festschrift karl jaspers - schweizerische theologische umschau (1953, 62pp)

62
SCHWEIZERISCHE THEOLOGISCHE UMSCHAU KARL JASPERS zum siebzigsten Geburtstag 23. Februar 1953 INHALT Dr. Albert Schweitzer, Lambarene: Die Idee des Reiches Gottes im Verlaufe der Umbildung des eschatologischen Glaubens in den uneschatologischen Prof.Dr. Martin Werner, Bero: Existenzphilosophie und Christentum bei KarI Jaspers Prof. Dr. Fritz Buri, Basel: Zur Grundlegung einer Theologie der Existenz bei Paul Tillich Pd.Dr. Ulrich Neuenschwander, Urtenen: Entmythologisierung als Problem der Sprache BUCHDRUCKEREI B-oCHLER & C, O .• BERN.MARIENSTRASSE 8

Upload: santelmo

Post on 30-Nov-2015

56 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

SCHWEIZERISCHE THEOLOGISCHE UMSCHAU

KARL JASPERS zum siebzigsten Geburtstag

23. Februar 1953

INHALT

Dr. Albert Schweitzer, Lambarene:

Die Idee des Reiches Gottes im Verlaufe

der Umbildung des eschatologischen Glaubens in den uneschatologischen

Prof.Dr. Martin Werner, Bero:

Existenzphilosophie und Christentum bei KarI Jaspers

Prof. Dr. Fritz Buri, Basel:

Zur Grundlegung einer Theologie der Existenz bei Paul Tillich

Pd.Dr. Ulrich Neuenschwander, Urtenen:

Entmythologisierung als Problem

der Sprache

BUCHDRUCKEREI B-oCHLER & C, O .• BERN.MARIENSTRASSE 8

Dieser Nummer Iiegt ein EinzahIungsschein bei, den wir

zur Begleichung des Abonnementes für das Jahr 1953

zu benützen bitten (Schweiz Fr. 10.-, Ausland Fr. 11.- ).

Für die unbezahlt gebliebenen Abonnemente wird mit

Nr.2 Nachnahme, zuzüglich Postspesen, erhoben

Die Herausgabe dieser erweiterten Doppelnummer wurde moglich durch Spenden einer

Anzahl von Freunden der Philosophie KarI Jaspers'

Sie kostet im Einzelverkauf Fr. 2.50

Nr.1/2 23. Jahrgang Februar 1953

Sehweizerisehe

Theolo;;isehe UUlsehan ZweiDlonatsschrift, verlegt VODl Verein zur Herausgabe des .. Schweizerischen ReforDlierten Volksblattes», Bern

Prof. Dr. Fritz Buri, Basel, St.·AIhan-Vorstadt 65, Schriftleiter; Pd. Dr. Ulrich Neuenschwander, Urtenen bei Bern; Pfr. Dr. W. Bremi, Basel; Prof. W. Kasser,

Bern; Prof. Dr. V. Maag, Zürich; Pfr. J. Bõni, Trogen Druck uud Expeditiou: Büchler & Co., Bern

Inhal: Kari J aspers zum 70. Geburtstag. - Dr. Albert Schweitzer, Lambarene: Die Idee des Reiches Gottes im Verlaufe der Umbildung des eschatologischen Glaubens in den uneschatologischen. - Prof. Dr. Martin Werner, Bern: Existenzphilosophie uud Christentum bei Kari Jaspers. - Prof. Dr. Fritz Buri, Basel: Zur Grundlegung einer Theologie der Existenz bei Paul Tillich. - Pd .. Dr. Ulrich Neuenschwander, Urtenen:

Entmythologisierung als Problem der Sprache.

KarI Jaspers ZUIU 70. Geburtstag alU 23. Februar 1953

Verehrter H en Professor!

Ich erinnere mich 'an mehI' als ein Gesprãch mit Ihnen, in welchem Sie in der Ihnen eigenen Weise erklãrten: «Es scheint miI', daB wir koinzidie­ren», oder auch an jene ÃuBerung in einem grõBeren Kreise, daB die libe­rale Theologie nach Ihrer Ansicht heute eine Chance haben kõnnte. Ich bin miI' freilich auch der Punkte bewuBt, in welchen sich unsere Ansichten nicht decken, und weiB um die Bedenken, welche Sie gegenüber unsercr Christentumsauffassung haben. Auch in den in diesem Heft zusammenge­stellten Beitrãgen h'eten solche Divergenzpunkte in Erscheinung, und zu l11anchel11, was hier vertreten wird, werden Sie wohl Ihre Fragezeichen machen l11üssen. Und doch drãngt es uns, Ihnen zu Ihrem 70. Geburtstag diese Numl11er unserer Zeitschrift zu widl11en als einen bescheidenen Beweis unserer Verbundenheit mit Ihrel11 Denken und Schaffen.

,""ie wenige andere Pi1ilosophen unserer Zeit. haben Sie sich il11mer wieder mit den Erscheinungen und Fragen der Religion, des Christentums, der Kirche und des Glaubens befaBt, und zwar in einer Weise, die gerade uns von der «Theologischen Umschau» hat aufhorchen lassen. Wir haben bei Ihnen Anliegen, Verstãndnis und Klãrung christlicher Theologie in einer Art gefunden, wie man sie in der heutigen Theologie weithin vermiBt. Darum haben wir bei Ihnen über allen' mõglichen Einwãnden und noch offenen Fragen auch dankbar gelernt und mõchten Ihnen mit dieserVlTidmung Ullsern Dank bezeugen.

Mit Ihrem seinerzeit in der « Umschau» verõffentlichten Aufsatz über « Freiheit und Autoritãh haben Sie einen wichtigen Beitrag zu der Diskus­~i()ll dieses Problems am letztjãhrigen KongreB des W' eltbundes filr freies Christentum in Oxford ,geliefert. Und nun freuen wir uns darauf, daB Sie

t.

an der am 27. April in Basel stattfindenden Tagung der schweizerischen freigesinnten Theologen zu uns über das Thema «W ahrheit und Unheil der Entmythologisierung» sprechen werden. Wir sind überzeugt, daB. gerade Sie nns zu diesem aktuellen Problem Wesentliches zu sagen haben. Darüber hinaus aber hoffen wir, daB es Ihnen weiterhin vergõnnt sei, imSinne jenes «lleiches des Geistes» zu wirken, dessen Idee uns mit derjenigen des Reiches Gottes, wie wir sie meinen verstehen zu sollen, in weitem MaBe zu koin­zidieren scheint. Fritz Buri

Die Idee des Reiches Gottes ini. Verlaufe der UDJ.bildung- des eschatolog-ischen

Glaubens in den uneschatolog-ischen l

Der christliche Glaube ist an der Katastrophe, die das Unerfiilltbldben des sich auf die Verkündigung Jesu gründenden urchristlichen Hoffem auf das baldige Kommen des Reiches Gottes für ihn bedeutete, nicht zugrunde gegangen, sondern ist mit ihr fertig geworden.

Welche Umgestaltung erfuhr er dadurch, daB er sich darein ergeben muBte, ohne die ursprüngliche Erwartung des Reiches Gottes weiterzu­bestehen?

Obwohl das eschatologische Problem seit mehr denn einem Menschen­alter zur Diskussion steht, zog man, bis in die jüngste Zeit, als Faktoren der Ausgestaltung und Umgestaltung des christlichen Glaubens in der Hauptsache nur das dreifache Bedürfnis in Betracht: ihn überhaupt als ein einheitliches Ganzes festzulegen; den im 2. Jahrhundert aufkommen­den Gnostizismus abzuwehren und der griechisch-metaphysischen Denk­weise Rechnung zu tragen. Diese Faktoren reichen zur Erklãrung des Vor­gangs aber nicht aus. Viel stãrker, als man annehmen wollte, wirkt sich noch ein vierter aus: die notwendig gewordene Preisgabe des ursprüng­lichen Hoffens auf das baldige Kommen des Reiches Gottes. Erst die 1941 erschienene Dogmengeschichte von Martin "T erner (<< Die Entstehung des christlichen Dogmas», Verlag Paul Haupt, Bern) unternimmt es, der Aus­wirkung dieses Faktors im einzelnen nachzugehen.

Schon der Apostel Paulus hat sich mit dem Problem des Ausbleibens des Reiches Gottes zu beschãftigen gehabt. Es kann ihm aber nichts an­haben. Er ist der Ansicht, daB es sich nur um eine kurze Verzõgerung handeln kõnne. Diese lãBt ihn an seiner Überzeugung, daB das Kommen des Reiches Gottes auf Grund von Jesu Hingabe in den Tod u~d alsbald auf diesen erfolgen solle, nicht irrewerden. Er findet ei ne Erklãrung, die ihm bei ihr zu verbleiben erlanbt. Dieser zufolge ist das Reich Gottes mit Jesu Tod und Auferstehung tatsãchlich gekommen und schon vorhanden, liur daB es noch nicht offenbar geworden ist. Von jenem Zeitpunkt an ist die Verwandlung der natürlichen Welt in die übernatiirliche des Reiches Gottes im Gang. Durch die mystische Gemeinschaft mit dem gestorbenen und auf-

1 Eine englische Übersetzung des hiererstmalig verõffentlichten Textes erschien als Nachwort des Buches von E. N. Mozley, «The Theology of Albert Schweitzep. 1950.

2

erstandenen Jesus Christus befinden sich die GHiubigen mit ihm bereits in der übernatürlichen Daseinsweise des Reiches Gottes. Sie sind bereits Auf­erstandene, nur daB sie noch das Aussehen natürlicher Menschen an sich haben.

Diese Vorstellung einer im Gang hefindlichen Verwandlung der nalÜr· lichen WeH in die übernatürliche des Reiches Gottes, deren Vollendullg einíge Zeit in Anspruch" nehmen kann, erlaubt es Pa1tlns, zwischen c1em Gekommensein des Reiches und seinel1l Offenbarwerden zu unterscheiden. Das Reich" Gottes einfach als etwas Zukünftiges zu erwarten, wie es die Gliiuhigen des Urchristentums gel1leinhin tun, sieht er als Mangel wahrer Erkenntnis an. Seine ganze Theologie beruht auf der Vordatierung des Gekommenseins des Reiches, die er vornimmt. Er hiilt sich daran, daB Jesus in Aussicht gestellt hat, daB das Reich auf Grund seines Totles in seiner Auferstehung alsbald anbrechen werde.

Bei dem grõBten Denker des Urchristentums tritt also die Vorstellung eines sich entwickelnden Reiches neben çler des rein erwarteten auf und wiU sie verdriingen. Sie kann sich aber nicht durchsetzen, weil sie die hald hinfiillig werdende Annahme zur Voraussetzung hat, daB es sichnur urn eine kleine Verzõgerung des Offenharwerdens des Reiches handelt. Gegen Paulus behiilt die Gesamtheit der Gliiuhigen der. iiltesten Kirche recht, für die durch Jesu Tod und Auferstehung einfach nur die Voraussetzung des Kommens des Reiches geschaffenwird, das sie in einer unbestimmten Zu­kunft zu erwarten sich hescheiden miissen.

Von der zweiten Generation an ist das Anbrechen des Reich~s für die Gliiubigen zu einem in die Ferne entriickten Ereignis geworden. In den spiiteren wird die Ferne zur unendlichen Ferne.

Dadurch, daB mit der Zeit an die Stelle der Naherwa,rtung des Reiches Gottes die Fernerwartung tritt, wird dieBedeutung, die es für den Glauben hat, betroffen. Es kann ihm nicht mehI' dasselbe sein wie bisher. In der Naherwartung stand es im Mittelpunkt des Glaubens. Es beherrschte und belebte ihn. Nun tritt es ·in den Hintergrund. Statt wie bisher der Inbegriff des Glaubens zu sein, wird es zu einer Glaubensüberzeugung neben anderen.

In der Naherwartung hatte das Reich schon eine Bedeutung für die Gegenwart. Es ragte in sie hinein. Der Gliiubige erwartete eine Erlõsung, luaft welcher ihm, zusammen mit der Vielheit der Mitgliiubigen, zuteil werden sollte, alsbald in einer nicht mehI' der Vergiinglichkeit und dem Bõsen unterworfenen Welt zu leben. In dieser Erwartung fühlte er sich schon dieser \Velt enthoben. 'Vo nun aber das Reich in weiter Ferne steht, hat es für ihn diese Gegenwartsbedeutung nicht mehI'. Er weiB sich dazu verurteilt, sein ganzes Dasein in der il1l alten Zustande verharrenden Welt zu verbringen.

In der Fernerwartung nimmt die \Veltverneinung des Christentums einen ganz anderen Charakter an als in der Naherwartung. In dieser waI' sie eigentlich gegenstandslos. Die Welt des Reiches Gottes, im Hinblick auf welche man die bisherige verneinte, waI' ja so gut wie schon vorhanden. In der Fernerwartung aber verbringt der Mensch sein Dasein von Anfang his zu Ende in Verneinung dieser 'Velt zu, ohne erwarten zu dürfen, das An­brechen der künftigen zu erleben. Er darf für die WeH und die Menschheit nichts mehI' erhoffen. Hoffnungslosigkeit, was die Gegenwart angeht, und

3

Glaube an ein Kommen des Reiehes Gottes am Ende der Zeiten gehen in ihm nebeneinander einher.

Auch die Tatsache, daB das Reich rein Gegenstand der Erwartung ist, wirkt sich in der Fernerwartung verhiingnisvoll aus. Wo das Reich alsbald da sein sollte, war es ohne Belang, daB es aIs von selbst kommend erwartet wurde. Wo aber das Reich ganz in die Ferne gerückt ist und es sich um ein dauerndes Verharren in der reinen Erwartung handelt, wird das Unnatür­liche des durch die Vorstellung von dem ganz von selbst kommenden Reiche den Gliiubigen auferlegten Verhaltens offenbar. Sowohl durch die Welt­verneinung als auch durch die Vorstellllng des von selbst kommenden Reiches sind sie dazu verurteilt, nichts für die Bessergestaltung der Gegen­wart llnternehmen zu sollen.

Weil das Christentum in dieser Bahn gehen muB, kann es der grie­chisch-rõmischen Welt, in der es auftritt, nicht sein, was es ihr hiitte sein sollen. Die ethischen Energien, die es in sich triigt, kõnnen nicht zu regene­rierenden Kriiften für das Weltreich und seine Võlker werden. Es siegt über das Heidentum: Es wird Staatsreligion. Aber seiner Art nach muB es das \Veltreich seinem Schicksal überlassen. Diese Welt ist nicht Teig, der Sauerteig werden kann.

Auch die Vorstellung·. der Erlõsung wird durch den Wandel der Nah­erwartung in die Fernerwartung betroffen. In der Naherwartung war sie durch die Idee des Reiches Gottes beherrscht. Sie war ein Gut, dessen die Gliiubigen miteinander in einer von ihnen erlebten Neuschaffllng der Welt teilhaftig werden sollten. Nun wird aus dem, was ein kollektives Erlebnis sein sollte, ein durchaus individuelles. AIs Einzelne sind jetzt die Gliiubigen mit ihrerErlõsung beschiiftigt. Sie sorgen sich nicht um die Zukunft der Menschheit und der Welt. Ihre Frõmmigkeit hat durch das in ihr vor­handene Naiv-Egoistische, etwas Unnatürliches und Kaltes an sich.

Durch die Fernerwartung wird das Christentum zu einer Religion, die die Freudigkeit, wie sie bei Paulus und im Urchristentum vorhanden ist, nicht mehr kennt. Es begann seinen 'Veg in der sonnigen Helligkeit der enthusiastischen Erwartung des Reiches Gottes; es muB ihn in dem frosti­gen Diister der Fernerwartung fortsetzen.

DaB in der Fernerwartung die Idee des Reiches Gottes nicht mehr im Mittelpunkt, sondern im Hintergrund des Glaubens steht,' bedeutet eine weitgehende Verarmung derselben.

Dad.urch, daB die Fernerwartung an die Stelle der Naherwartung tritt, wird eine dieser Tatsache Rechnung tragende Ausgestaltung und Umgestal­tung des Glaubens nõtig. Im Urchristentum erwartete der Gliiubige, durch alsbaldiges Teilhaben an dem durch Jesu Tod und Auferstehung herbei­geführten Reich in Besitz der Seligkeit der Erlõsung zu kommen. Wo aber das Reich und damit der Besitz der Seligkeit der Erlõsung erst für das Ende der Zeiten erwartet wird, werden an den Glauben Anforderungen gestellt, denen die bisherige Lehre von der Erlõsung nicht mehr geniigen kann. Der Gliiubige muB als Ersatz fiir die nun hinfiillig gewordene GewiBheit der ulsbaldigen Erlangung der Seligkeit der Erlõsung die GewiBheit besitzen kõnnen, eine in Jesu Tod und Auferstehung fest begründete, ihm verliehene Anwartschaft auf die am Ende der Zeiten mit dem Anbrechen des Reiches

4

Gottes zu erlangende Seligkeit zu besitzen. In der urchristlichen Vorstellung sind die Erlõsung und die Seligkeit begrifflich und zeitlich eine Einheit. In der Spaterwartung sind sie zeitlich und sachlich etwas für sich. An die Stelle der Seligkeit als solcher tritt die Seligkeit der GewiBheit der Anwart­schaft auf die Erlõsung. Diese gibt dem Glaubigen die Kraft, sein Dasein in dieser Welt durchzuhalten.

In der durch die Fernerwartung notwendig gewordenen \Yeiterbildung der Erlõsungslehre muB also eine umfassende Ausdeutung des Todes und der Auferstehung Jesu stattfinden, aus der ersichtlich wird, in welcher \Yeise der i:aaubige durch sie die Gewahr der Erlangung der einstigen Selig­keit besitzt. Der Glaube empfindet die Nõtigung, in dieser Hinsicht be­greifend zu werden. Alles, was die christliche Theologie in den ersten Jahrhunderten unternimmt, ist solche weitergehende, von dem Glauben geforderte Ausdeutung des Todes und der Auferstehung Jesu.

Die GewiBheit des Teilhabens an der einst kommenden Seligkeit kann naturgemaB nur in der GewiBheit der bereits in. diesem Dasein erlangten Auferstehungsfahigkeit und der GewiBheit der bereits in diesem Dasein besessenen SÜJ:ldenvergebung bestehen. Auferstehung und Bestehen im kommenden Gericht auf Grund der bereits erlangten Sündenvergebung sin d die Voraussetzungen des einstigen Eingehens in das Reich Gottes und seine Seligkeit.

Das spatere Christentum wird aus der Religion des Glaubens an das Reich Gottes die des Glaubens an die Auferstehung und die Sündenver­gebung. Aus dem lebendigen Glauben an das Reich Gottes wird ein un­lebendiger.

Für die griechische Theologie steht die Frage der Erlangung· der GewiBheit der Auferstehungsfahigkeit im Vordergrund, für die abend­landische die der Erlangung der GewiBheit der Sündenvergebung.

Beiden ist das Unternehmen dadurch erleichtert, daB sie in Paulus in gewisser Hinsicht einen Vorganger haben. Er hat sich als erster mit dem Problem des realen Besitzes der Erlõsung schon vor dem Offenbarwerden des Reiches Gottes beschaftigt und es auf seine \Veise gelõst. Die Spateren kõnnen seine Lõsung nicht einfach übernehmen. Seine Mystik des Seins in Christo und des dadurch erlangten Besitzes des ewigen Lebens und der Sündenvergebung setzt noch glühende eschatologische Erwartung voraus, die bei ihnen nichl mehr vorhánden ist. Aber Pauli Theologie ist doch ei ne groBartige Vorarbeit, der sie geeignetes Material für ihren inanderem Stil aufzuführenden Bau entnehmen kõnnen.

Von den bedeutendsten Schõpfern der griechischen Theologie kennen wir aus Werken, die uns von ihnen erhalten sind: Ignatius, Bischof von Antiochien, der im 2. Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts den Martyrertod in Rom erleidet, Justinus Martyr, in Paliistina geboren, dem 165, ebenfalls in Rom, dasselbe Schicksal zuteil wird, und Irenaus aus Kleinasien, der 178 Bischof von Lyon wird.

Ihre Lehre hat zur Voraussetzung die von Paulus geschaffene An­schauung von der Auferstehungskraft, die durch den Geist der Kõrperlich­keit Jesu und der der Glaubigen verliehen wird. Sie machen sie sich zu eigen, indem sie sie ausbilden und umbilden. Die Umbildung besteht darin,

5

daB sie dieses nach dem Tode und der Auferstehung Jesu stattfindende Wirken des Geistes, das nach Paulus in der Ara der schon im Gange befind­lichen Verwandlung der natürlichen \\T elt in die übernatürliche des Reiches Gottes statthat, in der Zeit der noch võllig und auf lange bestehendei1 natürlichen Welt vor sich gehen lassen.

DaB die griechische Theologie so ohne weiteres als etwas Selbstver­stãndliches behaupten kann, daB der Geist den Leib àuf das dereinstige Auferstehen vorbereitet (was in der urchristlichen Lehre vom Geist in kei­ner Weise vorbereitet ist), ist nur mõglich, weil es in den Briefen Pallli vorgetragen und damit als urchristlich und apostolisch legitimiert ist. Durch Pauli souverãne Ausgestaltung der jüdisch-eschatologischen Lehre vom Wirken des Geistes wird der christliche Glaube etwas, das das grie­chisch-religiõse Denken sich aneignen kann. Aus der eschatologischen Mystik des Seins in Christo wird bei Ignatius, Justin und Irenãus eine griechische.

Der Grundgedanke der griechischen Theologie ist, daB in Jesus der Geist mit der inenschlichen, fleischlichen Leiblichkeit erstmalig Verbin­dung eingegangen ist. Dadurch hat er die Fãhigkeit erlangt, auf sie zu wirken. Nachdem Jesus·durch Tod und Auferstehung aus der "Velt geschie­den ist, ist der Geist weiter in ihr vorhanden, um sich in der nunmehr erlangten Fãhigkeit an den Menschen zu betãtigen. Er ist das ne ue Lebens­prinzip, das sie eine geistliche und kõrperliche ·Wiedergeburt erleben lãBt, welche sie zu dem dereinstigen Eingehen in das Reich Gottes befãhigt. Der Zustand, der bei Paulus Auswirkung des beréits erfolgten Auferstanden­seins mit Christo ist, wird durch die griechische Theologie als Wiedergeburt durch den Geist aufgefaBt. Die Theorie des Gestorben- und Auferstanden­seins mit Christo ist für sie versunken. Aber das, was sich für Paulus aus ihr ergeben hat, machen sie sich zu eigen, es einzig aus der "Tirkung des Geistes begründend.

Wie Paulus behaupten auch die Schõpfer der griechischen Theologie, daB die Glãubigen auf Grund von .Jesu Tod und Auferstehung in Verwand­lung begriffen sind. Nur findet diese Verwandlung bei ihnen nicht, wie bei Paulus, in dem schon als vorhanden angenommenen Reich Gottes statt, son­dern im Hinblick auf dieses hin.

Den Schõpfern der griechischen Theologie zufolge leben die Glãubigen bis zum Anbruch des Reiches Gottes nicht mehr in der Welt, sondern im Zwischenreich des Geistes. Dieser in ihrer Art groBartigen Lehre von der Weltenthobenheit durch den Geist haben Ignatius und .Justin das Siegel ihres Martyriums aufgedrückt.

Die vornehmlich mit der Lehre der Sündenvergebung beschãftigte abendlãndische Theologie steht vor der Aufgabe, den Tod Jesu in der "Teise auszudeuten, daB in ihm ei ne kontinuierliche, sich stets erneuernde, dem Menschen für alle Verfehlungen, die er sich in seinem Leben zuschulden kommen lãBt, erwerbbare Sündenvergebung gegeben ist. Nur so kõnnen die Glãubigen, die nicht mehr in der Naherwartung, sondern in der Fern­erwartung des Reiches leben und also ihr ganzes Dasein in einer \Velt zu verbringen haben, in der sie sich stãndig in Versuchung zum Schuldig­werden befinden, die GewiBheit der bereits erlangten Erlõsung besitzen.

6

Diese Vorstellung der Wirkung des Sühnetodes Jesu ist weder bei ihm seIber noeh bei PauIus zu finden.

In seiner Verkündigung setzt Jesus voraus, daB Gott in seirier Barm­herzigkeit denen, die wahrhaft BuBe tun, Sündenvergebung gewãhrt. Im Vaterunser wird diese no eh davon abhãngig gemaeht, daB der Glãubige allen seinen SehuIdigern vergeben hat.

In zwei Aussprüehen aus der spãteren Zeit seiner vVirksamkeit redet Jesus von einer sühnenden Bedeutung seines Todes.

« Des Mensehen Sohn ist nieht gekommen, sieh dienen zu Iassen, son­dern zu dienen und sein Leben zu geben als ein LõsegeId für vieIe.» (Me. 10, 45.) - «Dies ist mein BundesbIut, das vergossen wird für vieIe.» (Me. 14, 24.) Bei Matthãus (26, 28) Iautet dieses beim Abendmahl gesproehene Wort: «Dies ist mein BundesbIut, das vergossen 'wird für vieIe zur Vergebung der Sünden.»

Die Vorstellung einer sühnenden Bedeutung seines Todes hebt bei Jesus die des direkten FlieBens der Sündenvergebung aus der Barmherzig­keit Gottes nieht auf, sondern tritt als etwas .Besonderes zu ihr hinzll,. Jesus sieht die Bedeutung der von ihm geIeisteten Sühne nieht darin, daB sie es Gott erst ermõglieht, den GIãubigen ihre Sünden zu vergeben, sondern nur darin, daB Gott ihnen die BuBe, die sie in der vormessianisehen Drangsal dafür zu.Ieisten gehabt hãtten, erIãBt, daB er der Maeht des Bõsen, ohne daB die Glãubigen seinem Ietzten Wüten ausgeIiefert werden, ein Ende maeht und das Reieh Gottes ohne dieses grausige Vorspiel aIsbaId anbreehen lãJ;lt.

Er übernimmt das Todesleiden, damit die Bitte des Vaterunsers «Und führe uns nieht in Versuehung, sondern erlõse uns von dem Bõsen» in Erfüllung geht. Mit der Versuehung (Peirasmos) ist die vormessianisehe Drangsal gemeint, die der spãtjüdisehen Esehatologie zufolge vor dem Kommen des Reiehes statthaben sollte. Um Jesu Reden und HandeIn zu verstehen, muB man sieh davon Reehensehaft geben, wie sehr er mit die­sem in der Esehatologie vorgesehenen furehtbaren Ereignis besehãftigt ist.

J esus beIehrt die GIãubigen nieht über die Sühnebedeutung seines Todes. Er mutet ihnen keine Vorstellung derseIben undkeinen GIauben an sie zu. Sie bIeibt sein Geheimnis. Er gibt sieh den Glãubigen ja aueh nieht aIs der kommende Messias zu erkennen und verlangt kein dementspreehen­des Glauben an ihn. Es genügt, daB sie an das Kommen des Reiehes GoUes glauben und sieh dureh BuBe und die von ihm verkündete hõhere Sittlieh­keit bereiten, in es einzugehen. Wer er ist und was er fürsie getan hlj.t, werden sie erleben und erkennen, wenn das Reich da sein wird und sie in es eingehen werden, ohne durch die vormessianisehe Drangsal hindurc.h­gegangen zu sein.

Bei Jesus hat sein SühneIeiden eine durehaus in der Esehatologie be­gründete Bedeutung. Es setzt ein in ihr vorgesehenes Ereignis auBer Kraft. Die vieIen, denen dies zugute kommen soll, sind die GIãubigen, die mit ihm das Kommen des Reiches erwarten, nicht die Menschheit überhaupt. Jesus bliekt ja nieht auf kommende Generationen aus, sondern erwartet mit GIãubigen, die er aIs der Ietzten Generation von Mensehen zugehõrig an­sieht, das nahe Ende dieser WeH.

Inwieweit die Jünger und die ersten Christen mit dem ProbIem der

7

vormessianischen Drangsal beschãftigt waren und inwieweit sie ein Be­wuLltsein davon hatten, daLl. der Sühnetod Jesu ihnen eine in dieser Drang­saI zu leistende Sühne abnehmen so11te, wissen wir nicht. Nach Jesu Tod hefinden sie sich in einer Situation, in der die vormessianische Drangsal nicht mehI' in Betracht kommt.

Die Jünger wissen, auf Grund der Mitteilungen und Andeutungen, die ihnen Jesu gemacht hat, daLl er der Messias-Menschensohn ist, der dem­nãchst in seiner Herrlichkeit offenbal't werden sol1, und daLl sein Tod eine mit der den Glãubigen zuteil werdenden Sündenvergebung im Zusammen­hang stehende Sühne ist und das Kommen des Reiches herauffühl't.

Da sie über keine prãzise Lehre von dieser Sühne verfügen, geben die Apostel und ersten Glãubigen ihr die nãchst1iegende und einfachste Bedeu­tung, daLl ihnen Jesus durch seinen Tod Sündenvel'gebung erworben hat, auf Grund welcher sie in dem beim Anbl'echen des Reiches Gottes statt­habenden Gericht bestehen wel'den.

So findet gleich zu Anfang des Christentums eine Umdeutung des Sühnetodes Jesu statt. An die Ste11e del' ursprii.nglichen Vorstel1ung Jesu tritt die,daLl sein Sühnetod überhaupt die Voraussetzung fül' die von Gott zu gewãhrende Sündenvergebung sei.

Damit ist ein Problem geschaffen, für das es keine Lõsung gibt. Wie sol1 vorste11bar sein, daLl Gott nur auf Grund des Todes Jesu Sii.nden ver­gibt? Wie ist damit zu vereinen, daLl Jesus im Vaterunser um Sünden­vergebung bitten heiLlt, als würde sie einzig durch Gottes Barmhel'zigkeit denen zuteil, die selbel' ihren Schuldigern vergeben?

Es dauerte Jahrhunderte, bis man diesem Problem ins Auge zu blicken wagte. Der erste, der es wirklich tat, ist der Scholastikel' Anselm von Canter­bury (1033-1109) in seinel' berühmten Schl'ift «Cul'. Deus homo» (Warum muBte Gott Mensch werden?).

Ànselm zufolge ist dul'ch das Sii.ndigen der Menschheit Gottes Ehre verletzt. Er hãlt dafii.r, daLl er ohne geleistete Genugtuung nicht vergeben sol1. Die sündigen Menschen sind zu der erforderten Genugtuung nicht fãhig. In seiner Liebe aber will Gott vergeben. Nur ein menschliches \Vesen, das zugleich Gott und damit vol1kommen und sündlos ist, kanu ihm aus­reichende Genugtuung geben. Darum kam J esus in die "Velt und leistete sie durch seinen freiwillig erlittenen Tod. So ermõglicht er es Gott, Gerech­tigkeiÍ: únd Liebe zugleich walten zu lassen.

Al1e, die sich in der Folgezeit mit dem Problem zu beschãftigen wagen, wandeln in den Spul'en dieser in jeder Hinsicht unbefriedigenden El'­klãrung.

Es muLl also denen, die es mit ihrer Vol'stel1ung von Gott nicht ver­einen kõnnen, daLl er eines Opfers bedul'fte, um Sii.nden vergeben zu kõnnen, unbenommen bleiben, Sündenvergebung alIein aus seinel' Barmherzigkeit zu erwarten und als die durch Jesus geschaffene Erlõsung die zu erleben, daLl er uns den Geist Gottes gebracht hat, durch den wir aus dieser Welt herausgehoben und zu Gott geführt werden.

Für Paulus besteht die Grundbedeutung des Todes Jesu dari n, daLl er damit der Herrschaft der bõsen \\TeItmãchte ein Ende gesetzt hat und den dann inseiner Auferstehung offenbar werdenden ProzeLl der Verwandlung der irdischen WeIt in die überirdische in Gang gebracht hat. Sie stimmt

8

also durehaus mit der Vorstellung iiberein, die Jesus selber von der Wir­kung seiner Hingabé in den Tod hatte.

Dem einfaehen urehristliehen Glauben an Sündenvergebung gibt Pau­lus Ausdruek, wenn er sagt, daB Gott auf Grund der von Jesus geleisteten Sühne die zuvor gesehehenen Sünden iibersieht (Rõm.3, 25), sie nieht anreehnet (2. Kor. 5, 19) und daB Jesus die Glãubigen von dem zukünf­tigen Zorn errettet (1. Thess. 1, 10; Rõm. 5, 9).

Er bleibt aber nieht bei dieser Vorstellung stehen, daB das Reieh auf Grund des Todes Jesu kommen wird und daB die Glãubigen, dtireh die Sühnebedeutung desselben, im kommenden Gerieht Vergebung finden. Auf Grund seiner Theorie, daB die Verwandlung det natürliehen Welt in die übernatürliehe bereits im Gange ist und si eh in den Glãubigen als ein Gestorben- und Auferstandensein mit Christo auswirkt, steht ihm fest, daB sie bereits frei von allen Sünden sind. Im Rõmerbrief sprieht er diese Überzeugung in den Sãtzen aus: «Wir sind der Sünde abgestorben» (Rõm.6, 2), .Wer gestorben ist, der ist losgesproehen von der Sünde» (Rõm. 6,6--:-7), «Ihr seid nieht mehr im Fleisehe, sondern im Geiste» (Rõm. 8,9).

Vom Todé Jesu an kõnnen die Glãubigen, Pauli Lehre zufolge, die GewiBheit haben, einer realen, totalen Sündenvergebung teilhaftig zu sein, kraft weleher die Sünde für sie nieht mehr in Betraeht kommt.

In der Polemik gegen das noch in jüdisehen Ansehauungen von dem Erwerb der Gereehtigkeit dureh Übernahme der Besehneidung und Halten des Gesetzes befangene Christentum sehafft Paulus, dann die Vorstellung des Gereehtgewordenseins allein dureh den Glanben an Jesus Christus. In der berühmten Stelle im Rõmerbrief drüekt er sie in den \Vorten aus: «Nun aber ist Gottes Gereehtigkeit ohne Gesetz offenbar geworden ... nãmlieh Gottes Gereehtigkeit dureh den Glauben an Jesum Christum ... Sie werden gereeht gesproehen einzig dureh seine Gnade auf Grund der Erlõsung in Jesus Christus.» (Rõm. 3, 21-24.)

Diese weit über die urehristliehe hinausgehende GewiBheit des sehon realen Besitzes des Erlõstseins gründet sieh für Paulus auf seine Überzeu­gung, daB die Glãubigen si eh dureh ihr Gestorben- und Auferstandensein mit Jesus, das sie auf Grund ihrer Zugehõrigkeit zu ihm (dureh den Glauben an ihn und die Kraft seines Todes) erlebt haben, sehon im Auferstehungs­zustand befinden. Sie sind sehon im Reiche Gottes. Also 4aben sie die Gereehtigkeit, die zum Eingehen in es befãhigt, überhaupt nieht mehr zu erwerben. Sie müssen sie sehon allein dureh den Glauben an Jesus besessen haben, anders kõnnten sie sieh nieht im Auferstehungszustand befinden,. dureh den erwiesen ist, daB sie des Reiehes Gottes bereits teilhaftig sind ..

Paulus stellt nicht eine Lehre von der kontinuierliehen Sündenver­gebung, sondern die der võlligen Sündenvergebung auf. Ein Fortsündigen naeh dem Glãubiggewordensein wird von ihm nieht in Betraeht gezogen. Aber seine Ansehauung von dem Gereehtgewordensein allein dureh den Glauben ist für das spãtere Aufkommen der Lehre von der kontinuiel'­liehen Sündenvergebung und für ihre Ausbildung von fundamentaler Bedeutung.

Herausgelõst ausihrem Zusammenhang mit der Esehatologie und .der esehatologisehen Mystik des Gestorben- und Auferstandenseins mit Christo,. wird sie zur Lehre von der kontinuierliehen Sündenvergebung.

Der Fall, daB nach Jesu Tod noch weiter Menschengenerationen ins Dasein treten werden, ist im urchristlichen Glauben nicht vorgesehen. Er tritt aber dennoch ein. Die Lehre vom Sühnetod Jesu mu[;l also dahin erweitert werden, daB auf Grund desselben alle Menschen, die hinfort noch geboren werden, Sündenvergebung erlangen, wenn sie glaubig werden.

Die den Menschen aller Zeiten zuteil werdende Sündenvergebung muB als kontinuierlich vorgestellt werden.

Für das Urchristentum kommt eine solche Sündenvergebung noch nicht in Betracht. Das Reich wird als unmittelbar bevorstehend erwartet. Die Glaubigen bedürfen nur der Vergebung für die vor ihrer Bekehrung begangenen Sünden. Diese ist ihnen, der urchristlichen Anschauung zufolge, durch den Tod Jesu erworben und wird ihnen in der Taufe zuteil. Es wird vorausgesetzt, daB sie für die kurze Zeit bis zum Anbrechen des Reiches in dem Zustande der so erlangten Sündlosigkeit verharren. Darum kennt das Urchristentum, und mit ihm Paulus, nur eine einmalige Sündenvergebung. Auf Grund der von Jesus geleisteten Sühne übersieht Gott, nach Rõm. 3, 25, «die zuvor geschehenen Sünden».

W o dann aber Sündenvergebung Menschen zuteil werden soll, die ihr ganzes Dasein in der natürlichen sündigen "Velt zu verbringen haben, weil das Kommen des Reiches Gottes in weite Ferne gerückt ist, muB der GlaJtbe die GewiBheit haben, daB dem Glaubigen fortgesetzt sich stets erneuernde Sündenvergebung für alle Verfehlungen, die er sich im Laufe seines Lebens zuschulden kommen laBt, zuteil werden kann.

Der Ausbildung dieser Lehre von der Sündenvergebung steht aber die groBe Schwierigkeit entgegen, daB die Kirche der Taufe keine andere Be­deutung zuerkennen kann als die, die sie von Anfang an hatte: Vergebung für die vor ihr begangenen Sünden zu verleihen. Sie ist als Handlung in der Art festgelegt, daB sie keine Umbildung erfahren kann. Sie bleibt, was sie war, auch in der veranderten Situation der Spaterwartung.

Damit stellt sich das Problem, ob die nach der Taufe begangenen Sünden überhaupt vergebbar sind, und, wenn dies der Fall ist, auf welche Weise.

Eine strenge Richtung in der alteren Zeit verneint die Vergebbarkeit. Ihr gehõrt der Verfasser des etwa zwischen 70 und 80 entstandenen Hebrãerbriefes an. «Es ist unmõglich», schreibt er, «diejenigen, welche einmal erleuchtet ... und des Heiligen Geistes teilhaftig wurden und das gute Gotteswort und die Krafte der zukünftigen WeH gekostet haben und dann abgefallen sind, wiederum zu erneuern zur BuBe, da sie sich den Sohn Gottes wieder kreuzigen und zum Gespõtt machen.» (Hebr. 6,4-6.)

Die Mõglichkeit, durch eine zweite BuBe (nach derjenigen, auf welche hin die Taufe erfolgte) die Vergebung der spater begangenen Sünden zu, erlangen, behauptet zu Beginn des 2. Jahrhunderts Hermas, ein der rõmi­schen Gemeinde angehõriger Laie. Er tut es auf Grund einer Offenbarung, die ihm durch den «Engel der BuBe», der ihm in Gestalt eines Hirten er­schienen ist, zuteil geworden. In seiner um 130 erschienenen Schrift «Der Hirte des Hermas» verkündet er, daB Gott in seiner Barmherzigkeit den ·Glaubigen die Mõglichkeit geben wolle, durch ei ne nochmalige BuBe in den durch die Taufe erworbenen Gnadenzustand zurückzukehren.

,Die Kirche kann nicht anders, als sich diese Anschauung d~r Mõglich-

10

keit einer zweiten Bu13e und Sündenvergebung zu eigen zu machen. Sie prlaubt ihr, Sünder, die sie aus der Gemeinde ausschlie13en mu13te, nach getaner Bu13e wieder aufzunehmen.

Der Sühnetod Jesu aber ist etwas Einmaliges. AIso auch die durch ihn gewirkte Sündenvergebung. Durch die Anerkennung einer Sündenver­gebung für nach der Taufe begangene Sünden kommt die .Kirche also in die eigentümliche Lage, neben der auf Grund des Sühnetodes Jesu er­langten Sündenvergebung noch eine annehmen zu müssen, die sich nicht auf diesen gründet, sondern durch Gottes Barmherzigkeit in unmittelbarer Weise denen zuteil wird, die auf Grundgetaner Bu13e und anderer satis­faktorischer Leistungen dieser Gnade würdig befunden werden.

AIs Leistungen kommen neben der õffentIichen Kirchenbu13e noch in Betracht: Leiden, denen sühnende Bedeutung zugeschrieben wird, Stand­haftigkeit in Christenverfolgungen, vVerke der Liebe, Bekehrung von Hãretikern. .

Verwalterin der auf diesem \Vege nachtrãglich zu erwerbenden Sün­denvergebung ist die Kirche. Sie schreibt dem Sünder vor, was er an Bu13e und Genugtuung zu leisten hat, beaufsichtigt ihn und steIIt fest, inwieweit er das Erforderlichegetan hat. Erachtet sie, da13 er bei Gott Vergebung ge­funden haben kann, so nimmt sie ihn wieder in die Gemeinde aJ.1.f. Sie erhebt nicht den Anspruch, Sünden zu vergeben, sondern fühIt sich nur als die Verkünderin der von Gott gewãhrten Vergebung.

Bei der Annahme der Mõglichkeit einer noch einmal "erfolgenden spã­teren Sündenvergebung kann sie nicht stehenbleiben. Nach und nach .mu13 sie dazu fortschreiten,' da13 fort und fort Bll13e Vergebung der Sünden er­wirken kõnne. Auch den Unterschied zwischen vergebbaren und ganz schweren, nicht vergebbaren Sünden mu13 sie aufgeben. So gelangt sie mit der Zeit zur Vorstellung eines kontinuierlichen Erwerbs der Sündenver­gebung.

Augustin (354-430) stellt als Prinzip auf, da13 innerhalb der Kirche für alle Sünden nach der Taufe Vergebung vorhanden ist, wenn nur eine gehõrige Genugtuung geleistet wird. Au13erhalb der Kirche gibt es keine Verzeihung. 'Ver an die kontinuierliche Sündenvergebung innerhalb der Kirche nicht glaubt, begeht die Siinde wider den Heiligen Geist.

AIs neue, mit der Zeit in bezug auf den Erwerb der kontinuierlichen Sündenvergebung aufgekommene Vorstellungen finden sich bei Augustin die des Fegfeuers (ignis purgatorius) und die, da13 den abgeschiedenen Seelen Fürbitte, Almosen und Me130pfer der Überlebenden zur Erlangung der Sündenvergebung mitverhelfen kõnnen.

Das Fegfeuer ist keine Hõllenstrafe, sbndern nur eine Mõglichkeit, die dem Sünder auch nach dem Tode geboten wird, in erlittener Qual die im Leben nicht genügend geleistete Bu13e zu vervollstãndigen.

Die Idee, da13 in der Messe Leib und BIut J esu aufs neue als Sühnopfer dargebracht werden, tritt zum erstenmal bei Cyprian, dem 258 als Mãrtyrer gestorbenen Bischof von Karthago, auf. Augustin will dieses Opfer nur im geistigen Sinn verstehen. Uhter dem Papst Gregor I. (590-604) setzt sich die realistische Auffassung durch, da13 in der Messe Jesus auf sákramentale Weise fort und fort geopfert wird, damit die so beschaffte Sühne den Lebenden und Gestorbenen zugute komme.

11

Durch diese sakramentale "Tiederholung des Sühnetodes Jesu ist nun erreicht, daB die von Jesus auf Golgatha beschaffte Vergebung nicht nur auf die vor der Taufe begangenen Sünden geht, sondern auch, wie durch einen Seitenkanal, den nach der Taufe begangenen zugute kommen kann.

DaB dieKirche durch ihre Priester diese \Viederholung des Sühnopfers Jesu vollziehen laBt, leistet dem Aufkommen der Anschauung Vorschub, daB sie Sündenvergebung beschafft und zuwendet, staU sie nur als auf Grund genügender Genugtuung als von Gott erlangt zu verkünden.

In der Folgezeit wird es dann Brauch, daB immer mehI' Messen statt­finden, die nicht mehI' Gemeindefeiern sind, sondern nur den Zweck haben, den Lebendigen oder Abgeschiedenen, für die sie gehalten werden, die sühnende Kraft der sakramentalen \Viederholung des Sühnetodes Jesu zuzuwenden. Gegen Ende des Mittelalters finden sich in allen Kirchen auBer dem Hauptaltar Nebenaltare, an denen' diese Seelenmessen gelesen werden.

Überhaupt wird im Mittelalter der kontinuierliche Erwerb der Sünden­vergebung fort und fort erleichtert und mehr und mehr von auBerlichen Leistungen abhangig gemacht. So bildet sich nach und nach der Brauch aus, daB Befreiung von den durch den Priester auferlegten "T erken der Genugtuung auf Grund von Verdiensten oder von Zahlungen an die Kirche erfolgen kann. Die Teilnehmer an den Kreuzzügen erhalten vollkommenen AblaB. Seit dem 12. Jahrhundert kõnnen auch solche, die nicht· in den Kampf gegen die Unglaubigen ziehen, AblaB durch Geldzahlungen er­werben. Die Scholastik begründet die von den Papsten gespendeten Ablasse daraus, daB sie die Verwalter des Schatzes der überschüssigen Verdienste der HeÚigen sind. Im Jahre 1477 verkündet Papst Sixtus IV. (1471-1483), daB AblaB auch den Seelen im Fegfeuer zugute komme und ihnen die in diesem Orte der Lauterung zu verbringenden Zeit abkürzen kõnne.

DaB die kirchliche Lehre von dem kontinuierlichen Erwerb der Sün­denvergebung, so wie sie sich gestaltet hat, in keiner \Veise befriedigen kann, wird 'am Ausgang des Mittelalters in weiten Kreisen empfunden. Es will aber nicht gelingen, sie zu reformieren und ihr die Einfachlieit und Gediegenheit wiederzugeben, die sie in der Zeit ihres Entstehens hatte.

Da entsteht in Martin Luther (1483-1546) eine religiõse Persõnlich­keit, die von der Beanstandung der VerauBerlichung, die die kirchliche Lehre von der kontinuierlichen Sündenvergebung erfahren hat, zu der ihres Prinzips fortschreitet.

Im Kloster hat Luther versucht, durch mõnchisches Bemühen zur GewiBheit zu gelangen, Sündenvergebung gefunden zu haben. Es ist ihm nicht gelungen. In den Angstzustanden, die er durchmacht, fragt er sich, ob er nicht zu den zur Verdammnis Vorherbestimmten gehõrt, weil ihm die BuBübungen und der Empfang der Absolution nicht die Befreiung bringen, die er von ihnen erwartet.

Durch Augustin wird er auf Paulus geführt. Pauli Lehre von dem Gerechtsein ohne Werke, allein durch den Glauben, ist ihm das Licht, das ihm in der Dunkelheit aufgeht. Die endgültige, durch Paulus gebrachte Befreiung aus seiner Gewissensnot erlebt er um 1512. Die Ausbildung seiner neuen Vorstellung von der kontinuierlichen Sündenvergebung auf Grund des Glaubens an die 'Virkung des Sühnetodes Jesu kõnnen wir in seinen

12

an der Universitãt Wittenberg gehaltenen Vorlesungen über die Psalmen (1513-1515), über den Rõmerbrief (1515-1516), den Galaterbrief (1516) und den Hebrãerbrief (1517) verfolgen.

Mit Notwendigkeit gelangt Luther dazu, in der katholischen Anschau­ung von der Taufe den eigentlichen Grund ihrer auf Werkgerechtigkeit statt auf Gerechtsein durch den Glauben gegründeten Lehre von der kon­tinuierlichen Siindenvergebung zu entdecken. Diese ist es, die es nicht erlaubt, dem Sühnetod Jesu die vVirkung kontinuierlicher Sündenvergebung zuzuschreiben. An ihr liegt es, daB die Vergebung spãterhin begangener Sünden durch Werkgerechtigkeit erworben werden soll.

Die Taufe darf nicht nur Vergebung der vor ihr begangenen Sünden auf Grund des Sühnetodes Jesu bewirken. Sie muB dem Glãubigen den Ertrag dieses Sühnetodes als durch ihn zu erlangende kontinuierliche Sündenvergebung zusichern. So stellt Luther die Lehre auf, daB die Taufe «der Anfang und Eingang zu allen Gnaden und Vergebung der Sünden ish. Die Sündenvergebung, deren der Mensch tãglich bedarf, ist nur Erneuerung der Taufgnade, die ihm Gott auf Grund seines GlalJbens an die durch Christus erworbene Sündenvergebung zuteil werden lãBt.

Tatsãchlich geht es in der Auseinandersetzung zwischen Luther und der katholischen Kirche letzten Endes Uln die Lehre von der Taufe. Histo­risch ist Luther im Unrecht. Er meint die ursprüngliche einfache Lehre, von der die katholische Kirche abgegangen sei, wieder in ihre Rechte ein­zusetzen. Aber nicht er, sondern die katholische Kirche vertritt die ur­sprüngliche Auffassung der Taufe. Die seine aber ist religiõs berechtigt. Sie ermõglicht eine Anschauung von der kontinuierlichen Sündenver­gebung, in der diese dem Menschen durch Christum von Gott zuteil wird.

Die katholische Lehre von der Taufe ist das Einzige, was sich von der urchristlich-eschatologischen Glaubensanschauung durch die Jahrhunderte hindurch durchaus unverãndert erhalten hat.

DaB Luther sie durch ei ne ersetzt, die keinerlei Beziehung zur Escha­tologie mehI' besitzt, ist ein bedeutsames Geschehnis in dem ProzeB der fortschreitenden Enteschatologisierung des christlichen Glaubens.

Luthers Lehre von der Sündenvergebung ist nicht die des Paulus, sondern eine Erneuerung derselben, in der sie ihre Begründetheit in der Eschatologie der Naherwartung verliert. Nur ",eil Paulus als einziger im Urchristentum den Gedanken gedacht und durchgeführt hat, daB das Reich, und damit die Erlõsung, nicht etwas Zukünftiges, sondern etwas bereits Vorhandenes ist, kann Luther bei ihm die Elemente und den Geist für seine Lehre von der schon gegenwãrtigen Erlõsung durch die kontinuierliche Siindenvergebung finden. Diese hat für ihn dieselbe Bedeutung wie fiir Paulus das Schonvorhandensein des Reiches. '

Bei Luther findet sich dieselbe sieghafte, aus der GewiBheit des võlligen Erlõstseins kommende Stimmung wie bei Paulus, eine Stimmung, wie sie in der zwischen beiden liegenden Zeit bei keinem andern Verkünder des christlichen Glaubens anzutreffen ist.

In dieser sieghaften Stimmung tut Luther einige Schritte aus der der Eschatologie zugehõrigen Lebens- und 'Veltverneinnng, in der das Christen­tum auch in der Fernerwartung noch verharrt, auf die Welt- und Lebens" bejahung hin. AIs ÃuBerung rechter christlicher Gesinnung verlangt er

13

nicht Leistungen der Weltentsagung, sondern treues Erfüllen der alltãg­lichen und beruflichen Pflichten und Betãtigung der Nãchstenliebe. Er siellt ein christliches Vollkommenheitsideal auf, das den Staat, die Ehe, den Beruf positiv wertet und jegliche Arbeit, auch die geringste, als von Gott gewolltes Dienen ansieht.

Zu diesem Zugestãndnis an die Lebens- und Weltbejilhung fühlt er sich bewogen, obwohl er noch· ganz in der von der überliefeI'ten Eschato­logie der Fernerwartung und der von ihr eingegebenen pessimistischen . Beurteilung der Welt daheim ist. In diesem seinem Verhalten kündet sich Zukünftiges an, das sich im Protestanti~mus ereig~en. wird.

Konservativ und fortschrittlich zugleich ist Luther auch da rin, da13 er· einerseits 'Wert darauf legt, daB ihm zuerkannt werde, (faB seine Lehre sich mit der der Kirche der ersten Jahrhunôerte 'in übereinstimmung be­findet, und da13 er anderseits .dem Protestantismus doch nicht das Ver­bleiben in dieser übereinstimmung als Lõsung auf seinen Weg gibt, son­dern ihm zur Pflicht macht, das ursprünglich Evangelische, wie es in den Schriften des Neuen Testaments niedergelegt ist, zu erforschen und· als hõchste und einzige Autoritãt anzuerkennen.

Mit . diesem Grundsatz ist der Trieb des frei en und unerschrockenen Suchens nach religiõser Wahrheit gegeben.

Die Tragweite des Prinzips der Erforschung des ursprünglich Evange­lischen und seiner Anerkerinung als hõchster Autoritãt konnte Luther nicht ermessen. Der Weg, auf den er den Protestantismus damit verbrachte, ver­lief anders, als er es annahm.

Und doch vollendete der diesen Weg einhaltende Protestantismus das, was Luther begonnen hatte. Luthers Verwerfung der sich auf die urchrist­lich.e Taufe gründenden katholischen Lehre von der kontinuierlichen Sündenvergebung zugunsten ,einer neuen ist die vorletzte Etappe in der Enteschatologisierung des Christentums. Die letzte ist die Preisgabe der eschatologischen Vorstellung des Reiches Gottes und das Sichhineinfinden in eine uneschatologische. Dies ist das Erlebnis, das dem neuzeit1ichen Protesiantismus in seinem Bemühen, auf das wahrhaft Evangelische zu­rückzugehen, beschieden ist.

Wie nun geht das Preisgeben der eschatologischen Vorstellung des Reiches und da,s Sichhineinfiriden in die uneschatologische vor sich?

Die grundlegende Voraussetzung für diese Wandlung wird dadurch geschaffen, daS eine Verãnderung in dem Verhalten zur Welt anhebt. Neben der dem Christentumdurch die eschatologische Weltanschauung von jeher gelãufigen Lebens- und 'Veltverneinung fãngt Lebens- und Welt­bejahung an aufzukommen.

Bei ihrem ersten Auftreten im 14. Jahrhunderi hat die Lebens- und Weltbejahung noch nicht die Qualitãt einer. Weltanschauung. Sie besteht mehr nur in der Ablehnung des mittelalterlichen Geistes mit allem, was er in sich begreift.

Eine Vertiefung erlebt sie dann durch das mit ihr einhergehende Auf­blühen der Naturwissenschaften. Durch die Astronomie eines Kopernikus (1473-1543), eines Kepler (1571-1630) und eines Galilei (1564-1642) ge-

14

winnt sie Einblick in die im \'T eltall waltende GesetzmiiBigkeit und Har­monie, Auf Grund der Errungenschaften des \Yissens und Kõnnens entsteht ein Fortschrittsglaube, der die Lebens- und \Yeltbejahung stii.rkt und he­lebt. Ein Vertrauen in seine Leistungsfiihigkeit und sein schõpferisches Vermõgen auf allen Gebieten, wie er sie noch nie gekannt hat, überkommt in jener Zeit den Menschengeist. So hat die Lebens- und \\r eltbejahung eines GiordanoBruno (1548-1600) schon bereits den Charakter einer \Yelt­anschauung.

Diese sich unter dem EinfluB der Errungenschaften der Naturwissen­schaften kliirende und vertiefende Lebens- und \Yeltbejahung nimmt. dann das ethische Denken des Spiitstoizismus, wie es in den Schriften Ciceros (106-43 v. Chr.) enthalten ist und bei Seneca (4 v. Chr.-65 n. Chr.), Epik­tet (geb. um 50 n. Chr.) und Marc Aurel (121-180) seine letzte Ausbildung erfahren hat, in seine Zucht. Bei Hugo ·Grotius (1583-1645) steht die neu­zeitIiche Lebens- und Weltbejahung unter dem EinfluB der spatstoischen Humanitiitsethik. Daraus entsteht, als etwas absolut Neues in der Geistes­geschichte Europas, eine \Veltanschauung ethischer \\T elt- und Lebens­bejahung. Diese macht den fundamental en Unterschied zwischen dem antiken und dem neuzeitlichen europiiischen Menschen aus. Der neuzeit­liche besitzt einen anderen Geist als der antike, weil er zum Fortschritts­glauben, zum Fortschrittswillen, zur Vorstellung der Fort- und Hõherent­wicklung und zur Idee der allgemeinen Menschenliebe gelangt ist, die jener nicht besitzt.

Dadurch, daB die Lebens- und \Veltbejahung ethisch wird, ist es dem neuzeitlichen Christentum mõglich, auf sie einzugehen. Die Ethik Jesu befahigt es dazu. \\T enn sie auch in Lebens- und Weltverneinung auftri.tt, geht sie doch nicht in ihr auf. Das dieser entsprechende Ideal der Taten­losigkeit ist ihr fremd. Sie verlangt ein in tatiger Liebe sich iiuBerndes Ver­halten zu den Mitmenschen.

DaB die Ethik Jesu tiitigen Charakter hat, geht darauf zurück, daB die eschatologische Lebens- und \Yeltverneinung nicht eine võllige ist wie die indische. Sie verneint nicht, wie diese, das Sein als solches zugunsten des Nichtseins, sondern nur die natiirliche, unvollkommene, leidvolle \Velt im Hinblick auf die des Reiches Gottes. Seine Berufung, an der kOlllmenden Vollendung des Seins teilzuhaben, hat der Mensch durch tatiges, ethisches Verhalten in der natürlichen \Yelt zu bekunden und zu bewiihren.

Insofern, als in Jesu Ethik das Tatigkeitsideal vorhanden ist, besitzt sie eine Affinitiit zur ethischen \Yelt- und Lebensbejahung.

Nur ganz allmiihlich kommt das neuzeitliche protestantische Christen­tum von der Lebens- und \Veltverneinung los. Eis weit in das 18. Jahr­hundert hinein lebt das protestantische Kirchenlied võllig in ihr. In den von Johann Sebastian Bach (1685-;-1750) vertonten Kantatentexten waltet eine durchaus weltflüchtige Stilllmung. Dennoch befindet sich der Prote­stantismus in jener Zeit in einer nicht aufzuhaltenden Bewegung auf die Lebens- und Weltbejahung hin.

Des Schrittes in das N eue hinein, den das neuzeitliche protestantische Christentulll tut, indelll es sich zur ethischen Lebens- und \Veltbejahung bekennt, wird es sich I1icht recht bewuBt. Der Über'gang vom Alten zum Neuen macht sich nicht bemerkbar, weil er durch das, was das

15

Christentum und die ethische Lebens- und Weltbejahung gemeinsam haben, verdeckt wird. Dieses Gemeinsame ist die Ethik. Jesu Ethik der Liebe und die Humanitãtsethik, die die ethische vVelt- und Lebensbejahllng von dem Spãtstoizismus übernommen hat, befinden sich in Übereinstimmllng mit­einander.

So vollzieht sich in der Neuzeit der Übergang des Christentllms von der ethischen Lebens- und Weltverneinung zur ethischen Lebens- und Welt­bejahung still und kampflos.

In diesem neuzeitlichenprotestantischen Christentum erwacht der Glaube an das Reich Gotte~ zu neuem und neuartigem Leben, indem es für ihn aus einer eschatologischen, kosmischen, einmal von selbst kommen­sollenden GrõBe zu einer uneschatologischen, geistig-ethischen wird, an deren Verwirklichung die Menschen mitzuarbeiten haben.

Die Christen der antiken und mittelalterlichen Zeit, die noch keinen Fortschrittsglauben und Fortschrittswillen besaJ3en und noch nicht zur Idee der Fort- und Hõherentwicklung gelangt waren, hatten noch kein rechtes Empfinden von der unnatürlichen Situation, in der sich ihr Glaube und ihre Frõp:lmigkeit befanden, weil das Reich Gottes für sie nur Gegen­stand einer auf fernste Zeit gehenden Erwartung war. Sie nahmen es als etwas Selbstverstãndliches hin, in Sachen des Reiches Gottes zur Passivitãt verurteilt zu sein.

Anders die unter dem EinfluB der ethischen Lebens- und Weltbejahung stehenden Neuz~itlichen. Ihnen ist es etwas Selbstverstandliches, daB das Reich Gottes eine geistig-ethische GrõBe ist, daB es in einer fortschreiten­den Entwicklung schon in dieser \Velt begriffen sein soll und daS ethisches Bemühen der Glãubigen für seine Verwirklichung in Betracht kommt. Dies ist ihnen so selbstverstãndlich, daB sie eine andere Vorstellungsweise über­haupt nicht mehr in Betracht ziehen, sondern das in den Evangelien Be­richtete dahin verstehen, daS Jesus in die Welt gekommen ist, das Reich Gottes in ihr zu gründen und die Menschen aufzurufen, an seiner Verwirk­lichung mitzuarbeiten.

Wie Luther aus religiõser Nõtigung eine uneschatologische Anschau­ung von der Taufe an die Stelle der der urchristlichen Eschatologie ge­mãBen setzt uud dabei die Überzeugung hat, daB sie die urspriingliche und wahrhaft evangelische ist, so setzt das neuzeitliche protestantische Christen­tum aus religiõser Nõtigung seine Ansicht vom Reiche Gottes und seinem Kommen an Stelle der in Jesu Verkündigung vorhandenen eschatologischen, als wãre es die ihr eigentlich entsprechende. Historisch sind beide, Luther und das neuzeitliche protestantische Christentum, im Unrecht, religiõs aber im Recht.

Nur dadurch, daB es aus einer übernatürlichen eine geistig-ethische GrõBe und aus etwas zu Erwartendem etwas zu Verwirklichendes wird, kann das Reich Gottes in unserem Glauben die Bedeutung wiedergewinnen, die es für Jesus und das Urchristentum hatte. Diese muB es innehaben, wenn das Christentum seinem eigentlichen vVesen nach das bleiben soll, was es in seinen Anfãngen war: Religion, die durch die Idee des Reiches Gottes beherrscht ist.

Die Rolle, die das Reich Gottes in dem Glauben spielt, macht das \Vesen desselben aus. Die in Betracht kommende Vorstellung des Reiches und

16

seiner Verwirkliehung kommt erst in zweiter Linie in Betraeht. So durehaus neuartig das neuzeitliehe protestantisehe Christentum ist, ist es doeh zu­gleieh wahrhaft dem Evangelium gemãB, weil es wieder Religion leben­digen Glaubens an das Reieh Gottes ist.

Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ersehienen die ersten «Leben Jesu», das heiBt die ersten Versuehe, die seit dem Bestehen des Christentums in der Absieht, ein gesehiehtliehes Verstãndnis des Auf­tretens und der Lehre Jesu zu gewinnen, unternommen wurden. Genannt seien das dreibãndige Werk von Johann Jakob HeB (1768-1772), das von Volkmar Reinhard (1781), dasvon Gottfried Herder (1796), das vonHein­rieh Eberhard Gottlieb Paulus (1828) und das von Kari August Hase (1829).

Diesen' «Leben Jesu» zufolge tritt Jesus vor den Juden, die auf ein Reieh Gottes und einen Messias warten, die noeh weltliehe Züge aufweisen, als der wahre, ganz anders geartete Messias auf, mit dem ein Reieh Gottes seinen Anfang nimmt, das dari n besteht, da1r die Mensehen sieh von Gottes Geist regieren lassen. Bei dieser Ansieht, daB Jesus die jüdisehe Erwartung des Reiehes Gottes vergeistigt habe, verbleibt au eh die historiseh-kritisehe Theologie der zweiten Hãlfte des 19. Jahrhunderts. Sie wird no eh von Adolf Harnaek in seinen berühmten, ander Berliner Universitãt im Winter 1899 auf 1900 gehaltenen Vorlesungen über das Wesen des Christentums ver-treten. .

Und doeh besteht zu jener Zeit sehon Grurid, an ihr irre zu werden. Dureh die genauere Erforsehung der Dokumente der spãtjüdisehen

Esehatologie ist man darauf aufmerksam geworden, daB Aussprüehe Jesu, die vom Reiehe und vom Messias handeln, die Grundvorstellungen mit ihr gemein haben. Am meisten ist dies in den Beriehten des Matthãus und des Markus der Fall, die sieh in jeder Hinsieht als die ãltesten erweisen.

Zunãehst erseheint es unfaBlieh, daB Jesus nieht so durehaus geistig vom Reieh Gottes und seiner Messianitãt gedaeht habe, wie na eh seiner so innerliehen und SO tiefen Ethik der Liebe zu erwarten wãre. Darum be­halfen sieh die an der Jahrhundertwende erseheinenden «Leben Jesu» mit der Annahme, daB die in Aussprüehen .lesu anzutreffenden spãtjüdisehen Vorstellungen ihm nieht wirklieh angehõren. Das Urehristentum habe sieh von der Denkweise der spãtjüdisehen Esehatologie nieht freihalten kõnnen. So hãtten Vorstellungen derselben in die Überlieferung von der Verkündi­gung Jesu Eingang gefunden. Harnaek und an dere wollen sogar annehmen, daB .lesu in einer uns unbegreifliehen Weise mit seiner eigentliehen geisti­gen Vorstellung vom Reieh noeh Elemente der spãtjüdisehen Esehatologie habe vereinigen kõnnen.

Aber sehon 1892 hatte der Heidelberger Theolúge .Johannes WeiB in seiner Studie «Die Predigt .lesu vom Reiehe Gottes» an Hand der Texte des Matthãus und des Markus naehgewiesen, daB eine andere als die spãt­jiidisehe esehatologisehe Vorstellung vom Reieh und vom Messias bei .Jesus nieht naehweisbar ist. In meiner Skizze des Lebens .lesu «Das Messianitãts­und Leidensgeheimnis» (1901) und meiner «Gesehiehte der Leben-.Jesu" Forsehung» (1906) vervollstiindigte ich dann die Ansieht von .Johannes WeiB dahin, daB Jesus nieht nur esehatologiseh gedaeht habe, sondern au eh in seinem Handeln dureh esehatologisehe Vorstellungen bestimmt gewesen sei.

17

Wer den Mut aufbringt, die Texte des Matthãus und Markus besagen zu lassen, was sie besagen, kann nicht anders, als sich einzugestehen, daB J esu Vorstellung des Reiches Gottes der spãtjüdischen Eschatologie an­gehõrt, daB_ er sie nicht vergeistigt hat, sondern sie zum GefãB seiner ge­waltigen und tiefen Ethik der Liebe gemacht hat.

Schwer wird es uns, uns darein zu finden, daB Jesus, der den Geist Gottes in einer einzigartigen \Veise besitzt und für uns der hõchste Offen­barer religiõser und geistiger Wahrheit ist, nicht so über seiner Zeit steht, wie es der Bedeutung, die erfür aUe Zeit hat, gemãB wãre.

Wir mõchten, daB wir und die Menschheit aller Zeiten hõchste religiõse Erkenntnis, als etwas unverãnqerlich Feststehendes und einfach zu Über­nehmendes, bei Jesus vorfãnden. Und nun stoBen wir bei ihm auf ver­gangenen Zeiten angehõrende Vorstellungen, die wir nicht mehI' als Wahr­heit empfinden und uns nicht mehI' aneignen kõnnen. Warum ist dem Christentum solches beschieden? Ist dies nicht eine Wunde, für die es keinen Balsam gibt? Soll die Irrtumslosigkeit Jesu in religiõsen Dingen nicht aufrechtzuerhalten sein? Hõrt er damit nicht auf, für uns Autoritãt zu sein?

Wie Johannes WeiB habe auch ich schwer darunter geIitten, aus \Vahr­haftigkeit etwas vertreten zu miissen, das dem christlichen GIauben An­stoB bereiten muB.

Für mich seIber ist aber Jesus trotzdem geblieben, was er mir waI', Keinen Augenblick habe ich darum ringen müssen, in ihm weiter die hõchste geistige und religiõse Autoritãt zu sehen, weil seine Vorstellung von dem baldigen Kommen eines überweltIichen Reiches GoUes nicht in Er­fiillung gegangen ist und wir sie auch nicht zu der unsrigen machen kõnnen.

Durch eine richtige Vergegenwãrtigung der Frage der Jesus zukom­menden Irrtumslosigkeit wird das Problem, das uns seine eschatologische VorsteUung vom Kommen des Reiches Gottes steUt, gekIãrt.

Eine Begrenztheit des Wissens setzen wir bei Jesus schon insoweit ,"oraus, als wir nicht annehmen, daS er schon eine Kenntnis der Natur und des Naturgeschehens besessen habe, wie sie den Errungenschaften, zu denen die Naturwissenschaften in der Neuzeit geIangt sind und noch gelangen werden, entspricht, nur daB er von diesem Wissen keinen Gebrauch ge­macht habe. Der historische Jesus gibt sich als in natürlicher \Veise in den Anschauungen seiner Zeit stéhend. Er tut nicht, als ob er sie teilte, sondern er teilt sie tatsãchlich. Das andere Verhalten wãre eine ihm nicht zuzu­trauende Verstellung.

Hat er mit seiner Zeit die Vorstellungen der Welt und des \Velt­geschehens geinein, so ist damit gegeben, daB seine Anschauung vom Kommen des Reichs GoUes gemeinsame Züge mit der des Spatjudentums aufweist.

\Vet sich mit dem Ergründen des sich in der Geschichte vel'wirklichen­den Fortschritfs abgibt, kommt zur EinsiCht, daB ein võllig Neues nicht 'geeignet ist, sich von sich aus durchzusetzen, und daB, wenn ihm dies durch irgendweIche innere Zustãnde gelingt, der damit gegebene Fortschritt etwas Unnatürliches und Fragliches behãlt. So ist anzunehmen, daB, wenn Jesus mit der võllig vergeistigten Auffassung des Reiches Gottes und seines Kommens aufgetreten wãre, seine Verkündigung schwer GIauben gefunden

18

hãtte. Die jüdisehe und die antike grieehiseh-rõmisehe Welt hãtten kein Verhãltnis zu dem in jeder Weise Neuen gehabt. Um seine natürliehe Wir­kung zu entfalten, muB jedes Neue noeh irgendwie im Alten eingebettet sein und dadureh ei ne Verbundenheit mit dem Bisherigen besitzen. Eine Reihe von Gleiehnissen vom Reich Gottes besehlieBt Jesus mit dem merk­würdigen Wort: "Darum gleieht jeder Sehriftgelehrte, der Kenntnis in bezug auf das Reieh Gottes besitzt, einem Hausherrn, der aus seinem Sehatze Altes und Neues hervorbringt.» (Matth. 13,52.)

Für die Wahrheit gibt es kein võlliges Heraustreten aus der leit, son­dern nur ein ~Tirken in der leit. Jesus vergeistigt die Vorstellung des Reiehes Gottes insoweit, als er sie dureh seine Ethik der Liebe beherrseht sein lãBt. Wo dann die leit gekommen ist, gestaltet diese Ethik die Vor­stellung des Reiehes Gottes um.

Die geistige Wahrheit hat es mit der Erkenntnis von dem, was wir geistig werden müssen, um in dem rechten Verhãltnis zu Gott zu sein, zu tun. Sie trãgt ihre Võlligkeit in sich selbst. Sie ist intuitive Erkenntnis von geistigem Sein-Sollen. Alle andere Erkenntnis ist andersartig. Sie hat es nieht mit dem, was in uns, sondern was in der Welt und dem in ihr statt­habenden Gesehehen vor si eh geht, zu tun. Auf diesem Gebiete gibt es nur ein besehrãnktes, dem Wandel unterworfenes Wissen. '

Aueh die VorsteIlung von der in einem allgemeinen Gesehehen statt­habenden Verwirkliehung des Geistigen ist von der in der Zeit vorhandenen VorsteIlung der Welt und des in ihr stattfindenden Gesehehens abhãngig und dementspreehend ,zeitIieh bedingt. Dadureh, daB Jesus sieh die Ver­wirkliehung des Reiches Gottes in einer Weise denkt, wie sie nieht statt· findet, wird seine Autoritãt als einzigartiger Offenbarer des Geistigen nieht in Frage gestellt, sondern nur die Meinung, die' man sieh von ihr und der Persõnliehkeit Jesu gebildet hatte. Der Glaube wollte ihm, unter dem Ein­fluB der grieehisehen Metaphysik, eine GõttIiehkeit und eine gõttliehe 1rr­tumslosigkeit beilegen, auf die er keinen Ansprueh erhoben hatte. Mit dem Problem, das uns seine unerfüllt gebliebene YerheiBung des baldigen Kom­mens eines übernatürliehen Reiehes Gottes aufgibt, werden wir nur fertig, wenn wir dazu zurüekkehren, ihn so begreifen zu wollen, wie er uns in den beiden ãltesten Evangelien entgegentritt. Er ist so groB,daB aueh dié an ihm zutage tretende lugehõrigkeit zu seiner leit ihm niehts anhaben kann. Er bleibt unser geistiger Herr.

Alle Versuehe, dem Eingestãndnis zu entgehen, daB Jesus eine Vor­steIlung von dem Reieh Gottes und seinem baldigen Kommen besaB, die unerfüIlt blieb und von uns nieht übernommen werden kann, bedeuten Ver­fehlungen gegen die Wahrhaftigkeit. Wahrhaftigkeit in jeder Hinsieht gehõrt zum Wesen des Geistigen. Glaube, der sieh der Auseinandersetzung mit zutage liegenden Tatsaehen entzieht, ist Kleinglaube. Die Wahrheit; so sehwer es uns ankommen mag, sieh in sie hineinzufinden, ist immer eill Gewinn. Das Verharren in irgendweleher Nieht-Wahrheit kann nieht anders, als sich als ein Abkommen vom reehten ~Teg des Glaubens erweisen.

Dureh die neuzeitIiehe Vorstellung vom Reieh Gottes und seinem Kommen wird eine geistige Situation gesehaffell, die mit derjenigen, wie sie für die um Jesus geseharten GIãubigen und Christen der ersten Genera-

19

tion bestand, verwandt ist. ViTiederum, nach Jahrhunderten, ist lebhaftes Beschãftigtsein mit dem Reich Gottes vorhanden. Wiederum tritt der Ge­danke einer gemeinsamen Sinnesãnderung auf es hin unter den Men­schen auf.

Für den neuzeitlíchen Glauben nimmt das Reich Gottes durch Jesum und durch den Geist, der mit ihm in die 'Velt gekommen ist, seinen Anfang. Wir lassen nicht mehr das Schicksal der Menschheit von der Endvollendung der vVelt abhãngen. Die Zeit, in der wir leben, ruft uns zu neuem Glauben an das Reich Gottes auf.

Nicht mehr kõnnen wir, wie die Geschlechter vor uns, in dem Glauben an das am Ende der Zeiten von selbst kommende Reich Gottes verbleiben. Für die Menschheit, wie sie heute ist, handelt es sich darum, das Reich Gottes zu verwirklichen oder unterzugehen. Aus der Not heraus, in der wir uns befinden, müssen wir an seine Verwirklichung glauben und mit ihr Ernst machen.

Beginnender Untergang der Menschheit ist unser Erlebnis. Bei der Macht, die ihr durch die Errungenschaften des vVissens und Kõnnens zu­gefallen ist, handelt es sich für sie darum, ob sie die Kraft aufbringt,von ihr nur zum Gedeihlichen, nicht auch zum Vernichten Gebrauch zu machen. Solang~ sie nur über ein beschrãnktes Kõnnen des Zerstõrens verfügte, konnte noch Hoffnung vorhanden scheinen, daB der Appell an vernünftiges Überlegen dem Unheil Grenzen setzen kõnne. Bei dem ins UnermeBliche gehenden Kõnnen ist solche Illusion nicht mehr aufrechtzuerhalten. Hier kann nur noch helfen, daB der Geist Gottes mit dem Geist der Welt streite und ihn überwinde.

Die letzte Bitte des Vaterunsers gilt uns wieder in dem ursprünglichen Sinne als Bitte um die Erlõsung von der Herrschaft der bõse,n Weltmãchte. Sind diese für uns auch nicht mehr in widergõttlichen Engelwesen ver­kõrpert, sondern allein in der Gesinnung der Menschen gegeben, so sind sie darum nicht weniger wirklich. In der Envartung des Weltendes setzten die ersten Glãubigen ihr Hoffen allein auf das Reich Gottes. Wir tunes in der Erwartung des Endes der Menschheit.

Der Geist lãBt uns die Zeichen der Zeit erkennen und gibt uns ihre Deutung ein.

Der Glaube an das Reich Gottes ist das GrõBte und Schwerste, was der christliche Glaube zu leisten hat. Er verlangt von uns, daB wir das unmõg­lich Scheinende, das Überwãltigtwerden des Geistes der Welt durch den Geist Gottes, für mõglich halten. vVir vertrauen auf das durch den Geist zu vollbringende Wunder.

Damit das Wunder sich in der '''elt ereigne, muB es zuerst in uns geschehen. Wir dürfen nichtunsere Hoffnung auf Bemühung um Schaffung von Zustãnden des Reiches Gottes in der Welt setzen. Wohl bedarf es solcher Geschãftigkeit für seine Verwirklichung. Aber es kann nicht Reich Gottes in die Welt kommen, wenn nicht Reich Gottes in unsern Herzen ist. Anfang des Reiches Gottes ist, daB wir darum ringen, daB Gesinnung des Reiches Gottes unser Denken und Tun beherrsche. Ohne Innerlichkeit kein Wirken. Nur weim der Geist Gottes in uns über den Geist der Welt mãchtig geworden ist,vermag er in der Welt gegen ihn zu streiten.

Albert Schweitzer

20

Existenzphilosophie und Christentulll bei KarI Jaspers 1

Der erste Satz der 1932 erschienenen "Philosophie», des dreibandigen ersten philosophischen Hauptwerkes von KarI Jaspers, lautet: «Wenn ich Fragen stelle wie diese: was ist das Sein?, warum ist etwas, warumist nicht nichts?, wer bin ich? was will ich eigentlich? - so bin ich mit solchen Fragen nie am Anfang. Ich stelle sie aus einer Situation heraus, in der ich mich, herkommend aus einer Vergangenheit, finde.» Bei einem Philosophen, der mit dem Hinweis anfiíngt, da1.l wir mit Grundfragen, mit denen wir zu philosophieren anfangen, nie wirklich am Anfang uns befinden, hat man als Theologe allen Grund, sich um die Fortsetzung zu interessieren. Dann aber begegnet man bei Jaspers einem Philosophen, der sich veranla1.lt sieht, als Philosoph sich um die Theologie zu bekümmern .. Denn Philosophie «charakterisiert sich» für ihn, wie er sagt, immer «im Gegenwurf zur Reli­gion» (Phil. l, 297) und vollendet sich im "philosophischen Glauben».

Es kommt hier zu einem Zusammentreffen zwischen Philosophie und Theologie, das sich für den Theologen nicht erledigen la1.lt mit Erklarungen darüber, da1.l er, der Theologe, mit seiner Sache auf einem besondern, von aller Philosophie unabhangigen Grunde stehe. Eben nach dieser seiner Sache und ihrem besondern Grunde wird der Theologe hier vom Philosophen be­fragt, ja ernsthaft in Frage gestellt, nicht mjt der Absicht, ihn zu erledigen, sondern um ihn aufzufordern, in einer bis aufs Letzte gehenden Offenheit iiber seine Sache Rechenschaft zu geben, derart, da1.l ein Ausweichen gegen­iiber dieser Aufforderung sich als Flucht erweisen mü1.lte. Wie ernsthaft das alles gemeint ist, zeigt ei ne vorwurfsvol~e Ãu1.lerung in Jaspers' Schrift über den «Philosophischen Glauben» von 1948: «Weil die Religion so wesentlich ist, machte mich das Bewu1.ltsein des Mangels begierig, zu hõren, was vom religiõsen Glauben her-gesagt wird. Zu den Schmerzen meines um 'Vahrheit bemühten Lebens gehõrt, da1.l in der Diskussion mit TheoIogen es an ent­scheidenden Punkten aufhõrt, sie verstummen, sprechen einen unverstand­lichen Satz, reden von etwas anderem, behaupten etwas bedingungsIos, reden freundlich und gut zu, ohne wirklich vergegenwartigt zu haben, was man yorber gesagt hat, und haben wohI am Ende kein eigentliches Interesse ... Miteinander sprechen aber fordert Zuhõren und wirkliche Antwort, ver­bietet das Schweigen oder das Ausweichen auf Fragen, fordert vor allem, jede Glaubensaussage, die âoch in menschlicher Sprache vollzogen,auf Ge­genstiinde gerichtet, ei ne Erschlie1.lung in der 'Velt ist, auch noch wieder in Frage stellen und prüfen zu Iassen, nicht nur au1.lerlich, sondern innerlich.» (Phil. Gl., S. 61.)

1 Vortrag, gehalten am Theologischen Ferienkurs der bernischen Pfarrer­schaft, Oktober 1952.

Meiner Behandlung des Themas «Existenzphilosophie und Christentum bei KarI Jaspers» liegen foIgende Schriften von Jaspers zugrunde, denen alle vorkom· menden Jaspers-Zitate entnommen sind: «Die geistige Situation der Zeit», 1931. «Philosophie», drei Bande, 1932. «Vernunft und Existenz», 1935. «Die Idee der Universitãt», 1946. «Der philosophische Glaube», 1947. «Von der Wahrheit», 1947. «Philosophie und Wissenschaft», 1949. «Einführung in die Philosophie», 1949. <Vom Ursprung und Ziel der Geschichte», 1949. «Der Weltschõpfungsgedanke»·, Aufsatz im «Merkur», 1952, 5. Heft, S. 401 ff.

21

Begreiflicherweise wird man die Ursache dieser nahen Konkurrenz zwischen J aspersscher Philosophie und christlicher Theologie in einem star­ken EinfluB Kierkegaards, des theologischen Stammvaters der modernen Existenzphilosophie, vermuten. Jaspers verweist selbst mehrfach auf Kierke­gaard. Aber er stellt ihn immer wieder mit Nietzsche zusammen und deckt die auBern und innern Ãhnlichkeiten und Analogien auf, diebei alleniKon­trast in überraschendem AusmaB zwischen beiden bestehen. Vor allem sind beide «Ausnahme» für ihr Zeitalter durch die prophetische Weise, wie ihnen vor dem Ausbruch der Katastrophe die geistige Krise des Abendlandes zum BewuBtsein kommt. «Es ist durch sie zum BewuBtsein gebracht,daB kein selbstverstandlicher Boden mehr für uns ist. Es gibt nicht mehr einen un­angetasteten Hintergrund unseres Denkens. Kierkegaard verweist ins absurd Christliche, vor dem die Welt versinkt, Nietzsche weist ins Ferne, Unbe­stimmte, das nicht als Substanz erscheint, aus der wir leben kõnnten.» «Ihnen zu folgen ist gegen ihren eigenen 'Willen und ist unmõglich für jeden, der sie versteht.» «Ihre Antworten hat niemand angenommen; es sind nicht die unsern. Es ist an uns, zu sehen, was im Hinblick auf sie durch uns aus uns wird.» (Vernunft und Existenz, S. 25; Phil. Gl., S. 128.)

Keineswegs ist demnach die Jasperssche Philosophie imganzen ein­seitig durch Kierkegaard bestimmt. So ist denn auch «Existenz» zwar ein zentrales Thema seiner Philosophie, aber durchaus nicht das .einzige Thema. Die «Philosophie» von 1932 ist gegliedert nachden drei Hauptthemen: 1. Philosophische Weltorientierung. 2. Existenzerhellung. 3. Metaphysik. Damit ist bereits angedeutet, daB der Philosophie bei Jaspers ein wesentlich weiterer Horizont und ein reicherer Gehalt eigen ist als den Lehren anderer heutiger «Existenzphilosophen». In jeder Hinsicht geht sie i.iber Martin Heideggers Entwurf hinaus. Sie geht nicht in «Existentialismus» auf und lehnt sogar das, was mit «Existentialismus» bei Heidegger im besondern gemeint und letztlich beabsichtigt ist, namlich ei ne « Fundamentalontologie», bewuBt ab. Jaspers will nicht als «Existenzphilosoph» rubriziert werden und erklart ausdrücklich, es gehe ihm überhaupt nicht darum; eine neue Philosophie zu verkünden: «Ich habe mein Leben in dem BewuBtsein des Findens der uralten Wahrheit verbracht. In der Philosophie spricht Neusein gegen das Wahrsein. ~Tahrhaft Neues tritt in Jahrtausenden einmal auf.» (Von der Wahrheit, S.192.) Und um zu bezeugen, daB sein Denken «bei jedem Schritt aus der Überlieferung sich nahre», nennt er selbst eine Reihe yon Philosophen, denen sein Philosophieren wesentliche Antriebe verdanke: Kant, Plotin, Cusanus, Giordano Bruno, Spinoza, Schelling, Hegel, Kierke­gaard, Wilh. von Humboldt, Nietzsche, Max Weber. Aus der Verbundenheit

, mit dieser philosophischen Tradition wird ohne weiteres verstandlich, daB in der Philosophie Jaspers' das Thema der «Existenz» innerhalb eines wei­ten Horizonts erõrtert wird, in einer Weise, die zur christlichen Theologie in nahe und intensive Konkurrenz tritt.

Zunachst ist kurz zu erlautern, in welchem Sinne das, was Jaspers «philosophische Weltorientierung» nennt, für ihn zur wesentlichen Voraus­setzung des «existentiellen Denkens» wird. \Vir kõnnen uns in der Welt orientieren, und wir kõnnen uns über die \Velt orientieren wollen. Das erste, die Orientierung inder \Velt, ist der Sinn aller Wissenschaft. Es ist ein ins Endlose gehendes methodisches Forschen, das zu einem sich stets

22

mehrenden allgemeingültigen, «zwingenden)) gegenstãndlichen Wissen führt. Sobald wir aber von diesem Unternehmen übergehen zum Versuch der Orientierung überdie Welt als soIche und im ganzen und uns zugleich kritisch Reehenschaft geben über die Bedeutung dieses Versuchs, begeben wir uns auf den Weg der "philosophischen Weltorientierung». Hier aber zeigen sich die Grenzen der \Vissensehaft. Mit dem Aufweis, dieser Grenzen we~ldet sieh die Philosophienicht gegen dieWissenschaft. Die Wissenschaft ist unerlãBliche Voraussetzung der Philosophie, sofern die Philosophie nir­gends gegen zwingende gegenstãndliche Erkenntnis verstoBen darf und will und selbst in wissensehaftIiehen Methoden erfahren und geübt sein muJ3. Jaspers selbst kommt als Psyehiater von der \Vissenschaft her. Die Philo­sophie muB jedoeh na eh der Bedeutung der Grenzen fragen, sofern es nieht bloB zufãllige, sondern prinzipielle Grenzen der Wissensehaft gibt. Darum setzt Philosophie geradezu an als das zu den ãuBersten Grenzen der Welt­orientierung vorstoBende Denken und kommt so zu der Einsicht: Wis.sen­sehaft als Orientierung in der WeH erkennt immer nur Gegenstãnde in der \Velt, aber eben deshalb nie die Welt als Ganzes. Nichts ist in ihr das Erste und niehts das Letzte. "Will man Anfang und Ende denken, so gerãt man in Antinomien.)) (Phil. I, S. 102, 145.) Die Analyse jedes Objekts führt an Grenzen, an denen es als Objekt zu versehwinden droht. Alles ist vergãng­lieh. Da in der Subjekt-Objekt-Beziehung alles Seiende nur so gegenwãrtig wird, wie es für ein Subjekt gegeben sein kann, so ist alles Erseheinung, nieht eigentIiehes Sein, wie es an si eh ist. Die Welt, wie sie uns erscheint, ist nicht als Einheit durchsehaubar, sondern zerfãllt für unser Erkennen in eine Reihe verschiedener Wirkliehkeitssphãren: Materie, Leben, Seele, Gei~t. Jede dieser Sphãren setzt die ihr vorhergehende als Bedingung voraus, ohne jedoeh aus ihr ableitbar zu sein. So bleibt die Welt ungesehlossen, ist nicht aus sieh selbst erklãrbar und kann nicht gleichgesetzt werden mit dem eigentlichen Sein überhaupt und im Ganzen. Mit dieser Einsicht würde die Philosophie aber nur dann mit der Wissenschaft in Konflikt geraten, wenn diese ihr.Wissen von dem in der WeIt Gegebenen verabsolutieren wollte zum \Vissen vom eigentIiehen Sein und von allem Sein sehlechthin.

Diese "philosophisehe Weltorientierung)) als das an die Grenzen ~to­

Bende Denken hat nun für das, was bei Jaspers "Existenz» heiBt, ei ne groBe Bedeutung, deren volles Gewicht freilich erst zu ermessen ist, wenn wir uns vergegenwãrtigen, wie wir im geschichtIichen Geschehen an Gren­zen geführt werden durch die Art und \Veise, wie wir in ganz bestimmt~n, konkreten Situationen, niimlich in den "Grenzsituationen)), zu leben haben. Hier zeigt die Grenze der \Vissensehaft ei ne besondere Bedeutung und Ta1-weite, sofern offenbar wird, daB \Vissenschaft dem menschlichen Leben als Orientierung in der Welt keine Ziele und Richtlinien zu weisen vermag. In der Grenzsituation bedeutet diese Erfahrung für deri unbedingt Wisoen­schaftsglãubigen eine Enttãuschung, weIche die Verabsolutierungder Wio-senschaft als Wissenschaftsaberglauben entlarvt und alsdann oft genug in Verachtung der \Vissenschaft umschlagen liiBt.

In den Grenzsituationen wird die Fragwürdigkeit und Unzuverlãosi~­keit der Welt offenbar, sofern in ihnen der Mensch erfãhrt, daB unaufheb­bare Sinnwidersprüche zum Wesen des Daseins gehõren. AIles für uns Posi­tive ist mit Negativen verstrickt. "Das \Vertvolle ist gebunden an Bedingun-

23

gen, die selbst wertnegativ sind. Überall ist etwas in Kauf zu nehmen, was nicht gewollt isU Niemand kann tãtig das Leben ergreifen, ohne andern etwaswegzunehmen. Auch wo wir es nicht wissen und nicht wollen, kõnnen wir unser Dasein nur bejahen und behaupten unter der Bedingung, daB andere kãmpfen und leiden müssen. «Es gibt kein Gutes ohne mõgliches und wirkliches, Bõses, keine \-\Tahrheit ohne Falschheit, Leben nicht ohne Tod; Glück ist an Schmerz gebunden, Verwirklichen an vVagen und Ver­lieren.» Nicht nur Leiden und Tod, sondern auch Kampf und Schuldig­werden sind unvermeidlich. Je grõBer die Gemeinschaft, desto schwerer und geringer, schwãcher wird die wahre Kommunikation. Das alles gipfelt bei Jaspers geradezu in der Aussage: «In unserm Menschsein liegt ein Hin­weis auf etwas, das im Grund der Dinge angelegt ist, sich aber nur im Menschsein zwingend zeigt: Die \Velt ist nicht in Ordnung.» (Von der Wahrheit, S.628.) Die Verstãndnislosigkeit für die Sinnzwiespãltigkeit der Grenzsituationen wirft Jaspers sowohldem Positivismus als auch dem Idea­lismus als ihre «Unwahrheib> vor: «Beide Philosophien sind unfãhig, noch im eigentlichen Sinn betroffen zu werden. Beide Philosophien vertreiben das Staunen. Sie heben Leiden und Hadern .auf, sie kennen, weil sie im Ganzen geborgen sind, nicht eigentlich Tod, Zufall, Schuld. Zweifel und Verzweiflung sind ihnen keine ernstlichen Mõglichkeiten. Sie werden un­fãhig, menschliche Tatbestãnde als Rãtsel zu sehen; zum Beispiel ist Geistes­krankheit dem Positivismus ein nur zu erforschender N aturprozeB, dem Idealismus etwas, was ihn nichts angeht und das er als abnorm fallen lãBt oder wirklichkeitsfremd in seinen unwahrhaftigen Vorstellungen erbaulich und geistreich verwertet.» (Phil. I, S. 232.)

Diese Kritik an Positivismus und Idealismus berührt den Punkt, an welchem die Bedeutung der in der philosophischen Weltorientierung er­reichten Erfahrung der Grenzen für die «Existenz» offenbar wird. Es ist das, was Jaspers in diesem Zusammenhang die Mõglichkeit des «eigent­lichen Betroffenwerdens» nennt. Es ist die Erschütterung des Menschen durch die Grenzerfahrung, sofern er in ihr die Welt und sein eigenes Dasein in ihr als in Frage gestellt erlebt. Darin widerfãhrt ihm ein Zurückgewor­fenwerden aus dem bloBen \Yeltdasein auf sich selbst, das er als Angst erlebt, llicht nur als vitale Daseinsangst, sondern als Angst des Entgleitens seiner seJbst in die Bodenlosigkeit, in das Nichts der Sinnlosigkeit. Es ist der Zwiespalt zwischen bloB faktischem Dasein und Existenz, der so offen­bal' wird. Es gibt ein dumpfes Menschsein als pures, vitales Dasein, als Ver­fallensein an die Welt, als bloBes Resultat der stets wechselnden biologi­schen, psychologischen und soziologischen Daseinsbedingungen. AIs dieses empirische Dasein ist der Mensch erforschbares Objekt der \Yissenschaft, clie das \Yirkliche aus Kausalzusammenhãngen erklãrt. Allein schon die \Vissenschaft stõBt auch hier, als Wissenschaft vom Mensehen, an ei ne prinzipielle Grenze. Denn «in jedem Augenblick, in dem ich mich zum Objekt mache, bin ich zugleich mehI' als dieses Objekt, nãmlich das Wesen, das sich auf diese Weise objektivieren kann». Das Zurückgeworfenwerden auf sich selbst durch Grenzerfahrung bedeutet für den Menschen, daB er in der Grcnzsituation nun selbst über den Sinu seines Menschseins entscheiden muB. Nun. wird offenbar: «Des Menschen \-\Tesen und Situation ist, nach Sinn fragen und sinnhaft handeln zu müssen: ihm bleibt nur die Wahl, aber

24

er kann nicht überhaupt nicht wãhlen.» (Phil. 11, S.36.) So erweckt die Grenzerfahrung den Menschen zu einer SelbstgewiBheit, in der, sagt Jaspers, «mir in aller Abhãngigkeit und Bestimmtheit meines Daseins gewiB wird, daB etwas zuletzt allein an mir liegh. Dies ist die «GewiBheit des Selbst­seins aus Freiheib>. Dieses «Selbstsein aus Freiheit» ist «Existenz» , was demnach besagt, daBder Mensch im Zusammenspiel der wechselnden Be­dingungen seiner jeweiligen Situation immer nur dann wirklich und eigent­lich als er selbst «existierb>, wo er im Aufschwung aus dem bloBen fakti­schen Dasein des Verfallenseins an die 'Velt wãhlt und entscheidet, worauf es für ihn selbst im geschichtlichen Augenblick unbedingt ankommt. In diesem Sinne wird das BewuBtsein der Existenz «absolub> und ihr Handeln «unbedingt».

DaB diese Sãtze über die «Existenz» keine Selbstverstãndlichkeiten aus­sprechen, wird am fühlbarsten in der Behauptung der Freiheit. Die eigent­liche Schwierigkeit liegt nicht darin, daB die Freiheit zugestandenermaBen für die kausale Betrachtungsweise der Wissenschaft kein objektiv feststell­barer Tatbestand ist. Ist der Mensch immer mehr, als was er in wissen­schaftlicher Objektivierung seiner selbst von sich selbst wissen kann, so bleibt die Mõglichkeit der SelbstgewiBheit der Freiheit im wirklichen Exi­stieren selber. Das ist denn auch gemeint, wenn Jaspers seine ganze Lehre von der «Existenz» unter dem Titel der «Existenzerhellung» entwickelt. Auf Grund dieser Mõglichkeit wehrt er sich mit gutem Recht gegen ei ne Leug­nung der Freiheit durch bloBe Verabsolutierung der wissenschaftlichen Kausalerklãrung. Wer Verantwortlichkeit für sich selbst ablehnt mit deIl1 Argument, der Mensch sei nichts anderes. als naturgesetzlich bestimmtes Dasein, widerlegt sich selbst gerade durch solche Selbstrechtfertigung. Denn: « \Vas nach N aturgesetzen notwendig so ist, wie es ist, bedarf keiner Recht­fertigung.» Oder man sagt: «Der \ViHe des Menschen ergebe sich naturnot­wendig im Kampf der Motive durch das stãrkste Motiv. Wenn aber nach allen Merkmalen psychischer "Stãrke" andere Motive stãrker w'aren und eines nur darum, weil es in der \Vahl ergriffen wird, nun das stãrkste heiBt, so ist durch die Tautologie die ~-ahl nicht begreiflich gemacht; bloBe Benennung macht nicht zu objektiver Naturnotwendigkeit.»

Das eigentliche Rãtsel der Freiheit liegt aber darin, daB sie Durchbruch und Aufschwung zum Selbstsein in den natürlich-kausalen Zusammenhãn­gen und Bedingungen des Daseins selbst ist und sich in diesem Dasein ver­wirklicht. Freiheit der Existenz ist in geschichtlicher Verwirklichung Frei­heitvon der Welt, aber als Freiheit in der Welt. In dieser Paradoxie endete schlieBlich auch schon Kants Auffassung von der Freiheit. Aber damit wurde ihm die Mõglichkeit der Freiheit zum theoretisch unlõsbaren Pro­blem. In seiner Schrift «Religion innerhalb der Grenzen der bloBen Ver­nnnfb> gesteht Kant: «Wie der Prãdeterminismus, nach welchem wiHkür­liche Handlungen als Begebenheiten ihre bestimmenden Gründe in der vorhergehenden Zeit haben (die mit dem, was sie in sich hãlt, nicht mehI' in unserer Gewalt ist), mit der Freiheit, nach welcher die Handlung sowohl als ihr Gegenteil in dem Augenblicke des Geschehens in der Gewalt des Subjekts sein muB, zusammen bestehen kõnne: das ist's, was man einsehen wiH und nie einsehen wird.» Dennoch hãlt er an der Freiheit fest, in der nãmlichen SelbstgewiBheit, die Jaspers meint, wenn er sagt: dch bin ihrer

250

für mich gewiB, nicht im Denken, sondern -im Existieren.» (Phil. 11, S. 185.) Zum Rãtsel der Freiheit gehõrt aber für Jaspers zuhõchst dies, was er

deut1icher und entschiedener als Kant zum· BewuBtsein bringt, daB Existenz als der innere Aufschwung zum Selbstsein aus' Freiheit letztlich gar keine dem Menschen,beliebig verfügbare Mõglichkeit ist. Der Mensch «kommt zu sich imd weiB nicht wie. Doch kami seine unablãssige Anstrengung sich selbst ilicht erzwingen; er kommt zu sich wie eiu Geschenk.» Der Mensch, der er selbst ist, ist «das "Vunderbare». IIi keiner 'Weise ist diese Mõglichkeit aus dem erkennbaren Weltbestand und Weltzusammenhang abzuleiten. Ge­rade- in bezug àuf die Mõglichkeit der Existenz gilt der Jasperssche Satz: «Aus einem für uns Seienden kann nicht unser Sein abgeleitet werden, aus dem, was mir vorkommt, nicht ich selbst.» (Vernunft und Existenz, S. 44.) «Der Mensch ist nicht abzuleiten aus einem andern, sondern ist unmittelbar zum Grund aller Dinge. Dessen inne zu werden, bedeutet die Freiheit des Menschen, die in jeder andern totalen Abhãngigkeit seines Seins verloren geht und nur fn dieser einen totalen Abhãngigkeit ganz zu sich kommt.» (Phil. Gl., S.49.)

Dies ist der Punkt, an welchem am Horizont der Existenzerhellung das dritte groBe Hauptthema der Jaspersschen Philosophie in Sicht kommt, die «Metaphysik» als «Erhellung der Transzendenz». «Transzendenz» ist Ur­sprung' der Existenz als Selbstsein aus Freiheit. Im niemals selbstverstãnd­lichen Gelingen des Selbstseins aus Freiheit, neben dem es immer auch die Mõglichkeit des Verfallens an die We1t gibt, wird Transzendenz als das Geheimnis des Ursprungs in einzigartiger Weise offenbar und gewiB. «Exi­stenz ist J?ur in bezug auf Transzendenz oder gar nicht.» «Der ganz aui sich Stehende erfiihrt angesichts der Transzendenz am entschiedemten jeneNot­wendigkeit, die ihn ganz in iUe Hand seines Gottes legt.» «Die hõchste Frei­heit weH3 sich in der Freiheit von der Welt zugleich als tiefste Gebunden­heit an Transzendenz.» (Einführung in die Philosophie,S. 43.) Zuglei~h

wird verstãndlich, daB Jaspers in diesem Zusammenhang vom «Glauben» spricht. Das Selbstsein aus Freiheit ist ja «Wunder». Nur im Aufschwun~ zmn Selbstsein vermag sich die Existenz ihrer Freiheit zu vergewissern, und «nur durch Freiheit '\Verde ich», so betont hier Jaspers ausdrücklich, «der Transzendenz (als Ursprung) gewiB» (Phil. Gl., $.53). Diese GewiBheit, die begreiflicherweis~ nur echt und wahr isl, sofern aus ihr heraus wirklich gelebt wird, ist der «eigentliche Glaube». «Glaube heiBt das BewuBtsein der Existenz in bezug auf Transzendenz.» (Phil. Gl., S. 28.) .

Bevor wir zur nãhern Erlãuterung der Jaspersschen Metaphysik al.s der Lehre von der Transzendenz übergehen, müssen wir uns auch noch seine Gedanken über die Verwirklichung des sinnhaften Menschseins vergegen­wãrtigen. EinmaI handelt es sich ja um wesentliche Gehalte der Existenz­philosophie. Zugleich aber entsteht hier ein besonderes Problem, das' der Jaspersschen Metaphysik Schwierigkeiten bereitet. Im Selbstsein aus Frei·

. heit entscheidet der Mensch über den Sinn seines Menschseins. Existenz ist die Verwirklichung dieser Entscheidung. In der Sinnzwiespãltigkeit der un­vermeidlichen Grenzsituationen wird diese Entscheidung zur schwersten Aufgabe. Aber im Glauben als derunbedingteu Hingabe an die Transzen­denz liegt die groBe Mõglichkeit, in den erschütternden Erfahrungen der sinnzwiespã1tigen Grenzsituatioilen sinnhaftes Menschsein zu. verwirklichen.

Hier kommt es, wie Jaspers ausdrücklich sagt, zu «sinnvollem :Reagieren». Nicht als ein Aufheben der Grenzsituatlon alssolcher, das Íst unmõglich, sondern als eine Art und Weise, «offenen Auges in sie einzutreten». Un­bedingte Hingabe laBt sich bewuBt hingeben auch in das Grauen der Angst, Ul11 diese Probe zu bestehen, und wird so zum bedingungslosen Vertrauen in die Transzendenz als den verborgenen gõttlichen Ursprung, als letzte Insta,nz, über die hinaus an nichts mehr appelliert werden kann. Damit entscheidet sich der Mensch il11 Selbstsein aus Freiheit für die «Bereitschaft zum Leben, wie es auch sei, es auf sich zu nehmen, wie es auch kommh. Der Glaube als solche Hingabe bewãhrt sich als die «Kraft der Existenz». Denn er macht sinnhaftes Aushalten der Grenzsituatioh mõglich, wei! er die Mõglichkeit der Überwindung der Angst bedeutet. Es spricht wohl auch die Erfahrung des Psychiaters l11it, wenn Jaspers hier mit so gewichtiger Be­tonung einl11al sagt: «Der Sprung aus der Angst zur Ruhe ist der unge­heuerste, den der Mensch tun kann. DaB er ihm gelingt, muB seinen Grund über die Existenz des Selbstseins hinaus haben; sein Glaube knüpft ihn un­bestimmbar an das Sein der Transzendenz.» So dem unvermeidlichen Lei­den, dem unvermeidlichen Kampf und dem unvermeidlichen Sterbenmüssen in die Augen zu sehen, heH3t sinnhaft Mensch sein. Irgendwie liegt hier au eh die Lõsung des Schuldproblems, wobei Schuld Verfehlung der Sinn­verwirklichung bedeutet. Glauben als die Kraft der Existenz bedeutet hier zweierlei: nicht nur unvermeidliche Schuld in Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst verantwortlich auf sich nehmen, sondern auch um Vermeiden vermeidbarer Schuld sich bemühen. Diesem Bemühen gibt die Hingabe eine besondere Sinnmõglichkeit: Verwirklichung der Hingabe in der «Kommu­nikation» als der Begegnung von Ich und Du, die es nur füt Existenz gibt, sagt ja zum andern wie zu sich selbst. Es ist der Sinn der Liebe. «Wer Hebt, sieht das Sein des andern, das er als Sein aus dem Ursprung grundlos und unbedingt bejaht: er will, daB es sei.» Es ist det EntschluB: «Ich will, daB jeder andere sei, wie ich zu werden mich bemühe.» Gibt es in solcher Kom­munikation Kampf, so ist es der Kampf nicht nur um das eigene wahre Selbstsein, sondern auch um das Selbstsein des andern. Das heiBt: Die echte Liebe ist der Wille, auch dem andern sinnhaftes Menschsein zu ermõgli­chen. Eben deshalb aber gehõrt das «Grenzenlos-Rede-und-Antwort-Stehen zur echten Kommunikation» (Phil. 11, S. 66). Wenn aber J aspers die lie­bende Bejahung des andern hier als «grundlos» bezeichnet, so erweist sich dies im Gesamtzusammenhang seiner Auffassung als eine überspitzt-miB­verstandliche Aussage. Denn er spricht anderswo selber vom « Grund der Liebe», der «eins ist mit dem \Villen zur eigentlichen Wirklichkeit. Was ich liebe, von dem will ich, daB es sei.» (Einführung, S.60.) Aber diese Liebe, die «zum Sein drangt, wachsh - so lesen wir' weiter - «aus dem Bezug auf Transzendenz».Humanitat wird einmal interpretiert als «Scheu vor der durch Bezug auf Transzendenz in der Ewigkeit verwurze1ten Seele» (Phil. Gl., S. 98). AIso ist der eigentliche Grund der, Liebe die gliiubige Ehrfurcht vor der Transzendenz als demverborgenen gõttlichen Ursprung des dem Menschen bestimmten und geschenkten Selbstseins aus Freiheit: «Ehrfurcht ist die Haltung der Freiheit.» (Von der Wahrheit, S. 773.) Letztlich «kõnnen wir darum GoU nicht lieben ohne den Menschen und den Menschen nicht ohne Gott» (Von der Wahrheit, S. 1003).

27

Aus dieseli. gewichtigen existenzphilosophischen Gedanken folgt nun aber ein bedeutsames Ergebnis für die Jasperssche Metaphysik: «Transzen­denz» erhiilt hier den Sinn eines Gottesbegriffes von besonderem Gehalt: Gott ist Sínngrund,· d. h. Ursprung der Sinnmõglichkeiten des eigentlichen Menschseins und ihrer Verwirklichung. Aber diesen Begriff der Transzen­denz sehen wir bei Jaspers einer Problematik verfallen, deren Bedeutung schon darin sich bekundet, daB sie zu der einzigen bemerkenswerten Wand­lung der Jaspersschen Metaphysik AnlaB gegeben hat, die sich in seinen Schriften der letzten zwanzig Jahre feststellen liiBt. Es ist daher gerecht­fertigt, diese Problematik zum Ansatzpunkt für die Darstellung seiner meta­physischen Grundanschauungen zu machen.

Gerade in der erliiuterten Bezogenhéit der Existenz auf Transzendenz wird die Transzendenz, also Gott als Sinngrund, als Ursprung der Sinn­mõglichkeiten des eigentlichen Merischseins, problematisch. Ist es niimlich so, daB «der ganz auf sich Stehende angesichts der Transzendenz am ent­schiedensten die N otwendigkeit erfiihrt, 'die ihn ganz in die Hand seines Gottes legh (Phil. lI, S.200), so wird die Frage unvermeidlich; ob der Mensch im «Sich-Ausbleiben» nicht ebenso wie im «Sich-geschenkt-Werden» auf die Trlmszendenz angewiesen ist. ln Wahrheit ist mit dem einen auch schon das andere behauptet. Jaspers selbst fragt: «Wenn es aber nicht kommt? vVenn er sich ausbleibt? ... Ist also das Ausbleiben meiner selbst meíne Schuld?» (Phil. rr, S. 44.) Sind aber sinnerfüllte Existenz und sinnleer­bleibendes Dasein für den Menschen zwei in gleicher Weise in der Trans­zendenz begründete Mõglichkeiten, so wiI'd Gott als Sinngrund selber sinn­zweideutig. [st auch das Dasein im Ganzen nicht einfach sinnleer, sondern, wie vollends die «Grenzsituationen», sinnzwiespiiltig, so sieht JaspeI's doch schon für diesen Fall sich genõtigt, «transzendierend die Identitiit von Sinn und Sinnwidrigem als das undenkbare Sein der Transzendenz zu suchen» (Phil. 111, S. 54). Dies vollends angesichts der Mõglichkeit, daB der Mensch in der Freiheit seines Aufschwungszum Selbstsein sich nach Jaspers' eigener Darstellung so entscheiden kann, daB gerade in seinem existentiellen Bezo­gensein auf Transzendenz ein Sinnzwiespalt entsteht. Existentiell bezogen auf Transzendenz ist er nicht nuI' in deI' gliiubigen Hingabe, sondern auch in Trotz und Empõrung, nicht nur im Aufschwung, sondern auch im Abfall, nicht nur wo er dem «Gesetz des Tages» folgt,. sondern auch dann, wenn er in die «Leidenschaft zur N achb sich stürzt. Das heiBt: Existentiell bezo­gen auf Transzendenz ist der Mensch nicht nur dann, wenn er sich ent­scheidet für «Ordnnng des Daseins, für Klarheit, Konsequenz und Treue, riir die Bindung an Vernunft und Idee, filr aufbauendes Vollenden des Daseins auf unendlichem Wege», also riir Sinnverwirklichung. Existentiell bezogen auf Transzendenz ist er nicht minder, wo er sich frei entscheidet für den «Sturz ins Siimlose» in der Leidenschaft, die alle Ordnungen durch­bricht (Phil. 111, S. 102 ff.). In all dem sind schlieBlich Glaube und Unglaube Pole des auf Transzendenz bezogenen Selbstseins, wobei im Glauben selbst ein Rest vou Uuglauben, aber anch im Uuglauben eiu Rest von Glauben bleibeu kann (Phil. I, S. 246 ff.). Wie denu auch von der Polaritiit von Trotz uud Hingabe gilt: «Weil Trotz in seiner Negativitiit von Anfaug an auf Gott gerichtet ist, wird das Leuguen Gottes nicht zur Gleichgültigkeit, sonderu ist der negative Ausdruck der Bezogenheit auf Trauszendeuz. Trotz,

28

ob Gott leugnend oder fluchend, ist selbst Ergriffenheit von der Transzen­denz. Er vermag tiefer zu sein als der fraglose Glaube. Hadern mit Gott ist ein Suchen Gottes. Alles Nein mõchte ein Ja, aber in Wahrheit und Red­lichkeit. Alle Hingabe ist als wahre nur mõglich durch überwundenen Trotz.)) Aber doch eben «nur die Gottheit, die mich zu mir selbst werden lãBt aus meiner Freiheit, lãBt mich durch Selbstsein den Trotz iiberwinden» (Phil.IU, S. 79 f., 75). Es gibt aber auch die Mõglichkeit, daB die Polaritãt von Glauben und Unglauben überhaupt verlorengeht. Dann bleibt nur noch der U nglaube der «eigentlichen Glaubenslosigkeit».

Nimmt man hinzu die Unmõglichkeit jeglicher Theodizee, so lãBt sich yollends der Feststellung nicht mehr ausweichen: «Es gibt im Dasein nicht den einzigen festen, objektiv gewiB werdenden 'Weg der Existenz iiberhaupt, sondern eine UngewiBheit der Mõglichkeit, in der Transzendenz zwei­deutig und fragwiirdig bleibt, wenn man sie wissen will.» (Phil. III, S. 69 f.) Was wird dann aus dem Glauhen? '\Tir lesen: «AIs Tageswesen yertraue ich meinem Gotte, aher mit Angst yor mir unfaBlichen Mãchten.» (Phil. III, S. 113.) Die Einheit Gottes als des ei nen Sinngrundes menschlicher Existenz droht jetzt in ei ne Zweiheit feindlicher, d. h. durch ei nen Sinnwiderspruch aufgespaltener Mãchte auseinanderzufallen: «Unser Sein scheint im Dasein wie auf zwei Mãchte hezogen.» (Phil. III, S. 102.) Es «zwingt sich der Ge­danke zweier transzendenter Ursprünge auf. Dem Gotl, hei dem i.ch im Gehorsam meines guten Willens mich geborgen weiB, stehen dunkle Ge­walten wie unterirdische Gõtter gegenüher, denen zu folgen in den Abgrund der unvernünftigen Schuld reiBt, die aber, abgewiesen, Rache heischen» (Phil. Ul, S. 70.) Aher das ist Mythologie, deren Unhaltbarkeit eingesehen werden kann. Im Konflikt mit dem Sinnfremden und Sinnwidrigen lãBt sich nur sagen: «Es ist nicht meine Gottheit darin. Ich weiB, daB nach mei­nen Krãften von mir der Kampf gegen jenes verlangt ist, aber ich kann nicht eI'waI'ten, daB ich siege. Die verborgene Gottheit, wenn sie indirekt zu miI' spricht, spricht nie ganz zu mir. Sie tritt mir entgegen in dem, was nicht sie sell:>st für mich ist.» (Phil. III, S.83.) Hier folgt Jaspers den Spu-ren des alten Schelling. .

Ist so die Transzendenz, sofern damit Gott als Sinngrund gemeint war, in der Tat «zweideutig und fragwürdig» geworden, so bleibt die Frage, ob es wirklich keine Mõglichkeit giht, die TI'anszendenz in eineI' von keineI' SinnpI'oblematik verzerrten Eiriheit zu denken. Damit setzt eine Wendung des Jaspersschen Denkens ein, welehe die Tatsache besiãtigt, daB alle Fra­gen der Religion, auch iIh Christentum, in zwei verschiedenen Grundfragen gipfeln, die nichtvermengt weI'den dürfen und deI'en Beantwortung immer auch auf den Gottesgedanken Bezug nehmen muB: Neben dem Sinnproblem gibt es das Seinsproblem. Geht das Denken vom Sinnproblem aus, so dI'ãngt es folgerichtig auf einen dualistischen AbschluB in der Metaphysik. Setzt das Denken beim Seinsproblem an, so macht sich mii gleichberechtigteI' Folgerichtigkeit die Tendenz zu einem monistischen AbschluB geltend. Die FI'age nach dem Ausgleich dieser gleichl:>erechtigten Tendenzen bleibt dann das letzte erregende und so oft veI'wirrende Problem des I'eligiõsen Den­kens. Es sind die existenzphilosophischen Gedankengãnge, die bei Jaspers den Gedanken deI' Transzendenz einer dualistischen Aufspaltung entgegen­drangen. Denn für die Existenzphilosophie steht das Sinnproblem im Vor-

29

dergrund. Sein universal gerichtetes Philosophieren kann jedoch das Seins­problem unm6glich ignorieren. Aber von der Existenzphilosophie her ent­steht ei ne Hemmung, beide Grundprobleme in klare~ Unterscheidung ihrer Verschiedenheit je für sich gesondert methodisch und folgerichtig in ihrer Beziehung zur Frage nach der Transzendenz zu durchdenken. Diese Hem­mung liegt in dem der Existenzphilosophie entsprechenden Gedanken:, «Gott is! für mich in dem l\1aBe, als ich in Freiheit wirklich ich selbst werde .. Er ist gerade nicht als vVissensinhaIt, sondern nur im Offenbar­werden für die Existenz.» (Einführung, S.44.) «Nur durch Freiheit werde ich der TranszendenzgewiB.» Deshalb dann auch die These, daB die. GewiB­hei! der Exi~tenz in bezug auf Tra.nszendenz nur der «Glaube» sei. Das trifft gemãB dem existenzphilosophischen Ansatz wohl zu unter dem Vor­behalt, daB unter Transzendenz Gott als Sinngrund menschlicher Existenz zu verstehen ist. Die These wird aber ausgesprochen, als gãIte sie auch, wo mit Transzendenz Gott als Seinsgrund gemeint ist. Darum kann nun der SachverhaIt, daB dem in Wahrheit nicht so ist, nicht zur GeItung kommen, ohne daB Unklarheiten und Unstimmigkeiten entstehen.

Die zwei wichtigsten Unstimmigkeiten sind hier zu erwãhnen. Einmal wird nun schon im dritten Hauptteil der «Philosophie»von 1932, in der «Metaphysik», sehr eingehend dargelegt, daB die TranszendenzgewiBheit keines wegs . nur auf dem W egeder «existentiellen Bezüge zur Transzendenz» erreicht wird, daB es hier vielmehr auBerdem noch die zwei andern Wege des sog. «formalenTranszendierens» und des «Lesens der Chiffreschrifh gibt. Rier geht denn auch J aspers über die These, daB Transzendenz in ihrer Wirklichkeit nur bewuBt werde im Glauben als Akt der Existenz, weit hin­aus, indem er eine rationale Methode des transzendierenden Denkens als «philosophische Grundoperation» entwickeIt. Nicht die Vernunft strãubt sich gegen diese Methode, sondern es ist nur der positivistische Verstand, der als Letztes immer etwas «Handgreifliches» will und darum sich gegen dic in dieser Methode der «philosophischen Grundoperation» denkende wahre Vernunft auflehnt, gerade damit aber eineIi «Grundfehler» in seinem Denken begeht (Phil. Gl., S.21, 115). Was mit dieser Methode des. «trans­zendierenden Denkens» gemeint ist, lãBt sich in Kürze am einfachsten ver­deutlichen, wenn man beachtet, daB es sich hier für J aspers um das konsequente Zu-Ende-Denken der «philosophischen WeItorientierung» han­deIt, im Sinn dessen, was ihm als die eigentliche Grundintention der «trans­zendentalen Methode» Kants erscheint: Kant fragt erkenntnistheoretisch nach den Bedingungen aller Gegenstãndlichkeit und st6Bt damit an ei ne prinzipielle Grenze, sofern die Bedingungen aller Gegenstãndlichkeit selber nicht mehr Gegenstãnde sind und sein k6nnen. Er erfragt als das Apriori aller Kategorien des Verstandes die «Einheit der Apperzeption»;. aber da ja diese Einheit der Ursprung aller Kategorien, also auch der Kategorie der «Einheih selber ist,so liegt sie als Ursprung selbst jenseits aller Kategorien, ist nicht mit der Kategorie der «Einheih identisch, sondern eben deren Grund. Hier schwindelt freilich dem positivistischen Verstand, weil er sich an dieser Grenze nicht mehr am Gelãnder der Handgreiflichkeit festhalten kann. Aber filr die h6chste Vernunfteinsicht ist es durchaus in Ordnung so, daB an .diesem Grenzpunkt der in Kategorien der Gegenstãndlichkeit den­kende Verstand vomSchwindel ergriffen wird. Gerade indem das transzen-

30

dierende Denken mit der letzten, Frage die Grenze aller Gegenstãndlichkeit berührt, stõBt es an echte wirkliche Transzendenz. Nun gibt es aber in der gesamten Wirklichkeit, von der wir im Horizont unseres BewuBtseins gegen­stãndlich wissen kõnnen, keinen Bereich, innerhalb dessen dieses transzen­dierende Denken nicht in dieser vVeise fragend an die Grenze stoBen kõnnte. "Stehe ich vor der Wirklichkeit und denke sie als Weltall, so kann ich fragen: ~Tarum ist überhaupt etwas und nicht nichts?» Mit dieser Frage berühre ich denkend den transzendenten U rsprung der Welt, denke ihn aber, weil ich nicht anders kann, in der Kategorie der Kausalitãt als causa sui.. d. h. aber: Ich denke den Seinsursprung, als wãre er nicht der Ursprung der Welt, sondern etwas in der Welt Gegebenes, worauf sich ja unser Denken in den Kategorien des Verstandes immer bezieht. Damit gerate ich notwendig irgendwie' in logische Unstimmigkeit, die Symptom und Folge davon ist, daB ich echte Transzendenz, indem ich sie so gegenstãndlich denke, irgendwie inadãquat denke. Der Begriff der causa sui ist nach dem logischen Gesetz des kategorialenDenkens IÚrie Paradoxie. Begreiflicher­weise! Ich kann eben denkend das Letzte nicht anders als durch Vorletztes bestimmen, bestimme es dann aber eben deshalb notwendig irgendwie falsch. Keiner hat in so klassischer Klarheit wie Kant erfaBt und zum Aus­druck gebracht, daB hier der Verstand in der Tat unvermeidlich vom Schwindel ergriffen wird: "Die unbedingte Notwendigkeit, die wir als letz­ten Trãger aller Dinge so unentbehrlich bedürfen, ist der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft. Selbst die Ewigkeit, so schauderhaft erhaben sie auch ein Haller schildern mag, macht lange nicht den schwindelicttten Eindruck auf das Gemüt; denn sie mi{3t nur die Dauer der Dinge;aber trãgt sie nicht. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen, daB ein Wesen, welches wir uns als das hõchste unter allen mõglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewig­keit zu Ewigkeit; auBer mir ist nichts, ohne das, was bloB durch meinen Willen . etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns ... » (Kr. d. r. Vernunft, ed. Cassirer, S. 422 f.) Nach ihrer vollen Bedeutung und Tragweite hat einst nur Schelling diese Kantische Aussage begriffen, und offenkundig durch Schelling ist Jaspers darauf aufmerksam geworden.

Die metaphysischen Konsequenzen liegen jetzt auf der Hand: Man ver­steht alle Metaphysik, für die Transzendenz als das "Nichts» erscheint, vollends jene Mystik, die Gott selbst das "Nihi!» nennt. Gemeint ist: Trans­zendenz ist "Nichts» von all dem, was mir in der Welt als Gegebenes vor­kommt, weil sie, neuplatonisch gesprochen, das wahre "Überseiende», das v7ls(!ovawv ist. Dies eben ist das echt Transzendente an der Transzendenz. Gott ist nicht Welt, und nichts in der Welt ist Gott. Zugleich ist damit zugestanden, daB wir niemals Gott erkennen in Denkformen und Denk­inhalten, die sich eigentlich auf das in der Welt Gegebene und Erkennbare beZiehen, und alle unsere Denkformen und Denkinhalte sind ja von dieser Art - auch die Denkformen und Denkinhalte der Theologen. Es ergibt sich ferner das Verslãndnis für das innere Recht der auch in der Geschichte des Christentums bei den grõl.lten Denkern immer wieder sich bemerkbar machenden «negativen Theologie», die eingesteht, daB alle Erkenntnis Gottes als Erkenntnis zwar wohl Erkenntnis des Daseins, aber nicht des Wesens Gottes ist und sein kann. Weiter: Da es also keine Sphãre gibt, in derdas

31

h'anszendierende Denken nicht vollziehbar ware, so kann alles in Welt und Dasein zur Sprache Gottes werden, Nirgends ist zwar Transzendenz als gegenstandlich Gegebenes da, so wie irgend etwas in der Welt vorkommt, aber alles Gegebene, alles in 'Welt und Dasein, steht, wie Existenz, in un­mittelbarer Beziehung zur Transzendenz und kann darum auch zum Hin­weis ,auf sie werden. Wir lesen jetzt bei Jaspers sogar den Satz: «Die

'Transzendenz ist uns nur fühlbar, wenn sie auch durch die \Velt zu uns spricht,» (Von der Wahrheit, S. 113.) In diesem Sinne kann von einer dmmanenz der Transzendenz» gesprochen werden (Phil. III, S.137). In seiner «Metaphysik» führt Jaspers diese Gedanken aus unter dem bild­haften Titel des «Lesens der Chiffreschrift», U nd schlieBlich wird so eine bestimmte Beziehung zur Transzendenz überall ÇJffenbar: die Beziehung zur Transzendenz als Ursprung von allem, also Gott als Seinsgrund, wobei jedoch gerade auch hier zu bedenken ist, daB unser Denken über keine Kategorie verfügt, in der uns diese echte Ursprungsbeziehung adaquat faBbar würde. «Das im Symbol des Schõpfungsgedankens Gedachte ist kein VoI'gang, dem wir auch nur in der Fiktion zuzusehen vermõchten. Was darin gemeint ist, kann von uns nie angemessen gemeint sein, denn es steht auBerhalb unseres Vorstellungs- und Denkvermõgens. Kõnnten wir begrei­fen, woher wiI' sind, so würden wir aufhõren, Menschen zu sein.» «{ch kann von dem, woraus ich bin und lebe, nur sprechen, indem ich es im Gespro­chenen auf eine begreifliche Weise verfehle.» So ist deI' Schõpfungsgedanke «der AusdI'uck,des Urgeheimnisses, das Aussprechen der Unbegreiflichkeih. In dieser Hinsicht ist alles Dasein Wunder im eigentlichen Sinn, und die Gottheit bleibt in ihrer Offenbarung der verborgene Gott.

An diesem Punkt entsteht schlieBlich die zweite Unstimmigkeit in der Jaspersschen Metaphysik, die ich ohne eingehende Erlauterung nur noch kurz bezeichnen will: Als Ursprung von allem, als Seinsgrund schlechthin also, ist die Transzendenz offenbar tatsachlich Einheit. Aber vom Sinn­problem heI' gesehen waI' sie zwiespãltig geworden, Nun hat Jaspers seit seiner Schrift «Vernunft und Existenz» von 1.935 für die Transzendenz einen andern Begriff gepragt, der so gedacht ist, daB die Gefahr der dualistischen, Aufspaltung ausgeschaItet wird. Es ist der Begriff des «schlechthin Um­gI'eifenden», verwandt mit dem Hegelschen Begriff des «Unendlichen», das alles, auch alle Grenzen, in sich und nichts mehr auBer sich hat. Dieses «Ulngreifende» ist «das Sein, das alles zusammenhãlt, allem zugrunde liegt, aus dem alles, was ist, hervorgehb, so schlieBlich das eigentliche «Sein im Ganzen» (Einführung, S,28, 30). Seither konkurrieren bei Jaspers die bei­den Begriffe der «Transzendenz» und des «Umgreifenden», werden aber auch identifiziert. Man versteht durchaus die J ntention dieseI' W' endung des Jaspersschen Denkens, ohne daB man aber die letzte Klarung des zugrunde liegenden Problems erreicht sãhe, Die Zweideutigkeit der «Transzendenz» verschwindet ja nur deshalb und so lange, als ihre Ursache, die Sinnproble­matik, d. h. die Sinnzwiespãltigkeit des Seins, wie es uns in der Erscheinung faBbar ist, auBer acht gelassen bleibt. Sobald aber diese wieder ernst ge­nommen wird, macht sich die dualistische Stõrung als die bereits fest­gestellte «Zweideutigkeit und Fragwürdigkeib der Transzendenz neuerdings als ungelõstes Problem bemerkbar. '

Eigentlich müBte man hier doch wohl den SchluBpunkt setzen mit dem

32

Gestandnis, daB wir die wirkliche Einheit von Sinngrund und Seinsgrund in Gott nicht zu erkennen vermõgen, was nicht nur der <negativen Theo­logie», sondern auch demPaulinischen Spruch gemaB ware: «Wie gar un­begreiflich sind seine Gerichle und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?»

11. Dieser letzte Hinweis führt uns zum zweiten Hauptpunkt unseres

Themas. Es ist die Frage des Verhaltnisses der J aspersschen Philosophie zum Christentum. Hier sind zwei Fragen auseinanderzuhalten, einmal: In welcher Beziehung steht der Gehalt dieser Philosophie zum Christentum? Sodann: Wie ninllut.Jaspers selbst zum Christentum ausdrii.cklich Stellung?

Es bedarf keiner umstandlichen Analyse, um eine ganze Reihe von Einzelziigen festzustellen, in denen die. Jasperssche Philosophie mit christ­lichem Gedankengut zusammentrifft oder ihm doch irgendwie sehr nahe steht. Hierher gehõren: die Transzendenz Gottes, neben der allgemeinen Schõpfungsoffenbarung eine spezielle Offenbarung Gottes, die sich auf die Sinnfrage der menschlichen Existenz bezieht, Schõpfung als Wunder, Sinn­zwiespaltigkeit der Welt und des Menschen, insbesondere die Jasperssche Lehre von der Existenz mit ihrer Explikation der wahren Sinnmõglichkeiten des Menschseins, wahre Freiheit als Freiheit von der WelUn der Welt, die Gewichtigkeit des Schuldproblems, die Nahe zur Lehre von der Erwahlung und von der Erlõsung. Ausdriicklich sei festgestellt, daB das Jaspers mit Recht so erregende Problem der Zweideutigkeit der Transzendenz als Sinn­grund der Bibel keineswegs fremd ist. Im Alten Testament kommt es bei­spielsweise und vor allem im Verhaltnis Jahwes zum Satan zum Ausdruck. Erinnern wir uns etwa der Stelle Hiob 2,3. Hier gesteht Jahwe aJ;lgesichts des ins Elend geworfenen Hiob dem Satan: «Du hast mich gereizt, ihn ohne Ursache zu verdetben.» Ein Talmudlehrer hat dazu bemerkt: «Wenn es nicht in der Bibel stande,' dürfte man es nicht sagen.» Alle christ1ichen Theologen sind eingeladen, nachzudenken iiber die Frage: 'Varum?

Angesichts solcher gewichtiger Merkmale von Gemeinsamkeit oder Ver­wandtschaft begreift man, daB Jaspers selber ausdriicklich Stellung nimmt zu dem Einwand, solche Philosophie sei «der Versuch, durch theologische Anleihen das Nichts, zu dem die Philosophie als solche führe, aufzufiillen. Es handle sich, wie SChOll oft geschehen, um eine Sakularisierung prote­stantischer Theologie, oder gar um eine verkappte Theologie.» Er antwortet: solcher Einwalld verwechsle' das schlechthin Humane mit dem eigentlich Christlichen und lasse auBer acht, wie weit umgekehrt «die Theologie von philosophischen Gedallken lebt, die die Philosophie als die ihrigen sich nicht llehmell laB!». Und gegell den besollderll Verdacht theologischer An­leihell bei Kierkegaard hat er einzuwellden: «Es kÕllllte sein, daB Theologie wie Philosophie, welln sie Kierkegaard folgell, sich irgend etwas Wesent­liches verschleiern, um seine Begriffe und Formeln fiir die eigenen gallz andern Zwecke zu verwenden. Es kõnllte sein, daB innerhalb der Theologie auch eine unglaubige Theologie sich mit den raffinierten Kierkegaardschen DenkmiUeln in dialektischen Paradoxien ei ne \Veise der Glaubensaussagen herstellt, die es mit ihrem Verstande vereinbart, daB sie sich fiir christlich glaubig halt.» (Vernunft und Existenz, S. 108, 23.)

.33

\Yill man aber den entscheidenden Punkt sehen, auf. den es für den Vergleich ankommt, so darf man nicht um solche Einzelzüge markten, wie sie soeben hervorgehoben wurden, sondern muB die ganz bestimmt geprãgte, in sich geschlossene Grundanschauung in Betracht ziehen, die sich im Zu~ sammenhang aller dieser Einzelzüge bekundet. Das Wesentliche ist hier dies, daB der erlõsungsbedürftige Mensch durch den Glauben in eine Be­ziehung zu Gott erhoben wird, durch die er luaft des absolut frei en Waltens der schenkenden gõttlichen Gnade võllig unmittelbar einer Erlõsung teil­haftig wird, die nach der durch die traditionellen Kirchenlehren interpre­tiertenchristlichen Auffassung nur auf Grund des heilsgeschichtlich ge­dachten Erlõsungswerks Christi realisierbar seiu soll. Jaspers ist sich dieses Sachverhalts deutlich bewuBt. Die Erlõsung ist zwar nicht universal gedacht wie im heilsgeschichtlich-kirchlichen Dogma. Der Glaube an die Mõglich­keit einer endgültig richtigen Welteinrichtung wird in jeder Form als Aber­glaube verworfen (Ursprung und Ziel der Geschichte, S.124). Die Mõg­lichkeit der Erlõsung ist nicht zu denken als Verãnderung der Grundverfas­sung der \Yelt im Sinne einer neuen Schõpfung im Ganzen, wohl aber als \Yandlung der Haltung des Menschen in der Welt und zu;r \Yelt, durchaus ini Sinne des Freiseins von der \Yelt in der \Yelt, das auch im N euen Testament als die in der Gegenwart realisierbare Erlõsung des Glãubigen beschrieben wird. Zu dieser Erlõsung führt die philosophische Haltung, die sich zum «Glauben» vertieft. Es ist die Analogie zum Paulinischen «Wan­deln im Geist». Aber das heilsgeschichtlich gedachte Erlõsungswerk Christi wird nicht nur ignoriert, sondern entschieden negiert. Und Jaspers kõnnte seine Überzeugung von der Nichtigkeit dieses messianisch-eschatologisch orientierten Erlõsungsdogm.as nicht krãftiger bestãtigen als eben dadurch, daB er und wie er neben dieserh Dogma vorbei die Mõglichkeit, N otwendig­keit und \Yirklichkeit der Erlõsung selber bejaht und erlãutert.

Jaspers zweifelt nicht bloB am traditionell-kirchlichen heilsgeschicht­lichen Erlõsungsdogma. Vielmehr ist es ihm eihe ernstzunehmende GewiB­heit, daB dieses Dogma ein letztlich ruinõs wirkender Irrtum ist, was er mit einer gelassenen Klarheit zum Ausdruck bringt. Er stellt fest: "Zu den Kir­chen als solchen ist bei den Massen kein durchschlagendes Vertrauen mehr mõglich; sie waren zu ohnmãchtig, als das Bõse triumphierte.» (Ursprung und Ziel der Geschichte, S.273.) «Es scheint heute, daB immer weniger Menschen an Christus als den einen, . alleinigen Sohn Gottes, als den von Gott gesandten einzigen Mittler glauben.» Angesichts der groBen gegenwãr­tigen Zeitwende, die den Menschen so radikal wie kaum je vorher in der Geschichte wandelt, wirdauch eine .Wandlung des kirchlichen Christentums unabwendbar, wenn hier nicht alles verloren gehen soll. Allein «der Philo­soph kann unmõglich de'm Theologen und den Kirchen sagen, wie sie es machen sollen)!. Er kann «nur hoffen, mitzuarbeiten an den Voraussetzun­gen». «Ode!"», so fragt er in diesem Zusammenhang, «sollte schlieBlich do eh am Ende bewuBte Unwahrhaftigkeh überlegener Geister, wie .Platon meinte, eine Bedingung des Fortganges der Massenprãgung und der Überlieferung auch der tiefsten Gehalte sein? Ich glaube: Nein. Welche Lügen wãren dànn heute die un.umgiinglichen und wir ksamen? GewiB keine solchen, die damit Trãger der Wahrheit würden.» (Phil. Gl., S. 74, 83, 84.) Bei all dem will er die Kirchen weder bekãmpfen noch selber verlassen: «AIs Philosophicren-

34

der wage ich es vielleicht, in der Ausdrucksweise alter Zeiten, Ketzer in der Kirche oder anders: dem ~Tesen nach Protestant zu sein.» «Die Kirche, in der ich geboren wurde, kann ich nicht ablehnen, weil ich ohne sie nicht zum Gehalt meiner Freiheit gekommen wãre ... Die Kirche aber der Theolo­gen, die mich ausschlieBen würde, ist nicht die Kirche einer Wahrheit, sondern jeweils ei ne Verirrung entleerter Fixiertheiten.» (Phil. l, S. 321.)

Worauf beruht die GewiBheit, mit welcher Jaspers die Verneinung der im Dogma vom Erlõsungswerk Christi zentrierten heilsgeschichtlichen Kirchenlehren vollzieht? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir zu­rückgehen auf .Jaspers' Stellungnahme zum supranaturalistischen ·Offenba­rungsbegriff der kirchlichen Tradition. Er leugnet Offenbarung sowenig wie Erlõsung. Aber die Schãrfe des Gegensatzes zum kirchlich-traditionellen Offenbarungsbegriff ergibt sich aus der Gegeniiberstellung eines andern Offenbarungsbegriffs. Wir brauchen diesen Begriffnicht nochmals zu erõr­tern. Er ist ja, aufs Prinzipielle gesehen, auch nicht neu. Es genügt, darauf zu achten, wie Jaspers von da heI' gegen den kirchlich-supranaturalistischen Offenbarungsbegriff argumentiert. Die Kritik richtet sich gegen die Auffas­sung der Offenbarung als eines irgendwie vereinzelt-einmaligen analogie­losen geschichtlichen Geschehens und gegen eine inhaltliche Interpretation solcher Offenbarung, nach welcher schlieBlich etwas in der vVelt Gegebenes in irgendwelchem Sinne zur diesseitig-weltlichen Vergegenwãrtigung des transzendenten Gottes erklãrt und damit zur übernatürlichen einzigen Auto­ritãt verabsolutiert wird: das heilige Buch als Kanon, der Gottmensch, das kirchliche Heilsinstitut, das Priestertum, das Sakrament, das Dogma. Aber dieser Offenbarungsbegriff ist ja nichts spezifisch Christliches, und die Religionsgeschichte hallt wider von dem ins Sinnlose ausartenden Konkur­renzkampf zwischen den verschiedenen derartigen Offenbarungsansprüchen. Auf diese Tatsache reagiert die Kritik Jaspers' ebensoscharf wie einst die Aufklãrung, die lange genug Gelegenheit hatte, dem Konkurrenzstreit der verschiedenen Offenbarungsansprüche zwischen den orthodoxen Konfes­sionskirchen des 17. J ahrhunderts mit allen seinen Folgen zuzusehen: «Schon ãuBerlich spricht die Mehrheit sich gegenseitig bekãmpfender Offen­barungen gegen sie alIe. Es ist der Hochmut der Me~schen, der sich in den Gehorsam. gegenüber solcher Offenbarung verkleidet, um von allen andern Menschen unter dem N amen der Demut Gehorsam gegenüber der eigenen 'Yahrheit und sich als ihren Yertreter zu verlangen.» (Von der W'ahrheit, S.1052.)

Die lmerbittliche Entfaltung dieses Urteils lãBt schlieBlich einen ent­schiedenen Gegensatz aufklaffcn zwischen aller Religion, die, eben als Religion, aufdem hier verworfenen Offenbarungsbegriff beruht, und echtem Glauhen. Solche Religion macht den echten Glauben unmõglich. Der supra­naturalistische Offenbarungsbegriff beruht auf einer folgenschweren Ver­wechslung, von der Jaspers als von einer «furchtbaren Verkehrung» spricht (Von der Wahrheit, S. 694). Was Chiffre ist, wird mit dem Sein selbst, auf das sie bloB offenbarend hinweist, verwechselt. Ohne Bildnis und Gleichnis als etwas in der ~Telt objektiv Gegebenes «ist in der Tat der Eine Gott nicht hõrbar; im Bildnis und Gleichnis ist er aber nicht mehr er selbsh (Von der vVahrheit, S. 693). «Die Priester verwechseln Gehorsam gegen Gott mit dem Gehorsam gegen in der vVelt vorkommende Instanzen.» (Einführung,

35

S.70.) Nichts Geschichtliches, Weltliches ist absolut verlaBlich. Denn nir­gends ist Gott in der Welt. Insofern verwehrt die Ursprünglichkeit des Got­tesglaubens jedes Mittlertum. Aber in der UnverlaBlichkeit alles Weltseins als solcher ist der Zeiger aufgerichtet. Er verbietet, in der W' elt Genüge zu finden; er weist auf ein Anderes (Einführung, S. 22,45).

Die groBe Verwechslung gipfelt in der Menschenvergõtterung, die ge­wiB nicht nur in den groBen Religionen eine Rolle spielt, aber in der Tat auch in ihnen. Dabei soll gerade die jeweils als gõttlich geglaubte Gestalt nicht auf Menschenvergõtterung beruhen. Man unterscheidet sie von Men­schenvergõtterungen, die man als solche verwirft. Die 'Neigung zur Men­schenvergõtterung ist begreiflich: «EiS ist eine harte Forderung, in der Leere der Welt zuertragen, daB Gott nicht da ist wie irgend etwas in der Welt.» (Phil. Gl., S. 102 f.) Denn «in der Welt gibt es keinen wirklichen und wahr­haften Trost, der miI' die Verganglichkeit von allem und meiner selbst ver­standlich und tragbar erscheinen liiBh (Phil. III, S. 126). So wird immer wieder die Transzendenz falschlich identifiziert «mit einem leibhaftigen Menschen, von den Gottkõnigen der orientalischen Reiche, den Inkarnationen der indischen Religionen bis zu Christus» (Von der Wahrheit, S. 824). «\Vürde es die Wahl zwischen Gott und einem Menschen geben, so ware es unmõglich, nicht Gott zu wahlen. Da aber Gott nicht als Objekt unter Din­gen, nicht als Mensch, der Gott ist, nicht :lIs Daseinssphare neben andern Daseinsspharen miI' begegnet, kann eine solche Wahl sinnvoll nicht vor­kommen; sie kann nur vorgetauscht wérden, wenn Gott in einer sich in ihrer Objektivitat allen aufzwingenden Religion bestimmte Gestalt geworden isL» (Phil. I, S.316f.)

Schon an diesem zentralenPunkt, im christologischen Zweinaturen­dogma vom Gottmenschen Jesus Christus, erweisen sich darum die tradi­tionellen heilsgeschichtlichen Erlõsungsléhren der Kirchen als Mythus. Denn auch hier machen die geschichtlichen Zeugnisse die Tauschung ,offenbar. Gegen die Vergottung Jesu spricht sein eigenes \Vort, wonach er nicht ein­mal aIs «gut» angesprochen werden will, weil niemand gut ist auBer dem Einen Gott. Selbst die im Zweinaturendogma deklarierte «Vollkommenheit» der menschlichen Natm' Jesu erweist sich aIs eine tauschende Verabsolutie­rung. In allem geschichtlichen Menschsein ist eigentümliche GrõBe immer auch mit Mangeln und Einseitigkeiten erkauft. Auch Jesus ist «kein ganzer Mensch, weil er nicht eintritt in die Realitaten des Daseins in der Welt, nicht in Staat, Wirtschaft, Ehe, nicht in die Leistungsspharen der Kultur» , und diese I,Ialtung ist verbunden mit dem «Irrtum der ursprünglichen christlichen Eschatologie»: der «Erwartung des \Veltendes in der Zeit des Lebens der gegenwartigenGeneration». Sofern das nachfolgende Christen­tum auf der tauschenden Vergottung Jesu als «Vernichtung der offenbar gewordenen Wahrheih beruht, ist es also gar «nicht von Jesus begründet, sondern von einem Glauben, der sich auf Jesus als Quelle der Katholizitat, auf den Christus aIs Gott .bezieht, aber ohne Jesus aIs Menschen nachzu· foIgen» (Von der Wahrheit, S. 854 f., 480).

Alle Vergottung, Mythisierung, Vergõtzung und Verabsolutierung von innerweltlich Gegebenem verfiiIscht und ruiniert als tauschende Objektivie­I'ungodeI' geI'adezu MàterialisieI'ung deI' Transzendenz im Endergebnis im­meI' auch den Glauben, vor allem daduI'ch, daB sie in unwahI'eI' Weise als

36

Autoritiit auftritt und darumscheitern muB. Alle geschichtliche AutorWit kann echte Autoritiit sein kraft existentieller Beziehung zur Transzendenz. Aber sie ist nie die Transzendenz selbst, daher auch nie vollkommene Auto­ritiit. Tritt sie trotzdem in Verabsolutierung als solche auf oder wird als solche geltend gemacht, so wird unvermeidlich ihr Verhalten durch die damit selbstgeschaffene unwahre Lage bestimmt. Diese Autoritiit muB intole­rant sein, d. h. sie wird unfiihig, sich redlich in Frage stellen zu lassen. Hinter der Maske angemaBter vollkommener Autoritiit werden Daseinstriebe wie Machtwillen oder auch Grausamkeit und Zerstõrungstrieb zu den eigentlich wirksamen Bewegungskriiften. Für die Anerkennung beliebiger Absurditiiten wird das sacrificium intellectus verlangt. Zumeist unterscheidet diese Auto­ritiit von der gewõhnlichen « weltimmanenten Gewalt nur dieses, daB sie

. ihre eigene Gewalt durch Berufung auf Gott begründet und vermõge des sich ihnen unterwerfenden Glaubens damit Erfolg hat. Die Autoritiit wird in der Folge eingesargt zu einem unbeweglichen Leichnam, der durch sein Dasein ei ne Zwangsgewalt ausübt.» (Von der Wahrheit, S. 823.) Um sich in ihrer faktischen Fragwürdigkeit trotz allem zu halten, hilft sie sich mit dem, was Jaspers «katholische Methoden» nennt, die stets auf unsaubere Kom­promisse und Sophismen hinauslaufen (Von der W' ahrheit, S. 843 ff.). Das Scheitern mit katastrophalen Folgen ist für diese Autoritiit auf die Dauer unvermeidlich. Wiihrend sie propagandistisch die gliiubige Unterwerfung unter ihre angeblich absolute Offenbarung als einzige Sicherung vor dem Sturz in den Nihilismus anpreist, ist das wirkliche Ergebnis ein ganz ande­res. Die Autoritiit der transzendenzverfiilschenden Verabsolutierung beweist schlieBlich mit der Vertretung ihrer eigenen Sache, daB sie nicht ist, was sie zu sein behauptet. « Wird an eine menschliche Instanz als die hõchste geglaubt, so muB .die furchtbarste Enttiiuschung durch die Verwahrlosung ihrer Vertreter und das Versagen ihrer Institution den Beweis des Irrtums liefern, in einer qualvollen, aber die Wahrheit fordernden Krise. » (Von der Wahrheit, S. 815.) Es kommen die geschichtlichen Krisen, in denen mit dem zerbrechenden Autoritiitsglauben die «vernichtende Leere», der Nihilismus, entsteht. Alle Mythisierung, Vergottung, Vergõtzung, Verabsolutierung eines weltimmanenten Gegebenen wird jetzt als Verfãlschung der Transzendenz und damit als «Aberglauben» entlarvt. Mehr noch: Weil es die Transzendenz ist, die so verf1ilscht wird, so wird dieser Aberglaube in seinem eigentlichen tiefsten \Vesen als «Aufstand gegen Got!» offenbar unddamit als eine «Gestalt des Unglaubens» (Einführung, S.50, 85 f.; Ursprung, S. 335; Vou der Wahrheit, S. 789; Phil. Gl., S. 90 ff., 106 ff.).

Damit endet die Kritik Jaspers' in dem Urteil, daB alle Religion, die "T eltimmanentes verabsolutiert, nicht Glauben ist, sondern zum echten Glauben im Gegensatz steht und ihn verunmõglicht. Denn «der Glaube führt im kritischen BewuBtsein», niimlich im kritischen BewuBtsein der philoso­phischen Haltung, «zur Selbstbegrenzung der endlichen Dinge» ,Er «mõchte wohl die reale direkte Gegenwart der Transzendenz, ... aber er will sich nicht tiiuschen. Er mõchte sich beugen, aber nicht knien vor dem, was Menschenwerk iSÍ». Darulll ist «dem Philosophierenden als solchem Glaube, nicht aber Religion mõglich». So «gibt es keinen Standpunkt auBerhalb des Gegensatzes von Philosophie und Religion. Jeder von uns steht in der Pola­ritãt schon aufder .einen Seite.» (Ursprung, S. 284;Phil. I, S.302, 295;

37

Phil. Gl., S. 60.) «Dem Autoritatsgebundenen erscheint der Unabhãngige aIs der chaotischen Subjektivitãt verfallen, als irrendes Wesen, das sich mit der Gottheit verwechselt. Dem Unabhãngigen erscheint der Autoritãtsgebun­dene aIs Verrãter an der transzendent verankerten Freiheit des Menschen.» (Phil.I, S.308.)

Alleill diese Kritik an den Kirchen und ihrer ReIigion der faIschen VerabsoIutierungen ist nicht das Ietz,te, was J aspers in seiner Stellungnahme zum Christentum zu sagenhat. Zu denfaIschen VerabsoIutierungen der KirchenreIigion gehõrt wohI auch die VerabsoIutierung der BibeI als Kanon. Aber zwischen der wirklichen biblischen Religion und kirchlicher Religion besteht für Jaspers ein wesentlicher Unterschied, den er entschieden betont. Angesichts der «eigentlichen Frage der Zukunft», die nach Jaspers letztlich doch darauf hinauslãuft, «wie und was der Mensch glauben wird» (Ur­sprung, S.273), legt er betrãchtliches Gewicht auf die Feststellung: «Wenn der Zweifel an den heutigen Kirchen und ihrer Fãhigkeit zur Metamorphose ihnen keine gute Prognose stellen mõchte - vielleicht sehr irrig -, so braucht dieser Zweifel keineswegs die biblische Religion zu treffen.» Ja noch mehr: «DaB im Bezug unseres Glaubens auf àie biblische Religion zuletzt die Entscheidung über die Zukunft unseres abendlãndischen Mensch­seins liegt, das scheint gewiB.» (Ursprung, S.288.) Dieser Satz gibt nicht blo13 einem Einfall augenblicklicher Stimmung Ausdruck. Denn er wird an anderer Stelle wiederholt: «Die Frage: Was wird aus der biblischen Reli­gion?, ist heute ei ne Schicksalsfrage des Abendlandes.» (Ursprung, S.69.)

Auf alle Fãlle kann Jaspers von der «biblischen Religion» als Religion in der Tat so nur reden, sofern er hier, im Gegensatz zu seinem schlie13lich doch zu sehr verengten Religionsbegriff, als «Religion» nun etwas vorfindet, das in der Religion der transzendenzverfãlschenden Verabsolutierungen nicht aufgeht. Jaspers hat auch darüber Auskunft gegeben, wie er die Dinge hier sieht. AIs «Grundcharaktere de!"" biblischen Religion», die zwar in der Bibel nicht überall, einige auch nur an wenigen, aber einzig wirksamen Stellen sich zeigen, stellt er fest: 1. Der Eine Gott wird Grundlage des Seinsbewu13t­seins und des Ethos, Ursprung der tãtigen Einsenkung in die Welt. Keine andern Gõtter neben Gott, das ist der metaphysische Grund für den Ernst des Einen in der \Velt. 2. Die Transzendenz des Schõpfergottes. Die Über­windung der dãmonischen WeH bringt die Transzendenz des bildIosen Gottes zum Bewu13tsein. Die 'Welt ist nicht aus sich. Der Mensch gewinnt seine Freiheit in der Welt. als sein Geschaffensein von Gott. 3. Begegnung des Menschen mit Gott. Der transzendente Gott hat einen persõnlichen Aopekt. Esist ein Drang zu Gott, Gott zu hõren. Das Gebet wird in reiner Form Preis und Dank und ende t in dem Vertrauen: Dein \Ville geschehe! 4. Gottes Gebote. Der Unterschied von Gu! und Bõse wird in ihnen in der Absolutheit des Entweder-Oder erfa13t. Seit der Zeit der Propheten wird die Niichstenliebe gefordert, gipfelnd in dem Ausspruch: Liebe deinen Nãch­sten wie dich selbst! 5. Bewu13tsein der Geschichtlichkeit. Es tritt auf im Zeitalter politischer Katastrophen als universalgeschichtliches Bewu13tsein der von Gott gelenkten Geschichte. Nicht die Zersfreutheit und Zufãlligkeit des Endlosen, sondern die von Gott getragene Gegenwãrtigkeit gibt dem Leben sein ganzes Gewicht.6. Das Leiden erhãH Würde, wird Weg zur Gottheit. Die biblische Religion lebt ohne tragisches Bewu13tsein oder in

3R

überwundener Tragik. 7. Offenheit für die Unlõsbarkeiten. Die Gewil3heit des Glaubens setzt sich der auBersten Bewahrung aus. Die Leidenschaft des Kampfes um Gott gegen Gott wird einzig im Hiob. Die Verzweiflung des Nichts, als für den RedIichen unumganglicher Übergang, ist unübertroffen im Prediger ausgesprochen.

Aber jeder dieser Grundcharaktere ist in der Bibel selbst auch mit eigentümlichen Entgleisungen verbunden: 1. Der Eine Gott wird abstrakt und ist dann nur noch negativ gegen alles Weltsein. 2. Der transzendente Gott lõst sich von der Welt, so daB diese nicht nur nichtig, sondern nichts wird. Dann wird auch die Transzendenz als Gott ohne Schõpfung gleichsam zu einem Nichts. 3. Die Begegnung mit Gott wird eigennützig. Zudringlich­keit zur Gottheit in egozentrischer Seelenhaltung ist die Gefahr dieser Gebets­religion, dazu die Gefahr der N eigung zur Sicherheit im Wissen von Gottes Willen, die die Quelle von Fanatismen wird. EntsetzlicheS, das getan wird, wird durch Gottes \Villen begründet. Die Fanatiker überhõren die Viel­deutigkeit in allen Erfahrungen von Gottes Stimme und sind damit auf dem Wege zum Aberglauben. 4. Die Gebote Gottes werden juristisch und ent­wickeln sich zu endloser Gesetzlichkeit besonderer Bestimmungen. 5. Das BewúBtsein der Geschichtlichkeit verliert sich in historisch-objektiver An­schauung, in der man über die \Veltgeschichte verfügt, sei es gedanklich in einem Wissen vom Ganzen (in dem man Anfang und Ende hinzuerfinden muB), sei es aktiv aus dem BewulHsein, Vollstrecker des dem Handelnden bekannten Planes Gottes Zll sein. 6. Das Leiden wird in psychologischen Umsetzllngen Zll masochistischer LllSt oder wird sadistisch bejaht oder allch als Opfer gedacht in überWllndenen magischen Kategorien. 7. Die Offenheit für Unlõsbarkeiten führt Zllr Verzweiflung oder in den Nihilismus, in die Empõrung einer ungeheuren Negativitat. Aus diesen Entgleisungen entste­hen Phãnomene wie die nationale Religion und die Gesetzesreligion, die einen verwerflichen fanatisch-intoleranten AusschlieBlichkeitsansprllch her­vortreiben, der sich allch im Messianismus der neutestamentlichen Christus­religion bemerkbar macht. SchlieBlich ist aber charakteristisch für die hib­lische Religion eine Polaritãt, die darin besteht, daB die biblische Religion selber wieder bedeutsame GegenstõBe gegen die Entgleisungen hervortreibt: Essteht die prophetische Religion gegen die Kultreligion, die Liebesreligion gegen die Gesetzesreligion, die frei e Gebetsreligion Einzelner gegen die Prie­sterreligion, der Allgott gegen den N ationalgott, der Bund mit dem Menschen als Menschen gegen den Bllnd mit dem auserwãhlten Volk. Selbst der tiefste Gegensatz fehlt nicht in dieser Polaritãt: der echte Glaube gegen den Aber­glauben und Unglauben der Dãmonologie, der Menschenvergõtterung und des Nihilismus.

Die Folge dieser Polaritãten der biblischen Religion ist, daB sich alle Parteien und Tendenzen der nachfolgenden Geschichte irgendwo auf die Bibel, berufen konnten, eine ruinõse Folge der falschen Kanonisieru'ng, Ver­absolutierung der Bibel. Diese. verworrene Situation bedarf der Klãrung. Der Blick auf die wesentlichen Grundcharaktere der biblischen Religion zeigt aber deutlich genllg, daB gerade auch « die philosophischen Gehalte des abendlãndischen Philosophierens ihre geschichtliche Quelle nicht nur im griechischen, sondern auch im biblischen Denken haben. Das Stlldillm der Bibel war in der Tat eine der Grundlagen fast aller abendlãndischen

39

Philosophie his heute. Dieses einzige vVerk gehõrt keiner Konfession und keiner Religion allein, sondern allen.» (Phil. Gl., S, 34.) So wird für die in unserer groBen \Vende des neuen Zeitalters unvermeidliche Erneuerung religiõsen Glaubens doch wahrscheinlich eine wesentIiche Rolle spielen: « Verwandlung in der Wiederherstellung der biblischen Religion.» Aber «unbekümmert um historische Verganglichkeiten», gilt és, die alte Wahrheit' in neuer Sprache wieder zum Reden zu bringen. Zur notwendigen Wand­lung in der ~Tiederherstellung Liblischer Religion wird auch die «Entmythi­sierung»insbesondere des Christusglaubens gehõren. Der wahre Christus ist dann nicht mellreine Verabsolutierung der geschichtIichen Person Jesu, sondern als « Christusgeist» irgendwie die besondere Offenbarung Gottes in der Geschichte überhaupt, die, wann und wo und wie sie will, zum wahren Glauben erweckt und durch ihn dem Menschen den Aufschwung zur Ver­wirklichung der Sinnmõglichkeiten des wahren Menschseins schenkt. Aus­drücklich spricht Jaspers die «Grundcharaktere der biblischen Religion» als «Momente der \Vahrheit philosophischen Glaubens» aus: «Der Gedanke des Einen Gottes, das BewuBtsein der Unbedingtheit der Entscheidung zwischen Gut und Bõse im endlichen Menschen, die Tat innern und auBern HaÍl.delns als Bewahrung des Menschen, die Ordnungsideen der Welt als zwar jewei1s geschichtlich unbedingte, aber ohne Absolutheit und AlleingüItigkeit ihrer Erscheinung, die Ungeschlossenheit der geschaffenen Welt, ihr Unbestand aus sich, das Versagen aller Ordnungen an Grenzen, die Erfahrung des ÃnBersten und die letzte und einzige Zuflucht bei Gott.»

~Tas aber ist unsere Aufgabe in der Gegenwart? Mit einer Antwort Jaspers' sei hier der SchluBpunkt gesetzt: «Es ist, als ob jeder beauftragt sei yon der Gottheit, für grenzenlose Offenheit, eigentliche Vernunft, Wahrheit und Liebe und Treue zu wirken und zu leben, ohne die Gewaltsamkeit, wie sie Staaten und Kirchen eigen ist, in denen wir leben müssen und deren Ungeniigen wir Widerpart halten mõchten.» (Ursprung, S. 292.)

Ich sagte einleitend, es komme bei Jaspers zu einem Zusammentreffen zwischen Pl?-ilosophie und Theologie, das sich fiir den Theologen nicht mehr erledigen laBt mit Erklarungen darüber, daB er, der Theologe, mit seiner Sache auf einem ganz besondern, von aller Phi1osophie unabhangigen Grunde stehe. Eben nach dieser seiner Sache und ihrem besondern Grund werde der Theologe hier vom Phi1osophen befragt, ja ernstlich in Frage gestellt, nicht mit der Absicht, ihn zu erledigen, sondern um ihn aufzufor­dern, in einer bis aufs Letzte gehenden Offenheit über seine Sache Rechen­schaft zu geben, derart, daB ein Ausweichen gegenüber dieser Forderung sich als Flucht erweisen miiBte. Iéh hoffe gezeigt zu haben, daB' damit die wirkliche Situation richtig erfaBt ist. Martin Werner

Zur GrundIegung einer TheoIogie der Existenz bei PauI TiIlich1

Die protestantische Theologie steht heute im SchaUen einer Theologie des \Vortes. Ein groBer Teil unserer kirchlichen Zeitgenossen mõchte in der Neubetonung des Wortes in der Theologie freilich im Gegentei1 ein Licht

1 Akademischer Vortrag, gehalten am 11. Nov.1952 in der Universitãt Basel.

40

sehen. Es gibt aber auch viele, die sich nicht mit einem künstlichen Lichte theologischer Scheinwerfer begnügen, sondern die Kirche aus einer Schat­tenexistenz ans helle Licht des Tages führen wollen. Zu ihnen gehõrt z. B­der heute am Union Theological Sem~nary in New York wirkende deutsche Theologe Paul Tillich. Schon in seinen zahlreichen vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus in DeutschlaIid erschienenen Schriften und Auf­sãtzenhat er sich als ein Denker erwiesen, der sich nicht damit begnügt, einen kirchlichen Raum für das W ort zu schaffen, sondern es aus der Zeit heraus neu als die Antwort auf ihre Probleme zu verstehen versucht. Nach­dem er sich mit diesem Anliegen in Amerika Gehõr verschafft hat und es bei uns eine Zeitlang um ihn stille gebliebeu war, beginnen jetzt seine neueren Verõffentlichungen auch in deutscher Übersetzung zu erscheinen und auch bei uns die Aufmerksamkeit wiederum auf ihn zu ziehen. Das be­deutendste Werk aber, an welchem ~r jetzt steht und von dem vor etwas mehr als Jahresfrist der erste Banderschienen ist, seine Dogmatik (Systern­atic Theology, VoI. I), ist vorlãufig noch nur in englischer Sprache zu­gãnglich.

Dieser Band mit seiner «Einleitung» sowie einem 1. Teil über «Ver­nunft und Offenbarung» und einem 2. Teil iiber «Sein und Got!» enthãlt auf 300 Seiten in bewundernswerter Systematik die Grundlegung einer Theologie der Existenz und in gedrãngter Form die ersten Ansãtze zum Ausbau einer solchen Theologie, wie sie Tillich vorschwebt. Diese Theologie der Existenz stellt deutlich einen Gegenentwurf zu der Theologie des W ortes dar, die in ihrer schãrfsten Ausprãgung den Begriff der Existenz radikal ausgemerzt hat und die Bezugnahme auf diesen Bereich als Verrat am Worte betrachtet. Dabei stammt nuu aber dieser Angriff Tillichs gegen die W' orttheologie nicht etwa aus einer veralteten liberalen Theologie, von wel­cher die W orttheologen sagen kõnnten, mit ihr lasse sich überhaupt nicht mehr reden. Als Schüler des in der heutigen Theologie des W ortes hoch­geschãtzten Martin Kãhler kommt Tillich vielmehr selber vou dieser Theo­logie her. Es geht ihm denn auch nicht um eine Auflõsung der Theologie in Philosophie, sondern im Gegenteil um eine Rechtfertigung des besonderen Logos der Theologie. Um die Bedeutung des Wortes Gottes zu erweisen, um es zu verstehen und ihm Gehõr zu verschaffen, lãBt er sich auf den Begriff der Existenz ei n, konstruiert er eine Theologie der Existenz als Apologetik, als Verteidigung der der Kirche anvertrauten Botschaft.

In dieser Verbindung von W ort und Existenz, von Botschaft und menschlichem Selbstverstandnis zeigt sich nun freilich auch die Problematik seiner Theologie. Diese Korrelation bringt wohl Beziehungsreichtum, Span­nung, Offenheit in sein System, verleiht ihm aber zugleich den Charakter von etwas Schillerndem, Mehrdeutigem, Unklarem. Er erinnert hier an Leute wie Brunner, Althaus, Gogarten, Bultmann und Niebuhr. Diesen gegenüber zeichnet er sich aber dadurch aus, daB' er am entschiedensten und zugleich auf breitester Front die Analyse del' Existenz konstruktiv in sein System einbaut. Deshalb sieht er auch am schãrfsten die Fragwürdig­keit der Berufung auf das W ort. Anderseits aber lassen die dahingehenden Zugestãndnisse sein Inanschlagbringen des Wortes deutlicher als bei andern als Inkonsequenz und SelbstmiBv,erstãndnis erscheinen. Wenn bei ihm und dann auch durch ihn der Schatten der Theologie des W ortes beseitigt wer-

41

den sol1, dann muB man .aueh seiner Theologie noeh elmge Liehter auf-' setzen. Den AnlaB, dies hier gerade bei ihm zu tun, gibt uns der Umstand, daB bei ihm diese Liehter sehon angezündet sind. Man braueht nur die apo­logetisehen Hül1en wegzunehmen und- naeh Jesu Wort - sein Lieht auf, statt unterden Seheffel zu stellen. Dann wird es al1en leuehten, di'e im Hause sind - vorausgesetzt, daB sie nicht blind sind.

I. Zu diesem Zweeke wol1en wir zuerst den existentiellen Charakter de/'

Theologie Paul Tillichs herausstel1en. Wir gehen dabei so vor, daB wir uns diese Eigentiimliehkeit entspreehend der erwahnten Gliederung seines Dog­matikbandes naeh drei Seiten hin in einigen Grundlinien deutlieh maehen, namlieh erstens in bezug auf seinen Begriff von Theologie im allgemeinen, zweitens in bezug auf seinen Offenbarungs- und drittens in bezug auf seinen Gottesbegriff. Selbstverstandlieh müBten zu einer umfassenden Charakteri­sierung von Tilliehs Theologie noeh andere Momente beriieksiehtigt wel'den. Aber einmal ist Tilliehs absehlieBende Systematik no eh nieht weiter gedie­hen, und zum andern ist es so, wie Tillieh sagt, daB aueh in seinen vor­liegenden Ausführungen stets das Ganze vorausgesetzt und in einzelnen Punkten aueh vorweggenomlllen ist, so z. B. was die tlllS besondel's inter­essierendeChristologie und Sotel'iologie betrifft.

1. Ganz al1gelllein und grundsatzlieh bestilllmt Tillich das Wesen und die Allfgabe der Theologie als Apologetik, d. h. als «antwol'tende Theolo­gie» (S. 6). Theologie habe in methodiseher Weise die lnhalte des ehrist­liehen Glaubens zu entfalten, und zwal' so, daB diese lnhalte als die lõsen­den und gültigen Antworten auf die aus del' jeweiligen mensehliehen Situa­tion sich erhebenden Fragen naeh dem letzten Gl'und und Sinn des Daseins verstanden werden kõnnen. Wenn Tillieh dabei au eh «die universale Gültig­ke'it der ehristliehen Botsehaft» vol'aussetzt (S. 10) und immer wieder von dem ehl'istliehen Ansprueh «the Christian elaim» (S. 15) sprieht, so betont er doeh, daB dieses ehristliehe Kel'ygma weder wie ein Fremdkõrper in der Welt erseheinen (S. 64) no eh mit il'gendeiner seiner, immer zeitbedingten, theologisehen Formulierungen (S. 3) verwechselt werden dürfe. Eben darin liegt naeh ihm der Fehler jeglieher Art von Ol'thodoxie. Aber nicht minder lehnt er auf der andern Seite eine liberale Theologie ab, welche jene Ant­wol't nul' aus der mensehliehen Existenz heraus ableiten will (S. 65). Die Anerkennung des ehristliehen vVahrheitsanspruehs ist naeh ihm Saehe eines existentiel1en Entseheides (S. 107). Desgleichen habe der El'weis seiner Giil­tigkeit au eh fiil' diejenigen, welche auBerhalb dieses «theologischen Zirkel­sehlusses» stehen, auf der Basis einer Analyse der menschliehen Existenz zu erfolgen. So steht von zwei Seiten hel' im Mittelpunkt von Tillichs theolo­gisehel' Prinzipienlehre der Begriff des Existentiellen.

'Vas versteht Tillieh unter existentiell? Mit Bezugnahllle auf. Kierkegaard und die Verwendung des Begriffs in

der heutigen Existenzphilosophie meint er damit ei nen Bereieh, der vor­nehmlieh dureh folgende zwei Merklllale gekennzeiehnet ist: Einmal handelt es sich hier um das, «was uns unbedingt angeht», «what eoneerns us ultim­ately«, das, woran wil' «leidensehaftlieh interessiert» sind, wobei es um «Sein odel' Niehtsein» geht (S. 14). Das aber ist «die Frage nach dem letzten Sinn

42

deI' Existenz» (s. 13). Das an dere wesentliche Merkmal des Existentiellen besteht darin, daB es sich hier uicht um «Dinge» handelt, vori denen man in «distanziel'ender Objektivitat», in «detached objectivity», reden kann, sondel'n um \Virklichkeiten, die uns zu ihl'em Objekt machen, wenn wil' es mit ihnen zu tun bekommen (S. 12). Zu diesem Ergriffenwerden von eineI'Letztwil'k­lichkeit gehõl't auch, daB es stets in einer bestimmten, konkreten Situation erfolgt, deren Bedeutung nicht allgemein bewiesen, sondern nur in persõn­licher Beteiligtheit, d. h. «im Glauben», übernommen werden kann (S. 10).

In der so verstandenen Existentialitat sieht Tillich «das formale Kri­teI'ium» echtel' Theologie (S. 12, 14). Und von hier aus gelangt er nun zu wichtigen Aussagen übel' das Vel'haltnis von Theologie und Philosophie und die Bedeutung del' Bibel.

Was zunachst das Verhaltnis zur Philosophie betrifft (S. 18 ff.), so billigt Tillich ihr wohl die existentielle Einstellung zu, wie er denn auch in allel' Geisteswissenschaft den «Zirkel des Vel'stehens» (S.9) wirksam sieht. Ohne unbedingtes Beteiligtsein würde der Philosophie Ernst und Schõpfer­kraft fehlen (S. 25). Aber nun gehe die Philosophie doch darauf aus, dieser geschichtlichen Besonderheit ihres konkret en Ursprungs zu entgegnen und ihI'e "rahI'heit mittels des allgemeinen Logos als zeitlos gültig zu erweisen. DeI' chI'istliche Theologe dagegen habe als Glied der Kirche in existentieller \Veise den « Logos, welcher Fleisch wurde», als den Logos, als die logische SlI'uktur, als die Wahrheit dessen, was uns unbedingt angeht, als die Ant­wort auf unsere Frage nach dem Sinn unserer Existenz zu erweisen. \Vie del' Philosoph ein <<verborgener Theologe» (S. 25) sei, so müsse der Theo­loge um der von ihm als W"issenschafter geforderten Objektivitãt willen seinen Glauben aufs Spiel setzen (S. 25 f.).

Dieses Risiko zeigt sich besondeI's in deI' .Einschatzung und im Ver­stãndnis der Bibel (S, 34 ff.). Sie ist nach Tillich wohl die grundlegende, aber nicht die einzige Quelle der Theologie. Für ihre Verwendung dürfe weder von der allgemeinmenschlichen religiõsen Erfahrung und Kultur noch von der Geschichte, welche sie in der Kirche gehabt hat und noch hat, ahgesehen werden. Aber nicht als geschichtliches Dokument sei sie die Offenbarung, sondern sie stelle die Antwort auf Geschehnisse dar, welche durch diese Antwort zu Offenbarungsereignissen würden. Nicht anders denn aus solcher letzter innerer Beteiligtheit heraus sei sie wiederum yon uns als Botschaft zu verstehen. Die biblische Botschaft umfasse deshalb «mehr und zugleich weniger als die biblischen Bücher». Ihr normativer Inhalt, den TiIlich als «das neue Sein in Jesus als dem Christus» definiert, erwachst nach ihm aus einer konkreten existentiellen Begegnung zwischen Kirche und biblischer Botschaft (S. 50 f.). Aufgabe der Theologie sei es, un8 eine lnterpretation der christlichen Botschaft zu geben, welche für unsere gegenwartige Situation relevant ist (S. 53). Die Botschaft selber sei jenseits unseI'es Zugriffs und stehe uns nicht zur Verfügung, kõnne viel­mehI' llns eI'greifeu uud über uns verfügen (S. 52). So formuliere die Theo­logie jeweils nur die Antworten, welche in der gõttlichen Selbstmanifestation enthalten seien - und zwar unter der Führung der sich aus der mensch­lichen Existenz Crgebenden Fragen (S.61).

2. Diese nicht in jeder Beziehung eindeutigen Ausführungen lassen uns nach Tillichs Offenbarungsbegriff frage:n. In diesem Teil seines\Verkes

43

zeigt sieh nun die Korrelation von "Vort und Existenz spezifiziert auf das VerhãItn.is von «Vernunft und Offenbarung» (S. 71-159).

Hier stellt Tillieh an die Spitze die für sein ganzes System grundlegende Unterseheidung von essentiell, d. h. zur logiseh erfaBbaren Wesensstruktur gehõrig, und existentiell in dem Sinne, wie wir den Begriff bereits kennen gelernt haben. Von da aus will er das dogmatisehe Urteil, daB die Vernunft blind sei,auf «Vernunft unter der Bedingung von Existenz» einsehrãnken, wãhrend er ihm 'r'ür die «teehnisehe» und «metaphysisehe» bzw. «ontologi­sehe» Funktion der Vernunft nicht zustimmt (S. 74 ff.). So spricht er denn voneiner «Tiefe der Vernunfh, weIche der Ausdruek sei von etwas, das nieht Vernunft ist, sondern der Vernunft voraufgeht und sieh in ihr mani­festiert (S. 9). Von diesem Anderen, auf das die Vernunft an ihrer Grenze (S. 113) hinweise, das sie aber selber nieht fassen kõnne, rede in symbo­liseher 'Weise der Mythus, und mit ihm befasse man si eh im KuIt (S.81). Aber aueh Philosophen wie Cusanus und Kant wüBten um diese transzen­dente Tiefe der Vernunft: jener in seiner «docta ignorantia», dieser im Aufweis der kategorialen Strukturen, in weIchen sieh die Vernunft als gefangen erkennt. Im BewuBtsein ihrer Endlichkeit wisse die Vernunft um das Un­endliehe. «WesensmãBig», kann Tillieh sagen, <<ist Vernunft in allen ihren Akten und Prozessen transparent für ihre eigene Tiefe.» (S. 80.)

Unter der Bedingung konkret er gesehichtlieher Existenz aber sieht nun Tillieh diese wesensmãBige Struktur der Vernunft zerrissen in die Gegen­satze von «Autonomie und Heteronomie», «Relativismus und Absolutismus», «Formalismus und Emotionalismus» (S. 83 ff.). In den Forl11en des ge­sehiehtliehen Lebens erseheint die Tiefe der Vernunft in Ausprãgungen, welehe für die kritisehe Vernunft unannehmbar autoritãr, absolutistiseh und gefühlsbetont sind und von ihr deshalb abgelehnt werden müssen. Dem dabei resuItierenden Vernunft-Autonomisl11us-Relativismus und -Fonnalis­mus aber versehwindet die in der Heteronomie, im Absolutismus und Emo­tionalismus gemeinte Tiefe der Vernunft.

So sieht Tillich gerade aus diesen Konfliktssituationen von Vernunft und Existenz «die Frage naeh Offenbarung», d. h. naeh einer diese Kon­flikte überwindenden Manifestation der Tiefe der Vernunft als des Grundes des Seins erwaehsen (S. 94 ff.). \Vichtig für die Weise, in weleher er zu die­sem Zweeke zur Definierung des \Vesens von Offenbarung gelangt, ist die Unterseheidung einer objektiv «erkennenden» und einer subjektiv «empfan­genden» Funktion der Vernunft (S. 97 ff.). Auf Grund dieser Untersehei­dun g nãl11lieh anerkennt er zwei versehiedene Arten von Wahrheit: Wahr­heit als «Qualitãt eines Urteils» für die gegenstãndliehe kontrollierende Vernunft und Wahrheit als etwas Seinshaftes, als «ontologisehe Wahrheih, als eine Wirkliehkeit, die sieh der subjektiv empfangenden Vernunft mitteiIt, indem diese sieh jenerWirkliehkeit in «sehõpferisehem Einswerden des Erkennenden und, des Erkannten» õffnet (S. 103). Erst hinterher kõnne «die KontroIle» dieses «wahren Seins» einsetzen, und sie sei aueh nõtig, weil die Dinge ihr wahres Sein unter der OberfliÍ.ehe von Sinnesempfindun­gen, weehselnden Erseheinungen und unbegründeten Meinungen «verber­gen». Ihre EnthüIlung, d. h. das wahre Sein, sei «das ResuItat von ent­tãusehten Erwartungen in unserer Begegnung mit der Wirkliehkeit» (S. 101).

Auf dieser Basisalso will Tillieh von Offenbarung spreehen, VOn der

44

er sagt, sie sei «empfangende Erkenntnis in ihrer Vollendung»; gleiehzeitig aber genüge sie den Ansprüehen der kontrollierenden Erkenntnis, der Ge­genstãndliehkeit und der Analyse (S. 100).

Dieser Forderung genügt Tillich, indem er Offenbarung nieht als Auf­hebung des Geheimnisses des Letztseins und Letztsinnes faJ.lt, um das es der Existenz geht, sondern als Manifestation dieses Geheimnisses als Geheimnis. «Was wesensmãJ.lig Geheimnis ist, kann seinen Geheimniseharakter, aueh wenn es sich offenbart, nieht verlieren.» (S. 109,)

Das Innewerden dieses Geheimnisses sei eine Angelegenheit der Ratio, wenn au eh nicht ihrer kontrollierenden Funktion. Das eigentliehe Geheimnis erseheine dann, wenn die Vernunft über sieh hinaus zu ihrem «Grund und Abgrund», ,<its ground and abyss», getrieben werde, zu dem, was der Ver­nunft «voraufgeht», zu der Urtatsaehe, «daB nieht niehts, sondern etwas ist». Die negative Seite dieses Geheimnisses besteht darin, daB der Menseh darin seiner Endliehkeit inne wird, daB er den «shoek» des Bedrohtseins dureh das Niehtsein erfãhrt. Darüber aber dürfe das Positive nieht über­sehen werden, daB nãmlieh dadur eh zugleieh der Grund des Seins als Seins­maeht, die das Niehtsein überwindet, offenbar wird (S. 110) .

Mit der Wissensehaft kommt dieser Offenbarungsbegriff nieht in Kon­flikt, weil er in keiner Weise eine Vermehrung unseres Wissens in der Sphãre der Gegenstãndliehkeit einsehlieBt (S. 129), sondern der Forsehung, solange sie in ihren Grenzen bleibt, võllig freien Lauf lãBt (S. 130). Ander­seits stelle Offenbarung die Vollendung der empfangenden Vernunft dar, weil sie die Manifestation dessen ist, was uns letzthinnig angeht (S. 110).

Was dieses letztere bedeutet, erlãutert Tillich in einer interessanten lnterpretation des Begriffes der Ekstase und des \Vunders. Ihr zufolge haben beide Begriffe niehts zu tun mit sog. übernatürliehen, die Vernunft auBer Kra'ft setzenden Erseheinungen, sondern meinen eben das An-ihre­Grenzen-Gelangen der Vernunft bzw. das sehoekierende Ereignis, dureh welches dies bewirkt wird. Es kann das dureh die N atur wie dureh die Ge­sehichte, dureh das Wort wie dureh persõnliehe Erfahrung gesehehen -. aber eben immei nur mittels dieser GrõBen und nieht als sie, also weder als sogenannte natürliehe, no eh als Gesehiehts-, noeh als Erfahrungs-, noeh als \Vort-Gottes-Theologie (S. 118 ff., vgl. die Auseinandersetzung mit Sehleiermaeher S.41 f.). Aueh im Bliek auf das Wesen der Offenbarung ist also nur ei ne Theologie der Existenz mõglieh und bleibt eine Theologie des W ortes ausgesehlossen.

Trotzdem glaubt Tillieh nun aber sehon an dieser Stelle «.Jesus als den Christus» seinem Systeni als «die endgültige Offenbarung», «final revélation», einfügen zu kõnnen (S. 135 ff.). Er versueht das in der Weise zu tun, daJ.l er in ihm die konkret e Ausprãgung des theologisehen Prinzips sieht, dureh welche alle jene niehtexistentiellen Konzeptionen von Offenbarung aus­gesehlossen werden. Die «abstrakte Form» desselben, welche er zuerst ent­wiekeÍt, lautet: «Eine Offenbarung ist endgültig, wenn sie die Kraft hat, sieh selber zu .negieren, ohne sich selbst zu verlieren» - oder, negativ aus­gedrüekt, als Kritik jener falsehen Offenbarungsbegriffe (Offenbarung als Natur, Gesehiehte, Erfahrung, \Vort): «Gõtzendienst ist die Verkehrung einer ursprüngliehen Offenbarung; sie ist die Erhebung eines Mittels der Offenbarung zu der Würde der Offenbarung selbsi.» (S. 133.) Unter dieses

45

Gericht nUlt für Tillich auch ei ne desus-zentrierte» Religion und Theologie (S. 134). Dagegen meint er, in Jesus als dem Christus die «Aktualisation» jenes abstrakten Prinzips sehen zu kõnnen, weil er in seinem Kreuz das­jenige Medium der Offenbarung geopfert habe, welches sich selbst seinen Nachfolgern in Kraft und Bedeutung áls messianisch einpriigte. Nur als der, welcher sein Fleisch, d. h. seine historische Existenz, opferte, sei er Geist oder neue Kreatur. Den Anspruch eines Endlichen auf Endgültigkeit habe Jesus als satanische Versuchung, als diimonisch abgewiesen. Anderseits aber begründet Tillich die Anerkennung eines Endgültigkeitsanspruches einer Offenbarung auch mit dem Hinweis auf dere n existentielIen Charakter. Fiir den, welcher von Offenbarung ergriffen ist, gebe es gar nicht mehr die Mõglichkeit, in distanzierender Haltung iiber ihre Endgültigkeit zu reflek­tiereIi (S. 132). Mit diesem existentielIen Charakter hiingt es auch zusam· men, daB nach Tillich Offenbarung und Erlõsung identisch sind (S. 144 ff.).

Auf jeden FalI glaubt er in der nach diesem in Jesus als dem Christus verkõrperten Prinzip verstandenen Offenbarung die Antwort auf die Fragen und die Überwindung der Konflikte, welche er in der «Vernunft in Existenz» aufgewiesen hat, g~funden zu haben. Der Triiger endgültiger Offenbarung ist võlIig transparent für den Grund des Seins und überwindet so Autonomie und Heteronomie in «Theonomie» (S. 147 ff.). Im «Paradox» eines persõn­lichen Lebens, das Triiger des Absoluten ist, erscheint der Gegensatz von Absolutismus und Relativismus aufgehoben (S. 150 ff.). «Gnosis» als Einheit des philosophischen und des theologischen Logos schlieBlich vereinigt das Formale und das Emotionale in einer «erlõsten Vernunft» (S. 153 ff.). Ab­gelehnt aber wird noch einmal mit alIem Nachdruck ei ne 'Theologie des W ortes; dehn wenn J esus als der Christus «das \Vori» genannt wird, so weise dies auf eine offenbarende \Virklichkeit und nichl auf ein offen­barendes Wort (S. 157).

3. \Vas für ein Gottesbegriff ergibt sichauf Grund dieses Offenbarungs­verstündnisses? Darauf antwortet der dritte Teil von Tillichs Dogmatikband .

. Da es sich darin aber nicht mehr um die Prolegomena, sondern bereits um . die Ausführung des Systems handelt, greifen wir daraus nur heraus, was fiir die Grundlegung von Tillichs Theologie bedeutsam ist. Dazu gehõrt vor alJem zweierlei: die Ablehnung der sog. Gottesbeweise sowie das Begriffs­paar Angst und «Mut zum Sein», das bereits in die Erlõsungslehre hinüber­führt. In diesen wie in den zahlreichen andern, hier nicht zu berücksichti­genden, interessanten Aspekten dieses Abschnittes handelt es sich um ei ne konsequente Weiterfiihrung der im Vorhergehenden herausgearbeitetcn Grundzüge. So heiBt es jetzt: «Got!» - an StelIe von «Theologie» im ersten bzw. «Offenbarung» im zweiten Teil - <<Íst die Antwort auf die im Sein ent­haltene Frage.» (S. 163.) \Vie schon die Offenbarungslehre in bezug auf den Bcgriff der Theologie eine Spezifikation darstellt, so hier nun die Gottes­lehre in bezug auf die Offenbarungslehre.

Der existentielIe Charakter des Gottesbegriffs tritt grundsützlich auch darin in Erscheinung, daB mit Berufung auf Heidegger «die Lehre vom Menschen, d. h. seiner Freiheit, seiner Endlichkeit, seiner Existentialitii.t, seiner Geschichtlichkeib als «Haupteingang zur Ontologie» bezeichnet und auch verwendet wird (S. 167 ff.). Auch hier wird erneut und wiederholt betont, daB die Antwort auf die Frage nach Gott, zu welcher der Mensch

46

durch das Innewerden seiner Endlichkeitgetrieben werde, nicht aus der Existenz stamme., Trotzdem wird hier einmal gesagt, daB ,dm' SelbstbewuBt­sein des Menschen die ontologische Antwort gefunden werden kõnne» (S. 168). In den beiden vorgenannten, uns besonders interessierenden Punk­ten: der Bestreitung der Mõglichkeit eines Gottesbeweises und der Überwin­dung der Angst yor dem Nichts dun~h den Mut zum Sein, wird diese Mõg­lichkeit aber gerade abgelehnt.

, Den FehJer sowohl des ontologischen als auch' des kosmoJogischen Gottesbeweises sieht Tillich darin, daB hier aus der dem Menschen aus dem BewuBtsein seiner Endlichkeit erwachsenden Frage nach Gott eine Antwort im Sinne einer positiven Seinsaussage über Gott abgeleitet wird (S. 204 ff.). Immerhin spricht Tillich auch hier von einem «in der Frage' nach Gott gegenwiirtigen BewuBtsein Gottes» (S. 206). vVas er aber bei Augustin wie Kant ablehnt, das ist, daB sie aus der Erfahrung eines Unbedingten ein unbedingtes Sein, Gott als einen Gegenstand der - wie immer des niiheren beschriebenen - menschlichen Erkenntnis ableiten. Als «notwendige Sub­stanz» oder «Erstursache» in den Bereich des Gegenstiindlichen eingeordnet, hõrt jedoch Gott auf, der Seinsgrund zu sein, und wird zu einem Ding unter Dingen (S. 172). Darum erscheint es Tillich ebenso gottlos, zu behaupten, Gott sei, als er sei nicht (S. 237). Gott «ish nicht.«Beweisen wollen, daB Gott ist, heiBt ihn leugnen.» (S. 205.) Entsprechend dem früher ausgespro­chenen Grundsatz, daB die Theologie sich immer der Uneigentlichkeit ihres Redens von Gott bewuBt sein müsse (S. 172 f.), bleibt Tilli('h dabei, daB die Gottesbegriffe der sog. Gottesbeweise nur «hypostasierte» Fragen, symbo­lischer Ausdruck der in der endlichen Seinsstruktur enthaltenen Frage nach Gott sind (S. 209 f.).

Von der Analyse des Seins aus kann man also nach Tillich nicht zu Gott gelangen. V on Gott kann man nur existentiell reden, d. h. wo die Frage nach Gott sich aus der Bedrohung durch das Nichtsein, d. h. aus derAngst, erhebt und wo in der Erfahrung des Mutes zum Sein die AntwOli der Offenbarung auf jene Frage als Trost vernommen wird (S. 191 ff.).

Von dieser Angst spricht Tillich in ontologischem Sinne, d. h. als einer zum Wesen des Menschen gehõrenden Eigentümlichkeit. «Arigst ist Endlich­keitsbewuBtsein.» (S. 191.) Im Unterschied zur Furcht hat es Angst gerade nicht mit einem bestimmten Gegenstand zu tun, der seinen erschreckenden Charakter verlieren kann, sondern mit dem Nichts, durch das alles Seiende und insbesondere der seiner Endlichkeit bewuBte Mensch unaufhebbar be­droht ist. Es ist die Angst der zeitlichen und riiumlichen Existenz, die in der Anerkennung ihres Angewiesenseins auf Zeit Und Raum ihrer Vergiinglich­keit und Ungesichertheit innewird (S.194 ff.). Dieses Innewerden, so führt nun aber Tillich in kühner Dialektik aus, setzt voraus, daB der Mensch seine Zeitlichkeit und Riiumlichkeit und damit seine Vergiinglichkeit und Ungesichertheit bejaht. So entspricht alsoder ontologischen Angst ein «ontologischer Mu!», der Mut niimlich, seine Vergiinglichkeit und Unge­sichertheit auf sich zu nehmen.

Einerseits erkliirt Tillich an diesem Punkte nun nicht bloB, der Mensch bedürfe des grõBten Mutes, um seine Angst auf sich nehmen zu kõnnen, sondern auch: «Er ist das mutigste von allen Wesen; denn er hat die tiefste Angst zu überwinden» (S. 194), und: durch die Annahmeder ontologischen

47

Ungesiehertheit werde gerade Sieherheit empfangen (S. 195). Es entsprieht das der andern Dialektik, welche Tillieh in einem frühern Zusammenhang mit Berufung auf Luther zwisehen VerwerfungsbewuBtsein und Hei! fest­stellt (S. 146).

Anderseits aber' betont er nun aueh, daB, sowenig als es einen analy­tisehen Gottesbeweis gebe, es moglieh sei, «existentiell Mut aus Angst abzu­leiten» (S. 208). Darum konne der Menseh der Frage naeh der letzten Be­gründung seines ontologisehen Mutes nieht ausweiehen (S. 194). Endliches Sein sehlieBe Mut ein, aber es konne den Mut gegen die letzte Bedrohung des Niehtseins nicht aufreehterhalten. Der Menseh «bedürfe» eiuer «Basis für einen letzten Mut» (S. 209).

Auf dieser Bedürfnisbasis entwiekelt denn aueh Tillieh «die Realitat Gottes» (S. 211 ff.), indem er -- von der phanomenologisehen Feststellung ausgehend, daB, was immer des Mensehen hoehstes Interesse sei, für ihn zum Gott werde (S. 211) - auf dem Wege existentieller Deutung der reli­gionsgesehiehtlichen und sehlieBlieh der ehristliehen Symbolwelt zu einem allmaehtigen Gott der Liebe zu gelangen versueht (S. 279). In der Lehre von dessen Eigensehaften kann er sagen: «Glaube an den allmaehtigen Gott ist die Antwort auf die Frage' na eh einem Mut, der imstande ist, die Angst der Endliehkeit zu überwinden. Letzter Mut ist begründet in der Teilhabe an der letzten Seinsmaeht.» (S. 273.) Von der Anwendung des Vaterbegriffs auf «das Sein-Selbst als Liebe» (S. 279) bemerkt er zwar am SehluB des vorliegenden Bandes selber, daB dies «ohne ideologisehe Tausehung und wunsehbedingte Sentimentalitah nur moglieh sei dureh die Offenbarung Gottes in Christus und daB deshalb die Gotteslehre notwendig ausmünde in das Problem «Existenz und Christus» (S. 289, vgl. S. 286), womit dernaeh­ste Band einzusetzen habe.

11.

\Vir sind auf die Ausführung dieser angekündigten ehristologisehen Fortsetzung gespannt; denn wir fragen uns tatsaehlieh, wie diese ohne die von Tillieh selber genannten Fehler moglieh sei, wenn wir sehon die Grund­legung und erste Ausführung in der GoUeslehre nicht frei davon sehen. Das führt uns zum zweiten, kritischen Teil unserer Arbeit, der aber nicht bloB kritiseh, sondern zugleich konstruktiu sein soll. Deshalb lassen wir es niehl dabei bewenden, aui einige grundlegende Unstimmigkeiten und Fragwürdig­keiten in Tillichs Konzeption hinzuweisen, sondern bemühen uns zugleieh, zu zeigen, wie das, was bei ihm vorliegt, zurechtgerüekt und ins Lieht gestellt, einiges aueh ausgemerzt werden müBte, damit man dann wirklieh von einer Grundlegung einer Theologie der Existenz reden konnte.

Zu diesem Zweeke gehen wir noehmals der Reihe na eh das im Vorher­gehenden herausgearbeitete Grundgefüge von Tillichs Theologie dureh, um jeweils auf die kritisehen Bemerkungen gleieh unsere positiven Vorsehliige folgen zu lassen.

1. \Vir beginnen mit dem ersten Punkt, dem von Tillieh als allgemeines \Vesensmerkmal der Theologie behaupteten apologetischen Charakter der Theologie, der Korrelation uon Botschaft und Existenzanalyse. Wir haben sehon am SehluB unserer Darstellung der Einleitung von Tilliehs Dogmatik hemerkt, daB uns seine Ausführungen über das Verhiiltnis von Philosophie

48

und Theologie und seine Stellung zur Bibel nicht durchwegs eindeutig eI'scheinen.

\Vas das VeI'haltnis von Philosophie und Theologie betrifft, so geht es doch wohl nicht an, der Philosophie den durchgehenden existentiellen Cha· rakter zu bestreiten, weil sie bei ihrer Erfassung des Existentiellen das Allgemein-Menschliche im Auge hat, - und jenes Merkmal der Existentia­litat ganz für die Theologie in Anspruch zu nehmen, weil sie es mit der konkreten Situation des in Jesus als dem Christus Fleisch gewordenen Logos zu tun habe. AIs ob eine Philosophie, welche die RechtmaBigkeit einer sol­chen dogmatischen Voraussetzung in einer allgemeinen Existenzanalyse prüft, nicht vertrauenerweckender ware als eine Theologie, welche diese Voraus­setzung unbesehen hinnimmt! Warum befolgt hier Tillich nicht die von ilun selber so nachdrücklich erhobene Warnung, daB die Botschaft nicht mit einer ihrer theologischen Formulierungen verwechselt werden dürfe? Als oh «Fleischwerdung des Logos in Christus» nicht gerade ei ne solche' sehI' zeit- und geistesgeschichtlich bedingte Formel ware! Es ist bezeich­nend, daB Tillich von der Botschaft sagt, man kõnne sie nie fassen. Aber wie soll denn diese stets unfaBbar über unserem Theologisieren stehende GrõBe zugleich die inhaltlich-theologische Norm sein? Anderseits gibt Til­lich dann wiederum zu, daB der Inhalt der Botschaft als Antwort auf die Fragen der Existenz aus einer konkreten Begegnung der Kirche mit der Bibel erwachse.

Das führt uns auf seine Einstellung zur Bibel. Einerseits will er ihr keine Sonderstellung einraumen, in ihr nicht die einzige Quelle der christ­lichen Verkündigung sehen, sondern er steIIt sie ganz in die Religions-, Geistes- und Kirchengeschichte hinein. Offenbarungscharakter laBt er den in ihr berichteten Ereignissen erst dadurch zukommen, daB die biblischen Schriftsteller sie als Offenbarungsereignisse aus ihrem Existenzverstãndnis herqus verstanden - also sie erst dazu gemacht haben -, und meint, daB auch für uns die Bibel nur aus einer entsprechenden existentiellen Einstel­lung heraus wieder Offenbarungscharakter gewinnen kõnne. Demnach wãre also die Bibel eiu Ausdruck von menschlichem Selbstverstãndnis. Anderseits abeI' soll dann die Einordnung der in der Bibel bezeugten Fleischwerdung des Logos in einen allgemeinen Geisteszusammenhang doch gerade nicht Theologie, sondern Philosophie sein. Sei die Theologie auch nicht allein an die Bibel, so sei sie doch auf alle Fãlle an die Kirche gebunden. «Die KiI'che ist das Heim der Dogmatilo), kann Tillich gelegentlich erklãren, als ob die Kirche als geschichtliche Erscheinung aus dem allgemeinen Zusam­menhang des Geisteslebens herausfiele.

Die Ursache zu dieseu spannungsreichen, .ia widerspruchsvollen Aus­sagen ist in der apologetischen Grundhaltung zu suchen, welche Tillich der Theologie diktiert. Die allen theologischen Erwãgungen vorausgehende uud hinterher um jeden Preis - sogar den der W'idersprüchlichkeit und Un­klarheit - aufrechtzuerhaltende Behauptung vou der Wahrheit der christ­lichen Botschaft ist das proton pseudos dieser Theologie.

In dieser apologetischen Position steht Tillich selber noch im Schatten der Worttheologie. Abgesehen von seiner Herkunft aus dieser Art von

. Theologie, wird er aber, trotz seiner Ablehnuug der Orthodoxie, darin auBerdem noch festgehaIten - und glaubt er, daran festhalten zu müssen

49

und sich darin halten zu kõnnen - durch seinen Existenzbegriff. Und das ist nun die eigentliche Tragik oder Ironie dieser Theologie, da13 ihr Exi­stenzbegriff, mit welchem sie die W orUheologie glaubt überwinden zu kõnnen, ihr zum Fallstrick wird und sie nicht aus dem Bann der W ort­mythologie herauskommen lã13t.

Das hãngt nun eben mit einer bestimmten Eigentümlichkeit des Exi­stenzbegriffes, wie Tillich ihn verwendet, zusammen. Wie wir gehõrt haben, sind in Tillichs Begriff des Existentiellen zwei Momente zusammengekop­pelt: das Interessiertsein am Heil und die Unmõglichkeit einer distanzie­renden Vergegenstãndlichung, wozu auch die glãubige Übernahme der eigenen geschichtlichen Situation gehõrt. Aus diesem existentiellen Denken heraus meint Tillich - im Gegensatz zu der objektiv kritischen Haltung, deren er sich sonst auch gerade gegenüber den QuelIen der Theologie be­flei13igt - im Ausgangspunkt an dem ihm aus der kirchlichen Überlieferung bekannten \Vortbegriff festhalten, die Kirche und ihre Botschaft als seinen geschichtlichen Ort übernehmen zu müssen. Und mittels dieses nãmlichen existentielIen Denkens glaubt er dann auch, diesen Ausgangspunkt recht­fertigen zu kõnnen, eben indem. er die Theologie als Antwort auf die Fragen der Existenz erweist.

Aber da ist nun auf ei nen ganz fundamentalen Fehler in der Konzep­tion diesesExistenzbegriffes aufmerksam zu machen, ei nen Fehler, der übrigens nicht nur bei diesem Theologen vorliegt, sondern fast überalI zu konstatieren ist, wo in Philosophie und Theologie heute mit dem Existenz­begriff operiert wird, und der sich hier wie dort gleich verliãngnisvolI aus­wirkt. Dieser Fehler besteht in der unsachgemã13en Kombination zweier Momente, von denen jedes an seinem Platz seine võllige Berechtigung und Notwendigkeit besitzt, die aber kombiniert zu einer heillosen Verwirrung führen, in welcher die rechtmãHigen Anliegen de!" beiden Momente au13er Kurs gesetzt oder in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Es ist nãmlich nicht so, wie Tillich und andere mit ihm mei nen, da13 da~ Interessiertsein am eigenen Heil die distanzlose Ungegenstãndlichkeit des Redens in diesem Bereich legitimiere. Die Ungegenstãndlichkeit hat, wie wir noch sehen werden - und wie es übrigens auch Tillich weiB -, einen ganz anderen, dann aber auch legitimeil Ursprung: nãmlich da, wo das objektivierende Denken an seine Grenzen gelangt. Das ist aber durchaus nicht der FalI, wo es von der Sinnfrage bewegt ist bzw. Antworten auf diese Frage zu hõren bekommt. Hier hat es in keiner \Veise abzudanken, sondern gerade hier ist es aufs dringendste notwendig, daB das Denken seine prü­fende Funktion ausübt, damit es sich nicht, blo13 von Wünschen geleitet, ei ne Wunschwelt konstruiert. Ob dem Wort die Wirklichkeit, die es ver­hei13t, entspricht oder nicht, lã13t sich doch nicht daraus begründen, da13 diese verhei13ene Wirklichkeit einem Bedürfnis - und wãre es die Erfül­lung des hõchsten Sinnverlangens! - entspricht - oder wenn das ei ne Wirklichkeit sein soll - und sie ist es natürlich auchl -, dann stehen wir damit nicht in Korrelation mit etwas, das grundsãtzlich etwas anderes wãre als menschliches Selbstverstãndnis, sondern eben mitten im menschlichen Selbstverstãndnis drin. Aufgabe der Theologie aber ist es, jedes im Zusam­menhang mit der christlichen Überlieferung entstandene Selbstverstãndnis kritisch zu prüfen, aber nicht einfach die Situation, in. der es sich vorfindet,

50

ungeprüft zu übernehmen. So allein würde sie der Kirche ei nen wirklichen Dienst leisten kõnnen, wie Tillich es von ihr verlangt.

Ist diese Problematik des sog. Existentiellen einmal durchschaut und ist man bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen, dann wird der Existenz­begriff nicht mehr eine Versuchung darstellen, mit seiner Hilfe doch noch irgendwie in Apologetik einer \Vorttheologie zu .machen. Die künstliche Korrelation von W ort und Existenz, mit welcher sich Tillich vergeblich abmüht, fãllt dann dahin, und es erõffnet sich ein Weg zu einer wirklichen Theologie der Existenz, zu der, wie wir uns hier gerne erinnern und dank­bar davon Gebrauch machen, Tillich gute Vorarbeit geleistet hat. Seine Theologie ist - wenn sie nur von dem falschen apologetischen Interesse, das ihr noch von der "r orttheologie und einer damit zusammenhãngenden verhãngnisvollen Verwendung des Existenzbegriffs anhaftet, befreit wird -eine rechte Theologie der Existenz, d. h. eine Systematik der mit den Fragen nach dem letzten Grund und Sinn des menschlichen Daseins in der Welt zusammenhãngenden Einsichten und Mõglichkeiten des menschlichen Selbst­verstãndnisses. Sie unterscheidet sich darin aber, wie es bei Tillich am Tage liegt, grundsãtzlich nicht von der Philosophie, sondern ist Theologie, und zwar christliche und noch genauer katholische, lutherische, refonnierte usw. Theologie, nur insofern als sie es dabei irn besondern je mit der Tradition ihrer Kirche zu tun hat. Die Botschaft VOl1l. Logos, der Fleisch ward, wird dann allerdings in den allgemeinen, d. h. den jeweiligen Logos einer be­stimmten geschichtlichen Situation einbezogen, wie es faktischin der Ge­schichte der Theologie - einschlieinich Tillichs - immer der FalI war und ohne Selbsttãuschung nie anders sein kann. Auf diese Weise kommt das Verhãltnis von Philosophie und Theologie in Ordnung und damit zugleich auch die Einstellung zur B\bel.

Die Bibel und die Geschichte ihrer Auslegung kõnnen von hier aus, wie es bei Tillich faktisch auch geschieht, rechtmãBigerweise als ein Ausdruck eines der groBen Zusammenhãnge mensch1ichen Selbstverstãndnisses ver­standen werden. V on jener imaginãren N orm, von welcher Tillich wohl spricht, faktisch aber nie Gebrauch macht, weil sie, wie er selber gesteht, gar nicht faBbar wird, ist võlIig abzusehen, dafür aber das wirkliche «Risiko» auf sich genommen, es mit dem jeweiligen Selbstverstãn9.nis zu wagen, ohne Mythologisierungen im Sinne von «Offenbarungsereignissen» oder Verabsolutierungen in der Behauptung von ewigen Wahrheiten, wohl aber in Offenheit für mõgliche ne ue Antworten, die uns in unserem Selbst­verstãndnis in Je neuen Begegnungen mit der Geschichte des menschlichen Selbstverstãndnisses aufgehen kõnnen und tatsãchlich auch aufgehen.

DaB sich diese Art Theologie der Existenz als ei ne Theologie des menschlichen Selbstverstãndnisses aber nicht, wie Tillich so sehr fürchtet, auf Antworten gründet, die wir uns selber geben, sondern auf wirkliche Offenbarung, das lãBt sich bei einer kritisehen Überprüfung seines Offen­barungsbegriffs zeigen.

2. Von der im Vorangehenden angedeuteten Radikalisierung der Tillich­schen Wort-Existenz-Theologie zu einer wirklichen Theologie der Existenz aus muB uns seine Bestimlllung des VerhãItnisses von Vernunft und Offen­barung an zwei bzw. drei Punkten besonders problelllatisch erscheinen: einlllal dart, wo er wohl von einer Tiefe der Vernunft, in welcher sich im

51

ontologischen Schock der Seinsgrund offenbare, spricht - aber nur als von einer Verfassung der Vernunft in ihrem Wesen -, um dann, statt diesen Einsatzpunkt auszubauen, aus den Konflikten, in welche nach ihm «die Vernunft in Existenz» sich in bezug auf Autoritãt, Absolutheit und Erlebnis­gehalt verwickelt, nur die Frage nach Offenbarung sich ergeben zu lassen - ei ne Frage, die nach ihm nur durch die endgültige Offenbarung in Jesus als dem Christus beantwortet werde.

Fragwürdig erscheint uns diese Konstruktion deswegen, weil sie ganz offensichtlich an jenem brüchigen Existenzbegriff orientiert ist, welcher das gegenstãndlich prüfende Erkennen an .die geschichtlich zu übernehmende Situation ausliefern will, und weil dahinter das apologetische Interesse einer Selbstbehauptung des 'Vahrheitsanspruchs einer bestimmten dogmatischen Ausformung der christlichen Botschaft steht. Wãre Tillich nicht so sehr im falschen Sinne existentiell und apologetisch interessiert, dann würde er nãmlich jenen in der Geschichte und besonders in der Geschichte des Christentums auftretenden autoritativen und absolutistischen GrõBen nicht so groBes Gewicht beimessen, daB er darüber die von ihm doch auch ent­wickelte essentielle Tiefe der Vernunft und deren theologische Tragweite võllig auBer acht lieBe, und er würde dann nicht erst hintendrein nach einem langell Umwege als Christusoffenbarung einfii.hren, was jene wesen­hafte Vernunft schon von sich aus wissen kann, um damit «Konflikte» zu lõsen, die nur durch ei ne MiBachtung der in der «Tiefe der Vernunft» enthaltenen Einsichten entstehen und die deshalb schon von dieser Ver­nunft in ihrer wesenhaften Gestalt aus behoben werden kõnnen. Tatsãchlich ist es so, daI3 das, was Tillich dann als endgültige Offenbarung in Christus zur Lõsung jener durch die Verachtung der Vernunft entstandenen Kon­f1ikte vorbringt, nãmlich das stãndige Sich-selber-Aufheben jedes Endlichen um des in seiner .Endlichkeit sich kii.ndenden Unendlichen willen, nichts anderes ist aIs was sich als Offenbarung schon aus der Tiefe der Vernunft ergibt. Ganz abgesehen davon, daB - wie noch zuerõrtern sein wird -der Christusoffenbarung eineganz andere, von Tillich hier zum Schaden der Grundlegung seiner Dogmatik võllig auI3er acht gelassene Funktion zu­kommt. Ist aber einmal diese apologetische Einklammerung beseitigt, dann kommt das, was Tillich innerhalb jener Klammer über Geheimnis, Ekstase, \Vunder und die Medien der Offenbarung ausfii.hrt, erst recht .lur Geltung.

Das Geheimnis, um das es sich in der Offenbarung handelt, ist tat­sãchlich ein Geheimnis, welches durch die Offenbarung nicht aufgehoben wird, sondern sich als Geheimnis offenbart. Durch die Offenbarung wird unser gegenstãndlichesWissen nicht auf übernatürliche \Veise vermehrt. der natürlichen Gegenstandswelt nicht eine übernatürliche angestückt, son­dern der Bereich des Gegenstãndlichen erscheint uns hier in einer· neuen Dimension, in welcher alle Dinge transparent werden nach einer letzten, nicht mehI' faBbaren Tiefe hin ~- eben unter jener Frage der Vernunft, warum nicht nichts, sondern überhaupt etwas sei. Hier kann man in der Tat von einer «Ekstase der Vernunfh sprechen; denn sie erfãhrt sich -aber immer noch als Vernunft - hinausgehalten in das Nichts. « Wunden werden ihr hier die Ereignisse, durch die und an denen ihr diese Tiefen­dimension aufgeht. Grundsãt.llich kann hier alles Wunder werden, in Natur wie in Geschichte. Aber es ist nicht so, wie Tillich mit Recht betont, daB

52

ein Gegenstand der Natur oder ein Ereignis der Geschichte selber Offen­barung ware. N atur und Geschichte kõnnen viehnehr nur zu Medien der Offenbarung werden, und es ware deshalb falsch, ei ne sog. natürliche Theo­logie oder eine Geschichtstheologie oder eine Erlebnistheologie der Offen­barungstheologie gegenüberzustellen. Theologie ist Offenbarungstheologie - oder sie ist nicht Theologie. Aber es ware auch eine falsche Vergegen­standlichung des Wortes, wenn man die Offenbarung auf das Wort .ein­schranken und nur im Zusammenhang mit dem Wort, das in Christus Fleisch ward, von Offenbarung sprechen wollte. Tillich triU dieser \Vort­theologie dadurch entgegen, daBer deren Offenbarungsereignis zu dem Prinzip der Verunmõglichung jeder Vergegenstandlichungder Offenbarung macht. Das Kreuz Christi wird für ihn zum Symbol der notwendigen Selbst· aufhebung aller geschichtlichen Formen, in denen Offenbarung erscheint. So ist für ihn die Offenbarung in Christus endgü1tige Offenbarung in dem Sinne von Johannes 12, 44: \Ver an mich glaubt, glaubt nicht an mich (S. 118).

Sosehr wir der Intention dieser Verwendung der Christusoffenb'arung durch Tillich beipflichten, sosehr müssen wir uns doch fragen, ob er auf seinem Wege dieser Erscheinung gerecht wird oder ob er hier nicht zum Schaden des Verstandnisses derselben und damit auch zum N achteil seiner Tlieologie ein ganz wesentliches Moment unterschlagt, namlich das etwas ganz anderes als das Seinsgeheimnis darstellende Sinnmoment der Existenz. Diese Unterschlagung des Sinnmomentes liegt übrigens schon in Tillichs Verstandnis des Wunders vor, an das wir soeben erinnert haben. Denn das Wunder im biblischen Sinne ist doch noch etwas anderes, und zwar primar anderes, als Betroffensein von dem Geheimnis des Seins. Primar geht es in den in der Bibel berichteten \Vundern um eine Aufhebung des Seins, wie es ist, durch ein neues Sein, wic es sein soll. Die \Vundererzahlungen sind ein Ausdruck der Sinnproblematik des menschlichen Daseins. Und in diesen Bereich der über das Sein, wie es in der Tiefe der Vernunft sich offenbart, hinausführenden Frage nach seinem Sinn gehõrt auch die Christusoffen­barung.

DaB Tillich diese andere Seite der \Vundervorstellung und desChristus­begriffes nicht sieht, sondern das \Vunder nur mit dem ontologischen Schock zusammenbringt und in Christus nur das Prinzip der vollendeten Seinsoffenbarung sehen will - aber hier wie dort die auf eine Infrage­stellung des Seins durch den Sinn ausgehende lntention nicht berücksich­tigt -, das hangt zusammenmit seiner bereits gerügten Verkoppelung vou Uugegenstandlichkeit und Heilsinteresse ini Existenzbegriff. Offenbarung ist eben nicht, wie Tillich mcint, schon Heil, sondern die Offenbarung des Seinsgrundes schlieBt auch Unheil - jedenfalls ein Sinnratsel des Seins -ein. Die Christusoffenbarung in ihrem ursprünglichen Zusammenhang mit einer das Sein aufhebenden, übernatürlich wunderhaften Heilsgeschichte aber geht auf eine Sinnverwirklichung menschlicher Existenz über dieses Ratsel des Seins hinaus. .

Doch bevor wir darauf mit Bezug auf den dritten Teil \'on Tillichs Buch naher eintreten, muB noch ein Punkt in seiner Erkenntnistheorie richtiggestellt werden, durch den jenes MiBverstandnis ebenfalls gefõrdert wird. Es betrifft das die Unterscheidung zweier \Veisen der Vernunft: einer

53

kontrollierenden und einer empfangenden, und dementsprechend zweier Arten von Wahrheit: Wahrheit als Qualitat eines Urteils und \Vahrheit als existentielle \Virklichkeit. Mit der Unterscheidung jener beiden Funktionen der Vernunft ist Tillich ganz sicher im Recht. Ebenso mit der Voranstellung der empfangenden Funktion im ErkenntnisprozeB. Gegenüber dem Empfan­gen der sich dem Erkennenden kundgebenden Wirklichkeit kommt der gegenstandlich operierenden Vernunftkontrolle ganz sicher ei ne sekundare Rolle zu. Das erste ist auf Seite des Erkennenden immer das Empfangen. In diesem Empfangen spielt sich das ab, was Tillich mit dem «schõpferi­schen Einswerden des Erkennenden mii dem Erkannten» oder, besser gesagt, dem zu Erkennenden meint. Und je nach dem Inhalt des sich Offen­barenden wird dieser Akt auch immer mehI' oder weniger existentiellen Charakter haben.

Mit dieser Betonung des Ausgehens des Erkennens vom Gegebenen dürfte der Vorwurf, den Tillich der liberalen Theologie macht, daB sie nam­lich die Antwort auf die Frage der Existenz sich selber gebe, auf unsere Position jedenfalls nicht zutreffen. Die Antworl kann nur auf Grund eines nicht in meiner Verfügung stehenden Sichoffenbarens von Wirklichkeit gegeben werden. Aber soweit es sich um dieses Empfangen handelt, kann von Erkennen im eigentlichen Sinne noch nicht die Rede sein, sondern Erkennen findet erst statt, wenn das so Gegebene eindeutig begrifflich be­zeichnet wird, was Sache der bei Tillich sog. kontrollierenden Vernunft ist. Ohne Verwendung dieser Vernunftkontrolle wird man nicht von Wahrheit reden kõnnen, weshalb man im Bereich der empfangenden Vernunft besser nicht von .\Vahrheit, sondern von subjektivem Eindruck, Meinung, Über­zeugtheit spricht. Jedenfalls aber ist die Wahrheit, welche auf dem Wege der Vernunftkontrolle angestrebt wird, ganz anders als die «W ahrheit», zu welcher man nach Tillich auf dem Wege enttauschter Erwartungen gelangt, vor der Gefahr geschützt, bloB illusionares Postulat von Bedürfnisbefriedi­gungen zu sein. Man kann leider nicht sagen, daB Tillich den damit visierten haufigen Irrweg der Theologie ganz abgeriegelt hatte. Die Struktur seines Existenzbegriffes ist im Gegenteil dazu angetan, ihn von Gott in einer Art und Weise reden zu lassen, die wohl dem Heilsbedürfnis, aber nicht der tatsachlichen Wirklichkeit entspricht.

3. N ach diesen Klarlegungen sind wir in der Lage, zum SchluB zu Tillichs Gotleslehre Stellung zu nehmen und das, was er hierzu ausführt, ins rechte Licht zu setzen.

Anzuerkennen ist auch von den von uns im Vorhergehenden nicht un­wesentlich umgeformten Tillichschen Erkenntnisprinzipien aus die Ableh­nung eines Gottesbeweises in der Form eines allgemeingültigen wissen­schaftlichen Beweises. V on Gott als dem Seinsgrund kann man nicht als einem Gegenstand des Erkennens reden. Dem gegenstandlichen Erkennen -und ein anderes Erkennen (sagen wir nun) gibt es nicht - erweist sich Gott als der Seinsabgrund, [lIs das Nichts, in dem alle gegenstandlichen Konturensich aliflõsen. Die Gottesbeweise scheitern tatsachlich an der Un­bewe.isbarkeit Gottes. Ein bewiesener Gott ware ein Gõtze.

Aber statt nun - wie Tillich - in der Tatsache der stets wieder unter­nommenen Gottesbeweise b.loB einen Ausdruck der Frage nach Offeubarung zu sehen, auf die dann das von der Kirche interpretierte "T ort auf Grimd

54

der endgültigen Offenbarung in Christus die Antwort sein soll, mochten wir in dem Scheitern dieser Gottesbeweise selber ei nen Gottesbeweis sehen (den einzigen moglichen Gottesbeweis), der in der U nbeweisbarkeit Gottes be­stehtJ Gott beweist sich in dem MiBIingen unserer Gottesbeweise. So ver­standen, sind dies'e Gottesbeweise in ihrerll MiBlingen freilich nicht mehI' bloBe· Fragen, die. nach Offenbarung verlangen. Offenbarung geht vielmehr allem Erkennen voraus. Solange das Erkennen der sich miI' kundgebenden Wirklichkeit nicht unter dem Gesichtspunkt des letzten Grundes und Sinnes geschieht, sondern sich innerhalb des Bereiches der Gegenstãndlichkeit be­wegt, braucht das Erkennen nicht zu s.cheitern. Es scheitert aber notwendig, wo es die Frage nach dem letzten Grund und letzten Sinn des Seins stellt. Denn hier hort Gegenstandlichkelt und Eindeutigkeit entgegen allem un­serem dahingehenden Bestreben auf. \Yeder kann ich, wie Tillich es ein­drücklich zeigt, in adaquater 'Yeise gegenstandlich vom Seinsgrund sprechen, noch vermag ich, negativ oder positiv, eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Seins zu geben. In diesem ihrem An-die-Grenze­Kommen aber hat die Vernunft es weder allein mit sich selber noch bloB mit endlich vorlaufigen Dingen und Beziehungen, sondern mit Gott als dem Seins- und Sinngrund und -abgrund zu tun. Hier findet deshalb Gottes­erkenntnis statt, frage ich nicht mehr bloB nach Gott, sondern wird mir eine Antwort auf diese Frage zuteil.

Tillichs Stellung ist an diesem Punkte nicht ganz eindeutig. Einerseits, so haben wir gehort, spricht auch er gelegentIich von einer ontologischen Antwort, die im SelbstbewuBtsein gcfunden werden konne, undvon der Angstverfassung der Existenz als Ausdruck ihrer Transzendenzbezogenheit sowie der Moglichkeit einer Übernahme dieser Angst als der besonderen Sinnmoglichkeit menschlicher Existenz. Anderseits aber will er dann im GottesbewuBtsein des Menschen, in der sog. natürlichen Theologie, doch nur die Frage nach Gott horen und schaut er nach einer besonderen Basis für den Mut zu einer Bejahung der Angst aus: So wenig, als es moglich sei, Gott auf analytischem Wege logisch zu beweisen, sei es uns moglich, existentiell aus Angst Mut abzuleiten.

Begreiflich, daB Tillichs Reden von Offenbarung ei nen etwas seItsamen Ausgang nimmt und daB wir seiner Christologie und Soteriologie im 2. Band seiner Dogmatik mit einigem Bedenken entgegenseben - da schon die Grundlage so fragwürdig ist. Aber diese Fragwürdigkeit in der Grundlegung lieBe sich beheben; denn wir wissen bereits, wo sie herrührt. Sie hat ihren Grund in der falschen Verbindung des Existentiellen mit dem apologetischen Interesse. Die Ungegenstandlichkeit des Existentiellen wird für Tillich zum Fallstrick, so daB er doch wieder in den Bereich der Theologie des W ortes, dem er eigentIich entfliehen will, verf1illt. Und unter Berufung auf das exi­stentielle Denken glaubt er dann jene W ortbezogenheit verteidigen und plau­sibel machen zu kõnnen.

Die Folgen dieser Verquickung sind aber eine MiBachtung der Trag­weite des natürlichen Gotteserkennens einerseits und die Einführung eines Heilsfaktors in den Seinsgrund in einer Weise, daB dieser zu einer Illusion zu werden droht anderseits. Das im Scheitern unserer GoUesbeweise sich ereignende Sich-selber-Beweisen Gottes als des gegenstandlich nicht faB.~ baren Seinsgrundes und -abgrundes wird zur bloBen Frage nach Offen-

55

barung degradiert, und die Anfwortauf die Frage wird so gegeben,daB der Seinsgrund und -abgrund zugleich zum Sinngrund des Seins erhoben wird. Beides aber ist gleich unsachlich.

Die hier tatsãchlich drohende <ddeologische Tãuschung und wu~sch­bedingte Sentimentalitãt» kõnnte nur so vermieden werden,daB man mit der von Tillich am SchluB des vorliegenden Bandes aufgestellten Forderung ganz ernst machen würde, daB nãmlich die Gotteslehre, die von dem «Sein und Goth handelt, von einer Christologie, welche die «Existenz und Chri­stus» zusammenbringt, gefolgt werden müsse. Dieses von Tillich selber leider zu wenig berücksichtigte Programm würde ei ne scharfe Unterschei­dung der Ungegenstãndlichkeit und des Heilsinteresses im existentiellen Denken zur Vorausset.íung und eine ebenso scharfe Trennung des Schõpfers und des Erlõsers im Gottesbegriff zur Folge haben.

Es ist ja auffallend, eine wiegeringe Rolle der Begriff des Schõpfers in Tillichs Gotteslehre spielt. Und doch wãre dieser alttestamentliche Begriff das geeignete Symbol für die von Tillich in seiner «Frage nach der Offen­barung» gemeinte Wirklichkeit. Denn in dem, was Tillich als «Frage nach der Offenbarung» in der Situation des Stehens vor einem gegenstãndlich nicht mehI' faBbaren letzten Geheimnisse beschreibt, handeltes sich doch um das Innewerden des Verhãltnisses des Geschõpfes zum Schõpfer. Selbst­verstãndlich sind wir bei der Frage: \Varum überhaupt etwas ist und nicht niChts? geleitet von, dem Interesse am Sinn unseres Daseins, handelt es sich doch um eine Frage der Existenz. Aber die dabei resultierende Ungegenstãnd­lichkeit darf uns nicht dazu verführen, dieses Geheimnis des Seinsgrundes und -abgrundes nun zugleich zum Sinngrund des Seins zu erklãren, weil wir uns mit ihm durch die uns bewegende Sinnfrage verbunden wissen. GewH\ stammt auch das Aufbrechen der Sinnfrage in uns aus diesem schõpferi­schen Geheimnis. Aber um dieses Sinnfaktors willen kõnnen wir den Seins­grund noch nicht zum Sinngrund des Seins erklãren. Denn trotz der Logos­struktur des Seins kann der Seinsgrund «ohne ideologische Tãuschung und wunschbedingte Senthnentalitãh nicht als Liebe bezeichnet werden. Mit logischer N otwendigkeit ergibt sich vielmehr nicht nur die Erkenntnis von der Ungegenstãndlichkeit Gottes, sondern auch von der Sinnzwiespãltigkeit seines schõpferischen Wirkens. Gott ist ebensosehr Sinngrund und -abgrund, wie er Seinsgrund und -abgrund ist. Deshalb ist es nicht mõglich, den «letzten Muh in der «Teilhabe an der letzten Seinsmacht» schlechthin, wie Tillich meint,begründen zu kõnnen. Seine dahingehende Vorsehungs- und Erwãhlungslehre (S. 261 ff.) werden dem Sinnrãtsel, zu dem auch das Aus­bleibenkõnnen dieses Mutes gehõrt, nicht gerecht. In diesem «Glauben an den allmiichtigen Gott» als Liebe wird die Unheimlichkeit seines schõpferi­schen Wirkens verharmlost.

Gott ,als Sinngrund der Existenz ist etwas anderes denn Gott als Sinn­grund des Seins. Von Gott als Sinngrund des Seins kann man nur reden, wenn man gleichzeitig vom Sinnabgrund spricht. W ohl aber ist es berech­tigt, von Gott als dem Sinngrund der Existenz zu sprechen, insofern damit ein besonderes schõpferisches Wirksamwerden Gottes zur Sinnerfüllung. des Daseins gemeint ist. Diese Sinnerfüllung ist nicht die logische Struktur des Seins, sondern im Gegenteil: \Vunder als Durchbrechung des Kausal­zusammenhangs im Selbstverstãndnis von Existenz zum inneren Freiwerden

56

vom Druek der Welt und zum Fãhigwerden zur Liebe. Das ist au eh Sehõp­fung, aber nun nieht mehr die alte Sehõpfung - es ist Neusehõpfung. Gott wird hier im Untersehied zu seinem. übrigen sehõpferisehen Wirken als der Erlõser erfahren. Von dieser Seite von Gottes Kund- und Wirksamwerden wãre nun unter dem Symbol des Christus und des «neuen Seins» inihm zu reden. Darunter gehõrt zum grõBten Teil all das, was Tillieh fãlsehlieher­weise sehon unter dem Aspekt der Antwort der ehristliehen Botsehaft auf die Frage naeh Offenbarung bringt.

Da Tilliehs Christologie und Soteriologie aber noeh nieht vorliegen, so breehen wir hier ab und begnügen uns, absehlieBend unsere Stellung zu ihm dahin zusammenzufassen, daB wir sagen: In Tilliehs Grundlegung einer Theologie der Existenz sehen wir ei nen verheiBungsvollen VorstoB ·gegen die heutige Theologie des Wortes, indem hier der von der Worttheologie eskamotierte Bereieh der Existenz ernst genommen wird. Die Fehler,die Tillich dabei unterlaufen, hangen mit seiner apologetisehen Verwendung eines ungeklãrten Begriffs des .Existentiellen zusammen, in welchem zur Ungegenstãndliehkeit führendes Seinserkennen und der Prüfung dureh gegenstãndliehes Denken nieht entratendes Sinnerkennen miteinander ver­miseht werden. Nimmt man Tilliehs Ausführungen über die Frage naeh Offenbarung und über die Antwort der ehristliehen Botsehaft aus diesem falsehen, noeh im Sehatten der W orttheologie stehenden Sehema heraus, dann haben wir in dem, was er zur Frage naeh Offenbarung entwiekelt, einen Beitrag zu einer existenzphilosophisehen Lehre von der Offenbarung Gottes als des, Sehõpfers und in seiner Interpretation der ehristliehen Bot­sehaft den Ansatz zu einer Christologie und Soteriologie der Existenz. Damit aber liefert er uns Bausteine, die - reeht verwendet - zur Grundlegung einer Theologie der Existenz dienen kõnnen, welche über die Sehatten aller bloBen W orttheologie hinausragt und doeh verwurzelt ist in der ehristliehen Tradition und dem, was uns darin heute existentiell angeht. Fritz Buri

EntIUythologisierung als ProbleIU der Sprache

Je gründlieher die Diskussion um das mythisehe Denken der Bibel und um die Entmythologisierung geführt wird, um so vielsehiehtiger erseheint das Problem. Der Mythos ist zunãehst die Urspraehe der Religion über­haupt; im ursprünglichen Mythos ist dabei nieht untersehieden, inwiefern er rein ehronologiseh und inwiefern er grundsãtzlieh ist. Es gehõrt gerade zu seinem Wesen, in maneherlei Hinsieht noeh undifferenziert zu sein. Er lebt im UnbewuBten oder, besser, im Vorrationalen; er hat die Sehwelle des grundsãtzlieh kritisehen Logos noeh nieht übersehritten. Mit dem Erwaehen des grundsãtzlieh kritisehen Denkens gerãt der Mythos in die Krise; geistes­gesehiehtIieh gesehen, wird diese Situation innerhalb des Christentums irh 18. Jahrhundert erreieht.

Indessen zeigte sieh beim Abstreifen des Mythologisehen, daB der Mythos nieht so leieht entbehrt werden komite, wie es zunãehst sehien. Mit der rein rational-begriffliehen Ersetzung des Mythos fielhãufig die ge­heimnisvolle Tiefe dahin, auf die er hinwies. Es enthüllte sieh bei dem Ver-

57

such, das in die Krise geratene religiõse Denken vom Mythos zu lõsen, eine tiefere Schicht des Mythos: Der Mythos ist nicht nur vorkritisches, bildlich­sinnliches Denken, sondern er ist in besonderem MaBe Ausdruck für die Transzendenzbezogenheitder Dinge. Die unbewuBte, ungeschiedene Ur­sprache der Religion tritt nunmehr auseinander: Der Mythos ist einerseits lJrimitives Denken, anderseits Grundsprache der Religion. In ihm wird Transzendenz fühlbar, wn sie der rationalen Begrifflichkeit entschwindet.

Im Laufe der Entwicklung enthüllte sich das Problem des Mythos als noch komplexer. Der Mythos wurde nicht nur als Ausdrucksform desvor­kritischen Geistes, nicht nur als Urkategorie der religiõsen Sprache erkannt, wndern auch als Ausdrucksform und Bildersprache des UnbewuBten. Und das UnbewuBte ist ja nicht nur eine Stufe der BewuBtseinsentwicklung, die überwunden wird, sondern es umfaBt eine bleibende Schicht der Seele. D~mit wird die Frage nach dem Sinn und den Grenzen der Entmythologi­sierung von einer neuen Seite her gesehen. Entmythologisierung ist von da ,her eine Forderung des streng bewuBten Erkennens. Doch sei dieser Fragen­komplex nur nebenbei erwahnt.

Wesentlicher ist uns hier der zweite Aspekt des Mythischen: der Mythos als Grundform des Redens von der Transzendenzbezogenheit der Dinge. Es stellt sich dem entmythologisierenden Denken die Frage: Ist der Mythos dieeinzige Sprache, die zur Verfügung steht, wenn man die Tiefendimension der Dinge zum Sprechen bringen will? Ist also die Enhnythologisierung unmõglich? Von dieser Sicht aus wirrl die Entmythologisierung zum Pro­blem der Sprache.

Als die Sprache bewuBt wurde, schuf sie an Stelle des konkreten Bildes den abstrakten Begriff. Der Begriff ist die elementare Sprache des Logos. Der Begriff ist aber gerade nicht als religiõse Sprache geeignet, denn das \Vesen des Begriffes liegt in seiner mõglichsten Prazision. Die religiõse Sprache aber bedarf des erfiillten Wortes, bei dem mõglichst viele Bezüge als Obertõne mitschwingen. Da die Transzendenzbezogenheit der Diuge nicht direkt angesagt werden kann - das hat gerade der Logos heraus­gestellt -, leistet der prazise Begriff den notwendigen Dienst nicht.· Es ist gerade das Durchscheinende, das Schwebende, das Mehrdeutige, das Un­faBba;'e, das Andeutende gefordert, das delll \\T esen des Begriffes grund­satzlich widerstreitet. Die Vieldeutigkeit des Bildes entspricht dieser Not­wendigkeit besser. Es war gerade der Irrtulll Hegels, daB er glaubte, mit dem prazisen Begriff das Gõttliche adaquater als mit der "Vorstellung)} ausdrückenzu kõnnen. Auf diese Weise kann die religiõse Sprache nicht in die Philosophie übergeführt werden.

Es ist aber die Frage, ob angesichts dieser Sachlage dem Logos nichts anderes iibrigbleibt, als einfach ZUlll Mythos zUl~ückzukehren. Es müBte umfassend nach Ausdrucksweisen gesucht werden, die denselben Dienst leisten wie der Mythos, die abernicht notwendig dessen Schwachen teilen, die in der Voraussetzung des grundsatzlich unkritischen Denkens bestehen.

Zu diesem Zwecke ware zu untersuchen, worin denn eigentlich die be­sondere Fahigkeit des Mythos, die Transzendenzbezogenheit der Dinge zur Geltung bringen zu kõnnen, beruht. Sie beruht offensichtlich nicht auf der unmittelbaren Anschaulichkeit seiner Ausdrucksweise. Sie liegt vielmehr in seiner delll Bild eignenden Vielschichtigkeit, in seiner schwebenden uud

58

tiefsinnigen Mehrdeutigkeit, die Assoziationen weckt, statt wie der Begriff die Bedeutung des Ausgesagten auf ein ganz Bestimmtes zu fixieren. Dieses besondere Mitschwingen der unausgesprochenen Obertõne macht die Eig­nung des Mythos als religiõse Sprache aus. Das allzu direkt Anschauliche an ihm gehõrt eh er zu seiner primitiven Seite. Das schwebende, dem Dich­terischen verwandte Element arp. Mythos ist es offenbar, das ihn etwa einem De Wette als Kategorie der «Ahndung)) so empfohlen hat.

Die Frage wiire nun, welche auBermythischen Ausdrucksweisen ebenso fiihig sind, den Beziehungsreichtum auszudrücken, über den der priizise Begriff seinem Wesen nach nicht verfügt.

Es bietet sich zu diesem Zwecke zuniichst das Symbol an. Das Symbol ist vom Mythos zu unterscheiden. Es weist von sich selbst weg und «be­deutet» lediglich, will aber in keiner Weise selbst «sein)). Die Fahne «ist» niemals das Vaterland, sie «bedeutet» es. Der Mythos aber will neben der Bedeutung zugleich auch selbst «sein)). Besonders da, wo er nach der Über­schreitung der kritischen Schwelle noch festgehalten wird, und da, wo er, wie in der christlichen Lehre, zur Mythodoxie wird, wird sein Anspruch auf eigentliche «Wirklichkeit» manifest. Es wird wesentlich, daB Christus wirk­lich zur Hõlle gefahren <dsh.

Es ist nicht zufiillig, daB da, wo der Mythos zum Problem geworden ist, gewõhnlich schnell nach einer «Symboltheologie» gerufen wird. Die Frage dabei ist di e, ob nun in erster Linie die problematisch gewordenen mythi­schen Bilder als Symbole zu verwenden seien. Sie dürften jedenfalls kaum ausschlieBliche Geitung beanspruchen kõnnen. DaB man gerne auf sie zu­rückgreift, weist auf eine entscheidende Schwierigkeit jeder Symboltheo­logie hin: Symbole kõnnen nicht beliebig erfunden werden. BloB erfundene Symbole haben keine Wirklichkeitsmacht; sie sind dann nicht «erfüllte)) Symbole und so ohne groBen \Vert.

Weiter wird derjenige, der nach unmythischer, transparenter Sprache für die Transzendenzbezogenheit der Dinge sucht, nicht an den Mõglich­keiten der Kunst vorbeigehen kõnnen. Die Kunst beherrscht in besonderem Grade die Mõglichkeiten des andeutenden, die Obertõne zum Klingen brin­genden Sprechens. Es ist durchaus kein Ãsthetizismus, der Musik beson­deren Wert in der Darstellung des Religiõsen zuzubilligen. Den Namen Bach in diesem Zusammenhang überhaupt nur auszusprechen, scheint fast überflüssig zu sein. lnimerhin soll es Theologen geben, die die Musik nicht als legitime Verkündigung gelten lassen. Das gleiche gilt von der bildenden Kunst und der Architektur. So wie eine gotische Kathedrale die Transzen­denzbezogenheit des Menschen fast greifbar macht, so geschieht es auch durch die «Kathedrale)) von Rodin.

Immerhin bleiben diese Mõglichkeiten sehr im Allgemeinen. Es braucht dochmehr; es braucht das Wort. Die Dichtung als verdichtete Sprache geriit in das Grenzgebiet zwischen dem andeutenden Hinweis und der priizisen Aussage. Und hier wiire manches zu lernen, wie man mit dem verdichteten W'ort Bestimmtes aussagen kann, ohne durch starre rationale Begrifflich­keit die Obertõne zu verlieren. Es wiire deshalb weiter zu prüfen, inwiefern das Wart als 'Vort - nicht nur als mythisches Bild, sondern eben als 'Vort in der Sphiire des bewuBten Logos - mit einer Bedeutungsschwere erfüllt werden kõnnte, die über das im Begriff Enthaltene hinausreicht. Dieser

59

Mõgliehkeit wird ei ne entmythologisierende Theologie besondere Aufmerk­samkeit sehenken müssen.

Dabei wird es sieh nieht nur darum handeln, die spiirliehen Reste einer transzendenzerfüllten Spraehe zu retten, die etwa noeh in Ausdrüeken wie «selig», «verdammh, «Sünde», «Heiligkeih usw. vorhanden ist. Die Gefahr, daB diese einstmals die Gottesnãhe und Gottesferne ausdrüekenden \'T orte weiter sãkularisiert werden, ist ja groB, und der Rettung dieser Ausdrueks­Iuõgliehkeiten muB besondere Aufmerksamkeit zugewandt werdeu. Aber es \vürde nieht nur darum gehen, sondern umgekehrt darum, sãkulare \Vorte zum Sehwingen zu bringen. Das ist nieht unmõglieh, aber es kann nur dureh sehõpferisehe religiõse Kraft gesehehen. Es ist immer die sehõpferisehe religiõse Kraft, die si eh ihren spraehliehen· Ausdruek zu sehaffen vermag .

. Es sei an einem Beispiel angedeutet, wie das «Erfüllen» immanenter Begriffe gemeint ist. Gerade die Bibel gibt uns solehe Beispiele. Dureh ihre Glaubensintensitiit gewinnen bisher rein profane Worte einen jenseitigen Glanz. Sie werden gleiehsam in ihrer Bedeutung umgesehmolzen. Besonders Johannes versteht es, auf diese Weise sonst fast Unsagbares auszudrüeken.

«Das Leben» - welche Tiefe gewinnt dieser eine Ausdruek in seinem Evangelium! Johannes lãBt dureh dieses Wort die ganze "Telt des Gotl­erfülltseins durehstrahlen, ohne es zu mythisieren und ohne es zu einem prãzisen rationalen Begriff zu maeheu. Die Gottbezogenheit, das Ewige wird in ihm fühlbar. Wenn es von Christus heiBt, «In ihm waI' das Leben», so sind damit sowohl Christus wie das Leben in einer tiefe gedeutet und aufeinander bezogen, wie es eine rationale oder dogmatisehe Fassung nieht ,ermõehte. Hier haben wir eines der «erfiillten» \Vorte vor uns, deren der Logos bedarf.

Nehmen wir andere Johanneisehe Hauptbegriffe, wie den «Geisb oder die «\Vahrheib, so ergeht es damit ebenso. Begriffe; die an sieh rein sãku­hll·en Charakter haben kõnnen, werden unversehens durehseheinend und lassen in Tiefen sehauen, die selbst der 1\1ythos kaum so ertast~n kann.

Solehe erfüllte W orte sind aber ungesehützt. Sie kõnnen jederzeit wie­der zum Gewõhnliehen herabsinken. Es droht ihnen sogar die Gefahr, selbst in ihrem ursprüngliehen Zusammenhang miBverstanden zu werden, sobald sie von «Blindeu» aufgenommen werden. Für den «Blinden"werden sie leere Begriffe, wãhrend der «Sehende» dureh sie hindureh in eine andere Welt· schaut. Es braueht nieht besonders hervorgehoben zu werden, daB gerade aueh das «Sehen» ein solcher Johanneiseher Ausdruek ist.

In dieser Weise muB del' Logos lernen, «transparenb zu spreehen, wenn er sich zwisehen der Skylla des 1\1ythos und der Charybdis des bloBen rationalen Begriffes hindurehretten will. U. Neuenschwander

60