ernst jünger - afrikanische spiele

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    ERNST JNGER

    AFRIKANISCHESPIELE

    1954

    _____________________________________________________________

    IM BERTELSMANN-LESERING

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    Erste Auflage 1936 in HamburgFranzsische bersetzung bei Gallimard unter dem Titel Jeux Africains

    Durchgesehen und erweitert im Mai 1951 in Wilflingen

    Lizenzausgabe fr den BERTELSMANN-LESERING mit Genehmigung desVerlages Gnther Neske, Pfullingen. Umschlag und Einband S. Kortemeier.

    Gesamtherstellung Mohn & Go GmbH Gtersloh

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    Es ist ein wunderlicher Vorgang, wie die Phantasie gleich einem Fie-ber, dessen Keime von weit her getrieben werden, von unserem Le-ben Besitz ergreift und immer tiefer und glhender sich in ihm einni-stet. Endlich erscheint nur die Einbildung uns noch als das Wirkliche,und das Alltgliche als ein Traum, in dem wir uns mit Unlust bewe-gen, wie ein Schauspieler, den seine Rolle verwirrt. Dann ist der Au-genblick gekommen, in dem der wachsende berdru den Verstandin Anspruch nimmt und ihm die Aufgabe stellt, sich nach einem

    Auswege umzusehen.Das war der Grund, aus dem das Wrtchen fliehen seinen beson-

    deren Klang fr mich besa, denn von einer bestimmten Gefahr, diezu seiner Anwendung berechtigt htte, konnte schlecht die Rede sein vielleicht abgesehen von den sich hufenden und in den letztenWochen recht drohend gewordenen Klagen der Lehrerschaft, die sichmit mir wie mit einem Schlafwandler beschftigte.

    Berger, Sie schlafen, Berger, Sie trumen, Berger, Sie sind nicht beider Sache, war da der ewige Reim. Auch meine Eltern, die auf demLande wohnten, hatten bereits einige der bekannten Briefe erhalten,deren unangenehmer Inhalt mit den Worten Ihr Sohn Herbert ...begann.

    Diese Klagen aber waren weniger die Ursache als die Folge meinesEntschlusses oder sie standen vielmehr in jener Wechselwirkungzu ihm, die abschssige Bewegungen zu beschleunigen pflegt. Ichlebte seit Monaten in einem geheimen Aufstande, der in solchenRumen schlecht verborgen bleiben kann. So war ich bereits dazu

    bergegangen, mich am Unterricht nicht mehr zu beteiligen undmich statt dessen in afrikanische Reisebeschreibungen zu vertiefen,die ich unter dem Pult durchbltterte. Wenn eine Frage an mich ge-richtet wurde, mute ich erst all jene Wsten und Meere berwinden,

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    bevor ich ein Lebenszeichen gab. Ich war im Grunde nur als Stellver-treter eines fernen Reisenden anwesend. Auch liebte ich es, ein pltz-liches Unwohlsein vorschtzend, das Klassenzimmer zu verlassen,

    um unter den Bumen des Schulhofes spazierenzugehen. Dort sannich ber die Einzelheiten meines Planes nach.Schon hatte der Klassenlehrer das vorletzte Mittel der Erziehung

    gegen mich ergriffen, das die endgltige Trennung andeuten soll ich wurde von ihm als Luft behandelt, mit Nichtachtung gestraft.Es war ein schlimmes Zeichen, da selbst diese Strafe nicht mehr ver-fing ein Zeichen dafr, wie sehr ich eigentlich schon abwesendwar. Diese Absonderung durch Verachtung war mir eher angenehm;sie legte einen leeren Raum um mich, in dem ich mich ungestrt mei-

    nen Vorbereitungen widmete.Es gibt eine Zeit, in der dem Herzen das Geheimnisvolle nur rum-

    lich, nur auf den weien Flecken der Landkarte erreichbar scheintund in der alles Dunkle und Unbekannte eine mchtige Anziehungbt. Lange, halb trunkene Wachtrume whrend meiner nchtlichenSpaziergnge ber den Stadtwall hatten mir jene entfernten Lnderso nahe gerckt, da nur noch der Entschlu ntig schien, um in sieeinzudringen und ihrer Gensse teilhaftig zu sein. Das Wort Urwaldschlo fr mich ein Leben ein, dessen Aussicht man mit sechzehnJahren nicht widersteht ein Leben, das der Jagd, dem Raube undseltsamen Entdeckungen zu widmen war.

    Eines Tages stand es fr mich fest, da der verlorene Garten imoberen Stromgeflecht des Niles oder des Kongo verborgen lag. Undda das Heimweh nach solchen Orten zu den unwiderstehlichstengehrt, begann ich eine Reihe von tollen Plnen auszubrten, wieman sich am besten dem Gebiete der groen Smpfe, der Schlaf-krankheit und der Menschenfresserei nhern knne. Ich heckte Ge-

    danken aus, wie sie wohl jeder aus seinen frhen Erinnerungenkennt: ich wollte mich als blinder Passagier, als Schiffsjunge oder alswandernder Handwerksbursche verkleidet durchschlagen. Endlichaber verfiel ich darauf, mich als Fremdenlegionr anwerben zu las-

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    sen, um auf diese Weise wenigstens den Rand des gelobten Landeszu erreichen und um dann auf eigene Faust in sein Inneres vorzu-dringen natrlich nicht, ohne mich zuvor an einigen Gefechten

    beteiligt zu haben, denn das Pfeifen der Kugeln kam mir wie eineMusik aus hheren Sphren vor, von der nur in den Bchern zu lesenwar und deren teilhaftig zu werden, man wallfahrten mute wie dieAmerikaner nach Bayreuth.

    Ich war also bereit, auf jedes Kalbsfell der Welt zu schwren, wennes mich wie Fausts Zaubermantel bis zum quator getragen htte.Aber auch die Fremdenlegion gehrte schlielich nicht zu den dunk-len Mchten, die man nur an den nchsten Kreuzweg zu zitierenbraucht, wenn man mit ihnen zu paktieren gedenkt. Irgendwo mute

    es sie zwar geben, so viel war sicher, denn oft genug las ich in denZeitungen ber sie Berichte von so ausgesuchten Gefahren, Entbeh-rungen und Grausamkeiten, wie sie ein geschickter Reklamechefnicht besser htte entwerfen knnen, um Tunichtgute meines Schla-ges anzuziehen. Ich htte viel darum gegeben, wenn einer dieserWerber, die junge Leute betrunken machen und verschleppen undvor denen mit Engelszungen gewarnt wurde, sich an mich herange-macht htte; doch diese Mglichkeit kam mir fr unser so friedlich imWesertale schlummerndes Stdtchen recht unwahrscheinlich vor.

    So schien es mir denn richtiger, erst einmal die Grenze zu ber-schreiten, um damit den ersten Schritt aus der Ordnung in das Unge-ordnete zu tun. Ich hatte die Vorstellung, da das Wunderbare, dasReich der sagenhaften Zuflle und Verwicklungen sich mit jedemSchritte deutlicher offenbaren wrde, wenn man den Mut hatte, sichaus dem Gewhnlichen zu entfernen man mute seine Anziehungum so strker erfahren, je mehr man ihm entgegenging.

    Es blieb mir aber nicht verborgen, da jedem Zustande eine groe

    Schwerkraft innewohnt, aus der sich herauszuspielen der bloe Ge-danke nicht gengt. Freilich, wenn ich, etwa abends vor dem Ein-schlafen, daran dachte, auf und davon zu gehen, schien mir nichtsleichter und einfacher, als mich gleich anzuziehen und auf dem

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    Bahnhof in den nchsten Zug zu steigen. Aber sobald ich dann michauch nur zu regen suchte, fhlte ich mich durch bleierne Gewichtebeschwert. Dieses Miverhltnis zwischen den ausschweifenden

    Mglichkeiten der Trumerei und den geringsten Manahmen zuihrer Verwirklichung bereitete mir viel Verdru. Wie mhelos ichauch im Geist die unwegsamsten Landschaften nach Herzenslust zudurchstreifen vermochte, so merkte ich doch zugleich, da in derwirklichen Welt auch nur eine Fahrkarte zu lsen einen weit strke-ren Aufwand voraussetzte, als ich geahnt hatte.

    Wenn man, des Springens ungewohnt, auf einem hohen Sprung-brett steht, fhlt man sehr deutlich den Unterschied zwischen einem,der hinunter mchte, und einem anderen, der sich dagegen strubt.

    Wenn der Versuch, sich selbst am Kragen zu nehmen und hinunter-zuwerfen, miglckt, stellt sich ein anderer Ausweg ein. Er bestehtdarin, da man sich berlistet, indem man den Krper am uerstenRande des Brettes so lange ins Schwanken bringt, bis man sich pltz-lich zum Absprunge gezwungen sieht.

    Ich fhlte wohl, da diesen Bemhungen, mir den ersten Ansto andie Abenteuer-Welt zu geben, nichts hinderlicher war als meine eige-ne Furcht. Mein strkster Gegner war in diesem Falle ich selbst, dasheit, ein bequemer Geselle, der es liebte, die Zeit hinter den Bchernzu vertrumen und seine Helden in gefhrlichen Landschaften sichbewegen zu sehen, anstatt bei Nacht und Nebel aufzubrechen, um esihnen gleichzutun.

    Da war aber noch ein anderer, wilderer Geist, der mir zuflsterte,da die Gefahr kein Schauspiel sei, an dem man sich vom sicherenSessel aus ergtzt, sondern da eine ganz andere Erfllung darin lie-gen msse, in ihre Wirklichkeit sich vorzuwagen, und dieser andereversuchte, mich auf die Bhne hinauszuziehen.

    Mir war bei diesen geheimen Unterhaltungen, bei diesen immererbitterteren Ansprchen, die an mich gestellt wurden, oft himmel-angst. Auch fehlte es mir an praktischer Begabung; die Aussicht aufall die kleinen Mittel und Schliche, die aufgewendet werden muten,

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    um fortzukommen, bedrckte mich. Ich wnschte mir, wie alle dieseTrumer, Aladins Wunderlampe oder den Ring Dschaudars, des Fi-schers, mit dessen Hilfe man dienstbare Genien beschwren kann.

    Auf der anderen Seite drang die Langeweile jeden Tag strker wietdliches Gift in mich ein. Es schien mir ganz unmglich, etwaswerden zu knnen; schon das Wort war mir zuwider, und von dentausend Anstellungen, die die Zivilisation zu vergeben hat, schienmir nicht eine fr mich gemacht. Eher htten mich noch die ganz ein-fachen Ttigkeiten gelockt, wie die des Fischers, des Jgers oder desHolzfllers, allein seitdem ich gehrt hatte, da die Frster heute eineArt von Rechnungsbeamten geworden sind, die mehr mit der Federals mit der Flinte arbeiten, und da man die Fische in Motorbooten

    fngt, war mir auch das zur Last. Mir fehlte hier selbst der mindesteEhrgeiz, und jenen Gesprchen, wie sie die Eltern mit ihren heran-wachsenden Shnen ber die Aussichten der verschiedenen Berufezu fhren pflegen, wohnte ich bei wie einer, der zu Zuchthaus verur-teilt werden soll.

    Die Abneigung gegen alles Ntzliche verdichtete sich von Tag zuTag. Lesen und Trumen waren die Gegengifte doch die Gebiete,in denen Taten mglich waren, schienen unerreichbar fern. Dort stell-te ich mir eine verwegene mnnliche Gesellschaft vor, deren Symboldas Lagerfeuer, das Element der Flamme war. Um in sie aufgenom-men zu werden, ja nur um einen einzigen Kerl kennenzulernen, vordem man Respekt haben konnte, htte ich gern alle Ehren dahinge-geben, die man innerhalb und auerhalb der vier Fakultten erringenkann.

    Ich vermutete mit Recht, da man den natrlichen Shnen des Le-bens nur begegnen knne, indem man seinen legitimen Ordnungenden Rcken kehrt. Freilich waren meine Vorbilder nach den Maen

    eines Sechzehnjhrigen geformt, der den Unterschied zwischen Hel-den und Abenteurern noch nicht kennt und schlechte Bcher liest.Gesundheit aber besa ich insofern, als ich das Auerordentliche jen-seits der sozialen und moralischen Sphre vermutete, die mich um-

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    schlo. Daher wollte ich auch nicht, wie es diesem Alter oft eigen-tmlich ist, Erfinder, Revolutionr, Soldat oder irgendein Wohltterder Menschheit werden mich zog vielmehr eine Zone an, in der

    der Kampf natrlicher Gewalten rein und zwecklos zum Ausdruckkam.Eine solche Zone hielt ich fr wirklich; ich verlegte sie in die tropi-

    sche Welt, deren bunter Grtel die blauen Eiskappen der Pole um-kreist.

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    Ich hatte mir ein Ultimatum gestellt, dessen Frist eine Woche nachBeginn der Schule endigte. Das Mittel, das ich mir ersonnen hatte, ummich auf eine entscheidende Weise aus dem Gleichgewicht zu brin-gen, war nicht bel; es bestand darin, da ich das Schulgeld, mit demversehen ich nach den Herbstferien in der kleinen Stadt wieder einge-troffen war, in den Dienst meiner groen Plne zu stellen beabsichtig-te.

    Obwohl eine solche Verwendung des Geldes mir unvergleichlichsinnvoller erschien als der Zweck, zu dem es eigentlich berechnetwar, zgerte ich lange mit diesem ernsthaften Schritt. Ich fhlte wohl,da ich mit ihm unwiderruflich den Kriegspfad betrat und da dieVerfgung ber diese Summe nur statthaft war als eine bereits demoffenen Gegner auferlegte Kontribution. Im Kriege ist bekanntlichalles erlaubt.

    Erst kurz vor Ablauf der Frist, an einem feuchten und dunstigenHerbstnachmittage, trat ich mit Zittern und Bangen in einen Trdler-laden ein, um einen sechsschssigen Revolver mit Munition zu erste-

    hen. Er kostete zwlf Mark das war eine Ausgabe, die unter keinenUmstnden wieder zu ersetzen war. Ich verlie den Laden mit einemTriumphgefhl, um mich gleich darauf zu einem Buchhndler zubegeben und ein dickes Buch Die Geheimnisse des dunklen Erd-

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    teils zu erwerben, das ich fr unentbehrlich hielt. Es wurde in einemgroen Rucksack verstaut, der dann an die Reihe kam.

    Nach diesen Einkufen fhlte ich, halb mit Befriedigung, da mir

    der Boden unter den Fen zu brennen begann. Ich ging in meineWohnung zurck, um Schuhe und Wsche einzupacken, und was ichsonst noch fr eine lange Reise ntig hielt.

    Als ich endlich gerstet auf der Schwelle stand, kam es mir vor, alsob mein kleines Zimmer noch nie so gemtlich gewesen wre wiegerade heut. Zum ersten Male seit dem Winter brannte Feuer imOfen, und das Bett war einladend aufgeschlagen fr die Nacht. Selbstin den Schulbchern auf dem wurmstichigen Brett ber der Kommo-de, in der halbzerfetzten Ploetzschen Grammatik fr den Gebrauch

    der Unterprima und in dem dicken lateinischen Handwrterbuchvon Georges offenbarte sich eine heimische Anziehungskraft, einBann, der gar nicht so leicht zu brechen war. Es schien mir mit einemMale sinnlos und unerklrlich, dies alles im Stich zu lassen, es gegeneine ganz Ungewisse Zukunft vertauschen zu sollen, in welcher si-cher die gute Frau Krger mir morgens nicht das Bett machen undabends die brennende Lampe in das Zimmer bringen wrde. Eswurde mir pltzlich deutlich, da die Fremde auch eine eisige Seitebesitzt. Aber das war eine Einsicht, die bereits von auen kam. Dennschon hatte ich diesen vertraulichen Kreis verlassen, und ich fhltewohl, da jetzt die Zeit der berlegungen vorber, da ich selbstn-dig war und damit in einem mir bisher fremden Sinne zu handelnhatte.

    Es war ein ungemtliches Wetter, als ich meine Wanderung be-gann, mehr ein Wetter, um im trockenen Zimmer mit angezogenenKnien auf dem Sofa zu liegen und zu lesen, wie ich es gewohnt war,mit einer Kanne voll Tee auf dem Stuhl daneben und einer kurzen

    Pfeife in Brand. Wind und Regen warfen mit vollen Hnden zackigesPlatanenlaub auf die Steinplatten der zum Bahnhof fhrenden Allee.Die Gaslaternen spiegelten sich in der feuchten Schwrze des Weges,der von den vergilbten Blttern wie ein Mosaikband gemustert war.

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    Ich hatte meinen weiten Regenmantel ber den Rucksack gehngtund meine rote Schlermtze, zum ueren Zeichen meiner neuenFreiheit, mit einem Hut vertauscht. Am Schalter lste ich eine Karte

    nach der nchsten Grostadt, die der Provinz ihren Namen gab.Ich hatte Glck, denn der Zug stand bereits unter Dampf. Ich warauf das Geratewohl gegangen, weil ich unfhig war, die rtselhaftenZeichen des Kursbuches und der in den Warteslen ausgehngtenTafeln zu entziffern. Alles, was ich wute, war, da Kln, Trier oderMetz in der Nhe der westlichen Grenze lagen, denn meine geogra-phischen Kenntnisse waren schwach, und fr mich begannen garbald die unbekannten und fabelhaften Lnder dieser Welt, wie sie aufden Landkarten der Alten verzeichnet sind.

    Nur den Namen Verdun hatte ich mir gemerkt, denn ich hatte inder Zeitung gelesen, da dort der Brgermeister einer deutschenKleinstadt in die Fremdenlegion eingetreten war. Dieser Fall hattevor kurzem bedeutendes Aufsehen erregt, und das Ausschneiden derNotizen, die sich mit ihm beschftigten, war vielleicht die einzigeManahme gewesen, die einen sachlichen Zusammenhang mit mei-nem Plane besa. Was ich meine Vorbereitung nannte, bezog sichdurchaus auf das andere, auf jene rtselhafte, schmerzliche und dochinnige Verwirrung, die sich pltzlich wie ein Wirbel im stillen Wassermeiner bemchtigt hatte, und auf ihre Deutung als einen Ruf, der ausder Ferne kam.

    Ich setzte mich in einen Wagen vierter Klasse, berfllt mit Bauernaus dem Wesertal, kleinen Hndlern und Marktfrauen, die hinterihren Tragkrben kauerten. Als der Zug anfuhr, sprte ich, da ichmich jetzt in einer neuen Lage befand, wie ein Spher in Feindesland,der niemanden mehr hat, mit dem er sich unterhalten kann. Ich warauch zufrieden mit mir, denn ich hatte kaum geglaubt, da ich mich

    bis an diesen Punkt bringen wrde. Nur hatte ich ein wenig Angst,da der Wunsch umzukehren in mir erwachen wrde, und ich nahmmir das Versprechen ab, ihm unter allen Umstnden zu widerstehen.Das Rollen und Schlagen der Rder machte mir Mut, und ich mur-

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    melte in ihrem Takte kurze Stze, etwa Umkehren ist ausgeschlos-sen!, vor mich hin.

    Auch war mir die Gesellschaft neu, die sich, ohne mich zu beachten,

    lebhaft unterhielt und durch die Aus- und Zusteigenden mannigfal-tigen Wechsel erfuhr. Zuweilen traten merkwrdige Gestalten ein,um kleine, verbotene Schaustellungen zu geben und, nachdem sie mitihrem Hute die Runde gemacht hatten, am nchsten Haltepunktewieder zu verschwinden so ein ausgemergelter Geselle, der, nach-dem er sich in einer berraschenden Ansprache wundersamer Knstegerhmt, einen schmalen Degen aus seinem Stocke zog und ihn meh-rere Male bis zum Griff im Munde verschwinden lie. Auch ein dik-ker, leutseliger Herr, der etwas betrunken war und mit krftiger

    Stimme einige Lieder, wie Kehrt ein Student um Mitternacht oderDer Liebe geweihter Altar, zum besten gab, fuhr eine Strecke langmit. So fand ich denn, in meine Ecke gedrckt, da die Reise ganz gutbegann, und die zwei Stunden bis zur Grostadt waren bald vorbei.

    Auf dem Hauptbahnhof forderte ich eine Fahrkarte nach Trier undhatte dabei das Gefhl, eine so auffllige Handlung zu begehen wieetwa einer, der ein Billett nach dem Amazonenstrom verlangt. Alleinder Mann am Schalter nahm zu meiner geheimen Freude ganzgleichgltig das Geld in Empfang und beantwortete ebenso gleich-gltig meine Frage nach der Abfahrtzeit. Der nchste Zug in dieserRichtung fuhr erst mitten in der Nacht, und so gab ich denn meinenRucksack ab, um in die Stadt zu gehen. Es regnete immer noch, undich trieb mich eine Zeitlang planlos in den Straen umher. Es kammir darauf an, in Bewegung zu bleiben und die Zeit totzuschlagen,deren pltzlicher berflu mir lstig war.

    Bald wirkte jedoch die Schwerkraft auf mich ein, mit der jede Gro-stadt sich den Obdachlosen unterwirft, um ihn an ganz bestimmte

    Punkte zu ziehen. Ich folgte dem Verkehr, der noch lebendig war, bisin die Hauptstrae, um endlich von einem jener geschlossenen Ver-kaufsgnge eingesogen zu werden, die man Passagen nennt und in

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    denen man zu jeder Stunde auf Gestalten stoen wird, deren einzigeAufgabe im Schlendern oder im Verweilen besteht.

    Hier fhlte ich mich geborgener, zugehriger ich hatte bereits

    vorhin im Zuge unklar gesprt, da es fr einen, der auf Abenteuerzieht, einen leeren Raum nicht gibt, sondern da er bald mit unbe-kannten Krften Berhrung gewinnt. Es wird ihm, allein durch dievernderte Art sich zu bewegen, ein neues Treiben sichtbar, das demMiggange, dem Verbrechen, dem Vagantentum gewidmet ist eine breite und berall verteilte Schicht, die das brgerliche Elementbegrenzt und ihn als Bundesgenossen in Anspruch zu nehmen sucht.

    Dieser Ort, an dem die Strae etwas von der verdchtigen Wrmeeines rot beleuchteten Hausflures gewann und die Geschfte an die

    Schaubuden auf den Jahrmrkten erinnerten, schien mir wohl geeig-net fr jemanden, der sich auf der Flucht befand und der zuweilenverstohlen mit der Hand in die Hosentasche fuhr, um den angerauh-ten Griff eines sechsschssigen Revolvers zu liebkosen.

    Ich verbrachte einige Zeit damit, die zweifelhaften Postkarten zustudieren, die in ungeheuren Mengen hinter den Schaufenstern aus-hingen. Dann zog mich der grelle Eingang eines Wachsfigurenkabi-nettes an. Mit beklommener Neugier wandelte ich in vielen verwin-kelten Rumen zwischen den starren Abbildern berhmter und be-rchtigter Zeitgenossen umher, mannigfaltigen Beispielen fr diebeiden Richtungen, in denen man die Heerstrae des gewhnlichenLebens verlassen kann. Vor dem letzten Zimmer wurde noch ein be-sonderes Eintrittsgeld erhoben: eine Sammlung von anatomischen,elektrisch beleuchteten Gebilden war dort unter Glasksten aufge-baut. Unerhrte Krankheiten waren da mit blauen, roten und grnenFarben auf wchserne Krperteile gemalt. Bei den ganz schrecklichendachte ich mit einer halb grausenden Befriedigung: die kommen ge-

    wi nur in den Tropen vor!Dem Wachsfigurenkabinett gegenber, auf der anderen Seite des

    Ganges, lag ein erleuchtetes Restaurant. Beim Eintreten sah ich, daes automatisch betrieben war. Die verschiedensten, fr das Auge

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    bunt zubereiteten Speisen standen auf runden Platten oder in kleinenAufzgen zur Wahl, und man brauchte nur ein Geldstck einzuwer-fen, um durch ein schnurrendes Uhrwerk bedient zu werden. Ebenso

    konnte man kleine Hhne veranlassen, alle Getrnke, die man sichdenken mochte, in ein daruntergehaltenes Glas zu sprudeln. Fr den,der so, von unsichtbaren Krften bedient, gespeist und getrunkenhatte, standen andere Apparate bereit, die bunte Bilder zeigten oderin Hrmuscheln kurze Musikstcke ertnen lieen. Selbst der Ge-ruchssinn war nicht vergessen, denn es gab auch sinnreiche Zerstu-ber, aus denen man sich durch winzige Dsen wohlriechende Fls-sigkeiten mit exotischen Namen auf den Anzug sprhen lassen konn-te.

    Die geisterhafte Bedienung schien mir uerst bequem und wiegeschaffen fr einen, der triftige Grnde zur Zurckhaltung besitzt.Ich begann, verschiedene Salate und belegte Brtchen hervorzuzau-bern, und trank dazu weit ber den Durst, schon aus Neugierde, dieGetrnke mit den seltsamen Namen kennenzulernen. Ich sah mir dieBilder an, die eins nach dem andern herunterklappten, wenn man aneiner Kurbel drehte, und denen man berschriften wie Der Besuchder Schwiegermutter oder Die gestrte Brautnacht gegeben hatte.Dann lie ich mir Musikstcke vorspielen und setzte die Parfmzer-stuber in Ttigkeit.

    Diese Zerstreuungen bereiteten mir ein Vergngen, das wie jedeBerhrung mit der automatischen Welt nicht ohne einen Stich vonBsartigkeit war. Auch war mir unbekannt, da gerade an solchenOrten die Polizei ihre besten Fischgrnde besitzt.

    Es war hohe Zeit, als ich mich wieder zum Bahnhof begab. Der Zugwartete auf einem verdeten Bahnsteige, der vom weien Licht elek-trischer Bogenlampen berflossen war. Fast alle Wagen waren leer.

    Ich streckte mich auf eine Bank, legte meinen Rucksack unter denKopf und breitete den Regenmantel ber mich aus. Das Lager warhart und ungewohnt, allein ich war von den verschiedenen Likren

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    halb betubt, so da ich schon fest eingeschlafen war, ehe die Fahrtbegann.

    Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ein Eisenbahner mit einer klei-

    nen Lampe schttelte mich und fragte nach meinem Reiseziel. Er sahmich mitrauisch an, denn ich mute erst meinen Fahrschein hervor-suchen, um ihm Auskunft geben zu knnen. Endlich brummte er:

    Hier ist Endstation. Anschlu um fnf Uhr frh!Ich nahm also meinen Rucksack auf und setzte mich in den leeren

    Wartesaal. Ich versprte nun eine ble Nchternheit, und auch an dieLikre hatte ich eine fade Erinnerung. Wieder kam mir der Einfall,umzukehren, und wieder murmelte ich, allerdings schon bedeutendschwcher, mein Rckkehr ist ausgeschlossen vor mich hin. Aller-

    lei lstige Gedanken tauchten auf, wie sie uns in den Morgenstundensolcher Unternehmungen zu beschleichen pflegen, so etwa der, daes doch selbst in der Schule nicht langweiliger und ungemtlicher sei.

    Ein anderer Umstand, der mich beunruhigte, lag in der Wahrneh-mung, da sich mein Zeitgefhl auf eine seltsame Weise zu vern-dern begann. So schien es mir ganz unglaublich, da seit meinerFlucht noch nicht einmal ein voller Tag verstrichen war und da,wenn ich zu Hause geblieben wre, ich jetzt noch ber vier Stundenim Bette liegen knnte, ehe Frau Krger mich aus dem Schlafe wek-ken wrde. Wie ich auch nachrechnen mochte es blieb unzweifel-haft, da ich mich nicht etwa schon seit einem Jahre, sondern erst seitwenigen Stunden auf dem Wege befand. Dieses Miverhltnis hatteetwas Erschreckendes; es besttigte mir mehr als alles andere, da ichin ganz neue Bereiche eingetreten war.

    Das Ungemtliche der Lage wurde gleichsam unterstrichen durchdie Figur eines Stationsbeamten, der hin und wieder den Saal durch-schritt, ohne mich eines Blickes zu wrdigen, und den eine Witterung

    von behaglicher Geschftigkeit und frisch aufgebrhtem Kaffee um-gab. Er trug seinen Dienstrock bequem aufgeknpft, und ein stattli-cher Pfeifenkopf, dem er mchtige blaue Wolken zu entlocken

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    verstand, hing ihm an einem gebogenen Mundstck bis zur Brustherab.

    Sein Anblick erfllte mich halb mit Neid, halb fhlte ich mich auf

    eine merkwrdige Weise durch ihn erquickt, wie ein Wanderer durchein Licht, das er in groer Ferne neben seinem Wege leuchten sieht.

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    Am frhen Vormittage war ich in Trier. Hier kaufte ich Proviant:Weibrot, Butter, Wurst und eine Flasche voll Wein. Nachdem ich ineinem Papiergeschft noch eine Radfahrkarte der weiteren Umge-

    bung von Trier erstanden hatte, setzte ich mich auf einer der nachWesten fhrenden Straen in Marsch. Ich sah, da es noch ein gutesStck bis zur Grenze war, die ich unter groen Vorsichtsmaregelnbei Nacht und mglichst in einem dichten Walde zu berschreitengedachte. Diesen bertritt stellte ich mir als den schwierigsten Teildes Unternehmens vor.

    Der Marsch, der hgelauf, hgelab durch eine mit Gehften lockerbeste Herbstlandschaft fhrte, munterte mich auf. Ich setzte meinekurze Pfeife in Brand und gab mich allerlei angenehmen Trumereienhin.

    Diese Pfeife, die mein unzertrennlicher Begleiter war, steckte ichfreilich jedesmal, bevor ich ein Dorf durchschritt, wieder ein, dennich besa Selbstkritik genug, um zu ahnen, da sie zu meiner Er-scheinung in einem komischen Widerspruch stand, und ein scherz-hafter Zuruf htte mich in meiner Wrde gekrnkt, auf die ich hieltwie ein Spanier. brigens schmeckte mir der Tabak nicht, und ichwagte nicht, mir einzugestehen, da er mir manchmal sogar ausge-

    sprochene belkeit bereitete. Obwohl der Genu also fast lediglich inder Phantasie bestand, diente das Rauchen doch sehr zur Erhhungmeiner Gemtlichkeit. So hatte ich, bevor ich auf die Afrikabcherverfallen war, an denen ich mich berauschte wie Don Quijote am

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    Amadis von Gallien, zu den eifrigen Lesern des Sherlock Holmesgezhlt, und es war mir stets unmglich gewesen, einen Satz zu le-sen, in dem der Detektiv wieder einmal bedchtig seine kurze Pfeife

    entzndete, ohne da ich sogleich eine Pause eingelegt htte, um ihndurch ein Brandopfer zu besttigen.Whrend des Marsches hatte ich gute Zeit, mich mit meinen Ideen

    zu beschftigen. Es waren vor allem zwei ganz verschiedenartigeEinbildungen, in die ich mich verspnnen hatte; sie erscheinen mirheute sonderbar genug, und es fllt schwer, ihnen aus einem ganzanderen geistigen Zustande heraus auch nur in ihren Umrissen Lebenzu verleihen.

    Die erste von ihnen bestand in einem starken Hange zur Selbstherr-

    lichkeit, das heit, in dem Wunsche, mir das Leben von Grund auf soeinzurichten, wie es meinen Neigungen entsprach. Um diesen uer-sten Grad der Freiheit zu verwirklichen, schien es mir ntig, jedermglichen Beeintrchtigung aus dem Wege zu gehen, im besonderenjeder Einrichtung, die eine, wenn auch noch so entfernte Verbindungzur zivilisatorischen Ordnung besa.

    Es gab da Dinge, die ich vor allem verabscheute. Zu ihnen gehrtedie Eisenbahn, dann aber auch die Straen, das bestellte Land undjeder gebahnte Weg berhaupt. Afrika war demgegenber der Inbe-griff der wilden, ungebahnten und unwegsamen Natur, und damitein Gebiet, in dem die Begegnung mit dem Auerordentlichen undUnerwarteten noch am ersten wahrscheinlich war.

    Zu dieser Abneigung gegen den gebahnten Weg gesellte sich einezweite und nicht minder heftige gegen die wirtschaftliche Ordnungder bewohnten Welt. In diesem Sinne galt Afrika mir als das glckse-lige Land, in dem man vom Erwerb, und im besonderen vom Geld-erwerb, unabhngig war. Man lebte da meiner Meinung nach auf

    eine andere Art, von der Hand in den Mund, indem man sammelteoder erbeutete. Diese unmittelbare Art, das Leben zu fristen, schienmir jeder anderen weit vorzuziehen. Schon frh war mir aufgefallen,da alles in diesem Sinne Erbeutete, etwa ein in verbotenen Gews-

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    sern geangelter Fisch, eine Schssel voll Beeren, die man im Waldegesammelt hatte, oder ein Pilzgericht in einer ganz anderen und be-deutenderen Weise mundete. Solche Dinge spendete die Erde in ihrer

    noch nicht durch Grenzen abgeteilten Kraft, und sie hatten einen wil-deren, durch die natrliche Freiheit gewrzten Geschmack.Auf diese Weise gedachte ich mir da drben ein herrliches Leben zu

    bereiten, um so mehr, als ich auf den Beistand der Sonne rechnete. Ineinem Lande, das tagaus, tagein eine starke, wrmende Sonne er-leuchtete, konnte man, wie ich glaubte, weder betrbt noch unzufrie-den sein.

    Auch wute ich bereits, was ich mit diesem Zustande der Freiheitbeginnen wollte. Zunchst war da das gefhrliche Abenteuer, das

    nach allem, was ich gehrt und gelesen hatte, nicht lange auf sichwarten lie. Ich zog seinen Kreis sehr weit und rechnete selbst denHunger den Abenteuern zu. Konnte mir denn da drben etwas zu-stoen, das nicht abenteuerlich war? Fr die Zerstreuung war alsowohl gesorgt.

    Dann aber gedachte ich mich durch die Betrachtung zu erfreuen.Ich strebte einem Lande zu, in dem alles bedeutender war. Sicherwaren dort die Blumen grer, ihre Farben tiefer, ihre Gerche bren-nender. Es schien mir jedoch, als ob die Leute, die das Glck gehabthatten, in jenen Gegenden weilen zu drfen, sich ber diese Dingeausschwiegen. Wenn man hrte, da einer einen Fisch gefangen hat-te, so mchte man doch das Tier mit jeder Faser, mit jeder Schmelz-schuppe und mit jedem Farbspritzerchen sehen. Man mchte sich dieFinger an den stachligen Auswchsen seines Kopfes blutig ritzen undseinen Leib eng mit den Hnden umspannen, um zu prfen, wie glattund feucht die Hute, wie stark und geschmeidig die Muskelzgesind. Ich nahm mir vor, das nicht auer acht zu lassen, und gab mir

    das Versprechen, da ich immer, wenn mir so ein fremdes Bild ent-gegentreten wrde, wenigstens fr einen Augenblick, den Atem an-halten wollte und da es mir nie so schlecht gehen drfe, um dessennicht eingedenk zu sein.

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    Als ich an die Beeren oder an die Frchte dachte, die ihnen dortentsprechen mochten, scho mir durch den Kopf, da ich vielleichtam besten tun wrde, mich drben gleich nach der Landung abzu-

    sondern, um an der wilden Kste entlangzugehen. Man konnte dortvon Muscheln leben, deren es doch an jedem Meeresstrande in Hlleund Flle gab. So zeichnete sich bereits ein neuer Fluchtplan in denalten ein.

    Eine andere Frage, die mich beschftigte, war die, ob ich mir einenKameraden suchen sollte oder nicht. Ich hielt es fr schwierig, einenBegleiter zu finden, und das hing wohl damit zusammen, da mir einMensch von zwanzig Jahren schon sehr alt erschien und im Grundeunfhig zu wirklichen Erlebnissen. Ich war immer geneigt, Mangel an

    Teilnahme und Abgestumpftheit gegenber den Dingen vorauszu-setzen, und vor allem eine Art der berlegenen Ironie, die ich scheutewie Brennesseln. Schon aus diesem Grunde war ich bestrebt, meineFlucht ganz abzudichten, denn ich wute wohl, da sie fr jeden an-deren den Anstrich des Lcherlichen besa. Gerade hiervor hatte ichAngst so bereitete mir der Gedanke, da man an der Grenze viel-leicht auf mich schieen wrde, ebensoviel Vergngen, wie midi aufder anderen Seite die Aussicht beunruhigte, da mich etwa ein fried-licher Zllner in aller Gemtlichkeit festnehmen und abliefern knn-te.

    Immerhin sprte ich das Bedrfnis nach Mitteilung, das Bedrfnis,mich zuweilen einem Geiste von starkem und durchdringendem Ver-stndnis anzuvertrauen, das die geheimen Wurzeln unserer Plneund Taten mhelos erfat. Das bringt mich auf die zweite Einbil-dung, von der ich sprach: sie bestand darin, da ich in der Tat whn-te, einer solchen geistigen Verbindung teilhaftig zu sein. Gern htteich dieses Verhltnis dem so skeptischen und gebildeten Leser des

    zwanzigsten Jahrhunderts unterschlagen, allein es gehrt nicht nurzur Vollstndigkeit, sondern auch zum Verlaufe des Berichts. SeineVorgeschichte reichte weit in die Kindheit hinein und in die Zeit, in

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    welcher der innere Horizont durch die Knste des Lesens undSchreibens noch keine Einschnrung erfahren hat.

    Ehe wir daher die beschauliche Wanderung zur westlichen Grenze

    fortsetzen, ist wohl ein kurzer Rckblick angebracht.

    4

    Ich lag in meiner kleinen Kammer, die durch mein Bett und zweigroe Schrnke fast ausgefllt wurde, und war noch vollkommenwach. Die Gromutter war zu Besuch gekommen und sa mit meinerMutter in einem Nebenzimmer, dessen Tr geffnet war. Ich sah

    durch den breiten Spalt den matten Lichtstrahl der mit einem roten,gekruselten Seidenschirm verhllten Lampe und hrte dem Ge-sprch der beiden Frauen zu, das sich mit allerlei Wirtschaftssorgenbeschftigte.

    Indem ich so lauschte, wurde ich durch ein fremdes Gerusch ber-rascht, und zwar durch ein leises, langsames und gedmpftes Trom-meln, das offenbar nicht im Nebenzimmer, sondern dicht neben mei-nem Bett erscholl. Allerdings ist das Wort berraschung nicht ganzzutreffend, denn das Gerusch war zunchst so schwach, als obSandkrner auf ein Trommelfell fielen, aber der Anschlag steigertesich langsam und eindringlich. Jedenfalls wurde ich keineswegs er-schreckt; die Tne glichen einem Vorspiel, durch das der Sinn desHrers verndert und auf ein besonderes Ereignis vorbereitet wird.

    Ich richtete mich vorsichtig auf, whrend nebenan das Gesprchgeruhsam weiterging. Nun wurde mir auch der Ursprung der selt-samen Klnge deutlich: sie rhrten von einer Gestalt her, die sich aufden Stuhl gesetzt hatte, der wie gewhnlich neben meinem Bette

    stand, und mit Verwunderung sah ich, da sie sich einer groen, mitchinesischen Schriftzeichen bemalten Teekiste bemchtigt hatte, aufderen Deckel sie mit dem Fingerknchel schlug. Dieser Teekastenwar mir wohlbekannt; mein Vater hatte ihn von einem Soldaten ge-

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    kauft, der aus dem Chinafeldzug heimkehrte und der ihn beim Bran-de des Kaiserpalastes erbeutet haben wollte. Er war seit langem ge-leert und wurde zur Erinnerung an den unvergleichlichen Tee, des-

    sen Duft noch in ihm haftete, unter anderen Dingen auf einem derSchrnke verwahrt.Der Besucher war gro, in mittleren Jahren und von schwerflliger

    Figur. Sein Gesicht war hlich und erinnerte an eine jener Rben,wie man sie als Kind mit dem groben Messer zurechtzustutzen liebt.Dennoch wirkten die Zge nicht abstoend; dies verhinderte einAusdruck von gutmtiger Melancholie. Ich fhlte mich in spterenJahren zuweilen an dieses Gesicht erinnert, wenn ich in alten Pracht-werken die Kupferstiche von Tony Johannot betrachtete.

    Kaum hatte ich diesen unerwarteten Gesellschafter, der in ein grau-es, unscheinbares und grob zugeschnittenes Gewand gekleidet war,ins Auge gefat, als ich auch schon ein starkes Gefhl der berlegen-heit empfand. Es war dies eine Art der berlegenheit, wie sie eingrostdtischer Knirps, der whrend der Sommerfrische in denScheunen und Stllen eines Gehftes seine Entdeckungszge unter-nimmt, einem alten Knecht entgegenbringen mag, mit dem er insPlaudern kommt. brigens schien mein Besucher gar nicht darberbeleidigt, da ich mich in dem lebhaften Gesprche, das sich gleichzwischen uns entspann, ganz unverhohlen ber ihn lustig zu machensuchte; es trat im Gegenteil der gutmtige Zug seines Gesichtes im-mer strker hervor, und er verfolgte meine Spae wie ein Bauer, derein Fllen auf der Weide umherspringen sieht. Es begegnete mir hierzum erstenmal in meinem Leben, da ich einem anderen und imGrunde strkeren Geiste an Intelligenz berlegen war, und da dieserandere sich darber freute; dieses Verhltnis hat mich immer gerhrt.

    Unser Gesprch war ohne Zweifel merkwrdig, und ich bedauere,

    da ich es nicht wiedergeben kann, obwohl seine geheime Figur sichdeutlich in meinem Gedchtnis erhalten hat. Die Unterhaltung wurdegefhrt, indem ich flsterte und er murmelte; man wird ihren Inhaltwahrscheinlich recht belanglos finden, denn sie drehte sich in der

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    Hauptsache um allerlei Hausgert. Wir unterhielten uns ber Gegen-stnde, wie sie auf dem Boden, im Keller, in der Kche stehen, kurz-um ber alles, was zur kleinen Welt des Haushaltes gehrt.

    Alle diese Dinge kannte ich natrlich gut, und ich merkte bald, daauch der Fremde eine genaue Kenntnis von ihnen besa. Der eigentli-che Witz des Gesprchs bestand nun darin, da der Besucher sie ganzmerkwrdig ausdeutete, ihnen besondere und weither geholte Eigen-schaften gab und offenbar das Bestreben besa, ihnen ein eigenesLeben zuzuschreiben, whrend ich ihn zu berichtigen und ihm ihrewahre Bedeutung zu erklren hatte.

    Das Spiel erheiterte mich auerordentlich, und ich brannte jedesmalauf den Augenblick, in dem ich sagen konnte: Der Kcheneimer ist

    doch zum Aufwaschen oder Der Grovaterstuhl ist doch zum Sit-zen da. Damit zwang ich dann auch dem Fremden ein Lcheln ab,als htte ich ihm die unerwartete Auflsung einer Scherzfrage ge-nannt. Dennoch war er jeder Aufklrung unzugnglich; er nahm jedeeinzelne Antwort nur an, um gleich darauf wieder zu einem anderenGegenstande berzugehen.

    Es ist schade, da mir gerade der wichtigste Teil dieses Gesprches,nmlich die Begrndungen des Fremden, die ohne Zweifel merk-wrdig waren, so ganz entfallen ist. Es gibt ja auch in Trumen eineSchicht, die schnell verblat. Eine Vorstellung davon gewinnt manvielleicht, wenn man an die riesige Hllenlandschaften denkt, mitdenen Hieronymus Bosch Schule gemacht hat und auf denen sich einungeheures Arsenal von bsartig gewordenen Werkzeugen gegenden Menschen in Bewegung setzt. Der Unterschied war aber der, dader Fremde den Gegenstnden eine durchaus gutmtige Erklrunggab; er schrieb ihnen ein schwerfllig trumendes Dasein zu. Er such-te mich in ihren Kreis einzufhren wie in die Kammer eines alten

    Dieners, von dem man eines Tages mit Erstaunen entdeckt, da erauch eine eigene Existenz besitzt.

    Wir unterhielten uns neben vielen anderen Dingen auch ber dieEinrichtung der Speisekammer und ber die beiden Hhnchen, die

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    dort auf den Kochtopf warteten. Ich freute mich schon auf denSchmaus, und um so mehr verdro es mich, da der Fremde sie alsganz schlecht und ungeniebar bezeichnete. Whrend wir darber

    noch hin und her redeten, schlief ich mitten in der Unterhaltung ein.Am nchsten Morgen hatte ich den Besucher schon vergessen, undnicht die Erinnerung an ihn. sondern die kindliche Lsternheit wares, die mich gleich nach dem Betreten der Kche veranlate, mich beiunserem Mdchen nach den Hhnchen zu erkundigen. Um so betrof-fener war ich, als ich erfuhr, da sie ber Nacht verdorben waren undda man sie schon in der Frhe fortgeworfen hatte. Wirklich sah ichsie, schon halb von Mll bedeckt, im Ascheneimer liegen, und dieserAnblick flte mir Unbehagen ein. Er erinnerte mich sofort und in

    jeder Einzelheit an den Fremden, dessen Vorhersage also eingetroffenwar, und erst jetzt wurde mir beklommen zumut. Ich schlich michleise hinaus und machte eine Anstrengung, die der gleicht, mit derman etwas hinunterzuschlucken sucht. Eine Ahnung sagte mir, dadies eine Angelegenheit sei, ber die man nicht mit den Groen spre-chen drfe, ja die man am besten auch in sich selbst ausmerzen ms-se, wie den Irrtum in einer Niederschrift.

    Meine gute Mutter, der ich erst sehr viel spter davon erzhlte,meinte dazu, da ich wohl im Halbschlafe gehrt htte, wie sie mitder Gromutter auch ber diese Hhnchen sprach, und die Erkl-rung erscheint mir, wenn man die lebhafte Einbildung der Kinderbedenkt, einleuchtend.

    Merkwrdig bleibt jedoch die Kraft des Eingebildeten, die uns innicht geringerem Mae bewegt als die mit Hnden greifbare Wirk-lichkeit und die sich darin uerte, da der graue Gast mir nochmanches Mal und auf lange Zeit hinaus erschien; er war fr michbald kein Fremder mehr. Allerdings sah ich ihn nie wieder in solcher

    Deutlichkeit.Ich begegnete ihm fortan meist im ersten Schlaf, und zwar immer

    an ein und demselben Ort, nmlich in einem alten, weitlufigen Ge-bude, das halb an ein Schlo, halb an eine verfallene Mhle erinner-

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    te. Manche Rume dieses Gebudes waren noch eingerichtet, anderebestanden fast nur noch aus vermodertem Holz, so ein spitz abge-deckter Wehrgang, den ich hufig betrat und der aus feuchten, grn

    berzogenen Balken errichtet war, wie man sie zuweilen in Mhlgr-ben liegen sieht. Manchmal fand ich mich schon mitten in dem ver-schlungenen Bauwerk vor, manchmal schritt ich erst durch eine d-stere Tannenlandschaft darauf zu. Sowie ich das Tor erreicht hatte,gesellte sich der Begleiter mir zu und blieb neben mir, whrend ich,oft gelangweilt, oft aber auch gengstigt, das Labyrinth der Kammernund Gnge durchschritt.

    Aus diesen Trumen erwachte ich mit Unbehagen und lag langeregungslos im Dunkeln, whrend ich mich bemhte, mir das alte

    Gebude zu vergegenwrtigen und es in meiner Vorstellung wieder-aufzubauen. Wunderbarerweise aber zerflossen seine Formen undUmrisse um so mehr, je schrfer ich meine Gedanken anstrengte, siemir zu verdeutlichen.

    Ich hatte das Gefhl, da, wenn mir das gelnge, sich auch die Auf-lsung der rtselhaften Trume ergeben wrde, ihre Bedeutung frdie Wirklichkeit. Allein die Rume schienen sich bei jedem neuenBesuche zu verndern, gleich Architekturen einer noch flssigen undnebelhaften Welt, die erst entstehen wollte, oder sie schlossen sich inanderen Teilen auf, und nur eine unbestimmte Erinnerung sagte mir,da ich schon frher in ihnen geweilt hatte. Manchmal wollte es mirauch scheinen, da ich mich an ganz anderen Orten, etwa in derSchule, auf Reisen oder in einem Dorfe, befnde, bis mir pltzlich eingeheimes Kennzeichen verriet, da ich in dem alten Schlosse war.

    Dieser Traum zog sich ber Jahre hin, oft fast verblassend, dannwieder steigerte er sich zu einer leuchtenden Deutlichkeit. Im Laufeder Zeit wurde die Gestalt meines Begleiters immer schattenhafter,

    allein ich erkannte sie noch, als ich mich zum letzten Male in demden Bauwerk befand. Dieses letzte Mal unterschied sich von allenanderen dadurch, da ich das Gebude auch wieder verlie, was bis-her noch nie geschehen war.

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    Ich trat in den Tannenwald hinaus, dessen Bume inzwischen zueiner ungeheuren Hhe emporgewachsen waren und weit voneinan-der entfernt standen. Jeder hatte einen weiten Bannkreis um sich. Von

    einer eigentmlichen Kraft belebt, schritt ich aus. Whrend in demalten Schlosse das Auge die Dinge nur in trben Umrissen und wiedurch einen grnlichen Nebel hindurch zu entziffern vermocht hatte,waren sie hier auf das schrfste ausgeprgt: der Blick durchdrangeinen unbewegt ruhenden, luftleeren Raum. Bald bemerkte ich, daich mich im Besitze eines gesteigerten Bewutseins befand. Nicht nurvermochte ich jede Verzweigung des Gestes, jede Unebenheit derRinden und Borken zu betrachten wie durch ein starkes Vergre-rungsglas, sondern auch die groe Gliederung des Raumes war wie

    auf einer gestochenen Landkarte einzusehen.So sah ich nicht nur vom Boden aus die Landschaft, die ich durch-

    wanderte, sondern ich beobachtete aus raubvogelhafter Hhe michselbst noch einmal innerhalb dieser Landschaft, die von riesenhafterAusdehnung war, ja die Erde ganz zu bedecken schien. Und ich sahin groer Entfernung, in der Entfernung von Jahren, ein anderes We-sen durch diese ausgestorbenen, mit weigrnen Flechten verhange-nen Wlder auf mich zuschreiten, ich sah unseren Weg wie durchMagnetnadeln bestimmt. In diesem Augenblick hrte ich laut denNamen Dorothea, allein ich hrte ihn nicht als Ruf, sondern ich errietihn aus einem vierfachen Klang, der dem vollen Anschlag an zweigoldene und zwei silberne Glocken glich.

    Das Gefhl der Erheiterung, mit dem ich erwachte, war aueror-dentlich. Es gibt ja in diesen Jahren eine Art der Trunkenheit, als obdie Luft berauschend sei.

    Whrend der erste Besucher immer tiefer in den Traum zurckge-wichen war, trat Dorothea immer deutlicher aus ihm hervor. Zwar

    blieben ihre Zge unbestimmt, doch das erhhte ihre Anziehung. Esging ein Hauch der groen Jugend und wlderhaften Frische von ihraus, und es schien mir, als sprhte ein Knistern wie vom Bernsteinvon ihr ab. Im Gegensatz zu dem schwerflligen Kobold war sie von

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    sprhender Intelligenz. Ich hatte ein starkes Zutrauen zu ihr. Es war,als ob man auf gefhrlicher Wanderschaft von einem Kameradenbegleitet wrde, der ber eine Sicherheit verfgte, vor der man die

    Bedrohung ganz verga.Allmhlich gelang mir eine immer dichtere Annherung; die Ge-danken zogen langsam den Traumstoff in die Wirklichkeit hinein. ImAugenblick jedoch, in dem ich diese Annherung beschreiben will,fhle ich, da ich im Dunkeln tappe wie jemand, der den schwarzenMann beschreiben soll, von dem er doch in seinem dritten Lebensjah-re eine Vorstellung besa.

    Ich entsinne mich nur mehr an Einzelheiten, wie etwa an die, daich mit vierzehn Jahren eine leidenschaftliche Jagd auf Schmetterlinge

    zu treiben begann. In dieser Zeit begegnete es mir hufig, da mir aufBltentrauben und Dolden eine neue Form ins Auge fiel, und jedes-mal war ich berrascht und tief erheitert, wie durch den Einfalt einesGeistes von hchst erfinderischer Kraft. In solchen Augenblickenfhlte ich Dorothea ganz nahe, und ich zgerte noch eine kurze, kst-liche Weile, ehe ich die Beute ergriff.

    Die Falter spielten also die Rolle des Talismans. Aber nicht sie al-lein, sondern das Schne berhaupt, gleichviel in welche Formen undGegenstnde es sich kleidete, rief diese Anziehung hervor. Dasselbegalt fr das geistige Ebenma; wenn ich einen wohlgebildeten Ge-danken oder einen ins Schwarze treffenden Vergleich las oder hrte,fhlte ich mich hufig wie durch eine ausgestreckte Hand an denSchlfen berhrt ja ich gewhnte mich daran, das krperliche Ge-fhl als Mastab zu nehmen, und es kam vor, da mir das eigentlicheVerstndnis erst nach der berraschung aufleuchtete. Die Fhigkeitblieb mir erhalten; sie half mir spter, als ich zu arbeiten begann,mich in den Bibliotheken und Galerien zu bewegen wie in Wldern,

    in denen man Pilze sucht, oder auch whrend einer Unterhaltung denSprechenden selbst aufs Korn zu nehmen wie ein Tier, das hinterdem verschlungenen Gebsch der Worte und Meinungen erscheint.

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    Diese kurze, blitzartige Berhrung war aber nicht die einzige, diemich mit Dorothea verband. Ich fhlte ihre Nhe auch, wenn ichmich wie hier auf dieser Landstrae im Zweifel befand. Wenn ich,

    wie eben jetzt, den Entschlu fate, einfach vorwrts zu gehen, sowute ich, da Dorothea ihn verstand, und ich fhlte ihre Zustim-mung wie einen elektrischen Funken, der berspringt, oder wie einSignal, das in der Ferne erklingt.

    Ich war also nicht ohne Mittel, denn Dorothea gehrte zu meinemEigentum. Ihr Traumbild sollte sich als wertvoller erweisen, als ichvermutete.

    Aber kehren wir zur Wirklichkeit zurck.

    5

    Mit diesen Dingen beschftigt, legte ich, fast ohne es zu merken, einetchtige Wegstrecke zurck. Da am Nachmittag ein feiner, staubar-tiger Regen zu fallen begann, war mir nicht unangenehm, denn eserhhte die Einsamkeit. berhaupt gehrt es zu meinen Neigungen,bei dichtem Regen spazierenzugehen. Ich besitze dafr noch heuteeine Vorliebe als fr eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen manin unseren Breiten im Freien ungestrt seinen Gedanken nachhngenkann. Wenn man, in einen undurchlssigen Mantel gehllt, im Un-wetter die groen Wlder durchstreift, dann ist man selbst in der N-he der Grostdte so unbehelligt wie der Taucher auf dem Meeres-grund.

    Da ich wieder Hunger versprte, bog ich, um Rast zu halten, in einenges Bachtal ab, das sich im Wald verlor. Unter einer dichten Grup-pe von Kiefern war der Boden noch trocken; hier breitete ich meinen

    Mantel aus und sammelte fr das erste Lagerfeuer die aufgeblttertenKiefernzapfen ein.

    Das Brot war durch die Nsse schon etwas schwammig geworden;ich hielt mich also an die Wurst und den Wein. Es fiel mir ein, da ich

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    gut tun wrde zu erproben, ob ich auch meiner Lage angemessenbewaffnet war, und ich beschlo, eine kleine Schiebung zu veran-stalten, um den Revolver einzuweihen. Ich whlte mir ein Kiefern-

    stmmchen zum Ziel und sah mit Vergngen, wie bei den Schssender rote Bast absplitterte und die klaren Harztrpfchen aus dem zer-rissenen Holz herabtrufelten.

    Whrend ich sodann, mit dem Rcken an einen Baumstamm ge-lehnt und mir die Fe wrmend, das Feuer betrachtete, dessen Glutallmhlich unter einer weien Aschenschicht verbltterte, verfiel ichauf ein sonderbares Spiel. Es bestand darin, da ich die geladeneWaffe an die Brust setzte und den Abzug langsam bis zum Druck-punkt zurckspielte. Mit gespannter Aufmerksamkeit sah ich den

    Hahn steigen, bis er in Feuerstellung stand, indes der Druck amDaumen sich verminderte wie bei einer Waage, die ihr Gleichgewichtgefunden hat. Whrend dieses Spieles hrte ich, wie der Wind ganzleise den Stamm bewegte, an dem ich sa. Je mehr ich mit dem Dau-men vorwrtstastete, desto lauter rauschten die Zweige, aber seltsa-merweise trat, wenn ich den entscheidenden Punkt erreicht hatte,eine vllige Stille ein. Ich htte nie gedacht, da es im Tastgefhl sofeine und bedeutungsvolle Unterschiede gibt. Nachdem ich dieseZeremonie einige Male wiederholt hatte, packte ich das kleine In-strument, dem man eine solche, halb unheimliche, halb se Melodieentlocken konnte, in den Rucksack ein.

    Der Verlauf dieser einsamen Waffenweihe erfllte mich mit Befrie-digung. Leider aber wurde die angenehme Stimmung gleich daraufdurch eine unerwartete Entdeckung beeintrchtigt. Schon am Vormit-tag hatte ich den Weg, den ich zurcklegen wollte, mit Bleistift ange-strichen; als ich nun, um mich ber die Fortschritte meiner Wander-schaft zu unterrichten, die Karte ffnete, fiel mir ein rgerlicher Irr-

    tum auf. Jenseits der Grenze las ich, in so weit voneinander abgesetz-ten Buchstaben, da ich sie ganz bersehen hatte, das Wort Luxem-burg. Es war also gar nicht die franzsische Grenze, auf die ich michzubewegte, sondern die eines Landes, von dem ich noch kaum gehrt

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    hatte. Ich mute den Plan ndern und beschlo, mich nach Metz zuwenden, um dort einfach in einen Zug zu steigen, der ber die Gren-ze fuhr.

    Kurz vor dem Bachtal hatte ich einen kleinen Bahnhof durchquert;ich kehrte dorthin zurck und wartete auf den nchsten Zug. Es wareine Kleinbahn, die durch die Gegend schlich und die ich nochzweimal wechseln mute; die Namen der Haltestellen, welche dieSchaffner ausriefen, waren bhmische Drfer fr mich. Die Landleu-te, die einstiegen, unterhielten sich in einem fremdartigen Dialekt; sietrugen mit ihren Kleidern einen feuchten, warmen Dunst in das Ab-teil, der behaglich einschlferte. Erst am Abend lief der Zug in dengroen und prunkvollen Metzer Bahnhof ein.

    Im Schein der Bogenlampen fhlte ich mich unbehaglich; es fiel mirauf, da meine Kleidung sich bereits in einem gewissen Verfall be-fand. Die Stiefel waren von einer Schlammkruste bedeckt, der Anzugwar durch die Feuchtigkeit gekruselt, der Kragen aufgeweicht. Auchwar ich der Meinung, da mein Gesicht sich verndert htte, und diemusternden Blicke der Vorbergehenden bereiteten mir Scheu.

    Wenn ich mich auch bald in Gegenden zu befinden hoffte, in denensolche Kleinigkeiten keine Rolle spielten, so wurde ich doch jetzt voneinem mir neuen Gefhl der Deklassierung bedrckt. Ich merkte hier,da man die Strke der Gesellschaftsordnung erst erfhrt, wenn mansich aus ihr herausbegeben hat, und da man von Dingen, auf dieman gemeinhin kaum achtet, weit abhngiger ist, als man denkt.

    Immerhin war der Zustand noch nicht so weit vorgeschritten, dakeine Abhilfe mglich war. Ich suchte die Bder auf, die in die Tiefedes Bahnhofes wie antike Katakomben eingelassen waren, und wh-rend ich mich im heien Wasser brhte, wurden die Sachen durcheinen Badediener wieder instand gesetzt. Dann lste ich mir gleich

    eine Fahrkarte nach Verdun fr den Zug, der am nchsten Mittagfahren sollte, und begab mich, um eine Unterkunft zu suchen, in dieStadt.

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    Unter den kleinen Hotels in den Seitengassen whlte ich lange, eheich eins fand, das verwahrlost genug aussah, um fr einen Unter-schlupf passend zu sein. Wer sich auf Abwegen befindet, fhlt sich

    von den dunklen und zweifelhaften Orten angezogen: das erleichtertdie Arbeit der Polizei. Das Zimmer, in dem ich die Nacht verbringensollte, sah denn auch wie eine Ruberhhle aus, und der Kellner, deres aufschlo, hatte eine unangenehme, mondscheinblasse Vertrau-lichkeit.

    Obwohl ich sehr mde war, ging ich noch einmal aus und wurde,durch die engen und gewundenen Gassen schweifend, bald von einerStimmung ergriffen, wie sie uns zuweilen in fremden Stdten befllt.Ein geschftiges Treiben, zu dem wir in keiner Beziehung stehen,

    zieht an uns vorber wie die Szenen eines chinesischen Theaters oderwie die Bilder einer Laterna magica. So empfand ich einen dunklenGenu beim Anblick der beleuchteten Hauseingnge oder der Spie-gelscheiben der Cafs, und es kam mir vor, als ob hinter ihnen Hh-len verborgen wren, von geheimen und wunderlichen Ttigkeitenerfllt. Die Menschen, die auf den Straen wimmelten, schienen mirfremdartig, als ob ich sie durch ein Fernrohr betrachtete, dabei hatteihr Umtrieb etwas Leichtes, Traumhaftes, wie in einem Puppenspiel.Dieser Eindruck stellt sich ein, wenn man an den handgreiflichenAbsichten des Lebens unbeteiligt ist; er wurde verstrkt durch Tau-sende von Soldaten, die die Straen und Pltze der alten Grenzstadtdurchfluteten. Es ging von diesen in blaue Uniformen gekleidetenMassen ein Hauch sowohl der Urkraft als auch des Spielerischen aus,wie er jeder groen Truppenansammlung eigentmlich ist.

    Spt kehrte ich in mein Zimmer zurck und verfiel sogleich in ei-nen tiefen Schlaf. Mitten in der Nacht erwachte ich und sah, in halberBetubung, da der Raum in hellem Mondschein lag. Seltsamerweise

    war die Tre, die ich fest verschlossen hatte, leicht angelehnt, und ichbemerkte eine weie Hand, die sich langsam durch ihren Spalt schob.Diese Hand erfate vorsichtig den Stuhl, auf den ich meine Kleidergelegt hatte, und hob ihn leise hinaus. In dem verworrenen Zustand,

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    in dem ich mich aufgerichtet hatte, war ich kaum berrascht, sonderndachte, da hier wohl der Hausknecht seines Amtes waltete, ummeinen Anzug auszubrsten, und sank gleich wieder in den Schlaf

    zurck.Als ich, recht spt am Vormittage, aufstand, fiel mir der Vorgangdunkel wieder ein. Er schien mir nun doch etwas sonderbar, und ichglaubte, ich htte ihn getrumt. Mit einem dumpfen Erstaunen stellteich jedoch beim Anziehen fest, da meine silberne Konfirmationsuhrverschwunden war. Ebenso fehlte das kleine Geld, das ich in der Ho-sentasche getragen hatte; meine Brse hatte ich, freilich unabsichtlich,im Rucksack aufbewahrt, der neben dem Bette lag.

    Nachtrglich versprte ich ein unangenehmes, eisiges Gefhl, als

    ob ein Tier durchs Zimmer gekrochen wre, und ging eilig nach un-ten, wo mich der Kellner mit einem verdchtigen Lcheln und derFrage, ob ich frhstcken wolle, empfing. Ich wollte jedoch nur be-zahlen, und whrend er mir auf ein Zehnmarkstck wiedergab, hatteich ein Gefhl, als ob eine gemeinsame Schuld uns in einer niederenSphre schweigend verbndete.

    6

    Da ich nun auf Nacht und Nebel verzichten wollte, hatte ich mir dieRolle eines jungen Mannes zurechtgelegt, der in Frankreich Sprach-studien zu treiben gedenkt. Wenn man solche Winkelzge beabsich-tigt, kommt es vor allein darauf an, da man selbst an sie glaubt. Ichhatte mir daher eine Fahrkarte zweiter Klasse gelst und dachte, daein gutes Mittagessen dazu beitragen wrde, mir die ntige Sicher-heit zu verleihen.

    Das war um so weniger schwierig, als in Metz die franzsische K-che ihre Vorposten besitzt, und so fand ich mich denn bald in einerglsernen Veranda nahe am Bahnhof im Scheine der Herbstsonne voreiner Flasche Haut-Sauternes, dessen Tropfen wie l am Glase hafte-

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    ten, und mit einem Vorgericht von einem Dutzend Weinbergschnek-ken beschftigt, die auf den die Stadt umhegenden Hngen beson-ders kstlich gedeihen.

    Die Bewirtung war trefflich, und nach mancherlei gastronomischenVorbereitungen fhlte ich mich im Besitz einer gengenden Kaltbl-tigkeit, um ohne Reisepa ber die Grenze zu gehen. Nicht nur dieSchneider machen Leute, sondern auch die Gastwirte, und nach ei-nem ppigen Mahl betritt man die Strae mit einem besonderen Ge-fhl der Sicherheit.

    Das Abteil war fast leer; in seinen Polstern saen nur eine alte Da-me in schwarzem Seidenkleide und ein junger Offizier, der eine mitroten und blauen Zeichen bedeckte Karte betrachtete. In meiner ge-

    hobenen Laune trieb ich den Stil der offenen Sicherheit wohl etwas zuweit, denn ich zndete mein Pfeifchen an und paffte munter drauflos.Das trug mir einen entrsteten Blick der alten Dame ein, die ihr Fen-ster ffnete und es mit einem starken Ruck herunterfallen lie, wh-rend den Offizier mein Anblick zu erheitern schien. Auf der nchstenStation stieg sie aus, und nicht lange darauf verlie auch der Leut-nant das Abteil; gleichzeitig entstiegen den Wagen der dritten Klasseeinige Gruppen Infanterie.

    Der Zug rollte dann noch kurze Zeit und hatte einen lngeren Auf-enthalt. Pltzlich durchscho mich der Gedanke, da hier vielleichtbereits die Grenze sei. Ich trat ans Fenster, und mein erster Blick fielauf zwei in grne Uniformen gekleidete Gendarmen, die an den Wa-gen entlangschlenderten. Von einem unwillkrlichen Schrecken er-fat, fuhr ich zurck das war nicht richtig, denn gleich darauf ff-nete sich die Tr, und die beiden traten in das Abteil ein.

    Der eine, der einen groen roten Vollbart trug, musterte mich undfragte mit einer schrecklichen Bastimme:

    Nun, wo wollen wir denn hin?Offenbar billigte er mir diese Mehrzahl zu, weil er im Zweifel war,

    ob ich schon mit Sie anzureden sei. Meine Antwort, die ich mir be-reits sorgfltig zurechtgelegt hatte, lautete:

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    Ich will nach Verdun zu einer bekannten Familie, bei der ich diefranzsische Sprache erlernen soll.

    Der Rotbart drehte sich nach seinem Kameraden um, dem ein gut-

    mtigeres Temperament innezuwohnen schien; dieser nickte undbegngte sich mit den Worten:Das gibts.Diese philosophische Sentenz schien jedoch den Rotbart nicht ganz

    zufriedenzustellen, denn er fragte, nachdem er sich prfend im Abteilumgesehen hatte:

    Was haben wir denn da in dem Rucksack drin? und schickte sichan, dieses mein einziges Gepckstck einer grndlichen Untersu-chung zu unterziehen.

    Diese Mglichkeit hatte ich freilich nicht bercksichtigt, und ichhielt meine Flucht bereits fr gescheitert, denn pltzlich fiel mir derscharf geladene Revolver ein. Allein ich hatte Glck, denn das erste,was er zu Gesicht bekam, war das groe Afrikabuch, das ihm schondurch seine Schwere zu imponieren schien, denn er wog es einenAugenblick in der Hand und legte es dann, ohne es zu ffnen, wiederzurck. Wahrscheinlich hielt er es fr ein franzsisches Lexikon undlie sich durch den gelehrten Anschein tuschen, obwohl er eigent-lich von Berufs wegen wissen mute, da im Menschen starke Ge-genstze verborgen sind und da man zuweilen auf unerwarteteDinge stt, wenn man sein Gepck bis zum Grunde untersucht. Je-denfalls schien ihn der Anblick des Buches von meiner Harmlosigkeitberzeugt zu haben, denn er legte die Hand an die Mtze, was erbeim Eintreten nicht getan hatte, und verabschiedete sich sogar mitden Worten:

    Ich wnsche Ihnen eine gute Fahrt.Ich hatte also im Laufe unserer kurzen Bekanntschaft gewonnen;

    htte er sich indessen etwas lnger mit meinem Rucksack beschftigt,so wrde er wohl mit ebenso groer Selbstverstndlichkeit und viel-leicht mit grerem Vergngen zum einfachen Du bergegangen

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    sein. Gleich darauf fuhr der Zug wieder an, und die Grenze lag hintermir.

    Das kleine Zwischenspiel schien Zuschauer gehabt zu haben; we-

    nigstens stieg gleich nach der Abfahrt ein Schaffner zu mir ein undmachte sich ber den Gendarmen lustig, indem er mit den Hndenber seine graue Bluse strich, als ob er dort einen groen Vollbartstreichelte. Von ihm vernahm ich die ersten franzsischen Stze undfreute mich, da ich sie dem Sinne nach verstand. Weniger erfreutwar ich ber das Einverstndnis, das er zwischen uns vorauszusetzenschien. Ich besa noch keine Vorstellung von dem Unterschiede, derzwischen den Gelsten der bermtigen und denen der Unterdrck-ten besteht, doch machte ich die Erfahrung, da man in demselben

    Mae, in dem man sich von der Autoritt entfernt, allerlei zweifelhaf-te Bundesgenossen gewinnt.

    In Verdun erfuhr ich gleich am Bahnhof aus der Inschrift einesDenkmals, die ich zu entziffern suchte, da ich mich in einer alten,berhmten Stadt befand. Auch hier waren die Straen schmal unddurch Festungsgrtel zusammengeschnrt. Auch hier flanierten Tau-sende von Soldaten sorglos auf und ab; dieser Anblick wirkte wie einSpiegelbild, das die Krfte jenseits der Grenze erst in ihre volle Be-deutung erhob. Der Gedanke, diese mchtigen Aufstellungen will-krlich der Quere nach durchschnitten zu haben, erhhte das Gefhlder Einsamkeit auf eine nicht unangenehme Art.

    Durch die Erfahrungen der vergangenen Nacht gewitzigt, sah ichmich nach einem Vertrauen erweckenden Gasthof um. Aus der Treines gerumigen Hauses, die Cloche dOr oder die Goldene Glockegenannt, leuchtete jener warme Schimmer, der dem Wanderer Gutesverspricht. Ich trat ein und wurde von einer rundlichen Wirtin emp-fangen, die mir ein Zimmer anwies, in dem ein mchtiges Himmel-

    bett stand. Nachdem ich die Wsche gewechselt hatte, stieg ich ineine kleine Gaststube hinab, wo einige junge Soldaten in tadellosenUniformen mit ihren Mdchen tafelten.

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    In dem Gefhl, den schwierigsten Teil meiner Flucht nunmehrberstanden zu haben, bestellte ich eine groe, zart gebrunte Ome-lette nebst einer Karaffe voll rotem Wein und trank mir zu. Der Wein

    schmeckte mir ich bemerkte, da ich in der Kunst des Trinkens,die letzten Endes auf eine innere Astronomie hinausluft, Fortschrittezu machen begann. Das hing wohl damit zusammen, da ich einesZusatzes bedrftig war, denn wenn man auf Abenteuer zieht, muman das volle Gegengewicht der Welt in sich tragen, die man erobernwill.

    In der Absicht, nun die letzte Nacht auf brgerliche Weise zuverbringen, suchte ich mein Lager auf. Es strte mich zunchst, daich nur ein Deckbett vorfand, das nicht viel grer als ein Kopfkissen

    war. Endlich entdeckte ich, da eine wollene Decke sinnreich um dieMatratze geschlungen war, so da, wenn man sich durch einenschmalen Spalt gezwngt hatte, man wie in einer warmen Taschegeborgen war.

    In dem Bewutsein, da mich hier kein Mensch auf der Welt ver-muten wrde, schlief ich ein wie ein Tier in seinem Nest.

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    Am nchsten Morgen begab ich mich gleich, nachdem ich eine groeTasse Milchkaffee getrunken hatte, in die Stadt.

    Ich gedachte, mich nach der Fremdenlegion zu erkundigen, undhatte mir sorgfltig einige Stze fr diese Frage prpariert, allein so-bald ich sie anwenden wollte, verschlo mir eine eigentmliche Ver-legenheit den Mund. Es kam mir vor, als ob ich die Brger, die hierihren friedlichen Geschften nachgingen, durch ein Anliegen er-

    schrecken wollte, das vllig auerhalb ihres Bereiches lag. Verschie-dene Male hielt ich einen von ihnen an, aber es war mir jedesmal, alsob ich im Begriffe stnde, mich nach dem Weg zum Monde zu er-kundigen. Ich begngte mich daher, nach irgendeinem Straennamen

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    zu fragen, an den ich mich gerade erinnerte, und holte mir auf dieseWeise eine Reihe von liebenswrdigen Ausknften ein. So flo derTag dahin, und als die Gaslaternen zu brennen begannen, kehrte ich

    in die Goldene Glocke wie in einen sicheren Schlupfwinkel zurck.Auch whrend des nchsten Tages fhlte ich mich auf dieselbeWeise befangen wie in einem magischen Kreis. Ich verbrachte ihn,indem ich die Kasernen und ffentlichen Gebude umstrich, um nachSchildern auszusphen, denn ich hatte die Vorstellung, da es einesgeben mute, auf dem etwa Eintritt zur Fremdenlegion stand. Allediese Erkundungen blieben jedoch ergebnislos. Der kalte Sprhregenbegann wieder zu fallen und hllte die Festung in graue Schleier ein.Ich verfiel in einen Zustand der Mutlosigkeit, der sich bis zu dem

    seltsamen Gedanken steigerte, da es ein Ding wie die Fremdenlegi-on vielleicht gar nicht gbe, sondern da es am Ende von den Zei-tungsschreibern erfunden sei.

    Die rundliche Wirtin hatte bereits eine frsorgliche Vorliebe frmich gefat. Auf dem Marmorkamin stand neben der in einem gl-sernen Gehuse tickenden Uhr ein groer Teller mit blauen Traubenund Pfirsichen. Ich hatte eine Art erfunden, den brennenden Leuchterauf den Bettpfosten zu stellen, whrend die Vorhnge dicht zugezo-gen waren, so da ich in dem Bett wie in einer erleuchteten Hhlelag. Auf diese Weise vor der Welt gesichert, sprach ich dem Obste zu,bltterte in dem groen Afrikabuch und steckte mir auch zuweileneine Pfeife an. Dabei dachte ich ber meine Lage nach.

    Der Rest des Schulgeldes betrug immer noch ber fnfzig Mark ich konnte also noch eine Reihe von Tagen auf diese unbestimmteund treibende Weise zubringen. Da ich fhlte, da der Besitz mich inmeiner Freiheit behinderte, beschlo ich, mich gleich in der Frheseiner zu entledigen wie einer Planke, die man von sich stt, wenn

    man schwimmen will. Auch nahm ich mir das Versprechen ab, denersten Polizisten, der mir begegnen wrde, anzuhalten, und bte mirdie ntigen Stze ein.

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    Nachdem ich am Morgen die bescheidene Zeche beglichen und mirvon der Wirtin eine gute Reise hatte wnschen lassen, brach ich mitfrischen Krften auf. Ich hatte vor, unverzglich ans Werk zu gehen.

    Meine Schritte fhrten mich zu den Markthallen, deren lebhafterMorgentrubel schon von weitem zu hren war. Vor den Blumenstn-den, die in allen Farben des Sptherbstes prunkten, machte ich halt.In der Gosse flo ein trbes Rinnsal entlang und trieb die Kpfe wel-ker Schnittblumen mit sich fort. Es mndete in ein Abflurohr, dasdurch einen eisernen Rost verschlossen war. Hier blieb ich stehenund zog das Pckchen hervor, das ich in der Goldenen Glocke vorbe-reitet hatte und das, in einen Zwanzigmarkschein eingewickelt, einkleines goldenes Zehnfrankenstck nebst einiger Scheidemnze ent-

    hielt. Es war so schmal, da es sich mhelos zwischen zwei Stbendes Rostes hindurchschieben lie.

    Nachdem die Opfergabe im schlammigen Abwasser verschwundenwar, richtete ich mich auf, und mein erster Blick fiel auf einen wohl-genhrten Polizisten, der als freundlicher Wchter zwischen den bun-ten Polstern der Astern und Dahlien stand. Er trug eine rote, goldbe-stickte Mtze und einen kurzen, schwarzen Radmantel, der ihm ls-sig nach hinten ber die Schulter fiel.

    Das mute wohl ein sichtbares Zeichen sein. Indem ich beschlo,die Sache jetzt unter allen Umstnden zum Ende zu bringen, schrittich unverzglich auf ihn zu.

    Verzeihung, mein Herr!Er drehte sich liebenswrdig nach mir um und machte mir Mut,

    fortzufahren, obwohl ich sogleich fhlte, da ich ins Stottern geriet:vlch bin ich wollte ich komme da von der Schule

    Ah, das ist sehr gut. Und Sie wollen sich sicher nach dem Kolleg

    erkundigen?Nein, aber ich wollte Sie um Auskunft bitten, wo man hier in die

    Fremdenlegion eintreten kann!

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    Ich hatte mich bemht, diesen Satz mit mglichst gleichgltigerStimme hervorzubringen, ungefhr so, wie man jemand um Feuerbittet: dennoch rief er eine erstaunliche Wirkung hervor. Unglubig-

    keit, Schrecken und dann ein gutmtiges Bedauern malten sich aufdem Gesicht des Beamten ab, der mich eine Weile lang wie erstarrtbetrachtete. Dann blickte er sich pltzlich vorsichtig um und fhrtemich am rmel in einen Winkel, der durch zwei aneinanderstoendeStnde gebildet war.

    Ecoutez! flsterte er mir mit einer sehr eindringlichen Stimme zuund fuhr dann nach einer kurzen Pause fort: Tun Sie doch so wasnicht! Das ist eine Sache fr Schnapphhne und Landstreicher. Au-erdem sind Sie noch viel zu jung; Sie werden da unten im heien

    Sande verrecken wie ein Hund. Setzen Sie sich sofort in die Bahn undfahren Sie zu Ihren Eltern zurck.

    Diese Art von Ermahnungen war gerade das, was ich befrchtethatte. Dennoch froh, endlich einen Punkt des Anschlusses gefundenzu haben, begngte ich mich, die Beschwrungen dieses seltsamenSchutzengels zuweilen strrisch mit dem Satze zu unterbrechen:

    Nein, nein ich will zur Fremdenlegion.Ja, aber wissen Sie denn nicht, da man Sie da drben brutalisie-

    ren und da man Sie fr einen lumpigen Sou am Tage nach Herzens-lust schikanieren wird?

    Das kmmert mich nicht. Ich gehe hin, weils mich hier anwidert.Mit einer gewissen Erleichterung bemerkte ich, da unser Ge-

    sprch, das bereits die Aufmerksamkeit der Marktfrauen erregte, denBeamten allmhlich wtend zu machen begann. Nachdem er michnoch einmal durchdringend gemustert hatte, sagte er mit vernder-tem Ton:

    Nun, gut. Wie Sie wollen. Ich bringe Sie zum Rekrutierungsbro.

    Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, begann er den Berg empor-zusteigen, der sich im Kern der Stadt erhebt und der seit Jahrhunder-ten eine verwitterte Zitadelle auf seinem Rcken trgt. Das Rekrutie-rungsbro lag in einem unscheinbaren Gebude, vor dessen Tor eini-

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    ge unbeschftigte Soldaten herumlungerten und an dem ich in denbeiden letzten Tagen wohl schon ein dutzendmal achtlos vorberge-gangen war.

    Wir traten ein, und der Polizist gebot mir, auf dem Flur zu warten,whrend er mit dienstlicher Miene hinter einer Tr verschwand. Ichbenutzte seine Abwesenheit, um aus dem kleinen Fenster zu blicken,das eine Aussicht auf die mchtige, von Schiescharten durchbroche-ne Mauer der Zitadelle erffnete.

    Whrend dieser Beschftigung fiel mir auf, da der Fensterrahmendicht mit Namen bekritzelt war. In eintniger Wiederholung war dazu lesen: Heinrich Mller, Essen, Fremdenlegionr. August Schuma-cher, Bremen, Fremdenlegionr. Josef Schmitt, Kln, Fremdenlegio-

    nr. Zuweilen war dem Namen auch eine kurze Mitteilung beige-fgt, etwa:

    Ich habe die Sache jetzt dick und gehe zur Legion, oder:Nach einjhriger Walze bin ich in Verdun angelangt und lasse

    mich anwerben.Diese Entdeckung hatte fr mich etwas Verdrieliches, wie immer,

    wenn wir whnen, da wir uns in eigenartigen Gebieten bewegen,und dann erfahren, da schon viele andere vor uns genau in dersel-ben Lage gewesen sind. Dennoch war ich gerade dabei, dieses selt-same Register der Taugenichtse aller Lnder, in deren Gesellschaftich nun eintreten sollte, auch um meinen Namen zu vermehren, alsder Polizist zurckkam und mich zum Eintritt in das Bro aufforder-te.

    Hier empfing mich ein Offizier mit weiem, aufgebrstetemSchnurrbart und kurzen, lebhaften Bewegungen. Aus seiner Anredemerkte ich gleich, da ich nun von der Verwaltung zum Militr ge-kommen und da man hier ber alle zivilistischen Bedenklichkeiten

    erhaben war. Er musterte mich wohlgeflligen Blickes und fragtedann, indem er mit dem Zeigefinger auf mich deutete, mit berufsm-igem Feuer:

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    Junger Mann, wie ich hre, wollen Sie nach Afrika. Haben Sie sichdas auch gut berlegt? Da unten schlgt man sich jeden Tag!

    Das war natrlich Balsam fr meine Ohren, und ich beeilte mich zu

    antworten, da ich auf der Suche nach dem gefhrlichen Leben sei.Das ist nicht bel. Sie werden sich auszeichnen. Ich gebe Ihnenjetzt eine Eintrittserklrung zur Unterschrift.

    Und indem er einem Stoe von Zetteln ein bedrucktes Formularentnahm, fgte er hinzu:

    Sie knnen sich ruhig einen neuen Namen aussuchen, wenn Siemit Ihrem alten nicht mehr zufrieden sind. Nach Papieren wird beiuns nicht gefragt.

    Obwohl ich von diesem Angebot nicht Gebrauch machte, gefiel es

    mir sehr, denn es stand im offenbaren Gegensatze zu allen Regeln derschulmeisterlichen Welt. Ich setzte daher mit groer Eile meinenNamen unter den Wisch, den zu lesen ich fr berflssig hielt, undbegngte mich, mein Alter um zwei Jahre zu erhhen. Wahrschein-lich unterschied ich mich darin in keiner Weise von meinen Vorgn-gern, deren Namen ich drauen an dem Fenster dieser so einfachkonstruierten Narrenfalle gelesen hatte, denn der Offizier nahmgleichgltig den Zettel, auf dem ich mich soeben zu einer fnfjhri-gen Dienstzeit verpflichtet hatte, zurck und legte ihn auf einen an-deren Sto.

    Nachdem er mir noch mitgeteilt hatte, da vor der Abreise in dasgelobte Land eine rztliche Untersuchung zu erledigen wre, rief ereinen der Soldaten herein und trug ihm auf, sich mit mir zu beschf-tigen.

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    Der Soldat, dem diese kurze Anweisung zu gengen schien, fhrtemich in eine Kaserne, die auerhalb der Tore lag. Hier brachte er

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    mich in einem kahlen Zimmer unter, an dessen Wnden eine Reihevon Feldbetten aufgestellt war.

    Da wir gerade um die Essenszeit ankamen, ging er in die Kche

    und kehrte mit einem tiefen Teller voll gekochtem Rindfleisch undeinem mit Fadennudeln gefllten Blechnapf zurck. Dann ver-schwand er und lie mich bei meinem einsamen Mahle, das ich nurzum kleinsten Teile zu bewltigen imstande war. Ich fand es rechtschmackhaft, obwohl es sich natrlich von den Omeletten der Golde-nen Glocke unterschied.

    In gewissen Abstnden erschien er wieder in der Tr, um einenBlick in den Raum zu werfen er war also offenbar als eine Art vonverantwortlichem Wchter angestellt. Da ich indessen mit meiner

    Lage ganz zufrieden war, strte mich das wenig; ich ergriff vielmehrvon einem der Feldbetten Besitz, um mich darauf auszustrecken, undgab mich der Freude ber den groen Fortschritt hin, der mir in mei-nem Unternehmen gelungen war. Ich war nun an einen Punkt ge-langt, an dem die Dinge sich aus sich selbst entwickelten, und ichempfand besonders den Streich mit dem Gelde als einen ersten Siegber den Zustand der tatenlosen Trumerei. Mit weit grerem Ge-nsse als gestern vertiefte ich mich wieder in mein Afrikabuch. Inwenigen Tagen schon wrde ich die Kste dieses groen Kontinentserblicken, jene Grenze, hinter der sich ohne Zweifel das eigentlicheund strkere Leben verbarg.

    Ich mochte wohl beim Lesen eingeschlafen sein, denn ich wurdepltzlich durch die Stimme des Soldaten erschreckt, der unbemerkteingetreten war.

    Eh, Kleiner, du langweilst dich wohl hier ganz allein? Ich hab dirda Gesellschaft mitgebracht!

    Diese Ankndigung galt einem blassen, mehr als schbig gekleide-

    ten jungen Menschen, der sich hinter ihm durch die Tr des bereitsdmmerigen Raumes schob.

    Ich begriff, da es sich hier wohl um einen jener unbekannten Ge-nossen handelte, deren Namen ich vorhin am Fensterkreuz studiert

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    hatte. Mit einem lebhaften Gefhl der Freude begrte ich die Aus-sicht auf eine Kameradschaft, die sich so unerwartet bot. An derWrme, mit der mir das Blut zum Herzen scho, merkte ich, da ich,

    mehr als ich ahnte, nach meiner heimlichen Wanderung der Gesell-schaft eines Menschen bedrftig war.Mit groer Spannung beobachtete ich daher jede Bewegung des

    Ankmmlings, der indessen von mir nur sehr oberflchlich Notiz zunehmen schien. Er sah sich sphend im Rume um wie ein Tier, dasin eine besondere Falle gegangen ist, bis sein Blick an dem Egeschirrhaftenblieb, das noch auf dem Tische stand. Nachdem er sich mehrdurch eine Geste als durch eine Frage vergewissert hatte, da ich kei-nen Anspruch mehr darauf erhob, machte er sich eilig darber her

    und verschlang die ungeheure Portion mit einer erstaunlichen Ge-schwindigkeit. Kaum hatte er sie bis auf den letzten Rest vertilgt, alser den Teller zurckschob und mit spttischem Lcheln murmelte:

    Pferdefleisch!Dann fragte er nach Zigaretten, und als ich ihm meinen Tabak an-

    geboten hatte, rollte er mit groer Geschicklichkeit eine Prise davonin Seidenpapier, von dem er ein schmutziges Pckchen aus der Ta-sche zog. Zum Rauchen streckte er sich auf eines der Betten aus, in-dem er sich ein mit Bindfaden umschnrtes Bndel als Kopfkissenunterschob, und machte in dieser Lage einige sprliche Mitteilungenber seine Person.

    Er hie Franke, war zwanzig Jahre alt, aus Dresden gebrtig undstellte sich als Keramiker vor.

    Keramik, so nennt man nmlich, wie er hinzufgte, die Kunst-tpferei, die in Dresden eine groe Innung besitzt.

    Es schien ihm aber bei den Tpfern nicht besonders gefallen zu ha-ben, denn bald war er seinem schsischen Meister davongelaufen,

    um auf den Landstraen auf Wanderschaft zu gehen. Seine Elternhatten ihn einige Male durch die Polizei wieder aufgreifen lassen,hatten dann aber, als sich das Spiel zu hufig wiederholte, die Hndevon ihm gezogen und ihm ein bses Ende prophezeit. Er war nun

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    schon das zweite Jahr unterwegs und hatte beschlossen, sich fr dieLegion anwerben zu lassen, weil er den Winter frchtete.

    In Dresden knnen sie mir den Buckel langrutschen, schlo er

    seinen Bericht, verhungern kann ich in Algier ebensogut.Diesen Bericht brachte er nach und nach, gewissermaen im Selbst-gesprch, hervor und schien auch wenig Wert darauf zu legen, daich ihn erwiderte. berhaupt gewann ich bald den Eindruck, da ersich um nichts kmmerte als um das, was zu seiner eigenen Person inengem und unmittelbarem Zusammenhang stand. Daher ging eineigentmlicher Hauch der Leere und Klte von ihm aus vielleichtwar das ziel- und planlose Umhertreiben auf der Landstrae der ein-zige Zustand, der seinem Wesen angemessen war. Ganz Afrika

    schien ihm nicht mehr zu bedeuten als eine Art von Winterherberge,und auf meine Anregung, welches Leben er denn dort unten zu fh-ren gedchte, ging er berhaupt nicht ein.

    Dagegen merkte ich bald, da er vor allem ber zwei Fragen gr-belte, auf die er das Gesprch immer wieder zu bringen suchte, ob-wohl ich sie ihm nicht zu beantworten imstande war. Die eine be-schftigte sich mit einem Handgeld, von dessen Hhe er sich phan-tastische Vorstellungen machte und von dem er aus irgendeinemGrunde annahm, da es unbedingt gleich morgen frh zu zahlen sei.

    Nicht weniger bedrckte ihn die Sorge, ob er morgen schon auf einPaar neue Stiefel Anspruch htte, und er wurde nicht mde zu fra-gen:

    Stiefel mssen sie mir doch geben die stehen mir doch zu?Meinst du nicht auch?

    Allerdings hatten seine Schuhe, mit denen er sich ohne weiteres insBett gelegt hatte, den letzten Grad der Hinflligkeit erreicht, den mansich vorstellen kann. Auf diese Weise unterhielten wir uns im Dun-

    keln noch geraume Zeit, bis uns der Schlaf berfiel.Als ich erwachte, sah ich, da Franke schon in aller Frhe ttig ge-

    wesen war. Er hatte bereits mit groer Findigkeit die Kchenverhlt-nisse erkundet und nicht nur Kaffee und ein langes Weibrot mitge-

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    bracht, sondern auch ein Pckchen Zigaretten zu erbeuten gewut,das er sorgfltig meinen Blicken entzog. Nachdem er wieder einigeBetrachtungen ber die Stiefel und das Handgeld angestellt hatte,

    zog er sich mrrisch auf sein Bett zurck, whrend ich von neuem inmeinem Buche bltterte.Unser schweigsames Zusammensein wurde bald durch den Eintritt

    eines hageren Burschen gestrt, der sich, nachdem er uns mitrauischgemustert hatte, auf eins der Betten warf und finster vor sich hinbr-tete, whrend er seine langen Beine ber die Pfosten hngen lie. Ermachte einen noch weniger geselligen Eindruck als Franke; groe,schwarz behaarte Fuste und das struppige Kopfhaar, das auf einerniedrigen Stirn die zusammengewachsenen Augenbrauen fast be-

    rhrte, gaben ihm ein Aussehen von urtmlicher Kraft. Dazu kam,da er vor einer innerlichen Wildheit fortwhrend zu zittern schien.

    Nachdem er ungefhr zwei Stunden auf diese Weise gebrtet hatte,erschreckte er uns pltzlich durch ein furchtbares Gebrll, indem eruns, aufspringend und einen Schemel in die Ecke schleudernd, an-herrschte, ob es denn gar nichts zu fressen gbe, in dieser Saubucht,der elenden. Wir beeilten uns, ihm zu berreichen, was von demWeibrot briggeblieben war, und sahen zu, wie er groe Scheiben inden Mund steckte, die er mit einem mchtigen Klappmesser herun-terschnitt. Whrend dieser Beschftigung taute er ein wenig auf undteilte uns mit, da er Reddinger hie. Er fgte eine dunkle Andeu-tung hinzu, aus der man sowohl schlieen konnte, da er bei Nachtund Nebel ber die Grenze gegangen war, als auch, da er Wert dar-auf legte, sich als einen vorzustellen, der vor nichts auf der Welt zu-rckschreckte.

    Franke schien ber die neue Gesellschaft wenig erfreut. Als ich amMittag mit ihm und unserem Soldaten zur Kche ging, um Essen zu

    holen, brummte er:Solche Kerle drften sie hier gar nicht nehmen. Das sieht doch

    jeder, was der auf dem Kerbholz hat!

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    Als ich ihn fragte, was er damit sagen wollte, sah er mich nur mitspttischen Blicken an.

    So verlief unsere Mahlzeit recht ungemtlich, um so mehr, als wir

    immer deutlicher merkten, da man Reddinger wie ein rohes Ei be-handeln mute, wenn man nicht einen neuen Wutanfall hervorrufenwollte. Er sa am Tische wie einer, der nur auf die Gelegenheit zueinem Totschlag wartete. Es wre wohl auch bald zwischen Frankeund ihm zu bsen Auftritten gekommen, wenn nicht inzwischen einvierter in unserem Bunde erschienen wre ein stmmiger, unter-setzter Bursch, der sich Paul Ekkehard nannte und gleich sehr munterins Zimmer trat.

    Er wies sich bald als Meister in allen mglichen und unmglichen

    Knsten aus und stattete sofort mit gewandter Zunge einen Berichtber seine bisherigen Schicksale ab. Er war eigentlich Schlosser, be-sa aber ebenso wie Franke einen starken Wandertrieb, und man hat-te ihn, nachdem er einige Male verschwunden war, in eine Frsorge-anstalt gesteckt. Dort hatte er sich bald zum Haupt einer Verschw-rung gemacht, und eines Tages, als alle Zglinge auf dem Hofe zumAppell angetreten waren, war er, wie er uns vorfhrte, mit lautemTtrt vor den Augen des erstarrten Personals mit einem DutzendGenossen ausgebrochen und einfach aus dem offenen Tore galop-piert.

    Auf seinen weiteren Irrfahrten hatte er sich einer wandernden Va-rietetruppe angeschlossen und dort den Posten des Parterre-Akrobaten versehen. Er erzhlte uns ferner, da er sich mit einigentchtigen Genossen seiner Bande verabredet htte, an verschiedenenOrten ber die Grenze zu gehen, um sich in Algier nach Abenteuernumzusehen.

    Und wenn es uns dort unten nicht pat, fgte er hinzu, dann

    hauen wir auf dieselbe Weise wieder ab!Die Art gefiel mir schon bedeutend besser als die trbe Klte Fran-

    kes und das halb wahnsinnige Benehmen des Reddinger. Sie zauberteauch gleich einen gewissen Gemeingeist hervor. Paul zog seine Jacke

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    aus und brachte, da er unter ihr einen rmellosen Trikot trug, einPaar mchtige Arme zum Vorschein, deren Muskeln er, vielleichtnicht ohne geheime Nebenabsicht, auf eine schlangenartige Weise

    spielen lie, wie man es vor den Zirkusbuden sieht. Besonders impo-nierte mir, da dabei eine auf den Bizeps ttowierte, ganz nackteDame sich so sinnreich mitbewegte, da sie den Bauchtanz auszufh-ren schien. Paul lie uns dann einige seiner Glanznummern bewun-dern, so die Brcke zwischen zwei Schemeln, den Salto ohne Sprung-brett und den Handstand auf einer Hand.

    Auch zog er eine Mundharmonika hervor und entlockte ihr sokunstreiche Melodien, da sogar unser Soldat, der seit dem Auftau-chen des frchterlichen Reddinger fast unsichtbar geworden war, den

    Kopf wieder zur Tr hereinzustecken begann. Man hatte den Ein-druck, da dieses Instrument seiner Natur in besonderer Weise ent-sprach, denn er hatte etwas stark Ausatmendes, Pausbackiges undgehrte damit wohl einem Schlage an, von dem das Volk zu sagenpflegt, da er auf die unangenehmen Dinge dieses Lebens pustet oderpfeift.

    Nachdem er sich so durch Kraft und Talente ein Ansehen geschaf-fen hatte, fing er an, uns auf den Zahn zu fhlen, wobei er Frankeziemlich verchtlich, mich wohlwollend und Reddinger mit Vorsichtbehandelte. Er mute aus einer Gegend des Rheinlandes stammen, inder das Andenken an den Schinderhannes noch ganz lebendig war,dessen er einige Male als eines groen und bekannten Helden Er-whnung tat. Ohne Zweifel besa er selbst etwas von dem Zeug, dasdamals zu einem tchtigen Ruberhauptmann ntig war.

    Spt schlich sich noch ein winziges Kerlchen namens Jakob herein,das einen recht erschpften Eindruck machte und sich sehr schch-tern und schweigsam verhielt. Paul nahm sich seiner an und sorgte

    dafr, da es noch etwas zu essen bekam. Halb im Einschlafen be-lauschte ich ein langes Gesprch zwischen den beiden, whrend des-sen Paul den kleinen Jakob geschickt zum Reden zu bringenverstand.

  • 7/24/2019 Ernst Jnger - Afrikanische Spiele

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    Kbes, begann er mit strenger Stimme, du willst also Maurer-lehrling sein? Es ist ja mglich, da du mal ein paar Wochen auf demBau herumgelungert hast. Aber gib vor allem zu, da du aus einer

    Frsorgeanstalt entsprungen bist! Das sieht man dir doch an der Na-senspitze an.Der Kleine gab das mit weinerlicher Stimme zu und erzhlte dann,

    etwas aufatmend, da er bis vor kurzem mit den Besitzern einerSchiffsschaukel auf den Jahrmrkten herumgezogen sei.

    Das sind Leute, die man Schockfreier nennt, unterbrach ihn Paul,der ber den Aufbau der fahrenden Welt bis in die Einzelheiten un-terrichtet schien, und die haben dir sicher allerhand Dinge beige-bracht?

    Ja, und deshalb hatte sich auch die Gesellschaft in der Nhe derGrenze pltzlich aufgelst. So hatte der, der das Geld kassierte, einenRing mit einem aufgelteten Fnfzigpfennigstck gehabt, den er ver-kehrt am Finger trug. Wenn nun etwa ein Dienstmdchen oder einKind eine Karte fr zehn Pfennig lste und mit einer Mark bezahlte,so zhlte er noch vier Groschen neben das aufgeltete Stck undschttete auf diese Weise statt neunzig Pfennigen nur vierzig aus derHand.

    Dieser kleine Zug mute Paul ein ganz auerordentliches Vergn-gen bereiten, denn ich hrte, wie er sich vor Lachen im Bette herum-wlzte. Er schien sich mit Jakob, mit dem er sich nun in eine geruh-same Unterhaltung ber die Freuden und Leiden der Landstrae zuvertiefen begann, brigens nicht ohne Grund, auf diese Weise zu be-schftigen.