erinnerungen 2010

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VorwortAm Morgen des 27. 11.2010 war es drauen noch trb und neblig, es entwickelte sich jedoch ein klarer, kalter Wintertag. Gestern wurde ich aus dem Marien-Hospital mit einer neuen Hfte entlassen. Die Zeit steht jetzt zur Verfgung einer Bitte nachzukommen, die die Vergangenheit betrifft. Barbi und Lili baten mich, meine Erinnerungen niederzuschreiben. Vor den mittelalterlichen Werken, Gedichten und der Prosa stand immer die Captatio benevolentiae, das Bitten um die Gunst des Lesers. Hiermit bitte ich auch darum, da ich bisher keine Familiengeschichte zusammengebracht habe, ich stehe sozusagen als ein Debutant vor Euch. Ich schaue durch das Fenster auf schneebedeckte Bume, mein Blick wandert weit ber dem Aachener Talkessel und ich warte auf Bilder, die ich vor vielen Jahren gesehen habe. Dj-vue Bilder, in die weite Ferne gerckt, die ich versuche zu retten, versuche der Vergessenheit zu entreien. Eine chronologische Reihenfolge wre nicht ungnstig, obwohl ich jetzt schon wei, dass ich mit Excursen von dem Hauptpfad der Geschichte zwangslufig abweichen werde. Con algo hay que empezar, mit irgendetwas muss man beginnen.

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GroelternMein Grovater. Lazarus, auf Ungarisch mit schnen, breiten a-s Lzr Ivanoff. Er wurde 1859 in Swistow in Bulgarien als siebtes Kind eines bulgarischen Kaufmannes geboren. Swistow, dieser slawische Name wurde bei uns nie gebraucht, wir verwendeten die melodischere ungarische Aussprache: Sistowa. Nach heutigen Mastben; eine Kleinstadt mit 17 000 Einwohnern an der Donau, damals im 19. Jh. eine der grten Hafenstdte des Landes. Als geografisches Rosinchen fge ich bei, dass die Donau hier ihren sdlichsten Punkt whrend ihrer 2800 km langen Reise aus dem Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer erreicht. An der Wand in meinem Zimmer hngt ein Holzkreuz aus dem 18. Jh. ein Erbstck meines Grovaters. Dieses Kreuz wurde am 6. Januar bei der Heiligen Drei Knige Prozession getragen. und jetzt kommt die Erinnerung: mein Grovater erzhlte, dass, als die Prozession die Donau erreichte, von dem Pope Silbermnzen in das eiskalte Wasser geworfen wurden, und die Jungen aus dem Dorf kaum erwarten konnten, in die Fluten zu springen, um nach den Mnzen zu tauchen. Diese Mrchenstunden in der Kche der Groeltern in Budapest, in ihrem Haus in der Ferenc krt 44. werde ich nie vergessen. Ich sa auf einen kleinen Schmel neben dem Schparchelt, eine Verballhornung des Wortes Sparherd mit einer Glasschale in meinem Schoss voller Strkaviar, das von meinem Grovater ausgelst wurde. Essen durfte ich diese Kstlichkeit nur mit einem kleinen silbernen Lffel oder mit einem Lffel aus Perlmutt aber in unbegrenzten Mengen, heute etwas Unvorstellbares! Hier hrte ich auch die Geschichte des Grovaters. Er wurde als 7. Kind der Familie geboren und als er 16 wurde, bekam er von seinem Vater 100 Kronen mit dem Wunsch, oder war es eher eine Aufforderung, sein Leben in die eigene Hnde zu nehmen. Mehr konnte er ihm nicht geben, da er 4 Tchter verheiraten musste! Und so fing die Geschichte meines Grovaters an: Mit dem Geld kaufte er Schweine, die er zu Fu, an der Donau entlang nach Belgrad trieb, dort mit Gewinn verkaufte und den Weg zu Fu nach Hause nahm. Diese Reise hat er noch zweimal wiederholt, wobei die letzte Rckkehr schon mit einem Schiff der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft erfolgte. Fr Euch hrt sich dieser Teil vielleicht wie eine Erfolgsstory an, aber bedenkt bitte die Umstnde! Die Trken als Besatzungsmacht wurden erst 50 Jahre davor mit Hilfe der Russen aus Bulgarien vertrieben! Das Land, die Gesetze, das ganze Leben war in Aufruhr, allgemeine Sicherheit war im Land ein Fremdwort und in Kenntnis dieser Tatsachen solltet Ihr die Leistung einordnen! Nach den ersten drei Touren konnte er

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sich aus dem Gewinn leisten, die nchsten Transporte per Schiff durchzufhren. Wie er mir erzhlte, waren Transporte mit dem Schiff billiger als mit der Eisenbahn, da das Risiko hher war. Von Sistowa nach Belgrad musste das Schiff das Eiserne Tor mit seinen Untiefen, Felsen und starken Strmungen berwinden, die die Chancen einer Havarie nahe brachten. Zu dieser Zeit war diese gefhrliche Strecke noch nicht entschrft. Natrlich existierten die zwei heutigen groen Stauwerke auch nicht! So war es mglich, auf der Rckreise, dann schon mit dem Zug, auf der Insel Ada Kaleh einen Stopp einzulegen. Diese Erinnerungen mssen bei ihm sehr nachhaltig gewesen sein, da er oft bei den Gedanken und den Bildern verweilte, wie unter schattigen Bumen der trkische Kaffee, zubereitet in der Jeswa, getrunken, und die Wasserpfeife, die Nargileh geraucht wurde. Ada Kalehs Einwohner waren Trken, die von der Insel nicht vertrieben worden sind und dadurch blieb eine Insel des Orients mit seiner ganzen Romantik erhalten. Als wir 2009 mit dem Schiff dort unterwegs waren und in einer Bucht einige Ruinenspitzen aus dem Wasser ragen sahen, musste ich an Opa Lzr denken. Vielleicht fuhr das Schiff gerade ber die Stelle, wo er 150 Jahre frher sa und seinen Kaffee trank? Diese Zeit hat ihn stark und unbeugsam gemacht, den Erfolg musste er erzwingen, was ihm auch gelang. In den folgenden Jahren transportierte er per Schiff die Tiere nach Wien, wo die Gewinnmarge deutlich hher war. Whrend seiner Reisen an der Donau lernte er meine Gromutter, Eleonora Frank in Budapest, genauer in Promontor, heute Budafok, einem Vorort von Budapest kennen. In der damaligen Zeit war Promontor eine rein schwbische Siedlung. Nach dem die Trken 1686 aus Ungarn vertrieben worden sind, blieb das Land grtenteils menschenleer. Als die Trken 1526 kamen, hatte Ungarn 4 Millionen Einwohner, 150 Jahre spter knappe 1,5 Millionen! Maria Theresia erkannte die Chance, das Land mit Deutschen zu besiedeln, deren Lebensraum Ende des 18. Jh.-s langsam eng wurde. Meine Groeltern sprachen miteinander deutsch. Lzr konnte ungarisch, sprach aber lieber deutsch und mit seiner Frau sowieso. So wuchs ich mehr oder weniger zweisprachig auf. Mein Vater, Mikls, hat regelmig mit mir auf eine sehr vergngliche Weise gebt. Er hat mir die Vokabeln abgefragt und ich wurde mit kleinen Pralinen mit einer sen Flssigkeit innen belohnt. Im Circus nennt man das Dressur, im Alltag: Erziehung. Aber zurck zu Oma Eleonra. Geboren wurde sie in Promontor 1862. Eigentlich wei ich kaum etwas Nheres ber sie. Sie war eine kleine, zartgliedrige, stille Frau, wahrscheinlich die ideale Ergnzung zu meinem willensstarken Opa. Sie wohnten in Kbnya, in einem Vorort von Budapest, so lange, wie Opa Lzr berufsttig war. Auf 4

dem Hauptplatz mieteten sie die erste Etage. Die Lage war gnstig, da vor dem ersten Weltkrieg dort eine blhende Niederlassung von bulgarischen, serbischen und kroatischen Hndlern gewesen ist, mit denen Lzr in geschftlicher Verbindung stand. Als er sich aus dem aktiven Geschftsleben zurckzog, 1915, noch zu Lebzeiten von Kaiser Franz-Josef, als das Geld noch nicht von der Inflation bedroht wurde, kaufte er das Haus, wo ich auch bis zu meinem 28. Lebensjahr gelebt habe. Dieses Haus, erbaut 1886, gehrte 1915 zu den bevorzugten Lagen von Budapest. Es lag auf dem breiten, nach Pariser Vorbild angelegten Ring-Boulevard mit groen Bumen, genannt Ferenc krt in der Nhe der groen Kreuzung mit dem lli t, einer der groen Ausfallsstraen nach Sden, wo viele Jahre spter auch der Flughafen,- von meinem anderen Opa,- gebaut wurde. Das ist aber eine andere Geschichte, worauf ich spter zurckkomme. Versprochen! Das Haus Ferenc krt 44, (krt heit Ringboulevard) war ein typisches Mietshaus der damaligen Zeit. Es waren vier Wohnebenen mit 41 Mietwohnungen belegt. Die Beletage im 1. Stock gehrte uns mit einem groen Balkon zur Strae hin. Es gab zwei quadratische Innenhfe, von dort gab es einen Zugang in Form eines offenen Flurs zu den Wohnungen auf der Hofseite. Heutzutage sieht man solche Huser noch in Wien, Berlin und Mnchen, jedenfalls dort, wo der 2. Weltkrieg nicht allzu arg gewtet hat. Es gab keinen Aufzug, dafr aber zwei Treppenhuser, eins fr die straenseitigen Wohnungen, das hintere fr die Wohnungen zum Hof und fr das Dienstpersonal. (Das waren noch Zeiten, Sozialismus und soziale Gerechtigkeit waren noch Fremdwrter!) Ich msste jetzt noch ber meinen Vater berichten, da Opa Lzr in weiser Voraussicht meinem Vater die bulgarische Staatsangehrigkeit bis zum Ende des 1. Weltkriegs erhalten lie, was ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hat. Da er gut deutsch sprach, bekam er in der bulgarischen Armee, als angehender Arzt die angenehme Aufgabe, verletzte Offiziere von Sofia nach Karlsbad oder Marienbad zu begleiten und dort zu betreuen. Ein Erlebnis aus seiner Dienstzeit in Sofia darf ich Euch nicht verschweigen. Er sa in Juli 1915 am offenen Fenster seines Quartiers in Sofia, bei tierischer Hitze. Auf einmal hrte er das Gerusch eines Flugzeuges und als er durch das Fenster schaute, sah er, wie der Pilot sich herunter beugte, ein Paket nahm und aus dem Flugzeug schmiss. Es war eine Bombe, und so erlebte er die Bombardierung von Sofia 1915. (Heute, nicht mal 100 Jahr spter zeigen die zweifelhaften Fortschritte der Kriegstechnik ganz andere Bilder!) Ich glaube, es ist hchste Zeit auch ber die Vorfahren der mtterlichen Seite zu berichten. Meine Erinnerungen sind lckenhafter aus mehreren Grnden. Sie wohnten in Buda, also jenseits der Donau. Mit der Straenbahn brauchten wir etwa 30 Minuten und von Haus zu Haus kam es bestimmt 5

auf eine Stunde, bis wir dort waren. Bei schnem Wetter sind wir mit Joli und mit meinem Dreirad und spter mit dem Roller 1 Stunde zum Besuch unterwegs gewesen. Ich erinnere mich an einige Dinge aus der Vorkriegszeit. Oma Anna machte des fteren Gnsebraten mit Reis und grnen Erbsen. Die Gans war in Ordnung, aber der Reis war immer trocken. Und es gab dazu immer rote Bete. Noch eine Erinnerung: in kindlichem berschwang drehte ich mich hockend auf dem Parkett und als ich zur Seite kippen wollte, fing ich mich mit der rechten Hand. Niemand merkte etwas, ich habe wahrscheinlich gebrllt, wofr ich zurechtgewiesen wurde, aber am nchsten Tag, als die Schwellung nicht zurckging, wurde eine Rntgen-Aufnahme gemacht und tatschlich wurde eine Grnzweig-Fraktur festgestellt, gegipst und das gesamte Drama bis zur Gipsabnahme hat 4 Wochen gedauert. Im Krieg bekam das Haus der Groeltern in der Batthyanystr. 13 einen Bombentreffer. Vier untereinander liegende Etagen wurden vernichtet und der Wiederaufbau erfolgte Jahre spter. Oma Anna starb pltzlich und unerwartet im Juli 1946 durch eine massive Hirnblutung. Danach kam Opa Jzsef zweimal in der Woche zu uns zum Mittagessen bis zu seinem Tod 1952. Diese Zeit war fr mich immer interessant, er konnte gut erzhlen und ich konnte gut zuhren. Manchmal wnschte ich das auch von Stella und Kira. Kian und Nio sind fr solche Erzhlungen zu klein. Aber eine der Grnde, warum ich mit dieser Niederschrift begonnen habe, ist gewiss der Gedanke, dass die Nachfragen eventuell zu spt kommen knnten, und es wre schade, all diese Erinnerungen der Vergessenheit zu berlassen! Zurck zur Familie Nagy. (Nagy heit Gro auf Ungarisch und ist ein sehr hufig vorkommender Name, so, wie im Deutschen: Meier, Schmidt oder Schulte.) Nun, die Familie Nagy hat vier Kinder gehabt. Der lteste war Imre, mein Patenonkel, Architekt und Kronprinz der Familie, danach kamen nur drei Mdchen. Als erste kam meine Mutter Joln, 1903, Joli-Oma, dann vier Jahre spter Ilona, genannt Ila und noch einmal sechs Jahre spter Magda, genannt Many. Imre war ein kluger und nchterner Mann, in seinem Charakter berwog der Ingenieur ber den Architekten. Er war gradlinig, spielte Tennis und Bridge und war sauer, als wir zusammen versuchten Tennis zu spielen, da ich damals noch nicht so weit war, ihm Blle kontrolliert und regelmig zurckzuspielen. Und da er korpulent war, lief er nicht so gerne. Sein einziger Fehler war seine Frau Margit, die nicht sehr gut in die Familie passte. Als Patenkind litt ich wahrscheinlich auch unter der Gesamtlage, es wurde mir aber erst spter bewusst, und dann konnte ich schon ganz gut

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kompensieren. Schade, dass daraus nicht mehr geworden ist, ich htte von ihm Einiges lernen knnen. Ila, die kleine Ila. Sie ging mit einer Hilfsaktion nach dem ersten Weltkrieg mit 17 Jahren nach Schweden. Sie wurde in Vsters (gesprochen: Vosteros) von einer Familie aufgenommen. Sie blieb 1 Jahre dort, kam zurck nach Budapest, aber die Sehnsucht von beiden Seiten war so gro, dass sie 1921 endgltig in Schweden blieb. Sie, die kleine Ila, heiratete dort einen groen, lustigen und freundlichen Schweden, Karl-Wilhelm Ringborg (gesprochen: Ringboj), genannt Wille. Das Glck war, glaube ich, an ihrer Seite, da Schweden im 2. Weltkrieg neutral blieb. Ihnen blieben Bombardierungen der Stdte, Huser und Wohnungen, Hungersnot, Vertreibung und sonstiges Elend wie Kommunismus und Diktatur erspart. Ich wei noch, als sie 1947 zum erstmglichen Besuch nach Ungarn kam und die kleine Propellermaschine im Flughafen Budars landete, ja, das war etwas sehr Aufregendes fr mich. Sie kam in der Osterzeit und die Familien versuchten, nach der gegebenen und zugegebenermaen kargen Lebensmittelversorgung ein sterliches Festessen zusammenzustellen. Es gelang auch und Ila sagte, dass der Schweinebraten bei uns einen viel besseren Geschmack htte als in Schweden. Na ja, damals wurden die Schweine in Ungarn individuell ernhrt, die groindustrielle Schweinehaltung fand erst 30 Jahre spter in Ungarn Einzug. Aber dann kam es zur Katastrophe. Es ist in Ungarn blich, Weihnachten und Ostern ein Beigli zu backen. Der Name kommt aus dem Deutschen, von beugen, da der Teig, reichlich gefllt mit einer Nuss- oder MohnMischung, lecker, lecker, zusammengerollt und so gebacken wird. Als dann Ila der Mohnbeigli angeboten wurde, wurde sie ganz blass und sagte, nein so etwas isst sie nicht, das wre Opium. Na Bumm! und so haben die vereinigten Hausfrauen unserer Familien ihre Pleite mit Ila erlebt! Ich erinnere mich gut an die Story meiner Mutter, als sie Mitte der 20-er Jahre zu Besuch bei Ila war. Es war ein schockierendes Erlebnis fr Joli, nmlich, als sie am Bahnhof ankam in Norrkpping (sprich: Nortsping) lie Ila den Koffer von Joli an der Straenbahnhaltestelle stehen und sagte, sie werden nach einer Besichtigungstour den Koffer abholen. In Ungarn wurde nach den 1. Weltkrieg schon fleiig gestohlen, und nicht nur die Zigeuner taten es! Meine Mutter sah vor ihren seelischen Augen, wie ihr Koffer mit allen Kleidern spurlos verschwand. Aber es kam doch anders, nach 3 Stunden holten sie den Koffer ab, und er war tatschlich dort, wo er abgestellt worden war. Felix Schweden, heute ist es dort auch schon ganz anders! Many. Sie war irgendwie das schwarze Schaf der Familie. Alle Kinder waren strebsam, ehrgeizig und fleiig. Vielleicht deswegen blieb fr Many nicht mehr viel brig. Sie war aber warmherzig und nach Behauptung meiner Mutter schn und sexy. Als ich intensiveren Kontakt zu ihr gehabt habe war sie ber ihre Bltezeit hinaus, sorry! 7

Aber! Der erste Ehemann von Many brachte eines der bekannteste Bilder der ungarischen Kunstgeschichte in die Familie. Das Bild von Mikls Barabs: Rumnische Familie war das Highlight des Wiener Salons 1846. Es kamen zahlreiche Nachbestellungen und so wurden noch sechs Kopien des Bildes, - in der damaligen Zeit ein hufiges Vorgehen, - von Barabs gemalt. Von den insgesamt sieben Bildern ist eine verschollen, die anderen hngen in der Ung. Nationalgalerie, in Grovardein, in Bukarest, bei einem Wiener Sammler, und ein Gemlde, das ging nach Polen. Nummer sechs hngt bei uns ber den Treppenaufgang, aber das wisst Ihr doch! Oma Anna kam von Nordwesten der Monarchie und der einzige waschechte Ungar unter meinen Vorfahren war eigentlich Opa Jzsef. Heute wrde man ihn als Bauingenieur bezeichnen, damals, zur Jahrhundertwende reichte es noch als Baumeister. Er musste offenbar sehr gut gewesen sein, da er groe Auftrge abwickeln durfte, bedauerlicherweise, ohne dabei reich zu werden. Er baute smtliche EisenbahnStationsgebude an der sdlichen Eisenbahnlinie, die von Eszk (heute Osiek/Croatien) nach Fiume (heute: Rieka/Croatien) zum Adriatischen Meer fhrte. So wie die Linie immer lnger wurde, so zog die Familie Nagy auch immer weiter. So wurde Joli in Otocac und Ila in Ogulin geboren. Als diese Eisenbahnlinie fertig gestellt wurde, kam die Familie Nagy nach Balatonfred. Dort blieben sie whrend der Bauzeit der Eisenbahnlinie nrdlich des Plattensees, bis sie nach dem Krieg 1921 nach Budapest kamen und sich in der Batthyanystr. 2. niederlieen. Der letzte groe Auftrag meines Grovaters war der Bau des Flughafengebude Ferihegy/Budapest. 1943 durfte ich mit Joli herausfahren und das zu 2/3 fertige Gebude ansehen. Es war damals so modern, dass ich den Mund kaum zumachen konnte. Und, oh, Gott! In den 80-er Jahren, als ein Besuch von mir in Ungarn wieder mglich geworden war, was habe ich geschimpft, wie schmutzig, berheizt und schbig Ferihegy geworden war! Die wchentlich zweimaligen Besuche von Opa Jzsef haben mir viele interessante Geschichten und Kenntnisse gebracht. Er war ein interessierter und vor allem geschichtlich belesener alter Mann, der mir nach dem Mittagessen, so war es die Gewohnheit, neben dem hohen Kachelofen sitzend ber den 1. Weltkrieg, den er mitmachen musste, und ber die Landschaften, die er bedingt durch seinen Beruf kennengelernt hat, erzhlte. Zum Teil dadurch, und zum Teil durch die Bcher von Jules Verne, dem genialen franzsischen Romanautor wurde mein Interesse fr die Erdkunde geweckt.

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Kommt bitte mit, wir machen einen Generationenschritt in unserer Familien-Saga, in den kommenden Seiten versuche ich Euch Bilder von meinen Eltern zu zeichnen.

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ElternMein Vater, Mikls hat Vortritt, er war der ltere, geboren 1895 in oben schon erwhnten Kbnya, Hauptplatz Nr. 1. Von seiner Kindheit in Kbnya wei ich so gut wie nichts. War sie unangenehm, langweilig oder einfach nur ereignislos, ich habe nie etwas darber erfahren. Seine Zeit im bulgarischen Militrdienst hat er genossen und diese 3 Jahre, wo er dienstlich unterwegs war mit den bulgarischen Offizieren haben seinen Horizont erweitert und das Reisen zu einem Hobby werden lassen. Sein finanzieller Hintergrund wurde, zwar in recht bescheidenen Rahmen, aber doch von seinem Vater gesichert. Als er sein medizinisches Staatsexamen 1925 ablegte, war die Lage der rzte nicht besonders rosig. Um eine Facharztausbildung zu absolvieren, musste man zuerst eine Stelle finden. Der Groteil dieser Stellen war ohne Dotation, auf Deutsch, arbeiten durfte man, aber ohne Bezahlung! Mit seinem finanziellen Hintergrund konnte er sich dieses Vergngen leisten. Er wurde Facharzt der Gynkologie und Geburtshilfe, arbeitete in der Frauenklinik in der llistr. bis 1932, als er eine bezahlte Festanstellung bei einer Landesorganisation fr Mutter- und Suglingsschutz bekam. In der Zwischenzeit, und es waren immerhin 7 Jahre, konnte er reisen, reisen und nochmals reisen. Wie oft erzhlte er mir in den dunkelsten Jahren der kommunistischen Diktatur, zwischen 1948 und 1958 ber seine Reisen! Im Mai fuhr er mit der Eisenbahn fr 4 Wochen, zwar unter wirklich bescheidenen Bedingungen, nach Italien, bevorzugt in seine heigeliebte Toscana. Hier genoss er die Zeugen der Renaissance, fr die er ein Lebtag geschwrmt hat und diese Liebe mir weitergeben konnte. Ich habe heute noch seine Bnder, berwiegend in deutscher Sprache geschrieben, mit fr die damalige Zeit sehr gutem Bildmaterial in Schwarz-Wei. Wenn ich heute darin lese, merke ich, wie stark sich die Welt verndert hat und wie hoch unsere heutigen Ansprche geworden sind. Der Monat August gehrte dem Bergsteigen. Er erwanderte und erkletterte, so glaube ich, mit Bergfhrern den Groteil sterreichs. Und er war sehr progressiv, was die Fotografie betrifft. In meiner Jugend sah ich seine Aufnahmen eingerahmt in der Diele bei uns vom Groglockner bis zum Lago di Misurina. Er heiratete Joli 1935 im November. Seine Junggesellenzeit konnte er in vollen Zgen genieen und nicht selten schlug er ber alle Strnge, wie Joli es manchmal amsiert, manchmal stirnrunzelnd erzhlte. Zwei Stories verdienen das Niederschreiben. Es gab bis 1932 in Budapest ein Vergngungsviertel, mit kleinen Gassen, kleinen Husern, 10

aber mit vielen Kneipen mit dem Wein von den Budaer Bergen und Hgeln. Es gab auch Zigeunermusik, natrlich live, sie war damals noch bezahlbar, und da Mikls des fteren dort mit seinem Freund Schwabl Rudi auftauchte, waren die Beiden bekannt. (Die Gegend hie und heit bis heute Tabn, unter dem Gellrt Berg. Wo frher die Huser standen, wurde ein Park, und nach dem 2. Weltkrieg ein Park mit Sportpltzen angelegt). Story Nr. 1: Mein Vater hat gefeiert, Spa gehabt, getrunken, gegessen, wie es sich gehrt und beim Zahlen merkte er, dass nur noch einige Pengs in seinem Portemonnaie zu sehen waren. Peinlich, peinlich, aber die Hilfe kam prompt; der Zigeunerprimas, Pista Magyari, hat Wind von seinem Engpass bekommen und beim Fideln, im Vorbeigehen steckte er meinem Vater einen 100 Peng Schein zu! Er war einer der besten Geiger der Hauptstadt, gekannt haben sie sich auch gut und lange, das Problem wurde elegant und freundschaftlich gelst und Mikls bedankte sich bei nchster Gelegenheit beim Zigeuner. Story Nr. 2: Die Hauptakteure waren die selbigen, Rudi Schwabl, mein Vater und Pista Magyari, der Primas. Es war gegen 6 Uhr morgens, als die drei, vermutlich schn angeheitert, mit dem offenen Wagen von Rudi nach Hause fuhren. Rudi fuhr, Miklos sa neben ihm und der Primas sa am Verdeck, Beine unten am Notsitz und er spielte aus Leibeskrften. Am Calvin tr wurde ein Wasserhahn aufgedreht, mit einer 3 Meter hohen Fontane, um den Straenbelag zu reinigen. Rudi sagte, zieh deinen Kopf ein, und damit fuhr er durch die Wasserfontne. Die Beiden, vorne, zum Teil geschtzt durch die Windschutzscheibe haben das Abenteuer relativ trocken berstanden, aber der arme Primas wurde ordentlich nass! Juventus ventus sagten die Rmer dazu. Mikls war Mitglied des Rudervereins Pannonia. Das Klubhaus stand auf der Margareteninsel mit Bootshaus auf dem Wasser, mit drei Tennispltzen und mit einer Reihe Miggngern, die meistens gegen 1 Uhr mittags im Klub erschienen. Dazu gehrte auch Tidi bcsi, Abteilungsleiter in der Ung. Nationalbank, mit seiner Ehefrau, Lili nni, und als Joli dazu kam, entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft zwischen den Ehepaaren. Als ich meinen Vater bewusst erleben konnte, so um 1942-43, war von diesem jugendlichen bermut nichts mehr vorhanden, er wurde ein besonnener und solider Familienvater! Meine Mutter Joli. Eigentlich kam sie aus kleinbrgerlichen Verhltnissen mit einem Abschluss der Mittleren Reife, aber beladen mit einer Portion unheimlichem Ehrgeiz, um alles aufzuholen, was ihr die Ausbildung nicht geben konnte. Sie lernte Nhen, 11

Schneidern und Franzsisch, um bei den Modeschauen in Paris die Modelle anzuschauen und in Budapest nachzunhen! Mit 24 erffnete sie ein Schneideratelier mit drei Mdchen, die ihr zugearbeitet haben. Dadurch finanziell unabhngig, konnte sie reisen. Die erste Tour fhrte sie nach Schweden, zu Ila. Danach folgten Reisen nach London, Ostende, Paris, Wien und Rom. Fr die damalige Zeit waren solche Reisen fr eine alleinreisende Frau noch Ausnahmen. Sie reiste eigentlich selten allein, meistens mit der MEFESZ, ein Reisebro, das hauptschlich fr die Zielgruppe Studenten Reisen organisierte. Als meine Eltern sich 1933 kennengelernt haben, wurde weiter gereist, bis 1937, bis zu meiner Geburt. Joli behauptete felsenfest, dass sie mich in San Gimignano, unter den Geschlechtertrmen, die NICHT mit Sextowers zu bersetzen sind, im Hotel La Cisterna empfangen hat! Viele Fotos zeigen die zwei Ehepaare, die Eltern mit Lili nni und Tidi bcsi (Tidi stand fr Aristid) in Ungarn und sterreich bei Touren in den Gebirgen. Diese Begeisterung zum Wandern und Berge erklettern konnten sie mir nicht weitergeben. Ich, der im Februar geborene, also Fisch, fhlte mich immer schon zum Wasser hingezogen.

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GeburtWir machen das nchste Blatt in der Familiengeschichte auf. Wie es so hufig in dem Leben eines Ehepaares geschah, die Geburt eines Kindes, oder der Kinder verndert das gesamte Leben und den Tagesablauf der Familie. So war es auch bei uns, die konzentrierte Aufmerksamkeit der ganzen Familie wurde auf mich fokussiert. Bei den vterlichen Groeltern war es ein klarer Fall, der mnnliche Thronfolger war endlich da. Immerhin war mein Vater zu meiner Geburt schon satte 42 Jahr alt. Wir lebten in unserem Haus Tr an Tr mit den Groeltern. Die Chance, mich ordentlich zu verwhnen durch Oma und Opa war gegeben, und ich wei, dass mein Vater viel Energie verwendete, die Verwhnungsversuche einzuschrnken. In meinem Leben, bis zur Einschulung, gab es zwei Leitfden. Eine negative; zahlreiche Mittelohr-Entzndungen mit folgender Parazentese, Schmerzen und Heulen. Denkt bitte daran, es war die Zeit zwischen 1938 und 1943, es gab noch kein Penicillin und jede eitrige Entzndung oder Erkrankung barg schwerwiegende Gefahren. Da meine Ohren 12-mal aufgestochen werden mussten, bildete sich ein Reflex aus; falls ich einen weien Kittel sah, fing ich an zu brllen. Natrlich auch beim Friseur! Die anderen Kunden bildeten sich im Laden wahrscheinlich keine besonders schmeichelhafte Meinung ber mich. Der Spuk nahm ein pltzliches Ende, als mir vor der Einschulung die Mandeln entfern wurden. Nie mehr habe ich mit den Mittelohren etwas zu tun gehabt! Die schne Seite dieser Zeit war das Leben im Allgemeinen, und die Sommer im Besonderen. Kedves Keszthely, geliebtes Keszthely (Sprich: Kesthej). Als die Temperaturen in der Hauptstadt Ende Mai gestiegen waren, hat Joli zusammengepackt, und wir fuhren mit der Eisenbahn, meistens in der ersten Juni Woche nach Keszthely. Der Ort versprhte K. u. K. Charme, war gepflegt und besa einen groen und sauberen Sandstrand, wo wir den grten Teil des Tages verbracht haben. Auer dem Sandstrand mit aus Holz zusammengebauten und bunt bemalten Umkleidekabinen, deren Fichtenholzwnde in der sommerlichen Hitze immer sehr gut und intensiv rochen, gab es an der Seepromenade einen Musikpavillon. Hier wurde jeden Nachmittag musiziert, an Sonntagen auch vormittags. Das gut-brgerliche Publikum, die Kur- oder Badegste waren gepflegt, die Herren trugen helle, gut gebgelte Sommeranzge mit Hemd und Krawatte! Das Polohemd und das T-Shirt waren noch nicht erfunden, oder fanden noch nicht den Weg ber den Atlantik, aus dem Land der unbegrenzten Mglichkeiten. Die Damen trugen Seidenstrmpfe und elegante Kleider. Sie sollten gesehen und gezeigt 13

werden. Ich wurde dem Zeitgeist entsprechend auch als ein kleiner Zirkusaffe mit einer Pepita-Hose, weien Kniestrmpfen, und sogar mit weien Handschuhen ausgefhrt. Ich frchte, ich habe schwarze Lackschuhe an! Entweder gefiel es mir, oder konnte mich in meiner zarten Jugend nicht entsprechend wehren! Keszthely lag am westlichen Ende des Plattensees, etwa 100 km weit von der Grenze zu sterreich. Aus diesem Grund konnte man oft den sterreichischen Dialekt hren. Dies und die zwei besten Hotels an der Promenade, Sirly (Mwe) und Hullm (die Welle) gaben dem Ort einen Hauch Internationalitt. Noch ein Paar Mosaiksteinchen zusammensetzen: zu Keszthely, das Bild msst Ihr selber

ber den See gebaut gab es ein in Pastellfarben koloriertes Badehaus mit Bgen und Trmchen, wie es sich gehrte zu jener Zeit. Es begann mit einer gemeinsamen Brcke vom Strand aus, aber in der Mitte teilte sie sich in zwei identisch aussehende Arme. Die linke Seite gehrte der Damen, die rechte Seite den Herren! Gesonnt wurde, bitt schn getrennt, im Wasser konnte man sich vereinigen und nach den Erzhlungen meiner Eltern geschah es auch immer wieder. Vor der hlzernen Brcke hatte ich Angst, da die Holzbohlen recht trocken und splitterig waren. Wenn man schlurfte, und bei 37 Celsius habe ich des fteren geschlurft, war die Chance, einen ordentlichen Holzsplitter in die Sohle zu bekommen nicht unrealistisch. Hier habe ich auch mit 5 Jahren Schwimmen gelernt. Mein Schwimmlehrer war der Freund meines Vaters und zugleich der Olympiasieger in 100 m Kraul der Berliner Olympiade von 1936, Ferenc Csik. Auch wenn ich nicht wusste, was fr ein Star seine Hnde unter meinem Bauch hatte, das Wasser und Schwimmen war fr mich das beliebte Medium, wo ich mich am wohlsten fhlte. Ich frchte, dass ich kein Bewegungs-, oder Gleichgewichtsgenie gewesen bin, aber im Wasser konnte ich alles machen, dort war ich zu Hause. Infolgedessen habe ich den grten Teil des Tages im milden Wasser des Balaton verbracht. Eine Tragdie. Oben, im Ort, in der Hauptstrae gab es eine Eisdiele, wo wir mit meinem Vater, wenn er am Wochenende bei uns war, - ansonsten musste er arbeiten und konnte keine 3 Monate Sommerurlaub nehmen, also wenn er da war gingen wir zum Eismann. Eines Tages, als ich glcklich mit meinem Eishrnchen, frhlich daran leckend, mit Vater unterwegs war, geschah etwas Frchterliches. Offenbar habe ich zu gierig, oder zu einseitig an dem kstlichen Eis geleckt, und plumps, lag die ganze Kstlichkeit auf dem Brgersteig. Meine Versuche, kniend am Brgersteig noch retten, was zu retten war, wurden von Mikls kurzerhand unterbunden. Es gab auch kein 14

Ersatzeis, - natrlich war ich zu tiefst erschttert und untrstlich. (Aber die Konsequenz meines Vaters hat mir bestimmt nicht geschadet.) Es gab auch einen Lebkuchenbcker in der Hauptstrae! In der Saison wurden jeden Tag mehrmals wunderschn duftende und kstliche Lebkuchen gebacken. Wahrscheinlich htte ich tglich mehrere Tten vertilgen knnen, aber die nchterne Realitt sah so aus: wenn Mikls da war, am Wochenende, dann wurde eine Tte gekauft und es musste eingeteilt werden, was mir verdammt schwer fiel. Abends aen wir in einer Pension, oder wie ich das auch immer bezeichnen soll. Es waren Huser, wo eine Frau kochte, im Parterre gab es einen Raum, wo man an mehreren Tischen essen konnte und zum Schluss ging man nach Hause, zu den Leuten, wo wir wohnten. Die nicht gegessenen Reste lieen wir mitgeben, oft war es Hhnerfleisch, was eingepackt wurde. Dann gingen wir zu unserem Domizil. Unterwegs mussten wir das Haus des Gymnasiallehrers passieren, in dessen Vorgarten lebte mein Freund Bobi, ein Bernardiner. Er kannte schon das Quietschen meines Dreirades, spter die Gerusche meines Rollers und er wartete schon schwanzwedelnd am Zaun. Er bekam seine Portion, die ungarischen Hunde waren nmlich klger als die Deutschen, sie konnten auch Hhnerknochen ohne Oesophagus-Perforation fressen und dabei Vergngen empfinden. Das Schwanzwedeln markierte den Grad des Vergngens. Von der Strae, wo wir wohnten, unterwegs zum Strand, nahmen wir den Weg ber den Park. Ein schner, groer Park, mit prchtigem Baumbestand und mit gepflegten Kieswegen in Richtung Plattensee. Unter den schattigen Bumen war es angenehm khl, whrend auf der Strae 20 m weiter die Sommersonne schon ordentliche Hitze produzierte. Nach Regentagen jedoch kamen viele Schnecken aus dem Unterholz, es waren ganz hbsche Kerle, alle mit einem ordentlichen Haus auf dem Rcken, nicht so hsslich, wie die Nacktschnecken in der Fuchserde mit ihren ekelhaften Schleimspuren. Noch einmal zurck zum Schwimmen. 1942 war ich gerade 5 Jahr alt und da konnte ich die etwa 200 m von der Badeinsel bis zur Schiffsanlegestelle ohne Unterbrechung durchschwimmen. Mutter schmolz dahin und Vater war auch stolz auf seinen Sohn, da damals das Schwimmen in diesem Alter noch nicht so verbreitet war. Das letzte Mosaiksteinchen: wir waren befreundet mit dem Inhaber der PlattenseeFischereigesellschaft. Er, Herr Purgly, organisierte einen Ausflug zu seinem Gut in brahmhegy. (Abrahamsberg), Natrlich fuhren wir mit einem der Schiffe der Flotte, es hie Hecht, und den reichen Fang, woraus am Ziel eine kstliche Fischsuppe gekocht wurde, haben wir aus Keszthely mitgenommen. Es sollten aus einem anderen 15

Besitz in Szigliget (sprich; Sigliget) noch 3 Krbe Trauben, als Nachspeise dazu kommen. Als wir dort anlegen wollten, war der Wind so heftig, -Szigliget ist eine der windigsten Ecken des Plattensees, - dass der Kapitn ins Schwitzen kam, bis die Krbe an Bord waren. Alles in allem waren es die schnsten Sommermonate, Juni, Juli und August die ich zwischen 1938 und 1943 in Keszthely verbracht habe. Zu dieser Zeit kann es in Budapest hllisch hei werden und wenn man so eine Hitzeperiode erwischt, die Straen und die Gebude sind ebenfalls aufgeheizt, dann wird es auch in der Nacht nicht viel khler! Dort, in Keszthely, stimmte einfach alles. Die Tochter von Lili nni und Tidi bcsi, Edina war ein Jahr lter als ich. Der Neffe von Brehms Tierleben, Gyugy (sprich Djudjoo), war 1 Jahre jnger als ich. Auerdem waren dort jedes Jahr Leute, die wir dort kennengelernt haben mit ihren Kindern, an Freunden hat es nie gefehlt. Ich knnte noch wei Gott viele Episoden erzhlen, wie z.B. meine Verletzung mit dem scharfen Metallkiel meines Segelbootes zustande kam. Ich wollte darunter durchtauchen, whrend ein Freund das Boot schubste, der Kiel traf mich auf der Stirn, natrlich blutete es ordentlich. Die Haut dort ist gut durchblutet, und als ich aus dem Wasser kam und das Blut schn flchig und dramatisch ber mein Gesicht verteilt war, sah ich wahrscheinlich aus wie ein Zombie. Wir machten einen Segelausflug mit eingeschlossenem Picknick bei Szentmihlykpolna (die Kapelle des Heiligen Michaels), ein Aquarell der Kapelle hngt im unteren Flur bei uns, gemalt vom Freund von Mikls, Aurel Emd. Dort wollte ich helfen und mit dem sehr scharfen Messer meines Vaters eine Paprika aufschneiden. Damals wusste ich noch nicht, dass, wenn ich durch die Oberflche bin, dann rauscht das Messer durch. So war es auch, das Messer blieb erst am Endgliedknochen meines linken Daumens stehen. Ergebnis: Blut, Brllen, notdrftiger Verband und wahrscheinlich Heulen whrend der ganzen Rckfahrt mit dem Segler. Vielleicht doch etwas Wichtiges, nur um ein realistisches Bild ber das Leben in Keszthely zu machen: das Trinkwasser mussten wir von den sogenannten Artesischen Brunnen holen, da sich das Wasser im Haus nur zum Waschen eignete. Wir hatten einen 1 Liter groen Tonkrug mit einer Saugffnung am Henkel. Dieser Krug wurde gefllt, anschlieend von auen mit dem kalten Wasser gut gensst. Diese Methode gewhrleistete kaltes Trinkwasser fr 3-4 Stunden. Die Brunnen standen an den Straenecken, so etwa in 4-500 Meter Entfernung voneinander.

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1944. Das vorletzte Kriegsjahr. Budapest wurde systematisch von den Amerikanern bombardiert. Immer abends, zwischen 10 und 12 Uhr, wenn die Menschen am tiefsten schliefen. Es war kein Zufall, es gehrte zur Taktik der psychologischen Kriegsfhrung. Ich erinnere mich heute noch sehr lebhaft daran, welch ein Schock es war, aus dem ersten Schlaf gerissen zu werden und eilig in den hauseigenen Luftschutzkeller zu verschwinden.

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SchuljahreSeptember 1943 war mein erstes Jahr in der Grundschule. Das Schuljahr wurde aus Kriegsgrnden verkrzt und statt Mitte Juni endete das Schuljahr schon Ende Mrz. Mit meinem besten Freund, Szsze (sprich: Sse), er wohnte 100 m entfernt in der lli t, zogen wir herunter in deren Sommerhaus in Balatonszplak, F utca 3. (Balatonszplak bedeutet: Schne Wohnsiedlung, gesprochen: Balatonsplak). Drei Villas weiter wohnte Gyuszi (Djusi), er war in der 4. Klasse, also deutlich lter als wir und wurde Chef unserer Bande. Drei Jungen, 1944, eigentlich das letzte Jahr des Krieges, auch wenn der Krieg noch ein Jahr sich hinzog, also was spielten drei Jungen zu dieser Zeit? Natrlich Krieg, Kampf, berflle und hnliches. Gyuszi wusste schon mehr als wir. Whrend einer unserer Sphfahrten fanden wir einen Fllfederhalter, der jemandem aus der Tasche gerutscht war. So einen herrenlosen Gegenstand durften wir nicht anfassen, da das Radio und die Zeitungen die Bevlkerung warnten, demnach warfen die Amerikaner hnliche, sprengstoffgefllte Gegenstnde runter, um den Kindern die Hnde zu zerstren. So wurde es gesagt. Wie der Kuli den Fall aus 3-4000 m htte berstehen knnen, wurde nicht erklrt. Wir hielten uns an die Weisungen und bewarfen den armen Kuli mit Steinen solange bis er kaputt war. Eine Explosion haben wir nicht erlebt und tief in unserem Inneren waren wir sehr enttuscht! Wir lebten dort auf einer ruhigen Insel, ohne Flugalarm, Bombardierung und ohne Angst von den Angriffen tief fliegender Jagdflugzeuge, als die Welt in Europa im Begriff war unterzugehen! Beinahe jeden Vormittag sahen wir das grausam-schne Schauspiel, als die amerikanischen Flugzeuge in 6 000 m Hhe, (bis dort reichte die Flak nicht mehr), ungestrt und silbrig glnzend, in Formation in Richtung Budapest flogen, um die dortigen Industrie-, und Eisenbahnanlagen zu zerstren. Wir, unten, in der Deckung der schattigen Bume haben die viermotorigen Liberators fasziniert beobachtet und ich glaube, wir hassten sie nicht, sie haben uns eher imponiert. 6-7 jhrige Jungen denken noch nicht so komplex, um Ursache und Wirkung in Zusammenhang zu erfassen! Ein weiterer Vorteil von Szplak war auch von unschtzbarem Wert. Dort gab es keine Propaganda, fr die dort lebenden wenigen Menschen lohnte sich der Aufwand nicht. Als der Sommer kam, und es war ein langer und heier Sommer, ja, dann haben wir den Garten unserer Villa verlassen und verbrachten den Tag im Wasser. Die Sdseite des Plattensees, dort, wo wir waren, ist seicht, wir konnten 500 m gehen und das Wasser erreichte noch nicht bis zu unserer Brust. Ihr knnt Euch vorstellen, wie gut wir im knietiefen Wasser Ball spielen konnten, Kpfen und allerhand Unsinn anstellen.

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Dazu gehrte z.B. das Ausheben von tiefen Lchern im Boden, unter dem Wasser, und dann zu beobachten, wer im knietiefem Wasser pltzlich bis zur Hfte absackte. Dieser letzte, fr uns so schne Sommer ging viel zu schnell vorbei. Am 1. September fing die Schule in Sifok (Schioofok) an, etwa 3 km von uns entfernt. Unsere Mtter transportierten uns mit dem Fahrrad dorthin und holten uns mittags wieder ab. Mitte Oktober wurde es immer klter, und da die Villa ber keine Heizung verfgte, mussten wir zurck nach Budapest. Innerhalb von 24 Stunden befanden wir uns inmitten des Krieges. Den tglichen Schreckensmeldungen der Zeitungen und des Radios ber das Nherrcken der Roten Armee konnte sich keiner entziehen! Dazu gab es als Beilage, ganz mme sns die nchtlichen Fliegeralarme mit Gang in den Luftschutzkeller, das bange Warten darauf, wohin die Bomben fallen, die Erschtterung der Kellermauer, wenn die Treffer in der Nhe gewesen sind. So ging es bis Weihnachten weiter. Am zweiten Weihnachtstag fiel vor dem Nachbarhaus in der Mitte unserer Strae eine Phosphorbombe. Es dauerte noch vier Tage, die Russen standen schon an den Grenzen von Budapest, der Beschuss wurde immer strker, wir mussten die Wohnung verlassen und mit den anderen Hausbewohnern herunterziehen in den Luftschutzkeller. Dort verbrachten wir in drangvoller Enge die nchsten 6 Wochen. Mein 85 jhriger Grovater sa, noch immer kerzengerade in seinem Armstuhl. Wir schliefen zu Dritt auf einer breiten Liege. Ich wei bis heute nicht, wie meine Eltern dort schlafen konnten. Inzwischen erhielt unsere Wohnung, (das Zimmer von Mikls), zwei Treffer mit anschlieendem Brand, der gelscht werden konnte. Als Mikls heraufging, pendelte der 8-armiger Bronzeleuchter, der jetzt ber unserem Esstisch hngt, noch krftig im zerstrten Zimmer. Die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS verteidigten die Stadt der Roten Armee gegenber heldenhaft mit dem traurigen Ergebnis, dass am 4. Februar 1945, nach der mehr als zweifelhaften Befreiung durch die Sowjets, 85% der Stadt zerstrt war! Die ersten Russen haben wir im Keller so in der dritten Januarwoche erlebt, mit Pistolen oder Maschinenpistolen fuchtelnd, Die Kalatschnikow ist heute noch ein Begriff, sie verlangten Schnaps, Frauen, Uhren und alles andere, was nicht niet und nagelfest war. Als dann keine alkoholischen Getrnke mehr vorhanden waren, und das haben wir persnlich erlebt, trank einer der Befreier auf einem Zug eine Flacon Molineux 5 19

von Joli aus. Nun, ja, so wurden wir befreit von einer Horde von Barbaren, deren Hauptbeschftigung in den nchsten 20 Jahren war, uns klar zu machen, wie berlegen sie und ihre, zwar menschenverachtende, aber fortschrittlichste Gesellschaft der Erde ber uns war! Die Zeit im Keller, die Erlebnisse der Eroberung des Landes und die Begleiterscheinungen reichten meinem Grovater. Er war nicht krank, ich glaube, er wollte einfach nicht mehr leben. Er a immer weniger und starb, still und gefasst am 7. April 1945 in seiner Wohnung. Die Stadt lag in Ruinen, das Leben begann zgerlich. Fr die Mnner war es gefhrlich, sich auf die Straen zu wagen; wenn nmlich das vorgegebene Kriegsgefangenenkontingent nicht erfllt war, dann sammelten die Russen einfach Mnner von der Strae ein! Die Planzahlen mussten stimmen! Mein Vater, als Arzt, bekam einen Passagierschein, aber wir haben immer Angst um ihn gehabt, wenn er das Haus verlie. Soweit ich mich erinnern kann, fing die Schule Mitte April an. Auf meinem Weg zur Schule habe ich an zwei Stellen zerbombte Huser passieren mssen. Ich wei, dass ich die Nase zugehalten habe und versuchte nicht zu atmen, da als das Wetter wrmer wurde, verbreitete sich ein penetranter Leichengeruch in der Gegend. Szsze, mein Freund und seine Mutter, Dusa nni berstanden die Eroberung der Stadt unversehrt, unsere Freundschaft in der Schule und privat war ungebrochen. Da er auch Einzelkind war, wie ich, hatte es gepasst, wie Hermann es gesagt htte. Szszes Vater war auch Arzt, jedoch deutlich jnger als Mikls. Er musste Militrdienst leisten und die 4 getrennten Jahre haben diese Ehe zerrttet und es kam zur Scheidung, die Szsze stark erschtterte. Sie zogen um, in das Haus der Eltern von Dusa nni, wo sie eine Wohnung bekamen, ziemlich weit von uns. Die Entfernung tat der Freundschaft keinen Abbruch, oft verbrachten wir 4-5 Tage der Woche gemeinsam. Die Jahre zwischen 1940 und 1954 wurden von extrem kalten Wintern und von heien Sommern gekennzeichnet. Die Donau fror regelmig Mitte Dezember zu und taute erst im Mrz auf. Wir wussten nichts ber die Groeltern in Buda! Die Brcken hatte die Wehrmacht gesprengt, alle 7!, und so war es nicht mglich, Kontakt mit Buda herzustellen. Joli gelang es unter Gefahren im Mrz rberzugehen und auch zurckzukommen. Sie berichtete ber die Teilzerstrung der Wohnung, aber die Eltern und Geschwister berlebten, obwohl Buda noch mehr unter dem Angriff gelitten hat als unsere Pester Seite.

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Der Wiederaufbau begann, die Trmmer verschwanden langsam, im Sommer fuhr wieder die erste Straenbahn. Es begann eine galoppierende Inflation, deren Hhepunkt 1946 erreicht wurde und damit waren die Tage der Vorkriegswhrung, des Peng gezhlt. Als Mikls sein Gehalt von etlichen Milliarden Peng nach Hause brachte, gab er sie mir gleich, um Glaskugeln, Murmeln zu kaufen. Ich bekam 10 Stck dafr. Am nchsten Tag gab mir der Hndler nur noch 6 Stck fr dieselbe Summe. Fragt Ihr mich, wie man in so einer Zeit leben kann? Nun ja, durch Tauschhandel. So verschwanden langsam die diamantenen Ohrklipse meiner Gromutter, dann die Goldringe von Joli. Eigentlich verschwanden sie nicht, sondern wandelten sich um in Schweinespeck, Mehl, Bohnen, Kartoffeln und Reis. Viele Bauern wurden in den ersten Nachkriegsjahren reich! Es wird der Anschein erweckt, dass die Natur die Menschen fr Krieg, Tod und Elend besonders strafen mchte. In den zwei Nachkriegsjahren fiel so viel Schnee, dass im Hof unseres Hauses der Schneeberg bis zur Hhe der 1. Etage aufgetrmt werden musste, um zu den Wohnungen im Parterre Zugang zu haben. Die Sommer waren auch so extrem. Temperaturen im Schatten gut ber 40 waren keine Seltenheit. Der Asphalt wurde weich, auf dem Brgersteig sah man die eingedrckten Schuhspuren! Durch Beziehungen konnte mein Vater mich fr jeweils 3 Wochen in einer Sommerschule mit Internat und Versorgung unterbringen. Diese Institutionen befanden sich auf der Budaer Seite, im Berghang. Hier sind die Temperaturen ertrglicher gewesen. Aber im 2. Jahr, beim sonntglichen Eltern-Besuchstag entdeckte Joli kleine rote Stiche an mir. Sie traute offenbar meiner Version nicht ganz, als ich sagte, es sind Mckenstiche. Sie schlug meine Bettdecke zurck und sah dort frhlich sich tummelnde Wanzen. Ihr knnt Euch vorstellen, wie grndlich ich gebadet und desinfiziert wurde nach der Heimkehr! Zwei lehrreiche Jahre durfte ich Pfadfinder sein, aber wieder nur so lange, bis das Pfadfindertum durch jungkommunistische Pioniere ersetzt wurde. 1947. Die neue Whrung, der Forint war da. Der Name Forint ist abgeleitet von dem berhmten Zahlungsmittel der Renaissance in der Toscana, wo die Medicis das europaweit anerkannte Zahlungsmittel, die Fiorino etabliert haben. Es entstand eine gewisse Stabilitt im Land. Es schien eine trgerische politische Entwicklung in Richtung Demokratie im Gange zu sein. Nur Wenige in Ungarn wussten, dass im Hintergrund die Kommunisten und die Sozialisten, berwiegend vertreten durch ungarischen Juden, ausgebildet und ideologisch geschult in Moskau, mit der Untersttzung der Sowjets, schon an der Schwelle der Machtbernahme standen. Imre, 21

mein Onkel ahnte es! Aber zurck zum Jahr 1947. Fr zwei Wochen konnten wir wieder im Sommer nach Keszthely fahren! Es wurde eine Riesenenttuschung! Das liebliche Keszthely war spurlos verschwunden! Uns erwartete ein proletarisch verarmter Ort mit staubigen Fenstern, leeren Lebensmittelgeschften, auf dem Weg zum real existierenden Sozialismus. Das prunkvolle Schloss der Grafen Festetich wurde HQ. der Sowjets. Feinsinnig und tierlieb, wie sie eben waren, haben sie ihre Pferde ber eine marmorne Prunktreppe in den Ballsaal auf der 1. Etage gebracht. Das europaweit berhmte Mosaikparkett aus ber 100 verschiedenen europischen und Tropenhlzern wurde herausgerissen und im Winter wurde daraus ein gemtliches Feuerchen gemacht, um Pferde und Soldaten vor der Klte zu schtzen. Eine groe Kulturnation gab so ihre Visitenkarte in Keszthely ab. Der Strand war desolat. Mll und Schmutz wurden nicht mehr beseitigt, wir suchten einen mllfreien Platz und in meinen enttuschten Eltern reifte eine Entscheidung, fr mich mit positiver Tragweite. Whrend eines Fahrradausflugs nach Szigliget (Sigligetwie einfach auszusprechen, gell) trafen wir Freunde der Eltern. Sie verbrachten ihren Urlaub schon immer dort, und es war wie eine Oase im real existierenden Sozialismus. Darber spter mehr. In diesem Sommer habe ich mit der freundlichen Untersttzung von Egervlgyi bcsi meinen grten Fisch geangelt, einen 7 kg schweren Spiegelkarpfen. Er kam wie gerufen, wir und die Eheleute Egervlgyi haben 3 Tage von dem Fisch ppig essen knnen. Nach Ablauf der 2 Wochen verlieen wir endgltig Keszthely. Am 1. September fing meine gymnasiale Laufbahn bei den Piaristen an, -es ist ein Lehrorden, hnlich wie die Benediktiner oder Zisterzienser,- nur im Westen nicht so bekannt. Aufgenommen wurden nur Schler mit gutem Zeugnis und neben weiteren zwei parallelen Klassen fand ich mich in einer Klasse mit 66! Mitschlern. Vom Katheder aus gesehen verschwanden die letzten Reihen nach der dritten Stunde in einem Nebel unserer Ausdnstungen! Aber, die Patres haben uns durch eiserne Disziplin und erbarmungslose Leistungsanforderung voll unter Kontrolle gehalten. Da ich ehrgeizig, aber vielleicht nicht so schnell im Begreifen war, musste ich Zuhause viel arbeiten, mit dem Ergebnis, dass ich mich damit unter den ersten 8 in der Klasse platzieren konnte. Das viel Lernen und die Arbeit stank mir gehrig, weil ich ein gesunder, und dementsprechend fauler Junge war, aber ich denke an die zwei Jahre bei den Piaristen immer dankbar zurck. Dort habe ich Lernen und Leistung zu erbringen gelernt, und die Zeit fr Aufgabenlsungen einzuteilen. Wahrscheinlich wre es mir nicht so gut bekommen, die damaligen 8 Gymnasialjahre dort zu verbringen. Ich htte bestimmt 22

weniger Zeit zum Sport gehabt, wenn berhaupt, weil, wie ich schon gesagt habe, ich war zu ehrgeizig, um das Lernen zu vernachlssigen. Warum aber nur 2 Jahre bei den Piaristen? Die Antwort ist einfach, aber fr das Land umso trauriger. Bis 1949 haben die Kommunisten mit den Sozis zusammen die Macht bernommen. Die konfessionellen Schulen, als Kaderschmiede fr die zuknftige Intelligencia wurden sofort geschlossen, die Patres verjagt, oder in Metall- oder Textilfabriken gezwungen, um in der sozialistischen Produktion teilzunehmen. Mein persnlicher Bonus der letzten zwei Piaristenjahre war die Tatsache, dass ich in der stdtisch-sozialistischen Schule kaum arbeiten musste, da wir so viel weiter im Unterricht waren! Da blieb Zeit fr Sport. Schwimmen, Tischtennis, Fechten und Tennis nahmen den grten Teil der Nachmittage ein. Tischtennis haben wir mit Szsze zusammen betrieben. Die Freundschaft nahm unter der schulischen Trennung keinen Schaden.

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Der real existierende SozialismusVon Mrz bis Oktober standen die Sonntage im Zeichen von Fahrrad-Touren. Zeitweise sind wahre Karawanen von uns unterwegs gewesen. Oft sind Gabi, Dudi, Andor Bla und Dudus mitgefahren. Natrlich waren Dusa nni und meine Eltern mit von der Partie. Im Frhjahr und Herbst, als die Tage krzer waren, radelten wir zum Kis erd (Kleiner Wald). Die Entfernung betrug 18 km, in Richtung Nordwesten. In der Nhe gab es eine Ziegelei. Nicht weit davon entfernt lag dieses Wldchen, im Frhjahr voller Waldblumen, hauptschlich Veilchen. Dort gab es auer der Waldluft nichts. Kein Wasser, keine Toilette, nach heutigem Sprachgebrauch war die Infrastruktur nicht vorhanden. Das war aber auch das Schne daran, sonntags war niemand da, und das Wldchen gehrte uns allein. Spter im Jahr, als die Tage immer lnger wurden, wurde auch die Strecke lnger, 32 km. An der Donau, bei Tahi fanden wir am Ufer einen Platz, wo durch eine Verwirbelung das Wasser auf einer Strecke von 400 m am Ufer entlang nach oben, gegen den Hauptstrom floss und so konnten wir lngere Zeit im Wasser verbringen! Besonders aufregend war es, sich vom Strudel runterziehen zu lassen, es waren ca. 4 m, in die Tiefe, und dann mit einem krftigen Ruck seitlich vom Strudel wieder hochzukommen. Ansonsten war es sehr hnlich wie im Kleinen Wald. Keine Infrastruktur, nur Rasen am Ufer, ein paar Bume und wir, die Fahrrad-Karawane. Das Trinkwasser, von zu Hause in Feldflaschen mitgebracht, wurde im Wasser verankert. So blieb es am ganzen Tag khl. Natrlich gab es keine Sfte, Cola, oder sonstigen kapitalistischen Weichmacher. Wir bauten den Sozialismus, und diese Anstrengungen bentigten taff guys und nicht irgendwelchen verweichlichten Intellektuellen!? (Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ihr den Sinn von dem, was ich hier niederschreibe begreift, und unsere Stimmung und Hoffnungslosigkeit in einer vernderten Welt, die uns gegenber sich uerst feindlich verhielt, verstehen knnt?) Diese Touren waren fr uns Jugendlichen Spa und Abenteuer, fr die ltere Generation eher ein inneres Exil. Sonntags konnten sie mit Propaganda, Agitation und Ideologie nicht belstigt werden! Wenn ich Euch hier ber diese Geschehnisse schreibe, dann msst Ihr Euch vergegenwrtigen, dass wir aus mehreren Grnden in stndiger Angst lebten! Eine Angst war die Folge der Abstammung. Als Arzt gehrte man zu den Ausbeutern und im Arbeiter- und Bauernstaat war fr Intellektuelle, die nicht regimetreu waren, sehr wenig Platz. Angst Nr.2 war das stndige Bangen um die Existenz. Es reichte nicht dass Mikls Arzt und Intellektueller war, dazu kam bis 1952 die Tatsache des Hausbesitzes! Als Kapitalist und Ausbeuter der arbeitender Bevlkerung wurde man sehr schnell als Feind eingestuft mit der unmittelbaren Folge von Deportation in gottverlassene Drfer, unter feindlich gesonnenen Bauern, in mehr als drftiger 24

Unterkunft. Angst Nr.3 war nicht weniger bedrohlich. Im Krieg wurde viel Wohnraum vernichtet. Im Laufe des sozialistischen Aufbaus strmten viele Menschen vom Land in die Hauptstadt. Ein groer Ideologe erfand eine der tckischsten und niedertrchtigsten Wohnformen, die ab 1949 an die 40!! Jahre Bestand hatte, die sogenannte Partnerschaftliche Mietgemeinschaft. Was bedeutete diese teuflische Konstruktion? An unserem Beispiel dargestellt: wir haben eine Dreizimmer-Wohnung mit einem 3x3 m Raum fr das Vorkriegszimmermdchen, als viertes Zimmer. Das grte Zimmer meines Vaters befand sich weiter im ruinierten Zustand, aus dem Arztgehalt von Mikls haben wir keine Chance es zu renovieren. Nichtsdestotrotz bestand die Mglichkeit, dass in die Wohnung ein Mietpartner-Ehepaar eingewiesen wird mit partnerschaftlicher Benutzung der Kche, Badezimmer und Toilette. Besonders niedertrchtig wurden diese Einweisungen derart gehandhabt, dass zu einer brgerlichen Familie, -aus sozialistischen Erziehungsgrnden, - eine Familie aus dem niedrigsten Proletariat, oder Zigeuner zugeteilt wurden. Motto: nun erzieht euch mal schn. Um in der Geschichte weiter zu kommen, Gott sei Dank, die drei ngste haben sich nicht erfllt. Aber ich erinnere mich noch gut an die Jahre zwischen 1949 und 1954, als eine Fahrzeugtr in der Nacht vor dem Haus zugeschlagen wurde, es geschah nicht zu oft, weil keine Privatfahrzeuge vorhanden waren, verkrampften meine Eltern sicht- und sprbar aus den oben dargestellten Grnden! Um diese grausame Zeit des roten Terrors und der Diktatur abzukrzen, nur noch ein gravierendes Ereignis. Irgendwann im Februar 1952, gegen 14 Uhr, -ich war schon zu Hause und machte meine Hausaufgaben,- jetzt nmlich wurde ich nach der Studienreform wieder Gymnasiast, erschienen bei meinem Vater drei Gestalten, alle drei in Kunstledermntel gekleidet, alle drei sehr gute und treue Genossen, mit einer Aktentasche und ohne sich zu setzen erffneten sie meinem Vater, dass unser Haus in Volkseigentum bernommen wird! Mikls brauchte die Erklrung nur dreifach zu unterzeichnen, der Vorgang hat nicht mehr als 10 min. in Anspruch genommen, und das Haus mit 41 Mietwohnungen, das Lebenswerk von Grovater Lzr war weg! In den nchsten 5 Jahren durften wir ohne Miete zu zahlen dort wohnen, aber ab 1957 haben wir im eigenen Haus Miete zahlen mssen! Diese Jahre htten auch unter dem Titel: Schne neue Welt laufen zu knnen. Die schnsten und friedlichsten Wochen des Jahres haben wir, wie immer, am Balaton verbracht. Mikls behandelte eine Buerin aus Szigliget, wo wir seit 1949 die Sommerferien mit drei weiteren klassenfremden Familien verbracht haben. Der Sohn der Buerin, Lali war 6 Jahr lter als ich, aber wir kamen sehr gut miteinander aus. Das Programm sah in der Regel so aus: 2-3 Wochen waren wir mit Szsze in Szplak (Ihr 25

erinnert Euch?), dann wechselte ich, aber hufig wir, mit dem Fahrrad und minimalem Gepck nach Szigliget. Dort schlief ich oder wir auf dem Heuboden, zusammen mit Lali. Der Heuboden war zwar hei, hatte aber einen Riesenvorteil gegenber den Rumen von unten. Oben waren zwei Wespennester und die Wespen vertrieben die Fliegen. Unten jedoch, bedingt durch die Haustiere, gab es massenhaft Hhner, Enten, zwei Khe, ein Pferd und einen Hund, und dazu Millionen und Abermillionen von Fliegen. Meine Eltern, wenn sie gekommen waren, schliefen in der guten Stube, aber mit den Fliegen. Die Lage dieses Ortsteils war fr unsere Zwecke wie geschaffen. Er hie Auenhgel. Hinter uns lagen die Weinberge mit ihrem vulkanischen Boden, vor uns der Plattensee, getrennt durch eine Piste, die mehr Lcher als intakte Oberflche aufweisen konnte und trotz allem, als Strae bezeichnet wurde. Hier konnte kein PKW fahren, Lastwagen nur unter Einsatz ihrer Achsen. Dieser Weg war wie geschaffen fr Ochsenkarren und fr unsere Fahrrder. Und fr die Hunde, die versuchten, klffend unsere Waden zu erwischen. Das Dorf lag 4 km landeinwrts. Dort gab es ab 1954 Elektrizitt. Auen, bei uns, gab es Petroleumlampen, Funzel wre die richtigere Bezeichnung, ein Donnerbalken im Holzhuschen nah an der Strae. Es gab auch einen Ziehbrunnen fr die Wasserversorgung von Tier und Mensch. Als ich in meiner stdtischen Unwissenheit beim Wasserziehen im Eimer einen Frosch fand und den wegwerfen wollte, schimpfte Margit nni, die Buerin. Ich sollte den Frosch wieder in den Brunnen tun, da er die Mcken und Kfer fra, und damit das Wasser sauber hielt. Die gesamte Positionierung der Anlage musste unter dem Motto geschehen: nur die Besten kommen durch! Der Misthaufen war nmlich hchstens 6 m vom Brunnen entfernt, aber in leicht erhhter Lage was die Flssigkeitsstrme eindeutig in Richtung Brunnen lenkte! Als logischer Folge dieser Anordnung habe ich in den ersten 3 Tagen in Szigliget immer Dnnpfiff gehabt. Die Fauna des Brunnens war fr meine stdtisch verweichlichten Eingeweide eine stndig wiederkehrende Herausforderung! Nach 3 Tagen war es vorbei, und Ihr wisst, wie robust meine Verdauungsapparatur noch heute ist. Ich lebte mit der Familie Tth, manchmal musste ich im Weinberg aushelfen. Dann aen wir mittags vor dem Keller im Berghang. Die Hnge waren steil und die Reben hochgebunden. Wenn ich mich beim Unkrautjten bckte, zwischen den Reben, wo die Luft stand und der Wind ber die Stcke verstrich, ja dort unten war es schon ziemlich hei. Ich glaube, ich irre mich nicht sehr, wenn gegen Mittag das nicht vorhandene Thermometer um die 58 gezeigt htte! Die Eisenbahnstation und die Bckerei in Badacsonytrdemic (sprich: Badatschonjtrdemic, -klar, gell?) sind 5 km entfernt gewesen. Als meine Eltern kamen, 26

radelten wir zum Bahnhof, das Rad wurde mit den Koffern der Eltern beladen, und je nach Beladung fuhren wir, oder schoben das Rad zurck. Die Lebensmittelversorgung, wie so oft im real existierenden Sozialismus- war schlecht. Oft gab es kein Brot im Laden. Ich musste um 6 Uhr aufstehen, nach Trdemic radeln, mich vor dem staatlichen Bckerladen in die Schlange stellen, um 2 Stunden spter, als nur noch 8 Personen vor mir in der Schlange waren, zu hren, dass das Brot fr heute zu Ende gegangen ist. Was gab es zu tun? Zurckradeln, rgern, die Volkswirtschaft loben und dann mglichst schnell baden gehen und das Ganze vergessen! Am Strand, es war ein Stck umzuntes Gelnde mit Gras, Klee, Bienen und Wespen im Klee und ein Zugang zum Wasser, wo das Schilf entfernt worden war, ja das war unser St. Tropez! Hier traf sich die Jugend, es waren immer welche da, mit denen man Wasserball, Kpfen oder Fuball spielen konnte. An windstillen Tagen, wenn das Wasser spiegelglatt war, bin ich weit hinausgeschwommen, bis ich den Burgberg mit der Burgruine sehen konnte. Diese Strecke entsprach ca. 3 km und es war ein Genuss in den von der Sonne erwrmten oberen 40 cm Wasser leise dahinzugleiten. Oft startete ich um 11 Uhr und kam erst nach 14 Uhr zurck. Manchmal trume ich heute noch davon, und dann spre ich die Stimmung, sehe die Farben und schmecke und rieche das Wasser! Segeln! Ich lernte segeln. Zuerst in einem gutmtigen, alten, gaffelgetakelten Kahn unter der Leitung von Lurko bcsi, spter im Starboot von Bci bcsi, und das war Spa pur! Dort lernte ich Regatta-Taktik, den Wind und die Wellen zu beurteilen. Die Nordseite des Plattensees ist tief, nach 15-20 m muss man schwimmen. Die Gegend von Szigliget (kennt Ihr noch die Aussprache?) ist besonders windreich, da rechts und links von Szigliget zwei lange, nach Norden offene Tler zum See herunterfhrten. Wenn man unter der Landabdeckung herauskam, konnten wir hervorragend segeln. Die lauen Sommerabende verbrachte die Jugend auf der Mole. Da strten keine grellen Lampen, wie gesagt es gab dort noch keine Elektrizitt. Das einzige Licht kam von der Petroleumlampe, die der Hafenwart, Lajos bcsi so gegen 22 Uhr am Ende der Mole aufhngte. Und wenn es absolut nichts zu tun gab, dann sammelten wir die Bltenbltter des Klatschmohns und mit einem Angelhaken fingen wir in einer Stunde 30-40 Frsche. Einige haben wir mit der Fahrradpumpe aufgeblasen, aber am Ende landeten alle im Topf und es stand auf dem Abendspeiseplan panierte Froschschenkel. Blas 3 Jahr ltere Schwester, Eva, blond, mit 18 Jahren hbsch und attraktiv, hat mit uns, so glaube ich, albtraumhafte Zeiten verbringen mssen. Drei, manchmal vier 27

vollkommen verrckte Teenager Jungs mussten einem Mdchen, das im Begriff war zur Frau zu werden, (damals war eine 17 jhrige noch ein Mdchen und keine junge Frau), eine stndige grausame Herausforderung gewesen sein. Damit will ich zu einem Punkt kommen, der einiger Erklrungen bedarf. Die jungen und smarten Besatzungsmitglieder der Linienschifffahrt kannten Eva. Der Gang zur Mole zu den Schiffsankunftszeiten war eine der wichtigsten Programmpunkte des Tages. In Evas Begleitung und als stndige Bedrohung, dass wir mit ihr etwas Bldsinniges anstellen zog nach sich, dass wir als Evas Anhngsel bekannt waren. Wenn dann das Mittagsschiff aus der Richtung Keszthely nach Szigliget fuhr, wurde der Strand in etwa 2 km Entfernung passiert. Szsze, Bla und ich machten eine Riesenshow daraus, sowieso bis auf die Badehose ausgezogen, es war Usus damals, also vor dem Strand lieen wir uns ins Wasser fallen, um zum Strand zu schwimmen. Die Passagiere mit einem etwas dnneren Nervenkostm haben aufgeregt der Schiffsbesatzung Meldung ber Mann ber Bord gemacht und konnten nur dann beruhigt werden, wenn denen erklrt wurde, dass wir bekannt sind und es wre auch kein besonders groer Verlust fr die Gesellschaft, wenn wir von der Bildflche verschwinden wrden. Insgesamt habe ich 12 heitere, schne und ideologiefreie Sommer in Szigliget verbracht. 1954 legte ich das Abitur mit lauter 1-er bei den Noten ab. Im dritten Schuljahr wurde ich Sieger des nationalen Geographie-Wettbewerbs, im vierten starker Dritter. Nicht weil ich besonders fleiig geworden war, sondern weil ich aus kaderpolitischen Grnden sonst keine Chance gehabt htte auf die Uni zu kommen. Die Aufnahmeprfung absolvierte ich auch mit Glanz und Gloria. Aus den mglichen 24 Punkten wurde mir 1 Punkt abgezogen, wegen der brgerlich-ausbeuterischen Abstammung. Nach 6 Wochen bekam ich den Bescheid, dass ich wegen Platzmangel bedauerlicherweise nicht aufgenommen wurde. Hier konnte ich am eigenen Fell den gelebten Klassenkampf spren, da die Arbeiter- und Bauernkinder ohne Rcksicht auf Begabung oder Interesse bevorzugt waren! Dieses System blhte und war weit verbreitet im Arbeiter- und Bauernstaat. Das Ergebnis war klar, es konnte nur zu einer negativen Auswahl fhren, mit inkompetenten Menschen in entscheidenden Positionen! Ich habe den Eindruck, dass das Land heute noch darunter leidet. Um nicht total zu verwahrlosen und meinem Interessengebiet nah zu bleiben, habe ich ein Jahr in einer Apotheke, als PTA gearbeitet. Fr die Zukunft lernte ich in der Apotheke etliche ntzliche Sachen und Kniffe. Whrend ich in der Apotheke half um

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eine schlagkrftige und starke sozialistische Republik aufzubauen, spielte Fortuna Schicksalsgttin! Mikls behandelte, -welch ein Zufall!, - die Mutter des Parteisekretrs der Medizinischen Fakultt. Als die Behandlung abgeschlossen war erschien ihr Sohn, der Parteisekretr der Semmelweis Uni beim Vater um sich zu bedanken. Er fragte auch, ob er meinem Vater irgendeinen Gefallen tun knnte? Mikls bat ihn darum, meine Aufnahme zu untersttzen. Er versprach es und hat auch sein Wort gehalten. Obwohl ich bei der erneuten Prfung nur noch 21 Punkte erreichen konnte, (das Abiturwissen verblasste etwas), glaube ich, dass ich einer unter den Ersten war, der in diesem Jahr aufgenommen wurde.

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Der AufstandDie Uni fing Anfang September an. 6 Wochen spter erlebten wir den ungarischen Aufstand gegen den Kommunismus, gegen die moskowiter Juden und Sowjets, der damals die Welt erschtterte. Am 22. Oktober 1956 brach der Zorn der Bevlkerung alle Dmme und stand gegen 10 Jahre Ausbeutung durch die Sowjets, aber auch gegen die ungarischen Politjuden als Bediener des Systems und gegen die Leugnung der nationalen Identitt auf. Ich war mit einem Freund zum Nationalmuseum gegangen, um zu hren was geschieht. Das Gebude des Radios, natrlich treuer Bediener der herrschenden Genossen wurde gestrmt. Wir sind in einer engen Gasse, mit hohen Husern, ganz in der Nhe gewesen, als mit Trnengas auf uns geschossen wurde. Man wird in der krzesten Zeit hilflos. Nase und Augen trnen, das Auge brennt wie Feuer, und man kann sich kaum orientieren. Wir wurden aus dieser engen Gasse, wo die Trnengaswolken sich festgesetzt hatten, von Hand zu Hand hinausgereicht, wieder in den Garten des Museums, wo etwas mehr Wind wehte. Langsam haben sich unsere Schleimhute beruhigt, wir konnten wieder sehen und erlebten dort, wie die ersten Lastwagen voll beladen mit den Arbeitern der Nachtschicht der grten Metallfabrik von Budapest zur Untersttzung der Demonstranten ankamen. Kurz danach kamen weitere Lastwagen, diesmal mit den Soldaten der ungarischen Volksarmee. Sie haben Gewehre mitgebracht und bald danach wurde auch schon geschossen! Im Garten des Museums standen um uns auch viele Menschen. Nicht weit von mir wurde jemand von einer Kugel getroffen und brach zusammen. Ich muss gestehen, ich habe die Hose voll gehabt. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass unmittelbar um mich geschossen wurde. Gegen Mitternacht gingen wir nach Hause, da am nchsten Tag die Vorlesung in der Uni um 8 Uhr begann. In der Nacht aber nahmen die Ereignisse einen unerwarteten Lauf. Aus der Demonstration gegen die Machthaber hat sich ein bewaffneter Aufstand entwickelt. Mikls lie mich nicht zur Vorlesung gehen, da die Lage zu unruhig war. Gegen 9 Uhr hrten wir Maschinengewehrsalven vom Ferenc krt. Hinter dem Vorhang konnten wir das, was vor unseren Augen geschah, verfolgen. Es fuhren zwei russische Armeelaster, bepackt mit Soldaten auf der Strae, dahinter ein Panzerwagen, besonders gut geeignet fr den Straenkampf. Als die Lastwagen die Kreuzung passiert haben, wurden sie unter Gewehrfeuer genommen. Der Panzerwagen stoppte und nahm die Kreuzung unter Sperrfeuer mit seinem Maschinengewehr. Pltzlich rannte ein etwa 16 jhriger Junge mit einem Molotow Cocktail, -drfte Euch bekannt sein,- hinter eine Abdeckung zum Panzerwagen und 30

warf die Flasche in den Wagen hinein. Die Flasche explodierte und der Wagen fing an zu brennen. Der Soldat bediente sein Maschinengewehr weiter, bis ein zweiter Cocktail ihn am Kopf traf und er bewusstlos niederfiel. Um es kurz zu machen, die Soldaten und der Offizier des Wagens wurden einer nach dem anderen eliminiert. Als dann ein Sowjetpanzer diesen ausgebrannten Wagen abschleppen wollte, wurde der Panzer mit Molotow-Cocktails auch in Brand gesetzt. Am Ende des Tages standen 5 ausgebrannte Panzer der Sowjetarmee im Bereich der Kreuzung, auer Gefecht gesetzt durch die primitivsten Mittel, die den Aufstndischen berhaupt zur Verfgung standen! Noch im Laufe des Vormittags wurde ein junger Mann zu uns in den Hauseingang hereingebracht. Er wurde von einer Gewehrsalve verletzt. Von rechts oben im Nierenbereich bis links unten an der Oberschenkelrckseite steckten 6 Kugeln in seinem Krper. Vater und ich haben ihn notdrftig mit Verbnden versorgt, womit auch die Verbandreserve von Mikls aufgebraucht wurde, und als drauen eine Feuerpause entstand, wurde der Verletzte in das Kinderkrankenhaus in unserer Nhe von 300 Metern herbergetragen. Um alle Ereignisse des Aufstandes zu beschreiben, auch nur diese, die ich selbst erlebt habe, wrden den Rahmen dieser Zeilen sprengen. Eine Ausnahme genehmige ich mir, auch um die Anpassungsfhigkeit eines Menschen zu zeigen. Am vierten Tag des Aufstandes ist meiner Mutter das Speisel ausgegangen. In der damaligen Zeit war die Mglichkeit kaum gegeben, geordnete Reserven im Haushalt zu haben. Man kaufte und a das, was eben zu haben war. Also ist ihr das l ausgegangen. So, oder hnlich erging es auch vielen anderen. Im Nachbarhaus wurde ein verstaatlichtes Lebensmittelgeschft aufgebrochen. Joli gab mir den Auftrag, drei Flaschen l zu besorgen. Das Geschft war nicht mehr als 60 m von unserem Hauseingang. Als ich herberlief, wurde von der anderen Straenseite auf mich geschossen. Ich sah die kleinen Staubwlkchen in der Hauswand hinter mir. Ich glaube, danach waren es die schnellsten 60 m meines Lebens. Aber ich habe mich an das Gewehrfeuer gewhnt und hatte nicht mehr dieses Hose voll Gefhl. Wir hofften, das ganze Land hat gehofft. Alle hofften, dass die Russen verschwinden und Ungarn wieder ein freies, von Terror und Diktatur freies Land werden kann! Ihr kennt die Geschichte, wir haben uns bitter geirrt! In der zweiten Woche des Aufstandes kamen die Sowjets mit der vollen Strke ihrer militrischen Apparatur zurck, und ihre Rache war grausam. Budapest lag stellenweise wieder in Ruinen, so wie 1945. Unser Haus allein zhlte 17 Einschsse aus den Kanonen der sowjetischen Panzer. Das ehemalige Arbeitszimmer meines Vaters, seit dem Krieg das Ruinenzimmer, bekam wieder zwei Treffer! In dem 31

noch brauchbaren Teil des Zimmers hing an der Wand eine aus Holz geschnitzte Madonna mit Christuskind am Arm aus dem 18 Jahrhundert. Den Explosionen zufolge wurde das Kpfchen des Christuskindes abgerissen. Mikls war sehr traurig, er hat diese kleine Statue sehr geliebt. Etwa 3 Wochen spter wurden die Trmmer aus diesem Raum entfernt und auf der Strae aufgehuft. Zwei Tage spter, als Vater von der Sprechstunde kam und den Trmmerhaufen passierte, sah er das Kpfchen ganz oben liegen. Er brachte es in seinen Hnden geborgen mit und passte es wieder an. Seit dem ist die Statue wieder intakt und hngt jetzt in meinem Zimmer, neben dem Prozessionskreuz aus Bulgarien. Vielleicht werden sie bei uns als Talisman wirken und uns von greren Schicksalsschlgen bewahren!? Die zweite Woche fing damit an, dass mehrere sowjetische Panzer den Dachstuhl unseres verstaatlichen Hauses in Brand geschossen haben. Die Panzer, mit ihren Kanonen auf unsere Straenseite gerichtet, standen in Reihe. Der Dachstuhl brannte, also musste etwas geschehen! Vier Mnner des Hauses, auf Leitern stehend lschten den Brand, und wir, vier Jungs, in der Dunkelheit, das nur von der Feuer beleuchtet wurde, zwischen den Dachbalken stolpernd, trugen die Wassereimer vom hinteren Treppenhaus nach vorne, zur Straenfront, wo es brannte. Die brigen Bewohner des Hauses bildeten im hinteren Treppenhaus eine Kette, da das Wasser nur im Parterre floss, der Druck reichte nicht hher. Wieder waren es vier Tage, die wir im Keller verbrachten, whrend auf der Strae die Sowjets wteten, zugleich dem Westen ihre militrische Strke demonstrierend. Das Leben in diesen zwei Wochen konnte gefhrlich werden. Ein Mdchen aus unserem Haus stand am Fenster in der Wohnung im zweiten Stock und wurde erschossen. Um von etwas weniger Dramatischem zu sprechen, wenn nicht gerade das Feuer gelscht werden musste, dann spielten wir bei Kerzenlicht Karten im Keller. Die anderen drei haben geraucht und boten mir auch Zigaretten an. An drei Tagen habe ich zusammen 8 oder 9 Zigaretten geraucht. Als ich am vierten Tag, am aufgestapelten Kaminholz schlafend wach wurde, berkam mich das Gefhl, wie schn es wre, jetzt eine Zigarette zu rauchen! Ich war erschrocken, ja mehr schockiert! Ich dachte, wenn es bei mir nach 8 Zigaretten so ist, dann werde ich mit Haut und Haar daran hngen und komme von der Sucht nie mehr los! Daraufhin habe ich das Nikotin aus meinem Tagesprogramm gestrichen. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, der Westen hat uns zutiefst bedauert, ansonsten geschah aber nicht viel Weiteres.30 000 Tote und 200 000 Menschen, die

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das Land verlieen und in den Westen flchteten: das war die Bilanz eines zweiwchigen Traumes ber Freiheit und Unabhngigkeit und die bittere Erfahrung, dass das Westen uns wieder einmal im Stich lie. Fr die westlichen Mchte war viel wichtiger, die Suez-Krise zu ihren Gunsten zu lsen, als eine Konfrontation mit den Sowjets, wegen eines so kleinen Landes, wie Ungarn, das nicht mal l besa! Zu der internationalen Stellungnahme der Sowjets bezglich der Ereignisse in Ungarn kann ich kein besseres Zitat rezitieren als dieses: Why waste time discovering the truth when you can so easily create it. Zynischer geht es nicht! Eine Geschichte darf aus diesem Buch nicht fehlen. Unmittelbar nach der Niederschlagung der Revolution lag die Stadt in Ruinen, ausgebrannte Panzer, zerschossene Straenbahnzge, Tote, zerstrte Huser und Spuren von Barrikaden auf den Straen waren sichtbare Zeugen der Ereignisse. Die Sowjets, und auch die Kdr-Regierung waren sehr daran interessiert, keine Fotos, Bilder oder sonstigen Dokumente der Zerstrung zuzulassen. Der klare Hintergedanke war naheliegend: Derartige Bilder in den Westen wren ein mchtiges Instrument der Propaganda gegen Russen, Sozialismus, Volksdemokratie und Ostblock. Also, es herrschte striktes FotoVerbot! Fr mich war die Herausforderung doppelt. Ich wollte diese dramatischen Bilder haben, und ich wollte auch das Verbot brechen. So bin ich mit der Rolleiflex-Kamera von Mikls, versteckt unter meinem Wintermantel, auf die Strae gegangen und fing an, vorsichtig zu fotografieren! Es ging auch eine Zeitlang gut, dann aber passierte es! Ich bersah eine russische Patrouille, die sahen mich Aufnahmen machen, also wurde ich kurzerhand einkassiert. Sie nahmen mich in die uns gegenber liegende KilianKaserne mit. Hier war das HQ. der Sowjets. Sie erstatteten einem Major Meldung ber den Vorgang. Der etwa 50 jhrige Major hat alles angehrt, um mich danach russisch nach meinem Namen zu fragen. In dieser Situation hatte ich bestimmt mehr Glck als Verstand, da ich im Gymnasium in eine Klasse gesteckt wurde mit dem Schwerpunkt russische Sprache. Wir haben 2 Jahre lang wchentlich 7 Stunden Russisch gelernt. So sprach ich diese Sprache damals recht ordentlich. Ich konnte dem Major russisch antworten, ich sprach meinen Namen russisch aus, als Nikolaj Iwanow. Er schaute etwas verwundert und fragte mich weiter, warum ich trotz des Verbots Aufnahmen gemacht habe. Ich erklrte ihm, dass ich unser Haus mit den 17 Einschssen aufgenommen habe, um spter bei der Renovierung Unterlagen zu haben. Ob er es geglaubt hat oder nicht, wei ich bis heute nicht! Er bat um die Filmrolle, zog sie auseinander um sie zu belichten und damit zu zerstren. (Wir waren noch nicht in dem digitalen Zeitalter)! Den kaputten Film schmiss er auf den Boden, gab mir sogar die Kamera zurck und begleitete mich zum Kasernentor und entlie mich. Ich htte eine 33

mehr als reelle Chance gehabt, mit dem nchsten Transport von gefangengenommenen Revolutionren nach Sibirien unterwegs zu sein!! Viele junge Ungarn in meinem Alter verschwanden auf diesem Wege auf Nimmerwiedersehen! Das Ende der Geschichte war: zwei Tage spter, jetzt viel vorsichtiger, habe ich die Aufnahmen doch wiederholt, ohne entdeckt zu werden!! Und das Leben ging wieder weiter. Nach drei Wochen fuhren die Busse und Straenbahnen wieder, unser Nachbarhaus an der Ecke Ferenc krt und lli Strae wurde so zerschossen, dass es abgerissen werden musste. Zwei Jahre spter wurde dort ein abgrundtief hssliches modernes Haus hin gebaut, um die Wunden und Narben des Aufstandes zu verdecken. Nebenbei erwhnenswert ist die Tatsache, dass die Huser der Gegend nach 13 Jahren von auen renoviert wurden, und auch unser Ruinenzimmer wiederhergestellt wurde, um die Schden des Aufstandes und der sowjetischen Einwirkung, soweit es mglich war, zu kaschieren! Im Januar 1957 erlebte ich, aber auch meine Eltern ein groes Trauma. Szsze starb durch eine Gasvergiftung durch eigene Hand, da er krank war, behandelt wurde, worber wir aber nichts gewusst haben. Der Schock sa tief, aber retrospektive gesehen war es ein heilsamer Schock fr mich, da ich dadurch, was freundschaftliche Bindungen betrifft, frei wurde. Darber kann ich heute cool und nchtern schreiben, damals aber hat es Wochen und Monaten gedauert, bis ich den Verlust verarbeiten konnte. Seinen goldenen Siegelring hat Dusa nni, seine Mutter, mir geschenkt zur Erinnerung an Szsze. Er liegt in unserem Safe, neben meinen Ehering.

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StudiumDie Jahre kamen und gingen. Ich knnte in Details gehen, aber sie waren nicht so wichtig, um in die Geschichte der Familie aufgenommen zu werden. Nur nebenbei zu erwhnen: das Studieren funktionierte gut, die hohe Schwelle der Prfungen, am Ende des 4. Semesters nahm ich gut, oder sogar sehr gut und damit stand mehr oder weniger fest, dass keiner mehr die Population vor mir als Arzt retten kann! Es waren fr uns relativ ruhige Jahre. Der Klassenkampf nach der Oktober-Revolution lie deutlich nach und dadurch wurde das Leben ertrglicher, angstfreier. Meine Freundschaft mit Feri (Perner Ferenc) wurde immer intensiver. Wir waren in einer Lehrgruppe, wir machten die Praktika gemeinsam und wir wurden, als angehende rzte zu vielen Partys eingeladen. Wir waren zwar vollkommen unreif fr eine festere Bindung und waren uns auch dessen bewusst, doch war trotzdem ein gewisser Zulauf von Mdchen zu registrieren, bedingt durch unsere Situation. Und wehren wollten und konnten wir uns dagegen auch nicht. Es nderte nichts an der Tatsache, dass wir vom Elternhaus aus in sehr knapper finanzieller Situation lebten. Feri absolvierte die 6 Jahre Uni mit einem Sakko und Ihr knnt Euch vorstellen, in welchem Zustand sich dieses Kleidungsstck befand! Die Kleidung betreffend war meine Lage entspannter. Wille, der Ehemann von Ila aus Schweden hat in etwa die gleiche Statur wie ich. Sie schickten uns des fteren Kleiderpakete mit Anzgen von ihm. Um die Gebrauchsspuren zu maskieren, wurden diese Anzge auf links gedreht, heute wrden wir sagen, upside down. Natrlich kam die Einstecktasche, die normalerweise links oben ist, auf die rechte Seite, aber in diesen Jahren sind solche Makel nicht relevant gewesen! Der rote Terror hat deutlich nachgelassen, aber die Grundeinstellung hat sich im Wesentlichen kaum gendert. Ein Beispiel wird begreifbar machen, was ich Euch auch mit tausend Worten nicht beschreiben knnte. Vorausschicken mchte ich dazu, die Konstellation in unserer Lehrgruppe. Die Gruppe bestand aus 22 oder 24 Studenten und ist whrend der 12 Semester in der Zusammensetzung unverndert geblieben. Den engsten Freundeskreis bildeten vier Personen, Feri, Pali, Jska und ich. In dieser Aufstellung sind wir zu den Partys gegangen, so haben wir unser Unwesen getrieben. Wir waren bekannt in der Uni und auch privat, weil wir sehr oft zu viert aufgetreten sind. Dazu kam, dass Feri und ich in der Handballmannschaft der Uni gespielt haben und Pali war Mitglied der Ruderer-Nationalauswahl. Jska (Jooschka) war der stille Kompagnon. Als 1958 die Ruderer-Europameisterschaft in Frankreich ausgetragen wurde, hat Pali, sich selbst natrlich, Feri und mir je eine, damals unheimlich schick 35

geltende Pilotenbrille mitgebracht. Wir, stolz wie Oskar, trugen diese Brillen Tag und Nacht, zu allen passenden oder unpassenden Gelegenheiten. Jska wohnte mit einem Freund, ein ganz netter Kerl in Untermiete zusammen, da die Beiden vom Land kamen. Er war Sekretr der Kommunistischen Jugendorganisation der Medizinischen Fakultt, aber trotz allem ein ehrlicher Freund. Wir und unsere Pilotenbrillen besuchten gerade das achte Semester. Kaum 2 Wochen haben wir unsere Brillen vorgefhrt, als die Warnung von Jskas Mitbewohner kam, dass ber uns, als Nachahmer westlichen Stils, in seiner Organisation sehr negativ gesprochen wurde! Auch aus diesem Grund htte man nie in Jeans zur Uni gehen drfen! Zugleich kam die Empfehlung, um unsere berufliche Zukunft nicht unntig zu gefhrden, sollten wir uns in den Semesterferien zur gemeinntzigen Arbeit melden. Diese Arbeit bestand aus einem Arbeitslager an der westlichen Grenze Ungarns, wo wir Kanle, zur Entwsserung eines Sumpfgebietes ausheben sollten. Jska, Feri und ich haben es auch getan, Pali wurde durch Trainingslager und Wettbewerb entschuldigt. Vielleicht knnt Ihr anhand dieses Beispiels erfassen, dass sich in unserem Land politisch nichts Wesentliches gendert hat. Nach Beginn des 9. Semesters haben Feri und ich uns zum Rettungsarzt beim Ungarischen Roten Kreuz ausbilden lassen. Nach einem Lehrgang von 24 Wochen, der mit einem recht strengen Examen abgeschlossen wurde, durften wir als Rettungsrzte arbeiten. Die Arbeit war ziemlich strapazis, nachts kam man kaum zum Schlafen und am nchsten Tag musste man so oder so prsent sein, aber wir verdienten Geld! Das war das erste Mal, wo wir uns etwas, auch wenn nur etwas Minimales, erlauben konnten. Dazu kamen noch zwei Einnahmequellen. Feri und ich meldeten uns in der ungarischen Filmfabrik zur Statisterie, wurden angenommen und haben viel Spa gehabt, und Geld bekamen wir auch! Unsere andere Einnahmequelle mit Feri war das Zhlen der Lottoscheine. Die ausgefllten Scheine wurden Freitagabend 20 Uhr in die Zentrale der Ung. Nationalbank gebracht. Unsere Arbeit fing um 22 Uhr an. Wir wurden nach Leistung bezahl, je mehr Scheine man gezhlt hat, umso mehr Geld gab es am nchsten Morgen. Mein persnlicher Rekord lag parallel mit Feri bei 24 Tausend gezhlten Scheinen! Dafr gab es auf die heutige Whrung umgerechnet etwa 16 Euro. Es liest sich ganz erfreulich, aber es gab einen Haken dabei; wenn man 3 Scheine mit Treffer bersehen hat, dann wurde man sofort ausgeschlossen, bezahlt und entlassen! Nur eine lustige Episode aus dem vorletzten Semester. Wir hatten einige Vorlesungen im inneren Unibereich, dann gegen 12 Uhr mussten wir in die Aueninstitute wechseln. Es geschah in Form eines etwa stndigen Fumarsches. Nun, wir haben etwas Geld gehabt und waren bereit zu jeglichem Unsinn, so kauften wir im Laden eine Flasche Wodka Wyborova, polnisches Produkt, billig und nicht schlecht fr etwa 4 Euro. Als die 36

180 bis 200 Studenten, mit uns zusammen unterwegs waren, sind Feri und ich kurzerhand in einem Hauseingang verschwunden, zogen einen krftigen Schluck aus der Flasche, und so ging es bis zum unseren Ziel. In dieser Zeit war die Flasche auch leer, es sind nur Liter Flaschen gewesen. Die Flasche war leer, wir aber ziemlich voll, das Frhstck lag dann schon 4-5 Stunden zurck. Nie und keiner aus dem Semester konnte es erklren, wie es mglich gewesen ist, dass wir vollkommen normal aus der eine Vorlesung herauskamen, mit denen zusammen zur anderen Vorlesung gingen, aber dort offensichtlich betrunken und entsprechend angeheitert ankamen! Nach dem praktischen Jahr in verschiedenen Krankenhusern und Abteilungen legten wir unsere letzten Prfungen 1962 ab, beide, Feri und ich mit Cum Laude. Darauf waren wir sehr stolz, weil der Zeitaufwand zum Lernen und das Endergebnis in einer sehr gnstigen Relation standen! Mit dem Diplom in der Hand, jetzt schon Dr. Perner und Dr. Ivanoff (mit Doppel f, wegen der bulgarischen Herkunft des Namens) meldeten wir uns zum Militrdienst. Jeder mnnliche Absolvent des Semesters musste 6 Monate Militrdienst ableisten. In den ersten 2 Monaten lernten wir Salutieren, rechts ab, links ab und solch hochgradig komplexe Vorgnge, um danach 4 Monate, als Arzt bei den Einheiten zu dienen. Damit wurde die rztliche Versorgung der Ungarischen Volksarmee gewhrleistet. Schon die ersten 2 Monate arteten als eine total verrckte Zeit aus. Wir versuchten aus der Ausbildung eine Farce zu machen. Es ist uns auch gelungen, so sehr, dass in den folgenden Jahren fr die nchsten rztegenerationen die Ansprache in der Kaserne so anfing: Sie knnen alles machen, nur das nicht, was unsere Einheit alles ausgefressen hat. Wir haben aber auch messbare Folgen unseres Benehmens. Die Einheit bestand aus 12 Mann, auer den Verheirateten wurden die Anderen, mglichst weit von Budapest entfernt, strafversetzt. Ich wurde in einem Kaff, namens Marcali eingewiesen, den ich des besseren Klanges wegen Marseille umgetauft habe. Von Mitte Dezember bis Mitte April war ich dort. In einem Kaff, und in einem strengen und kalten Winter, nicht selten mit Temperaturen unter -20, ja, was macht ein junger Arzt unter solchen Bedingungen. Die Antwort liegt nahe, ich und wir haben weiter getrunken. Die Leber wuchs mit ihren Aufgaben und wir mit der Herausforderung. Ohne groartig bertreiben zu wollen, behaupte ich, dass der Aufenthalt in Marcali mein Leben grundlegend verndert hat. Unterwegs nach Hause im Zug, am 30. Dezember 1962 habe ich die junge und sehr attraktive rztin kennen und lieben gelernt, zwar nicht im Zug, aber das Treffen war das entscheidende! Noch im Zug haben wir vereinbart,

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dass wir am 2. Januar 1963 den gleichen Zug nehmen, da unser Weg zu der Strecke gleich war. Ja, so fing es an und was daraus geworden ist; schaut mal bitte in den Spiegel! Es gelang uns Beiden in Budapest weiter zu arbeiten. Mit meiner ungnstigen Abstammung hatte ich keine Chance in einer Universittsklinik einen Ausbildungsplatz zu bekommen, so fing ich in einem Bezirkskrankenhaus in Budapest mit der Allgemeinchirurgie an. Mein Chef dort war ein Jagdfreund des Staatsprsidenten, Janos Kdr. Es mag sein, dass er ein guter Jger war, als Chirurg htte ich von ihm nicht viel lernen knnen. Zum Glck der Patienten und zu meinem Glck war sein Oberarzt zwar ein zweifelhafter Genosse, aber ein sehr guter Chirurg. Von ihm habe ich alles, was in der Chirurgie gut und ntzlich war, gelernt.

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RepublikfluchtUnsere berufliche Perspektiven waren aber, nchtern gesehen, nicht rosig. So reifte in uns, diesmal nicht zwischen Feri und mir, sondern mit Ildik Szentptery die schwerwiegende Entscheidung heran, unser Land zu verlassen. Begnstigt wurde diese Entscheidung durch die glckliche Gelegenheit von einem Stellenangebot des Chefs des Landesbades Aachen Gebrauch zu machen. Mama und er trafen sich auf einem Kongress in Stockholm 1963 und er, Prof. Schuler, hat Ihr eine Stelle angeboten. So trat Mama diese Stelle nach einer 3-wchigen Italienreise mit mir am 1. Juni 1964 an. Nach einer schweren Trennung in Wien fuhr Mamas Zug in Richtung Aachen ab. Ich blieb ziemlich bedrppelt da, um mit dem nchsten Zug nach Budapest zu fahren. Ich wollte meine Ausreise, die als Republikflucht geahndet wurde, mglichst gut vorbereiten. Ich habe im Krankenhaus weiter operiert, wir trafen uns mit Feri regelmig, tranken deutlich weniger, da die Chirurgie und Alkohol nicht sehr gut in Einklang zu bringen war. Und ich berlegte, wie kann ich aus dem real existierenden Sozialismus so flchten, dass ich meine Zeugnisse, Diplom und Fachbcher mitnehmen kann? Dann, irgendwann, in einer Sternstunde kam die Lsung zu mir. Zu dieser Zeit gab es in Ungarn zwei verschiedene Reisepsse. Einen einfachen fr die befreundeten, sozialistischen Nachbarlnder, und einen anderen, den man viel schwieriger bekommen konnte, in den bsen Westen. 1965 war der Westen nmlich noch sehr bse, der kalte Krieg war vielleicht nicht mehr so kalt, aber warm war er auch nicht! So, Ihr habt es Euch vorzustellen, wenn ein junger, lediger Arzt berhaupt eine Ausreisegenehmigung in westliche Lnder erhalten hat, wurde er an der ungarischen Grenze gefilzt. Die Grenzer suchten nach verdchtigen Sachen, wie Diplom, Geld, Unterlagen, die auf eine eventuelle Republikflucht hinwiesen. Falls sie etwas gefunden htten, dann war die Reise an der Grenze zu Ende, man musste mit dem nchsten Zug zurck und sptestens in einer Woche erwarteten den Unglcklichen Repressalien, die weitgehend waren! Meine Lsung, so fand ich es, war elegant und witzig. Mit dem Auto eines Freundes fuhr ich nach Bratislava (Pressburg), in die befreundete Tschechoslowakische Republik. Natrlich mit dem einfachen Reisepass und mit einem Koffer, den ich in der Gepckaufbewahrung am Hauptbahnhof abgegeben habe. In diesem Koffer waren meine smtlichen Papiere, Diplom und Zeugnisse, wonach sonst gesucht wurde. An der Grenze gab es keine Schwierigkeiten, mit dem einfachen Reisepass htte ich in den Westen nicht weiterreisen knnen. Gut, dieser Teil war erledigt, versteckt in meinem Mantel war der Aufbewahrungsschein von Pressburg. Zwei Tage spter fuhr ich mit dem Zug nach Pressburg und weiter in den Westen, mit dem anderen Reisepass. Die 39

Grenzkontrolle war streng, aber in meinem Gepck war nichts Verdchtiges, und so konnte ich Ungarn verlassen. In Pressburg stand der Zug 20 Minuten und diese Zeit reichte aus, den einen Koffer aus der Gepckaufbewahrung zu holen. Ich reiste in den Westen mit einem Koffer mehr, wo all die wichtigen Unterlagen waren. An den weiteren Grenzen zwischen Sozialismus und West gab es keine Probleme mehr, da ich dort schon als Transitreisender betrachtet wurde, den die sozialistischen Brder Genossen an der Landesgrenze ordentlich unter die Lupe genommen haben. So kam ich nach einem 10-tgigen Umweg in der DDR ber Berlin am 17. Februar 1965, abends 21,15 Uhr in Aachen an. Mama hat mich am Bahnhof erwartet, es war ein wunderschnes Wiedersehen! Als wir aus dem Bahnhofsgebude herauskamen sah ich buntbemalte, kostmierte Weiber. Es war etwas merkwrdig, aber keinesfalls unangenehm! Wie Ildi mir erklrte, es war Weiberfastnacht, der Donnerstag vor Rosenmontag. Und, als ich mich am 22. Februar an meiner neuen Arbeitsstelle, in den Stdtischen Krankenanstalten in der Goethestr. morgens zur Arbeit meldete, schaute mich die Sekretrin meines zuknftigen Chefs, Prof. Klostermeyer, wie einen bunten Hund an! Sie sagte; morgen, vielleicht morgen wird es mglich, die ersten Schritte zu unternehmen. So fing also meine berufliche Karriere in Aachen an. Ich bekam ein Zimmer im Albert Servais Haus, in der Chirurgie. Das Haus steht heute leider nicht mehr. Als aus dem Stdtischen Krankenhaus die Uni-Klinik wurde, der Betrieb nach Melaten umzog, wurden viele Gebude abgerissen. An ihrer Stelle hat die AachenMnchener Versicherungsgesellschaft moderne Brorume errichtet.

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AachenMama wohnte auch im Landesbad, in einem Zimmer, das fr Sie aus einem Arztzimmer umfunktioniert wurde. Bis September 1966 wohnten wir so getrennt und ich verbrachte jede freie Minute mit Mama bis September 1966, als wir geheiratet haben. Es ergab sich als gnstiger Zufall, dass ich einen Ratsherrn der SPD-Fraktion operiert habe. Whrend seiner Genesung sprachen wir ber dies und jenes, und so kam es zum Gesprch, dass wir heiraten, dass wir kaum Geld haben, obwohl wir mit unserem Gehalt ber der Grenze gewesen sind, wo noch preisgnstige Sozialwohnungen zugeteilt wurden. Er, der Patient, war dankbar und als Ratsherr konnte er einiges bewegen. So verhalf uns ein Sozi zu unserer ersten, gemeinsamen Wohnung in der Alkuinstrae 34! V