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ERASMUS VON ROTTERDAM

AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN

ACHT BÄNDE

LATEINISCH UND DEUTSCH

HERAUSGEGEBEN VON WERNER WELZIG

ZWEITER BAND

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ERASMUS VON ROTTERDAM

MQPIA1: EfKQMION

SIVE LAUS STULTITIAE

DAS LOB DER TORHEIT

DEUTSCHE ÜBERSETZUNG

VON ALFRED HARTMANN

CARMINA SELECTA

AUSWAHL AUS DEN GEDICHTEN

DEUTSCHE ÜBERSETZUNG

VON WENDELIN SCHMIDT-DENGLER

Eingeleitet

und mit Anmerkungen versehen von

WENDELIN SCHMIDT-DENGLER

WBG� Wissen verbindet

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Die deutsche Übersetzung des >Lobes der Torheit< mit Genehmigung des Birkhäuser Verlages Basel entnommen aus;

Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit. Aus dem Lateinischen von A Hartmann. Basel und Stuttgart, 5. Auflage 1960 - Die >Carmina selecta< mit Genehmigung

von N.V Boekhandel en Drukkerij voorheen E.]. Brill Leiden entnommen aus: Tue Poems of Desiderius Erasmus.

Introduced and edited by Dr. C. Reedijk Leiden 1956.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Veiwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in

Und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WEG ermöglicht

4., unveränderte Auflage 2016 (unveränderter Nachdruck der Sonderausgabe 1995,

basierend auf der r. Auflage 1975) © 1975 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 978-3-534-26778-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF) 978-3-534-74128-1

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INHALT

Einleitung IX

Mcuplixs Eyxwµwv sive Laus Stultitiae · Das Lob der Torheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erasmus Rot. Thomae Moro suo s. d. · Widmungs­schreiben. Erasmus von Rotterdam an seinen lieben Thomas Morus . . . . . . . . . . . . 2

Mcuplcx.s Eyxwµwv, id est: Stultitiae Laus Desiderii Erasmis Roterodami declamatio · Das Lob der Torheit. Eine Stilübung des Erasmus von Rotter-dam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Desiderii Erasmi Roterodami Carmina Selecta · Aus­wahl aus den Gedichten des Desiderius Erasmus von Rotterdam 2 13

I. Carmen Bucolicum ·Bukolisches Lied . . . . 214

2. Elegia de collatione doloris et leticiae · Ein V er­gleich von Freud und Leid in Form einer Elegie 222

3 . Elegia d e praepotenti virtute Cupidinis phare­trati · Elegie über die gewaltige Macht des pfeilbewehrten Liebesgottes . . 224

4. Querula doloris · Leidvolle Klage 226

5. Oda amatoria ·Liebesgedicht. . 228

6. Elegia de mutabilitate temporum · Elegie über die Wandelbarkeit der Zeiten . . . . . . . 230

7. Elegia de patientia atque de dolore mortalium · Elegie über die Geduld und über das Leid der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 232

8. Apologia Erasmi et Cornelii sub dialogo lamen­tabili assumpta aduersus barbaros, qui veterem eloquentiam contemnunt, et doctam poesim derident · Apologie des Erasmus und Cornelius

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VI Inhalt

in Form eines Klagedialogs gegen die Barbaren, die die alte Beredsamkeit verachten und die gelehrte Dichtung verlachen . . . 242

9 . Epigramma de quatuor nouissimis Die vier letzten Dinge . . . . . . . . . . 2 58

lo. Carmen heroicum de solemnitate paschali atque de tryumphali Christi resurgentis pompa et descensu eius ad inferos · Epos über Ostern, über den Triumphzug des auferstehenden Chri-stus und seinen Gang in die Unterwelt . . . . 258

l 1. Elegia prima in errores hominum degeneran­tium, et pro summo caelestique bono varias falsorum bonorum species amplectentium ·

Erste Elegie gegen die Irrtümer der entarte­ten Menschen, die statt nach dem höchsten und himmlischen Gut nach dem Schein fal-scher Güter trachten

12 . Elegia secunda, in iuuenem luxuria defluentem atque mortis admonitio ·Zweite Elegie, wider ei-nen Jüngling, der im Leben schwelgt, und mah­nender Verweis auf den Tod . . . . . . . . 288

13 . Elegia tercia, in divitem avarum ·Dritte Elegie, wider einen reichen Geizhals . . . . . . . . 294

14. Ad Lesbium metrum phaloecium hendecasylla­bum, de nummo themation · Hendekasyllaben an Lesbius über das Geld . . . . . . . 302

15. Salinum argenteum abbati cuidam dono missum a monialibus monasterii vulgo dicti vallis virginum · Auf ein silbernes Salzfaß, das einem Abte von Klosterfrauen aus der gemeinig-lich „Tal der Jungfrauen" genannten Abtei als Geschenk gesandt wurde . . . . . . . . . 304

16. Ad Gaguinum nondum visum Carmen Hende­casyllabum · Ein Gedicht an den persönlich

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Inhalt VII

noch unbekannten Gaguinus m Hendekasyl-laben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

l 7. In Annales Gaguini et Eglogas Faustinas · Auf die Annalen des Gaguinus und die Eklogen des Faustus . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

18 . Ad Robertum Gaguinum carmen de suis fatis · An Robertus Gaguinus über das eigene Los 3 12

19 . In castigationes Vincentii contra Malleoli casti­gatoris deprauationes · Für die Textkritik des Vincentius und gegen die Verschlechterungen des Textkritikers Malleolus . . . . . . . . . 3 16

20. Prosopopeia Britanniae maioris, quae quondam Albion dicta nunc Anglia dicitur · Prosopopeia der Insel Britannia, einst Albion genannt und nun Anglia geheißen . . . . . . . . . . . . 318

2r . Carmen extemporale · Ein Gedicht aus dem Stegreif . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

22. In aulicum quendam clero infestum · Auf einen Hofmann, der den Geistlichen ungnädig ge-sinnt ist . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

23 . In picturam Europae stupratae · Auf ein Ge­mälde, das die entehrte Europa darstellt . . . 330

24. In magnatem quendam, sed ficto nomine, qui laudes suas exiguo munusculo pensarat · An einen reichen Mann, der unter einem Pseudonym angesprochen wird. Dieser hat den Lobgesang auf seine Person sehr bescheiden honoriert . . 332

25. Illustrissimo principi Philippo feliciter in patriam redeunti · Dem erlauchten Prinzen Philipp anläßlich seiner glücklichen Rückkehr in die Heimat . . . . . . . . . . . . . . 334

26. Ad Gulielmum Copum medicorum eruditissi­mum de senectute carmen ·An Wilhelm Copus, den hochgelehrten Artz, ein Lied über das Alter 340

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VIII Inhalt

27. Encomium Selestadi carmine elegiaco · Eine Elegie zum Lobe Schlettstadts . . . . . . . 356

28. Erasmus Roterodamus Guilielmo Neseno cala­mum dono dedit cum hoc epigrammate ·

Erasmus von Rotterdam schenkte Wilhelm N esen eine Rohrfeder mit diesem Epigramm 360

29. Erasmus loquitur · Erasmus spricht . . . . . 360

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EINLEITUNG

DAS LOB DER TORHEIT

I

Neben den >Colloquia familiaria < ist es vor allem das >Moriae Encomium<, das unser Bild von der literarischen Leistung des Erasmus bestimmt. Das Nachleben dieser Schrift wird nicht nur durch die zahlreichen Übersetzungen, sondern auch durch die Übernahme der in ihr vorkommen­den Motive in den Literaturen nahezu aller europäischen Länder zu verschiedenen Epochen eindrucksvoll bezeugt.

Als Erasmus das >Moriae Encomium< abfaßte, war er nicht der erste, der das Thema der Narrheit oder Torheit behandelte; allerdings gilt es, eher auf das Neuartige der Schöpfung des Erasmus hinzuweisen als auf die Verbindun­gen zum 1494 erschienenen >Narrenschiff< des Sebastian Brant und zu den Übersetzungen dieses Werks. Erasmus stellt in dem Widmungsschreiben an Thomas Morus seine Schrift in eine bestimmte literarische Tradition und hält als Anregung für das Werk ein etymologisches Aition mit höchst pointiertem Bezug fest: „ [ . . . ] quoniam omnino aliquid agendum duxi, et id tempus ad seriam commentati­onem parum videbatur accomodatum, visum est Moriae En­comium ludere. Que Pallas istuc tibi misit in mentem? in­quies. Prim um admonuit me Mori cognomen tibigentile, quod tarn ad Moriae vocabulum accedit quam es ipse a re alienus ; es autem vel omnium suffragiis alienissimus ." 1 Die Ver­quickung des Namens 'Morus' mit 'Moria' weist auf die ironische Grundhaltung des Werkes voraus. Nicht ganz geklärt ist allerdings bis zur Stunde das Abfassungsdatum der Schrift. Auf jeden Fall ist das > Encomium < erst nach der im August 1509 erfolgten Rückkehr des Erasmus aus Italien nach England entstanden; der erste Druck ist nicht

1 Percy S. Allen, Opus epistolarum, Tom. I (Oxford 1906), 460 (ep. 222) .

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X Einleitung

datiert, dürfte aber mit Sicherheit erst 15u in Paris bei Gilles Gourmont erfolgt sein. 2 Unklar ist auch das Abfas­sungsdatum des Begleitschreibens an Thomas Morus, für welches erst späterhin im Jahre 1522 das auf jeden Fall unrichtige Datum 1508 angegeben wurde.3 Bei diesem Brief handelt es sich wohl eher um eine Fiktion als um eine inten­dierte Mitteilung in bezug auf das >Encomium<, die Eras­mus seinem Freund, dem Adressaten, ja gewiß vorher schon mündlich hätte machen können. Percy S. Allen ha:t mit Recht gemeint, daß die Monatsangabe (Juni) sich nicht mehr auf das Jahr 1509 beziehen könne, und daher geltend zu machen versucht, daß sich die Ortsangabe 'Ex Rure' auch sehr wohl auf die Umgebung von Paris beziehen könnte, wo sich Erasmus im Mai und Juni des Jahres 15u aufhielt. Gegen das Datum 15u spricht allerdings die einleitende Zeitangabe „Superioribus diebus cum me ex Italia in Angliam recepissem . . . " : Der Abstand von rund zwei Jahren ist für „superioribus diebus" zu groß; ebenso würde 1510 ausscheiden. Doch auch der Juni 1509 kommt keineswegs in Frage, da Erasmus zu diesem Zeitpunkt noch in Rom war. Der Widerspruch läßt sich jedoch dadurch klären, daß Erasmus den Brief zum Zeitpunkt des Erschei­nens 15u abfaßte und das Datum bloß infolge ungenauer Erinnerung mit dem 9. Juni fingierte, um so den Eindruck einer unmittelbar nach Fertigstellung des Werkes ent­standenen Begleitschrift zu erwecken. Freilich bleibt es nicht ganz ausgeschlossen, daß Erasmus diesen Brief tat­sächlich nach Abfassung der Schrift an Thomas Morus schickte und später ungenau datierte.

Der ersten Publikation in Paris mit dem Titel >Moriae Encomium< folgten innerhalb weniger Monate weitere, und zwar 15u und 1512 bei Schürer in Straßburg, bei Th. Mar­tens in Antwerpen 1512, bei Badius in Paris im selben Jahr. Die erste Ausgabe Schürers fügt die Übersetzung 'laus

2 Zur Argumentation vgl. Allen 1 459 (ep. 222, Einleitung). 8 Vgl. Allen 1 459f. und Erasme. Eloge de la Folie. Nouvellement

traduit par Pierre de Nolhac. Suivi de Ja lettre d'Erasme a Dorpius. Avec des annotations de Maurice Rat (Paris 1937 ), 263.

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Einleitung XI

stulticiae' dem Titel hinzu; in der ersten bei Froben im Jahre 1515 erschienenen Ausgabe scheint sowohl der grie­chische als auch der lateinische Titel auf. Allerdings ent­halten die weiteren bei Froben erschienenen Ausgaben bis 1522 nur den griechischen Titel. Dem ersten bei Frohen herausgegebenen Druck war auch ein Kommentar des Ger­hardus Listrius beigegeben, an dem Erasmus mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst maßgeblichen Anteil hatte. Über die sehr intensive Reaktion, die das kleine Buch hervorrief, wird später zu berichten sein.

II

„Moriam lusimus apud Thomam Morum, turn ex Italia reuersi; quod opus quum mihi sie esset contemptum, vt nec aeditione dignarer (nam aderam Lutetiae, quum per Ricar­dum Crocum . . . pessimis formulis excuderetur), tarnen vix aliud maiore plausu exceptum est, praesertim apud magna­tes ."4 Aus diesen Worten wird deutlich, daß Erasmus sein > Encomium < einerseits als Spiel („lusimus") auffaßte; andererseits ist die Verachtung („contemptum"), von der hier die Rede ist, durchaus nicht wörtlich zu nehmen, son­dern als eine geschickte „captatio benevolentiae" zu beur­teilen. Diese Wertung des >Encomium< entstammt dem Werkbericht an Johann Botzheim aus dem Jahre 1523, als Erasmus seines Erfolges bereits völlig sicher sein konnte . Zugleich aber war er sich der Zwiespältigkeit seiner Äuße­rungen bewußt; die er treffen wollte, hatte er getroffen, nämlich die „monachos, eosque deterrimos, ac Theologos nonnullos morosiores".

Erasmus selbst hat kein Hehl daraus gemacht, woher er seine satirische Technik, die im >Encomium< zur Anwen­dung gelangt, bezogen hat. Die Ahnenreihe, die er im Brief an Thomas Morus zusammenstellt, zeugt von seiner umfas-

' Allen I 19 (an Johann Botzheim).

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XII Einleitung

senden literarhistorischen Kenntnis : Homers > Froschmäu­sekrieg <, Vergils >Culex< und > Moretum<, Ovids > Nux <,6 den verlorenen Panegyricus des Sophisten Polykrates auf den Tyrannen Busiris, das ebenso verlorene Lob der Ungerech­tigkeit, das Platons Bruder Glaukon verfaßt haben soll, das Lob des häßlichen und widerwärtigen Thersites und das des Fiebers aus der Feder des Favorinus, von dem es kaum Fragmente gibt, das > Lob der Kahlheit < des Synesios von Kyrene, die >Fliege < und den > Parasiten < des Lukian, die > Apokolokyntosis < - zu deutsch etwa die 'Verkürbis­sung des Kaisers Claudius' - vom jüngeren Seneca, den > Gryllos < des Plutarch, in dem ein zum Schwein verwan­delter Gefährte des Odysseus diesen von den Annehmlich­keiten seiner Lebensweise zu überzeugen sucht, die dem Lukian zugeschriebene griechische und die von Apuleius verfaßte lateinische Variante des Eselsromans und das > Testamentum porcelli <, der letzte Wille des Ferkels Grun­nius Corocotta, das auch der heilige Hieronymus kannte. Diese Texte sind zum Teil ironische Enkomien, und mit gutem Recht stellt Erasmus seine Schrift in diese Tradition. Für diese aber ist Erasmus von allen genannten Vorbildern den Texten Lukians am meisten verpflichtet. Mit dem Hinweis auf diesen Autor ist nicht nur der für die Gestal­tung und ironische Grundhaltung entscheidende Anreger genannt, sondern auch ein weiterer Bezugspunkt zu Tho­mas Morus gegeben. Thomas Morus und Erasmus hatten im November 1506 das Ergebnis ihrer gemeinsamen Über­setzertätigkeit aus dem Werk des hellenistischen Satirikers unter dem Titel > Luciani opuscula< herausgegeben. Eras­mus hatte später noch einige Übersetzungen angefertigt, während Morus keine weiteren mehr beisteuerte. Wie sehr gerade Lukian als inhaltlich und formal maßgebliches Vor­bild von Erasmus empfunden wurde, geht auch daraus her­vor, daß das > Encomium< wohl nach dem ausdrücklichen

• Bei den erwähnten Texten des Vergil und Ovid handelt es sich aller­dings um Werke, die diesen Autoren fälschlich zugeschrieben wurden.

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Einleitung XIII

Wunsch seines Verfassers mit dem Dialog >Der Parasit < und dem >Lob der Fliege < hätte abgedruckt werden sollen .6 Der Umstand, daß es sich bei den genannten Werken Lu­kians um weniger bedeutende Werke handelt und sie von Erasmus nicht übersetzt wurden, ist für unseren Zusam­menhang unerheblich. > Das Lob der Fliege < (µu[ixi; &yxwµtov) ist in der Tat eher als Bagatelle anzusprechen, obwohl die darin angewendete literarische Technik sich gerade im > Moriae encomium < als tragfähig erweist. Wie die Moria des Erasmus auf ihre Eltern kann auch der Verfasser des >Lobs der Fliege < stolz auf die Herkunft des gepriesenen Insekts verweisen ; hier wie dort ist Homer gerade gut genug, um durch seine Worte den Wert des gepriesenen Gegenstandes zu bestätigen. Bei Lukian ergibt sich eine effektvolle komische Spannung durch das Lob eines nich­tigen Objekts mit einem übermäßigen Aufwand an Mitteln . Lukians Schlußsatz, er wolle nun abbrechen, um nicht aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, hebt die Wirksam­keit dieses komischen Kontrasts geschickt hervor. Erasmus hat übrigens diese Wendung in die >Adagia < und auch in das >Encomium< übemommen.7

Weitaus subtiler als das >Lob der Fliege < ist der >Para­sit <, dessen Gehalt erst dadurch verständlich wird, wenn man das Werk vor dem Hintergrund der Auseinanderset­zung zwischen Philosophie und Rhetorik liest8. Die hier angewendete Praxis der Überredungskunst weist bereits auf die Verfänglichkeit der Ironie in dem > Encomium < des Erasmus voraus. Der Parasit zeigt sich als der bessere Red­ner, und sein Dialogpartner erklärt sich zuletzt bereit, bei ihm in die Schule seiner Kunst, der 'Parasitik', zu gehen. Die Argumentation des Parasiten erhält ihren Sieg aller­dings nur im Schein, der intakt bleibt ; und gerade hierin weicht die Ironie Lukians von der spezifisch rhetorischen Ironie ab. Bedeutet Ironie den „Ausdruck einer Sache

• Allen II 64 und 66 (ep. 328 und 330). 7 Adagia I 9, 69; vgl. unten, 1 0, 8 Vgl. J. Bompaire, Lucien ecrivain. Imitation et creation (Paris

1 958), 157ff.

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XIV Einleitung

durch ein deren Gegenteil bezeichnendes Wort" und ist der, der sie handhabt, „sich der Überzeugungskraft seiner eigenen Partei sowie der Sympathie des Publikums so sicher, daß er [ . . . ] die lexikalische Wertskala des Gegners verwendet und deren Unwahrheit durch den (sprachlichen oder situationsmäßigen) Kontext evident werden läßt"9, so wird weder bei Lukian noch bei Erasmus der Sympathie des Gegners Abbruch getan. Im Gegenteil : Es wird alles darangesetzt, um die Position des Parasiten und der Tor­heit, wenngleich im Schein, zu stärken. Gerade dadurch entsteht der Eindruck der Zwiespältigkeit bei beiden Autoren, da die ironische Enuntiation nach Aufhebung des Scheines nie zur Tatsächlichkeit zurückgeführt wird und so eine endgültige Objektivierung erfährt.

Freilich ist die ironische Technik, die Erasmus anwendet, umfassender als die Lukians ; die Vielschichtigkeit der Dar­bietung entspricht, wie Leonhard F. Dean gemeint hat, der Präsentationsform im Drama, wo verschiedene Stand­punkte zugleich vorgebracht werden und ihre Gültigkeit durch die Opposition derselben aufgehoben erscheint. 10

Mit Lukian ist aber auch ein wichtiger Bezugspunkt zur > Utopia < des Thomas Morus gegeben. 11 Lukian liefert nicht nur gemeinsame Motive wie etwa die Sicht der Welt von einem entrückten Standort oder deren Vergleichung mit einer Bühne, 1 2 sondern vor allem die satirische Grundhal­tung, die jegliche gesellschaftliche Wirklichkeit am Ideal mißt. Morus' > Utopia < ist wohl als das bedeutsamste Echo auf das > Encomium < zu werten ; auf Grund dieser Verwandt-

• Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, x. Bd. (München 1960), 302.

10 Leonard F. Dean, The Praise of Folly and Its Background. In : Twentieth Century Interpretations of 'The Praise of Folly'. A Col­lection of Critical Essays, ed. by Kathleen Williams (Englewood Cliffs 1969), 53f.

11 T. S. Dorsch, Sir Thomas Morus und Lukian. Eine Interpretation der >Utopia<. In: Interpretationen, Bd. VIII; Englische Literatur von Thomas Morus bis Laurence Sterne (Frankfurt/M. 1970), l6ff. Vgl. Dean, a. a. 0., 54ff.

12 Vgl. unten 63, rr2, 1 1 7 ·

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Einleitung XV

schaft13 konnte Morus' > Utopia <, die zunächst anonym nach Vermittlung des Erasmus Ende 1516 in Löwen erschien, auch von manchem diesem zugeschrieben werden .14

In nahezu allen Studien, die sich mit der literarhistori­schen Provenienz des > Encomium < befassen, wird dem Einfluß des >Narrenschiffs < von Sebastian Brant große Bedeutung eingeräumt. Doch sind hier wohl grundsätzliche Bedenken am Platz : Erasmus hat im Geleitschreiben an Morus ja geradezu in Form eines Katalogs die Vorbilder, denen er sich verpflichtet fühlt oder verpflichtet fühlen könnte, angeführt. Daß er darunter Brant nicht erwähnt, fällt zunächst als 'argumentum e silentio' nicht ins Gewicht, erweist sich aber im weiteren Sinne als doch bedenklich, da der bekannte elsässische Rechtsgelehrte und Schriftsteller sich wohl von Erasmus hätte brüskiert fühlen müssen, wenn ihn dieser als Quelle oder Anreger verschwiegen hätte. Der Name Brants mußte Erasmus zum Zeitpunkt der Ab­fassung des > Encomium < geläufig sein ; aus dem Jahre 1514 stammt ein Epigramm, in dem Erasmus Brant als Gelehr­ten und Dichter preist15• Das > Narrenschiff< des Sebastian Brant konnte Erasmus natürlich nicht in der Original­sprache lesen ; 1497 erschien die erste lateinische Überset­zung von Jakob Locher, die Brant selber angeregt und teil­weise ausgeführt hatte, und 1502 erschien eine weitere von Jodocus Badius Ascensius 16, die allerdings im wesentlichen nicht mehr als eine Bearbeitung der Lochersehen Über-

18 Für weitere Bezüge zwischen Morus' >Utopia< und dem Schrifttum des Erasmus vgl. E. E. Reynolds, Thomas More and Erasmus (Lon­don 1965), l12ff., und vor allem : The Complete Works of St. Thomas More. Vol. 4 : Utopia, ed. by Edward Surtz, S. J., and J. H. Hexter (New Haven and London 1965), LXIVff.

H Allen III 592 (ep. 967). 10 Vgl. C. Reedijk, The Poems of Desiderius Erasmus (Leiden 1956), 314. 18 Das meiste Material zur Wirkungsgeschichte von Sebastian Brants

>Narrenschiff< bietet noch immer die Ausgabe von Friedrich Zarncke (Leipzig 1854). Eine umfängliche Bibliographie enthalt die Ausgabe von Manfred Lemmer (Tübingen 1968), XXIff. Bereits 1 502 erschie­nen in Straßburg mit einer Einleitung Wimpfelings „addidamenta" zum >Narrenschiff< von Jodocus Badius. Vgl. dazu Günter Hess, Deutsch-Lateinische Narrenzunft (München 1971) .