erinnerungen an thomas mann, 1925–1955

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Page 1: ERINNERUNGEN AN THOMAS MANN, 1925–1955

ERINNERUNGEN AN THOMAS MA”, 1925-1955‘

VON IDA HERZ

IN seiner letzteii Rede, der Dankrede in Liibeck fur die Verleihung der Ehrenburgerschaft, am 21. Mai, sagte Thomas Mann: ‘Zu verwundern ist eigenhch, dass ich mir nicht noch mehr Unfreunde geniacht habe, sondern dass mein Schreiben und Treiben sich hier und drausseii in der Welt immer- hin so vie1 Freunde gewinnen, dass es ins Leben wirken, Biiiidnisse stiften und in allerlei Sprachen der Welt genug tun konnte.’

‘Freunde gewinnen - Bundnisse stiften’ - ich weiss nicht, ob es Ihnen so geht wie mir: wenn ich Menscheii treffe, die sein Werk lieben und sich zu ihm bekennen, fiihle ich micli mit ilmen in Freundschaft verbunden. Die Bewunderung des Werkes Thomas Manns schliesst eine bestimmte, eine verbindlithe Geistes-und Lebenshaltung ein; vor allem eine Verpflichtung zur reinen, freien, von Iiiteressen und Lcidenscliaften unabhingigen Wahrheit und zum aktiven Interesse ani Menschen, zu dem, was cr Humaiiitat naiinte. Seine Leidenschaft fur die Wahrheit war gepaart mit einer nervoseii Sensi- bilitat, die seinen Wahrheitssiiin bis ins Ausserste verfeinerte. ‘Die Walirheit leugnet man nicht, es konnte sein, dass sie einem lieber ist als das Szepter.’ - Sie war ihm lieber als das Szepter - um hretwilleii hat er die Heimat aufgegeben.

Im Riickblick erscheint mir mein Besuch in seiner Munchner Villa im Januar 1925 entscheidend fur die Eiitwicklung mciner Freundschaft mit ihm. Ich war damals zum 5 Uhrtee cingeladen. - Zuerst sprachen wir uber den Zuuberberg, der kurz vorher erschieiien war. Er schien ehrlich uber- rascht uber den grossen Erfolg des Werkes, von dem imnier iioch mehr Neudrucke hergestellt werden mussten. Es war bereits im 4oten Tausend. Dann erzahlte er mir, wie er beini Durchblattern des ersten gebundenen Exemplars, das Fischer ihm gesandt hatte, so tief ins Lesen geraten war, dass er - ‘wahrhaftig’ - nicht mehr aufhoren konnte. ‘So gcfesselt war ich!’ Er lachte herzlich und leichtc Selbstverspottung war durchzuliorm.

Frau Mann bemerkte, dass ich in Trauerkleidung war. Ich hatte vor wenigen Wochen meinen um mehrere Jahre alteren Bruder durch den Tod verloren. Ich sprach von den schweren seelischen Bedrangnissen der ersten Begegnung mit dem Erlebnis des Todes. Er verstand genau was nlich bedruckte und quake. Er sprach von dem Tod seines Vaters, der kaum einundfiinfzigjahrig starb, als er ein Junge von 16 Jahren war. Er syrach auch von dem Freitod seiner jiingsten Schwester und schilderte ihn m i r mit der bitter-peinvollen Ausfiihrlichkeit, wie er es viele Jalire sp6ter in seinem Dr. Faitstus getan hat. Der Tod seiner gelicbten Mutter lag iiur wenige Monate zuruck. Er wusste Bescheid, er war dem Tod oft begegnet in seiiiem

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Lcben, er kaiinte seine gefihrliche Faszination so gut wie das ratlose Erschrek- keii vor sciner unerbittlichen Endgultigkeit, er wusste das eigentumliche Vereinsamungsgefuhl, das er in uns hinterrisst, genau zu bezeichnen. - ‘Es ist immer dasselbe, es nutzt sich nicht ab’, sagte er wehmiitig.

In der mehr als dreissigjahrigen Freuiidschaft mit h i , habe ich ‘das ausserordeiitliche Wohlgefuhl’, das man an seiner Seite genoss, oft und tief empfunden; jenes ‘ausserordentlichc Wohlgefuhl’, das Joscph dcm Freunde Pharaos, Petepre, ‘immer aufs iieue zu erregen wusste und das dem Ver- trauen gleichkam, sci es dem in die eigene Person odcr in die dcs Dieners - auf das Vertrauen kommt’s an’. Ja, auf das Vertrauen kam es an. Es war begluckend, dass ich erfahren durfte, dass Thomas Maim Vertrauen zu mir hatte, wid in meinem Vertrauen zu ihm, wurde er mir vertraut.

Nicht lange nach jenem denkwurdigen B C S U C ~ kanien Wochen fast taglichen Zusammenseins mit ihm und seiner Familic. Ich hatte rnich erboten, Ordnung in seine in Unordnung geratcne Bibliothek zu bringen. Er war ratlos gewesen uber den niinmer enden wollenden Zustroin von Buchern, dcr scin Arbeitsziinmer uberflutete. Iiincrhalb der zum Teil etwas zufdligen Ansaninilung von Buchern gab es ciiiige kompaktc Abtcilungen. Zuni Beispiel eiiic sehr interessante Rcihe von Fricdrich-Literatur - Quellen- schriftcn, zeitgenossisch Pamphletisches und Panegyrisches - ursprunglich zusammengetragen fur den geplanten Friedrich-Roman, aus dem aber iiie etwas wurde. Es wurde dam schliesslicli wahrend des ersten Weltkriegs jencr heiss umstrittene Essay Friedrich und die grosse Kudition daraus, dieser brillante Wurf ps ychologischer Geschichtssclircibung .

Dann war da auch noch das riesige Arbeitsmaterial Zuni ZadwrGerg uiid es gab auch schoii Anfsnge eiiier spater sich wcit ausbrcitenden Sammlung agyptologischer Werke, alttestameiitarischer Konimcntarc, Talmudisches, grosse Bilderwcrke uber die alttestamentarischc Landschaft, usw. Es war das Arbeitsmaterial zuin Joseph-Roman.

Bei Tisch erzahlte er uns nianchnial aus den Biblischen Erzihlungcn des Ben Gorion, die er damals las. Dabei wurden dicsc kleinen, mit fast poesie- loser Sachlichkeit vorgetrageneii Bcgebenheiten uiiversehens zu kostbarcn Kleinodien Thomas Maim’scher humoristischer Erzahlkunst und Ironic. Er selbst lachte daruber am besten. Er lachte j a so gcrne, und wer es verstand, ihn zum Lachen zu bringen, konnte seiner Sympathic sicher sein. Man durfte es aber auch iiicht iibel nehmen, weim man selbst Gegenstand seiner Lachlust wurde. Das war manchmal ein wenig vcrwirrend, aber schliesslich freute man sich mit ihm ubcr den Spass und lachte licrzlich mit.

Wenn ich morgens zur verabredeteii Zeit aikam, hattc er sich meisteiis schoii in sein Arbeitszimnier zuruckgezogeii und wahrend ich in der Diele mit siencn Buchern beschaftigt war, sie in langen Reihen uiid hohen Haufeii in eine orgailisierte Ordnwig vertcilte, entstaiid hinter der hoheii Flugeltur,

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um die ich respektvoll ein Niemandsland gelassen hatte, das Werk. Ich arbeitete so still und geriuscldos wie moglich, aber Gott beliute, dass ich etwa auf Zehenspitzen gesclilichen ware und meiiie Bemuhungen, nich unhorbar zu machen, zu osteiitativ aufgetragcn hhtte. Das hitte ihn mehr gestort als das kleiiiere Ungluck, dass ein unachtsam zu hoch aufgeturmter Bucherhaufen mit Krach zusammeiisturzte. Er hasstc das Ostentative, wo er ihm begegnete.

Ich konnte bestimmt damit rechncn, dass er kurz bevor die Biedermeieruhr auf dem kleineii Ecktischclicn des Arbeitszimmers zwolf helle Schlhgc tat, aus der Ture trat, mir mit eiiiem freundlicheii ‘Guten Morgcn’ herzlich zunickte und eilig, zwei Stufeii auf einmal nehmcnd, uber die kleine geschwungene Treppe, nach oben verschwand, um sich im Badezimmer vor dem Spaziergang gruiidlich zu erfrischen. Auf diesen Mittagsspaziergingen, auf denen ihn immer der Hund bcgleitete, manchmal auch erstmalige Besucher, die ihn uin eiii Gesprlch gebeten hatten, stellten sich die harmlos- naturlichen Beziehungen zur alltiglichen Umgebuiig wieder her, und wenn er dann piinktlich urn halb zwei Uhr zur Mittagsmahlzcit zuruckkehrte, fugte er sich gern und leicht in den lebhaftcii Familieilkreis.

Es war eiii Vergnugen ihn a l s Hausvater an der Fanidientafel prisidieren zu sehen. Es war alles fast genau so, wie er es in Unordnung undfriihes Leid geschddert hat - aber nur jus t , wie man uberhaupt nie in den Fehler ver- fallen sollte, die offensichtlich autobiograpliischen Stellen seiner Biicher allzu autobiographisch zu nehmeii. Die dichterische Erfindung trifft sich da mit erlebter und gelebter Wirklichkeit auf eiiies Messers Schneide.

Meistens war er geselliger Stimmung bei Tisch, wenn es auch vorkam, dass er ‘marode’ war. Dam sass er mit nach iniien gekehrtem Blick und ass schweigend sein Mahl. Nahm er aber an den Gesprachen teil, so tat er es in der ihm eigentumlichen gelassenen, nachdenklichen, das Gehorte still rufenden Art. Oft ging es nur uni die Organisation seiner gesellschafi-

Lhen oder geschiftlichen Verpflichtungen, die er vollkommen seiner Frau uberliess. Bei ihr waren sie in bester Hand, sic verstand es, diese Verpflich- tungen so wenig belistigend fur hi zu machen, wie er nur wunschen konnte. Dem manchmal recht extremcn Geplauder der Grossen - Klaus und Erika, damals 19 und 20 Jahre alt - horte cr mit amiisierter Toleranz zu, mit der ‘loyalen Bescheidung und Selbstbeherrschung’, die, nach seiner Meinung, den Altfordern der herauf kommenden Jugend gegenuber ziemt. Er hatte Respekt vor der wahrheitsuchenden Rucksichtslosigkeit ihrer Gescheitlieit; er kehrte nienials die vaterliche Autoritat hervor. Die Kinder liebten h dafur mit Dankbarkcit und Verehrung. Adehnung, Rebellion, wie die Freunde sie ihren Eltern gegeniiber empfanden und ubten, verkehrte sich vor der Weisheit und Giite des Vaters in rohe Dummheit. Man koilnte seine milde Rucksicht nur mit zartester, liebevollster Rucksicht erwidern.

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Vielleicht hftte Thomas Mann nie so uberzeugend fur unseres Herzens Bangigkeit die eigensinnige, gefuhlvolle, unbeherrschte Vorliebe Jaakobs fur den Schonen, den Liebreizenden und Erzgescheiten Jose h erzahlend zum Leben erwecken konnen, hftte etwas von diesem gefdvollen Eigensinn nicht auch in seinem Herzen gewohnt. Er ubte ihn mit Massen, und doch immerhm etwas iibermissig, im eigenen Familienkreis. Erika und Elisabeth - das Kindchen - waren die auserkorenen Lieblmge und als solche von den Geschwistern anerkannt, wenn auch nicht ohne den bitteren, stechenden Schmerz der Eifersucht. ‘Ich muss mit ihm einmal davon sprechen’, sagte ich zu mir selber. ‘Ein Mann mit seinen psychologischen Einsichten, er sollte das doch nicht tun!’ Wissen Sie, was er mir antwortete als ich mir eines Tages herausnahm, hn daruber zur Rede zu stellenz ‘Wcnn man sechs Kinder hat, kann man sie nicht alle gleich gern haben.’ Damit war es fiir ihn abgetan und ich stand etwas ratlos da. Es entsprach nicht ganz der Vorstellung, die ich von Thomas Mann, dem Dichter und grossen Psycho- logen, hatte, der so gut Bescheid wusste uber die geheimen Quellen des Ressentiments - ivie konnte er so seinz Ich erschrak ein wenig, aber auch mit geheimer Freude, duss er so sein konnte - mein Bild von ihm wurde lebensvoller .

Er liebte Feste und feierte sie, wie sie fielen. Kein Gcburtstag wurde aus elassen, der Hochzeitstag, und ganz besonders Wcihnachten wurden festfiich begangen. Es gab einen vom Boden bis zur Decke reichenden Lichterbaum mit vielen bunten Wachskerzen - er hatte niemals anderes als Kerzedcht fur seinen Weihnachtsbaum - es fl immerte marchcnhafter und duftete so gut, es verlieh den vielen neuen und schmucken Dingen mit seinem flackernden Schein einen eigentumlich iiberirdischen Zauber . Nach der Zeremonie der Beschenkung ging man in den Esssaal, wo Kerzen in silbernen Empireleuchtern mildes Licht auf den scliweren, schimmernden Damast streuten und sich im goldgeranderten Porzellan und Kristall verviel- faltigten. Er sprach mir herzlich zu, von den guten Dingen reichlich zu nehmen und war freigiebig mit dem schweren dunkelroten Wein, der mir den Kopf schnell erhitzte, woruber er sich ostentativ und amusiert wunderte. Spater gab es dann noch prickelnden Sekt. Er liebte Sekt ubei alles; zu einem richtigen Fest gehorte Champagner. Wenn es vorkam, dass eines der Kinder beim Fest fehlcn musste- wie wahrend des Krieges, als Klaus und Golo bei der Army waren und Erika sich als Kriegskorrespondentin irgendwo in Europa oder Afrika - man wusste nie genau wo - herumtrieb - so war er entthscht uber die Beeintrachtigung der heiteren Feststimmung. Mit bewegter Freude berichtetc er mir aus Californien im Jahre 1 9 4 : ‘Wir hatten ein rechtes Kinderweihnachten wie es im Buche stcht, denn zu den italienischen Enkeln waren auch die Schwyzer hinzugekommen und so gab es vier Paar von Lichterschein und Geschenken geblendeter Augen, und das

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Living room ist eine Spielzeugwuste, man wird grundljch aufraumen mussen.’

Alles zu seiner Zeit - Feste und Arbeit - ‘man wird grundlich aufraumen mussen’, damit der arbeitsame Alltag wieder zu seinem Recht kommen kann.

Leben ohne Arbeit war fur h undenkbar. Noch bevor das ‘Finis’ unter die letzte Zeile des Manuskripts gesetzt war, mussten neue Werkplane bereitstehen, und sie waren auch immer bereit, nur waren sie, wie er ja selbst wiederholt erzahlt, viel bescheidener als sie sich dann ‘unter der Hand’ ausbreiteten.

Wenn er ein Kapitel abgeschlossen liatte, las er es gern im Familienkreis und intimen Freunden vor. Dann brannte im Arbeitszimmer nur die Leselampe. Er machte es sich im Lehnstuhl, der noch aus dem Lubecker Elternhaus stammte, bequem, sah uns erwartungsvoll an, rausperte sich und begann. Der Alltag versank, ‘das Fest der Erzhlung’ hob Raum und Zeit bis zur Vergessenheit auf.

Im Herbst 1932 besuchte ich h zum letzten Mal in seinem schonen Miinchner Heim. Es war kurz nach seinem beriihmten Appell an die Vernunft, den er im uberfullten Beethovensaal in Berlin, unbeirrt und furchtlos unter dem wusten Gejohle abgeordneter nationalsozialistischer Rohlinge zu Ende las. Gewarnt von Freunden und der Polizei, verliess er, unter der kundigen Fuhrung Bruno Walters, den Saalbau uber dunkle Treppen und Hofe, durch einen Nebenausgang.

Er hatte das Kommende fruher erkannt als die Meisten; er hat tiefer darunter gelitten, er hat sich fast allein gegen den ‘gewissenlosen, um sich greifenden Unfug’ - dies sind seine eigenen Wotte - gestellt, und ging dann fast a l s einziger von allen deutschen Dichtern und Schriftstellern, freiwillig ins E d .

Nach vielfachen Wanderungen hat er im Oktober 1933 in Kusnacht am Ziirichsee ein mobliertes Haus gemietet. ‘Indem ich das Experiment der Niederlassung dort mache’, schrieb er mir, ‘suche ich das mir Naturlichste und Gemasseste an Kulturboden und -Luft . . .’ Im Fruhjahr 1934 lud er mich zu einem ‘Besuch im Freien’ ein. Ich fand ihn sehr viel magerer geworden, um Mund und Augen lag ein tiefer Leidenszug.

Die Sorge um Deutschland, um individuelle Gescliicke in Deutschland, war das immer wiederkehrende Gesprfch. Aber naturlich erzahlte er mir auch vom Werk.

Fur den letzten Abend vor meiner Abreise hatte er schon vorher liebevoll beschlossen, mir mit einer Vorlesung uber den Abschiedsschmerz hinweg- zuhelfen. Er hatte gerade das Kapitel ‘Die Feste Zel’ ausJoseph in Agypten abgeschlossen. Die grossartige und szenisch so ungeheuer eindrucksvolk Erzahlung von Josephs und der Ismaeliter Edass in agyptisches Reichsgebiet

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war fur mich unter meinen damaligen Umstinden von einer fast aggressiven Aktualitit. Wie der Festungshauptmaim die Eiiilasss begehrenden Fremd- linge ausfragt:

Vor allem wisst ihr zu leben? Ich meine: habt ihr zii essen und konnt so oder so fur euch aufkommen, dass ihr nicht deni Staat zur Last fallt oder zu stehien gezwungen seid? 1st aber ersteres der Fall, wo ist dann euer Ausweis dariiber und das schriftliche Unterpfand, dass ihr zu leben wisst? Habt ihr Briefc an einen Burger der Lander? Dann her damit. Sonst aber gibt’s nichts anderes als Umkehr.

Das nachste Jahr war ich wieder Gast fiir einige Tage und ini Herbst dessel- ben Jalires kam ich als Fliichtling zu ilim, mit nichts als einem Handkoffer- chen, in dem neben personlichen Unerlasslichkeiten, die beidcii inzwischen erschienenen Bande des Joseph-Romans am meisten Platz einnahmen. Durch seine wertvolle Fursprache fand ich bald Arbeit in dem tapferen, antinational- sozialistischen Verlag des Dr. Emil Oprecht. Wahrcnd dieser Moiiate war ich oft Mittags- oder auch Abendgast der treuen, hilfrciclien Freunde. Ini S itherbst 1936 bekam ich dann das Permit fur England. Er betrachete das

land ist doch nicht aus der Welt. Sie werden hierhcrkommcn und wir kommen nach London’, trostete er mich als ich beiden mit nasseii Augen aus dem Coupdfenster die Hand zum Abschied reichte.

Er liess micli nicht im Stich. Er schrieb mir schone Briefe, voll erinuti- genden ,Zuspruchs und hielt mich uber sein Tun und Treibeii auf dem Laiifenden.

Ein Gliicksfall - eine Englinderin suchte einc deutschsprechen dc Reisebegleiterin in die Schwciz. Ich beknin die Stellung. Beglucktes Wieder- sehen !, doch rcclit beeintrachtigt durcli sejn schlechtes Befinden. Eine schwere Entzundung des Ischasncrven machte Tage und Nachte zur reissen- den Qual. Aber die Arbeit ruhte deshalb nicht. Seiii Kunstfleiss erzwang das Werk Lotte in Writnor.

1938 - Ruf an die UniveIsitat Princeton. Ein lieber Freund schenkte mir die Reise nach Southampton, wo der hollandischc Dampfer, die ‘New Amsterdam’ zum letzten Mal anlegte. Es waren die furchtbaien Tage der Tschechenkrisc. Man hielt den Krieg fiir wahrscheinlich. Thomas Mann glaubte nicht daran. ‘England wird die klciiie Tschechei opfern, wenn es damit einen Krieg vermeiden kann.’ Er sagte das nicht etwa, um meine panische Angst vor dcm Krieg zu beruliigcn - cr sagte es bitter - ‘man tut was man kann uni das Lebeii diescr Bcstien zu verlangern’.

1939 letzter Europabesucli vor dem Kricg. Thomas Mann rief mich nach Ankunft vom Hotel aus an. Ich arrangierte ciiicn klcinen Empfang fur ihn mit meinen Freundenvom Warburg Institute, wo ich damals arbeitete. In deni

a P s einen guten Schritt vorwarts; mir war nur abschiedselend zumute. ‘Eng-

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Kreis von Historikern und Kunsthistorikern war das gegebene Thema sein Joseph-Roman. Ganz friih am andern Morgen ging das Telefon. Frau Katias Stimme: ‘Haben Sie die Zeitung gesehen? Nein? Dcutschland und Russland haben einen Nichtaiigriffspakt geschlossen. Das macht den Krieg soviel wie sicher.’ Nachmittags ging ich wieder ins Hotel. Wir waren alle sehr verstort. Sehr schwerer Abschied. Warend Frau Mann niit direr Tochter Monika und ihrem Schwiegersohn spracli, ging Thomas Maim langsam auf dem B a h steig mit auf und ab. ‘Wellti alles vorbei ist, kommen wir wieder, in eine hoffentlich gereinigte europaische Luft.’

Die folgenden acht Jahre Briefc, nur Briefe; schone, ruhrende, interessante Briefe. Am 9. Mai 1943 erstmalige Erwahiiung des Dr. Faustus: ‘Ich habe beschlossen dem Krieg noch einen niassig unfangreichen Roman lang Zeit zu geben . , .’ Die europaische deutsche Ausgabe erschien im Herbst 1947. Im Friihjahr vorher kam er zum ersten Ma1 seit Bcendigung des Krieges wieder nach Europa und fur cinige Tage nach London. Es war ein herzerquickendes Wiedersehen. Er war mitteilsam, erzahlte von seiner Arbeit, dem seltsamen entburdeten Gefuhl nach Beendigung des Fausttls, von den Kindern und Enkeln und von den teilweise recht merkwurdigen, seltsam fremdartig anmutenden Briefen, die er jetzt manchmal von deutschen Kriegsgefangenen aus Amerikanischen Lagern bekam. Er wolltc aber auch geiiau wissen, wie sich denn mein Leben seit dem Elide des Krieges gestalte, ob meiiie britische Staatsangehorigkeit Erleichterungen mit sich gebracht habe und er war riihrend besorgt, wie ich denn durch die knappen Zeiten kame.

Sein Vortrag in der Londoner Universitat ‘Nietzsches Philosoyhie im Lichte unserer Erfahrung’ wurde zu einem grossen Ereignis. Er war iiberrascht, j a tief ergriffen uber die Sympathiekuiidgebungeii, die man ihm bereitete. Durch sein mutiges Einstehen gegen dcii Nationalsozialismus hatte er sich die Bewunderung und Hochachtung aller Feinde der Barbarei erobert. ‘This great humanist, who has foreseen many things that other men have failed to see, who has suffered much for his beliefs and who has had the tragic experience of seeing his gloomiest propliecics fulfilled’, schrieb Harold Nicolson im Spectator.

Damah ging er nicht nach Deutschland. Diese Tatsache und der von deli Deutschen willentlich oder unwillciitlich missverstandene Nietzsche-Vor- trag, hatten dort eine Flut von bitteren, ungerechten Kommentareii erregt, deren hemmungslose Aggressivitat und Bosartigkeit ihn beangstigend an die nationalsozialistischen Erfahrungen erinnerten und ihn tief erschreckten.

Dass er trotzdem im Jahre 1949 zu den Goethefeiern nach Deutschland ging, hat man ihm dort wenig gedankt. Die westdeutsche Presse, und nicht nur die Presse, verdachtigte und beschimpfte ilm als Konimunisten, weil er die Einladung der ostdeutschen Regierung zur Teilnahme an der Weimarer Goethefeier aiigenommen hatte. Thomas Mann erschein es absurd, Goethe

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in Deutschland zu feiern und Weimar dabei zu ignorieren. Dort warteten doch auch Freunde auf sein persoiiliches Wort und Erscheinen und hatten es vielleicht notiger, gerade wed sie unter dem ideellen und moralischen Druck einer Diktatur lebten.

Vorher hatte er diese Goethe-Rede in englischer Sprache in vielen Stadten der Vereinigten Staaten und im Senate House der Universitat London gehalten. Oxford verlieh ihm im gleichen Jahr den Ehrendoktor. Fur den 13. Mai war eine besondere Zeremonie in der School of Divinity anberaumt worden, da Thomas Mann der allgemeinen Convocation nicht hatte beiwohnen konnen. Am Abend fmd d a m in einem beangstigend uberfull- ten Sad des Taylorian Institute seine Goethe-Rede in deutscher Sprache statt. Der herzliche Empfang in London und Oxford war fur Ihn eine grosse Freude, ja Uberraschung, besonders im Hinblick auf den kalten Empfang, den die ofizielle englische Kritik fast allen seinen Produktionen entgegenzubringen pflegte. ‘Ich habe verkehrter Weise kein Gluck in Eng- land, gerade dort nicht’, schrieb er mir als die englische Presse seine kleine Roman-Legende Der Erzuiihlte gelegentlich des Erscheinens der englischen ijbersetzung, wieder einmal ganz besonders schmlhlich behandelt hatte. ‘Etwas Sin f6r Humor gehort zum Lesen des “Erwahlten” und dass dieser Sinn gerade in England versagt, ist enttiuschend.’

Als er zu den diesjhrigen Schillerfeiern von beiden Regierungen - der west- und der ostdeutschen - eingeladen wurde, waren Haltung und Stimmung in den beiden Sektoren auffallend verandert. Der Osten sandte ofizielle Vertreter dafur nach dem Westen und umgekehrt. Diese begriis- senswerte Entwicklung ist bestimmt dem ausgleichend-versohnlichen Einfluss Thomas Manns zuzuschreiben. Der bekannte franzosische Ger- manist Jean Schlumberger sagte in seinem Nachruf im Figuro Litteruire: ‘On fera demain le bilan de la perte que la mort de Thomas Mann reprisente pour les Icttres. Pour aujourd’hui dam I’imm&diat, c’est par l’interruption de son action mhdiutre que sa disparition inflige i 1’Europe la plus sensible blessure.’

Sein Wunsch, sich wieder auf europfischen Boden niederzulassen, wuchs mit den Jahren zum festen Entschluss. 1953 mietete er in Erlenbach fur ein Jahr ein mobliertes Haus hoch uber dem Zurichsee, mit einem prachtigen slick uber die Schneegipfel der Glarner Berge. hzwischen sollte nach einem passenden Haus, das man erwerben konnte, Ausscliau gehalten werden.

Er kam auch wieder zu einem kurzen Besuch hierher, um den Ehrendoktor der Universitat Cambridge in Empfang zu nehmen. Es war gerade whrend der Kronungstage. Er bat mich, fur ihn, seine Frau und Erika im Savoy ein Appartement zu mieten. Das war doch ganz aussichtslos! Aber nein, man machte fur den erlesenen Gast Platz. In Cambridge traf er, zur gegen- seitigen Freude, den Indischen Prime Minister Pandit Nehru, der gleich-

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zeitig mit h m den Ehrendoktorhut empfmg. Nehru hatte einige Jahre vorher, als er zu einer politischen Konferenz in San Francisco war, Thomas Mann um ein Zusammentreffen gebeten und die beiden grossen Minner hatten in h e m etwa einstuiidigen Gesprach manchen gemeinsamen Ideen- grund .gefunden.

Trotz der Uberfullung seines kurzen englischen Aufenthalts, schenkte er mir die grosse Freude, den Nachmittag seines 78. Geburtstags bei mir, in meiner bescheidenen Behausung, zu verbringen. Icli bat ein paar Freunde, deren grosse Verehrung fur Thomas Mann ich kannte, mir zu helfen, diese besonderen Stunden so festlich wie moglich zu gestalten. Seine naive Freude an meinen kleinen Geschenken, seine bescheidene und herzliche Freundlich- keit, losten schnell jede Spannung oder Befangenheit, die vielleicht vorhan- den gewesen sein mochte.

Im darauffolgenden Sommer besuchte ich ihn im Erlenbacher Haus. Er mochte es nicht. Er klagte, dass sein Arbeitszimmer zu klein sei, dass die engen Wande Ihn bedruckten und dass man uberhaupt zu dicht beisammen lebe. Das machte ihn nervos und, ganz entgegen seiner rucksichtsvollen Natur, reizbar. Ich war besorgt, ob nicht am Ende organische Grunde, ihm selbst noch unbekannt, die Ursache dafur waren; aber seine Frau beruhigte mich.

Trotz all dem beschenkte er mich wieder mit einer intimen Vorlesung. Er las die bezaubernde Episode, wie Felix Krull das verwiihnte Zwillings- paar auf dem Hotelbalkon von der Strasse aus beobachtet wid die mit der zarten Betrachtung uber die ‘wundersame Bewandtnis’ des menschhchen Auges schliesst. Es folgte dam noch die kostliche, humorvolle Szene in der Hinterstube des Uhrmacherladens in der abgelegeneii Rue de l’Echelle au Ciel, wo K r d sein mit fast unschuldiger Zupilligkeit erhaschtes Diebesgut, in bare Munze umzuwandeln sucht und in der seine spielerisch-begeisterte Gerissenheit, im Duel1 mit der nichts als berufsmassigen Gerissenheit des Pariser Althandlers sich in geschiftlicher Hinsicht zwar unzureichend, aber in Hinsicht auf seine hochstaplerische Lauf bahn desto verheissungsvoller bewahrte. Keine noch so unscheinbare - allerdings nur scheinbar-un- scheinbare - Einzelheit ging in der, die dramatischen und erzihlerischen Werte kunstbewusst abwagenden Vorlesung verloren.

Bei meinem Besuch in Glchberg, im Sommer 1954, fand ich ihn in vie1 besserer nervlicher Verfassung. Er sah frisch und, wie immer, um Jahre jiinger aus. In intimen Gesprachen sprach er oft mit mir uber seinen Tod. Es war, als wollte er mir schonend beibringen, dass ich anfangen sollte, ihn in Betracht zu ziehen. Sein ungebrochener Werkwille, seine lebendige Teihahme ani Weltgeschehen, sein treues Interesse an meinen unbedeuten- den Sorgen, wiesen den Gedanken daran, trotz seines hohen Alters, in eine fernere Zukunft, die ins Auge zu fassen, ich nicht den Mut hatte. Schwer

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wurde mir der Abschied von ihm, wie immer. Er mochte das nicht. In ele ant zusammengefasster Haltung druckte er mir die Hand: ‘Nun denn, au B Wiedersehen iibers Jahr! Es ist ja gar nicht mehr weit hin.’

Er musste im Schlaf dahingehen, denn wach hitte seine Gute nicht ver- mocht, uns diesen unfassbaren Schmerz zuzufugen.

ANMBRKUNG

An address delivered to the ‘Club 1943’ on November lst , rc)SS.