gilt den Sufis als heilige Ekstase. Seit den Zeiten Rumis wurde Musik im Mevlevi-Orden der Sufis ein Bestand­teil des Gottesdienstes.

Im allgemeinen haben die meisten Leute, auf Grund ihrer engen orthodoxen Einstellung, die Sufis verworfen und sich ihnen wegen ihrer freiheitlichen Denkweise entgegengestellt. So legten sie die Lehre des Propheten falsch aus, der zwar den

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Mißbrauch der Musik verbot, jedoch nicht Musik im eigentli­chen Sinne dieses Wortes. Daher schufen die Sufis eine Sprache der Musik, bei der nur der Eingeweihte die Bedeutung der Lie­der verstehen konnte. Im Osten hören viele diese Lieder und freuen sich daran, ohne ihre eigentliche Bedeutung zu verste­hen.

Ein Zweig dieses Ordens kam in alten Zeiten nach Indien und wurde als die Chishti-Schule der Sufis bekannt. Zu gro­ßem Ruhm gelangte sie durch Khwaja Moin-ud-Din Chishti, einem der bedeutendsten Mystiker, den die Welt je gekannt hat. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, daß er sich tatsäch­lich von Musik ernährte. Und auch heute noch, obgleich sein Körper seit Jahrhunderten im Grabmal von Ajmer liegt, wird an seinem Schrein von den besten Sängern und Musikern des Landes ständig Musik dargebracht. So zeigt sich der Ruhm ei­nes bettelarmen Weisen, vergleicht man ihn mit der Armut ei­

nes prächtigen Königs: Der eine besaß zu Lebzeiten alles, und das war mit seinem Tode vorbei, während der Ruhm des Wei­sen immer mehr zunimmt.

Auch heute noch hat die Musik in der Schule der Chishtis beherrschenden Einfluß, sie halten - wie schon gesagt - medi­tative musikalische Zusammenkünfte ab, die Suma oder Qaw- wali genannt werden. Während dieser meditieren sie über das Ideal ihrer Anbetung, das ihrer Entwicklungsstufe entspricht, und während sie der Musik lauschen, entfachen sie immer stär­ker das Feuer ihrer Anbetung.

Wajad, die heilige Ekstase, die von den Sufis bei der Suma erlebt wird, kann man als die Vereinigung mit dem „Ersehnten Einen“ bezeichnen. Es gibt drei Aspekte dieser Vereinigung, die die Sufis je nach ihrer Entwicklungsstufe erleben. Der erste ist die Vereinigung mit dem ersehnten Ideal, das dem Vereh­

renden auf diesem Erdenplane gegenwärtig ist, sei es auf der gegenständlichen Ebene oder auf der Ebene der Gedanken.

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Das von Liebe, Bewunderung und Dankbarkeit erfüllte Herz des Verehrenden wird, während er der Musik lauscht, fähig,

die Gestalt des verehrten Ideals zu erschauen.Der nächste Schritt in der Ekstase, und der höhere Aspekt

der Vereinigung, ist die Vereinigung mit der Charakterschön­heit des Ideals, unabhängig von dessen Gestalt. Das Lied, mit dem man die ideale Persönlichkeit lobpreist, hilft der Liebe des Verehrenden hervorzuströmen und überzufließen.

Die dritte Stufe der Ekstase ist die Vereinigung mit dem Göttlichen Geliebten, dem allerhöchsten Ideal, jenseits der Begrenzung durch Name und Gestalt, Tugend oder Verdienst. Unablässig hat die Seele sich danach gesehnt, mit Ihm vereinigt zu werden, und nun hat sie Ihn schließlich gefunden. Dieses Glück ist unbeschreiblich. Wenn nun jene Seelen, die die Ver­einigung mit dem Göttlichen Geliebten schon erreicht haben, ihre Verse vor demjenigen singen, der auf dem Pfade der Gött­lichen Liebe wandelt, so findet er in jenen Worten alle Zeichen und Wunder des Pfades beschrieben, und das ist für ihn eine große Hilfe und Erquickung. Die Lobpreisung des verklärten Einen, der so anders ist als all die Ideale der Welt, erfüllt ihn mit einem Entzücken, für das es keine Worte gibt.

Ekstase manifestiert sich auf verschiedene Weise. Manchmal bricht ein Sufi in Tränen aus, manchmal wird er seufzen und manchmal drückt sie sich in Raqs, in Bewegung aus*. All dies erleben die bei der Suma-Zusammenkunft An­

* Ekstase kann sich auch ereignen, ohne in irgendwelchen äußeren Bewegungen oder Erregungen zum Ausdruck zu kommen. Sie äu­ßert sich lediglich darin, daß von dem mit Ekstase Begnadeten eine besondere Ausstrahlung ausgeht und für manchen auch sichtbar wird. Das regungslose Verhalten in der Ekstase ist dem westlichen Menschen im allgemeinen adäquater. Es geht um „Nirtan“, den Tanz der Seele.

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wesenden in tiefer Achtung mit, denn Ekstase gilt als Göttliche Seligkeit. Das Seufzen des Anbetenden erhellt ihm den Pfad in die Welt des Unsichtbaren, und seine Tränen waschen die Sün­den von Zeitaltern ab. Jegliche Offenbarung ist eine Folge der Ekstase; jegliche Erkenntnis, die ein Buch niemals enthalten kann und keine Sprache auszudrücken vermag, erreicht ihn durch die Ekstase.

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Abstrakter Klang

Abstrakter Klang wird von den Sufis Saute-e Sarmad ge­nannt; der ganze Raum ist davon erfüllt. Die Schwingungen dieses Klanges sind zu fein, als daß sie für die körperlichen Oh­ren hörbar oder die Augen sichtbar sein könnten, ist es für die Augen doch schon schwierig, die Formen und Farben der äthe­rischen Schwingungen auf dem äußeren Plan zu sehen.

Es war Saute-e Sarmad, der Klang der abstrakten Ebene, den Mohammed in der Höhle von Ghar-e Hirá hörte, als er in sein Göttliches Ideal versunken war. Der Koran spricht von diesem Klang mit den Worten: „Sei! Und alles wurde!“

Auch Moses hörte diesen Klang, als er auf dem Berge Sinai mit Gott vereint war; und dasselbe Wort war für Christus hör­bar, als er in der Wüste ganz von seinem Himmlischen Vater aufgenommen war. Shiva hörte dasselbe - Anabad Nada - während seines Samadhi in der Höhle im Himalaya.

Die Flöte Krishnas ist Symbol für eben diesen Klang. Er ist die Quelle aller Offenbarungen der Meister, denen er von

innen her offenbart wird; das ist die Ursache dafür, daß sie alle ein- und dieselbe Wahrheit erkennen und lehren.

Der Sufi erkennt die Vergangenheit, Gegenwart und Zu­kunft und alle Dinge dieses Lebens dadurch, daß er fähig ist, die Richtung des Klanges zu erkennen. Jeder Aspekt des eige­nen Wesens, in dem sich Klang manifestiert, hat eine beson­dere Wirkung auf das Leben, denn die Aktivität der Schwin­gungen hat in jeder Richtung eine besondere Wirkung.

Wer das Mysterium des Klanges erkennt, der kennt das Mysterium des ganzen Universums. Wer auch immer der Me­lodie dieses Klanges gefolgt ist, hat alle irdischen Verschieden­heiten und Unterschiede vergessen und hat jenes Ziel der

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Wahrheit erreicht, in dem alle Auserwählten Gottes vereint sind.

Raum gibt es sowohl innerhalb des Körpers als auch ringsum; mit anderen Worten, der Körper ist im Raum und der Raum ist im Körper. Weil dies so ist, erklingt der abstrakte Klang unaufhörlich im Innern, rings um und über dem Men­schen. Für gewöhnlich hört der Mensch ihn nicht, weil sein Bewußtsein gänzlich in der körperlichen Existenz zentriert ist. Der Mensch wird so absorbiert von den Erfahrungen, die er

mit Hilfe des physischen Körpers in der äußeren Welt macht, daß der Zwischen-Raum mit all seinen Wundern von Licht und Klang ihm leer erscheint.

Dies kann man gut verstehen, wenn man das Wesen der Farbe beobachtet. Es gibt viele in sich ganz klare und eindeu­tige Farben, die jedoch allesamt verdunkelt werden, wenn man

sie mit weit leuchtenderen Tönen zusammenbringt. Selbst helle Farben werden, wenn man sie mit Gold, Silber, Diaman­ten und Perlen bestickt, nur zum Hintergrund für die leuch­tende Stickerei. So ist es mit dem abstrakten Klang, wenn man ihn mit den Klängen der äußeren Welt vergleicht. Das be­grenzte Volumen der irdischen Klänge ist derartig konkret, daß sie die Wirkung des abstrakten Klanges für den Gehörsinn trüben, obgleich er, verglichen mit den Klängen der Erde, so ist wie eine Pfeife neben einer Trommel. Dem Mystiker aber werden alle anderen Klänge undeutlich, wenn der abstrakte Klang hörbar wird.

In den Veden wird der abstrakte Klang Anahad genannt, das bedeutet grenzenloser Klang. Die Sufis nennen ihn, wie schon gesagt - Sarmad, das läßt an den Begriff der Berau­schung denken. Das Wort Berauschung wird hier verwandt, um das Erhobensein zu bezeichnen, - wenn die Seele frei wird von ihrer irdischen Hörigkeit. Jene, die fähig sind, Saut-e Sarmad zu hören und damit zu meditieren, sind befreit von al­

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len Sorgen und Ängsten, von Gram, Furcht und Leiden; und die Seele ist befreit von der Gefangenschaft in den Sinnen und

im physischen Leib. Die Seele des Lauschenden wird zum all­durchdringenden Bewußtsein, und sein Geist zur Batterie, die das ganze Universum in Gang hält.

Einige üben sich in der Einsamkeit, am Meer, am Fluß­ufer, in den Bergen und Tälern, den Saute-e Sarmad zu hören.

Andere erreichen ihn, während sie in den Berghöhlen sitzen oder ständig durch die Wälder und Wüsten wandern und sich in der Wildnis von den Wohnstätten der Menschen fernhalten. Yogis und Asketen blasen Sing (ein Horn) oder Shankha (eine

Muschel), die in ihnen den inneren Ton erwecken. Derwische spielen aus demselben Grund Nai oder Algosa (eine Doppel­flöte). Die Glocken und Gongs in den Kirchen und Tempeln dienen dazu, im Nachdenklichen eben diesen heiligen Klang anzuregen und ihn so zum Inneren Leben zu führen.

Dieser Klang entfaltet sich durch zehn verschiedene Aspekte, weil er sich durch zehn verschiedene Kanäle des Kör­pers manifestiert. Er tönt wie Donner, wie das Brausen des Meeres, wie klingende Glocken, fließendes Wasser, Bienenge­summ, wie das Zwitschern der Spatzen, wie die Vina, die Pfeife oder der Klang der Shankha, bis er schließlich zum Hu wird, dem heiligsten aller Laute.

Der Laut Hu ist der Anfang und das Ende aller Klänge, ob sie nun vom Menschen herrühren, vom Vogel, Tier oder Ding. Eine sorgfältige Beobachtung wird diese Tatsache bestätigen. Sie kann sogar erkannt werden, wenn man auf den Klang der Dampfmaschine lauscht oder auf eine Mühle, während der Widerhall von Glocken oder Gongs den Klang Hu typisch veranschaulicht.

In den verschiedenen Sprachen wurde das höchste Wesen mit verschiedenen Namen angerufen, aber die Mystiker haben

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ihn als Hu erkannt, es ist der natürliche, nicht von Menschen gemachte Name, der einzige Name des Namenlosen, den die ganze Natur unablässig verkündet. Der Laut Hu ist der aller­heiligste. Die Mystiker nennen ihn Ism-e-Azam, der Name des Allerhöchsten, denn er ist der Ursprung und das Ende allen Klanges, wie auch der Hintergrund jeden Wortes. Das Wort Hu ist der Geist aller Laute und aller Worte und ist in ihnen al­len verborgen wie der Geist im Körper. Hu gehört nicht zu ir­gendeiner Sprache, aber keine Sprache kann umhin, zu ihm zu gehören. Dies allein ist der wahre Name Gottes, ein Name, den kein Volk und keine Religion als ihr Eigentum beanspru­

chen kann. Dieses Wort wird nicht nur von menschlichen We­sen hervorgebracht, sondern wird auch von Tieren und Vögeln ständig wiederholt. Alle Dinge und Wesen verkünden diesen Namen des Herrn, denn alle Aktivität des Lebens bringt diesen Klang, deutlich oder undeutlich, zum Ausdruck. Dies ist das Wort, von dem es in der Bibel heißt, es habe existiert, noch ehe

das Licht ins Dasein kam. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Das Mysterium des Hu wird dem Sufi offenbart, der den Pfad der Initiation durchwandert.

Wahrheit, die Gotteserkenntnis, nennt der Sufi Haq. Wenn wir das Wort Haq in zwei Teile zerlegen, werden seine assonanten Laute zu hu ek, Hu bedeutet Gott oder Wahrheit, und ek bedeutet in Hindustani eins, und beide zusammen bringen zum Ausdruck: Ein Gott und Eine Wahrheit. Haqiqat bedeutet im Arabischen die essentielle Wahrheit, Hakim be­deutet Meister, und Hakim bedeutet Wissender, lauter Worte, die die essentiellen Merkmale des Lebens zum Ausdruck bringen.

Aluk ist das heilige Wort, das die Vairagis, die Adepten Indiens, bei ihren heiligen Gesängen anwenden. Im Wort Aluk

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kommen zwei Worte zum Ausdruck: al, es bedeutet das, und

Haq, Wahrheit, beide Worte zusammen bedeuten Gott, die Quelle, aus der alles herkommt.

Der Laut Hu wird im Worte Ham begrenzt, denn der Buchstabe m schließt die Lippen. Dieses Wort drückt in Hin- dustani Begrenzung aus, denn Ham bedeutet ich oder wir, beides Worte, die das Ego bezeichnen. Hamsa ist das heilige Wort der Yogis und erleuchtet das Ego mit dem Licht der Wirklichkeit. Das Wort Huma wird in der persischen Sprache für einen legendären Vogel gebraucht, und da gibt es folgende Glaubensüberzeugung: Wenn der Vogel Huma sich für einen Augenblick auf das Haupt eines Menschen setzt, ist dies ein Zeichen dafür, daß dieser ein König wird. Die eigentliche Be­deutung ist die, daß derjenige einem König gleich wird, dessen Denken sich so entwickelt, daß es alle Begrenzungen auflöst. Es liegt an der Begrenztheit der Sprache, daß sie das Allerhöch­ste nur als etwas gleich einem König beschreiben kann. In den alten Überlieferungen heißt es, Zarathustra sei von einem Huma-Baum geboren. Dies hilft zum Verständnis des Bibel­wortes: ,,Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ In dem Wort Huma stellt Hu den Geist dar, und das Wort man bedeutet im Arabischen Wasser. Im Englischen erläutert das Wort human zwei Tatsachen, die für die Menschheit charakte­ristisch sind: Hu bedeutet Gott, und man bedeutet Gemüt (mind), ein Wort, das vom Sanskrit Mana herkommt, wobei mit „Gemüt“ der gewöhnliche Mensch gemeint ist. Verbindet man die beiden Worte miteinander, so stellen sie den Begriff des Gott-bewußten Menschen dar. Mit anderen Worten: Hu, Gott, ist in allen Dingen und Wesen, jedoch ist es der Mensch, durch den Er erkannt wird. Human, so kann man also sagen, bedeutet Gott-bewußt, Gott-verwirklicht oder Gottes-Mann. Das Wort Hamd bedeutet lobpreisen, Hamid preiswürdig und

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Mohammad, der Lobpreisende. Der Name des Propheten des Islam ist bezeichnend für seine Haltung Gott gegenüber.

Hur bedeutet im Arabischen die Schönen des Himmels, seine wahre Bedeutung ist der Ausdruck himmlischer Schön­heit. Zuhür bedeutet im Arabischen Manifestation, vor allem die Manifestation Gottes in der Natur. Ahura Mazda ist der Name Gottes, den die Zarathustrier kennen. Das erste Wort, Ahura, weist auf Hu hin, auf dem der ganze Name aufgebaut ist.

All diese Beispiele geben Kunde von dem Anfang Gottes im Worte Hu und vom Leben Gottes in allen Dingen und We­sen.

Hay bedeutet im Arabischen ewig, und Hay-at bedeutet Leben, beide Worte zusammen bedeuten die ewige Natur Gottes. Das Wort Huwal weist auf den Begriff der Allgegen­wart hin, und Huvva ist der Ursprung des Namens Eva, der symbolisch die Manifestation bedeutet, so wie Adam Symbol des Lebens ist; im Sanskrit werden sie Purusha und Prakriti ge­

nannt.Jehova war ursprünglich Yahuva; Ya bedeutet das Wort,

oh und Hu stehen für Gott, während das A Manifestation dar­stellt. Hu ist der Ursprung des Klanges, aber wenn der Klang auf dem äußeren Plan Gestalt anzunehmen beginnt, wird er A, darum wird alif oder alpha für den ersten Ausdruck des Hu, des ursprünglichen Wortes, angesehen. Das Sanskritalphabet, wie auch das der meisten anderen Sprachen, beginnt mit dem Buchstaben A, so wie das in verschiedenen Sprachen auch mit den Namen Gottes der Fall ist. Darum bedeutet das Wort A auf englisch ein oder erst. Und das Zeichen für alif drückt die Bedeutung eins aus, sowie auch erst. Der Buchstabe A wird ohne Zuhilfenahme der Zähne oder der Zunge ausgesprochen, und im Sanskrit bedeutet A stets ohne.

Wenn man den Buchstaben l (lam) ausspricht, indem die

* Ho91

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Zunge sich hebt und den Gaumen berührt, tritt das A zutage, und der Laut endet mit m (mim), durch dessen Aussprechen die Lippen sich schließen. Diese drei essentiellen Buchstaben des Alphabetes werden als das Mysterium des Korans zusam­mengeführt. Mit A, vertieft durch ain, wird das Wort ilm* ge­bildet, es bedeutet Erkenntnis. Alim stammt auch daher und bedeutet der Erkennende. Alam bedeutet Zustand oder Kon­dition, das Dasein, das erkannt wird.

Wenn alif, der erste, und lam, die zentralen Buchstaben zusammengeführt werden, bilden sie das Wort al, es bedeutet im Arabischen das. Im Englischen (wie auch im Deutschen) legt all die Bedeutung der gesamten oder absoluten Natur des Daseins nahe.

Das Wort Allah, das im Arabischen Gott bedeutet, kann, wenn man es in drei Teile zerlegt, interpretiert werden als „Der Eine, der vom Nichts kommt“. El oder Ellah hat die­selbe Bedeutung wie Allah. Die Worte Eloi, Elohim und Hal­le Inj ah , die man in der Bibel findet, sind verwandt mit dem Worte Allahu.

Die Worte Om, Omen, Amen und Ameen, die an allen Gebetsstätten gesprochen werden, haben denselben Ur­sprung; A am Beginn des Wortes bedeutet den Anfang, und M in der Mitte bedeutet Ende; N, der letzte Buchstabe, ist der Widerhall des M, denn M endet naturgemäß in einem Nasal­laut, dessen Hervorbringung Leben bedeutet.

Im Worte Ahud, das Gott, der einzig Seiende, bedeutet, sind durch Assonanz zwei Bedeutungen enthalten. A bedeutet im Sanskrit ohne, und Hudd bedeutet im Arabischen Begren­

zung.

* Engl. Aussprache „ailm“, arabische Ausspr. „hailm“.

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Aus eben derselben Quelle stammen alle folgenden Wor­

te: Wahdat (Klang)*, Wabdaniat (Licht)*, Hádi, Hudá und Hidayat. Wahdat bedeutet das Bewußtsein des Selbst in sich selbst. Wahdaniat ist die Erkenntnis des Selbst. Hadi, - Füh­rer. Huda, - führen. Hidayat, - Führung.

Je mehr ein Sufi auf Saut-e Sarmad lauscht, auf den Klang des Abstrakten, desto freier wird sein Bewußtsein von allen Begrenzungen des Lebens. Die Seele schwebt über der physi­schen und mentalen Ebene, ohne daß der Mensch sich beson­ders dafür anstrengen müßte, und dies zeugt von seinem ruhi­gen und friedvollen Zustand. Ein träumerischer Blick kommt in seine Augen, und der Ausdruck wird strahlend; er erfährt die unirdische Freude und das Entzücken des Wajad, der Ek­stase. Wenn die Ekstase ihn überwältigt, ist er sich weder des physischen noch des mentalen Daseins bewußt. Dies ist der

himmlische Wein, von dem alle Sufidichter sprechen, und der etwas ganz anderes ist als die vorübergehende Berauschung auf dieser irdischen Ebene. Dann entspringt im Herzen des Sufis himmlische Seligkeit; sein Gemüt ist von Sünde gereinigt, der Körper von allen Verunreinigungen, und es wird ihm ein Pfad zu den unsichtbaren Welten geöffnet. Von nun an empfängt er Inspiration, Intuitionen, Eindrücke und Offenbarungen, ohne daß er sich auch nur im mindesten dafür anstrengt. Er hängt nicht länger von einem Buch oder einem Lehrer ab, denn von nun an leuchtet ihm Göttliche Weisheit, das Licht seiner Seele, der Heilige Geist. Daher sagt Sharif:

„Ich, im Lichte der Seele, erkenne, daß die Schönheit der Himmel und die Erhabenheit der Erde das Echo Deiner magi­schen Flöte (Zauberflöte) ist.“

* Siehe Band V, Seite 26 der Gesammelten Werke von Hazrat Inayat Khan, London 1960.

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„Sufismus ist die Weisheit von der Einheit im Geiste”

Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan

1882-1927

Irdisches Glück und Himmlische GlückseligkeitSufi-Erzählungen, Symbole und Gleichnisse

Leinen,DM 26-

Sufi-WeisheitenAphorismen

Leinen, DM 20.-

FriedensgebetMit Worten von Meistern, Dichtern und Denkern

Broschur, DM 14.-

Musik und kosmische Harmonieaus mystischer Sicht

Broschur, DM 22.-

Erleuchtete WorteAphorismen

Best. ab 3 Stück DM 2.-

Verlag Heilbronn Postfach 3641 7100 Heilbronn

Page 97: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Múrshida R. F. von Scholtz

Stufen der EntwicklungErfahrungen des Inneren Weges

200 S., Leinen, DM 27.-

Hoffen und ErkennenAphorismen zur Meditation

68 S., Leinen, DM 16.-; Br. DM 12.-

Grundlagen des meditativen Lebens96 S., Broschur, DM 14.-

Einheit im GeisteAnsprachen mit Texten aus den Weisheitsbüchern

der Menschheit 146, 139, 185 S., 3 Bde., Leinen DM 16.-; Br. DM 12.-

Verlag Der Leuchter, Remagen

Im Geiste der EinheitAphorismen aus „Einheit im Geiste”

20 S., geheftet, DM 2.-; Best. ab 3 Stück

Lichtpfad der MenschheitDie Botschaft und Aufgabe des neuen Zeitalters

Vorträge und Meditationen 176 S., Leinen, DM 32.-

Mit einem Vorwort von R. F. von Scholtz und/oder als Herausgeber: Hazrat Inayat Khan: Aphorismen

Hazrat Inayat Khan: Musik und kosmische Harmonie Cecil Gibbings: Gott heilt!„Du bis unsere Zuflucht”,

Gebete im Geiste der Einheit und Universalen Ökumene.

Verlag Heilbronn Postfach 3641 7100 Heilbronn

Page 98: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

„...er lauschte der Harmonie der Sphären... ... er heilte durch Musik..."

Die Goldenen Verse des PYTHAGORAS

Lebensregeln zur MeditationMit einer Einführung

64 Seiten (ISBN 3-923000-44-8) DM 12-

Eduard Baltzer

PYTHAGORAS der Weise von Samos

Ein Lebensbild 180 Seiten (ISBN 3-923000-40-5) DM 22.-

„Die Goldene Mitte”Kostbare Texte einst und heute

1. Die Goldenen Verse des Pythagoras2. Der Sonnengesang des Ech-en-aton3. Die Bergpredigt Jesu4. Die Tafeln der Wahrheit des Moin-ud-Din Chishti5. Matthias Claudius: An meinen Sohn Johannes6. G. F. Lessing: Die Parabel von den drei Ringen7. R. F. von Scholtz: Aus „Einheit im Geiste ”8. Konfuzius: Der Weg des Himmels und der Erde9. „Vater unser!”Kleines ökumenisches Gebetsbrevier

10. Hazrat Inayat Khan: Erleuchtete Worte11. „Du bist unsere Zuflucht” Gebete im Geiste der Einheit und

12.Universalen Ökumene„Vom Herzen gehn die Dinge aus... „

13.Aus dem Weisheitsschatz des Buddhismus (Dhammapadam) Zarathustra

14. Religionsfreiheit15. Anandamayi Ma: Leben der Hingabe16. Johann Wolfgang von Goethe: „Wie alles sich zum Ganzen webt... ”17. Teresa von Avila „Der Du bist in den Himmeln ”

Die Reihe wird fortgesetzt. Bestellungen ab 5 Stück, bei beliebiger Titelwahl. Jedes Heft DM 2.-

Verlag Heilbronn Postfach 36 41 7100 Heilbronn

Page 99: Hazrat Inayat Khan - Musik Und Kosmische Harmonie Aus Mystischer Sicht

Alles Erschaffene schwingt und klingt in unendli­chen Kreisen ineinander und miteinander: der Tanz der Gestirne, der Tanz der Atome, der Tanz der Seele; alles singt das unendliche Schöpfungslied.

Musik gilt, im Sinne klassischer Überlieferung, als eine vollkommene und universelle Sprache, durch die man Charakter und Persönlichkeit entwickeln, verfeinern und inspirieren kann. „Wer auf dem Pfade der Musik stufenweise voranschreitet, wird am Ende die höchste Vollkommenheit erreichen.“ Darum ist Musik „die Kunst aller Künste und die Wissenschaft aller Wissenschaften; und sie enthält die Quelle aller Erkenntnis.“

„Indien hat das Mysterium von Laut, Klang und Ton, das von den Alten entdeckt wurde, bewahrt, und seine Musik gibt davon Zeugnis. So vermittelt Hazrat Inayat Khan aus der Fülle und Tiefe des Wissens und der Erkenntnis Einblick in die in sei­ner Heimat nach wie vor lebendige Wissenschaft.

Das Mysterium der Transzendenz wird heute wie­der geahnt, und man lauscht bereitwillig einer Stimme, die aus der Sackgasse des weitgehend ma­terialistischen Denkens hinauszuführen vermag. „Harmonie ist die Quelle aller Schöpfung, die Ur­sache für ihr Bestehen und das Verbindende zwi­schen Gott und Mensch.“

„Die Macht der Harmonie zieht letztlich jedes Wesen zu immerwährendem Frieden.“

VERLAG HEILBRONN Postfach 3641 7100 Heilbronn

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