erinnerungen an erich trefftz

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ZEITSCHRIFT FUR ANGEWANDTE MATHEMATIK UND MECHANIK INGENIEURWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSARBEITEN Band 42 September Heft 9 '-1 us llnlap der 25. Il'iederkehr des Todestages ihres ehernuligen Ordinariits fiir Technische ,Ilechanik, Prof. Dr. Dr.-Iny. E. h. Erich Trefftz, ueran- staltete die Fakidtiit fiir illathematik itnd n;atiirwissenschaften der Tech- nischen Cniuersitiit Dresden urn 2. 6. 1962 eine Feierstrtnde, die dern An- denken dieses hervorragenden Gelehrten gewidrnet war. Einer Einladung der Fakidtiit folgend enfmarf bei dieserGelegenheif Herr Prof. Dr. C. B. Biezeno, Delft, ein Bild uon der Personlichkeit E r i c h l'refffz', das wegen seiner Eindringlichkeit den Lesern iinserer von 1933 bis 1937 von Tr efflz heraits- ge(1ebenen Zeitschrift nichl uorenthalten werden soll. Beziiglich des wissenschnftlichen Werlies, das in zwei Vortriigen der Herren Professoren Dr. hT. J. Lehtnnnn, Dresden, und Dr. K. Afarguerre, Darrnstadt, qewiirdigt wiirde, wird aitf die aitsfiihrliche Darstellung in Band 18 (1.938), S. 1-11, dieser Zeitschrift: ,,Das wissenschaftliche Werk uon Erich Trefftz" uon K. Graminel uerwiesen. Die abgebildete Portriitbiiste ist irn Willers-Bau der Technischen Universi- tat Dresden aufgcstellt worden. ZdMllI 42 (1962) Heft 9, Seite SIX--37% Erinnerungen an Erich Tre f f tz Von C. BIEZENO Die Ehre, welche meiner Frau und mir durch Teilnalime an dieser pietatvollen Feier zuteil wirtl, wird dadurcli noch erhoht, dal3 ich gebeten worden bin, niit einigen Worten von der Freund- schaft und Achtung zu zeugen, die riiich niit iiieineni b'reund ERICH TREFFTZ verbunden liaben. Der Zogerung, welche icli anfanglich enipfand, dieser Aufforderung Folge zu leisten, da ich fiirclite- tete ihr nicht gebiihrend nachkommen zu konnen, ist von Frau TREFFTZ nachdriicklicli entgegeri- getreten worden, und so fiihle ich inicli wenigstens von ihr gescliiitzt, wenn ich jetzt versuclie, in schlicliteii Worten etwas von dem Menschen zu erzalilen, (lessen grol3e wissenschaftliche 13e- deutung in so eindrucksvoller und fiir die konirnende Zeit in bleibender Weise von der Dresdener 'l'echnischen Universitat geehrt wird. AIeine Skizze umspannt nur eirien verhaltnisniaI3ig kleinen, wenn aucli vielleiclit den wich- ligsten Teil von TREFFTZ' Leben; lernte ich ihn doch erst 1924 kennen, als der erste Internationale KongreB fur Technische Meclianik zu Delft abgehalten wurde. Dieser fand statt in einer Zeit, wo international denkende Wissenscliaftler sich intensiv nach Austausch ilirer Ideen und Arbeiten sehnten, und so ninimt es nicht \Vunder, daI3 aucli TILEFFTZ, der von dem ersten Weltkrieg seelisch stark rnitgenommen worden war, sich zu denen gesellte, die, befreit voii der Agonie der ver- gangenen Jahre, hofften, in einem nicht direkt von deni Kriege getroffenen Land irn freien Verkehr Kontakte zu legen, die jalirelang grausam zerstort oder unmoglicli gemacht worden waren. Mit Geriugtuung kann nach so vielen Jahren fcstgestellt werden, daI3 diese Hoffnung voll in Erfiillung ging und da13 selbst die zweite Weltkataslrophe die vielseitigen Verbindungen, die in Delft ZU- stande kamen, nicht zu zerstoreii imstande geweseri ist. Von den Errungenscliafteii jenes ersten Delfter Kongresses betrachte icli die dorl gemaclite Bekanntscliaft mit TREFFTZ, fur micli personlich, als eine der wichtigsten. Natiirlicli war diese zunachst, wie konnte es anders sein, eine verhaltnismaI3ig oberflacliliche. Sie entstanimte wissen- schaftlicli nicht eineni von r h m m z gehaltenen Vorlrag, denn obwohl er sicherlich aus Seinem 2G

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Page 1: Erinnerungen an Erich Trefftz

ZEITSCHRIFT FUR ANGEWANDTE MATHEMATIK UND MECHANIK INGENIEURWISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSARBEITEN Band 42 September Heft 9

'-1 us l ln lap der 25. Il'iederkehr des Todestages ihres ehernuligen Ordinariits fiir Technische ,Ilechanik, Prof. Dr. Dr.-Iny. E . h. E r i c h T r e f f t z , ueran- staltete die Fakidtiit fiir illathematik itnd n;atiirwissenschaften der Tech- nischen Cniuersitiit Dresden urn 2. 6. 1962 eine Feierstrtnde, die dern An- denken dieses hervorragenden Gelehrten gewidrnet war. Einer Einladung der Fakidtiit folgend enfmarf bei dieserGelegenheif Herr Prof. D r . C . B. B i e z e n o , Delft, ein Bi ld uon der Personlichkeit E r i c h l ' r e f f f z ' , das wegen seiner Eindringlichkeit den Lesern iinserer von 1933 bis 1937 von T r e f f l z heraits- ge(1ebenen Zeitschrift nichl uorenthalten werden soll.

Beziiglich des wissenschnftlichen Werlies, das i n zwei Vortriigen der Herren Professoren Dr. hT. J . Lehtnnnn, Dresden, und Dr. K . A f a r g u e r r e , Darrnstadt, qewiirdigt wiirde, wird aitf die aitsfiihrliche Darstellung i n Band 18 (1.938), S. 1-11, dieser Zeitschrift: ,,Das wissenschaftliche Werk uon Erich Trefftz" uon K. G r a m i n e l uerwiesen.

D i e abgebildete Portriitbiiste ist irn Wil lers-Bau der Technischen Universi- tat Dresden aufgcstellt worden.

ZdMllI 42 (1962) Heft 9, Seite SIX--37%

Erinnerungen an Erich Tr e f f tz Von C. BIEZENO

Die Ehre, welche meiner Frau und mir durch Teilnalime an dieser pietatvollen Feier zuteil wirtl, wird dadurcli noch erhoht, dal3 ich gebeten worden bin, niit einigen Worten von der Freund- schaft und Achtung zu zeugen, die riiich niit iiieineni b'reund ERICH TREFFTZ verbunden liaben. Der Zogerung, welche icli anfanglich enipfand, dieser Aufforderung Folge zu leisten, da ich fiirclite- tete ihr nicht gebiihrend nachkommen zu konnen, ist von Frau TREFFTZ nachdriicklicli entgegeri- getreten worden, und so fiihle ich inicli wenigstens von ihr gescliiitzt, wenn ich jetzt versuclie, in schlicliteii Worten etwas von dem M e n s c h e n zu erzalilen, (lessen grol3e w i s s e n s c h a f t l i c h e 13e- deutung in so eindrucksvoller und fiir die konirnende Zeit in bleibender Weise von der Dresdener 'l'echnischen Universitat geehrt wird.

AIeine Skizze umspannt nur eirien verhaltnisniaI3ig kleinen, wenn aucli vielleiclit den wich- ligsten Teil von TREFFTZ' Leben; lernte ich ihn doch erst 1924 kennen, als der erste Internationale KongreB fur Technische Meclianik zu Delft abgehalten wurde. Dieser fand s ta t t in einer Zeit, wo international denkende Wissenscliaftler sich intensiv nach Austausch ilirer Ideen und Arbeiten sehnten, und so ninimt es nicht \Vunder, daI3 aucli TILEFFTZ, der von dem ersten Weltkrieg seelisch stark rnitgenommen worden war, sich z u denen gesellte, die, befreit voii der Agonie der ver- gangenen Jahre, hofften, in einem nicht direkt von deni Kriege getroffenen Land irn freien Verkehr Kontakte zu legen, die jalirelang grausam zerstort oder unmoglicli gemacht worden waren. Mit Geriugtuung kann nach so vielen Jahren fcstgestellt werden, daI3 diese Hoffnung voll in Erfiillung ging und da13 selbst die zweite Weltkataslrophe die vielseitigen Verbindungen, die in Delft ZU- stande kamen, nicht zu zerstoreii imstande geweseri ist.

Von den Errungenscliafteii jenes ersten Delfter Kongresses betrachte icli die dorl gemaclite Bekanntscliaft mit TREFFTZ, fur micli personlich, als eine der wichtigsten. Natiirlicli war diese zunachst, wie konnte es anders sein, eine verhaltnismaI3ig oberflacliliche. Sie entstanimte wissen- schaftlicli nicht eineni von r h m m z gehaltenen Vorlrag, denn obwohl er sicherlich aus Seinem

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Vorrat voii Problemen hat te schopfen konnen, hatte er sich merkwurdigerweise nicht als Redner angemeldet. Dafur beteiligte er sich aber intensiv an den Diskussionen, wobei er gleich jedem auf- fie1 als einer der bedeutendsten Teilnehmer des Kongresses.

Trotzdem stellte er sic11 selber riicht im geringsten in den Vordergrmd, eine Eigenschaft, die ilin in seinem weiteren Leben immer gekennzeichnet hat. E r freute sich aber unendlich iiber die durch die Umstande bedingte bescheidene, aber offene Gastfreiheit und lie13 dabei eine ihm selbst kaum bewuljte Eigenschaft zu Tage treten, welche fur ilin bezeichnend geblieben ist : Dankbarkeit fur enipfundene Freundlichkeit und fur ilim entgegengebrachte nienschliche Gesinnung.

Es entstand jedoch bald nacli Absclilul3 des Kongresses ein lebhafter Briefwechsel uber uns h i d e interessierende Probleme, wie die Methoden von RITZ und GALERKIN, Variationsprinzipien urid dergleichen, wobei wiederum seine naturliche Bescheidenheit zutage t ra t . Als icli bei ihm anfragte, ob ich einige seiner Auseinandersetzungen etwa in meinen Vorlesungen gebrauchen diirfe, kam die Anlwort: ,,Icli hatte ja aucli wenig oder gar kein Kecht, irgendwelche Einwande zu erheben, denn mein besclieidener Anteil daran bezieht sich lioclistens auf die Darstellung. Alle diese Dinge stelien schon irgendwo, man weilj nur gewolinlich nicht, wo man sic finden kann (das weilj blo13 KONRAD ~IULLER in Hannover, der eine Ar t pliilologisches Genie ist). Und die Haupt- sache bleibt doch immer, unsere Schiiler von der Kraf t der mathematischen Gedanken zu uber- zeugen, die in diesen Formulierungen steckt". Diese letzte Auffassung bestimmte zu einem grolJen Teil die von irn geliegten Zukunftsplane.

Hinsichtlich Approximationsverfahren, bei denen es von groljter Wiclitigkeit ist, zuver- lassige Felilerabschatzungen zu inachen, sclirieb er: ,,. . . das sind Dinge, die fur die Mathematik grundlegend sind. Mein Traum ware eigentlich einmal fur die angewandte Matheiiiatik nacli Art der franzosischen Cours d'Analyse llathkmatique ein Lelirbuch zu schreiben", mit der charakte- ristisclien Nebenbemerkung : ,,dann muljte ich noch sehr viel lernen, und eigentlicli auch Uni- versitatslehrer sein". Und ein anderes Ma1 (1931): ,,Wenn ich alt genug werde, schreibe icli einnial ein Ruch uber Elastizitat und Festigkeitslehre von den allgemeinen Ansatzen zu den technischen Niiherungsverfahren" und viel spater noch einmal: ,,ich mochte immer ma1 eine Elastizitats- theoric als Ersatz fur den LOVE-TIMPE schreiben, die veraltet ist und eine blode Bezeichnung hat''; niit der uns niit Wehmut erfiillenden Beinerkung ,,ob icli je im Leben dazu komme, ist frag- licli" (36). An das Nicht-in-Erfiillung-gehen der gestellten Ideale haben - ganz abgesehen von TREFFTz' schwerer Belastung, die eine Zeitlang an der damaligen Hoclischule 17 wochentliche Vorlesungs- und Ubungsstunden betrug, und abgesehen von der allzukurzen Lebensfrist, die ihm vergonnt gewesen ist - sicherlich zwei ilin charakterisierende Eigenschaften merklich beige- tragen : seine strenge Selbstkritik, die ihn veranlante, nur wirklich selbstdurchdachte Probleme zu behandeln, und sein paradoxaler Widerwille gegen eine Tatigkeit, wobei es ebenso sehr auf die Formgebuiig wie auf den wirklichen Inhalt ankommt, den er in der Form aul3erte: ,,Nachdenken geht so viel schoner als Schreiben".

Man wurde versucht sein, diese fur den Denker so bezeichnende Aul3erung angesichts der Unrnenge von ersclieinenden neuen Buchern und Publikationen in bezug auf deren Verfasser in ernstlichen Zweifel zu ziehen

\Venn wir uns jetzt den rein-meiiscliliclieii Seiten von THEFFTZ' Cliarakter zuwenden, so fallt zunachst, wenn wir vorlaufig an der Oberflache bleiben, sein unvergleichbares Gefuhl fur Humor auf. Als sclilagendes Beispiel dafur kann noch imnier gelten, was sicli auf einern Kongrelj ab- spielle, wo der Vorsilzende die Teilnehmer bat, der Reilie nach aufzustehen, ihren Namen zu nennen und den Ort ilirer Herkunft. Als eirie betraclilliclie Anzahl der Kongressisten dieser Bitle Folge geleistet halte, kam die l k i h e an einen Leipziger Kollegen, der niit einer gewissen, von ilim selbst aber niclit gealinten Naclidriickliclikeit sagle : ,,I Iasse" ; ,,Leipzig", worauf der Nachste (l'rcfftz) niit todernstem Gesiclit aufstand und sagle: ,,Icli"; ,,Aucli", und sicli wieder setzte.

AulJerungen anderer, denen Eitelkeit und Selbstuberhebung nicht abzusprechen waren, wulJle er niil gutmutigem Spott zu eigenen Zwecken zu verwenden: Als er als Hauptredakteur der ZAMlll, ein Aint, das er in aufopfernder Freundscliaft von v. MISES, dessen Stellung und Sicher- heit damals bedroht wurden, iibernommen liatte, wegen d.er Not der Zeiten in retlaktionelle Schwierigkeiten geriet und stets weniger brauchbare Artikel fur die Zeitschrift angeboten bekam, sclirieb er (und ich konnte mir seine die Pointe begleitende Miene dabei vorstellen): ,,\Venn dern so bleibt, werde ich auf die Metliode von KOEBE zuruckgreifen mussen, der diese in die klassischeri \Vorte einkleidete: ,Ich habe nur erstklassige Auloren, das meiste schreibe icli selber'."

Und spgter berichtete er iiber eiiie Stabililiilsfrage, die wir zusammen diskutiert hatten : ,,Ich glaube j e t z t so weit zu sein, dalj icli einen Uriglucksdoktoranden darauf lietzen kann. Wen11 der die Sache fertig bringt, kann ich nacli G.'s (eines Dresdener Kollegen) beriihmterri Vorbild sagen: ,,lch habe mir die Mulie gernacht, dies ausrechnen zu lassen".

Naturlich machte sicli der Sinn fiir Humor aucli im freundschaftlichen und h2uslichen Ver- kehr geltend. Als er mir in langcr Zeit nicht geantwortet hatte, schrieb er seiner Frau das Erwaclien

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seines Pflichtgefuhls iiiit den folgenderi Worten zu : ,,l.'rieda vergniigt sich damit, eille Spitzen- deckc zu bugeln, was so vor sich gelit: erst wird cin Bugeleisen 1ieiB geniacht, bis es zll heiB ist, dann wird es zur Abkuhlung auf die Heizung gestellt, bis es zu kalt ist, danri wird es wieder auf dcm Gas heiB gemacht usw. ad inf. Also habe ich beschlossen, die Zeit bis morgen fruli damit auszunutzen, Dir zu schreiben". Uberliaupt hatte er das Bediirfnis, das Nagell seines Gewisselis irgendeiner Tat seiner Frau zuzuschrciben. So hieB cs ein anderes rtlal: ,,Ich will versuchen, heute abend rioch zu antworten, denn meine Frau hat sich in eiri Bad gcsturzt, welche Zeit ich rioch auf diese Weise niitzlich zu verwenden hoffe. Du siehst, daB die Reinlichkeit manchmal w i r k l i c h Sinn hat".

Es war iibrigens reizend, ihn in dern liausliclien Verkehr mil seinen Kindcrn - die alle Spitznainen hatten, wie z. B. ,,der treue Knccht", womit der zweite Solin, das ,,'Tier'', wornit die von jedeni verhatsclielte jiingste Tochster aiigedeutet wurde - herunitollen zu sclien. Und wenn cr auch den Unizug in ein groBeres Haus darnit begrundete, daB cr lioffte, die Icinderschar auf diese Weise etwas mehr von seincm Arbeitszimmer fernhalten zu konnen, als dies bis daliin moglich war, wo sie immcr nebenan tobten, unter Zufiigung ,,daB funf Stiick einen erstaunliclien Kracli machen", so hatte er trotzdem um kein Geld das Toben seiner lebenslustigen Kinder vermissen wollen. Rlit riihrender Anlranglichkeit konnte er das liausliche Gliick besclireiben, das von dcr Vorbereitung einer musikalischen \~7eilinaclitsfeier ausstrahlte, wie iibrigens seine Veranlagung zur richtigen Schatzung empfundener Geinutserregungen ilin manclimal z u groBer Dankbarkeit bewegte. So schrieb er z. B., als cr Gottingen, wo vieles zerstort war (und sich nicht imrner zum Besseren geandert hatte) nacli dem ersten Weltkrieg wieder besuchtc: ,,Trotzdem bchalt es fur den alten Gottinger stets seineii alten Reiz, und ich mu13 sagen, daB icli sclion lange nicht mehr so was Nettes erlebt habe wie die Stunde, wo ich bei der alten Wirtin gesessen habe, bei der icli vor nahezu dreiBig Jaliren gewohnt habe". Und er fiigte mit einem gewisseri Selbstspott hinzu: ,,Du weil3t ja, daB ich im Grunde meiner Seele sentimental bin wie ein Middle-class Englishman", eine sich selbst lierabsetzende AuBerung derjenigen Art, deren sicli fast jeder Menscli bedient, der glaubt, etwas zuviel von seiner wahren besseren Natur preisgegeben zu haben.

Er besal3 Librigens eine grol3e natiirlichc Musikalitiit, und es gcliorte zu seincn schonsten stillen Stunden, wenn er andachtig lausclicnd dein Spiel seiner Frau zuliiiren konnte. \Vie hoch er iibrigens dieses Spiel aucli in anderer Beziehung einschatzte, zeigt ein Brief, in deni er seiner Dank- barkeit Ausdruck gibt, ,,daB seine Frau durch unser Zusammcnspiel wieder soviel Lust bekommen hat, sich ihrer Geige zu widmen"; und ,,das ist", sclireibt er, ,,fur die ganze Familie ein grol3er Gewinn". Er g l a u b t e an die bindende Kraft, die yon der Pflege einer Kunst im Familienkreis ausgeht.

Nocli eine Eigenscliaft moclite icli erwalinen, um die man TKEFFTZ benciden konntc. Trotz vieler auf ihm lastenden Sorgen, trotz vielem, was ilim im gesellschaftliclien und vor allem irn politisclien Lebeii anekeltc, konnte er sich in seineii Ferien von allem, was ilin bcdrangte, ab- kehren, und vollauf der Ruhe genieBen. ,,Es ist einfach lierrlich", so schrieb cr einmal, ,,so fiinf Woclicn lang voni Getriebe der Welt (er wohnte z. Z. in Breege auf der Inscl Riigen) entfernt zu seiii. IYir (LAi(:AmY, der Dresdener Mathematiker, und er) waren so verbauert, daB wir es schlielJ- licli fertig brachten, eine Stunde lang in der Hafensclienke hinter einern Glas Schnaps zu sitzcn, aufs \Vasser zu selien und kein Wort zu sprechen" (Ein wiirdiges Gegenstiick zu der Unterhaltung zwischen MARK TWAIN und einem Freund, die cinen ganzen Abend schweigend ini Schaukelstuhl gesessen hatten und sich verabschiedcten mit den Worten: ,,ein praclitvoller und unvcrgel3licher Abend"). ,, Icli habe midi" geht TREFFTZ weiter, ,,gerade daran gewohnen mussen, in Dresden wieder mil den Leuten zu reden".

Aber auch die bestimmt nicht scliweigsamen Perioden harmonisclien Zusammenlebens, in dcnen wir uns gegenseitig besuchten, waren solche, in denen er von der Sclionheit Hollands und clessen Reichtum an Kunstschatzen genoo. Die tiefere Bedeutung dieser Besuclie lag aber weniger in den Ausfliigen, die wir machten, weder in den Abenden, wo wir bei dem GenuB eines Glases Wein und unter dem Motto ,,die Gelehrteii zu Hause" in Jugenderinncrungen, in amiisanten Studentcn- spaBen, in witzigen Einfallen Ausspannung von der Anstrengung vorangehender Arbeitsperioden sucliten uiid neuc Krafte fur die folgenden sammelten, als vielmelir in den selir ernsten .und an- strengenden Fachgesprachen, wie im Gedankenaustausch iiber allgcmeine kullurelle Fragen und solche Probleme, welche das Los dcr Menschheit beherrschen und ilir Gliick bedrohen. Da erhielt inan erst wirklich Einsicht in dcs Anderen Charakter und dessen ,,Eigenwerte". Solche Gesprache fulirten abwecliselnc1 iibcr Gipfelpunkte und durch Abgriinde; ubcr Gipfelpunkte, weiiii es galt, anderer oder eigene Errungcnschaften mitzuteilen ; durcli Abgriiiide, wenn man ein anderes Ma1 an jeglicher neuen pcrsonlichen Produktivitat zweifelte und sich als vollkommcn ,,ausgctrocknet" betrachtete; iibcr Gipfelpunkte, wenn man sich voller Bewunderung und Verelirung den Leuchten der Mcnschlieit, den Heroen der Iliissenschaft, der Ilusik und der Literatur hingab ; durch Ab- grunde der Verzweiflung, wenn man sich vor Augen stellte, wie im politisclien Leben die Mach1

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der 1 M e kleiiier und kleiner wurde und die 3Ienschheit blindlings, wenn nicht ihrein vollstandigen Untergang so doch einer unvorstellbaren Katastrophe entgegenschritt.

Die Gesamtheit aller Erfahrungen hat riiir von TREFFTZ ein Bild geschaffen daIJ ich jetzt in kurzesten Worten schildern will: lebensbejahend, uneigennutzig, feinfuhlend, hilfsbereit, ehrlich wid treu, Uberschatzung eigener Verdienste ablehnend, Verdienste Anderer ehrend, eigene Sicher- lieit in die Waage stellend, wenn es galt, Unrecht, Anderen drohend, vorzubeugen, Rede und Iiedlichkeit uber Aberglauben und Geschwatz stellend ; seiner Kinder liebender Vater, seiner Gattin treuer Lebensgefahrte, seiner Freunde zuverlassiger Geselle; seiner Wissenschaft be- gabter Diener.

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EKICH TI~EPFTZ war ein Jlann.