günther wolfram zum 60. geburtstag

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208 Zeitschrift ffir Ernfihrungswissenschaft, Band 35, Heft 2 (1996) © Steinkopff Verlag 1996 Giinther Wolfram zum 60. Geburtstag Eines Tages, in den frtihen sechzi- ger Jahren, bat G/jnther Wolfram reich um das Thema einer Doktor- arbeit. Er war Medizinstudent, ich junger Professor. Seitdem haben wir zusammengearbeitet, nicht im- mer einer Meinung, aber immer einer Absicht. In drei Dutzend Jahren haben bei mir nur 2 Kollegen ,,summa cure laude" promoviert. Gfinther war einer von ihnen. ,,Uber die d/jnnschichtchromatographische Trennung der Serumlipide, ihre quantitative Auswertung und klini- sche Bedeutung", so lautete das ehr- geizige Thema. Ober den Stoffwechsel indivi- dueller Fetts~iuren vor der JX~ra der Gaschromatographie zu arbeiten, er- forderte angesichts der begrenzten analytischen M6glichkeiten viel Op- timismus. Wir hofften, neue Metho- den zu entwickeln, und in der Tat gelang nicht nur die Auftrennung der Cholesterinester des Serums in D/jnnschichtchromatogramm, son- dern auch ihre Identifizierung. G/jnther Wolfram hat anschlie- Bend mit ausgew~ihlten Fettsfiuren (in Trigtyceriden) Ernghrungsversu- che durchgeffihrt und gezeigt, dab die Ester des Serumcholesterins mit- telfristig (d.h. innerhalb einer Wo- che) ein recht getreues Abbild der Zusammensetzung der Fettsfiuren in der Ern~ihrung liefern. Seinerzeit bltihten im guten Sin- ne des Wortes die experimentellen Ernfihrungswissenschaften des Men- schen. Man konnte genaue ernfih- rungswissenschaftliche Aussagen machen. In vielen wichtigen Fra- gen war man nicht mehr auf die un- sichere Ubertragung der Ergebnisse yon Tierversuchen angewiesen. Die Worte ,,prospektiv" und ,,Epidemio- logie" waren in den Erniihmngswis- senschaften noch unbekannt, auch zog man experimentelle Ergebnisse der Statistik vor. Ausgangs- und Angelpunkt ern~ihrungswissenschaft- licher Arbeiten waren ffir uns da- mals die Arbeiten der Schule yon Kraut in Dortmund, speziell die Ar- beiten von Kofranyi, und die Ent- wicklung der Prinzipien der Formel- di~t (formula diet) durch E.H. Ahrens jr. am Rockefeller Institut in New York. Wir haben auf der Basis dieser Arbeiten Formeldi~iten speziell f/Jr Untersuchungen in den Bereichen des Purinstoffwechsels und des Stoffwechsels der Polyen- fettsfiuren entwickelt. Wichtigste Er- gebnisse waren Einsichten in die Gr6ge des Bedarfs an essentiellen Fetts~iuren, speziell Linolsfiure, spfi- ter gemeinsam mit O. Adam auch der ,,n-3-Fetts~iuren" und - auf dem Gebiet der Purine - vernfinfti- ge Grundlagen f/ir die Di~tetik der Hyperuric~imie. Gleichzeitig gelang es, die Medi- zinische Fakult~it der Universitfit M/jnchen (Dekan damals Prof. Mar- guth) und die Deutsche Forschungs- gemeinschaft vom allgemeinen Nut- zen der Grfindung einer Forscher- gruppe Ern~ihrung zu fiberzeugen, und mit einiger M/jhe war es sogar m6glich, die Gutachter zu bewe- gen, die Verwendung isolierter Zel- len und Zellkulturen bei Fragestel- lungen der Ernghrung anzu- erkennen. (Spgter waren wir unter den ersten, die auch die Molekular- genetik als Mittel der Ernfihrungs- wissenschaften einsetzten.) Als Leiter der Biochemie der Forscher- gruppe kam damals der frisch ge- backene Privatdozent Ch. Barth aus Freiburg zu uns nach Mtin- chen. Es war eine Lust zu leben und zu arbeiten. Wolfram war das Herz der For- schergruppe. Er konnte wie kein an- derer die Kollegen motivieren, ihre Arbeiten koordinieren, Gegens~itze ausgleichen, Gemeinsamkeiten st~r- ken; kein Wunder, dab eine grol3e Zahl von Kollegen sich danach dr~ingte, von Gtinther Wolfram als Mitarbeiter angenommen zu werden. Gleichzeitig wurde aus Wolfram ein hervorragender Internist. Wie er die Arbeit schaffte, wird sein Geheimnis bleiben. (Vielleicht weiB es seine Frau Heidi, aber bei ihr sind Geheimnisse gut aufgeho- ben.) Viele von uns verdanken dem Ehepaar Wolfram viel, insbe- sondere Einblicke in die Kunstge- schichte Europas und des nahen Orients.

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208 Zeitschrift ffir Ernfihrungswissenschaft, Band 35, Heft 2 (1996) © Steinkopff Verlag 1996

Giinther Wolfram zum 60. Geburtstag

Eines Tages, in den frtihen sechzi- ger Jahren, bat G/jnther Wolfram reich um das Thema einer Doktor- arbeit. Er war Medizinstudent, ich junger Professor. Seitdem haben wir zusammengearbeitet, nicht im- mer einer Meinung, aber immer einer Absicht.

In drei Dutzend Jahren haben bei mir nur 2 Kollegen ,,summa cure laude" promoviert. Gfinther war einer von ihnen. ,,Uber die d/jnnschichtchromatographische Trennung der Serumlipide, ihre quantitative Auswertung und klini- sche Bedeutung", so lautete das ehr- geizige Thema.

Ober den Stoffwechsel indivi- dueller Fetts~iuren vor der JX~ra der Gaschromatographie zu arbeiten, er- forderte angesichts der begrenzten analytischen M6glichkeiten viel Op- timismus. Wir hofften, neue Metho- den zu entwickeln, und in der Tat gelang nicht nur die Auftrennung der Cholesterinester des Serums in D/jnnschichtchromatogramm, son- dern auch ihre Identifizierung.

G/jnther Wolfram hat anschlie- Bend mit ausgew~ihlten Fettsfiuren (in Trigtyceriden) Ernghrungsversu- che durchgeffihrt und gezeigt, dab die Ester des Serumcholesterins mit- telfristig (d.h. innerhalb einer Wo- che) ein recht getreues Abbild der Zusammensetzung der Fettsfiuren in der Ern~ihrung liefern.

Seinerzeit bltihten im guten Sin- ne des Wortes die experimentellen

Ernfihrungswissenschaften des Men- schen. Man konnte genaue ernfih- rungswissenschaftliche Aussagen machen. In vielen wichtigen Fra- gen war man nicht mehr auf die un- sichere Ubertragung der Ergebnisse yon Tierversuchen angewiesen. Die Worte ,,prospektiv" und ,,Epidemio- logie" waren in den Erniihmngswis- senschaften noch unbekannt, auch zog man experimentelle Ergebnisse der Statistik vor. Ausgangs- und Angelpunkt ern~ihrungswissenschaft- licher Arbeiten waren ffir uns da- mals die Arbeiten der Schule yon Kraut in Dortmund, speziell die Ar- beiten von Kofranyi, und die Ent- wicklung der Prinzipien der Formel- di~t (formula diet) durch E.H. Ahrens jr. am Rockefeller Institut in New York. Wir haben auf der Basis dieser Arbeiten Formeldi~iten speziell f/Jr Untersuchungen in den Bereichen des Purinstoffwechsels und des Stoffwechsels der Polyen- fettsfiuren entwickelt. Wichtigste Er- gebnisse waren Einsichten in die Gr6ge des Bedarfs an essentiellen Fetts~iuren, speziell Linolsfiure, spfi- ter gemeinsam mit O. Adam auch der ,,n-3-Fetts~iuren" und - auf dem Gebiet der Purine - vernfinfti- ge Grundlagen f/ir die Di~tetik der Hyperuric~imie.

Gleichzeitig gelang es, die Medi- zinische Fakult~it der Universitfit M/jnchen (Dekan damals Prof. Mar- guth) und die Deutsche Forschungs- gemeinschaft vom allgemeinen Nut-

zen der Grfindung einer Forscher- gruppe Ern~ihrung zu fiberzeugen, und mit einiger M/jhe war es sogar m6glich, die Gutachter zu bewe- gen, die Verwendung isolierter Zel- len und Zellkulturen bei Fragestel- lungen der Ernghrung anzu- erkennen. (Spgter waren wir unter den ersten, die auch die Molekular- genetik als Mittel der Ernfihrungs- wissenschaften einsetzten.) Als Leiter der Biochemie der Forscher- gruppe kam damals der frisch ge- backene Privatdozent Ch. Barth aus Freiburg zu uns nach Mtin- chen. Es war eine Lust zu leben und zu arbeiten.

Wolfram war das Herz der For- schergruppe. Er konnte wie kein an- derer die Kollegen motivieren, ihre Arbeiten koordinieren, Gegens~itze ausgleichen, Gemeinsamkeiten st~r- ken; kein Wunder, dab eine grol3e Zahl von Kollegen sich danach dr~ingte, von Gtinther Wolfram als Mitarbeiter angenommen zu werden.

Gleichzeitig wurde aus Wolfram ein hervorragender Internist. Wie er die Arbeit schaffte, wird sein Geheimnis bleiben. (Vielleicht weiB es seine Frau Heidi, aber bei ihr sind Geheimnisse gut aufgeho- ben.) Viele von uns verdanken dem Ehepaar Wolfram viel, insbe- sondere Einblicke in die Kunstge- schichte Europas und des nahen Orients.

Laudatio 209

Verstfindlicherweise habilitierte sich der Ern~ihrungswissenschaftler und Internist Wolfram ftir beide F/i- cher ,,Innere Medizin" und ,,Klini- sche Ern~ihrungslehre" 1972, sieben Jahre nach der Promotion; 1973 wurde er Oberarzt der Medizini- schen Poliklinik. Einundvierzigj~ih- rig wurde er 1977 als ordentlicher Professor ftir Emghrungslehre an die Technische Universitfit Miin- chen berufen. Er leitet seitdem de- ren Institut ftir Em~hrungswissen- schaft in Weihenstephan und, kein Unicum aber ein Rarum in M~n- chen, gleichzeitig eine klinisehe Einrichtung der Universitfit in Miinchen.

Man mag heute spekulieren, ob die Annahme des Rufes auf einen emghrungswissenschaftlichen Lehr- stuhl den grSl3tmSglichen Nutzen

ftir die deutsche Medizin mit sich brachte. Seinerzeit haben viele zur Rufannahme geraten, heute fehlt ein Em/ihrungswissenschaftler wie Gtinther Wolfram in der deutschen Inneren Medizin. Vietleicht w~ire es besser gewesen, auf einen inter- nistischen Lehrstuhl mit gr613eren EinflugmSglichkeiten zu warten. (Dies mag jedoeh der egoistische Standpunkt des Internisten sein.)

Wie immer - auch von Weihen- stephan aus - hat Gtinther Wolf- ram den Em/ihrungswissenschaften in Deutschland vom ersten Tag sei- her wissenschaftlichen Arbeiten dort wichtige neue Impulse und viele neue Ideen gegeben zu Fra- gende r parenteralen Em~ihrung, der Erniihrung im Schock, des Ener- giebedarfs, um nur einige zu nen- hen.

Wolframs Wirken im Bereich des 6ffentlichen Lebens, vor allem als unbestechlicher Pr~isident der Deutschen Geseltschaft f'tir Erngh- rung, m6gen berufenere Kollegen wfirdigen. Ich habe ihm oft gera- ten, die Dinge leiehter zu nehmen als er es tut, aber er schreibt ,,An- sehen" immer noch kleiner als ,,Pflicht". In dieser Beziehung ist er kein typischer Vertreter der Moderne

Wir wfinschen ihm noch viele Jahre unverminderter Schaffens- kraft zum Nutzen der Emiihrungs- wissenschaften und damit zu unser aller Nutzen und Gesundheit.

April 1996 Nepumok Z611ner