hans werner henze: elogium musicum amatissimi amici...

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Hans Werner Henze: Elogium musicum amatissimi amici nunc remoti (Auszüge aus dem Einführungstext zur Uraufführung am 2./3. Oktober 2008 im Gewandhaus zu Leipzig) Nachruf in affektiver Fülle (…) „Durch einen glücklichen Zufall – oder dank einer versöhnlichen Geste von oben? – machte ich [1965] eines Tages in Rom die Bekanntschaft eines ganz jungen Menschen aus der Romagna, ... Fausto Ubaldo Moroni, eines ladinisch sprechenden, anscheinend einem Mosaik aus Ravenna entsprungenen byzantinischen Fürstenkinds, Kleinbauernsohns und Seefahrers von beispielloser Begabung für die Kunst des Lebens. Ausgestattet mit lustvollen Passionen für die Gastronomie, den Weinbau, die Liebe und ähnliche sinnliche Raffinements. Er war in den ‚Giovane Lord‘ gegangen, der gerade in der Oper lief, besuchte mich ein paar Tage später ..., nicht zuletzt, um mir zu gestehen, daß er mit meiner Musik so gut wie gar nichts hatte anfangen können.“ So schildert Henze in seiner 1996 erschienenen Autobiografie „Reiselieder mit böhmischen Quinten“ die erste Begegnung mit Fausto Moroni, seinem langjährigen Lebensgefährten, dessen Tod im Jahr 2007 den Anlass für das vokalsinfonische Werk „Elogium musicum“ bildete. Schon der Titel „Lobgesang auf einen Freund, der nun sehr weit entfernt ist“ benennt vieles, was für die Komposition wesentlich ist. Denn auf einen Text von Franco Serpa ausdrücklich im Gedenken geschrieben, ist „Elogium musicum“ doch kein Requiem. Es ist, wie Henze im Vorwort zur Partitur formuliert hat, vielschichtige Erinnerung – schmerzvoll, aber auch dankbar und licht. So zeichnet das Werk etwa 25 Minuten lang zahlreiche und verschiedene Aussichten, die sich unmittelbar und plastisch mitteilen. In den vier Sätzen – fast möchte man sagen: Bildern – geht es um Erinnerungen an Grundsituationen und wesentliche Affekte des menschlichen Lebens. Von Angst und Entsetzen spricht der Text ebenso wie von Frieden und Zuflucht; in die Ödnis des Alleinseins mischen sich Schlaglichter von Unbeschwertheit und Lebenskraft; Naturbilder wie Nacht und Wüstenei einerseits sowie Sonne und Tag andererseits sind nicht zuletzt stark kontrastierende Symbole der Gefühlswelt. Dabei bewegt sich die Reihe von Schilderungen aber kontinuierlich in ähnliche Richtungen. Auf die Nacht folgt der Tag; nach der „grausamen, blinden Welt“ erleben wir die Atmosphäre des Sommers und die friedvolle Stille; an die „heilige Ruhe“ schließen sich Lob und Dank an. (…) Die Richtungsverschiebung im Innenteil besitzt ihre Entsprechung in verschiedenen korrespondierenden Gestaltungselementen der beiden Außensätze. Jeweils zweiteilig, werden sie in langsamen Tempi und ähnlichem Duktus eröffnet und sind dann (unterschiedlich vielen und verschieden starken) Charakterwechseln unterworfen, ferner finden in beiden Sätzen am Beginn lediglich die Streichinstrumente (ohne Kontrabässe) Verwendung – im abschließenden Adagio sogar als solistisch besetztes Quartett. Gleichwohl besteht gerade zwischen diesen beiden Sätzen auch die größte Distanz: Zunächst führt die Erinnerung ins tiefste Gefühlsdunkel, ins Ende, den Verlust, das Alleinsein, musikalisch formuliert in statischen, verebbenden Akkorden des Chores und einiger Instrumente. Das beschließende Adagio hingegen entwickelt sich textlich wie musikalisch in vollkommen anderer Ausrichtung. Hier folgt im letzten Abschnitt auf die deklamierende Schilderung nunmehr lichter Erinnerung an Sommer und Sinnenfreuden eine Danksagung an Gott – abgesetzt vom Vorangehenden durch den Einsatz des gesamten Chores, gesteigert durch die sukzessive Hinzunahme von Instrumenten und Instrumentengruppen, verstärkt durch kontinuierliche dynamische Intensivierung, erhellt durch den stetigen Anstieg der Tonhöhen in der beschließenden instrumentalen Passage bis kurz vor dem letzten Akkord. Lichteinfall, Lob, Dankbarkeit – es könnte scheinen, als habe Henze eine Perspektive mit religiösem Zug gewonnen. Doch ohne zu spekulieren machen die Zeilen, die der Komponist seinem Werk voranstellte, aus heutiger Sicht vor allem eines deutlich: Wesentlich ist die Erinnerung. Sie ist es, die jene von Henze benannte affektive Fülle vergangener Erlebnisse wach hält, das Zurechtfinden in einer „neuen, leeren Welt“ erleichtert – auch wenn dies „vielleicht gar nicht möglich“ ist. Christiane Schwerdtfeger

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Hans Werner Henze: Elogium musicum amatissimi amici nunc remoti (Auszüge aus dem Einführungstext zur Uraufführung am 2./3. Oktober 2008 im Gewandhaus zu Leipzig) Nachruf in affektiver Fülle (…) „Durch einen glücklichen Zufall – oder dank einer versöhnlichen Geste von oben? – machte ich [1965] eines Tages in Rom die Bekanntschaft eines ganz jungen Menschen aus der Romagna, ... Fausto Ubaldo Moroni, eines ladinisch sprechenden, anscheinend einem Mosaik aus Ravenna entsprungenen byzantinischen Fürstenkinds, Kleinbauernsohns und Seefahrers von beispielloser Begabung für die Kunst des Lebens. Ausgestattet mit lustvollen Passionen für die Gastronomie, den Weinbau, die Liebe und ähnliche sinnliche Raffinements. Er war in den ‚Giovane Lord‘ gegangen, der gerade in der Oper lief, besuchte mich ein paar Tage später ..., nicht zuletzt, um mir zu gestehen, daß er mit meiner Musik so gut wie gar nichts hatte anfangen können.“ So schildert Henze in seiner 1996 erschienenen Autobiografie „Reiselieder mit böhmischen Quinten“ die erste Begegnung mit Fausto Moroni, seinem langjährigen Lebensgefährten, dessen Tod im Jahr 2007 den Anlass für das vokalsinfonische Werk „Elogium musicum“ bildete. Schon der Titel „Lobgesang auf einen Freund, der nun sehr weit entfernt ist“ benennt vieles, was für die Komposition wesentlich ist. Denn auf einen Text von Franco Serpa ausdrücklich im Gedenken geschrieben, ist „Elogium musicum“ doch kein Requiem. Es ist, wie Henze im Vorwort zur Partitur formuliert hat, vielschichtige Erinnerung – schmerzvoll, aber auch dankbar und licht. So zeichnet das Werk etwa 25 Minuten lang zahlreiche und verschiedene Aussichten, die sich unmittelbar und plastisch mitteilen. In den vier Sätzen – fast möchte man sagen: Bildern – geht es um Erinnerungen an Grundsituationen und wesentliche Affekte des menschlichen Lebens. Von Angst und Entsetzen spricht der Text ebenso wie von Frieden und Zuflucht; in die Ödnis des Alleinseins mischen sich Schlaglichter von Unbeschwertheit und Lebenskraft; Naturbilder wie Nacht und Wüstenei einerseits sowie Sonne und Tag andererseits sind nicht zuletzt stark kontrastierende Symbole der Gefühlswelt. Dabei bewegt sich die Reihe von Schilderungen aber kontinuierlich in ähnliche Richtungen. Auf die Nacht folgt der Tag; nach der „grausamen, blinden Welt“ erleben wir die Atmosphäre des Sommers und die friedvolle Stille; an die „heilige Ruhe“ schließen sich Lob und Dank an. (…) Die Richtungsverschiebung im Innenteil besitzt ihre Entsprechung in verschiedenen korrespondierenden Gestaltungselementen der beiden Außensätze. Jeweils zweiteilig, werden sie in langsamen Tempi und ähnlichem Duktus eröffnet und sind dann (unterschiedlich vielen und verschieden starken) Charakterwechseln unterworfen, ferner finden in beiden Sätzen am Beginn lediglich die Streichinstrumente (ohne Kontrabässe) Verwendung – im abschließenden Adagio sogar als solistisch besetztes Quartett. Gleichwohl besteht gerade zwischen diesen beiden Sätzen auch die größte Distanz: Zunächst führt die Erinnerung ins tiefste Gefühlsdunkel, ins Ende, den Verlust, das Alleinsein, musikalisch formuliert in statischen, verebbenden Akkorden des Chores und einiger Instrumente. Das beschließende Adagio hingegen entwickelt sich textlich wie musikalisch in vollkommen anderer Ausrichtung. Hier folgt im letzten Abschnitt auf die deklamierende Schilderung nunmehr lichter Erinnerung an Sommer und Sinnenfreuden eine Danksagung an Gott – abgesetzt vom Vorangehenden durch den Einsatz des gesamten Chores, gesteigert durch die sukzessive Hinzunahme von Instrumenten und Instrumentengruppen, verstärkt durch kontinuierliche dynamische Intensivierung, erhellt durch den stetigen Anstieg der Tonhöhen in der beschließenden instrumentalen Passage bis kurz vor dem letzten Akkord. Lichteinfall, Lob, Dankbarkeit – es könnte scheinen, als habe Henze eine Perspektive mit religiösem Zug gewonnen. Doch ohne zu spekulieren machen die Zeilen, die der Komponist seinem Werk voranstellte, aus heutiger Sicht vor allem eines deutlich: Wesentlich ist die Erinnerung. Sie ist es, die jene von Henze benannte affektive Fülle vergangener Erlebnisse wach hält, das Zurechtfinden in einer „neuen, leeren Welt“ erleichtert – auch wenn dies „vielleicht gar nicht möglich“ ist.

Christiane Schwerdtfeger