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Han Shan 150 Gedichte vom kalten Berg

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Han Shan

150Gedichtevom

kaltenBerg

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Vater und Mutter hinterließen ein stattliches ErbeHier auf dem Lande kennt man keinen NeidMein Weib bei der Arbeit, der Webstuhl geht Klick-Klack!Die Kinder im Spiel, Münder plappern und plappernEin Händeklatschen entfacht der Blüten TanzDas Kinn gestützt lausche ich Vogel-LiedernWer käme wohl, mir seine Achtung zu erweisen?Der Holzfäller schaut öfter mal vorbei

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Ein festes Strohdach, hier wohnt ein Mann vom LandeGanz selten Pferd und Wagen vor dem TorDunkele Wälder laden nur VogelscharenBreites Tal birgt Fische tief im GrundZum Beerensammeln führe ich die Kinder ausPflüge des Feld am Hang mit meiner FrauDrinnen im Haus, was habe ich da?Allein ein Bettgestell, mit Büchern beladen

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Seht wie die Mandarinenten die Nacht verbringenEin Männchen und ein Weibchen kuscheln sich zusammenSie picken Blütenblätter, teilen jeden BissenPutzen sich gegenseitig das GefiederSie steigen sich umspielend auf in duftige WolkenKehren zum Schlafen ans steinige Ufer zurückLiebevoll von Natur leben sie stets in FreudenUnd trachten nicht, den Teich des Phönixpaares einzunehmen

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Im sechsten Monat wenn die Bauern vor der Hitze fliehnWer freut sich ein Maß Wein mit mir zu teilen?Ich habe buntgemischte Beeren ausgelegtDoch niemand lagert um den Weinkrug außer mirStatt einer Matte brauch ich eine Lage StrohBananenblätter dienen mir als TellerSitze ich dann im Rausch, das Kinn gestüztzIst der Sumeru klein wie ein Armbrustgeschoß

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Die Pflaumenblüten würden gerne den Sommer erlebenDoch Wind und Monde verdrängen sie ohne GeduldBei allem Suchen nach einem Han-Zeit MenschenKönntest du doch nicht einen einzigen mehr findenSo welken und fallen die Blüten Tag für TagJahr über Jahr gehen Menschen ein in VerwandlungUnd dort wo heute Staubwolken aufwirbelnErstreckte sich zu alter Zeit der Ozean

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Mädchen mit feingeschwungenen Brauen in der StadtSchellenverzierte Gürtel klirren und klingelnVor einem Blütenflor pfeifen die PapageienLauten klingen unterm vollen MondEiner Ballade Nachklang weilt drei MonateZehntausend Gaffer sammeln sich zu kurzem TanzDoch kann dies Treiben sicherlich nicht ewig dauernBeim ersten Frost vergeht die Lotusblüte

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Sie sagte: Meine Heimat ist Han TanMan hörts am Singsang meiner StimmeKomm doch mit mir in mein verschwiegenes KämmerleinDie alten Lieder dir zu singen dauert langDu bist betrunken, sprich nicht vom NachhausegehenBleib hier, die Sonne steht noch nicht im MittagIn meinem Schlafgemach ist eine buntgestickte DeckeGebreitet über ein silberverziertes Bett

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Im dritten Monat wenn die Seidenraupen noch ganz kleinKommen junge Mädchen zum BlumenpflückenEntlang der Mauer machen sie Jagd auf SchmetterlingeDrunten am Teich werfen sie Steine nach dem FroschSie sammeln Pflaumen in ihren weiten GazeärmelGraben mit goldnen Haarnadeln die Bambussprosse ausÜber Geschmack mag man sich endlos streitenDoch hier ists schöner als bei mir zu Haus

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Über den Blüten singt der goldene PirolKuan! Kuan! sein herzergreifend LiedEin schönes Mädchen, Antlitz wie von heller JadeStimmt dazu ein mit Lautenklang-So werden beide ihres Spiels nicht müdeVoll zärtlicher Gefühle ist die JugendzeitDie Blüten aber fallen und Vögel entfliegenEhe der Herbstwind weht, vergießt sie Tränen

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Nördlich der Stadt lebte Gevatter ChungIn seinem Haus gab es stets reichlich Fleisch und WeinDamals, als seine Frau gestorbenWar seine Halle berstend voll von TrauergästenNun ist der Alte selbst dahingegangenNicht ein Mensch kam, ihn zu beweinen-Die seinen Becher leerten und seinen Braten verschlangenWas haben sei doch für ein kaltes Herz!

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Zu Zeiten da ich noch auf dem Dorfe lebtePries mich dort jedermann als OhnegleichenDoch als ich gestern in die Hauptstadt gingDa sahen selbst die Hunde mich schief anLästert dort einer über meine engen HosenFindet der nächste meine Jacke sei zu langStecht ihr dem Sperber beide Augen ausFlattern wir Spatzen erhaben und würdig umher

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Hast du Wein, dann hole mich zum TrinkenWenn ich Fleisch habe, lad ich dich zum MahleÜber kurz oder lang müssen wir alle zu den Gelben QuellenDrum wollen wir uns Mühe geben so lang wir jung und starkJuwelbesetzte Gürtel glitzern nur eine kurze ZeitGoldene Haarnadeln bleiben nicht lange schmuckGevatter Chang und auch die alte Dame ChengVerschwanden einst und niemand hörte mehr von ihnen

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Der Edle Tung, obwohl noch jung an JahrenGing ein und aus am KaiserhofVom Gelb der Gänsedaunen war sein HemdSeine Gestalt wie ein Gemälde anzusehenRitt stets ein Pferd mit weißen LäufenSchnell wie der Wind wirbelt es auf den roten StaubAm Straßenrand die Leute blickten ihm alle nach-Aus welchem Haus mag dieser Mensch wohl stammen?

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Gehts um Berichte und Beschlüsse bin ich nicht gerade unbedarftWarum erhalt ich niemals eine gute Stelle?Der Auswahlkommisar macht mir das Leben schwerSucht ständig irgendwelche Fehler aufzudecken-Es ist wohl alles eine Angelegenheit des SchicksalsDrum will ich auch in diesem Jahr die Prüfungen versuchenEin blinder Junge, der auf des Spatzen Auge zieltKönnte vielleicht aus Zufall einmal treffen

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Gibts was zu freuen- freue dich daranWir dürfen wahrlich keine Zeit verschwenden!Man sagt, das Menschenleben dauert hundert JahrDoch wer erlebt schon ganze dreißigtausend Tage?Wir sind in dieser Welt nur einen AugenblickVerschwende ihn doch nicht mit Streitereien um GeldAm Schluß des Klassikers der KindespflichtDa kannst du alles über dein Begräbnis lesen

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Es gibt wohl Menschen sparsamer NaturDoch Knickerigkeit entspricht nicht meiner ArtMein dünnes Kleid vom vielen Tanzen durchgewetztDer Weinkrug leer weil ich beim Singen gerne einen hebeSeht zu, daß ihr euch stets den Bauch vollschlagen könntUnd rennt euch nicht die Beine ab-Wenn erst Unkraut durch euren Schädel sprießtMöchtet ihrs sonst bereuen

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Was für ein wohlerzogener stattlicher BurscheUnd wie belesen er in Klassikern und in Geschichte ist!Mit "Herr Professor" redet alle Welt ihn anEin jeder spricht von ihm als dem "Gelehrten"Zu Amt und Rang hat ers noch nicht gebrachtVersteht aufs Pflügen sich genauso wenigSein Winterkleid ist ein zerfetztes LeinenhemdEr hat sich wohl mit seinen Büchern selbst betrogen

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Nicht einmal hundert Jahre lebt der MenschDoch hegt er ständig Kummer wie für tausend JahreVon eigenen Gebrechen kaum erholtBeladen Kind und Enkel ihn mit SorgenJetzt muß er nach den Reissetzlingen sehenSich dann noch um die Maulbeerbäume kümmern-Geh doch die Wägsteine ins Ostmeer werfenWenn sie zum Grund gesunken erst, weißt du was Frieden ist

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Schriften im Gürtel ging ich als Kind zum PflügenLebte von Anfang bei meinem älteren BruderDa jedermann was an mir auszusetzen hatteZu allem Übel noch die eigene Frau mich miedZerriß ich alle Band dieser Welt des StaubsBin ständig auf der Walze und lese was ich magWer von euch könnte eine Kelle Wasser leihenDem Fisch gefangen in der Wagenspur?

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Auf Wanderschaft kam ich zu einem alten Friedhof-Ich weine bitterlich über Tote und Lebende:Zerstörte Gräber, die gelben Totenkisten aufgebrochenIn den durchlöcherten Särgen sieht man weiße GebeineDie Urnen wurden alle umgestürztAus den Trümmern sind Haarnadeln und Amtstafelnverschwunden-Auf einmal fährt ein Windstoß dreinUnd Staub und Asche wirbeln durcheinander

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Die Reichen feierten in einer großen HalleInmitten glitzernder und flackernder LampionsDa kam ein Mann, der nicht mal eine Kerze hatteWollte am and des Lichtkreises verweilenWer hätt gedacht, daß sie ihn treten und verjagen würdenZurück! Zurück! Verbirg du dich in DunkelheitWürde denn ein Mensch mehr den Glanz vermindern?So was! Auch noch mit überschüssigem Licht zu geizen!

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Schon früher war ich ganz schön abgebranntHeute in tiefer Armut bittrer KälteWas immer ich beginne, nichts will mir gelingenWohin ich mich auch wende, schubst man mich herumLauf ich im Matsch, rutsche ich dauernd ausSitz ich bei Dörflern, knurrt der Magen unaufhörlichSeit ich auch das gescheckte Kätzchen noch verlorBelagern die Ratten meinen Reiskrug

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O weh!- Armut und überdies noch NotVerwandte und Freunde standen mir nie nahIch hatte lange keinen Reis im VorratskrugIm Kochtopf sammelt oft genug sich StaubÄrmliche Hütte schützt mich nicht vor RegenEs tropft aufs Bett und den geschundenen LeibKein Wunder, daß ich so ausgemergelt binSolche Misere macht jeden Menschen krank!

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Sie lachen über mich: Seht diesen BauerntölpelWas er für ungeschlachte Züge hat!Sein Hut hat nie die angemessene HöheDen Gürtel trägt er immer viel zu eng-Nicht, daß ich keine Ahnung von der Mode hätteDoch ohne Geld kannst du nicht mithaltenWenn eines Tages ich viel Geld besitzeTrage ich Hüte, hoch wie die Pagode dort!

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Gewisse Leute prahlen gern mit ihrem LebenswandelSie halten sich für talentierter noch als K'ung und ChouDoch seht nur, ihre Köpfe sind starrsinnig und verbohrtUnd ihre Art ist rauh und ungehobeltZieht sie an einem Seil, sie mögen sich nicht rührenSteht sie mit einer Ahle, nichts kann sie bewegenGenauso wie der Kranich des Herrn YangSie sind, so fürchte ich, als Blödköpfe geboren

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Anderer Menschen Sünden soll man nicht bekämpfenMan soll sich nicht der eigenen Tugend rühmenWird man gebraucht, so ist es gut zu handelnWenn nicht gebraucht, ziehe man sich zurückHohes Einkommen bringt großer Pflichten SorgenTiefschürfende Rede zieht auch das Seichte in Betracht-Ich höre solche Sprüche immer wieder hergeleiertSowas versteht doch jedes Kind von selbst!

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Östlich von mir wohnt eine alte FrauDie wurde erst vor ein paar Jahren reichWar früher ärmer noch als ichHeut lacht sie, weil ich keinen Pfennig habeSie lacht- ich sei ihr unterlegenIch lache- sie ist emporgekommenWir werden wohl nicht aufhören uns gegenseitig auszulachenSie aus dem Osten, ich vom Westen

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Vergebens plagte ich mich mit den Drei GeschichtsbüchernVertan die Zeit des Brütens über den Fünf KlassikernIch werde bis ins Alter gelbe Zensuslisten prüfenUnd wie gehabt an weißen Steuerformularen sitzenBefrag ich das I Ching kündet es SchwierigkeitenMein Leben ist beherrscht von einem schlechten SternDem Baum am Flußufer werde ich niemals gleichenDer Jahr für Jahr aufs neue grünt

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Kannst du etwa durch Bücherlesen dem Tode entrinnen?Kannst du etwa durch Bücherlesen dir Armut ersparen?Warum nur will ein jeder lesen lernen?Weil man damit die andren übertreffen kann!Der stattlichste Mann, kann er nicht lesenFindet kein Auskommen in dieser WeltDrum tauche deine Medizin in etwas KnoblauchsoßeUnd du vergißt, daß sie so bitter ist

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Die armen Literaten sind alle vom Unglück verfolgtHunger und Kälte- bei uns sind sie immer am ärgstenWir haben viel Zeit um Gedichte zu machenMit Inbrunst kritzelnd kritzelnd geben wir uns ausDoch wer will solcher Taugenichtse Werke lesen?Drum rat ich dir, hör auf mit dem Gejammere!Schrieben wir auch auf feinste ReiskuchenSelbst streunende Hunde würden nicht anbeißen

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Das neue Korn war noch nicht reifDa hatte ich das alte schon verbrauchtDrum ging ich, einen Scheffel auszuleihenStand zögernd draußen vor dem Tor-Der Hausherr kam und riet mir seine Frau zu fragenFragt meinen Mann! So wies die Frau mich abZu knauserig um einem der arm dran ist auszuhelfenSie werden um so törichter je größer der Besitz

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Seit ich ins öffentliche Leben trat hab ich nur Last und ÄrgerAll die Geschäftigkeit hat mich total verändertDoch konnte ich bisher nicht von den Konventionen lassenFahre draum mit Höflichkeitsbesuchen fortGestern sprach ich zum Tod eines gewissen Hsü mein Beileid ausHeut ging ich zum Begräbnis eines Herrn LiuAuf diese Art von Tag zu Tag beschäftigtMacht sich Verdruß in meinem Herzen breit

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Oft denk ich an die Tage meiner JugendzeitAls ich auf Jagd durchstreift die Gegend um P'ing LingMir stand der Sinn nicht nach RegierungspostenSchätzte selbst der Unsterblichen Dasein geringAuf einem Schimmel sprengte ich den ganzen Tag umherLieß jubend meinen Falken auf die Hasen los-Ehe ich mich versah ist alles das zerronnenDie Haare weiß, wer kümmert sich dann noch um dich?

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Sieh dort vom grünen Laub umrahmt die BlütenWie lange wohl wird ihre Pracht noch dauern?Heut bangen sie vor einem Menschen der sie pflücktMorgen erwarten sie eines anderen GartenbesenWie lieblich sind der Jugend zarte TräumeDoch viele Jahre führen dann zum GreisenalterBetrachte du die Welt wie jene BlütenRosige Wangen, wer kann sie lang bewahren?

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Einst reiste ich umher mit Schwert un SchriftrollenIch lebte unter drei vollkommenen HerrschernIm Osten als Beamter fand ich nicht AnerkennungIm Westen als Soldat erwarb ich kein EhrenzeichenStudierte schöne Künste und auch das KriegshandwerkStudierte Kriegshandwerk und auch die schönen KünsteBis heute bin ich nichts geworden als ein GreisWas bleibt vom meinem Leben- nicht der Rede wert

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Der weiße Kranich, einen Pfirsichzweig im SchnabelMachte nur alle tausend Meilen einmal RastEr wollte in das Märchenland P'eng LaiAls Wegzehrung sollte der Zweig ihm dienenNoch nicht am Ziel, da fielen ihm die Federn ausFern von der Schar wurde das Herz ihm schwerDoch als er in sein altes Nest zurückkehrteDa kannten Frau und Kinder ihn nicht mehr

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Auf edlen Pferden, mit korallverzierten PeitschenGaloppieren sie über den Weg nach Lo YangNoch geben sie an diese jungen GeckenGlauben nicht, daß auch sie einmal altersschwach werdenEin Weilchen noch, dann bringt das Leben weißes HaarWer könnte seine roten Wangen lang bewahren?Sehr ihr die Gräber am Pe MangDAS ist das Märchenland P'eng Lai!

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Ein Mann mit klaren Kopf, robustem KörperEr meistert jede der Sechs FertigkeitenDoch wendet er sich Süd-wärts landet er im NordenWill er gen Westen verschlägt es ihn nach OstenWie Tang stets ohne Halt umhergetriebenNiemal in Ruhe, gleich dürrem Gras im WindIhr fragt, was für ein Mensch das sei?Armut heißt er- man nennt ihn Elend

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Im Abenddämmer spielt eine MädchenscharDer Wind trägt ihren Duft über die ganze StraßeRöcke geschürzt mit goldenen SchmetterlingsbroschenJadene Mandarinenten auf ihren HaarnadelnDie Kammerzofen sind gehüllt in rote SeideMit purpurnem Brokat gekleidet die EunuchenAlle gaffen mich an, der ich den Weg verlorEin Mann mit weißen Schläfen und ruhelosem Sinn

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Der Jahreszeiten Wandel rastet nieEin Jahr geht hin und ein Jahr kommtEs gibt für alle Lebewesen Blüte und VegehenDie Neun Himmel allein kennen keinen VerfallWird es im Osten hell wartet im Westen schon die DunkelheitDie Blüten fallen- neue Blüten brechen aufAllein die zu den Gelben Quellen reisenGehen in tiefe Dunkelheit und kehren nicht zurück

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Warum nur bin ich immer so verzweifelt?Das Menschenleben gleibt dem MorgenpilzWer überdauete einige Dutzend JahreJung oder alt, sie alle werden welk und fallenDaran zu denken macht das Herz mir schwerO dieser Schmerz! Ich kann ihn kaum ertragenWas soll ich tun? Sagt doch, was soll ich tun?Wirf ab den Körper- kehre heim auf verborgenen Gipfel!

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Vor dreißig Jahren kam ich auf die WeltImmer auf Wanderschaft, tausendz tehntausend MeilenReiste vom grasgesäumten YangtsekiangBis in den roten Staub des Grenzlandes im NordenIch braute Elixiere, suchte vergebens nach UnsterblichkeitStudierte Schriften und rezierte die GeschichtswerkeHeimgekehrt heute zum Han ShanBette den Kopf ich auf dem Strom und wasche meine Ohren

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Erinnerungen an Erlebnisse vergangener ZeitenVon einer Attraktion der Menschenwelt zog ich zur anderenIch freute mich der Berge, erklomm schwindelnde HöhenLiebte das Wasser und segelte auf tausend BootenGab Abschiedsfeste manchem Gast im Lauten-TalBrachte die Zither und spielte auf der Papageien-InselWer hätt gedacht, daß ich nun unter diesen Föhren kauereDie Knie umklammert in sausender rauschende Kälte

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Nach dem Orakel wählte ich einen abgelegnen WohnortT'ien T'ai- was gäbe es da mehr zu sagen...Durch nebelkalte Schluchten hallen AffenschreieGrastor verschmiltzt mit Grün des Heiligen BergesDie Waldhütte zu decken breche ich BlätterHebe ein Becken aus und leite Quellwasser herbeiGern tat ich ab der Welt endlose HändelWill für den Rest des Lebens Farne sammeln

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Vom Spiel der Vögel überwältigt mit GefühlenRuhe ich nun in grasgedeckter Hütte ausWilde Kirschen leuchten glänzend rotDie Weidenruten hängen langgefiedertIm Biß blauschwarzer Grate die MorgensonneHeitere Wölkchen baden im grünen SeeKönnt ihr verstehn, daß ich die Welt des Staubs verlassenDen Schritt gelenkt zum Südhang des Han Shan?

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Einsam lieg ich am Fuße aufgetürmter FelsenWo mittags selbst die Nebel sich nicht teilenIst es in dieser Hütte auch fast dunkelSo ist mein Sinn hier fern von Lärm und GeschreiEin Traum, als ich noch schweifte zwischen goldenen PortalenÜber die Felsbrücke kehrt meine Seele heimIch hab den Weltenrummel hinter mir gelassenDie Schöpfkelle klappert klappert im Baum

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Ich steige, steige auf dem Han Shan WegDie Reise zum Han Shan nimmt nie eine EndeDie Schlucht entlang über Felsbrocken, Steine, SteineDurch nebeldunkles Gras im weiten TalDas Moos ist glitschig, nicht nur wenn es regnetDie Föhren knarren, doch es geht kein WindWer kann sich befreien aus den Verstrickungen der WeltMit mir zu Sitzen zwischen Weißen Wolken?

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Stufe auf Stufe prächtiger LandschaftenNephritfarbene Berge vom Morgenrot eingefaßtNebel wischt Feuchte auf meine BaumwollkappeTau netzt den Umhang von geflochtenem StrohDie Füße unbeschwert in PilgersandalenDie Hand hält einen alten WanderstabEinmal hinausgeschaut über die Welt des StaubesWie könnte ich zurückkehren ins Reich der Träume!

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Ich lebe voller Freude mit dem Alltags-wegIn einer Grotte unter dunstverhangenen KletterpflanzenMein wildes Herz vollkommen frei und ledigFür immer Weißer Wolken müßiger GefährtKein Pfad verbindet mich mehr mit der WeltBin absichtslos- was könnte mich noch fesseln?Auf einer Felsplatte sitze ich einsam in der NachtWährend der Vollmond aufsteigt am Han Shan

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Es lebt der Mensch in Dunkelheit und StaubSo wie ein Käfer der im Krug gefangenKrabbelt den ganzen Tag im Kreis im KreisDoch entflieht er diesem Krug nicht!Nie kann den Unsterblichen er sich zugesellenDenn seine Leidenschaften sind unendlichMonate, Jahre verströmen wie ein FlußEin Augenblick nur und er ist ein alter Mann

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Die reichen Leute haben viele SorgenSie machen nur Geschäfte, wissen nichts dankbar anzunehmenWenn auch der Reis in ihrem Kornspeichern schon faultLeihen sie doch an niemand einen Schaffel ausIhre Gedanken kreisen ständig um ProfitAus billig eingekaufter Seide machen sie "Erste Ware"Doch dann an ihrem TodestagKommen nur Fliegen kondolieren

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Ein Bauernhof mit großen MaulbeergärtenDie Stallungen voll Ochsen und voll KälberWem solches zufällt, der sollte doch an Karma glaubenVoll Eigensinn jedoch verderben sie's von früh bis spät-In einem Augenblick geht alles in die BrücheUnd ist erst aller Lebensunterhalt verpfändetIn Hosen aus Papier, mit einem Dachziegel als LendenschurzVerhungern und erfrieren sie am Ende

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Ein Gast bekrittelte den Meister vom Han Shan:In deinen Versen fehlen die Rechten GrundsätzeLas ich doch bei den Weisen des AltertumsDaß sie sich ihrer Armut niemals schämten-Ich mußte über seine Worte lachen:Geschwollene Reden führen ist wohl leichtDoch möcht ich dich in meiner heugen Lage sehnWie wichtig dann die Groschen für dich wären

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Vier oder fünf halbstarke SchwachköpfeNichts was sie tun ist wahr und aufrichtigHaben noch keine zehn Schriften studiertDoch mit kritischem Pinsel sind sie schnell bei der HandSie nehmen den "Lebenswandel des Gelehrten"Und nennen es einen RäuberkodexSind dabei "selbstlos" wie der BücherwurmDer anderer Leute Folianten zerfrißt

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Han Shan- so finster und geheimnisvollWer ihn besteigt tut es in Angst und SchreckenIm Mondlich tiefer Wasser GlitzerglanzWind fährt durch die Gräser rischelraschelSchneeblüten trägt der dürre PflaumenbaumWolken statt Blattwerk in den kahlen WipfelnEin Schauer wandelt alles wie mit GeisterhandDen Aufstieg schaffst du nur bei klarem Himmel

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Mein Heim liegt unterhalb der grünen KlippeDer Hof verwuchert, mag ihn auch nicht mähenUnd immer neue Ranken baumeln verschlungen herabUralte Felsen steilen senkrecht aufDie Affen kommen wilde Beeren pflückenDer Reiher schnappt sich Fische aus dem TeichMit ein paar Schriftrollen von dem UnsterblichenSitze ich murmelnd murmelnd unterm Baum

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Wie wohl uns doch zur Zeit des Chaos warWir brauchten nicht zu essen, nicht zu pissenWer suchte uns mit seinem Bohrer heimUm uns mit den neun Löchern zu versehen?Tag über Tag müssen wir essen und uns ankleidenIn jedem Jahr der Ärger mit der SteuerTausend von uns streiten um einen GroschenSie rennen sich die Köpfe ein und schrein aus vollem Hals

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Chang Tzu sagte, daß bei seinem letzten GeleitDer Himmel und die Erde seinen Sarg abgäbenWenn dann für mich die Zeit zur Heimkehr kommtBrauche ich nur ein paar BananenblätterAls Leiche werde ich die grönen Fliegen fütternBei weißen Kranichen müht man sich nicht um TotenklageUnd übermannt mich auch der Hunger auf dem Shou Yang BergNach einem unbescholtnen Leben ist auch der Tod voll Freuden

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Tod und Leben haben ihre BestimungReichtum und Ansehen kommen vom Himmel-So sprach ein Mensch des AltertumsIch sage euch, das sind auch heute keine AmmenmärchenEin weiser Mann mag ruhig in jungen Jahren sterbenDer Narr allein sehnt sich nach langem LebenHohlköpfe horten viele SchätzeDer Wissende hat keinen Pfennig

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Seit ich mich einst auf den Han Shan zurückzogErnähr ich mich von wilden FrüchtenEin friedliches Leben, was braucht ich mich zu sorgenIn dieser Welt nimmt alles seinen vorbestimmten LaufTage und Monde verströmen unaufhaltsam wie der FlußUnsere Zeit- Funken von einem FeuersteinDie Welt zu ändern überlaß ich euchIch sitze still vergnügt zwischen den Klippen

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Bin ich nicht um der Berge Wonne zu beneidenIn Muße wandernd und von niemand abhängigDer Sonne nachjagend macht man sich nur kaputtRuhen erst die Gedanken, dann bleibt nichts zu tunGelegentlich entrolle ich eine der alten SutrenKlettere ab und zu zum Felsschlößchen hinaufSchaue hina auf tausend Klafter tiefe SchluchtenÜber mir quellen Wolkenwirbel aufEin kalter Mond, frostigen Windes SausenMir ist wie einem einsam ziehenden Kranich zumute

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Die Leute fragen nach dem HAn Shan WegHan Shan? Kein Pfad führt euch dorthinHier scmilzt das Eis auch spät im Sommer nichtIm Nebel steigt die Sonne blaß wie der MondUnd ich, wie ist es mir gelungen?Mein Sinn ist nicht dem euren gleich-Wenn euer Sinn wie meiner wäreDann führte er auch euch hierher

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Hoch in zerklüftetem Gebierge Weiße WolkenWellen kräuseln die Weite blaugrünen SeesHier höre ich von Zeit zu Zeit den alten FischerWie stakend er zum Klappern seiner Stange singtWieder und wieder die Stimme, ich mag sie nicht mehr hörenZu viele traurige Erinnerungen ruft sie wach-Wer sagt, der Spatz habe kein Horn?Seht doch, wie er ein Loch ins Dach mir bohrt!

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Im letzten Jahr beim Frühlings-VogelsangGedachte ich voll Sehnsucht meiner KameradenWährend in diesem Herbst die Chrysanthemen welkenDenk ich zurück an meine JugendzeitGrüne Wasser glucksen allerorts im LandeRings in den Ebenen wirbelt gelber StaubAch! Muß ich denn mein Leben langMit solcher Wehmut an die Hauptstadt denken?

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Wie eisig kalt ist es tief im Gebirge!Von alters her, nicht erst in diesem JahrSchartige Gipfel unter ewgem Schnee erstarrtDüstere Wälder speien NebelschwadenGras wächst erst nach der ÄhrenzeitDie Blätter fallen schon vor HerbstanfangEin Wanderer hier- tief in VerirrungEr späht und späht, doch sieht den Himmel nicht

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Ein komischer Weg führt zum Han ShanDa ist nicht eine Spur von Pferd und WagenKaum möglich die gewundnen Schluchten sich einzuprägenSteilwände ragen unabsehbar hochTausend verschiedne Gräser weinen TauDie Kiefern alle gleich, drin stöhnt der WindHab mich verirrt, finde den geraden Weg nicht mehrKörper fragen Schaten- Wohin von hier?

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Ich halte Ausschau: Ach! so weit das Auge siehtStehn Weiße Wolken rings in grenzenloser WeiteEulen und Krähen, fett, faul und aufgeblasenDoch Luan und Feng im Hunger verloren und verirrtEdle Pferde, versprengt in weiter SteppeNur lahme Esel erreichen die große Halle,Des hohen Himmels Wege sind nicht zu erforschenEin Zaunkönig über den kalten weiten Wellen

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Schweigen, Schweigen- niemals ein Gespräch!Was willst du so der Nachwelt zu berichten geben?Fern von der Welt im tiefen Wald verkrochenWie soll dir da die Sonne der Erkenntnis aufgehen?So ausgezehrt kannst du nicht stark und wachsam seinFrostiger Wind bringt Krankheit und frühen Tod-Pflüge mit irdnem Ochsen einen Fels-AckerUnd du erlebst niemals den Ernte Tag

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Alleine Sitzend bin ich noch immer ruhelosMit Leidenschaft im Herzen- wie lange, lange noch?Der Berg und nichts als Wolken weit und breitIn Abgrundtiefe heulte und pfeift der WindDurch wogende Baumwipfel turnen AffenMit schrillem Schrei entflieht ein Vogel in den WaldDer Sturm der Zeit zerzaust und lichtet mir das HaarAm Jahresende- ein enttäuschter und bittere Greis

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Dunkel Dunkel- der Han Shan WegSteinig Steinig- des kalten Bergbachs UferTschiep Tschiep- überall sind VögelEinsam Einsam- nirgends ist ein MenschHuiii Huiii- Wind beißt ins GesichtWirbel Wirbel- Schnee bedeckt den KörperMorgen für Morgen sehe ich nicht die SonneJahr über Jahr kenne ich keinen Lenz

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Ich hörte einst vom T'ien T'ai sagenTief in den Bergen sei ein Baum von EdelsteinSchon immer wollte ich zu ihm hinaufsteigenFand aber nie den Weg über die FelsbrückerSeitdem sind meine Tage voll Kummer und voll SuefzenDie Zeit des Lebens sich zu freun ist bald dahinAls ich mich heut im Spiegel sahDa war mein schüttres Haar schlohweiß

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Mit Jahreswechsel ging ein trübseliges JahrZum Frühlingsanfang strahlt die Welt in frischen FarbenWilde Blumen lachen über grünem SeeBerggipfel tanzen im blauen DunstBienen und Schmetterlinge spielen selbstzufriedenDer Vögel und Fische Freude darf ich teilenDie Sehnsucht nach einem Spiel-Gefährten aber bliebBis Morgengrauen wälzte ich mich schlaflos

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Vom Weg zu hören soll Trübsal und Leid verjagenDoch diese Worte sprechen nicht die WahrheitErst gestern morgen war aller Kummer verdammtDa bin ich heut schon wieder tief darin verstricktAm Monatsende waren Leid und Trübsal auch erschöpftDas neue Jahr jedoch bringt immer neue SorgenWen wunderts, steckt doch unter diesem HutDe alte Griesgram, nach wie vor!

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Ich wohne auf dem Berg, Trübsal im HerzenTrauere nur fliehenden Lebensjahren nachSammele fleißig Kräuter für das LebenselixierDoch hat mich alles Forschen etwa unsterblich gemacht?Nun ist mein weiter Hof in Wolken eingehülltIm Schein des kugelrunden Mondes liegt der WaldKehre nicht heim, was will ich denn noch hier?Es sind die Zimtbäume, die mich zurückhalten

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Keiner der weisen Männer seit dem AltertumHat uns ewiges Leben demonstriertWas auch ins Leben kam geht wieder in den TodMuß ganz und gar in Staub und Asche fallenGebeine häufen sich zu einem riesigen BergEin Ozean aus AbschiedstränenWas bleibt sind nichts als leere NamenWer entflieht dem Kreislauf von Geburt und Tod?

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Heute sass ich vor der FlesklippeBis schließlich aller Nebel sich verzogEin gerader Weg, glitzernd der kalte BachAchttausend Fuß, die Gipfel jadefarbenIm milden Morgenlicht stehn Weiße WolkenBei Nacht des hellen Mondes schwebender GlanzNun bin ich frei von jedem MakelWelch Kummer könnte meinen Sinn noch trüben?

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Über dem Han Shan- nichts als Weiße WolkenStill und entfernt vom Staub der WeltZum Sitzen eine Lage Stroh in meiner BerghütteEinzige Lampe ist des Mondes helles RundEin Felslager neben dem grünen TeichTiger und Hirsch allein sind meine NachbarnWer sich die Freuden eines Lebens in Verborgenheit ersehntMuß ein für allemal die Scheinwelt überschreiten

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Mein Sinn er gleicht dem Mond im HerbstDer unbefleckt sich in smaragdnem Weiher spiegelt-Ach nein, es gibt nichts das vergleichbar wäreSag mir, wie könnte ich es ausdrücken?

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Mal steig ich in die Schlucht hinabgespiegelt vom grünen BachDann wieder sitze ich am Gratauf einem mächtigen FelsenEinsamer Wolke gleicht mein Sinnkein Ort wo er verweiltIn weiter Ferne die Geschäfte der WeltWas brauchte ich noch zu suchen?

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Zwischen den tausend Wolken, abertausend WassernDa lebt in Seelenruhe ein PoetTagsüber wandert er durch blaue BergeAbends zurückgekehrt ruht er am Fuß der KlippeFrühling und Herbst die fliegen rasch vorüberZur Ruh gekommen sammelt er keinen StaubHerrlich führwahr, an nichts mehr festzuhaltenStill wie des großen Flusses Herbstfluten

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Am Flußufer da sah ich gestern einen BaumGebrochen und zerfetzt, es ist kaum zu beschreibenNur zwei, drei Äste waren ihm gebliebenVon ungezählten Axthieben zernarbtFrost hatte die vergilbten Blätter ihm entrissenDie Wellen schlugen gegen seine morschen WurzelnSo muß es allen Lebenwesen gehenWarum dem Himmel und der Erde darum fluchen?

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Ersehnst du dir aus tiefstem Herzensgrunde einen Weg-GefährtenEin Weg-Gefährte ist immer zum Greifen naheTriffst du auf Wanderer die von der Quelle abgeschnittenEmpfange jedermann als Gast zu einem Zen-GesprächPlaudert vom Geheimnis bis der Mond die Nacht erhelltErgründet die Prinzipien bis kurz vor SonnenaufgangDann laßt myriaden Ursachen und Wirkungen vergessen seinUnd ihr erkennt den ursprünglichen Menschen

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Hoch, hoch erhaben über allen GipfelnWohin ich blicke- grenzenlose WeiteDa sitze ich allein, von aller Welt vergessenIn kalter Qulle, das ist nicht der MondDer Mond selbst steht am schwarzen HimmelIch singe dieses Lied für euchIm Lied ist allerdings kein Zen

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Du willst in Frieden leben und Verborgenheit?Hier am Han Shan ist dafür stets gesorgtIn finsteren Föhren säuselt eine sanfte BriseHör näher hin, es ist die herrlichste Musik!Unter den Bäumen hockt ein Mann mit weißen SträhnenLiest murmelnd murmelnd über Huang und LaoZehn Jahre mocht er nicht nach Hause kehrenVergessen ist der Weg den er einst kam

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Am Anfang teilte er Himmel und ErdeSidelte dann den Menschen in ihrer Mitte anUns zu verwirren speit er NebelschwadenUns wieder zu ernüchtern atmet er den WindWenn er uns schont, schenkt er Reichtum und EhreUns heimzusuchen sendet er Armut und NotIhr Leut von Han, die ihr euch plagt und placktEs hängt doch alles ab vom Himmelsherrscher

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Von Kindheit an nicht hin und her reisenUnd bis zum Tod nicht Sittlichkeit und Pflicht kennen-Wenn man sich an das Äußerliche dieser Worte hältHegt man bald Lug und Trug im BusenEröffnen solche Reden erst einen kleinen WegDann sind sie Grund für das Entstehen großer LügenWer sich mit Heuchelei eine Sturmleiter bautDer schneidet sich dazu Äste mit spitzen Dornen

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Mein Wille läßt sich nicht einfach aufrollenIhr solltet wissen, daß ich keine Matte binIch ging so tief in diesen BergwaldUm ganz allein auf einem Fels im Steilhang auszuruhnNun kommen diese Schwätzer, reden hin und herDrängen mich Gold und Jade anzunehmen-Löcher in Wände bohren und Unkraut darin pflanzenDamit ist niemandem gedient!

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Im Felsgewirr zu leben bestimmte mir das OrakelEin Vogel-Weg, kein Mensch spürt mir hier nachWas meint ihr liegt dort jenseits meines Hofes?Weiße Wolken umhüllen dunkelen Fels-Wieviele Jahre wohne ich schon hier?Sah oft den Frühling sich in Winter wandelnBestellt den Leuten die in Pomp und Reichtum lebenMit eitlem Ruhm weiß ich nichts anzufangen!

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Sehen die Menschen von heute den Han ShanSo meint ein jeder sein Gebaren sei verrücktMeine Erscheinung ist nicht gerade attraktivDer Körper ist ein einziges FlickenbündelUnd meine Worte die verstehn die andern nichtWo andere reden halte ich den MundIhr, die ihr ständig hierhin- dorthin eiltVersucht doch mal bis zum Han Shan zu kommen.

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Ein gewisser Professor namens WangLachte über die vielen Fehler meiner Verse:Von Wespentaille hast du wohl noch nichts gehörtUnd weißt du nicht, was Kranich-Knie bedeutet?Du hast von Versmaß keine blasse AhnungReihst Wörter aneinander wie es dir gefällt-Ich lache auch, wenn Du Gedichte machstDas ist als ob ein Blinder von der Sonne singt!

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Weise Männer- ihr habt mich verworfenIhr Narren- ich verwerfe euch!Ich will kein Narr und auch kein Weiser seinDrum laßt uns fortan nicht mehr voneinander hörenIm Abenddämmer sing ich für den hellen MondBeim Morgengrauen tanze ich mit Weißen WolkenWie könnt ich Mund und Glieder stillehaltenStocksteif zu sitzen bis mein Haar sich lichtet?

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Einmal zum Han Shan gelangtalle Geschäfte ruhnKeine verwirrten Gedanken mehrohne Zweifel das HerzIn Seelenruheein Gedicht an die Feldwand schreibenDie Dinge lassengehenkommenwie ein Boot ohne Leine

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Mein Leben lang war ich bequem und unbekümmertVerabscheute Gewichtigkeit, tat nur was leicht und einfachÜber Geschäfte mögen andere sich den Kopf zerbrechenIch halte mich an meine Eine SchriftrolleWas soll ich sie mit Stoff und Spule aufziehenUnd wo ich geh und steh den Leuten vor die Nase haltenFür jede Krankheit weiß sie eine MedizinDas angemessene Mittel alle Lebewesen zu errettenIst erst dein Sinn aller Gedanken ledigWas gäbe es dann noch, das nicht einsichtig wäre?

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Wie traurig daß die Menschen in diesem flüchtgen LebenNiemals aufhören ihre Tage zu vertrödelnTag über Tag finden sie keinen FriedenBemerken nicht wie Jahr um Jahr das Alter nahtAlles wonach sie trachten ist Kleidung und EssenIn ihrem Sinn lassen sie Überdruß und Ärger wuchernStändig in Aufruhr müssen sie für hunderttausend JahreAuf den Drei Schlechten Pferden hin und her wandeln

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Sie kochen Kieselsteine, eine Mahlzeit zu bereitenBeginnen erst Brunnen zu graben wenn sie durstig sindMüht man sich noch so sehr den Ziegel zu polierenWer könnte jemals einen Spiegel daraus machen?Der Buddha sagte, daß wir ihm von Anfang ebenbürtig sindAlle besitzen wir das gleiche Wahre-WesenDoch denken sie alleine in Für und WiderKönnen das Streben und Streiten nicht sein lassen

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Mein Wohnhaus hat kein buntbemaltes DachgestühlDer grüne Wald, das ist mein HeimEin Menschenleben geht im Nu vorüberDie endlosen Händel sind nicht durch Worte abgetanEin Bambusfloß reicht nicht, den Strom zu überquerenWer dabei Blumen pfückt, den ziehts hinab in einen StrudelWenn du nicht heut schon gute Werke sästWann willst du je die Knospen sprießen sehen?

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0 ja! Nun wohne ich auf dem Han ShanSchon seit unzählbar vielen JahrenMeiner Bestimmung überlassen verbarg ich mich im WaldeVerbringe meine Tage in stiller Wesens-SchauZu dieser Klippe dringt keine Menschenseele vorVon Weißen Wolken bin ich stets umringtDas weiche Gras gilt mir als LagerstattZur Decke nehme ich den blauen HimmelWohlig den Kopf auf einen Stein gebettetLaß ich des Weltalls Wandlungen den Lauf.

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In Muße wandernd auf den Gipfel des Hua TingDie Sonne klar, ein strahlend lichter TagSah ich mich um- im blauen FirmamentFlogen vereinigt Kraniche und Weiße Wolken

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Euch Fleischessern möcht ich ein Wörtchen sagen:Mit eurem Essen solltet ihr nicht so nachlässig sein!In diesem Leben erntet ihr, was im vergangenen ihr sätetUnd heute richtet ihr bereits das zukünftige einDoch kümmert ihr euch nur um das was heute angenehmHabt keine Furcht vor den Leiden kommender LebenEinst schlüpfte eine Ratte in den VorratskrugAls sie sich vollgefressen, brachte sie kaum den Kopf heraus

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Den Körper in ein prächtig Kleid aus Nichts gehülltAm Fuß ein Schuh vom Fell der SchildkröteFest in der Hand den Bogen aus Kaninchen-HornZiel ich den Dämon Unverstand zu töten

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Zum Ostgipfel wollt ich mich aufmachenWer weiß wie viele Jahre schonAls ich mich gestern an den Schlingpflanzen emporhangelteWurd ich auf halbem Weg von Wind und Nebel arg bedrängtDer Pfad so schmal, daß meine Kleider sich verfingenDas Moos war sumpfig und die Schuhe blieben klebenSo macht ich unter diesem roten Zimtbaum RastUnd schlief mit einer Weißen Wolke als Kopfkissen ein

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Frei schweift mein Blick bis zum T'ien T'aiEinsam und hoch über der Schar der GipfelBambus und Föhren tönen windgeschütteltMondglitzern in der Brandung ferner StrandeZum grünen Saum des Berges schaue ich hinabPlaudre mit Weißen Wolken über die geheimnisvolle LehreBerge und Flüsse sind meinem wilden Herzen sehr genehmDoch tief im Inneren ersehn ich einen Weg-Gefährten

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Warum ist dieser Mensch noch immer ruhelos?Beurteilt selbst den Wohnort den das Orakel mir beschied:Im südlichen Gebiet dräuen giftige DämpfeIm Norden herrschen bittrer Frost und SturmDas öde Land ist völlig unbewohnbarAus den verseuchten Flüssen kann man nicht trinkenSo wandert meine Seele immer wieder heimwärtsNascht von den Maulbeeren des Gartens am Familienhaus

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Im Traum kehrte ich letzte Nacht ins Heimatdorf zurückSah meine Frau am Webstuhl arbeitenDa hielt sie wie sehnsuchtsverloren inneNahm müde dann das Schiffchen wieder aufIch rief sie an, sie blickte sich um nach mirWandt sich verwirrt ohne Erkennen wieder abZu viele Jahre gingen seit ich Abschied nahmMein Schläfenhaar verlor derweil die alte Farbe

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Einst kam ich, am Han Shan zu SitzenBlieb lange, ganze dreißig Jahr!Besuchte gestern meine Freunde und VerwandteDie Mehrzahl ging längst zu den Gelben QuellenVerlöschten nach und nach wie KerzenstummelEntströmten, dem Fluß gleich, ohne WiederkehrMorgens steh ich verwaistem Schatten gegenüberNicht gewahr, daß zwei Tränenbäche tropfen

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In freier Natur wuchs ein hundert Fuß hoher BaumAus dem man lange Bretter sägen könnteWie schade um alle großen und kleinen BalkenDie dort in tiefer Schlucht verschwendet sindDurch viele Jahre ist sein Kern erstarktIm Lauf der Zeit entblößte es ihn aller RindeWer jedoch von ihm wüßte käme ihn sich holenUm dann wohl einen Pferdestall daraus zu baun

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Buddhistische Priester halten die Gebote nichtDie Taoisten trinken nicht ihr LebenselixierWie viele Weise gab es seit dem Altertum?Sie liegen alle unter einem grünen Hügel

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Unermeßlich weite Wasser des Huang HoFließen gen Osten ohne UnterlaßNiemals erlebt man wie der Strom sich klärtDenn aller Menschen Leben hat ein EndeWillst du jedoch auf einer Weißen Wolke reitenWeißt du wodurch dir Flügel wachsen?Nur wenn du dir, so lang dein Haar noch schwarzWo du auch gehst und stehst die größte Mühe gibst

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Mein Körper, existiert er oder nicht?Gibt es ein Ich oder gibt es kein Ich?Vertieft in die Ergründung solcher FragenSitze ich an den Fels gelehnt während die Zeit verrinntZwischen den Zehen sprießt das grüne GrasAuf meinem Haupt setzt sich der rote StaubSchon kommen Menschen aus der WeltFrüchte und Wein an meinem Totenbette darzubringen

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Der Ort wo meine Tage ich verbringeIst unsagbar verborgen und geheimnisvollKein Wind- von Selbst rascheln die SchlingpflanzenKein Nebel- im Bambushain bleibts immer dunkelWas ist es, das den Wildbach glucksen läßt?Ganz von alleine quellen Wolken auf am BergDes Mittags Sitzend in meiner BerghütteDa erst erkannte ich der Sonne vollen Glanz!

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Auf Tausend-Jahre-Felsenden Alten auf der SpurVor Zehntausend-Klafter-Klippestrahlende Leere alleinSo lange der helle Mond noch scheintbin ich immer ohne FehlVorbei die Plage des Suchens und Bettelnsdes Forschens in West und Ost

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In Muße ging ich einen ehrwürdigen Mönch besuchenDunstige Berge lagen tausendfach geschichtetAls mir der Meister selbst den Heimweg wiesHängte der Mond seine runde Laterne auf

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Manch Zeitgenosse sucht nach dem Wolken-PfadDer Wolken-Pfad- dunkel und ohne WegweiserRagende Gipfel, unglaublich schroff und abweisendIn ferne Schluchten dringt nur wenig LichtVor und zurück stehn Nephrit FelsenVon West bis Ost ziehn Weiße WolkenIhr fragt, wo findet sich der Wolken-Pfad?Der Wolken-Pfad, dort mitten in der Leere!

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Zu alten Zeiten, als ich noch bettelarmZählte ich jede Nacht der anderen SchätzeNun hab ich mir die Sache nochmal überlegt:Du solltest dir im eigenen Hause ein Vermögen schaffen!So grub ich und fand ein verborgenes KleinodEine vollkommen reine Perle aus KristallDa kam ein reicher blauäugiger FremdlingMit der geheimen Absicht, sie mir abzukaufenIch ließ ihn aber ohne Umschweif wissenFür diese Perle gibt es keinen Preis!

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Zahlloser Sterne breites Bandglitzernd in tiefer NachtKlippe beschienen von einsamer LeuchteMond noch nicht gesunkenPrächtiger Glanz vollkommener Kugelvon ungeschliffnem JaspisAufgehängt im nachtschwarzen HimmelDas ist mein Sinn

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Über dem Westhang feuerrot die AbendsonneGräser und Bäume lichtdurchflutetDoch dort an einem düsteren FleckenIm Dickicht von Föhren und SchlingpflanzenDarinnen lauern viele TigerSobald sie mich erblicken sträubt sich ihnen das FellUnd ich, nicht mal ein Messer in der HandWarum bin ich nicht starr und steif vor Angst?

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Ich habe mich ans Leben im entlegenen Versteck gewöhntGehe nur manchmal in das Kuo Ch'ing KlosterWenn ich dort mit dem Alten Feng Kan diskutiereGesellt sich meistens auch Shih Te dazuAllein kehre ich dann auf den Han Shan zurückDort hab ich niemanden mit dem ich sprechen könnteMan fragt ja doch nach einem Wasser ohne QuelleDer Quell versiegt- das Wasser unerschöpflich

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Wie wunderbar die kalte Klippe tief verborgenKein Mensch noch fand den Weg hierher!Still schweben Weiße Wolken über steilen GipfelnEinsamer Affe kreischt im grünen HangWas braucht ich da noch für Gesellschaft?Ich werde alt, ganz wie es mir gefälltMag auch in Frost und Sommerglut meine Gestalt verwitternSo kann ich doch die Perle im Herzen bewahren

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Zehntausend Meilen fern von Haus und HofDas Schwert führend um die Hunnen zu schlagenSolltest du Glück haben, müssen sie sterbenDoch hast du Pech, ist es um dich geschehnDu schonst ihr Leben nicht, alsoIsts ein Verbrechen wenn sie deines nehmen?Ich will dir das Geheimnis ewigen Sieges verratenNichts zu begehren ist das beste Vorgehen!

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Im tiefen Walde lebt ein HirschDer Wasser trinkt und Gräser frißtEr streckt sich unter einem Baum zum Schlafen ausBeneidenswert, so völlig ohne LeidenschaftenDoch sperrte man den Hirsch in eine prächtige HalleBöt man ihm selbst köstlichste LeckereienWürd er den ganzen Tag nicht fressen wollenUnd immer mehr abmagern und verfallen

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Ich sehe einen Menschen der die anderen betrügtAls einen Mann der einen Korb mit Wasser trägtLäuft er auch noch so schnell damit nach HauseWas hat er wenn er ankommt noch in seinem Korb?Betrachte ich den Menschen der betrogen wirdErscheint er mir so wie der Lauch im GartenMan reißt ihm täglich seine Blätter abDoch in der Wurzel bleibt er stets er Selbst

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In diesen Tagen gibt es eine Art von MenschenDie sind nicht böse aber auch nicht gutSie wissen nicht was es bedeutet Herr im Haus zu seinAls Vagabunden wohnen sie mal hier, mal daDoch die auf diese Weise ihre Zeit vergeudenSind nichts als stumpfsinnige FleischklumpenWenngleich sie auch einen magischen Turm besitzenFühren sie doch ein Sklavendasein

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Sein Sinn hochfahrend wie ein Berggipfel:Ich habs nicht nötig, mich vor andren zu verneigen!Kann nicht allein den vedischen Kanon auslegenSondern beherrsche auch das Schrifttum der Drei Lehren-Nicht eine Spur von Scham in seinem HerzenBricht er alle Gebote, verstößt gegen die heiligen Gesetze-Meine Lehre ist der Dharma der Höchsten MenschenDrum nennt man mich den Größten aller Lehrer!-Sämtliche Trottel preisen und verehren ihnUnd die Gelehrten applaudieren hocherfreut.O dieser Blender - wie könnte er mit seinem eitlen RuhmDem Kreislauf von Geburt und Tod entrinnen?Es wäre so viel besser, überhaupt nichts "auszulegen"Still Sitzend Angst und Wut zu überwinden

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In Wirklichkeit verbringst du alle Tage wie im RauschDer Jahre Strom verhält derweil nicht einen AugenblickLiegst du erst unter wuchernden Gräsern begrabenWie dunkel, dunkel dämmert dann der Morgen!Sind deine Knochen und dein Fleisch vermodertUnd hat sich deine Seele fast verflüchtigtSelbst wenn du Kiefer hattest, die durch Eisen bissenKannst du deinen Lao Tzu nicht mehr rezitiern

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Da gibt es einen Baum noch älter als der WaldDu willst die Jahre zählen? Sie sind jenseits jeder ZahlDie Wurzeln überdauerten die Wandlungen von Tal und HügelEwigem Wechsel von Sturm und Frost waren die Blätter ausgesetztÜber sein abgerissenes Äußeres lacht ein jederNiemand hat Sinn für das kostbare Holz im KernIst einmal alle Rinde abgefallenBleibt nichts zurück als das Wahre-Selbst

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Es ist ein Mann der lebt von roten MorgenwolkenAn einem Ort den meidet das gemeine VolkSpricht man mit ihm ist er aufrichtig und besänftigendSein Sommer ähnelt mehr dem HerbstTief in der Schlucht rauscht immerfort der BachWind wispert in den hohen FöhrenSitzt du in deren Mitte nur einen halben TagVergißt du allen Kummer deiner hundert Jahre

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Es gibt zu viele Intellektuelle auf der WeltDie haben ausgiebig studiert und wissen einfach allesDoch kennen sie ihr ursprüngliches Wahres-Wesen nichtUnd wandeln fern, so fern vom Weg!Wie eingehend sie auch die Wirklichkeit erklärenWas nützen denn alle die leeren Formeln?Wenn du ein einzig mal dein Selbst-Wesen erinnerstDann tut sich dir des Buddhas Einsicht auf

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Ihr eifrigen Schüler des Weges laßt euch sagenDaß ihr euch ganz umsonst um Fortschritte bemühtDes Menschen Wesen ist ein geistig DingEs ist kein Wort und keine WissenschaftRuft- und es antwortet unmißverständlichDoch wohnts im Stillen und läßt sich nicht festhaltenMerkt euch: Am besten könnt ihr es bewahrenIndem ihr es durch nichts beflecken laßt!

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Wer immer meine Gedichte verstehen willMuß reinen Sinn sich stets bewahrenHeut Geiz und Habsucht, morgen MäßigungBald Lug und Trug und bald WahrhaftigkeitIst das verjagt schwindet auch schlechtes KarmaBuddha vertrauend erfahrt ihr euer Wahres-WesenErlangt das Buddha-Wesen hier und jetztGeschwind Geschwind als wie Lü Ling!

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Es steht ein Wohnhaus am Han ShanDrinnen gibt es keine TrennwändeDurch die Sechs Pforten geht man ungehindert ein und ausUnd von der Halle sieht man auf ins blaue FirmamentEin jeder Raum ist völlig leerDie Ostwand stößt gegen die WestwandDa es rein gar nichts dort zu holen gibtBleib ich von Schnorrern stets verschontIst es mir kalt entzünde ich ein kleines FeuerHabe ich Hunger koche ich eine KräutersuppeWas kümmern mich die werten GrundherrenDie sich für ihre großen Höfe abrackernAller Besitz wird ihnen doch nur zum GefängnisEinmal hineingeraten gibts kein Entrinnen mehrDarüber solltest du mal sehr gut nachdenkenVielleicht durchschaust du dann die Spielregeln

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Über Essen zu reden macht euch nicht sattVon Kleidung zu schwätzen schützt nicht vor KälteZum Sattessen braucht es schon eine MahlzeitNur in Kleider gehüllt entgeht man dem FrostIhr könnt euch nicht vom Prüfen und Bedenken freimachenBehauptet nur, dem Buddha nachzufolgen sei unmöglich -Kehrt den Blick ins Herz und alsbald seid ihr BuddhaIm Außen findet ihr ihn nie!

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Die Quelle ist klar und glitzert wie ein EdelsteinIch sehe tief in den Grund des Wahren-SelbstKein einziger Gedanke in meinem SinnDurch myriaden Welten nicht zu bewegenDa der Sinn nicht mehr unnötig aufgeführtBleibt er zahllose Kalpa bestehenHast du erst dieses Wissen erlangtWeißt du: Es gibt nicht Innen und Außen

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Wie viele T'ien T'ai ZeitgenossenKennen den Mann vom Han Shan nichtBegreifen seine Wahrheit nichtUnd sagen doch: Er macht nur leere Worte

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Was habt ihr hier für eine prächtige SchenkeDer Wein ist nur vom AllerbestenAh - und die Banner flattern hoch im WindIm weiten Umkreis gibt es nirgends ein so volles MaßWas denn, ihr wundert euch über den mageren Absatz?In diesem Hause hält man wohl zu viele bissige Hunde!Kaum kommt ein junger Bursche, einen Schluck zu nehmenBeißt ihn ein Köter und er läuft wieder davon

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Mir scheinen manche Menschen die der Welt entsagenNicht mal die Anfangsgründe der Entsagung zu begreifenWer wirkliche Entsagung kennen lernen willMuß seinen Sinn von allen Bindungen befreinIn völliger Klarheit ist nichts mehr dunkel und verborgenDort hat man keine Stütze, ist von nichts mehr abhängigErgibt man sich in den Drei Welten der ZügellosigkeitKann man durch alle Vier Geburten keinen Frieden findenWer das Nichthandeln übt, alle Geschäfte ruhen läßtWandert in Muße und ist wahrhaft glücklich

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Wenn ich mir ansehe, wie manche ihre Sutren rezitierenMeinen es sei genug, den Wortlaut zu beherrschenDer Mund bewegt sich, doch ihr Sinn wird nicht bewegtIhr Mundwerk und ihr Sinn in ständigem WiderspruchEin Wahrer-Sinn tut anderen niemals UnrechtErgibt sich nicht der Sinnlichen BegierdeWenn sie sich doch einmal selbst überprüfen würdenStatt stets in einem anderen den Sündenbock zu suchenDann könnten sie vielleicht ihr eigener Meister werdenWissend, daß es kein "Innen-Außen" gibt

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Von Han Shan stammen diese ZeilenWorte die niemand glauben magHonig ist süß und jeder schleckt ihn gernUnangenehm zu schlucken ist bittre MedizinWas ihrer Neigung angenehm, ist ihnen Grund zur FreudeWas ihren Wünschen widerspricht, ruft Haß und Ärger vorDoch seht euch diese Marionetten anNach einem einzgen Auftritt sind sie ausgeleiert

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Der Ärger ist eine Flamme im HerzenDie leicht ein ganzes Kloster niederbrenntDu willst dem Bodhisattva-Wege folgen?Versöhnlichkeit bewahrt dein Wahres-Herz!

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Tausend Leben, zehntausend Tode -wie lange soll das währen?Geburt und Sterben, Kommen und Gehen -von Verblendung in DunkelheitSehen nicht in ihren Herzendas unschätzbare JuwelImmer noch wie blinde Eseltrotten ergeben dahin!

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Ein echter Mann und wahrer HeldDer handelt niemals nachlässigUnbeugsam und mit felsenfestem SinnWählt er die gerade Straße zur ErleuchtungEr hütet sich vor AbwegenDenn dort erfährt man sinnlos Müh und LeidOhne nach den Früchten der Buddhaschaft zu heischenWeiß er der Meister seines Sinns zu sein

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Am Han Shan gibt es einen nackten KäferMit weißem Leib und schwarzem KopfDer hält zwei Schriften in der HandEine vom Weg und eine von der TugendWo er sich niederläßt baut er nicht Herd und Kessel aufReist er umher, schleppt er keine Gewänder mitDoch schwingt er stets das scharfe Schwert ErkenntnisDen Räuber Sinnliche Begierde will er schlagen

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In meiner Nachbarschaft gibt es ein WohnhausDas keinen richtigen Hausherrn hatEin Grashalm nur sprießt auf dem FußbodenAn dem ein einzelner Tautropfen hängtDie Sechs Räuber hat eine Feuersbrunst verzehrtVom Wind verweht sind die schwarzen Wolken der LustGib acht, wenn du nach einem Wahren Menschen suchstDie echten Perlen sind in Sackleinen gehüllt

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Willst du ein Sinnbild wissen für Leben und TodSo nimm zum Beispiel Eis und Wasser-Wasser erstarrt und wird zu EisEis schmilzt und wandelt sich zurück in WasserWas einmal starb muß sicher wieder lebenUnd was geboren ward das kehrt zurück zum TodWasser und Eis die tuen sich nicht wehIns Leben wie zum Tod zu kehren ist beides gut!

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Über dem Gipfel des Han Shaneinsame MondscheibeDurchleuchtet das transparente Allda gibt es kein einziges DingHalte in Ehren das natürliche Juwelvon unschätzbarem WertDas verborgen liegt in Fünf Eigenschafteneingesunken ins Fleisch

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Auch die Fünf Gipfel sind nichts anderes als StaubSumeru ist ein Berg von einem Zentimeter HöheDer große Ozean ist bloß ein Tropfen WasserMit einem Atemzug ziehst du sie in den WesensgrundWir wachsen alle als des Bodhi-Baumes Samen aufAn jedem Ort befindet sich des Himmels ZentrumIn Worten seid ihr alle Anhänger des WEGESGebt acht, daß ihr euch nicht in die Zehn Bindungen verstrickt

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In meiner Hütte gibt es eine GrubeUnd in der Grube da ist einfach NichtsFleckenlos rein, von erhabener LeereHerrlicher Glanz, heller als SonnenscheinEin Mahl von Gemüse erhält diesen nichtigen KörperGrobes Leinenkleid umhüllt meine Schein-SubstanzLaßt ihr auch tausend Heilige vor mir erscheinenIch habe das himmlische Buddha-Wesen

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Grüner Wildbach - Klar der Quelle WasserKalter Berg - Weiß des Mondes HofSchweigende Erkenntnis, der Geist von selbst erleuchtetDie Leere schauend, geht Wahn in Stille über

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Nun habe ich nur noch ein einziges KleidDas ist nicht aus Gaze und auch nicht aus SeideSolltet ihr fragen: Was ist seine Farbe?Es ist weder lila noch rotIm Sommer trage ich es als ein HemdNehm es im Winter mir zur DeckeDes Winters wie des Sommers brauche ich es abwechselndJahrein und jahraus - Nur dies!

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Den Mann vom Kalten BergWird es für immer gebenEr ganz alleine lebtOhne Geburt und Tod

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Hast du die Han Shan Gedichte im Haus?Sie sind besser für dich als Sutren-lesenAuf einen Wandschirm schreibe sie dirWirf ab und zu einen Blick darauf!