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Grundsatzstellungnahme Essen und Trinken im Alter Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen Stellungnahmen und Empfehlungen

Author: vuongcong

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  • Grundsatzstellungnahme

    Essen und Trinken im AlterErnhrung und Flssigkeitsversorgung lterer Menschen

    Stellungnahmen und Empfehlungen

  • Herausgeber:Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bundder Krankenkassen e.V. (MDS)Theodor-Althoff-Strae 47 45133 EssenTelefon: 0201 8327-0 Telefax: 0201 8327-100 E-Mail: [email protected] Internet: www.mds-ev.de

    Diese Grundsatzstellungnahme wurde erarbeitet von einem Projektteam der Sozialmedizinischen Expertengruppe Pflege (SEG 2) der MDK-Gemeinschaft unter Beteiligung des MDS.

    Autoren:Dr. Hans Gerber MDK Bayern (Leitung)Jrgen Brggemann MDSUwe Brucker MDSPD Dr. Heinz Jrgen Deuber MDK BayernBeate Fischer MDK Westfalen-LippeSandra Hildebrand MDK HessenCaroline Jung MDSDr. Christoph Kreck MDK HessenKarin Kurzmann MDK BremenUte Schrage MDK Westfalen-Lippe

    Gesamtreview:Prof. Dr. Dorothee Volkert Ernhrungswissenschaftlerin mit Professur am Institut fr Biomedizin

    des Alterns, Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-NrnbergReview einzelner Kapitel:Christian Kolb Dipl. Pflegewirt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fr Biomedizin

    des Alterns, Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg, Mitglied AG Ethik und Recht der DGEM, Kapitel 10

    Dr. Lili Grell MDK Westfalen-Lippe, Kapitel 7.5-7.7Dr. PH Andrea Kimmel MDS, Kapitel 7.3Dr. Michael Penz MDK Bayern, Kapitel 7.4Dr. Patrick Schunda MDK Hessen, Kapitel 7.3Dr. Carmen-Johanna Steiger MDK Nord, Kapitel 10.8Dr. med. dent. Harald Strippel MDS, Kapitel 7.2

    Gestaltung: BestPage Kommunikation RheinRuhr KG 45481 Mlheim an der Ruhr

    Fotos: Claudia Thoelen

    Herstellung & Druck: asmuth druck + crossmedia gmbh & co. kg 50829 Kln

    Mai 2014

    Impressum

  • 3

    Vorwort

    Mit steigender Lebenserwartung gehen wachsende Anforderungen an eine ad-quate Ernhrung und Flssigkeitsversorgung lterer und hochbetagter Menschen einher. Essen und Trinken behalten ein Leben lang einen groen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Eine den physischen, psychischen und sozialen Bedrfnissen angepasste Ernhrung und Flssigkeitsversorgung trgt entschei-dend zur Lebensqualitt bei. Viele medizinische Aspekte stehen in einem engen Zusammenhang mit Fragen der Ernhrung und Flssigkeitsversorgung.

    Mit dieser Grundsatzstellungnahme liegt nun elf Jahre nach der ersten Auflage eine vllig berarbeitete und in wichtigen Punkten ergnzte Handreichung zum aktuellen Stand der medizinischen und pflegerischen Erkenntnisse zur Ernhrung und Flssigkeitsversorgung lterer Menschen in kompakter und praxisnaher Form vor. Die Darstellung bezieht sich schwerpunktmig auf den stationren Pflege-bereich. Spezielle Aspekte der Versorgung im ambulanten Bereich werden ergn-zend in einem eigenen Kapitel behandelt.

    Das Interesse an der ersten Auflage der Grundsatzstellungnahme war gro. Sie konnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Mngel in der Nahrungs- und Fls-sigkeitsversorgung lterer Menschen in den Fokus der ffentlichkeit zu rcken. Seitdem haben vielfltige Anstrengungen aller an der Versorgung lterer Men-schen Beteiligten zu erkennbaren Verbesserungen in diesem Bereich gefhrt. Dies belegen auch die umfangreichen Daten der in dreijhrigen Abstnden erfol-genden Qualittsberichtserstattung des MDS.

    Verschiedene neue Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften, die Implementie-rung eines DNQP-Expertenstandards zum Ernhrungsmanagement in der Pflege, mehrere Richtliniennderungen sowie fachlich-inhaltliche Neuerungen hatten eine umfassende berarbeitung der Grundsatzstellungnahme erforderlich gemacht. Sie erfolgte durch ein Projektteam der Sozialmedizinischen Expertengruppe Pflege der MDK-Gemeinschaft, das pflegefachlichen, rztlichen und ernhrungswissen-schaftlichen Sachverstand zusammenfhrte. Externe Experten der Ernhrungs- und Pflegewissenschaft haben die Stellungnahme fachlich gegengelesen. Allen Beteiligten gilt unser besonderer Dank.

    Die MDK-Gemeinschaft will mit Essen und Trinken im Alter einen Beitrag zur Vertiefung und zum Austausch von Fachwissen zum Wohle der Pflegebedrftigen und damit zur Weiterentwicklung der Qualitt in der Pflege leisten.

    Dr. Peter Pick Dr. Stefan Gronemeyer

    Geschftsfhrer MDS Leitender Arzt des MDS

  • 4

    Soweit im Text Substantive verwendet werden, fr die mnnliche und weibliche Wortformen existieren, sind je nach inhaltlichem Zusammenhang beide Formen gemeint, auch wenn aus Grnden der vereinfachten Lesbarkeit lediglich die mnnliche Form Anwendung findet.

  • 5

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort .....................................................................................................3

    Inhaltsverzeichnis .............................................................................................5

    1 Einfhrung ..............................................................................................13

    1.1 Einleitung ........................................................................................14

    1.2 Ernhrung und Flssigkeitsversorgung Bedarf/Bedrfnisse, Fehlernhrung/Dehydratation ...........................15

    1.3 Epidemiologie der Ernhrung im Alter .............................................17

    2 Grundlagen .............................................................................................25

    2.1 Physiologie des Alterns und Altersvernderungen ............................26

    2.2 Ernhrungsverhalten und Ernhrungszustand beeinflussende Faktoren .........................................................................................29

    2.3 Grundlagen einer ausreichenden Energie-, Nhrstoff- und Flssigkeitsversorgung .....................................................................30

    2.3.1 Energie ......................................................................................31

    2.3.2 Nhrstoffe organische und anorganische Bestandteile .............34

    2.3.2.1 Proteine Fette Kohlenhydrate .........................................34

    2.3.2.2 Vitamine Mineralstoffe Spurenelemente (Mikronhrstoffe) ................................................................37

    2.3.3 Wasser Flssigkeitsbedarf ........................................................40

    2.3.4 Zusammenfassende bersicht zum Energie-, Protein- und Flssigkeitsbedarf .......................................................................41

    2.4 Mgliche Ursachen fr Mangelernhrung im Alter ..........................42

    2.5 Folgeerscheinungen von Mangelernhrung und Dehydratation .......44

    3 Erfassung des Ernhrungsstatus ..............................................................47

    3.1 Erfassung des Ist-Zustandes .............................................................49

    3.2 Anthropometrische Methoden ........................................................49

    3.2.1 Krpergre ..............................................................................50

    3.2.2 Krpergewicht ...........................................................................50

    3.2.3 Body-Mass-Index (BMI) ...............................................................50

    3.2.4 Gewichtsverlauf .........................................................................52

    3.2.5 Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) .........................................52

    3.2.6 Hautfalten- und Umfangmessungen ...........................................53

  • 6

    3.3 Screening und Assessment ..............................................................54

    3.3.1 Nutrition Risk Assessment Scale (NuRAS) ....................................57

    3.3.2 Subjektive Global Assessment (SGA) ...........................................58

    3.3.3 Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) .............................58

    3.3.4 Mini Nutritional Assessment (MNA) ............................................59

    3.3.5 Pflegerische Erfassung von Mangelernhrung und deren Ursachen (PEMU) .......................................................................60

    3.4 Screenings/Assessments fr spezifische Pflegesituationen ................61

    3.5 Fazit zur Erfassung des Ernhrungsstatus.........................................61

    4 Essen und Trinken in stationren Pflegeeinrichtungen ..............................63

    4.1 Verpflegungs- und Schnittstellenmanagement .................................66

    4.2 Verpflegungssysteme ......................................................................68

    4.3 Wohnkchenkonzept als dezentrale Versorgungsform ....................69

    4.3.1 Praxistipps zur aktiven Einbeziehung von Pflegebedrftigen in die Vor- und Zubereitung von Speisen ....................................70

    4.4 Ausgabesysteme Wie kommt das Essen zum Pflegebedrftigen? ..71

    4.5 Speisenplanung ...............................................................................71

    4.6 Wie erfahren die Pflegebedrftigen das Speisenangebot in der Einrichtung? ....................................................................................73

    4.7 Speisenangebotsformen und besondere Anforderungen .................73

    4.7.1 Speisenangebot bei Kau- und Schluckstrungen ........................73

    4.7.1.1 Praxis-Tipp: Konsistenzen ....................................................74

    4.7.2 Speisenangebot bei Demenz ......................................................75

    4.7.3 Fingerfood Essen von der Hand in den Mund ......................76

    4.7.4 Wunschkost ...............................................................................77

    4.7.5 Eat by Walking .......................................................................77

    4.7.6 Themen- oder Angebotstische ....................................................77

    4.8 Essenszeiten ....................................................................................78

    4.9 Getrnkeversorgung .......................................................................78

    4.9.1 Praxis-Tipp .................................................................................79

    5 Bedrfnisgerechte Ernhrung unter sozialen Aspekten ............................81

    6 Prvention und Therapie von Mangelernhrung und Dehydratation ........85

    6.1 Ziele der Prvention .........................................................................86

    6.2 Prvention und Therapie .................................................................87

  • 7

    6.3 Pflegerische Tipps zu verschiedenen Problemen bei der Nahrungsaufnahme ........................................................................89

    6.4 Besonderes Risiko Hitzewelle .......................................................91

    7 Umgang mit ernhrungsrelevanten gesundheitlichen Beeintrchtigungen und Erkrankungen ..................................................................................93

    7.1 Diagnostik und Therapie von Mangelernhrung/ Ernhrungsproblemen als rztliche Aufgabe ....................................94

    7.2 Mundzustand und Zahnstatus .........................................................95

    7.2.1 Assessmentinstrumente fr die Beurteilung des Mundzustandes .......................................................................101

    7.2.1.1 Kayser-Jones-Brief Oral Health Status Examination .............101

    7.2.1.2 Oral Assessment Guide (OAG) ...........................................102

    7.3 Kau- und Schluckstrungen (Dysphagien) ......................................103

    7.3.1 Definitionen, Prvalenz und Ursachen ......................................103

    7.3.2 Diagnostik von Dysphagien ......................................................104

    7.3.3 Therapie von Dysphagien .........................................................105

    7.3.4 Die Rolle der professionellen Pflege im Umgang mit Dysphagien ..............................................................................108

    7.3.4.1 Assessment zur Risikoerfassung von Schluckstrungen bei alten Menschen die PflePhagie-Skala ........................110

    7.4 Krankheitsspezifische Ernhrung ...................................................111

    7.4.1 Ernhrung bei Diabetes mellitus ...............................................111

    7.4.2 Ernhrung bei arterieller Hypertonie .........................................112

    7.4.3 Ernhrung bei Herzinsuffizienz .................................................113

    7.4.4 Ernhrung bei chronischen Nierenerkrankungen ......................114

    7.4.4.1 Praxistipp: Proteinrestriktion ..............................................115

    7.4.5 Ernhrung bei Fettstoffwechselstrungen .................................116

    7.4.6 Ernhrung bei Adipositas .........................................................116

    7.4.7 Ernhrung bei chronischer Obstipation .....................................117

    7.4.8 Ernhrung bei Diarrh ..............................................................119

    7.5 Auswirkungen von Medikamenten ................................................120

    7.6 Subkutane Infusion/Subkutane Rehydratationstherapie/ Hypodermoclysis ...........................................................................124

    7.7 Spezielle Formen der Nahrungszufuhr: Trinknahrung, enterale und parenterale Ernhrung .......................126

  • 8

    7.7.1 Trinknahrung/Oral Nutritional Supplements (ONS) ................127

    7.7.2 Sondenernhrung ....................................................................128

    7.7.2.1 Epidemiologie ...................................................................129

    7.7.2.2 Zugangswege und Indikationen ........................................129

    7.7.2.3 Indikationen, fr die keine hinreichende Evidenz besteht, und Indikationen, die nur nach eingehender Prfung des Einzelfalls in Betracht kommen ..........................................130

    7.7.2.4 Regelmige Indikationsprfung .......................................131

    7.7.2.5 Medizinische Kontraindikationen, Komplikationen ............132

    7.7.2.6 Entscheidungsfindung zur Sondenanlage ..........................132

    7.7.2.7 Verabreichung der Sondennahrung ...................................134

    7.7.2.8 Pflegerische Aspekte der Sondenversorgung .....................134

    7.7.2.9 Flssigkeitsgabe bei Sondenernhrung ..............................136

    7.7.2.10 Verbandswechsel und Hautpflege ...................................136

    7.7.2.11 Arzneimittel bei Ernhrung ber eine PEG-Sonde ............137

    7.7.3 Parenterale Ernhrung in Pflegeeinrichtungen ..........................138

    8 Anforderungen an eine sachgerechte Pflegeplanung und Pflegedokumentation ............................................................................139

    8.1 Informationssammlung .................................................................141

    8.2 Planung der Pflegeziele und Pflegemanahmen ............................142

    8.3 Durchfhrung der Pflege ...............................................................142

    8.4 Evaluation der Pflege .....................................................................144

    9 Aspekte der Versorgung im ambulanten Bereich ...................................147

    9.1 Hintergrnde ................................................................................148

    9.2 Praxis ............................................................................................151

    9.3 Qualitt in der ambulanten Pflege .................................................152

    10 Ethische und rechtliche Aspekte ............................................................155

    10.1 Bedeutung von Recht und Ethik bei Ernhrung und Flssigkeitsversorgung ...................................................................156

    10.2 Stellenwert der Ernhrung.............................................................157

    10.3 Ethische Sicht zu Selbstbestimmung bzw. Paternalismus bei Essen und Trinken bei Menschen mit und ohne Demenz .........................158

    10.4 Nahrungsablehnung/-verweigerung ..............................................159

    10.5 Entscheidung bei rztlichen Manahmen speziell Ernhrung und Flssigkeitsversorgung ber eine Sonde oder mittels Infusionen ....161

  • 9

    10.6 Ethikkonsil und ethische Entscheidungen im multidisziplinren Team .............................................................................................163

    10.7 PEG-Sonde, parenterale Ernhrung, Infusionen .............................164

    10.8 Essen und Trinken am Lebensende ................................................164

    11 Literatur ................................................................................................169

    Anhang .................................................................................................193

    A Leistungsrechtliche Grundlagen .............................................................193

    Sozialgesetzbuch (SGB V) ......................................................................194

    Gemeinsamer Bundesausschuss ............................................................194

    Institut fr Qualitt und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ................................................................................................194

    Arzneimittel-Richtlinie und Ernhrung ...................................................194

    rztliche Leistungen ..............................................................................195

    Hilfsmittel .............................................................................................195

    Prvention .............................................................................................197

    Heilmittel ..............................................................................................197

    Richtlinie zur huslichen Krankenpflege .................................................198

    Sozialgesetzbuch (SGB XI) .....................................................................199

    B Ernhrungsmedizinische Grundlagen.....................................................201

    Nhrstoffe .............................................................................................202

    Mineralstoffe ........................................................................................206

    Vitamine ...............................................................................................212

    C Beispiele fr Ess- und Trinkhilfen............................................................221

    D Tabellen- und Abbildungsverzeichnis .....................................................225

    E Abkrzungsverzeichnis ..........................................................................229

  • 10

  • 11

    Der alte Grovater und der Enkel

    Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische sa und den Lffel kaum halten konnte, schttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Grovater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrbt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass. Einmal auch konnten seine zitterigen Hnde das Schsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hlzernes Schsselchen fr ein paar Heller, daraus musste er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trgt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen.

    Was machst du da?, fragte der Vater. Ich mache ein Trglein, antwortete das Kind, daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich gro bin.

    Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten sofort den alten Grovater an den Tisch und lieen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschttete.1

    1 Jacob und Wilhelm Grimm: Der alte Grovater und der Enkel. Aus den Kinder- und Hausmrchen der Gebrder Grimm, 1850.

  • Einfhrung1

  • 14

    1.1 Einleitung

    Anlass fr die Erarbeitung der ersten Grundsatzstellungnahme Ernhrung und Flssigkeitsversorgung lterer Menschen2 waren Qualittsmngel in der Ernh-rung und Flssigkeitsversorgung insbesondere in stationren Pflegeeinrichtungen, die sich hufig in den Ergebnissen der Qualittsprfungen der Medizinischen Dienste nach 114 ff. SGB XI zeigten.

    Nicht zuletzt hat die Verffentlichung der Grundsatzstellungnahme im Jahre 2003 dazu beigetragen, dass sich die Fachwelt dieses Themas vermehrt annahm und Mngel in der Nahrungs- und Flssigkeitsversorgung lterer Menschen in den Fokus der ffentlichkeit rckten. Seitdem haben vielfltige Anstrengungen aller an der Versorgung lterer Menschen Beteiligten, einschlielich der Fachwelt, zu einer deutlichen Verbesserung in diesem Bereich gefhrt. Dies zeigen die Ergeb-nisse weiterer Qualittsprfungen der Medizinischen Dienste nach 114 ff. SGB XI, die im Kapitel 1.3 ausfhrlich dargelegt werden.

    Um der Weiterentwicklung in diesem Bereich gerecht werden zu knnen, wurde die Grundsatzstellungnahme berarbeitet und um weitere Kapitel ergnzt wie z. B. Mund- und Zahnstatus, Aspekte der Versorgung im ambulanten Bereich, krank-heitsspezifische Ernhrung sowie ethische und rechtliche Aspekte.

    Ziel der berarbeiteten Grundsatzstellungnahme ist es, den aktuellen Stand der medizinischen und pflegerischen Erkenntnisse zur Ernhrung und Flssigkeits-versorgung lterer Menschen in kompakter und praxisnaher Form darzustellen. Die Zielgruppen sind insbesondere Pflegefachkrfte, Pflegekrfte und weitere in die Pflege einbezogene Menschen sowie Hauswirtschafts- und Kchenpersonal und die Pflegebedrftigen und ihre Angehrigen. Gleichzeitig soll diese Grund-satzstellungnahme rzten, weiteren Therapeuten und Ernhrungsfachkrften als Kompendium zur Orientierung dienen.

    Die Grundsatzstellungnahme trifft u. a. Aussagen zur Hufigkeit von Mangelernhrung und Dehydratation bei lteren Menschen

    (epidemiologische Daten), zu Risikofaktoren fr die Entstehung von Mangelernhrung und Dehydratation

    (pathophysiologische Grundlagen) einschlielich Assessmentverfahren zur Ein-schtzung dieser Risiken,

    zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen und pflegerischen Erkennt-nisse hinsichtlich Prophylaxe von Mangelernhrung und Dehydratation, bis hin zur Versorgung mit Sondenkost,

    zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen und pflegerischen Erkennt-nisse zur Behandlung (medizinische und pflegerische Strategien) von Mangel-ernhrung und Dehydratation einschlielich Indikationen fr die Anlage einer PEG-Sonde und die Versorgung mit Sondenkost,

    zu den Anforderungen an eine sachgerechte Dokumentation bei Risikogruppen, zu Aspekten der Versorgung im ambulanten Bereich, zu krankheitsspezifischer Ernhrung.

    2 MDS, 2013.

  • 15

    Die Aussagen beziehen sich schwerpunktmig auf den stationren Pflegebe-reich, da die Bewohner von Pflegeeinrichtungen im Bereich der Ernhrung in der Regel einen deutlich hheren Abhngigkeitsgrad aufweisen als ambulant be-treute Pflegebedrftige. Zudem ist der Einfluss der Pflege auf die Sicherstellung einer angemessenen Ernhrung im ambulanten Pflegebereich deutlich begrenz-ter als im stationren Bereich. Dies ergibt sich nicht zuletzt aufgrund vertraglicher Vereinbarungen. Nur wenn der Pflegebedrftige Leistungen im Bereich der Er-nhrung mit dem ambulanten Pflegedienst vereinbart hat, kann dieser bezglich der vertraglich vereinbarten Leistungen pflegerisch ttig werden; er ist nur im Rahmen der vereinbarten Leistung verantwortlich zu machen.

    Dieser Grundsatzstellungnahme liegt die relevante aktuelle deutsch- und englisch-sprachige Literatur der Jahre 2002 bis 2013 zugrunde. Literaturrecherchen wur-den in den Literaturdatenbanken MEDLINE und GEROLIT durchgefhrt (Keywords: Ernhrung, Essen, Flssigkeit, Trinken, Messinstrument, Assessment, Guideline, Ethik, Obstipation, Diarrh, Inkontinenz). Eine weitere Recherche erfolgte in der Datenbank des rztlichen Zentrums fr Qualitt in der Medizin (Keywords: Guide-line, Ernhrung, Trinken). Ergnzend wurde zu einzelnen Kapiteln eine spezifische Recherche durchgefhrt sowie der Arbeitsgruppe bekannte aktuelle Literatur herangezogen.

    1.2 Ernhrung und Flssigkeitsversorgung Bedarf/Bedrfnisse, Fehlernhrung/ Dehydratation

    Ernhrung ist die Gesamtheit der Vorgnge, durch die dem lebenden Organismus diejenigen Substanzen (mit Ausnahme von Sauerstoff) von auen zugefhrt wer-den, die zur Aufrechterhaltung der Lebensvorgnge notwendig sind.3 Soweit die wissenschaftliche Definition. Doch fr den Menschen ist Ernhrung mehr. Neben dem objektiven Bedarf an Nhrstoffen, Energie und Flssigkeit hat der Mensch subjektive Bedrfnisse an sein Essen, sein Trinken und wann, wie und wo er diese Bedrfnisse befriedigt. Diese Bedrfnisse gelten in jedem Alter, verlieren auch bei Krankheit nicht an Bedeutung und unterliegen im Laufe eines Lebens Vernde-rungen. Sie werden zu einer besonderen Herausforderung, wenn Fhigkeitsein-buen oder Krankheiten die Selbstbestimmung hierber einschrnken.

    Diese Herausforderung gilt es anzunehmen, sowohl von den Betroffenen als auch von den Pflegenden. Ziel ist es, in jedem Lebensalter eine adquate Ernh-rung und damit eine bedarfsangepasste Nhrstoff- und Flssigkeitsversorgung sicherzustellen. Eine Fehlernhrung ist zu vermeiden bzw. zu entdecken und zu behandeln.

    DefinitionenGrundstzlich ist anzumerken, dass in der Leitlinie der DGEM zur Klinischen Ernhrung in der Geriatrie4 darauf hingewiesen wird, dass es keine allgemein

    3 dtv Lexikon, 2006.4 Volkert D., 2013.

  • 16

    akzeptierte Definition von Mangelernhrung im Alter gibt. Die Leitlinie spricht von Mangelernhrung bei einem unbeabsichtigten aufflligen Gewichtsverlust (>5 % in 3 Monaten oder >10 % in 6 Monaten) oder einer deutlich reduzierten Krpermasse (Fett- und Muskelmasse) (BMI

  • 17

    7 DGE Fit im Alter, 2006.8 Statistisches Bundesamt, 2011.9 Statistisches Bundesamt, 2006.10 Statistisches Bundesamt, 2011a.11 Heseker H., 2007.

    DehydratationEine ausreichende Flssigkeitszufuhr ist in jedem Lebensalter unentbehrlich. Wird sie nicht sichergestellt, kommt es zur Austrocknung des Krpers, zur Dehydrata-tion. Diese ist mit einer erheblichen Minderung der Leistungsfhigkeit und wei-teren erheblichen gesundheitlichen Beeintrchtigungen verbunden. Da mit zu-nehmendem Alter das Durstgefhl wahrscheinlich hormonell bedingt abnimmt, steigt das Risiko einer nicht adquaten Flssigkeitszufuhr beim lteren Men-schen.7

    1.3 Epidemiologie der Ernhrung im Alter

    Bereits heute sind mindestens 16,9 Millionen Deutsche lter als 65 Jahre. Auf-grund der sich entscheidend verndernden Altersstruktur wird ihre Zahl bis zum Jahr 2030 auf voraussichtlich 22 Millionen ansteigen.8 Die Zahl der Hochbe-tagten (80 Jahre und lter) wird von derzeit vier Millionen ber sechs Millionen im Jahr 2020 auf zehn Millionen im Jahr 2050 anwachsen.9

    Im Dezember 2011 gab es in Deutschland etwa 2,5 Millionen pflegebedrftige Menschen im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Vollstationr ver-sorgt wurden 743.000, 1,76 Millionen Menschen wurden zu Hause gepflegt. Zwei Drittel der ambulant Pflegebedrftigen wurden ausschlielich von Angeh-rigen versorgt, bei einem Drittel wurde die Pflege teilweise oder vollstndig von einem ambulanten Pflegedienst bernommen.10

    Ein erhhtes Risiko fr Fehlernhrung haben ltere und insbesondere pflegebe-drftige Menschen aufgrund verschiedener altersphysiologischer Vernderungen.

    Die Ernhrung und Flssigkeitsversorgung von Bewohnern in stationren Pflege-einrichtungen zhlt in Anbetracht der Ergebnisse aus den Qualittsprfungen der Medizinischen Dienste nach 114 ff. SGB XI zu den problematischen Ver-sorgungsbereichen. In Laienmedien finden Begriffe wie Mangelernhrung und Ernhrungsrisiko oft eine undifferenzierte Verwendung. Nicht selten finden sich dort medienwirksam berspitzte Aussagen wie Bewohner bekommen nicht genug zu essen oder Jeder zweite Heimbewohner ist mangelernhrt, welche jedoch der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Es wird dabei bersehen, dass es sich bei den Pflegeheimbewohnern meist um hochbetagte und multimorbide Menschen handelt, die erst sehr spt und hufig bereits mit Ernhrungsdefiziten den Weg ins Seniorenheim finden.11

    Derart pauschale Verurteilungen werden den Bemhungen und der geleis teten Arbeit der Pflegekrfte in den Einrichtungen nicht gerecht. Zudem ist die Vermei-dung oder Therapie der Mangelernhrung, wie im Expertenstandard betont wird,

  • 18

    auch von der Mitwirkung weiterer Berufsgruppen abhngig.12 Expertenstandards in der Pflege stellen hierbei ein professionell abgestimmtes Leistungsniveau dar, das den Bedrfnissen der angesprochenen Personen angepasst ist und Kriterien zur Erfolgskontrolle der Pflege mit einschliet. In der aktuellen Fassung liegt seit 2010 der Expertenstandard Ernhrungsmanagement zur Sicherstellung und Frderung der oralen Ernhrung in der Pflege des DNQP vor. Mit Implementie-rung dieses Standards in Pflegeeinrichtungen sollen ernhrungsrelevante Gesund-heitsprobleme rechtzeitig identifiziert und bei Bedarf geeignete Interventionen eingeleitet werden.

    Aussagen des 3. Pflegequalittsberichtes des MDS zu Ergebnissen von Qualitts-prfungen nach 114 SGB XI in stationren Einrichtungen zeigen, dass bei 9,1 Prozent (5.652) von 61.985 einbezogenen Bewohnern eine relevante Gewichts-abnahme (mehr als 5 % in 13 Monaten, mehr als 10 % in 6 Monaten) zu ver-zeichnen ist. Weiterhin ist festzustellen, dass bei bestehenden Risiken im Bereich der Ernhrungs- und Flssigkeitsversorgung nicht immer handlungsleitende Manahmen im Rahmen der Einwirkungsmglichkeiten der Einrichtungen abge-leitet sind. Bei 7,4 Prozent (3.091) von 41.770 Bewohnern mit einem Ernh-rungsrisiko und bei 4,6 Prozent (1.865) von 40.536 Bewohnern mit einem Risiko bei der Flssigkeitsversorgung wurden von den Autoren prophylaktische Ma-nahmen durch die Einrichtungen als unzureichend bezeichnet.

    Wie wichtig adquate Manahmen sind, zeigen folgende Zahlen, die die Wirk-samkeit der Manahmen zur Ernhrung deutlich machen: Bei Bewohnern, bei denen die erforderlichen Manahmen zur Ernhrung nicht durchgefhrt wurden (8.565), ist der Anteil der Personen mit Gewichtsverlust mit 33,9 Prozent deutlich hher als in der Gesamtstichprobe (9,1 % von 61.985). Diese Wirksamkeit der Manahmen lsst sich bei der Flssigkeitsversorgung ebenso nachweisen. Bei den Bewohnern, bei denen die erforderlichen Manahmen zur Flssigkeitsver-sorgung nicht durchgefhrt wurden (7.140), ist die Flssigkeitsversorgung deut-lich hufiger als nicht angemessen bewertet worden (23,7 %) als in der Gesamt-stichprobe (3,0 % von 61.985 bzw. 4,6 % von 40.536).13

    Studien aus den Niederlanden zeigen, dass das Problem der Mangelernhrung oft bereits im huslichen Bereich beginnt.14 Nach der ErnSiPP-Studie liegt bei Senioren mit Pflegebedarf in Privathaushalten die Prvalenz von Mangelernh-rung bei 13 Prozent, bei weiteren 57 Prozent besteht ein Risiko fr Mangelernh-rung. Hier ist die Entwicklung prventiver Strategien notwendig.15

    Die bisher umfangreichste Erhebung in den stationren Pflegeeinrichtungen in Deutschland ist die ErnSTES-Studie.16 In dieser Studie wurden, neben der Ein-schtzung des Ernhrungszustandes mit dem MNA, der BMI und weitere anthro-pometrische Daten (Oberarmumfang, Wadenumfang, Trizepshautfaltendicke) sowie zustzlich die subjektive Einschtzung des Ernhrungszustandes durch ei-

    12 DNQP, 2010.13 MDS 2012: 15-16, 54-55.14 Meijers J., 2009: 417-423.15 DGE, 2010.16 Heseker H., 2008: 157-204.

  • 19

    17 Heseker H., 2008: 179.18 Heseker H., 2008: 175.19 MDS, 2012: 54.20 Bartholomeyczik S., 2010.21 Pauly L., 2007: 3-12.22 Valentini L., 2009.23 Schtz T., 2009: 142.24 Unverffentlichte Prsentation (PowerPoint-Datei liegt vor).

    ne Pflegefachkraft und durch ein geschultes Studienpersonal erfasst.17 In dieser Studie hatten laut MNA bei den Mnnern 50 Prozent (Frauen: 47,8 %) ein Risiko fr Mangelernhrung, 10,5 Prozent (Frauen: 11,4 %) eine manifeste Mangeler-nhrung. 8 Prozent der Mnner und 6 Prozent der Frauen wiesen einen BMI unter 18,5 auf. 28,1 Prozent der Mnner und 31,1 Prozent der Frauen wurden durch geschultes Studienpersonal als unterernhrt eingeschtzt.18 Ein signifikanter Unterschied zwischen Senioren und Seniorinnen war nicht erkennbar. Zusam-mengefasst zeigen die wesentlichen Ergebnisse, dass bei knapp zwei Drittel der Bewohner in stationren Einrichtungen der Altenpflege von einer mglichen Ge-fhrdung durch Mangelernhrung ausgegangen werden muss, da eine den Re-ferenzwerten entsprechende Nhrstoffaufnahme nicht gesichert ist.

    Diese Einschtzung eines verbreiteten mglichen Risikos wird durch den 3. Pfle-gequalittsbericht des MDS19 besttigt. Die erhobenen Daten zeigen, dass bei 41.770 von 61.980 Bewohnern stationrer Pflegeeinrichtungen Einschrnkungen (67 %) bei der Ernhrung vorlagen und Manahmen zur Ernhrung erforderlich waren.

    Bartholomeyczik et al.20 unterscheiden zwischen Prvalenz wahrscheinlicher Man-gelernhrung und Aufweisen von Risikoindikatoren fr eine Mangelernhrung. Die Prvalenz wahrscheinlicher Mangelernhrung wird aufgrund einer Stichprobe bei 2.444 Bewohnern von 32 Altenpflegeheimen auf 26 Prozent eingeschtzt. Ergnzend wird angenommen, dass weitere 28 Prozent der Bewohner Risikoin-dikatoren fr Mangelernhrung aufweisen (vgl. Kap. 3.2.3).

    Je nach verwendetem Instrument zur Einschtzung des Ernhrungszustandes wird im Vergleich deutlich, dass sich die Ergebnisse zum Teil erheblich unterschei-den. Zu einem hnlichen Ergebnis kamen auch Pauly et al.: Die Hufigkeit vari-iert je nach Methode und Grenzwert zur Erfassung von Mangelernhrung und in Abhngigkeit von der untersuchten Population. Um in Zukunft besser vergleich-bare Studienergebnisse zu erhalten, sollten die Teilnehmer weiterer Studien sorg-fltig charakterisiert und zur Erfassung der Ernhrungssituation einheitliche, standardisierte Methoden verwendet werden.21

    Neuere Daten fr Deutschland sind der bisher grten europaweiten Stichtags-Studie nutritionDay in Europe22, bei der stationr behandelte Patienten und Pflegeheimbewohner zu ihrer Ernhrungssituation befragt wurden, zu entneh-men.23 Neben Patienten in Krankenhusern wurden 2007 insgesamt 1.957 deut-sche Bewohner in Pflegeheimen in diese Erhebung einbezogen. Der nutrition-Day ergab, dass in Deutschland 15,2 Prozent der Bewohner24 in den Pflegeheimen einen BMI (Body-Mass-Index) unter 20 aufweisen, was fr das Vorliegen eines

  • 20

    Ernhrungsrisikos oder auch einer Mangelernhrung sprechen knnte. Die Auto-ren ziehen jedoch keine direkten Rckschlsse auf den Ernhrungszustand, da dieser mit dem BMI alleine nicht ausreichend bewertet werden kann. Sie stellen jedoch fest, dass eine verringerte Nahrungsaufnahme und ein niedriger BMI-Wert mit einer erhhten Mortalitt korrelieren.25

    Laut einer Studie von Kaiser et al. mit Bewohnern eines Pflegeheimes in Nrn-berg lag die Anzahl der Bewohner mit einem BMI-Wert von unter 20 bei 8,5 Prozent.26 Dagegen wiesen 23,5 Prozent einen BMI von ber 30 auf. Das bedeu-tet, dass jeder vierte Bewohner bergewichtig war. Da diese Daten nur in einem einzigen Pflegeheim erhoben wurden, sind sie nicht reprsentativ. Eine wichtige Erkenntnis aus der Studie von Kaiser et al. ist das risk factor paradox. Bei Pflege-heimbewohnern scheint eine Adipositas positive Auswirkungen auf die berle-bensdauer und die funktionelle Stabilitt zu haben.27 Zur Prvalenz von Adiposi-tas in den Pflegeeinrichtungen liegen kaum Daten vor. Belastbare Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen des bergewichtes bei alten Menschen sind bislang rar, diesbezglich ist weitere Forschung notwendig.

    Als wichtiges Zwischenergebnis des nutritionDay und der Studie von Kaiser et al. kann festgehalten werden, dass sich ein niedriger BMI-Wert negativ auf die Lebensqualitt und auf die Mortalitt auswirken kann. Es wird deutlich, dass ein Gewichtsverlust bei pflegebedrftigen Menschen in den Pflegeeinrichtungen wegen der negativen Folgen auf die Lebensqualitt bei Senioren mglichst ver-hindert werden muss, was die bisherigen Erkenntnisse besttigt.28 Der Um-kehrschluss, dass jeder Bewohner zum Essen und somit zur Gewichtszunahme gezwungen werden muss, darf aus diesen Studien auf keinen Fall gezogen wer-den. Vermeidung von Gewichtsverlust bzw. eine Gewichtszunahme in den Nor-malbereich ist zwar wnschenswert, jedoch immer noch abhngig von der in-dividuellen Lebenssituation und den Wnschen und Bedrfnissen des Bewohners.

    Die bisherigen Forschungsergebnisse lassen noch keine fundierte Einschtzung der Ernhrungssituation von Bewohnern in stationren Pflegeeinrichtungen in Deutschland zu. Insbesondere kann auf der alleinigen Basis dieser Daten nicht auf die Qualitt der Pflege geschlossen werden. Der Vergleich der Prvalenz in Deutschland und in anderen Lndern bietet keine Grundlage fr die Mutma-ung, dass die Ernhrungssituation von Bewohnern deutscher Pflegeheime im internationalen Vergleich schlechter sei.29 Vieles deutet darauf hin, dass der Um-gang mit Ernhrungsproblemen in stationren Pflegeeinrichtungen besser ist als sein Ruf. Nach einer Studie30 reagieren Pflegekrfte in den stationren Pflegeein-richtungen sensibler auf Ernhrungsprobleme als Pflegekrfte im akutstationren Bereich.31 Die im 3. Bericht des MDS zur Qualitt in der ambulanten und statio-nren Pflege im April 2012 vorgestellten Ergebnisse aus den Qualittsprfungen

    25 Schtz T., 2009: 144.26 Kaiser M., 2009.27 Kaiser M., 2009.28 Morley J., 2007: 59.29 Pauly L., 2007: 3-12.30 Tannen A., 2008. 31 Schtz T., 2009: 177-183.

  • 21

    nach 114 ff. SGB XI, die in der Zeit vom 01.07.2009 bis 31.12.2010 bei den 61.980 in die Zufallsstichprobe einbezogenen Bewohnern erhoben wurden, be-legen, dass der Ernhrungszustand im Rahmen der Einwirkungsmglichkeiten der Pflegeeinrichtungen bei 95 % der Bewohner angemessen war. Betrachtete man ausschlielich den Anteil der Bewohner mit einem Ernhrungsrisiko (41.770 Stichprobenflle), betrug der Anteil der Bewohner, bei denen der Ernhrungszu-stand im Rahmen der Einwirkungsmglichkeiten der Pflegeeinrichtung angemes-sen war, immerhin noch 92,6 %. Diese Ergebnisse sollen jedoch nicht darber hinwegtuschen, dass noch weiterer Verbesserungsbedarf, insbesondere in ein-zelnen Pflegeeinrichtungen, besteht.

  • 22

    32 Valentini L., 2009.33 Maastricht University, 2010.34 Bartholomeyczik S., 2010a.35 Heseker H., 2008, verffentlicht in DGE, Ernhrungsbericht 2008.36 MDS, 2012.

    Quelle/Studie Anzahl Einrichtungen/ Bewohner

    Kriterien Ernhrungszustand/Pflegequalitt

    nutritionDay in stationren Pflegeeinrichtungen32

    38/2137 BMI < 20 kg/m

    Maastricht-Studie33 MUST: wahrscheinlich mangelernhrt Risiko fr Mangelernhrung --------------------------- BMI 20 bis < 25 oder 3 Tage kaum gegessen oder eine Woche zu wenig --------------------------- (Risiko fr Mangelernhrung) Fachlicher Blick: Mangelernhrt

    Bartholomeyczik, Prvalenz von Mangeler-nhrung 201034

    32/2444 Als Risiko fr eine Mangelernhrung wird definiert, wenn eines der folgenden Kriterien zutrifft:

    BMI > 20 bis < 23 kg/m (bei Personen 65 Jahren gilt ein BMI > 18,5 und 20 kg/m)

    der Betroffene drei Tage lang nicht oder kaum gegessen oder fr die Dauer einer Woche weniger Nahrung zu sich genommen hat als normal

    ErnSTES35 10/773 MNA: Normaler Ernhrungszustand Risiko fr Unterernhrung schlechter Ernhrungszustand

    Einschtzung durch geschultes Studienpersonal: Unterernhrt

    Einschtzung durch Pflegefachkraft Unterernhrt

    3. Qualittsbericht Pflege des MDS36

    ambulant 7782/44889

    stationr 8101/61985

    Vorliegen von Einschrnkungen bei der Ernhrung, es sind Manahmen zur Ernhrung erforderlich

    Tabelle 1Studienbersicht zur Mangelernhrung in deutschen Pflegeeinrichtungen

  • 23

    Stand: 12.02.2014

    Anteil der Bewohner mit Risiko oder Mangelernhrung

    Kritische Wrdigung der Ergebnisse

    15,2 % BMI als alleiniger Wert ist nicht geeignet zur Erfassung des Ernhrungszustandes

    11 % 11 %

    55 %

    14 %

    Erhebung per Fernabfrage, MUST ist nicht geeignet zur Erfassung bei lteren Menschen, Risiko ist nicht validiert

    knnen BMI-Wert und/oder Gewichtsverluste nicht exakt ermittelt werden, ist der Einsatz des Instru-ments problematisch

    Prvalenz wahrscheinlicher Mangelernhrung 26 %

    Risikoindikatoren fr Mangelernhrung bei weiteren 28 %

    Angaben im Mittel, kein Unterschied zwischen den Geschlechtern

    40 % 49 % 11 %

    30 %

    Mnner 8,5 %, Frauen 17,4 %

    Daten wurden von geschultem Studienpersonal erfasst

    es wurden 10 Einrichtungen von verschiedenen ffentlichen und freigemeinntzigen Trgern in die Studie einbezogen, keine privaten Trger. Die Reprsentativitt ist fraglich

    bei 67 % (41.770 von 61.980) der Bewohner lagen Einschrnkungen bei der Ernhrung vor u. es waren Manahmen zur Ernhrung erforderlich

    bei 7,4 % dieser Bewohner mit Ernhrungsrisiko (3.091 von 41.770) war der Ernhrungszustand nicht angemessen

    bezogen auf die Gesamtzahl der Bewohner (61.980) war der Ernhrungszustand nur bei 5 % nicht angemessen

    reprsentative Erhebung

    bei Bewohnern, bei denen die erforderlichen Manahmen zu Ernhrung nicht durchgefhrt wurden (8.565), liegt der Anteil der Personen mit Gewichtsverlust mit 33,9 % deutlich hher als in der Gesamtstichprobe (9,1 % von 61.985)

  • Grundlagen2

  • 26

    2.1 Physiologie des Alterns und Altersvernderungen

    Das Altern biologisch gesehen beginnt es bereits nach der Pubertt ist mit einer kontinuierlichen Abnahme der physiologischen Leistungsfhigkeit verbunden. Betroffen sind davon nahezu alle Organe und Zellsysteme. Aufgrund weitrei-chender Funktionsreserven ist der menschliche Organismus anfnglich in der Lage, diese Vernderungen zu kompensieren. Geistiges und krperliches Training kann zur Aufrechterhaltung der Leistungsfhigkeit bis ins hohe Alter beitragen. Auer-dem sind unter der Voraussetzung einer selbststndigen, unabhngigen Lebens-weise in krperlicher und geistiger Gesundheit altersbedingte Einschrnkungen in der Nhrstoffversorgung zunchst nicht zu erwarten.37

    Die Vernderungen mit zunehmendem Alter knnen sich auf das Ess- und Trink-verhalten auswirken. Fhren die physiologischen Vernderungen des Stoffwech-sels und in der Regel auch eine verminderte krperliche Aktivitt zu einer Vermin-derung des Energiebedarfs, so bleibt der Nhrstoffbedarf jedoch weitgehend unverndert. Diesen adquat zu decken ist das Ziel der Ernhrung des lteren Menschen und stellt bei pflegebedrftigen Menschen eine groe Herausforde-rung dar.38

    Die bedeutendste Altersvernderung in Zusammenhang mit der Ernhrung ist die sogenannte Altersanorexie. Der Essantrieb lsst mit zunehmendem Alter auf-grund zahlreicher Vernderungen im komplexen System der Hunger- und Stti-gungsregulation nach. Hungersignale nehmen ab, Sttigungssignale nehmen zu, die Geruchs- und Geschmackswahrnehmung reduziert sich.39 Diese altersassozi-ierten Vernderungen sind von erheblicher Bedeutung fr das Ernhrungsverhal-ten und beeinflussen somit den Ernhrungs- und Gesundheitsstatus des lteren Menschen. Vernderungen im Stoffwechsel sowie beim Energie- und Nhrstoff-bedarf, hufig verbunden mit Appetitlosigkeit und Multimorbiditt, bergen die Gefahr einer Mangelernhrung. Das abnehmende Geschmacks-, Geruchs- und Durstempfinden verstrkt diese Entwicklung. Kau- und Schluckbeschwerden, eine verminderte Magendehnung und erhhte Aktivitt von Sttigungshormonen knnen dazu fhren, dass nur kleine Mengen gegessen werden. Auch krperliche Behinderungen wie Lhmungen nach Schlaganfall oder Zittern bei Morbus Par-kinson oder aber geistige Beeintrchtigungen wie Vergesslichkeit, Depressionen oder Demenz beeinflussen das Ess- und Trinkverhalten.40

    Ab dem sechsten Lebensjahrzehnt wird fr einzelne Mikronhrstoffe eine hhere Zufuhr diskutiert (Vitamin B12 und Vitamin D).41 Im hheren Alter nehmen der Grundumsatz und in aller Regel die krperliche Aktivitt ab. Der Stoffwechsel verlangsamt sich; die Muskelmasse nimmt ab, die Fettmasse zu. Dementsprechend wird eine geringere Energiezufuhr (kcal) bentigt, um das Gewicht konstant zu

    37 DGE et al., 2008.38 DGE et al., 2008; Heseker H., 2008; DGE, 2011.39 Volkert D., 2011: 175-190.40 DGE et al., 2008; Heseker H., 2008; DGE, 2011.41 DGE et al., Referenzwerte, 2008.

  • 27

    42 DGE et al., 2008; DGE, 2008; Heseker H., 2008; DGE, 2011; DGE Fit im Alter, 2007.43 DGE Fit im Alter, 2006.

    halten. Praktisch bedeutet dies, dass verstrkt Lebensmittel mit hoher Nhrstoff-dichte (z. B. Vitamine, Spurenelemente) ausgewhlt werden und sowohl Zuberei-tung als auch Darreichung entsprechend angepasst werden mssen.42

    Mit zunehmendem Alter treten vermehrt Funktionsminderungen der Organe auf. Die Wahrscheinlichkeit von akuten wie chronischen Krankheiten nimmt zu. Da-durch bedingt erfolgt hufig eine Medikation/Multimedikation. Jeder einzelne dieser Faktoren und auch diese Faktoren im Zusammenspiel knnen eine vermin-derte Nahrungsaufnahme, verminderte Nhrstoffabsorption bzw. erhhte Nhr-stoffumsetzung und/oder -ausscheidung verursachen. Dies wiederum verringert die Verfgbarkeit von Nhrstoffen oder erhht deren Bedarf. Auch Probleme mit dem Kauapparat sind nicht zu unterschtzen. Sie knnen entweder zu einer ein-seitigen Ernhrung fhren oder zum extremen Weichkochen mit einem meist damit einhergehenden erhhten Zubereitungsverlust an Nhrstoffen.

    Der Lebensabschnitt des Alters ist eine sehr weite Zeitspanne; laut WHO erfolgt eine Differenzierung in folgende Altersgruppen:

    Da Alter nicht gleichzusetzen ist mit Gebrechlichkeit, kann auch eine Einteilung aufgrund der krperlichen und geistig-seelischen Fhigkeiten vorgenommen werden: 43

    Hochbetagte sind eine sehr heterogene Gruppe mit einer Streubreite von rstigen gesunden bis zu multimorbiden, gebrechlichen Senioren, die sich auch hinsicht-lich ihrer krperlichen Aktivitt erheblich unterscheiden. Dies bedeutet im Einzel-fall erhebliche Unterschiede im Energiebedarf. Infolgedessen knnen Referenz-werte fr die Nhrstoffzufuhr bei alten Menschen nur sehr bedingt auf den Einzelfall zutreffen. Zur Physiologie des hohen Alters gehrt auch das Phnomen der verminderten Funktionsreserven. Diese Tatsache beeintrchtigt die Fhigkeit,

    65-74-Jhrige junge, aktive Alte

    75-89-Jhrige Hochbetagte

    90-99-Jhrige Hchstbetagte

    100-Jhrige und ltere Langlebige, Hundertjhrige

    Unabhngig lebende Senioren go goes

    Hilfsbedrftige Senioren slow goes

    Pflegebedrftige Senioren no goes

    Tabelle 2Einteilung von Senioren nach Alter

    Tabelle 3Einteilung von Senioren nach Bedrftigkeit

  • 28

    mit einer geringfgig vom individuellen Bedarf abweichenden Nhrstoffmenge zurechtzukommen.

    Alterungsprozesse verlaufen nicht einheitlich, zudem werden sie durch das per-snliche Verhalten beeinflusst. Folglich ergeben sich individuelle Unterschiede im Ausma der Beeintrchtigung von Organ- und Stoffwechselfunktionen, die mit zunehmendem Alter gravierender werden.44

    44 DGE et al., 2008.

  • 29

    Ernhrungsverhalten und Ernhrungszustand beeinflussende Faktoren

    physiologische Altersvernderungen Altersanorexie Appetitlosigkeit

    nachlassende Sinneswahrnehmungen Geschmack, Geruch, Sehen

    physiologische Altersvernderungen der Verdauungsfunktion

    Ernhrungsverhalten einseitige Ernhrung

    restriktive Diten

    Schlankheits- oder Vergiftungswahn

    geringe Essmengen, Auslassen von Mahlzeiten

    hoher Alkoholkonsum

    Gesundheitszustand akute oder chronische Erkrankungen

    (chronische) Schmerzen

    Multimedikation

    Medikamente mit ungnstigen Nebenwirkungen

    gastrointestinale Erkrankungen/Beschwerden (belkeit, Erbrechen, Obstipation)

    Krperliche Beeintrchtigungen Mobilittsstrungen, Immobilitt

    Behinderungen der oberen Extremitten: Schwierigkeiten beim Schneiden

    Kaubeschwerden durch Zahnverlust, schlecht sitzende Zahnprothesen, Entzndungen

    Schluckbeschwerden

    Geistige und psychische Verfassung Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Demenz

    Depressionen, Psychosen

    delirante Syndrome

    Soziale und finanzielle Situation geringes Einkommen, Armut, Verwahrlosung

    Einsamkeit, soziale Isolation

    biografische Ereignisse (Verwitwung, Heimeinzug)

    2.2 Ernhrungsverhalten und Ernhrungszustand beeinflussende Faktoren

    Ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren bestimmt das Ernh-rungsverhalten und den Ernhrungszustand im Alter. Im Folgenden sind beispiel-haft einige Faktoren dargestellt:

    Tabelle 4Ernhrungsverhalten und -zustand beeinflussende Faktoren45

    45 Volkert D., 2011a.

  • 30

    2.3 Grundlagen einer ausreichenden Energie-, Nhrstoff- und Flssigkeitsversorgung

    Als Energie- und Nhrstoffbedarf wird die Energie- bzw. Nhrstoffmenge ver-standen, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen langfristig zur Erhaltung der Gesundheit notwendig ist. Die Gesellschaften fr Ernhrung in Deutschland (DGE), sterreich (GE) und der Schweiz (SGE) haben 2000 erstmals gemeinsam die Referenzwerte fr die Nhrstoffzufuhr, kurz D-A-CH-Referenzwerte, herausge-geben. Mit dem bergeordneten Begriff Referenzwerte fr die Nhrstoffzufuhr werden Empfehlungen, Schtzwerte und Richtwerte zur Nhrstoffzufuhr umfasst. Die Empfehlung gibt die konkret empfohlene Zufuhr eines bestimmten Nhr-stoffes an. Die Nhrstoffangaben und Energierichtwerte bilden die Basis fr die praktische Umsetzung einer vollwertigen Ernhrung. Ziel der Referenzwerte ist die Erhaltung und Frderung der Gesundheit und der Lebensqualitt. Im Sinne der WHO und FAO sollen sie bei mglichst allen gesunden Personen der Bevlke-rung die lebenswichtigen metabolischen, physischen und psychischen Funktio-nen sicherstellen.46

    Durch die zahlreichen physiologischen Altersvernderungen sind Vernderungen des Nhrstoffbedarfs mit zunehmendem Alter anzunehmen. Die D-A-CH-Refe-renzwerte liefern eine Richtlinie fr den Nhrstoffbedarf von gesunden Mnnern und Frauen verschiedener Altersgruppen. ltere Menschen werden in diesen Empfehlungen bisher als eine Gruppe der ber 65-Jhrigen zusammengefasst. Die Empfehlungen fr diese Altersgruppe entsprechen weitgehend denen fr jngere Erwachsene, weil entweder entsprechende Untersuchungen an alten Menschen fehlen oder die vorhandenen Untersuchungen keine sicheren Hinweise fr einen vernderten Bedarf liefern. Die zugrunde liegenden Studien ber den Nhrstoffbedarf im Alter sind jedoch begrenzt, und die groen physiologischen Unterschiede z. B. zwischen einem 65- und einem 95-Jhrigen lassen es als un-wahrscheinlich erscheinen, dass alle ber 65-Jhrigen den gleichen Bedarf auf-weisen. Auch ist anzunehmen, dass der Nhrstoffbedarf im Zusammenhang mit hufigen Krankheiten im Alter verndert sein kann. Es fehlt jedoch auch hier an ausreichendem Datenmaterial, um spezifische Zufuhrempfehlungen fr verschie-dene Gruppen alter Menschen zu formulieren.47

    Bei vielen lteren Menschen in Alten- oder Pflegeheimen liegt die tgliche Nhr-stoffaufnahme erheblich unter den von der DGE empfohlenen Referenzwerten. Kritisch wird es vor allem bei Senioren, die eine stark reduzierte Energiezufuhr aufweisen (unter 1500 kcal/Tag), sowie bei sehr einseitiger Ernhrung. Dann ist eine adquate Nhrstoffzufuhr kaum mglich.48 Die Versorgung mit Vitamin D ist hierbei als besonders problematisch einzustufen. Hierbei ist zu beachten, dass der entscheidende Faktor bei Vitamin D die Sonnenlichtexposition ist. Die Zufuhr von Vitamin E, Vitamin C, Folat, Calcium und Magnesium ist deutlich zu gering. Die Verteilung der Anteile an Fett, Kohlenhydraten, Eiweien und Ballaststoffen ist zu optimieren: weniger Fett und Zucker, dafr mehr komplexe Kohlenhydrate.

    46 DGE et al., 2008.47 DGE et al., 2000; Volkert D., 1997.48 DGE Fit im Alter, 2006.

  • 31

    49 DGE, 2008; Heseker H., 2008.50 Georg J., 2001.51 Pschyrembel, 2002.52 DGE, Referenzwerte fr die Nhrstoffzufuhr, 2008.53 DGE et al., 2008.

    Auch die Ballaststoffzufuhr entspricht nur etwa der Hlfte der empfohlenen Men-ge, teilweise ist die Eiweiaufnahme zu gering. Grundstzlich sollte sich eine Ernhrungstherapie nicht an den einzelnen Grenzwerten bestimmter Nhrstoffe orientieren, sondern an einem ausgewogenen Gesamtangebot.49

    2.3.1 Energie

    Energie wird in Kalorien bzw. Joule gemessen. Hierbei ist eine Kalorie (cal) eine Einheit fr Wrmeenergie, die frher gebruchlich war fr alle Energieformen. Offiziell abgelst wurde diese Einheit durch Joule, in der Praxis ist die Einheit Kalorie jedoch noch zur Bemessung des Energiegehaltes von Nahrungsmitteln gebruchlich.50 Eine Kalorie ist die erforderliche Wrmemenge, um 1 g Wasser von 14,5 Grad Celsius auf 15,5 Grad Celsius zu erwrmen. 1.000 cal entspre-chen einer kcal. Joule (J) ist eine Einheit fr Energie (Arbeit und Wrme) und fr den chemischen Nhrwert. 4,187 Joule entsprechen einer Kalorie.51

    Zur Beurteilung des Brennwertes der energieliefernden Nhrstoffe wird mit fol-genden Werten gerechnet:

    Protein (4 kcal/g) Fett (9 kcal/g) Kohlenhydrate (4 kcal/g)

    Auch Alkohol wird bei Aufnahme zu 95 Prozent fr die Energiegewinnung im Krper genutzt (7 kcal/g).52

    Der Energieumsatz ergibt sich aus dem Grundumsatz, dem Arbeitsumsatz (Mus-kelarbeit), der Thermogenese nach Nahrungszufuhr sowie dem Bedarf fr Wachs-tum, Schwangerschaft und Stillzeit. Der Grundumsatz (Basal Metabolic Rate, BMR) stellt bei blicher Belastung den grten Teil des Energieverbrauchs dar. Seine Gre korreliert mit der fettfreien Krpermasse. Diese nimmt mit zunehmendem Alter ab. Zudem haben Mnner wegen der greren fettfreien Krpermasse ei-nen um etwa 10 Prozent hheren Grundumsatz als Frauen. Der Grundumsatz kann entweder berechnet oder mittels Kalorimetrie bestimmt werden.53 Mit zu-nehmendem Alter nehmen der Wassergehalt, die Knochenmasse und die Mus-kelmasse ab, whrend der Krperfettgehalt zunimmt. Der Stoffwechsel verluft verlangsamt und die krperliche Aktivitt nimmt meistens ab; infolgedessen sinkt der Energiebedarf.

    Der tgliche Energiebedarf ergibt sich demnach aus einem Mehrfachen des Grundumsatzes. Als Wert hierfr wird das Ma fr die krperliche Aktivitt, der PAL-Wert (physical activity level), verwendet. Der Grundumsatz ist mit dem ent-sprechenden Faktor fr die krperliche Aktivitt (PAL) zu multiplizieren, um den Ener-

  • 32

    gieumsatz zu ermitteln. Da in den Referenzwerten der DGE54 die Richtwerte fr die Energiezufuhr auf den PAL-Werten (beginnend mit PAL 1,2 fr gebrechliche Alte) basieren, kann wenn auch das Alter ab 65 Jahren fr den Grundumsatz nicht weiter differenziert wird der Grad an krperlicher Aktivitt bercksichtigt werden, was ein gewisses Ma an individuellem Zuschnitt erlaubt.

    Die Deutsche Gesellschaft fr Ernhrung gibt den durchschnittlichen Grundum-satz von Menschen ber 65 Jahren wie folgt an:

    Frauen: 1.170 kcal bei einem Gewicht von 55 kg Mnner: 1.410 kcal bei einem Gewicht von 68 kg55

    54 DGE, Referenzwerte 2008. 55 DGE, Referenzwerte 2008.

  • 33

    Der tatschliche Energiebedarf, d. h. die bedarfsgerechte Energiezufuhr, kann im Einzelfall nur durch regelmige Gewichtskontrollen festgestellt werden.

    Zu beachten sind besondere Bedarfe bei Menschen mit Demenz. Manche Menschen mit Demenz bentigen aufgrund eines hohen Bewegungsdrangs bis zu 3500 kcal/Tag.

    Krperliche Aktivitt (PAL-Werte)

    Grundumsatz 1,2 1,4 1,6 1,8

    Alter (Jahre)

    MJ kcal MJ kcal MJ kcal MJ kcal MJ kcal

    Mnner 65 und lter

    5,9 1.410 7,1 1.700 8,3 2.000 9,4 2.300 10,6 2.500

    Frauen 65 und lter

    4,9 1.170 5,9 1.400 6,9 1.600 7,8 1.900 8,8 2.100

    Grundumsatz x krperliche Aktivitt = Energieumsatz (BMR x PAL = TEE)

    Tabelle 6Faktoren zur Berechnung des Energiebedarfs57

    Grundumsatz basal metabolic rate BMR

    Faktor fr krperliche Aktivitt physical activity level PAL

    Energieumsatz total energy expenditure TEE

    Tabelle 7PAL-Wert in Abhngigkeit von Arbeitsschwere und Freizeitverhalten58

    Arbeitsschwere und Freizeitverhalten PAL Beispiele

    Ausschlielich sitzende oder liegende Lebensweise

    1,2 Alte, gebrechliche Menschen, z. B. bettlgerige Senioren

    Ausschlielich sitzende Ttigkeit mit wenig oder keiner anstrengenden Freizeitaktivitt

    1,4 1,5 Broangestellte, Feinmechaniker

    Sitzende Ttigkeit, zeitweilig auch zustz licher Energieaufwand fr gehende und stehende Ttigkeiten

    1,6 1,7 Laboranten, Kraftfahrer, Studierende, Fliebandarbeiter

    berwiegend gehende und stehende Ttigkeit

    1,8 1,9 Verkufer, Kellner, Mechaniker, Handwerker

    Krperlich anstrengende berufliche Arbeit 2,0 2,4 Bauarbeiter, Landwirte, Waldarbeiter, Bergarbeiter, Leistungssportler

    56 DGE, Referenzwerte 2008.57 DGE, Referenzwerte 2008.58 DGE et al., Referenzwerte 2008; DGE Fit im Alter, 2006.

    Tabelle 5Richtwerte fr die durchschnittliche Energiezufuhr in Abhngigkeit vom Grundumsatz bei unterschiedlicher krperlicher Aktivitt56

  • 34

    2.3.2 Nhrstoffe organische und anorganische Bestandteile

    Proteine, Fette und Kohlenhydrate sind als organische Bestandteile zu nennen, die tglich in Mengen von bis zu mehreren hundert Gramm zugefhrt werden. Nur ein kleiner Teil der in ihnen enthaltenen Bausteine, z. B. bestimmte Amino-suren oder Fettsuren, sind essenziell. Fette und Kohlenhydrate dienen im Wesent-lichen der Energieversorgung, sie spielen die wichtigste Rolle fr die Deckung des Energiebedarfs. Eine vollwertige Mischkost sollte begrenzte Fettmengen und reichlich, d. h. mehr als 50 Prozent der Energiezufuhr, Kohlenhydrate (vorzugs-weise Strke) enthalten.

    Des Weiteren gehren die Vitamine zu den organischen Bestandteilen. Die Mineral-stoffe (eingeteilt in Mengen- und Spurenelemente) sowie das Wasser bilden den anorganischen Teil der Nhrstoffe. Vitamine und Mineralstoffe bentigt der Mensch nur in Klein- oder Kleinstmengen im mg- oder g-Bereich (Mikronhr-stoffe).

    Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines Lebensmittels ist dessen Nhrstoff-dichte. Als besonders gute Nhrstofflieferanten gelten Lebensmittel, die eine breite Akzeptanz besitzen und deren Nhrstoffdichte die fr Frauen ber 65 Jahren empfohlene Menge um das Dreifache bersteigt. Diese Altersgruppe dient als Bezug, da fr sie wegen des geringsten Energiebedarfs in der Regel die hchste Nhrstoffdichte notwendig wird.59

    Im Rahmen dieser Stellungnahme sollen die Nhrstoffe im berblick erlutert werden. Zur Detailinformation wird auf die D-A-CH-Referenzwerte verwiesen.

    2.3.2.1 Proteine Fette KohlenhydrateProteine (Eiwei), Fette und Kohlenhydrate sind die energieliefernden Nhrstoffe fr den Organismus. Sie sollten ungefhr in folgendem Verhltnis an der Energie-zufuhr beteiligt sein:

    9 bis 11 Prozent Proteine mehr als 50 Prozent Kohlenhydrate (vorzugsweise Strke, maximal 10 Prozent

    der Gesamtenergie als Zucker, d. h. 30-50 g) maximal 30 Prozent Fett (berwiegend pflanzliche Fette)60

    ProteineProteine versorgen den Organismus mit Aminosuren und Stickstoffverbindungen. Diese dienen u. a. als Baustoffe fr Zellen und Gewebe (Muskelfasern, Organe, Blut) sowie Enzyme und Hormone. Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft fr Ernhrung fr die tgliche Zufuhr liegt bei 0,8 g Protein pro kg Krperge-wicht und Tag. In der Leitlinie der DGEM zur klinischen Ernhrung in der Geriatrie wird 1 g Protein empfohlen, da hhere Mengen diskutiert werden, um fettfreie Krpermasse, Krperfunktionen und Gesundheit optimal zu erhalten.61 In einer

    59 DGE et al., 2008.60 DGE, Referenzwerte fr die Nhrstoffzufuhr, 2008.61 Volkert D. et al., 2013

  • 35

    ausgewogenen Mischkost entspricht dies einem Anteil des Nahrungsproteins von 910 Prozent an der Energiezufuhr von Erwachsenen. Milch und Milchpro-dukte, Eier, Fleisch und Fleischwaren sowie Fisch sind proteinreiche Lebensmittel tierischen Ursprungs. Gute pflanzliche Eiweilieferanten sind Getreideprodukte, Kartoffeln und Hlsenfrchte.

    Lacto- und Ovolactovegetarier (gemischte Kost basierend auf pflanzlichen Lebens-mitteln plus Milch- und Eiverzehr) sind bei Aufnahme der empfohlenen Protein-menge und einer angemessenen Deckung des Energiebedarfs ausreichend mit unentbehrlichen Aminosuren versorgt. Durch Bercksichtigung der biologischen Wertigkeit kann bei vegetarischen Ernhrungsformen, aber auch bei Menschen, deren Energieversorgung knapp ist, die Proteinversorgung durch bestimmte Kom-binationen eiweireicher Lebensmittel, die eine verbesserte Verwertung bewir-ken, gesteigert werden. Bei veganen oder anderen hochgradig restriktiven Diten kann es zu Mangelerscheinungen kommen und eine Substitution indiziert sein.

    Die biologische Wertigkeit erlaubt eine Abschtzung der Qualitt eines Proteins in Lebensmitteln. Sie ist ein Ma dafr, wie effizient mit der Nahrung aufgenom-menes Protein in krpereigenes Protein umgewandelt werden kann. Wichtigstes Kriterium fr die biologische Wertigkeit eines Lebensmittels ist die Zusammen-setzung der Aminosuren. Die biologische Wertigkeit tierischer Proteine ist in der Regel hher als die pflanzlicher Proteine. Referenzwert ist die mit 100 angesetzte biologische Wertigkeit von Hhnervollei. Bestimmte Lebensmittelkombinationen erlauben eine erhebliche Steigerung der biologischen Wertigkeit von Proteinen. Eine besonders hohe biologische Wertigkeit, die ber 100 liegt, erreichen fol-gende fr die Praxis relevante/interessante Lebensmittelkombinationen:62

    Tabelle 8Biologische Proteinwertigkeit bestimmter Lebensmittelkombinationen

    Lebensmittelkombination Biologische Wertigkeit

    36 % Vollei und 64 % Kartoffel 136

    75 % Milch und 25 % Weizenmehl 125

    60 % Vollei und 40 % Soja 124

    76 % Vollei und 24 % Milch 119

    51 % Milch und 49 % Kartoffeln 114

    78 % Rindfleisch und 22 % Kartoffeln 114

    Vollei (Referenzwert) 100

    52 % Bohnen und 48 % Mais 99

    62 Biesalski H.K., 2010.

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    Tabelle 9Biologische Proteinwertigkeit ausgewhlter Lebensmittel63

    Lebensmittel Biologische Wertigkeit

    Vollei (Referenzwert) 100

    Kartoffeln 96

    Rindfleisch 87

    Kuhmilch 85

    Sojamehl 84

    Reis 81

    FetteFette liefern neben Energie essenzielle (lebensnotwendige) Fettsuren und sind Trger fettlslicher Vitamine (Vitamine A, D, E, K). Sie sind zudem Trger von Geschmacksstoffen und knnen auch durch ihre Konsistenz die Schmackhaftig-keit von Speisen verstrken. Sie setzen sich aus gesttigten, einfach ungest-tigten und mehrfach ungesttigten Fettsuren zusammen. Dazu sollte der ber-wiegende Teil des Fettes in Form von pflanzlichen Fetten wie Raps-, Soja- und Olivenl aufgenommen werden, da diese eine besonders gnstige Fettsurezu-sammensetzung aufweisen. Fettfische wie Hering, Lachs oder Makrele sind gute Lieferanten fr Omega-3-Fettsuren, die einen gnstigen Einfluss auf die Blut-fettzusammensetzung haben.

    KohlenhydrateKohlenhydrate stellen neben den Fetten eine wichtige Energiequelle fr den Or-ganismus dar und sind mengenmig der wichtigste Energielieferant. Sie stam-men berwiegend aus pflanzlichen Lebensmitteln. Je nach Anzahl der Zucker-bausteine werden die Kohlenhydrate in zwei Hauptgruppen unterteilt:

    einfache Zucker; hierzu gehren die Monosaccharide (Einfachzucker), z. B. Traubenzucker und Fruchtzucker und die Disaccharide (Zweifachzucker), z. B. Haushaltszucker, Malzzucker und

    Milchzucker Polysaccharide sind komplexe Kohlenhydrate (Vielfachzucker); hierzu gehren die Strke und die fr den menschlichen Organismus unverdauliche Zellulose (Ballaststoff).

    Mono- und Disaccharide werden im Darm sofort resorbiert und erhhen unmit-telbar, aber nur kurzzeitig, den Blutzuckerspiegel. Stark zuckerhaltige Lebensmit-tel sind meist reine Energietrger. Werden sie in greren Mengen verzehrt, ver-drngen sie wichtige nhrstoffreiche Lebensmittel. Beim lteren Menschen kann unter Umstnden ein hherer Zuckerkonsum toleriert werden. Wenn nur unzu-reichend Nahrung aufgenommen werden kann und fettreiche und strkehaltige Lebensmittel ggf. schlecht vertragen werden, wird Zucker zumeist als schmack-

    63 Biesalski H.K., 2010.

  • 37

    64 Volkert D., 1997.65 DGE Fit im Alter, 2007.66 DGE et al., 2008; Volkert D., 1997; DGE Fit im Alter, 2006.

    hafter Energielieferant empfunden.64 Hier kann dem Wunsch nach sen, breii-gen Speisen gefolgt werden. Die Speisen sollten allerdings mglichst vollwertig gestaltet werden, z. B. mit hohem Milch-, Vollkorngrie- und Obstanteil.65

    Polysaccharidhaltige Lebensmittel, z. B. Kartoffeln und Getreideprodukte, versor-gen den Krper neben Energie mit Vitaminen, Mineralstoffen und Ballaststoffen. Strke wird im Darm aufgespalten, um resorbiert werden zu knnen. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel nur langsam, aber nachhaltig an. Extrem hohe Blut-zuckerspitzen werden vermieden, und das Sttigungsgefhl hlt lnger an.

    Die Richtwerte fr die Kohlenhydratzufuhr mssen den individuellen Energiebe-darf, den Bedarf an Protein und die Richtwerte fr die Fettzufuhr bercksichtigen. Eine vollwertige Mischkost sollte begrenzte Fettmengen und reichlich, d. h. mehr als 50 Prozent der Energiezufuhr, Kohlenhydrate (vorzugsweise Strke) enthalten.

    Zu den Ballaststoffen werden Bestandteile pflanzlicher Lebensmittel gezhlt, die im menschlichen Verdauungstrakt nicht abgebaut werden. So wird Zellulose un-verndert ausgeschieden. Ballaststoffreiche Lebensmittel haben wichtige Funktio-nen im Verdauungstrakt und darber hinaus positive Stoffwechselwirkungen. Sie regen zum Kauen an und sttigen besser durch eine lngere Verweildauer im Magen. Durch ihre Quelleigenschaft binden sie viel Wasser und frdern so eine gute Darmttigkeit. Ballaststoffreiche Lebensmittel liefern eine Reihe von Vitami-nen und Mineralstoffen. Ballaststoffe sollen einer Reihe von Erkrankungen und Funktionsstrungen entgegenwirken, hierzu gehren Obstipation, Dickdarmdi-vertikulose, Dickdarmkrebs, Gallensteine, bergewicht, Hypercholesterinmie, Diabetes mellitus und Arteriosklerose. Die in westlichen Lndern blicherweise geringe Aufnahme von Ballaststoffen wird mit zahlreichen Zivilisationskrank-heiten in Verbindung gebracht.

    Als Richtwert fr die Zufuhr von Ballaststoffen gilt bei Erwachsenen eine Menge von mindestens 30 g pro Tag. Dieser kann durch den Verzehr von Gemse/Obst/Vollkornprodukten erreicht werden. Einer solchen natrlichen Versorgung ist auch grundstzlich der Vorzug gegenber einer isolierten Ballaststoffzufuhr z. B. durch Kleieprparate zu geben. Kleie enthlt viel Phytinsure, die Mineralstoffe bindet und somit deren Bioverfgbarkeit mindert.66

    Strke- und ballaststoffhaltige Lebensmittel sollten im Mittelpunkt der Ernhrung stehen, da sie zustzlich Vitamine, Mineralstoffe und sekundre Pflanzenstoffe liefern. Besonders strke- und ballaststoffreich sind Getreideprodukte (Vollkorn-brot, Haferflocken), Reis, Teigwaren, Kartoffeln, Hlsenfrchte, Obst und Gemse.

    2.3.2.2 Vitamine Mineralstoffe Spurenelemente (Mikronhrstoffe)Es wrde im Kontext dieser Grundsatzstellungnahme zu weit fhren, dieses Ka-pitel komplett in Textform abzuhandeln. Deshalb wird an dieser Stelle nur auf einige besonders wichtige Vitamine und Mineralstoffe bzw. Spurenelemente ein-

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    gegangen. Weitere Informationen sind den im Anhang eingefgten Tabellen Vita-mine, Mineralstoffe und Spurenelemente (siehe Anhang B) zu entnehmen.

    Mit einer ausgewogenen Ernhrung kann auch im Alter die empfohlene Zufuhr an essenziellen Nhrstoffen gedeckt werden. Dabei ist es notwendig, den Speise-plan sorgfltig zusammenzustellen und vor allem Lebensmittel mit hoher Nhr-stoffdichte zu bevorzugen. Hierzu gehren Kartoffeln, Reis und einzelne Obst- und Gemsesorten, z. B. Bananen und Hlsenfrchte.

    Kritisch wird es bei Senioren, die eine stark reduzierte Energiezufuhr haben (unter 1.500 kcal/Tag), sowie bei sehr einseitiger Ernhrung. Dann ist eine adquate Nhrstoffzufuhr kaum mglich.68 Bei einzelnen Nhrstoffen werden D-A-CH-Referenzwerte im Mittel zwar knapp erreicht oder berschritten. Hierzu gehren z. B. Vitamin A, Thiamin, Riboflavin, Vitamin B12, Niacin, Biotin und Zink. Dies darf aber nicht darber hinwegtuschen, dass viele Senioren die Referenzwerte fr die tgliche Nhrstoffzufuhr erheblich unterschreiten. Besonders problema-tisch ist die Versorgung mit Vitamin D einzustufen. Deutlich zu gering ist laut ErnSTES-Studie bei vielen Senioren die Zufuhr von Vitamin E, Vitamin C, Folat, Calcium und Magnesium.69

    Vitamin DFr die Vitamin-D-Versorgung ist hauptschlich eine ausreichende UV-Licht-Expo-sition erforderlich, da die Vitamin-D-Zufuhr mit den blichen Lebensmitteln bei weitem nicht ausreichend ist. Der hierzu notwendige regelmige Aufenthalt im Freien ist bei Heimbewohnern hufig eingeschrnkt. Zudem ist im Alter die Fhig-keit zur Vitamin-D-Bildung in der Haut im Vergleich zu der junger Erwachsener deutlich herabgesetzt. Unter blichen Lebensbedingungen werden nur ca. 1020 Prozent des Vitamin D ber die Nahrung aufgenommen. 8090 Prozent stam-men hierzulande bei regelmigem Aufenthalt im Freien aus der endogenen Synthese in der Haut. In den bezglich der Vitamin-D-Aufnahme aktualisierten Referenzwerten fr die Nhrstoffzufuhr von 2012 wird der Schtzwert fr eine angemessene Vitamin-D-Zufuhr bei fehlender endogener Synthese bei lteren Menschen ab 65 Jahren mit 20 g angegeben.70 Dies ist eine Verdoppelung der bisherigen Empfehlung. Insofern ergibt sich fr diese Altersgruppe eine strkere Notwendigkeit des Einsatzes eines Vitamin-D-Prparates zur Erzielung einer opti-malen Vitamin-D-Wirkung bei Senioren bei gleichzeitig adquater Calciumzu-fuhr (vgl. unten). Vitamin D und Calcium sind unerlsslich fr den Aufbau und Erhalt der Knochen. Eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung trgt zum einen zur Entstehung von Osteoporose im Alter bei. Zudem beeinflusst Vitamin D die Funktionalitt der Skelettmuskulatur und wird mit dem Risiko fr Strze und dadurch bedingte Frakturen in Verbindung gebracht: Es besteht eine berzeu-gende Evidenz, dass eine gute Vitamin-D-Versorgung das Risiko fr Strze und Frakturen bei lteren reduziert.71 Die mediane tgliche Vitamin-D-Zufuhr in Alten-pflegeheimen betrgt laut ErnSTES-Studie 1,9 g/Tag (mnnlich) bzw. 1,5 g/Tag

    68 DGE Fit im Alter, 2006.69 DGE (Hrsg.): ErnSTES-Studie, 2008.70 DGE, Referenzwerte Vitamin D, 2012.71 Heseker H., 2012.

  • 39

    72 DGE (Hrsg.): ErnSTES-Studie, 2008.73 DGE et al., 2012; DGE Fit im Alter, 2006; Heseker H., 2008.74 DGE (Hrsg.): ErnSTES-Studie, 2008.75 DGE, Referenzwerte Folat, 2013.76 DGE Fit im Alter, 2006; Heseker H., 2008.77 DGE Fit im Alter, 2006; Heseker H., 2008.78 DGE, Referenzwerte 2008.79 DGE, Referenzwerte Calcium, 2013.80 DGE (Hrsg.): ErnSTES-Studie, 2008.

    (weiblich).72 In Pflegeeinrichtungen sollte den Bewohnern ein regelmiger Auf-enthalt im Freien ermglicht werden.

    Fettreiche Lebensmittel wie Hering, Aal, Lachs, Makrele und in deutlich gerin-gerem Mae Leber, Eigelb und mit Vitamin D angereicherte Margarine tragen zur Vitamin-D-Versorgung bei.73

    Folat (natrliches Vitamin), Folsure (synthetische Form des Vitamins)Folat ist beteiligt an Zellteilung und Zellneubildung, Blutbildung sowie am Protein-stoffwechsel. Eine unzureichende Folatzufuhr fhrt zu hheren Homocystein-spiegeln. Diese werden mit einem erhhten Arterioskleroserisiko in Verbindung gebracht. Laut ErnSTES-Studie74 erreichen nur 2,4 Prozent der Mnner und 3 Prozent der Frauen die empfohlene tgliche Folatzufuhr, die lt. DGE 2013 fr Senioren bei 300 g-quivalent/Tag liegen soll.75 76 Durch einen hohen Verzehr von natrlicherweise folatreichen Lebensmitteln kann eine angemessene Folat-versorgung sichergestellt werden. Dafr empfiehlt es sich, tglich mindestens drei Portionen Gemse oder Salat (insbesondere grne Gemse und Blattgemse, aber auch Tomaten, Hlsenfrchte, Nsse und Sprossen) zu verzehren und bei der Zubereitung darauf zu achten, Gemse nur kurz und unzerkleinert zu wa-schen, zu dnsten statt zu kochen und nicht warm zu halten. Auerdem sollen tglich Vollkornprodukte, Milch und Milchprodukte sowie hin und wieder Leber verzehrt werden.77 78

    CalciumCalcium ist ein elementarer Baustein von Knochen und Zhnen, zudem ein wich-tiger Faktor bei der Blutgerinnung und der Reizleitung im Nervensystem. Im Zu-sammenspiel mit der Vitamin-D-Versorgung und adquater krperlicher Belas-tung des Skelettsystems ist Calcium wichtig zum Erhalt der Knochensubstanz und -funktion. Eine ausreichende Calciumzufuhr trgt zur Erhaltung der Kno-chendichte und Senkung des Frakturrisikos bei lteren Menschen bei. Bei Men-schen ab 65 Jahren reduziert insbesondere die Kombination aus einer Calcium-zufuhr gem den Referenzwerten und einer guten Vitamin-D-Versorgung das Frakturrisiko (vgl. oben).79 Laut ErnSTES-Studie werden die Referenzwerte von den Senioren im Durchschnitt um 36,6 Prozent unterschritten, von den Senio-rinnen um 41,7 Prozent.80

    Gute Calciumlieferanten sind Milch und Milchprodukte. Joghurt und gereifte Kse werden meist auch bei Lactoseintoleranz vertragen. Daneben knnen auch einige Gemsesorten, wie z. B. Broccoli, Grnkohl, Fenchel und Lauch, sowie Mineral-wsser mit einem hohen Calciumgehalt (mindestens > 150 mg Calcium/l) beitragen.

  • 40

    2.3.3 Wasser Flssigkeitsbedarf

    Wasser ist der Hauptbestandteil des menschlichen Krpers. Es erfllt wichtige Funktionen z. B. als Lsungsmittel und als Transportmittel fr Nhrstoffe ber das Blut zu den Organen und fr Stoffwechselendprodukte zur Ausscheidung ber die Nieren sowie im Rahmen der Temperaturregulation; so schtzt Schwitzen vor berhitzung.81 Der Krper des erwachsenen Mannes besteht zu 60 Prozent, der der erwachsenen Frau (wegen des ausgeprgteren Fettgewebes) zu 50 Prozent aus Wasser. Der tgliche Wasserumsatz betrgt etwa 6 Prozent des Krperwas-sers beim Erwachsenen. Wassermangel fhrt bereits nach 24 Tagen zu schwer-wiegenden gesundheitlichen Schden, da der Organismus nicht mehr in der Lage ist, harnpflichtige Substanzen auszuscheiden.82 Mit Schwei, Atemluft, Urin und Faeces verliert der Krper stndig Wasser; je nach Aktivitt, Umgebungs- und Krpertemperatur knnen diese Verluste stark variieren.83

    Flssigkeit wird blicherweise/im jngeren Alter bereits zugefhrt, bevor es zum Auftreten von Durstempfindungen kommt. Verliert der Krper mehr als 0,5 Pro-zent seines Gewichts in Form von Wasser, wird normalerweise ein Durstempfin-den ausgelst. Besonders bei lteren Menschen kann das Durstempfinden und somit dieser Regulierungsmechanismus zur adquaten Flssigkeitsaufnahme so abgeschwcht sein, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ein bestehendes Flssig-keitsdefizit adquat wahrzunehmen. Wegen der geringeren Konzentrationsfhig-keit der Nieren, leichterer Stranflligkeit bei Schwankungen im Wasserhaushalt des Krpers und des geringeren Wassergehalts des Krpers sind alte Menschen fr Strungen im Wasserhaushalt besonders anfllig. Der Krper trocknet aus und diese Dehydratation ist mit einer erheblichen Minderung der Leistungsfhig-keit verbunden. Haut und Schleimhute werden trocken. Der Wassermangel kann zu Schwindel, Kopfschmerzen, Verstopfung, Harnwegsinfekten, Erhhung der Krpertemperatur, Verwirrtheitszustnden, Kreislauf- und Nierenversagen und unbehandelt zu Bewusstlosigkeit bis hin zum Tod fhren.

    Erschwerend fr eine ausreichende Flssigkeitszufuhr im Alter kommt hinzu, dass ltere Menschen neben dem reduzierten Durstgefhl oft auch aus Angst vor nchtlichen Toilettengngen oder Inkontinenz bzw. Prostatabeschwerden zu we-nig trinken. Auch Schluckstrungen oder Erziehungsrelikte wie Beim Essen wird nicht getrunken! knnen eine Rolle spielen.84

    Der Durst bestimmt als elementares Verlangen das Trinkverhalten. Die biologische Regulation ber die Osmorezeptoren im Hypothalamus wird mit zunehmendem Alter abgeschwcht. Damit knnen ltere Menschen ein bestehendes Flssig-keitsdefizit nicht mehr adquat wahrnehmen. Bei bereits nachweisbarem Was-sermangel klagen sie nicht ber ein Durstgefhl und trinken deshalb auch nicht bedarfsgerecht.85

    81 Volkert D., 1997; DGE Fit im Alter, 2006.82 DGE et al., 2008.83 Volkert D., 1997.84 DGE Fit im Alter, 2006.85 Dietze F., 2001; DGE et al., 2000.

  • 41

    86 DGE Fit im Alter, 2006.87 Kalde S., 1997; Eich A., 1998; DGE et al., 2000.88 DGE Fit im Alter: Trinken im Alter, 2006.89 Volkert D., 2011.90 Volkert D. et al., 2013.

    Zur Berechnung der erforderlichen Flssigkeitsmenge gibt es mehrere Methoden. Gebruchlich und praktikabel ist die Zugrundelegung von 30 ml je kg Krperge-wicht. Hierbei ist zu beachten, dass das Krpersollgewicht Berechnungsbasis ist.86 Abhngig ist die zuzufhrende Flssigkeitsmenge vom Allgemeinzustand und von ggf. vorliegenden Grunderkrankungen. Bei Leberinsuffizienz mit Aszites, demen, fortgeschrittener chronischer Nierenerkrankung und Dialysetherapie (vgl. Kap. 7.4.4) oder Herzinsuffizienz (vgl. Kap. 7.4.3) kann eine Flssigkeitsrestriktion er-forderlich sein, whrend bei erhhter Mobilitt und Aktivitt des Patienten oder bei Fieber, hoher Umgebungstemperatur (vgl. Kap. 6.4), Diarrh (vgl. Kap. 7.6) oder starkem Schwitzen ein erhhter Flssigkeitsbedarf besteht.87

    Als grober Orientierungsrahmen sollte sichergestellt werden, dass 1,52 l Trink-flssigkeit tglich aufgenommen werden. Der Richtwert der DGE fr die Flssig-keitszufuhr durch Getrnke fr ber 65-Jhrige liegt bei 1.310 ml, fr die Zufuhr aus Getrnken und Lebensmitteln bei 1.990 ml.88

    2.3.4 Zusammenfassende bersicht zum Energie-, Protein- und Flssigkeitsbedarf

    Tabelle 10Richtwerte zur Abschtzung des Energie-, Protein- und Flssigkeitsbe-darfs lterer Menschen89

    Energie Grundumsatz gesunder und kranker Senioren

    Gesamtumsatz gesunder Senioren

    Bei Untergewicht (BMI < 21 kg/m)

    Hyperaktivitt

    ca. 20 kcal/kg KG/d

    ca. 30 kcal/kg KG/d

    3238 kcal/kg KG/d

    bis zu 40 kcal/kg KG/d

    Protein chronische schwere Niereninsuffizienz

    stabile Stoffwechsellage

    Wunden, Rehabilitation nach Unterernhrung,

    Niereninsuffizienz mit Dialyse

    ca. 0,6 g/kg KG/d

    ca. 1 g/kg KG/d

    1,22,0 g/kg KG/d

    1,21,5 g/kg KG/d

    Flssigkeit Grundbedarf*

    + Ausgleich zustzlicher Verluste (Fieber, Erbrechen, Diarrh, Sommerhitze, erhhte Aktivitt)

    30 ml/kg KG/d

    * Wasserzufuhr durch feste Nahrung (bei blicher Ernhrung ca. 1/3) und Getrnke (ca. 2/3)

    Richtwerte fr die tgliche Aufnahme liegen bei lteren Menschen fr Energie bei ca. 30 kcal, fr Protein bei 1 g und fr Flssigkeit bei 30 ml pro kg Krperge-wicht. Diese Werte sollten je nach Ernhrungszustand, Aktivitt, Stoffwechselsi-tuation und Toleranz individuell angepasst werden.90

  • 42

    2.4 Mgliche Ursachen fr Mangelernhrung im Alter

    Altern ist grundstzlich ein normaler Vorgang, der individuell abluft und gene-tisch bedingt ist, aber von ueren Faktoren beeinflusst wird. Der berwiegende Teil der lteren Menschen, der krperlich und geistig in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, hat in der Regel keine wesentlich anderen Ernhrungsprobleme als Menschen mittleren Alters. Die Ursachen fr Mangelernhrung im Alter sind viel-fltig. Betagte und Hochbetagte sind aufgrund fortschreitender Alterungsprozesse und physiologischer Altersvernderungen anflliger fr Ernhrungsprobleme. Darber hinaus beeinflussen zahlreiche Begleiterscheinungen des Alters die Er-nhrungssituation. Krperliche, geistige und psychische Beeintrchtigungen sind weit verbreitet und erschweren hufig die Nahrungsaufnahme (vgl. Kap. 2.2, Tabelle 4).

    Die Ernhrungsrisiken steigen, je lter ein Mensch wird. Als Risikofaktoren fr Mangelernhrung gelten ein sehr hohes Lebensalter (> 90 Jahre), Appetitmangel, Immobilitt, Demenz, Schluck- und Kaustrungen, Multimorbiditt und Polyme-dikation.91 Sind Geschmacks- und Geruchsempfinden gemindert, fhrt dies zu einer geringeren Nahrungsaufnahme. Eine verminderte Magendehnung und frh-zeitige Sttigungssignale fhren dazu, dass nur kleine Portionen gegessen werden.

    Eine entscheidende Rolle fr die Ernhrung spielen weiterhin soziale Vernde-rungen. Einsamkeit und soziale Isolation beeintrchtigen den Appetit und die Nahrungsaufnahme. Gerade in der Altenpflege knnen einrichtungsspezifische Bedingungen die Ernhrungsversorgung beeinflussen. Eine adquate Ernhrung der Bewohner ist abhngig von dem verfgbaren Hilfs- und Pflegepersonal. Ein hoher Zeit- und Kostendruck und die Grenzen der Bercksichtigung von indivi-duellen Bedrfnissen im Rahmen der Gemeinschaftsverpflegung knnen sich ungnstig auf die Ernhrung auswirken.

    91 Kpper C., 2010.

  • 43

    Ein reduzierter Ernhrungszustand wird oft begnstigt durch Vorerkrankungen, umgekehrt stellt er ein hohes Risiko fr weitere Erkrankungen und Komplikatio-nen dar. Im Krankheitsfall entsteht fr die Betroffenen schnell ein Teufelskreis92

    (siehe Abbildung 1).

    Abbildung 1Teufelskreis der Mangelernhrung im Alter93

    93 Volkert D, 2004.92 Volkert D., 2011a.

  • 44

    2.5 Folgeerscheinungen von Mangelernhrung und Dehydratation

    Erste Anzeichen einer Mangelernhrung knnen Schwche, Mdigkeit oder An-triebslosigkeit sein. Diese Symptome werden oft als Alterserscheinungen inter-pretiert und finden wenig Beachtung. Die Folgen von Mangelernhrung finden sich in nachfolgender Tabelle aufgelistet. Sie fhren im weiteren Lebensverlauf lterer Menschen zu erheblichen Beeintrchtigungen und Einbuen in der Le-bensqualitt.94

    Tabelle 11Mgliche Folgen der Mangelernhrung

    Mgliche Folgen von Mangelernhrung

    Allgemein beeintrchtigter Allgemeinzustand, allgemeine Schwche, Mdigkeit, Antriebslosigkeit

    Organfunktion

    Skelettmuskulatur Schwche, Abnahme der Muskelkraft, erhhtes Sturz- und Frakturrisiko mit den mglichen Folgen Immobilitt und Dekubitus

    Atemmuskulatur Strung der respiratorischen Funktion mit der mglichen Folge Pneumonie

    Immunfunktion erhhtes Risiko fr Infektionen und andere Komplikationen

    Haut erhhtes Dekubitusrisiko

    Gehirn neurologische und kognitive Strungen mit der mglichen Folge Verwirrtheit

    Soziale Auswirkungen Verlust der Eigenstndigkeit Vereinsamung Erforderlichkeit institutioneller Pflege vermehrte Krankenhausaufenthalte

    Morbiditt beeintrchtigte Wundheilung verlangsamte Rekonvaleszenz

    Mortalitt erhhtes Mortalittsrisiko

    94 Volkert D., 2011a.

  • 45

    Mgliche Zeichen und Folgen einer Dehydratation werden in der folgenden Ta-belle dargestellt:

    Tabelle 12Mgliche Zeichen und Folgen der Dehydratation95

    Mgliche Zeichen und Folgen von Dehydratation

    vermehrter Durst

    Gewichtsverlust

    Verstopfung

    Blutdruckabfall, Pulsfrequenzanstieg

    Schwche/Schwindel mit den mglichen Folgen Sturzneigung, Knochenbrche, Immobilitt und Dekubitus

    Lethargie

    trockene Schleimhute, fehlender Speichelsee unter der Zunge

    reduzierte Harnmenge, Urin stark konzentriert

    Kopfschmerzen/reduzierte Wahrnehmungsfhigkeit/Unruhe- und Verwirrtheitszustnde

    Thrombosen, Lungenembolie

    Elektrolytentgleisungen mit Krampfanfllen

    Anstieg von Harnstoff und Kreatinin

    stehende Hautfalte

    Die geeigneten prophylaktischen Manahmen werden in Kapitel 6 dargestellt.

    Natrlicherweise wrde der Krper bei Dehydratation mit einem vermehrten Durstgefhl reagieren, so dass der Betroffene trinkt (vgl. Kap. 2.1). Im Alter oder krankheitsbedingt kann dieser Mechanismus gestrt sein.

    95 Tannen A., 2011.

  • 47

    Erfassung des Ernhrungsstatus3

  • 48

    Vernderungen im Ernhrungszustand knnen bei lteren Menschen schneller als bei jngeren Menschen zu Gesundheitsproblemen fhren. Die Lebensqualitt der Pflegebedrftigen kann bereits bei kurzfristigen Ernhrungsdefiziten beein-trchtigt werden, und mit einer erhhten Krankheitsanflligkeit bis hin zur Zu-nahme der Sterblichkeit muss gerechnet werden.96 Ein eingetretener Verlust an Muskelmasse ist bei lteren Menschen im Verhltnis zu jngeren Menschen un-gleich schwerer zu beheben.97 Biochemische Methoden werden in der Grund-satzstellungnahme nicht behandelt, da sie fr den hier betroffenen Versorgungs-kontext eine eher untergeordnete Rolle spielen.

    Fr den Erfolg prophylaktischer und ernhrungstherapeutischer Manahmen ist das frhzeitige Erkennen eines Ernhrungsrisikos bzw. einer eingetretenen Unter-ernhrung von Bedeutung. Zur Erfassung des Ernhrungszustandes bei lteren Menschen liegt bisher kein Goldstandard vor. Zur Beurteilung des Ernhrungszu-standes bieten sich verschiedene Methoden an, wobei der Ernhrungszustand einer Person eine komplexe Gre ist, die nicht durch einen einzelnen Parameter charakterisiert werden kann.

    Laut der ESPEN-Leitlinie (2004) sind folgende Faktoren wichtige Hinweise auf eine Mangelernhrung bei lteren Menschen:

    BMI-Werte unter 20 kg/m2

    unbeabsichtigter Gewichtsverlust Albuminwerte unter 35 g/l

    Bei umfassender Betrachtung schliet die Erhebung des Ernhrungszustandes eine klinische Untersuchung, anthropometrische Messungen und die Bestimmung er nhrungsabhngiger Blutwerte und immunologischer Parameter mit ein. Aller-dings sind einige dieser Methoden bei lteren Menschen nicht oder nur bedingt einsetzbar. Eingeschrnkte Konzentrations- und Erinnerungsfhigkeit und nach-lassendes Interesse beeintrchtigen die Zuverlssigkeit von Befragungsergebnissen, und mit zunehmendem Alter und schlechter werdendem Gesundheitszustand sinkt die Kooperation bei Testverfahren. Die Heterogenitt der Gruppe der alten Menschen bedingt eine groe Variationsbreite; es ergeben sich Schwierigkeiten, Normbereiche fr ltere Menschen zu definieren. Vielfach fehlen reprsentative Daten fr ltere und insbesondere fr Hochbetagte, Standards zur Beurteilung der Messwerte sind nicht verfgbar bzw. umstritten.98 Einzelne anthropome-trische Werte sollten nicht berbewertet werden und sind stets im Zusammen-hang mit anderen Parametern der Risikoerfassung zu bewerten. Deshalb sind der Gesamteindruck sowie Verlaufsbeobachtungen von groer Bedeutung.99

    Trotz der genannten Schwierigkeiten sind die Erhebung des Ernhrungszustandes und die Erfassung der Ernhrungssituation eine Grundvoraussetzung fr ggf. notwendige Interventionsmanahmen. Wenn Risiken erkannt werden, mssen die Grnde dafr analysiert werden. Verschiedene Grnde kommen dabei infrage,

    96 Bartholomeyczik S., 2009a: 137.97 Heseker H., 2000.98 Bates C.J., 2001.99 Volkert D., 2004: 190-197.

  • 49

    z. B. sollten neben einer zu geringen Nhrstoffzufuhr auch die Aspekte Genuss und Lustgewinn betrachtet werden. Hier sind die Pflegenden gefordert, die auf-grund ihrer Nhe zu den Pflegebedrftigen eine wichtige Position einnehmen. Sie knnen durch die Anwendung standardisierter Instrumente bei der Risikoer-kennung und der ggf. erforderlichen Analyse untersttzt werden.

    3.1 Erfassung des Ist-Zustandes

    Die klinische Untersuchung mit der Suche nach Symptomen der Mangelernh-rung basiert auf der Annahme, dass sich ein schlechter Ernhrungszustand an ober-flchlichen Geweben (Haut, Haare, Ngel, Augen, Mund) zeigt und der Mangel eines bestimmten Nhrstoffes an typischen, charakteristischen Symptomen zum Ausdruck kommt. Schwierigkeiten ergeben sich durch die unzureichende Spezi-fitt vieler Symptome in frhen Stadien der Mangelernhrung. Da klinische Symp-tome meist durch multiple Defizite entstehen, knnen Symptome und Nhrstoff-defizit nicht immer eindeutig zugeordnet werden. Bei lteren Menschen ist die klinische Untersuchung und Beurteilung besonders schwierig, da die Symptome im Alter in atypischen Erscheinungsformen auftreten knnen und hufig weniger ausgeprgt und weniger spezifisch sind. Viele Symptome haben zudem groe hnlichkeit mit blichen Alterserscheinungen. Trotz aller Schwierigkeiten, die da-mit verbunden sind, sollten Symptome der Mangelernhrung ernst genommen werden. Die Suche nach Symptomen sollte eine Untersuchung von Haut, Augen, Mund und neurologischen Aufflligkeiten umfassen. Als Checkliste bei der klini-schen Suche wird bei lteren Menschen vorgeschlagen:

    deme blasse Hautfarbe Hmatome allgemeine Schwche Apathie Tremor Hautlsionen schuppige Haut Risse oder wunde Stellen am Mund100

    Diese Beobachtungsparameter weisen allerdings eine geringe Spezifitt auf. Daher sollten zur differentialdiagnostischen Abklrung Laborwerte, die therapeutische Konsequenzen haben, ermittelt werden, insbesondere Vitamin B12, Folsure, Zink und Eisen.

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