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Corax 15 (1993) Fluktuationen im Vogelbestand einer schleswig-holsteinischen Knickland- schaft bei Wintereinbruch — Ergebnisse einer Linientaxierung R. Tiedemann TIEDEMANN, R. (1993): Fluktuationen im Vogelbestand einer schleswig-holsteinischen Knickland- schaft bei Wintereinbruch — Ergebnisse einer Linientaxierung. Corax 15.: 197-202 Abundanzangaben sind eine wichtige Meßgröße, um das räumliche und zeitliche Auftreten von Vö- geln zu beschreiben. Bisher liegen nur wenige Informationen aus Mitteleuropa zur Vogeldichte außerhalb der Brutzeit vor. In dieser Untersuchung wurden auf einer 100 ha großen Probefläche einer schleswig-holsteinischen Knicklandschaft südlich der Stadt Neumünster von Oktober bis Dezember 1980 Linientaxierungen durchgeführt. Die Artenzahl nahm im Untersuchungszeitraum signifikant ab. Die Abundanzen entsprachen im Oktober etwa dem Brutbestand und nahmen bei vielen Arten zum Dezember hin ab. Einige Arten (die meisten Meisenarten, Rotkehlchen, Buchfink) räumten die Feldmark nach einem Kälteein- bruch Anfang Dezember vollständig. Nur wenige Arten (Goldammer, Weidenmeise) blieben im Bestand unverändert. Als Grund für die Abwanderung wird Nahrungsmangel angenommen. Denkbar ist, daß eine Ab- wanderung in menschliche Siedlungen stattfindet. Die Untersuchung macht die Notwendigkeit deutlich, die Variabilität von Zählergebnissen unter gleichen Bedingungen zu kennen, um den Einfluß veränderter Bedingungen beurteilen zu können. Ralph Tiedemann, Institut für Haustierkunde, Christian-Albrechts-Universität, Olshausenstraße 40, 24118 Kiel 1. Einleitung Angaben zur Individuenzahl pro Flächeneinheit, sog. Abundanzen, sind eine wichtige Meßgröße zur Charakterisierung des räumlichen und zeitli- chen Auftretens von Vögeln mit regelmäßiger oder zufälliger räumlicher Verteilung (z. B. AN- DERSON 1981). Während der Brutzeit können Angaben zur Siedlungsdichte aufgrund der Terri- torialität vieler Vogelarten über die Untersu- chung brutbiologischer Parameter (Revierkartie- rung, Gelegeanzahl) gemacht werden (z. B. OELKE 1980, BIBBY et al. 1992). Außerhalb der Brutzeit ist eine höhere Variation der Individu- endichten bei aufeinanderfolgenden Zählungen infolge zufälliger Abweichungen von der mittle- ren Dichte zu erwarten (TIEDEMANN 1992). Ne- ben diesen zufälligen Abweichungen verändern sich die mittleren Dichten durch äußere Fakto- ren. Diese Variation kann z. B. durch saisonale Veränderungen im Vogelbestand verursacht wer- den (z. B. MuLsow 1980, ANDERSON et al. 1981). Hierbei läßt sich die Frage, ob z. B. saisonale Un- terschiede in Vogelbeständen bestehen, nur be- antworten, wenn die Variabilität der Zählergeb- nisse innerhalb eines saisonalen Zeitintervalls be- kannt ist. Zahlreichen quantitativen Untersuchungen von Vogelbeständen außerhalb der Brutzeit aus Nord- amerika (z. B. BREWER 1972, ROBBINS 1981, GUTZWILLER 1991) und Skandinavien (z. B. NILSSON 1974, HILDEN 1987) stehen relativ we- nige Untersuchungen aus Mitteleuropa gegen- über (WIEHE 1971, OELKE 1975a, MULSOW 1980). Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, quantitative Aussagen zu Diversität, Abun- danz und saisonaler Fluktuation in der Avifauna einer Knicklandschaft in der schleswig-holsteini- schen Geest bei Wintereinbruch zu machen. Der Artikel versteht sich zugleich als Anregung für zukünftige Untersuchungen an Vogelbeständen außerhalb der Brutzeit. Für kritische Anmerkungen bei der Durchsicht des Manuskripts danke ich Thomas GALL, Dr. 197

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Page 1: Fluktuationen im Vogelbestand einer schleswig ... · schaft bei Wintereinbruch — Ergebnisse einer Linientaxierung R. Tiedemann TIEDEMANN, R. (1993): Fluktuationen im Vogelbestand

Corax 15 (1993)

Fluktuationen im Vogelbestand einer schleswig-holsteinischen Knickland-schaft bei Wintereinbruch — Ergebnisse einer Linientaxierung

R. Tiedemann

TIEDEMANN, R. (1993): Fluktuationen im Vogelbestand einer schleswig-holsteinischen Knickland- schaft bei Wintereinbruch — Ergebnisse einer Linientaxierung. Corax 15.: 197-202

Abundanzangaben sind eine wichtige Meßgröße, um das räumliche und zeitliche Auftreten von Vö-geln zu beschreiben. Bisher liegen nur wenige Informationen aus Mitteleuropa zur Vogeldichte außerhalb der Brutzeit vor.

In dieser Untersuchung wurden auf einer 100 ha großen Probefläche einer schleswig-holsteinischen Knicklandschaft südlich der Stadt Neumünster von Oktober bis Dezember 1980 Linientaxierungen durchgeführt.

Die Artenzahl nahm im Untersuchungszeitraum signifikant ab. Die Abundanzen entsprachen im Oktober etwa dem Brutbestand und nahmen bei vielen Arten zum Dezember hin ab. Einige Arten (die meisten Meisenarten, Rotkehlchen, Buchfink) räumten die Feldmark nach einem Kälteein-bruch Anfang Dezember vollständig. Nur wenige Arten (Goldammer, Weidenmeise) blieben im Bestand unverändert.

Als Grund für die Abwanderung wird Nahrungsmangel angenommen. Denkbar ist, daß eine Ab-wanderung in menschliche Siedlungen stattfindet.

Die Untersuchung macht die Notwendigkeit deutlich, die Variabilität von Zählergebnissen unter gleichen Bedingungen zu kennen, um den Einfluß veränderter Bedingungen beurteilen zu können.

Ralph Tiedemann, Institut für Haustierkunde, Christian-Albrechts-Universität, Olshausenstraße 40, 24118 Kiel

1. Einleitung

Angaben zur Individuenzahl pro Flächeneinheit, sog. Abundanzen, sind eine wichtige Meßgröße zur Charakterisierung des räumlichen und zeitli-chen Auftretens von Vögeln mit regelmäßiger oder zufälliger räumlicher Verteilung (z. B. AN-DERSON 1981). Während der Brutzeit können Angaben zur Siedlungsdichte aufgrund der Terri-torialität vieler Vogelarten über die Untersu-chung brutbiologischer Parameter (Revierkartie-rung, Gelegeanzahl) gemacht werden (z. B. OELKE 1980, BIBBY et al. 1992). Außerhalb der Brutzeit ist eine höhere Variation der Individu-endichten bei aufeinanderfolgenden Zählungen infolge zufälliger Abweichungen von der mittle-ren Dichte zu erwarten (TIEDEMANN 1992). Ne-ben diesen zufälligen Abweichungen verändern sich die mittleren Dichten durch äußere Fakto-ren. Diese Variation kann z. B. durch saisonale Veränderungen im Vogelbestand verursacht wer-den (z. B. MuLsow 1980, ANDERSON et al. 1981). Hierbei läßt sich die Frage, ob z. B. saisonale Un-

terschiede in Vogelbeständen bestehen, nur be-antworten, wenn die Variabilität der Zählergeb-nisse innerhalb eines saisonalen Zeitintervalls be-kannt ist.

Zahlreichen quantitativen Untersuchungen von Vogelbeständen außerhalb der Brutzeit aus Nord-amerika (z. B. BREWER 1972, ROBBINS 1981, GUTZWILLER 1991) und Skandinavien (z. B. NILSSON 1974, HILDEN 1987) stehen relativ we-nige Untersuchungen aus Mitteleuropa gegen-über (WIEHE 1971, OELKE 1975a, MULSOW 1980). Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, quantitative Aussagen zu Diversität, Abun-danz und saisonaler Fluktuation in der Avifauna einer Knicklandschaft in der schleswig-holsteini-schen Geest bei Wintereinbruch zu machen. Der Artikel versteht sich zugleich als Anregung für zukünftige Untersuchungen an Vogelbeständen außerhalb der Brutzeit.

Für kritische Anmerkungen bei der Durchsicht des Manuskripts danke ich Thomas GALL, Dr.

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R. TIEDEMANN: Fluktuationen im Vogelbestand einer Knicklandschaft bei Wintereinbruch

Hermann HÖTKER, Dr. Wilfried KNIEF und Dr. Fridtjof ZIESEMER.

2. Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet ist ein 100 ha großer quadratischer Ausschnitt aus einer Knickland-schaft in der schleswig-holsteinischen Geest, ge-legen etwa 1 km westlich der Ortschaft Boostedt und 2,5 km südlich der Stadt Neumünster (N 54°1'4"-54°1'36", E 9°58'34"-9°59'29"; siehe Abb. 1).

Abb. 1: Lage des Untersuchungsgebietes Fig. 1: The study area (Vervielfältigt mit Genehmigung des Landesvermessungsamtes Schleswig-Holstein vom 22. 4. 1993, 3 - 562.6)

Die Höhe über NN beträgt zwischen 20 m und 22,5 m. Das Gebiet wird von 2 asphaltierten Straßen in Ost-West-Richtung durchzogen. Es enthält 3 Feldgehölze von je etwa 1 ha Fläche und wurde ansonsten zum Zeitpunkt der Untersu-chung ausschließlich ackerbaulich genutzt. Die Länge der Knicks im Gebiet beträgt 4,5 km, da-von 1,8 km Doppelknicks.

3. Wetter Im Untersuchungszeitraum (Oktober bis De-zember 1980) wichen die Temperaturen im Mo-natsmittel nur unwesentlich von langjährigen Mittelwerten ab (BuscHE & BERNDT 1982). Der Dezember begann mit einem von Schnee-fall begleiteten plötzlichen Kälteeinbruch, der bei Temperaturen bis -14°C etwa eine Woche anhielt (BERNDT & BUSCHE 1983). Während dieser Zeit blieb die Schneebedeckung beste-hen. Der Untersuchungszeitraum war über-durchschnittlich feucht (BuscHE & BERNDT 1982).

4. Methode An insgesamt 13 Tagen in der Zeit vom 12. Okto-ber bis 27. Dezember 1980 wurden im Gebiet Li-nientaxierungen durchgeführt („fixed-width transect" in FRANZREB 1981; BIBBY et al. 1992). Vor Beginn jeder Zählung wurden zufällig jeweils drei 1000-m-Transekte ins Untersuchungsgebiet gelegt. (Eine Novemberzählung bestand nur aus 2 Transekten.) Die Zählungen erfolgten zu Fuß entlang der Transekte. Kartiert wurden alle an-wesenden Vögel bis maximal 50 m Entfernung. Die untersuchte Fläche betrug somit 100 m x 1000 m (10 ha) pro Transekt. Im Mittel dauerte die Zählung 47 min (S.E. = 6,2 min) pro Transekt (4,7 min pro ha). Für die Auswertung wurde angenommen, daß sich die Vögel zufällig im Gebiet verteilen (NILs-SON 1974). Für die Zählergebnisse ist demzu-folge eine PolssoN-Verteilung der bei einzelnen Zählungen ermittelten Individuendichten um die parametrische mittlere Dichte zu erwarten (TIEDEMANN 1992, FOWLER & COHEN undat.). Alle Daten wurden durch eine Quadratwurzel-transformation (x' = l(x+0,5) in eine Normalver-teilung überführt, statistisch ausgewertet und für die Darstellung retransformiert (SOKAL & ROHLF 1981). Bei den Abundanzberechnungen wurden die Ortsveränderungen der Vögel ver-nachlässigt (Methode nach EMLEN 1971). Außerdem wurde unter Berücksichtigung der Offenheit des untersuchten Biotops davon aus-gegangen, daß die Entdeckungswahrscheinlich-keit für Vögel auf der gesamten Breite des Tran-sekts (max. Entfernung zum Beobachter 50 m) gleich war, so daß diesbezügliche Korrekturfak-toren (vgl. EMLEN 1971) entfallen. Ausgenom-men von der statistischen Auswertung wurden Arten, die an weniger als 5 Zähltagen angetrof-fen wurden.

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Corax 15 (1993)

5. Ergebnisse

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die angetroffe-nen Vogelarten sowie die Stetigkeit ihres Auftre-tens. Für die meisten Arten zeigt sich eine Ab-nahme der Stetigkeit vom Oktober zum Dezember. Tab. 1: Stetigkeit (%) der angetroffenen Vogelarten Tab. 1: Frequency (%) of occurence of the observed bird species

Oktober

Singschwan Cygnus cygnus

Mausebussard Buteo buteo ++

Fasan Phasianus colchicus

Kiebitz Vanellus vanellus

Bekassine Gallinago gallinago

Lachmöwe Larus ridibundus

November Dezember

Ringeltaube Columba palumbus +++ ++

Feldlerche Alauda arvensis ++++

Bachstelze Motacilla alba

Wintergoldhähnchen Regulus regulus +

Amsel Turdus merula ++ ++

Rotkehlchen Erithacus rubecula ++

Sumpfmeise Perus palustris ++

Weidenmeise P montanus ++ ++

Blaumeise P. caeruleus ++ ++

Kohlmeise P major +++ +++

Feldsperling Passer montanus ++

Buchfink Fringilla coelebs ++ ++

Bergfink F montifringilla

Grünling Carduelis chloris ++

Gimpel Pyrrhula pyrrhula

Goldammer Emberiza citrinella +++ ++++ +++

Eichelhäher Garrulus glandarius

Elster Pica pica

Rabenkrähe Corvus c. corone +++ +++ ++

+ = 1-25 %; ++ = 26-50 %; +++ = 51-75 %; ++++ = 76-100

Auch die Diversität, ausgedrückt als die im Mit-tel pro Transekt angetroffene Artenzahl, nahm vom Oktober zum Dezember hochsignifikant um den Faktor 4 ab (von durchschnittlich 8 auf 2 Ar-ten; siehe Abb. 2).

Diversität Diversity Artenzahl Number of species

14

12 Y = (-0,017x+7,602)20,5

p < 0,01 10

8

6

4

2

0 r Oktober November Dezember

Abb. 2: Veränderungen in der Artenzahl Fig. 2: Changes in species diversity

Tabelle 2 zeigt Abundanzberechnungen (Indivi-duen/10 ha) für die regelmäßig angetroffenen Ar-ten. Während sich der Bestand von Ringeltaube, Weidenmeise, Feldsperling, Goldammer und Ra-benkrähe im Untersuchungszeitraum nicht signi-fikant veränderte, nahmen die Abundanzen der anderen Arten im Verlaufe der Untersuchung deutlich ab.

Tab. 2: Abundanzen (Individuen/10 ha) und 90%-Vertrauens-intervalle. Bestandstrends errechnet mittels Regressi-onsanalyse

Tab. 2: Abundances (birds/10 ha) and 90%-confidence limits. Trends calculated via regression analysis

Ringeltaube Columba palumbus

Oktober (n =15)

2,6 (1,0 - 4,7)

November (n = 11)

1,3 (0,1 -3,3)

Dezember (n = 12)

0,8 ( )

Trend trend

0

Feldlerche 5,1 0,0 0,6 (-) Alauda arvensis (2,5 - 8,5) (-- -) (0,0 - 1,5)

Amsel 0,7 0,6 0,3 (-) TurdUS merula (0,3- 1,2) (0,1 - 1,3) (0,0 -0,5)

Rotkehlchen 0,4 0,1 0,0 - Erithacus rubecula (0,2 -0,7) ( ) (- - -)

Sumpfmeise 0,3 0,1 0,0 Perus palustris (0,0- 0,5) ( ) ( )

Weidenmeise 0,2 0,3 0,2 0 Perus montanus (0,0 - 0,4) (0,0 - 0,8) (0,0 - 0,4)

Blaumeise 0,6 0,5 0,1 Perus caeruleus (0,2 - 1,1) (0,1 - 1,0) (0.0- 0,3)

Kohlmeise 1,8 1,6 0,2 Parus major (0,8 - 3,0) (0,6 - 3,0) (0,0 - 0,4)

Feldsperling 0,1 1,6 0,6 0 Passer montanus ( ) ( ) (---1 Buchfink 0,6 0,5 0,1 Fringilla coelebs (0,2 - 1,1) (0,0 - 1,3) (0,0- 0,2)

Goldammer 2,2 3,1 0,8 0 Emberiza citrinella (0,8 - 4,1) (1,1 - 5,8) (0,4 - 1,4)

Rabenkrähe 1,7 1,2 2,3 0 Corvus c. corone (0,5 - 3,3) (0,2 - 2,6) ( )

0 = kein signifikanter Trend no significant trend

= signifikante Abnahme(p<0,1) significant decrease (p<0,1)

= signifikante Abnahme(p<0,05) significant decrease (p<0,05)

(- - -)= Berechnung wegen zu hoher Variation nicht sinnvoll (- - -)= Calculation not reasonable due to high variation

In Abbildung 3 ist die Bestandsentwicklung für einige Passeriformes angegeben. Es zeigt sich, daß eine Reihe von Arten gegen Ende Dezember das Untersuchungsgebiet nahezu vollständig ge-räumt hatte (Kohlmeise, Blaumeise, Sumpf-meise, Rotkehlchen und Buchfink). Von der Am-sel blieb noch ein Restbestand zurück. Weiden-meise und Goldammer verblieben dagegen im Gebiet.

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R. TIEDEMANN: Fluktuationen im Vogelbestand einer Knicklandschaft bei Wintereinbruch

Parus major Individuen/10ha Individuals/10ha

)

Parus palustris Individuen/10ha Individuals/10ha

2

y = (-0,012x+5,154)2-0,5

p < 0,05 1.5

1

0.5

0

y = (-0,003x+1,715)2-0,5

p < 0,05

-0.5 Oktober

November Dezember

Oktober

November Dezember

Parus caeruleus ndividuen/10ha Individuals/10ha

5

y = (-0,005x +2,473)2-0,5 4 p < 0,05

3

2

1

Parus montanus Individuen/lOha Individuals/10ha

y = (-0,001x+1,161)2-0,51

1

n.s.

3

2.5

2

1.5

1

0.5

0' 0 Oktober November Dezember

Oktober November Dezember

6. Diskussion

Vergleicht man die Abundanzen im Oktober mit den Ergebnissen einer Siedlungsdichteuntersu-chung in demselben Gebiet (TIEDEMANN in Vorb.), scheint die Abundanz vieler Passerifor-mes im Herbst in der Feldmark in der gleichen Größenordnung zu liegen wie der Brutbestand im Sommer (Tab. 3). Bis zum Oktober halten sich die in der Feldmark brütenden Standvögel dem-nach offensichtlich weiterhin in unveränderten Anzahlen in der Knicklandschaft auf. Die Abun-danzen liegen dabei für die meisten Arten in der gleichen Größenordnung wie in anderen Knick-landschaften Schleswig-Holsteins (PucHsTEIN 1980).

Zum Winter hin zeigt sich dann deutlich eine Ver-armung der Vogelwelt in der Knicklandschaft, so-wohl bezüglich ihrer Arten- als auch bezüglich ih-rer Individuenzahl. SCHROETER (1986) fand in anderen schleswig-holsteinischen Knickland-

schaften ähnlich geringe Winterbestände und konnte zumindest für die Amsel eine Abnahme zum Winter hin zeigen. Nur bei einzelnen Arten ist ein Wegzug für die Bestandsabnahme verant-wortlich zu machen: So liegt die Hauptzugzeit der Feldlerche im Oktober (GLUTZ VON BLOTZ-HEIM 1980), was die drastische Abnahme zwi-schen Oktober und November erklärt (vgl. Tab. 2). Bei den Stand- und Strichvögeln dage-

Tab. 3: Vergleich der Abundanzen (Individuen/10 ha) im Som-mer (Daten aus TIEDEMANN in Vorb.) und im Oktober

Tab. 3: Comparison of abundances (birds/10 ha) in summer (data from Tiedemann in prep.) and in october

Sommer summer

October october

Feldlerche Alauda arvensis 6,4 5,1

Amsel Turdus meruta 0,2 0,7

Kohlmeise Parus major 1,3 1,8

Buchfink Fringilla coelebs 0,6 0,6

Goldammer Emberiza citrinella 2,1 2,2

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Corax 15 (1993)

Erithacus rubecula Fringilla coelebs

2 Individuen/10ha Individuals/10ha

6 Individuen/10ha Individuals/10ha

5 y = (-0,006x+2,841)2-0,5

p < 0,05 1.5 y = (-0,005x+2,334)2-0,5

p < 0,05 4

3

0.5

0

-0.5 Oktober November i Dezember

Turdus merula Individuen/10ha Individuals/10ha

4

y = (-0,005x+2,524)2-0,5

3 p < 0,1

2

0 Oktober November Dezember

Emberiza citrinella Individuen/10ha Individuals/10ha

25 y = (-0,008x+4,114)2-0,5

20

n.s.

15

10

Oktober November November Dezember

5

0 - Oktober November Dezember

gen, von denen viele die Knicklandschaft bei Wintereinbruch räumen (die meisten Meisenar-ten, Rotkehlchen, Buchfink), scheint eine Ab-wanderung in andere Biotope zu erfolgen. Die fast vollständige Abwanderung vieler Arten im Dezember traf mit einer von Schneefall begleite-ten Kälteperiode zusammen (BERND & BUSCHE 1983). Nur wenige Arten (Goldammer, Weiden-meise) blieben in unverminderter Anzahl im Ge-biet. MuLsow (1980) beschreibt Dezember und Januar als die artenärmsten Monate für die Feld-mark. Bei Kälteeinbrüchen stellte er dagegen ei-nen Anstieg der Bestände in einem Hamburger Wohnblockgebiet fest und interpretiert dies als „Landflucht der Standvögel in die wärmere, fut-terstellenreiche Innenstadt". HAARMANN (1971) konnte an Futterstellen in einem Hamburger Wohnviertel sprunghaft gestiegene Vogelanzah-len nach Schneefällen feststellen. Untersuchun-gen von BEJER & Ru DEMO (1985) deuten darauf hin, daß strenge Winter wegen abnehmender

Abb. 3: Bestandstrends für einige Passeriformes Fig. 3: Density trends for some passerines

Nahrungsverfügbarkeit bei gesteigertem Ener-giebedarf offensichtlich zu einer erhöhten Morta-lität bei Meisen führen, während sie die Morta-lität durch direkten Witterungseinfluß als gering einschätzen. Nahrungsmangel bei Winterein-bruch könnte damit ein Auslöser für die Abwan-derung vieler Arten aus der Knicklandschaft in Gebiete mit verfügbarer Nahrung wie etwa menschliche Siedlungen sein. Um derartige Ver-mutungen belegen zu können, wäre eine verglei-chende Untersuchung von Feldmark- und Sied-lungsbiotopen mit standardisierter Methode wünschenswert.

Insgesamt zeigte sich eine hohe Variabilität von Zählergebnissen auch innerhalb saisonaler Zeit-intervalle (vgl. Tab. 2), ja sogar am gleichen Zähl-tag (vgl. Abb. 3). Dies macht deutlich, daß die

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R. TIEDEMANN: Fluktuationen im Vogelbestand einer Knicklandschaft bei Wintereinbruch

Untersuchung von MeBgroBen mit hoher Varia-tion (hier Nichtbriiterbestande) eine hohe Zahl-intensitat erfordert. Sonst sind scheinbar einfa-che Aussagen wie die Abnahme von Vogelbe-standen bei Wintereinbruch statistisch nicht be-legbar. Nur wenn die Variation von Zahlergeb-nissen unter „gleichen" Bedingungen bekannt ist, laBt sich der EinfluB unterschiedlicher Bedingun-gen beurteilen.

7. Summary: Fluctuations in bird densities in an agricultural area in Northern Germany in the beginning of winter - results of a line transect investigation

The measurement of a species abundance is an important feature in the description of seasonal and spatial patterns of bird distribution. Little in-formation is available on bird abundances out-side the breeding season in central Europe. In this study, fixed-width line transect counts were carried out in a 100 ha study site, situated in an agricultural wallhedge area in Schleswig-Hol-stein in northern Germany. The study was carried out in the period october to december 1980. During the study, species diversity decreased sig-nificantly. Bird densities in october were about the same as the summer breeding densities, but many species decreased significantly in numbers throughout the study period. Some species (most species of tits, Robin, Chaffinch) left the area al-most completely after a period of frost in the be-ginning of december. Only a few species (Yellow-hammer, Willow Tit) remained in more or less un-changed numbers. Lack of accessible food resources is discussed as a potential explanation for the decrease in bird numbers in the beginning of winter. Possibly, birds move to nearby villages or towns. From a methodological point of view, this investi-gation has shown the necessity of knowing the va-riation of count results under constant circum-stances prior to a judgement on the influence of changing conditions.

8. Schrifttum ANDERSON, B. W. (1981): Introductory remarks: Estimating birds per unit area. Studies in Avian Biology 6: 113. ANDERSON, B. W., R. D. OHMART & J. RICE (1981): Seaso-nal changes in avian densities and diversities. Studies in Avian Biology 6: 262 - 264.

BEIER, B. & M. RUDEMO (1985): Fluctuations of tits (Paridae) in Denmark and their relations to winter food and climate. Or-nis Scand. 16: 29 - 37. BERNDT, R. K. & G. BUSCHE (1983): Ornithologischer Jah-resbericht fiir Schleswig-Holstein 1981. Corax 9: 253 - 287. BIBBY, C. J., N. D. BURGESS & D. A. HILL (1992): Bird cen-sus techniques. Academic Press, London, San Diego, New York, Boston, Sydney, Tokio, Toronto. BREWER, R. (1972): An evaluation of winter bird population studies. Wilson Bull. 84: 261 - 277. BUSCHE, G. & R. K. BERNDT (1982): Ornithologischer Jah-resbericht ftir Schleswig-Holstein 1980. Corax 9: 9 - 37. EMLEN, J. T. (1971): Population densities of birds derived from transect counts. Auk 88: 323 - 342. FOWLER, J. & L. COHEN (undat.): Statistics for ornithologists. BTO Guide Nr. 22, British Trust of Ornithology, Tring. FRANZREB, K. E. (1981): The determination of avian densities using the variable-strip and fixed-width transect surveying me-thods. Studies in Avian Biology 6: 139 - 145. GLUTZ VON BLOTZHEIM, U. N. (1980): Handbuch der Vogel Mitteleuropas Band 10/I. Passeriformes (1. Teil), Aula Verlag, Wiesbaden. GUTZWILLER, K. J. (1991): Estimating winter species richness with unlimited-distance point counts. Auk 108: 853 - 862. HAARMANN, K. (1971): Zahlung der Wintervogel in einem Wohnviertel Hamburgs 1970/71. Corax 4, Beiheft 1: 72 - 82. HILDEN, O. (1987): Finnish winter bird censuses: long term trends in 1956 - 84. Acta Oecologia-Oecologia Generalis 8: 157 -168. MuLsow, R. (1980): Untersuchungen zur Rolle der Vogel als Bioindikatoren am Beispiel ausgewahlter Vogelgemeinschaf-ten im Raum Hamburg. Hamburger avifaunistische Beitrage 17: 1 - 270. NILSSON, S. G. (1974): Methods of estimating bird population densities during the winter. Ornis Scand. 5: 37 - 46. OELKE, H. (1975a): Bisher angewandte Methoden der Winter-vogelbestandsaufnahmen, ein uberblick. Vogelwelt 96: 66 -75. OELKE, H. (1975b): Empfehlungen ftir Siedlungsdichte-Unter-suchungen sog. schwieriger Arten. Vogelwelt 96: 148 - 158. OELKE, H. (1980): Siedlungsdichte. In: BERTHOLD, P, E. BEZ-ZEL & G. THIELCKE (ed.): Praktische Vogelkunde, 2. Aufl. Kilda Verlag, Greven, pp. 34 - 45. PUCHSTEIN, K. (1980): Zur Vogelwelt der schleswig-holsteini-schen Knicklandschaft mit einer ornitho-okologischen Bewer-tung der Knickstrukturen. Corax 8: 62 - 106. ROBBINS, C. S. (1981): Reappraisal of the winter bird-popula-tion study technique. Studies in Avian Biology 6: 52 - 57. SCHROETER, U. D. (1986): Die Vogelwelt der schleswig-hol-steinischen Knicklandschaft im Winter. Vogelkdl. Tgb. Schles-wig-Holst. 12: 130 - 146. SOKAL, R. R. & F. J. ROHLF (1981): Biometry, 2. Aufl. W. H. Freeman and Company, New York. SVENSSON, S. (1980): Comparison of bird census methods. In: OELKE, H. (ed.): Bird census work and nature conservation. DDA, Gottingen, pp. 13 - 22. TIEDEMANN, R. (1992): Analysis of variance as a statistical me-thod for analysing bird migration patterns. Wader Study Group Bull. 65: 43 - 46. TIEDEMANN, R. (in Vorb.): Siedlungsdichteuntersuchungen in einer Knicklandschaft der schleswig-holsteinischen Geest.

WIEHE, H. (1971): Linientaxierung zur Ermittlung des Winter-vogelbestandes eines Bruchwaldes bei Braunschweig (Winter 1969/70). Vogelwelt 92: 1 - 8.

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