fom mediation & kommunikation: typische fälle für die mediation und deren lösung
TRANSCRIPT
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
1
Beispielfälle für Mediationen A. Nachbarschaftsmediation
Die Ausgangssituation:
Ehepaar B zieht in eine alt eingesessene Reihenhaussiedlung. Mit ihrem Einzug
findet die erste Altersdurchmischung der Bewohner dieser Reihe statt. Die Nachbarn
von Ehepaar B sind durchweg eine Generation älter – und hatten entsprechend
andere Vorstellungen von einem nachbarschaftlichen Zusammenleben.
Der Konflikt:
Die Eheleute B hatten bereits einen schlechten Start, da sie sich nicht persönlich bei
den neuen Nachbarn vorstellten, was diese erwartet hätten. Außerdem organisierten
sie ihren Tagesablauf anders als es in der Reihenhaussiedlung üblich war und
hielten sich weder an die dort übliche Mittagsruhe noch an die Nachtruhe, was ihre
Renovierungs- oder Gartenarbeiten anging.
Da die neuen Nachbarn außerdem ihre drei Autos in der Sackgasse parkten, so dass
die Eheleute A ihren Wagen nicht mehr zum Entladen vor ihr Haus fahren konnten,
und darüber hinaus keinerlei Einsicht oder Verständnis zeigten, verhärteten sich die
Fronten der Nachbarn immer mehr.
Die Konfliktpartner:
Insgesamt litten alle Nachbarn unter der angespannten Atmosphäre in der Siedlung.
Die direkten Nachbarn Eheleute A, die das Mediationsverfahren initiierten, und
Ehepaar B waren dann in der Mediation als Konfliktpartner anwesend.
Das Verfahren:
Das Mediationsverfahren bestand aus einem Vorgespräch und einer fünfstündigen
Sitzung. Im Vorgespräch einigte man sich auf die Themen, die im Rahmen des
Verfahrens verhandelt werden sollte. Die Eheleute A wollten insbesondere über
Rücksichtnahme, zeitliche Regelungen für die Durchführung geräuschvoller Arbeiten
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
2
sowie die nachbarschaftlichen Umgangsformen sprechen. Ehepaar B lag die
Regelung des nachbarschaftlichen Umgangs, die Akzeptanz in der
nachbarschaftlichen Gemeinde und die Nutzung der Sackgasse am Herzen.
Die Einigung:
Nach einigen hitzigen Diskussionen bereitete die Ehefrau A den Weg zu einer
Einigung, indem sie ihren Mann dazu bewegte, sich offen über seine eigenen
Hintergründe für sein Verhalten zu äußern. Langsam wurde klar, dass Herr A sehr
früh Verantwortung tragen musste und dies auch von seinen Nachbarn erwartet. Herr
B hingegen musste zeitlebens gegen einen starken Vater kämpfen und wollte nun
endlich machen, was ihm gefiel. Herr A konnte diesen Wunsch nach Autonomie
schließlich nachvollziehen. Insgesamt wurde ein besseres Verständnis für die
Hintergründe und Motivationen der einzelnen Personen geschaffen und eine
schriftlich vereinbarte Regelung für die Ruhezeiten und das Parkrecht in der
Sackgasse getroffen. Was die Nachbarschaftsgemeinschaft angeht, wurden keine
schriftlichen Absprachen getroffen, da diese sehr schwer von Ehepaar A zu steuern
gewesen wäre, aber ihr direktes Miteinander wollten beide Parteien künftig
persönlicher und freundlicher gestalten.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
3
B. Wirtschaftsmediation (zwei Unternehmen)
Die Ausgangssituation:
Das Unternehmen X hat gegen seinen langjährigen Kunden, die Firma Y eine
ausstehende Forderung in Höhe von 300.000 €. Die Ware wurde von Firma Y
empfangen und an deren Kunde Z weiterverkauft. Kunde Z jedoch hat diese Ware
nie bezahlt und kann von Firma Y auch nicht ausfindig gemacht werden. Demnach
hat auch Firma Y eine ausstehende Forderung in Höhe von 400.000 € und kann ihrer
Verpflichtung dem Unternehmen X gegenüber nicht nachkommen ohne dadurch
Insolvenz anmelden zu müssen.
Der Konflikt:
Die Firma Y steht vor der Pleite, wenn sie der Forderung des Unternehmens X
nachkommen müsste. In einem Gerichtsverfahren würde Unternehmen X vermutlich
Recht bekommen und einen Vollstreckungstitel gegenüber dem langjährigen Kunden
erhalten. Dieser würde aber Insolvenz anmelden müssen, und das Unternehmen X
könnte nicht nur eine eigentlich solide Geschäftsbeziehung, sondern auch das
ausstehende Geld verlieren.
Die Konfliktpartner:
Im Grunde geht es um Unternehmen X und Y. Allerdings spielt in diesem Konflikt
Kunde Z die wesentliche Hauptrolle. Da Z aber nicht auffindbar ist, stehen sich
lediglich Unternehmen X und Y – beide mit ausstehenden Forderungen – als
Konfliktpartner gegenüber.
Das Verfahren:
Um eine gemeinsame Lösung des Konflikts zu erarbeiten, hat Unternehmen X eine
Wirtschaftsmediation initiiert. In einer dreistündigen Sitzung wurde von den beiden
Konfliktpartnern unter Anleitung eines erfahrenen Mediators eine gemeinsame
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
4
Lösung erarbeitet, die beiden ermöglicht, ihre wirtschaftliche Situation weitestgehend
zu erhalten.
Die Einigung:
Im Zuge des Mediationsverfahrens wurde schnell deutlich, dass beide Konfliktpartner
die bisherige Zusammenarbeit sehr schätzen und nach einer einvernehmlichen
Lösung suchen wollten, um diese nicht wegen Dritter dauerhaft beenden zu müssen.
Sie einigten sich darauf, dass Unternehmen X als Kapitalgeber in die Firma Y
einsteigen würde – der Kaufpreis für seine Anteile von 150.000 € wurde mit der
ausstehenden Forderung in Höhe von 300.000 € verrechnet. Die übrigen 150.000 €
wurden als Gesellschafterkredit verbucht. Der langjährige Kunde und Inhaber von
Firma Y bleibt Geschäftsführer und Gesellschafter mit einem zunächst reduzierten
Gehalt, an das aber ein Bonus-Modell für besondere Erfolge gekoppelt ist. Auf diese
Weise kann der Inhaber der Firma Y seinen Status und seine Firma behalten und hat
im Erfolgsfall möglicherweise keine oder kaum Einbußen an seinem Gehalt. Dem
Unternehmen X erschließt sich durch diese Lösung ein neuer Vertriebs- und
Kundenkreis und es erhält sich Firma Y als guten Kunden – und kann diese
Geschäftsbeziehung, beispielsweise als alleiniger Zulieferer, noch vertiefen.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
5
C. Beispiel einer Wirtschaftsmediation zwischen Ges ellschaftern
Die Ausgangssituation:
Vater und Sohn, beide gleichberechtigt beteiligte Gesellschafter und Geschäftsführer
eines Familienunternehmens, können sich nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan für
die Zukunft des Unternehmens einigen. Die Meinungsverschiedenheiten gehen so
weit, dass die beiden Geschäftsführer nur noch den notwendigsten Kontakt pflegen
und auch die Familie über den Streit auseinander zu brechen scheint.
Der Konflikt:
Während der Sohn in den neuen Medien und in innovativen Techniken die Zukunft
der Firma sieht und davon überzeugt ist, in Osteuropa neue Märkte erschließen zu
können, möchte der Vater, dass alles beim Alten bleibt. Er versteht nicht, wieso man
ein finanzielles und unternehmerisches Risiko eingehen sollte, wenn eigentlich alles
gut läuft. Da beide wichtige Beschlüsse laut Vertrag nur gemeinsam treffen können,
scheint eine Gerichtsverhandlung wenig aussichtsreich.
Die Konfliktpartner:
Die Konfliktpartner sind zum einen gleichberechtigte Geschäftsführer und
Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens, zum anderen aber auch Vater
und Sohn. Damit sind implizit auch die anderen Familienmitglieder, wie beispiels-
weise die Mutter und Ehefrau der Beiden, an einer Lösung interessiert.
Das Verfahren:
In insgesamt vier Sitzungen wurde eine Lösung erarbeitet, die eine dritte Partei –
einen Kaufinteressenten – mit einbezog. Im Laufe des Verfahrens wurden zunächst
die bisherigen, aber auch die favorisierten Geschäftsbereiche der beiden
Geschäftsführer geklärt und berücksichtigt.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
6
Die Einigung:
Beide Parteien haben sich darauf geeinigt, insgesamt 51% ihrer Anteile an einen
vertrauenswürdigen Kaufinteressenten mit exzellentem Neukundenpotential zu
verkaufen. Der Vater, der kurz vor der Rente steht, ist bis dahin mit einem gut
dotierten Vertrag abgesichert. Außerdem belasten ihn erhebliche Neuinvestitionen
nicht mehr, da diese nun von seinem Sohn und dem neuen Geschäftspartner
realisiert werden. Die Investitionskosten fallen zudem niedriger aus als geplant, da
der neue Geschäftspartner viel von dem mitbringt, was sonst erst noch entwickelt
werden müsste. Beide Gesellschafter erhalten auch als Minderheiten wesentliche
Mitsprachrechte in der Geschäftsführung. Der Sohn kann den Erlös aus dem Verkauf
seiner Anteile reinvestieren, der Vater schafft sich so ein finanzielles Polster für
seinen Ruhestand. Gemeinsam wurde ein Businessplan für alle drei Parteien
entwickelt, mit dem alle überaus zufrieden waren. Nachdem die geschäftliche Zukunft
der Firma gemeinsam festgelegt war, konnten die beiden Konfliktpartner auch privat
wieder aufeinander zugehen.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
7
D. Erbschaftsmediation
Die Ausgangssituation:
Der Erblasser, Herr S., hatte drei Kinder aus erster Ehe, Sabine, Maik und Daniel. Im
Jahre 1999 hatte der Erblasser zum zweiten Mal geheiratet, seine Frau Anja. Aus
dieser Ehe war ein weiteres Kind, Laura, hervorgegangen. Die zweite Frau sollte ein
Haus, Aktien und alle sonstigen Wertgegenstände erben. Sabine, Maik und Laura
sollten jeweils eine Eigentumswohnung in Hamburg erben. Maik sollte außerdem die
Firma übernehmen und Sabine und Laura später ausbezahlen. Der Sohn Daniel war
als Einziger nicht bedacht.
Der Konflikt:
Der Initiator der Mediation, Daniel, war von seinem Vater, der kürzlich verstorben
war, komplett enterbt worden. Daniel war mit diesem Testament nicht einverstanden,
wollte jedoch nicht gerichtlich dagegen vorgehen, sondern mit allen Beteiligten im
Rahmen eines Mediationsverfahrens eine gemeinsame Lösung erarbeiten.
Die Konfliktpartner:
Insgesamt handelte es sich um fünf Parteien: die drei Kinder aus erster Ehe, das
Kind aus zweiter Ehe und die Witwe.
Das Verfahren:
Zusammengenommen gab es vier Mediationssitzungen. Die erste dauerte 90
Minuten. In diesen ersten 90 Minuten erfolgte eine ausführliche Einführung und die
Auftragsklärung sowie eine Themensammlung. Dann gab es zwei weitere, jeweils 3-
stündige Sitzungen. In der ersten der beiden Sitzungen ging es ausschließlich um die
Zukunft der Firma. An dieser Sitzung nahm zeitweise der Prokurist der Firma des
Verstorbenen teil.
In der dritten Sitzung ging es um alle weiteren vererbten Vermögenswerte.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
8
Zur Bewertung der Vermögenswerte lagen die entsprechenden Grundbuchauszüge
sowie sämtliche relevanten Verträge vor.
Zum Schluss wurde noch über die Abschlussvereinbarung gesprochen, die von der
Mediatorin vorbereitet und ausformuliert wurde.
Die Einigung:
Es stellte sich schnell heraus, dass sich nicht nur der ausgeschlossene Daniel nicht
mit allen Details des Testaments anfreunden konnte. Auch Maik wollte auf keinen
Fall die Firma seines Vaters übernehmen, Sabine dagegen konnte nichts mit einer
Wohnung in Hamburg anfangen und alle Geschwister fanden es ungerecht, dass
Daniel leer ausgehen sollte. Nachdem die Mediatorin alle Beteiligten darüber
aufgeklärt hatte, dass – sofern sich alle Erben einig sind – im Rahmen einer
Mediation auch vollkommen andere Vereinbarungen getroffen werden können,
brachten sich alle Parteien mit Ideen und Vorschlägen in diesen Prozess ein.
Am Ende übernahm Sabine die Firma ihres Vaters, ihre Stiefschwester Laura bekam
im Gegenzug Sabines Wohnung in Hamburg, und Maik bot seine Wohnung in
Hamburg der verwitweten Frau seines Vaters zum Kauf an. Von dem Erlös ging die
Hälfte an seinen Bruder Daniel. Genau wie die Hälfte aus dem Verkauf des
Elternhauses in Bielefeld. Maik erhielt im Gegenzug für seinen Verzicht auf die
Firmenführung eine Gewinnbeteiligung. Laura wurde durch diese Lösung die
alleinige Eigentümerin eines Wohnungskomplexes in Hamburg und zahlte zehn
Jahre lang einen Teil der Mieteinnahmen an Daniel. Mit dieser Lösung waren alle
Beteiligten nicht nur zufrieden, sondern richtig glücklich. Besonders weil im Zuge der
Mediation nicht nur wirtschaftliche, sondern auch familiäre Aspekte und Konflikte
besprochen und geklärt werden konnten.
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
9
E. Scheidungsmediation
Die Ausgangssituation:
Frau und Herr B. haben zwei Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren und werden sich
scheiden lassen, da Herr B. eine neue Lebenspartnerin hat. Es ist sein Wunsch, das
Haus zu verkaufen, damit er Geld für einen Neubeginn hat. Seit der Trennung trägt
er den Großteil der finanziellen Belastung, die noch auf dem Haus liegt.
Frau B. stimmt dem Hausverkauf jedoch nicht zu. Sie sagt, sie möchte den Kindern
das gewohnte Umfeld erhalten. Die Trennung der Eltern sei schon schwer genug für
sie gewesen und jetzt müsse sie ihnen Halt und Stabilität bieten.
Die Konfliktpartner:
Die Eltern, zwei Kinder und die neue Lebenspartnerin.
Das Verfahren:
Zunächst verschafft der Mediator beiden Konfliktparteien gleichermaßen viel Raum
für die Darstellung ihrer jeweiligen Sichtweisen. Dabei ergibt sich folgendes Bild: Die
Trennung der beiden erfolgte auf Wunsch des Mannes. Er hat sich diesen Schritt
nicht leicht gemacht, aber nun blickt er nach vorn. Nur die Haltung seiner Ex-Frau in
Bezug auf den Hausverkauf belastet ihn. Er versteht sie nicht und wirft ihr
Boshaftigkeit vor. Frau B. ist emotional noch mit der Trennung beschäftigt. Darüber
hinaus zeigt sie Zeichen von Überlastung. Die Erziehung der beiden pubertierenden
Kinder strengt sie sehr an, das Haus erfordert eine Menge Arbeit, der Wechsel von
einer halben auf eine ganze Stelle bedeutet eine weitere Veränderung, vielleicht
sogar einen Wechsel des Arbeitgebers. Sie hat nicht mehr die Kraft, jetzt auch noch
mit den Kindern umzuziehen und mit der nächsten gravierenden Veränderung fertig
zu werden. Herrn B. waren diese Aspekte nicht bewusst. Nun aber verändert sich
seine Haltung gegenüber seiner Ex-Frau. Die Fronten weichen auf. Die beiden
Dr. Carsten Weerth BSc LLM (Com.) MA
10
können sich auf dieser Ebene anders begegnen. Der Mediator bringt sie jetzt
miteinander ins Gespräch, bis die ersten Lösungsansätze deutlich werden.
Die Einigung:
Die Konfliktparteien vereinbaren, dass sich der Ex-Mann mehr um die Kinder
kümmert und sich mit Frau B. in Erziehungsfragen besser abstimmt, was sie deutlich
entlastet. Die beiden einigen sich darauf, dass Frau B. zunächst eine neue Stelle
sucht. Sie gibt sich selbst dafür drei Monate Zeit. Herr B. wird in dieser Zeit nicht
weiter auf den Hausverkauf drängen. Nach der Frist wird ein Makler mit dem Verkauf
des Hauses und der Suche einer Wohnung für Frau B. beauftragt. Da dies vermutlich
einige Zeit dauern wird, will Frau B. ihren Ex-Mann bei der Finanzierung des Hauses
stärker unterstützen, sobald sie eine Vollzeitstelle gefunden hat.