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Feuilleton 28.07.16 / Nr. 174 / Seite 39 / Teil 01 NZZ AG Mögen die Mikroben mit uns sein! Niemand lebt in seinem Körper für sich alleine – und niemand könnte es. Von Bernhard Kegel Im Jahr 2009 wurde in einem filmreifen Coup die Schmuck- und Uhrenabteilung eines Berliner Kaufhauses ausgeraubt, für die deutsche Hauptstadt einer der spektakulärsten Kriminalfälle der jün- geren Vergangenheit. Die mutmass- lichen Täter wurden bald gefasst, ein libanesisches Brüderpaar. Doch obwohl am Tatort ihre DNA nachgewiesen wurde, mussten die beiden wieder frei- gelassen werden, weil die gefundene Erbsubstanz nicht eindeutig einem der beiden Männer zuzuordnen war. Die mutmasslichen Täter sind nicht einfach nur Brüder, sondern eineiige Zwillinge. Heute hätten die Ermittlungsbehör- den ein weiteres Eisen im Feuer. Noch ist sein Einsatz im Zuge forensischer Untersuchungen nicht üblich, aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Denn, obwohl es wie ein Widerspruch in sich klingt, es gibt etwas, was – nach neueren Forschungen – spezifischer für einen Menschen ist als das eigene Genom: sein Mikrobiom. Ein Vielfaches der Körperzellen Biologen verstehen darunter die Ge- samtheit aller Mikroorganismen, die an und in unserem Körper leben. Ihre Zahl, vor allem die der Bakterien, geht in die Billionen und soll Schätzungen gemäss die Zahl unserer Körperzellen um das Zehnfache übertreffen. Wie soll man das verstehen? Wir sind eine Minderheit im eigenen Körper? Wer oder was bin «ich» denn, wenn das, was ich als meinen Körper ansehe, aus mehr fremden als eigenen Zellen besteht? Die Zusammensetzung dieser Kör- permikrobengemeinschaften ist nicht zufällig, sondern spiegelt eine geneti- sche Verwandtschaft. So stehen sich Schimpanse und Mensch diesbezüglich näher als Mensch und Gorilla. Unser Mikrobiom ist unverwechselbar, ent- standen in einem – «Koevolution» ge- nannten – Millionen Jahre andauernden Prozess der wechselseitigen Einfluss- nahme und Anpassung zwischen uns und unseren kleinen Partnern. Es ist so spezifisch, dass sich anhand der auf Computertastaturen hinterlassenen Bakterien noch mindestens zwei Wo- chen nach Berührung mit grosser Sicherheit sagen lässt, wer zuletzt darauf getippt hat. Eineiige Zwillinge sind «nur» genetisch identisch, die Zusam- mensetzung ihrer Körpermikroben un- terscheidet sich erheblich. Mithilfe der von ihnen hinterlassenen Hautbakterien hätte man die Kaufhausräuber vielleicht überführen können. Auch wenn es sich noch nicht herum- gesprochen hat: Wir erleben eine wissen- schaftliche Revolution, die in Biologie und Medizin noch für erhebliche Turbu- lenzen sorgen wird. Die neuen Erkennt- nisse, so ein flammender Appell der Mi- krobiomforscher, «sind ein Aufruf an alle Lebenswissenschafter, ihre Sicht auf die fundamentale Natur der Biosphäre signifikant zu verändern». Denn was für den Menschen und seine Verwandten gilt, findet sich bei allen komplexen Lebensformen, die diesen Planeten be- völkern, ob bei Pflanzen oder Tieren, ob im Wasser oder zu Lande, bei Gross ebenso wie bei Klein. Lebewesen sind keine Individuen im strengen Sinne – sie waren es vermutlich nie –, sondern soge- nannte Metaorganismen oder Holobion- ten, kooperative Gemeinschaften, zu- sammengesetzt aus einem grossen Wirt und vielen winzigen Partnern. Beide, der Wirt und sein Mikrobiom, bilden sozu- sagen eine verschworene Einheit. Kei- ner kann ohne den anderen existieren, ohne selbst in Schwierigkeiten zu ge- raten. Seltsam, dass den Lebenswissen- schaftern die überragende Bedeutung der Kooperation ausgerechnet jetzt auf- geht, da in der Menschenwelt vieles aus- einanderfällt oder auseinanderzufallen droht, was einst zusammengehörte, von Staaten bis hin zu Staatengemeinschaf- ten. Ein Lehrstück? Schon die Initiatoren des von den National Institutes of Health in den Ver- einigten Staaten initiierten und 2012 ab- geschlossenen Human Microbiome Pro- ject wussten: Nur wenn man das Ganze betrachtet und kennt, den Wirt und sein Mikrobiom, kann man einen Organis- mus und seine Lebensäusserungen ver- stehen. Gerade wurde der Nachweis er- bracht, dass der Ausbruch einer be- stimmten Hautkrankheit nicht allein auf den Angriff irgendeines Bakterienböse- wichts zurückgeht, sondern massgeblich von der Zusammensetzung der Hautmi- krobengemeinschaft abhängt. Das ist Wasser auf die Mühlen von Thomas C. G. Bosch, einem Biologen der Kieler Universität, der ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ge- fördertes Projekt über «Ursprung und Funktion von Metaorganismen» ange- stossen hat. «Krankheit ist multiorganis- misch», wird Bosch nicht müde zu be- tonen. Und Gesundheit ist es natürlich auch. Die Vorstellung von einem Indivi- duum, das alles aus sich selbst heraus schafft und regelt, vom Verdauen der Nahrung bis zur Abwehr feindlicher Bakterien, ist ein Mythos. Leben, das ist die zentrale Botschaft der Mikrobiom- forschung, kann man nicht alleine. Ein «dunkles» Reich Was die moderne Mikrobiologie zutage fördert, hat mit der althergebrachten Vorstellung von einer Darm-, Mund- oder Hautflora so viel zu tun, wie die ge- fiederten und bepelzten Bewohner eines Zoos mit der Tierwelt des ganzen Planeten zu tun haben. Um Bakterien zu untersuchen und zu charakterisieren, musste man sie früher kultivieren, also im Labor auf geeigneten Substraten zur Teilung bringen. Die Petrischale mit den darin wachsenden Bakterienkolonien hat es zu ähnlicher Berühmtheit ge- bracht wie das schon sprichwörtliche Reagenzglas. Heute wissen die Forscher, dass auf diese Weise nur ein kleiner, nein winziger Teil des Mikrobenreiches erfasst wurde. 99 Prozent entgingen den Forschern, gewissermassen ein Reich dunkler Zellen, die sich im Labor nicht vermehren können und deshalb unsicht- bar bleiben. Nun spürt man sie auf, an- hand ihrer DNA und mithilfe moderns- ter Technik. Und man findet sie überall, tief im Gestein, hoch in der Stratosphäre und aufs Engste vergesellschaftet mit anderen Lebewesen. Wie diese Mikroben aussehen, wer- den wir vielleicht nie erfahren. Man kennt nur Teile ihrer Erbsubstanz. In der Regel reicht das aber, um mithilfe der stetig wachsenden Genom-Daten- banken ihre verwandtschaftliche Zuge- hörigkeit zu bestimmen und Aussagen über ihre Fähigkeiten und Eigenschaf- ten zu treffen. Wir, die menschlichen Holobionten oder humanen Metaorganismen, be-

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Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

# NZZ AG

BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

Seite 21

Feuilleton 28.07.16 / Nr. 174 / Seite 39 / Teil 01

! NZZ AG

Mögen die Mikroben mituns sein!Niemand lebt in seinem Körper für sich alleine – und niemand könnte es. VonBernhard Kegel

Im Jahr 2009 wurde in einem filmreifenCoup die Schmuck- und Uhrenabteilungeines Berliner Kaufhauses ausgeraubt,für die deutsche Hauptstadt einer derspektakulärsten Kriminalfälle der jün-geren Vergangenheit. Die mutmass-lichen Täter wurden bald gefasst, einlibanesisches Brüderpaar. Doch obwohlam Tatort ihre DNA nachgewiesenwurde, mussten die beiden wieder frei-gelassen werden, weil die gefundeneErbsubstanz nicht eindeutig einem derbeiden Männer zuzuordnen war. Diemutmasslichen Täter sind nicht einfachnur Brüder, sondern eineiige Zwillinge.

Heute hätten die Ermittlungsbehör-den ein weiteres Eisen im Feuer. Nochist sein Einsatz im Zuge forensischerUntersuchungen nicht üblich, aber dasdürfte nur eine Frage der Zeit sein.Denn, obwohl es wie ein Widerspruch insich klingt, es gibt etwas, was – nachneueren Forschungen – spezifischer füreinen Menschen ist als das eigeneGenom: sein Mikrobiom.

Ein Vielfaches der Körperzellen

Biologen verstehen darunter die Ge-samtheit aller Mikroorganismen, die anund in unserem Körper leben. Ihre Zahl,vor allem die der Bakterien, geht in dieBillionen und soll Schätzungen gemässdie Zahl unserer Körperzellen um dasZehnfache übertreffen. Wie soll mandas verstehen? Wir sind eine Minderheitim eigenen Körper? Wer oder was bin«ich» denn, wenn das, was ich als meinenKörper ansehe, aus mehr fremden alseigenen Zellen besteht?

Die Zusammensetzung dieser Kör-permikrobengemeinschaften ist nichtzufällig, sondern spiegelt eine geneti-sche Verwandtschaft. So stehen sichSchimpanse und Mensch diesbezüglichnäher als Mensch und Gorilla. UnserMikrobiom ist unverwechselbar, ent-standen in einem – «Koevolution» ge-nannten – Millionen Jahre andauerndenProzess der wechselseitigen Einfluss-nahme und Anpassung zwischen unsund unseren kleinen Partnern. Es ist sospezifisch, dass sich anhand der aufComputertastaturen hinterlassenenBakterien noch mindestens zwei Wo-chen nach Berührung mit grosser

Sicherheit sagen lässt, wer zuletzt daraufgetippt hat. Eineiige Zwillinge sind«nur» genetisch identisch, die Zusam-mensetzung ihrer Körpermikroben un-terscheidet sich erheblich. Mithilfe dervon ihnen hinterlassenen Hautbakterienhätte man die Kaufhausräuber vielleichtüberführen können.

Auch wenn es sich noch nicht herum-gesprochen hat: Wir erleben eine wissen-schaftliche Revolution, die in Biologieund Medizin noch für erhebliche Turbu-lenzen sorgen wird. Die neuen Erkennt-nisse, so ein flammender Appell der Mi-krobiomforscher, «sind ein Aufruf analle Lebenswissenschafter, ihre Sicht aufdie fundamentale Natur der Biosphäresignifikant zu verändern». Denn was fürden Menschen und seine Verwandtengilt, findet sich bei allen komplexenLebensformen, die diesen Planeten be-völkern, ob bei Pflanzen oder Tieren, obim Wasser oder zu Lande, bei Grossebenso wie bei Klein. Lebewesen sindkeine Individuen im strengen Sinne – siewaren es vermutlich nie –, sondern soge-nannte Metaorganismen oder Holobion-ten, kooperative Gemeinschaften, zu-sammengesetzt aus einem grossen Wirtund vielen winzigen Partnern. Beide, derWirt und sein Mikrobiom, bilden sozu-sagen eine verschworene Einheit. Kei-ner kann ohne den anderen existieren,ohne selbst in Schwierigkeiten zu ge-raten. Seltsam, dass den Lebenswissen-schaftern die überragende Bedeutungder Kooperation ausgerechnet jetzt auf-geht, da in der Menschenwelt vieles aus-einanderfällt oder auseinanderzufallendroht, was einst zusammengehörte, vonStaaten bis hin zu Staatengemeinschaf-ten. Ein Lehrstück?

Schon die Initiatoren des von denNational Institutes of Health in den Ver-einigten Staaten initiierten und 2012 ab-geschlossenen Human Microbiome Pro-ject wussten: Nur wenn man das Ganzebetrachtet und kennt, den Wirt und seinMikrobiom, kann man einen Organis-mus und seine Lebensäusserungen ver-stehen. Gerade wurde der Nachweis er-bracht, dass der Ausbruch einer be-stimmten Hautkrankheit nicht allein aufden Angriff irgendeines Bakterienböse-wichts zurückgeht, sondern massgeblichvon der Zusammensetzung der Hautmi-krobengemeinschaft abhängt.

Das ist Wasser auf die Mühlen vonThomas C. G. Bosch, einem Biologender Kieler Universität, der ein von derDeutschen Forschungsgemeinschaft ge-fördertes Projekt über «Ursprung undFunktion von Metaorganismen» ange-stossen hat. «Krankheit ist multiorganis-misch», wird Bosch nicht müde zu be-tonen. Und Gesundheit ist es natürlichauch. Die Vorstellung von einem Indivi-duum, das alles aus sich selbst herausschafft und regelt, vom Verdauen derNahrung bis zur Abwehr feindlicherBakterien, ist ein Mythos. Leben, das istdie zentrale Botschaft der Mikrobiom-forschung, kann man nicht alleine.

Ein «dunkles» Reich

Was die moderne Mikrobiologie zutagefördert, hat mit der althergebrachtenVorstellung von einer Darm-, Mund-oder Hautflora so viel zu tun, wie die ge-fiederten und bepelzten Bewohnereines Zoos mit der Tierwelt des ganzenPlaneten zu tun haben. Um Bakterien zuuntersuchen und zu charakterisieren,musste man sie früher kultivieren, alsoim Labor auf geeigneten Substraten zurTeilung bringen. Die Petrischale mit dendarin wachsenden Bakterienkolonienhat es zu ähnlicher Berühmtheit ge-bracht wie das schon sprichwörtlicheReagenzglas. Heute wissen die Forscher,dass auf diese Weise nur ein kleiner,nein winziger Teil des Mikrobenreicheserfasst wurde. 99 Prozent entgingen denForschern, gewissermassen ein Reichdunkler Zellen, die sich im Labor nichtvermehren können und deshalb unsicht-bar bleiben. Nun spürt man sie auf, an-hand ihrer DNA und mithilfe moderns-ter Technik. Und man findet sie überall,tief im Gestein, hoch in der Stratosphäreund aufs Engste vergesellschaftet mitanderen Lebewesen.

Wie diese Mikroben aussehen, wer-den wir vielleicht nie erfahren. Mankennt nur Teile ihrer Erbsubstanz. Inder Regel reicht das aber, um mithilfeder stetig wachsenden Genom-Daten-banken ihre verwandtschaftliche Zuge-hörigkeit zu bestimmen und Aussagenüber ihre Fähigkeiten und Eigenschaf-ten zu treffen.

Wir, die menschlichen Holobiontenoder humanen Metaorganismen, be-

Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

# NZZ AG

BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

Seite 21

Feuilleton 28.07.16 / Nr. 174 / Seite 39 / Teil 02

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stehen aus einem der Primatenlinie ent-stammenden Wirt und mindestens zehn-tausend Mikrobenarten, an erster StelleBakterien, aber auch Archaeen, tieri-schen Einzellern und Pilzen – von Virenganz zu schweigen. Die Zahl der insge-samt auf und in Menschen lebenden Mi-krobenspezies dürfte aber noch weithöher liegen, denn zwischen den mikro-biellen Partnern eines Schweizer Berg-bauern und denen eines Batwa-Pyg-mäen aus Rwanda liegen Welten.

Entscheidend ist, dass die richtigenPartner zueinanderfinden. Dafür sorgenin den meisten Fällen die Mütter, ob beiStinkwanzen oder beim Menschen. Wiewichtig der «Mikrobenerwerb» für denmütterlichen Metaorganismus ist, zeigtdie verblüffende Tatsache, dass die dritt-grösste Fraktion der Muttermilch, diesogenannten Humanen Milch-Oligosac-charide, gar nicht für das Baby gedachtsind – es kann diese Stoffe nicht verwer-ten –, sondern für seine wohltätigenDarmbewohner. Können diese den Kör-per in den ersten Lebensmonaten nichtbesiedeln, drohen lebenslange Schäden,gelangen weder die Darmwand nochImmun- und Nervensystem zur Reife.

Interagieren Menschen, bekommenes also ganze Ökosysteme miteinanderzu tun. Während eines leidenschaft-lichen Kusses werden bis zu achtzig Mil-lionen Bakterien ausgetauscht. Zu dau-erhaften Veränderungen der Mundfloraführt das allerdings nur, wenn sehr vielund ausdauernd geküsst wird. Im Zugedes Home Microbiome Project der Uni-versity of Chicago konnten Forscherzeigen, dass es nach einem Umzug nurStunden dauert, bis altes und neuesDomizil mikrobiologisch nicht mehr zuunterscheiden sind. Hat die Tatsache,dass der Metaorganismus, zu dem wir«ich» sagen, eine Weile braucht, umsich an einem Ort heimisch zu fühlen,etwa auch damit zu tun, dass er ihn erstmit seinem Mikrobiom in Besitz neh-men muss?

Betreten Studierende einen Seminar-raum, steigt die Bakterienkonzentrationin der Raumluft in andere Grössen-ordnungen, auch weil die mikrobiologi-sche Altlast aufgewirbelt wird, die sichim Bodenstaub abgelagert hat. Gehülltin eine dichte Wolke unserer Partnerzel-len, wandeln wir durch die Welt undtreffen und durchdringen dabei ver-wandte und fremde Mikrobiomwolken.Es ist ein permanentes Kommen undGehen von Bakterien, unter die sichauch die schwarzen Schafe mischen.Ihre Chancen, einem MetaorganismusSchaden zuzufügen, sind umso geringer,je intakter dessen Mikrobiom und dasImmunsystem sind.

Bakterien, das wissen Mikrobiologenseit langem, können miteinander kom-munizieren. Diese chemische Spracheist uralt und wird, wegen der langen Ko-evolution, auch innerhalb der Metaor-ganismen verstanden. Ein Drittel der

Stoffwechselverbindungen in unseremBlut ist nichtmenschlichen Ursprungs,darunter sind viele Botenstoffe der Kör-permikroben, die sich an ihresgleichenoder an Zellen des Wirtes richten.

Die durch neurobiologische Befundeangeheizte Debatte über den freien Wil-len bekommt durch die Mikrobiom-forschung neue Nahrung, denn es kannkaum ein Zweifel bestehen: Körpermi-kroben können ihren Wirt manipulieren– oder sprechen wir besser neutral vonBeeinflussung. Wenn Sie zum BeispielHeisshunger auf Schokolade entwickeln– wer steckt hinter diesem Wunsch, Sie,der Wirt, oder Teile Ihres Darmmikro-bioms, das sich durch Ihre Ernährungs-gewohnheiten geformt hat?

Ohne Alternative

Die Fragen nach dem Wie, dem Aus-mass und dem Zweck dieser Beeinflus-sung gehören zu den spannendsten, dievon der modernen Mikrobiomfor-schung aufgeworfen werden. Es gibteine schnelle, mehrspurige Datenauto-bahn zwischen Darm und Gehirn, diesogenannte Darm-Gehirn-Achse. Wozudient sie? Unlängst hat eine BerlinerForscherin gezeigt, dass das Gedächtnisvon Mäusen bei Beeinträchtigung ihrerDarmmikroben nachlässt. Fehlen diekleinen Helfer, entstehen im Hippo-campus kaum noch neue Nervenzellen.Bakterien mischen auch kräftig bei dernonverbalen Kommunikation zwischenverschiedenen Metaorganismen mit, seies bei Menschen oder Hyänen. Fürbeide liegen dazu einige faszinierendeStudien vor. Es sind Bakterien, diedurch Fermentation aus primär geruch-losen Körpersekreten wie dem Achsel-schweiss stark riechende Duftstoffeproduzieren.

Vielleicht kommt die Botschaft, dassArbeitsteilung, Kooperation und Part-nerschaft fundamentale Merkmale allerLebewesen sind, gerade recht. Nochsteht die Mikrobiomforschung am An-fang ihrer Entwicklung, eines ist aberschon jetzt klar: Zum Miteinander gibtes keine Alternative. Wir haben allenGrund, die Mikroben, die zu unserermetaorganismischen Existenz gehören,zu schonen und wertzuschätzen. In die-sem Sinne: Mögen unsere Symbiontennoch lange mit uns sein!

Dr. Bernhard Kegel lebt in Berlin und ist Bio-loge und Wissenschaftspublizist. Im vergan-genen Jahr ist sein Buch «Die Herrscher derWelt – Wie Mikroben unser Leben bestim-men» (bei DuMont) erschienen.