geschichte dietrich bonhoeffer: ein guter dienst zuviel 2020/dietrich... · die gestapo ungreifbar....

3
42 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2020 Geschichte am 30.Oktober 1940 in die Abwehrstel- le München (AST VIII) eingebaut. Hier wurde er Unter-V-Mann des V-Manns Wilhelm Schmidhuber. Dieser hatte als Honorarkonsul Portugals und Brauerei- besitzer grosse Bewegungsfreiheit. Über ihnen stand Josef «Ochsensepp» Mül- ler, der hervorragende Beziehungen zum Vatikan besass, als einer der einzigen in Flossenbürg inhaftierten Widerständ- ler den 9. April überlebte und nach dem Krieg ersterVorsitzender der CSU in Bay- ern wurde. Im Winter 1940/41 kamen Oster und Dohnanyi zur Überzeugung, dass den Westmächten mitgeteilt werden muss, dass ein Attentat geplant sei. Zudem woll- te man die Friedensbedingungen nach dem Umsturz erkunden. Man fasste den Entschluss, zwei Vertreter der AST VIII zu entsenden: Müller ein weiteres Mal zumVatikan und Bonhoeffer zum Öku- menischen Rat der Kirchen in Genf. Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) verzögerte die Visum-Erteilung, da der «Pfarrer» ja nichts vom Militär verstand und die Abwehr sich verpflichtet hatte, nur militärischen Nachrichtendienst zu betreiben. Nach der Bewilligung wurden immer wieder Rückfragen gestellt. Von seinem Schwager erhielt Bonhoeffer den geheimen Auftrag, von den Westalliier- ten die Frage beantwortet zu erhalten: Wird das «andere, das nicht national- sozialistische Deutschland» eine Chance haben, annehmbare Friedensbedingun- gen angeboten zu bekommen, wenn es seine aktuelle Regierung gewaltsam be- seitigt? Vordergründig ging es darum, dank den Beziehungen zur Ökumene Er- kundungen auf neutralem Territorium einzuziehen und zu berichten. Die Be- richte redigierte Dohnanyi meistens sel- ber, um neugierige Mitarbeiter im Amt nicht misstrauisch zu machen. Mit diesem Auftrag kam Bonhoeffer dreimal in die Schweiz. Hans Rudolf Fuhrer Am 9. April jährt sich zum 75. Mal der Todestag des grossen deutschen Theolo- gen der Neuzeit, Dietrich Bonhoeffer, der mit seinem Gedicht «Von guten Mächten» eine letzte Botschaft an seine Eltern und seine Verlobte gesandt hat, die zu einer ewigen Botschaft an die verzweifelte und zweifelnde Menschheit geworden ist. 1 Das Gedenken führt uns hinein in die bedrü- ckende Zeit der letzten Monate des Zwei- ten Weltkriegs. Es ermöglicht aber auch die Ausweitung auf den Widerstand ge- gen die Schreckensherrschaft des Natio- nalsozialismus im Allgemeinen, der vielen hervorragenden Menschen – nicht nur Bonhoeffer – das Leben gekostet hat. Der deutsche Militärhistoriker Prof. Dr.Win- fried Heinemann hat 2019 seine jüngste Studie zum Unternehmen «WALKÜRE» veröffentlicht. 2 Sie ist weit mehr als nur die Schilderung des Attentats vom 20. Juli 1944, sondern eine umfassende Analyse des militärischen Widerstandes, der seine Wurzeln in sehr viel älterenTraditionen des deutschen Militärs hat.Während die ungenügend wirkende Bombe des Obers- ten Claus Graf Stauffenberg in Adolf Hit- lers Hauptquartier bei Rastenburg in Ost- preussen im kollektiven Gedächtnis Eu- ropas Eingang gefunden hat, sind die er- folglosen Briefe, die Bonhoeffer aus der Schweiz den Alliierten zukommen liess, um sie zur Kooperation mit demWider- standskreis zu bitten, meist nur Experten bekannt. Bonhoeffer und die Schweiz ist weitge- hend eine Black Box, in die bis jetzt kaum geleuchtet worden ist. Meine Recherchen – die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen – haben wich- tige Aspekte ergeben. Gehen wir schritt- weise vor. Als Ausgangslage geht es um die Dop- pelrolle Bonhoeffers. Er war einerseits ein überaus mutiger Pfarrer der Bekennen- den Kirche 3 und andererseits imVerbor- genen Angehöriger des Widerstandskrei- ses im Amt Ausland/Abwehr der Deut- schen Wehrmacht. Beides war gleich ge- fährlich. Dietrich Bonhoeffer als V-Mann im Amt Ausland/Abwehr Nach einer Musterung am 5.Juni 1940 wird Dietrich Bonhoeffer als «k.v.» (kriegs- verwendungsfähig) erklärt. Bonhoeffers Schwager Hans von Dohnanyi und der Leiter der Zentralabteilung des Amtes Ausland/Abwehr Oberst i.G. Hans Oster – beide bildeten den Kern einer Wider- standszelle gegen das Hitlersche Unrechts- regime, mit wohlwollender Duldung des Amtschefs Admiral Wilhelm Canaris – ka- men überein, dass der in den Augen der Nationalsozialisten staatsfeindliche Theo- loge zu schützen sei, da er mit Sicherheit den Eid auf Hitler verweigern würde. Sie integrierten ihn alsV-Mann in der Auf- klärungsabteilung und machten ihn da- durch für die Rekrutierungsbehörden und die Gestapo ungreifbar. Bonhoeffer wurde Dietrich Bonhoeffer: Ein guter Dienst zuviel «Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selber in die Speichen zu fallen.» D.B. Dieter Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis erhängt. Bild: picture-alliance

Upload: others

Post on 01-May-2020

15 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

42 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2020

Geschichte

am 30.Oktober 1940 in die Abwehrstel-le München (AST VIII) eingebaut. Hierwur de er Unter-V-Mann des V-MannsWilhelm Schmidhuber. Dieser hatte alsHonorarkonsul Portugals und Brauerei-besitzer grosse Bewegungsfreiheit. Überihnen stand Josef «Ochsensepp» Mül-ler, der hervorragende Beziehungen zum Vatikan besass, als einer der einzigen inFlossenbürg inhaftierten Widerständ-ler den 9. April überlebte und nach demKrieg erster Vorsitzender der CSU in Bay -ern wurde.

Im Winter 1940/41 kamen Oster undDohnanyi zur Überzeugung, dass denWestmächten mitgeteilt werden muss,dass ein Attentat geplant sei. Zudem woll-te man die Friedensbedingungen nachdem Umsturz erkunden. Man fasste denEntschluss, zwei Vertreter der AST VIIIzu entsenden: Müller ein weiteres MalzumVatikan und Bonhoeffer zum Öku-menischen Rat der Kirchen in Genf.

Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA)verzögerte die Visum-Erteilung, da der«Pfarrer» ja nichts vom Militär verstandund die Abwehr sich verpflichtet hatte,nur militärischen Nachrichtendienst zubetreiben. Nach der Bewilligung wurdenimmer wieder Rückfragen gestellt. Vonseinem Schwager erhielt Bonhoeffer dengeheimen Auftrag, von den Westalliier-ten die Frage beantwortet zu erhalten:Wird das «andere, das nicht national -sozialistische Deutschland» eine Chancehaben, annehmbare Friedensbedingun-gen angeboten zu bekommen, wenn esseine aktuelle Regierung gewaltsam be -seitigt? Vordergründig ging es darum,dank den Beziehungen zur Ökumene Er-kundungen auf neutralem Territoriumeinzuziehen und zu berichten. Die Be-richte redigierte Dohnanyi meistens sel-ber, um neugierige Mitarbeiter im Amtnicht misstrauisch zu machen.

Mit diesem Auftrag kam Bonhoefferdreimal in die Schweiz.

Hans Rudolf Fuhrer

Am 9. April jährt sich zum 75. Mal derTodestag des grossen deutschen Theolo-gen der Neuzeit, Dietrich Bonhoeffer, dermit seinem Gedicht «Von guten Mächten»eine letzte Botschaft an seine Eltern undseine Verlobte gesandt hat, die zu einerewigen Botschaft an die verzweifelte undzweifelnde Menschheit geworden ist.1 DasGedenken führt uns hinein in die bedrü-ckende Zeit der letzten Monate des Zwei-ten Weltkriegs. Es ermöglicht aber auchdie Ausweitung auf den Widerstand ge-gen die Schreckensherrschaft des Natio-nalsozialismus im Allgemeinen, der vielenhervorragenden Menschen – nicht nurBonhoeffer – das Leben gekostet hat. Derdeutsche Militärhistoriker Prof. Dr.Win-fried Heinemann hat 2019 seine jüngsteStudie zum Unternehmen «WALKÜRE»veröffentlicht.2 Sie ist weit mehr als nurdie Schilderung des Attentats vom 20. Juli1944, sondern eine umfassende Analysedes militärischen Widerstandes, der seineWurzeln in sehr viel älterenTraditionendes deutschen Militärs hat.Während dieungenügend wirkende Bombe des Obers-ten Claus Graf Stauffenberg in Adolf Hit-lers Hauptquartier bei Rastenburg in Ost-preussen im kollektiven Gedächtnis Eu -ropas Eingang gefunden hat, sind die er-folglosen Briefe, die Bonhoeffer aus derSchweiz den Alliierten zukommen liess,um sie zur Kooperation mit demWider-standskreis zu bitten, meist nur Expertenbekannt.

Bonhoeffer und die Schweiz ist weitge-hend eine Black Box, in die bis jetzt kaumgeleuchtet worden ist. Meine Recherchen– die sprichwörtliche Suche nach derStecknadel im Heuhaufen – haben wich-tige Aspekte ergeben. Gehen wir schritt-weise vor.

Als Ausgangslage geht es um die Dop-pelrolle Bonhoeffers. Er war einerseits einüberaus mutiger Pfarrer der Bekennen-

den Kirche3 und andererseits imVerbor-genen Angehöriger des Widerstandskrei-ses im Amt Ausland/Abwehr der Deut-schen Wehrmacht. Beides war gleich ge-fährlich.

Dietrich Bonhoeffer als V-Mannim Amt Ausland/Abwehr

Nach einer Musterung am 5. Juni 1940wird Dietrich Bonhoeffer als «k.v.» (kriegs -verwendungsfähig) erklärt. BonhoeffersSchwager Hans von Dohnanyi und derLeiter der Zentralabteilung des AmtesAusland/Abwehr Oberst i.G. Hans Oster

– beide bildeten den Kern einer Wider-standszelle gegen das Hitlersche Unrechts-regime, mit wohlwollender Duldung desAmtschefs Admiral Wilhelm Canaris – ka-men überein, dass der in den Augen derNationalsozialisten staatsfeindliche Theo-loge zu schützen sei, da er mit Sicherheitden Eid auf Hitler verweigern würde. Sieintegrierten ihn als V-Mann in der Auf-klärungsabteilung und machten ihn da-durch für die Rekrutierungsbehörden unddie Gestapo ungreifbar. Bonhoeffer wurde

Dietrich Bonhoeffer:Ein guter Dienst zuviel«Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung

und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die

Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selber in die

Speichen zu fallen.» D.B.

Dieter Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von

den Nazis erhängt.

Bil

d:

pic

ture

-all

ian

ce

43Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2020

Geschichte

Die drei Schweizer Reisen

Im Frühjahr 1941 (24.2.–24.3.), imHerbst 1941 (29.8.–26.9.) und im Früh-jahr 1942 (11.–26.5.) reiste Bonhoeffermit offiziellen Papieren in die Schweiz.Die Recherchen in Bern, Zürich und Ba-sel haben keinerlei Spuren ergeben.VonKarl Barth wissen wir, dass er von derGrenzpolizei für eine Bürgschaft für densuspekten Einreisewilligen angegangenworden sei (bekannter Pfarrer der Beken-nenden Kirche mit offiziellen Papieren!).Neben der Erledigung seines geheimenAuftrages benützte er die Ge legenheit fürdas Studium der aktuellen theologischenDiskussion in der freien Welt und für Be-suche bei Schweizer Freunden. Dazu ge-hörte insbesondere sein StudienfreundPfarrer Erwin Stutz. Die Probleme, diedurch diese Reisen entstanden, waren viel-schichtig. Neben dem RSHA gab es auchin der Schweiz Stellen und Personen,die argwöhnisch waren. Es ist deshalb verwunderlich, dass in den einschlägi-gen schweizerischen Archiven keiner-lei Spuren einer Fichierung zu findensind.Misstrauen erregte der neueV-Mannauch beim Residenten der Abwehr in derSchweiz, bei Hans Bernd Gisevius4, der diese Konkurrenz durch einen «Laien» nicht schätzte. Gisevius war im Krieg undnach dem Krieg eine sehr umstrittene Per sönlichkeit. Bei Kriegsbeginn wur-de er als Sonderführer ins OKW/Aus-land-Abwehr eingezogen, wie Dohnanyi. Er gehörte zum Widerstandskreis um Oster und pflegte Kontakt zu verschie-denen anderen Widerstandskreisen. AufWunsch von Canaris und Gördeler, inte-ressanterweise auch des deutschen Mili-tärattachés v. Ilsemann, wurde er als Vize-Konsul im Generalkonsulat Zürich ein-

gebaut, arbeitete aber nie dort, hatte keinBüro und kein Pult. Er war seit 1938 anallen Staatsstreichplanungen bis und mitdem 20. Juli 1944 aktiv beteiligt. Er warvor allem für die Verbindungen zu denWestalliierten zuständig, seit 1942 ins -besondere zu Allen Dulles, dem Chefdes US-Geheimdienstes in Bern OSS undauch zu WillemVisser’t Hooft, dem wich-tigsten ökumenischen Theologen in Genf,was sein Misstrauen gegenüber Bonhoef-fer verständlich macht. Gisevius beschriebdem Chef der Bundespolizei, Dr. Balsiger,am 24. Januar 1946 seinen Auftrag so: Erund seine Freunde im Widerstand muss-ten jedem bedrohten Lande eine recht -zeitige und ausreichende Warnung zu-kommen lassen, sobald ein Überfall be-vorstand. In der gleichen Weise erhielt dieSchweiz jeweils die Mitteilung, dass kei-ne Gefahr drohte. Er hat auch den OSS

bedient. Dulles erhielt beispielsweise dieNachricht des geplanten Attentats vierTage nach der Landung der Alliiertenin der Normandie – für die Amerikanereine Schlüsselmeldung. Am 20. Juli 1944erwartete Gisevius an der Bendlerstras-se den Erfolg des Attentats, verliess dengefährlichen Ort rechtzeitig und tauchteunter. Im Januar 1945 flüchtete er mitHilfe des OSS in die Schweiz und erhieltAsyl.

EinTreffen Gisevius/Bonhoeffer kannich nicht nachweisen, doch scheint es mirunwahrscheinlich, dass kein Kontakt statt-gefunden hat.

In der Sache des Widerstandes erreich-te Bonhoeffer nichts. Seine Gespräche,Briefe und Memoranden hatten keinenEinfluss auf die westalliierte Kriegspolitik.Das ebenso unbeachtete Memorandumdes Kreisauer Kreises (von Adam von Trottzu Solz Ende April redigiert) zeigt einebesondere Schwäche des Widerstandes:Doppelspurigkeiten und auch nicht im-mer kongruente Ansichten.

Winston Churchill untersagte kate-gorisch jeden Kontakt mit Widerstands-kreisen und auch die Amerikaner hatten taube Ohren.5 Erst nach dem Krieg sag-te Churchill im Unterhaus: «In Deutsch-land lebte eine Opposition, die zum Edels -ten gehört, was die Geschichte derVölkerje hervorgebracht hat.» Bonhoeffer wurdeunter die Märtyrer des 20. Jahrhundertsam Portal der Westminster Abbey ein - gereiht. Es war eine späte, zu späte, aberdoch vollzogene Einsicht.

Die Operation Sieben

Im September 1941 wurden alle Judenim Deutschen Reich gezwungen, einengelben Stern zu tragen, Deportationen setz-ten ein; jegliche Emigration wurde ver-boten; das Vernichtungsprogramm liefan. Bonhoeffer, Dohnanyi und Friedrich

Justus Perels fasstenim Oktober den Ent-schluss, die jü discheMit arbeiterin in derBekennenden Kirche,Charlotte Frieden-thal, in die Schweiz in Sicherheit zu brin-gen. Durch Barth, derauch durch Charlottevon Kirschbaum in-formiert war, und Al -phons Koechlin (Prä-sident des Schweize-rischen Kirchbundes)

Märtyrer des 20. Jahrhunderts an der

Westminster Abbey, Bonhoeffer 4. v. r.

Denkmal für Dietrich Bonhoeffer;

Hamburg, St. Petri-Kirche. Bild: Flickr

Bild: Wikipedia

44 Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2020

Geschichte

wurde auf Bitte Bonhoeffers bei Hein-rich Rothmund, Chef der Eidgenössi-schen Fremdenpolizei, ein Einreisevi-sum verschafft. Es dauerte aber fast einJahr, bis alle Hinder nisse in Deutsch-land beseitigt waren. Canaris hatte eineeigene Liste von zu Rettenden erstellt.Er fasste den Entschluss, diese alle an Leib und Leben Ge-fährdeten als Agentenzu tarnen und fingiertüber die Schweiz nachSüdamerika zu ent-senden. Zuerst muss-ten die Namen mit Listaus den Deportations-listen gestrichen wer-den. Das RSHA nahmdie Geschichte mitder VM-Tätigkeit nichtab, da die meistenüber 60-jährig undKinder dabei waren.Das Schweizer Visummuss te erneuert wer-den, so dass Barth und Koechlin immerwieder bei Rothmund vorsprechen muss-ten. Das grösste Problem war das Einzie-hen der Vermögen der zu Rettenden unddie Überweisung in die Schweiz. DieSchweizer Behörden machten die finan-zielle Sicherheit zur Bedingung für dasVisum. Schliesslich musste der Schutzder Zurückbleibenden gewährleistet wer-den. Es grenzt an ein Wunder, dass allediese Klippen erfolgreich umschifft wur-den.

Am 4. September 1942 durfte Frieden-thal ausreisen. Gisevius war die Anlauf-stelle und verantwortlich für die Geld -über weisung.Was selbst Winfried Meyerin seiner grossen Studie zum Unterneh-men Sieben nicht weiss, ist, dass AnfangOktober Rothmund nach Berlin zu einerBesich tigung des KZ Sachsenhausen fuhr.Dort war alles durch Walter Schellenbergso prä pariert, dass kein Verdacht aufkom-men konnte. DurchVermittlung von Gise -vius führte Rothmund auch ein Gesprächmit Oster, der ihm ankündigte, es seienweitere Rettungen geplant. Schliesslichwaren es 14 Personen, die im Herbst1942in die Schweiz reisen konnten.6

Die Rettungsaktion hatte aber für alleBeteiligten ein bitteres Nachspiel. DieDevisentransaktion für die Gerettetenwar nicht geheim zu halten, die Existenzeines Putschfonds für den Widerstands-kreis in der Schweiz 7 und Devisenver -gehen des Führungsoffiziers von Bon-hoeffer in München fielen der Gestapo

auf und man strengte eine Untersuchungan.

Am 3. April 1943 wurde der Sonderer-mittler Manfred Roeder, Richter der Luft-waffe, mit dem Fall betraut. HermannGoering war persönlich interessiert, nachder Aufdeckung der «Roten Kapelle»in seinem Verantwortungsbereich, einen

Skandal in der Abwehr zu inszenieren.Roeder galt als scharf und rücksichtslos,eitel und raffiniert. Er hatte 45 Todesur -teile gegen die «Rote Kapelle» durchge-setzt.

Die Katastrophe

Die Folgen dürfen als bekannt voraus-gesetzt werden. Am 5. April 1943 wurdenBonhoeffer und Dohnanyi verhaftet, Os-ter ein paarTage später und auch Canarisund viele andere im Zusammenhang mitdem Attentat vom 20. Juli 1944. Die U7war für Bonhoeffer und Dohnanyi ein Liebesdienst zu viel. In der Anklageschrift gegen Bonhoeffer vom 21.9.1943 wirdU7 zwar nicht erwähnt. Er habe sich a)dem Wehrdienst entzogen, b) andere vomWehrdienst frei gemacht und c) «Der Be-schuldigte ist als überzeugter Anhängerund Kämpfer der Bekennenden Kircheanzusprechen. Diese steht im Gegensatzzum Reichsminister für Kirchliche An -gelegenheiten.»8 Das war sehr mager undhielt die Hoffnung in Bonhoeffer langewach.

Durch einen Führerbefehl wurden dieLetzten der Widerstandsbewegung imAmt Ausland/Abwehr nach zweijährigerGefangenschaft und nach einem kurzenScheinprozess erhängt. Gisevius schreibtin seiner Monographie: «Die Rachsuchtder Gestapo an dem Hause Bonhoeffer,die zwei Söhne und zwei Schwiegersöhnehinwegraffte, war unmenschlich: Sie ent-

sprach der Gesinnung und dem Einsatz,mit dem diese bewundernswerte Familiedem diabolischen System widerstandenhat.»

Noch längst sind nicht alle Wundenverheilt. Prof.Thomas Bonhoeffer, derSohn des ebenfalls ermordeten Brudersvon Dietrich, schrieb mir: «Mir ist dieGeschichte des DeutschenWiderstandesso nah, dass ich immer einen Bogen da-rum herum gemacht habe, um nicht indieser Thematik zu ertrinken.»

Hören wir zum Schluss noch zwei Zi-tate von Dietrich Bonhoeffer, seinen Auf-ruf an die Nachwelt: «Nicht die Welt ausden Angeln zu heben, sondern am gege-benen Ort das sachlich – im Blick auf dieWirklichkeit – Notwendige zu tun unddieses wirklich zu tun, kann die Aufgabesein» (DBW 6, 224).

Und seinen letzten Satz vor der Fahrt inden Tod zum englischen Offizier, der beiVenlo in die Fänge der Gestapo geratenwar: «Das ist das Ende – für mich der Be-ginn des Lebens.» Damit ist der Kreis zumeingangs erwähntenWeihnachtsbrief von1944 geschlossen.

Den letzten Weihnachtsgruss hat Bon -hoeffer an seine Eltern und an seine Ver-lobte Marie von Wedemeyer aus dem Ge-fängnis in Gedichtform formuliert: «Vonguten Mächten treu und still umgeben».Dieses Gedicht hat nicht nur die christli-che Welt berührt; es macht den Verfasserunsterblich. ■

1 Vgl. u.v.a. Tietz, Christiane, Dietrich Bonhoeffer.Theologe im Widerstand, Beck’sche ReiheWissen2775, München 2013.

2 Heinemann, Winfried, Unternehmen «WALKÜ -RE». Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944.De Gruyter, Oldenburg 2019 mit einschlägigemQuellen- und Literaturverzeichnis.

3 Das RSHA erliess beispielsweise am 22.8.1940ein reichsweites Redeverbot, die Reichsschrift-tumskammer 1941 ein Schreibverbot.

4 Vgl. Gisevius’ Monographie: Bis zum bitternEnde, Zürich 1946.

5 Vgl. u.a. Klaus Jürgen Müller, Der deutsche Wi-derstand und das Ausland, Gedenkstätte Deut-scher Widerstand, Berlin 1986.

6 Vgl. Winfried Meyer, Unternehmen Sieben,Frankfurt 1993.

7 Vgl. Klaus Urner, Der Schweizer Hitler-Attentä-ter, Frauenfeld 1980, S. 7–61.

8 Dietrich Bonhoeffer Werke, Bd. 16, S. 443.

Oberst

Hans Rudolf Fuhrer

PD Dr. phil.

ehem. Dozent MILAK ETHZ

Privatdozent Uni Zürich

8706 Meilen

Dietrich Bonhoeffer (2.v. r.) im Gefängnis Berlin-Tegel,

mit italienischen Mitgefangenen und einem Gefängniswärter.

Bil

d:

pic

ture

-all

ian

ce