eparo – nutzer haben keinen freien willen (vortrag usability kongress 2012 – markus wienen)

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User haben keinen freien Willen Oder: Jenseits bewusster Aufmerksamkeit – Über die Rolle des Unterbewusstseins beim User Centered Design Usability Kongress 2012 Dr. Markus Wienen Warum nutzen User eine Anwendung so, wie sie sie nutzen? – Das ist die simple Frage, die im Kern jeder UX-Analyse steht. Um sie zu umfassend beantworten, müssen wir die Nutzer einer Anwendung bestmöglich verstehen. In der Praxis legen wir daher Wert auf eine saubere Entwicklung von Personas, substanziellen User Research und eine möglichst passgenaue Rekrutierung von Probanden für UX-Tests. Bei aller Sorgfalt in Methodik, Research und Rekrutierung allerdings wird bis heute ein wesentliches Faktum der UX-Konzeption und -Analyse noch immer kaum berücksichtigt. Nämlich: Nutzer sind nicht frei in ihren Entscheidungen. In zahllosen Fällen entscheiden User nicht, wie sie eine Anwendung nutzen, sondern ihre Nutzung einer Anwendung ist ganz wesentlich bestimmt durch diverse unterbewusste und implizite Faktoren. Wollen wir Nutzer und ihren Umgang mit einem Interface verstehen, müssen wir diese Faktoren berücksichtigen. Und tatsächlich lassen sich diverse Phänomene überhaupt nur durch die Berücksichtigung des Unterbewussten und Impliziten erklären. Das Folgende will daher einige Schlaglichter auf die implizite und unterbewusste Nutzung von Websites, Apps und Software werfen und das Unterbewusste und Implizite als einen neuen Faktor für UX-Research, -Konzeption und -Design beschreiben.

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User entscheiden nicht rational und bewusst, wie sie Interfaces nutzen. Unbewusste und implizite Faktoren spielen eine zentrale Rolle. Der Vortrag wirft einen Blick auf die Rolle impliziter Heuristiken, impliziter Wahrnehmungen und unbewusster Entscheidungen im UX Design.

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Page 1: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

User haben keinen freien Willen

Oder: Jenseits bewusster Aufmerksamkeit – Über die Rolle des Unterbewusstseins beim User Centered Design

Usability Kongress 2012 Dr. Markus Wienen

Warum nutzen User eine Anwendung so, wie sie sie nutzen? – Das ist die simple Frage, die im Kern jeder UX-Analyse steht. Um sie zu umfassend beantworten, müssen wir die Nutzer einer Anwendung bestmöglich verstehen. In der Praxis legen wir daher Wert auf eine saubere Entwicklung von Personas, substanziellen User Research und eine möglichst passgenaue Rekrutierung von Probanden für UX-Tests.

Bei aller Sorgfalt in Methodik, Research und Rekrutierung allerdings wird bis heute ein wesentliches Faktum der UX-Konzeption und -Analyse noch immer kaum berücksichtigt. Nämlich: Nutzer sind nicht frei in ihren Entscheidungen. In zahllosen Fällen entscheiden User nicht, wie sie eine Anwendung nutzen, sondern ihre Nutzung einer Anwendung ist ganz wesentlich bestimmt durch diverse unterbewusste und implizite Faktoren.

Wollen wir Nutzer und ihren Umgang mit einem Interface verstehen, müssen wir diese Faktoren berücksichtigen. Und tatsächlich lassen sich diverse Phänomene überhaupt nur durch die Berücksichtigung des Unterbewussten und Impliziten erklären. Das Folgende will daher einige Schlaglichter auf die implizite und unterbewusste Nutzung von Websites, Apps und Software werfen und das Unterbewusste und Implizite als einen neuen Faktor für UX-Research, -Konzeption und -Design beschreiben.

Page 2: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Aufmerksamkeits-Bias

Schauen wir auf unsere tagtäglichen Usability- und User Experience-Tests, so fokussieren stellen wir fest: Wir fokussieren mit nahezu allen eingesetzten Verfahren auf Aufmerksamkeit. Am deutlichsten wird das bei Eyetracking-Analysen und den dort entstehenden Heatmaps bzw. Blickverlaufsanalysen. Aggregierte Aufmerksamkeit, wie sie in diesen Modellen durch die Augen-Fokussierung angezeigt wird, dient uns als Indikator für die bewusste Verarbeitung von Stimuli und mithin als Anker für unsere sämtlichen Analysen.

Ein bestimmtes Element, etwa ein Teaser, hat, wie gewünscht, die Aufmerksamkeit der Nutzer erhalten (oder auch nicht), also funktioniert das Design (oder auch nicht), und das ist gut (oder auch nicht). Oder umgekehrt: Ein bestimmtes Element, etwa die Bühne, hat, anders als gewünscht, keine Aufmerksamkeit der Nutzer erhalten (oder eben doch), also funktioniert das Design wohl (noch) nicht (oder eben anders, als geplant), und das ist nicht gut (oder zumindest nicht so, wie geplant).

In beiden Fällen gilt: Die typische UX-Analyse argumentiert über die entweder „gewährte“ oder „ausgebliebene“ Aufmerksamkeit von Nutzern. Wir unterliegen einem Aufmerksamkeits-Bias.

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„Das müssen wir anders gestalten“

„Das müssen wir prominenter gestalten“

„Die sind ja total blöd“

Und in den Tests hören wir dann...

Fällt die Aufmerksamkeit der Nutzer nicht so aus, wie geplant, und verhalten sich Nutzer also nicht so, wie sie „sollen“, so reagieren unsere Kunden auf das „unpassende“ Verhalten ihrer User dann nicht selten mit Unverständnis. Die typische Reaktion ist dann, Lösungen für den Erfolg der zu schwach performenden Elemente zu entwickeln – und diese Lösungen setzen dann meist auf Aufmerksamkeit. GEsucht wird nach einer insgesamt aufmerksamkeitssteigernden Gestaltung.

Page 4: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

User entscheiden Konzepte – allein durch Ihr Tun

Und der Grund für diese Reaktion ist ja nur allzu verständlich. Es ist die simple Einsicht, dass dass der Erfolg jeder Anwendung am Ende schlicht davon abängt, wie Nutzer mit ihr umgehen. Und die einzige Reaktionsmöglichkeit die wir haben, liegt genau darin, zu versuchen, diese Art des Umgangs zu beeinflussen.

Page 5: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

User haben keinen freien Willen

Das Problem aber ist: Anders als in dieser Rechnung angenommen, agieren Nutzer aber keinesfalls rein rational und voll bewusst. Oder pointiert formuliert: Anders als gemeinhin angenommen, haben User keinen freien Willen.

Page 6: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Der bewusste User ist die Ausnahme

Der bewusste, rational entscheidende User ist vielmehr die Ausnahme...

Page 7: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

User haben keinen freien WillenDer bewusste User ist die AusnahmeInterface-Nutzung erfolgt wesentlich unbewusst

... die Nutzung eines Interface erfolgt vielmehr wesentlich unbewusst. Und das heißt: Allein die Ausrichtung auf die „passende“ Aufmerksamkeit auf den „richtigen“ Elementen einer Anwendung führt nicht zum Ziel. Vielmehr gilt es neben den für Bewusstsein und Aufmerksamkeit relevanten Faktoren auch die unterbewussten und impliziten Triebfedern der Nutzer zu verstehen und zu berücksichtigen.

Page 8: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Das Gehirn – und das Bewusstsein

Ein methodischer Zugang zum Unterbewussten und Impliziten nun ist naturgemäß schwierig. Gleichwohl sind diverse Eckdaten klar und bekannt. Für die unterbewusste Verarbeitung visueller Reize beispielsweise sind insbesondere zwei Fakten besonders interessant:

Page 9: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Das Gehirn – und das Bewusstsein90:10 in 280ms90% unserer Hirnaktivität ist unbewusst

Die erste Zahl hält fest: 90% unserer Hirnaktivität erfolgt unbewusst.

Page 10: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Unbewusste Reizverarbeitung erfolgt bis 280ms

Die zweite Zahl formuliert: Bereits bei Millisekunden 280 ist die unbewusste Reizverarbeitung abgeschlossen.

Page 11: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

„Man muss völlig umdenken und sich darüber klar werden, dass das Bewusstsein nur einen ganz kleinen Teil unseres Gehirns umfasst. ... Ich erlebe mich selbst als denkend, fühlend, wahrnehmend oder entscheidend, und nehme die 90 Prozent, die mich dazu bringen, nicht wahr. “

Roth 2002: 44

Der Kognitionspsychologe Gerhard Roth fasst diese Einsicht in die enorme Dimension des Unterbewussten in ein sehr anschauliches Bild: „Ich erlebe mich selbst als denkend, fühlend, wahrnehmend oder entscheidend, und nehme die 90 Prozent, die mich dazu bringen, nicht wahr“.

Page 12: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

„Bewusstseinsprozesse resultieren stets aus vorbewuss-ter (subliminaler) Informationsverarbeitung“

Birbaumer/Schmidt 2005: 498

Birbaumer und Schmidt argumentieren analog, dass Bewusstsein stets aus „vorbewusster (subliminaler) Informationsverarbeitung“ resultiert.

Page 13: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

„The areas of the human brain that involve choice are activated well before we become conciously aware that we‘ve made a choice. That is, decisions „happen“ before they are „made“. ... In fact, unconscious judge-ments not only happen before conscious judgements, but they guide them as well“

Zaltmann 2003: 55

Und auch Gerald Zaltman formuliert, bezogen auf Entscheidungen, sehr plastisch, dass „decisions ,happen‘ before they are made“.

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User sind Kopftiere – nur eben zu 90% irrational

Für unseren Blick auf User heißt das: Nutzer sind Kopftieren, davon sind wir ohnehin immer ausgegangen – nur eben ganz anderer Art, als wir gemeinhin angenommen haben: Der Großteil des Gehirns ist unterbewusst und arbeitet in keiner Weise rational. Und das heißt: User handeln in keiner Weise rein aufmerksamkeitsgesteuert.

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... ein wirklich weites Feld für UX-Insights

Führt man sich dieses klare Übergewicht des Unterbewussten einmal deutlich vor Augen, so wird klar, auf welch kleines Gebiet wir nur bearbeiten, wenn wir uns und unsere Analysen auf Aufmerksamkeit beschränken. Vielmehr liegt jenseits bewusster Aufmerksamkeit ein aus UX-Sicht bis heute immer noch weitgehend unerforschtes Gebiet...

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... ein neues UX-Erklärungsparadigma

... und erst mitten in diesem Gebiet – und nicht in der Turmspitze der Aufmerksamkeit – liegen die Antworten zum Beispiel auf die Frage, warum Nutzer so handeln, wie sie handeln.

Page 17: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Schlaglichter auf das Implizite

Schauen wir uns daher einige Schlaglichter auf das Unbewusste und Implizite genauer an.

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Wasser! – oder: directed browsing

Betrachten wir zunächst solche Nutzungs-Fälle, bei denen der User von sich aus einen bestimmten Nutzungsweg einschlägt. In der Standard-Theorie spricht man hierbei zum Beispiel mit Marchionini von so genanntem directed browsing. Für diesen Modus der Nutzung gilt, dass Nutzer „weiß“, was er sucht und welchen Weg er gehen muss – oder dies zumindest glaubt.

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Implizite Heuristiken

Unser Thema an dieser Stelle sind so genannte implizite Heuristiken....

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Tiergarten Schönbrunn mit HandyTicket-Schild

Das oben ist der Eingang zum Tiergarten Schönbrunn in Wien. Vorne im Bild, am Beginn des Wartegestänges, steht hier ein Hinweis-Schild „In den Tiergarten ohne Anstellen“ zum Kauf eines Handy-Tickets.

Hier haben wir von eparo eine kleine Feldstudie gemacht. Der methodische Ansatz basiert auf teilnehmender Beobachtung sowie einer Vor- und einer Nachbefragung. Unser Thema war mobile Payment, aber die Untersuchung hat vor allem auch spannende Ergebnisse zum Impliziten geliefert. Die Aufgabe: Die Probanden sollten bargeldlos mit ihrem Handys ein Schönbrunn-Ticket kaufen, um in den Tiergarten zu gehen.

Der Aufsteller erklärt wie es geht: Wer ohne anzustehen in den Tiergarten will, muss eine SMS an eine entsprechende Nummer versenden, beispielsweise mit dem Inhalt „2E 1K“ für für zwei Erwachsene und ein Kind, bekommt dann per SMS das Angebot über die entsprechenden Tickets, bestätigt diese SMS mit einer weireren SMS und erhällt dann online die Tickets auf‘s Handy.

Page 21: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Das ist Lukas...

Soweit, so gut. Was machen jetzt unsere Probanden? Das oben ist Lukas. Er ist von der Persona her Projektleiter in einer österreichischen Jugendorganisation auf Bundesebene, ist viel unterwegs, auch im Ausland und entsprechend versiert am Handy. Ein Handy-Ticket irgendeiner Form allerdings hat er bis dato noch nicht gekauft.

Auf dem Weg zum Eingang des Tiergartens erhält Lukas seine Aufgabe. Am Eingang angekommen, zückt er daraufhin sofort sein Handy und sucht und findet die Webseite des Wiener Tiergartens.

Page 22: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

Die Startseite des Tierparks Shcönbrunn...

Das hier ist die Startseite des Tiergartens Schönbrunn...

Page 23: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

... und ihre Darstellung auf Lukas‘ Handy

... und das ist die Seite auf Lukas‘ Handy. Aus Usability-Sicht ließe sich hierzu natürlich unendlich viel sagen – doch soll das jetzt alles nicht unser Thema sein.

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adad... hier geht‘s zum Handy-Ticket

Uns geht es um Folgendes: Am rechten Rand, in der Service-Spalte, findet sich auch ein Link zum Handy-Ticket...

Page 25: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

adad... aber Lukas wählt einen anderen Weg

Folgt man dem Link, gelangt man auf eine Seite, die den Kauf-Mechnismus für die Handy-Tickets erklärt,ebenso wie der schon besprochene Aufsteller am Eingang zum Zoo.

Page 26: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“

Lukas hingegen wählt einen anderen Weg. Er scrollt sich mit den Fingern auf dem Handy nach rechts, vergrößert die Seite und folgt dem Button-Link „Online-Ticket“.

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adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier...“

Er erreicht dann eine ziemlich lange Liste mit unzählingen Tickets zu sämtlichen Atttraktionen Schönbrunns und kommentiert: „Ziemlich klein hier...“.

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adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier...“

Mitten in der Liste findet er schließlich auch die Tickets zum Tiergarten. Lukas checkt die Box, scrollt runter, klick „Weiter“, liest eine Fehlermeldung, scrollt wieder nach oben und wählt in den dortigen Dropdown-Menüs „1 Erwachsener“ aus, scrollt wieder runter und klickt erneut auf „Weiter“.

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adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier“„Ok, ich krieg‘s also per Mail“

Er erreicht eine Registrierungsseite, auf der er sein Mailadresse eintragen und AGB‘s bestätigen muss.

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adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier“„Ok, ich krieg‘s also per Mail“„Äh, wie soll ich das denn jetzt machen?“

Im nächsten Schritt wird Lukas aufgefordert, seine Kreditkartendaten einzugeben. Die Verwirrung ist sofort riesengroß: „Äh, wie soll ich das denn jetzt machen?“ Lukas, mit dem Handy in der Hand, steht vor dem Handy-Ticket-Aufsteller, inmitten der an ihm vorüberziehenden Besucher, und wundert sich: Wie soll er jetzt seine Kreditkarten-Daten eingeben? In der Nachbefragung wird deutlich, dass hier die erste Skesis, ob der eingeschlagenen Weg (noch) stimmt, bei dieser Aufforderung zur Eingabe der Kreditkarten-Daten aufgekommen ist.

Page 31: eparo – Nutzer haben keinen freien Willen (Vortrag Usability Kongress 2012 – Markus Wienen)

adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier“„Ok, ich krieg‘s also per Mail“„Äh, wie soll ich das denn jetzt machen?“„?“ – „Vom Handy?“

Die wahre Überraschung allerdings kommt erst im nächsten und letzten Schritt: Lukas erhält eine Bestellbestätigung, die ihm mitteilt, dass sein Ticket jetzt unter einem darunter genannten Link zum Ausdruck bereitgestellt wird... Lukas ist sprachlos. Wie soll das gehen? Ein Ausdruck des Tickets? „Vom Handy?“ Ihm wird klar: Etwas stimmt nicht – und vielleicht hat es mit dem Weg zu tun, den er eingeschlagen hat...

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adad„Ah, sehr gut, hier geht‘s lang“„Ziemlich klein hier“„Ok, ich krieg‘s also per Mail“„Äh, wie soll ich das denn jetzt machen?“„?“ – „Vom Handy?“„Was soll denn das jetzt? ...ist doch Mist!“

Als nächstes arbeitet sich Lukas entnervt zum Ticketschalter vor, sein Handy in der Hand, und klärt gemeinsam mit der Kassierin, was mit seinem Online-Ticket nun zu tun sein mag und wie er mit der Druckvorlage auf seinem Smartphone in den Tiergarten kommt. Die Lösung: Das gekaufte Online-Ticket wird faktisch ignoriert und Lukas bekommt quasi manuell ein reguläres Ticket ausgestellt, mit dem er den Zoo besuchen kann.

So weit, so schlecht. Was ist passiert: Es ist klar, dass Lukas‘ Weg zum Handy-Ceck-In nicht der richtige war. Erst beim letzten Schritt allerdings, oder deutlicher: erst an seinem bitteren Ende, hat Lukas erkannt, dass seine Annahme, mit seinen Eingaben ein Handy-TIcket zu kaufen, von Beginn an nicht stimmte.

Die schlechte Einstiegsmöglichkeit über eine nicht mobil-optimierte Seite sowie die endlose Auswahlliste aller Schönbrunn-Angebote hat er hingekommen, die Ticket-Wahl hat er trotz vollkommen finger-unfreundlicher Bedienung getätigt und auch seine Mail-Adresse hat er noch preisgegeben. Bei der Eingabe seiner Kreditkarten-Daten spätestens ist er spektisch geworden, aht aber auch diesen Schritt noch zähneknirschend unter den laufenden Prozess subsummiert. Und so hat er bis zum letzten Schritt, bis zur Zustellung der Druckvorlage für sein Ticket, alle Ungereimtheiten „in Kauf genommen“ in der Annahme, im Kaufprozess zu sein.

Die wesentliche Erkenntnis hieran ist: Die für sein Handeln maßgeblichen Annahmen hat Lukas bereits mitbegracht. Das ist: Er hat seinen Kauf bereits mit einer impliziten Heurisitk darüber begonnen, wie mobile Kaufprozesse aussehen – wie immer er diese Heuristik auch ausgebildet hat. Und weder der Aufsteller, noch das Interface hatten gegen diese Voreinstellung eine Chance.

So war Lukas bereits vor jedem Blick auf den Aufsteller oder das Interface klar, dass ein Check-In via Handy online und auf einer (mobilen) Website zu erfolgen hat. Das ergab auch die Nachbefragung. Für Lukas war bereits vor jeder Aktion auf der Website klar, wie ein Handy-Kauf-Prozess wohl aussehen wird, auch ohne dass er jemals bereits mobil gekauft hat.

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adadEin anderer Fall – dasselbe Problem

Analoge Fälle – also Fälle, in denen implizite Heuristiken die Nutzung beinflussen – finden sich zuhauf. Zum Beispiel auch fast immer dann, wenn eine Marke Angebote von Dritten in das eigene Leistungsprogramm integrierren will. Wie etwa bei der SWISS, bei der man Flüge buchen kann, aber auch Hotels und Mietwagen buchen können soll – dies allerdings über Partnerunternehmen. Anders als im Schönbrunn-Fall sind implizite Heuristiken hier nicht unbedingt bereits vor der Nutzung vorhanden, sondern werden gerade durch die ersten Nutzungs-Schritte aufgebaut.

Kunden gegenüber wird die Kooperation mit anderen Marken keineswegs verschleiert. Gleichwohl arbeiteten im Test so gut wie alle Probanden faktisch in der Annahme, auch ihr Hotel und ihren Mietwagen über die SWISS zu buchen, und das einfach deshalb, weil sie auf der Seite der SWISS unterwegs waren und zunächst bei der SWISS ihren Flug gebucht haben. Wie beim Schönbrunn-Beispiel haben die Testpersonen auch hier versucht, sämtliche Probleme und Brüche in der Bedienung, die aus dieser Annahme entstanden, so lange wie irgend möglich zu relativieren und unter ihre Annahme zu subsumiieren – so lange, bis diese, wie beim Schönbrumm-Beispiel, dann faktisch nicht aufrecht zu erhalten war. An diesem Punkt angelangt, herrschte dann selbstverständlich große Verwirrung – und kein sehr gutes Markenerleben gegenüber der SWISS.

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Stell‘ Dich nie zwischen einen Elefanten und sein Ziel

Im Schönbrunn- wie auch im SWISS-Beispiel ist das Ergebnis dasselbe: Nutzer handeln nach Maßgabe impliziter Heuristiken, und auf dem Interface bringt sie so lange nichts davon ab, den dadurch vorgezeichneten Weg zu gehen, bis sie so eindeutig in einer Sackgasse enden, die sie quasi handlungsunfähig macht – und sie extrem verwirrt auf die Marke blicken.

Für die Konzeption und strategische Auslegung von Interfaces liegt darin eine ebenso klare wie einfache Einsicht. Bildlich und in einfachen Worten formuliert: Stell‘ Dich nie zwischen einen Elefanten und sein Ziel.

Nutzeroptimierte Interfaces verlangen vom User nicht, dass er seinen Weg so wählt, wie es das Bedienkonzept wünscht. Sondern nutzeroptimierte Interfaces sind so konzipiert, dass sie genau den Weg bedienen, den User ohnehin beschreiten wollen – und das auch dann, wenn Nutzer überhaupt keine klare, sondern eben nur eine implizite Vorstellung davon haben, wie sie überhaupt auf dem Interface wollen.

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Wasser? – oder: undirected browsing

Schauen wir jetzt auf Anwendungsfälle, bei denen nicht ein konkretes Nutzeranliegen im Vordergrund steht, sondern noch offen ist, wie Nutzer mit dem Interface interagieren. Marchionini spricht von undirected browsing. Wir wollen drei Beispiele betrachten: (1) Das Phänomen der impliziten Wahrnehmung, (2) Fragen der impliziten Brand Experience sowie (3) implizite Entscheidungsmechanismen.

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Implizite Wahrnehmung

Der erste Blick richtet sich auf das Phänomen impliziter Wahrnehmung.

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Shop-Startseite

Das ist eine Shop-Startseite eines fiktiven Brillen-Händlers. Die Struktur ist in den Kernelementen klassisch: Im oberen Bereich eine große Bühne, darunter drei Teaser.

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Produktübersicht und -auswahl

Das ist die Produktübersicht. Im oberen, linken Bereich werden hier die favorisierten Brillen dargestellt und können im 360°-Modus betrachtet werden. Rechts daneben stehen die zentralen Produktinformationen, darunter, in rot, der Bestell-Button.

Brillen allerdings sind am Ende keine einfache Massenware, sondern individuelle, oder genauer: individualisierte Produkte: Ist das gewünschte Brillenmodell gefunden, werden die Gläser mit den individuell erforderlichen Brillenwerten angefertigt und eingebaut.

Für den Online-Brillenkauf ergibt sich damit die Frage auf, wo die Brillenwerte abgefragt werden. Denn einerseits ist klar: Kunden wollen Brillen kaufen, keine Brillenwerte. Aus Sicht des Shop-Betreibers gilt daher: Ist die Entscheidung für ein Brillenmodell gefallen, sollten Kunden möglichst unverzüglich in den Chekout einsteigen können.

Auf der anderen Seite gilt: Fragt man die Brillenwerte erst nach dem Klick des „Kaufen“-Buttons ab, produziert man Unsicherheit bei all den Kunden, die bereits vor dem „Kauf“ sicher sein wollen, das richtige, und das heißt: das mit ihren Brillenwerte versehene Modell zu bestellen.

Das heißt: Frage man die Brillenwerte in einem eigenen Schritt ab, bevor Kunden in den Chekout einsteigen können, verlängert man den Weg von der Kaufentscheidung bis zum Kauf und erhöht die Absprungrate „ungeduldiger“ Kunden. Und umgekehrt: Verlagert man die Abfrage der Brillenwerte hinter den Einstieg in den Checkout, verunsichert man all die Kunden, die sich sicher sein wollen, dass sie das gewählte Modell noch an ihre Werte anpassen können.

Was tun? – Eine mögliche Antwort liefert die Theorie der impliziten Wahrnehmung.

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* nach: Held, Dirk / Scheier, Christian (2006)

Ein im deutschen Sprachraum über Dirk Held und Christian Scheier bekanntes Experiment zu diesem Thema ist das Börsenwerte-Experiment von Henning Plessner. Demnach ließ Plessner Studenten auf einem Bildschirm Werbeanzeigen bewerten, während am unteren Bildschirmrand ein Börsenticker lief. Nach der Beurteilungsphase wurden dann die Probanden gebeten anzugeben, welche der im Infoband genannten Aktien sie kaufen würden. Das Ergebnis: Die Mehrzahl der Probanden wählten spontan diejenigen Unternehmen mit den höchsten Gewinnen aus – und das, obschon keiner der Teilnehmer die Börsenkurse bewusst erinnern konnte und gleichzeitig sämtliche Testpersonen börsenunkundig waren.

Zahlreiche vergleichbare Experimente zeigen in dieselbe Richtung: Für die messbare Wirkung von Wahrnehmungen ist es in keiner Weise erforderlich, dass Reize explizit und bewusst verarbeitet werden. Vielmehr gilt umgekehrt, dass auch implizit Verarbeitetes wirkt. Parallel zur aufmerksamkeitsgetriebenen Verarbeitung von Reizen werden auch implizite Wahrnehmungen verarbeitet und beeinflussen unser Denken und Handeln.

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Brilllenwerte eingeben

„Implizite“ Platzierung der Brillenwerte

Nutzt man diese Einsicht zur impliziten Wahrnehmung, so lässt sich für unseren Shop eine implizite Lösung des Brillenwerte-Checkout-Problems finden: Diese arbeitet mit einem eigenen Eingabefeld für die Brillenwerte direkt auf der Produktseite. Dieser wird prominent, aber nicht salient gleich unter dem Showroom oben links platziert, so dass er mindestens knapp am Rand und teilweise auch im Blickfeld der Kunden liegt, wenn diese ihre finale Brillenauswahl begutachten. Gibt ein Kunde seine Brillenwerte ein, bevor er in den Checkout einsteigt, wird das Eingabefeld durch ein Häkchen gecheckt.

Was bringt dieser Aufbau aus impliziter Sicht? Kunden, die sicher sein wollen, dass ihre Brille auch ihre Werte aufweisen wird, werden durch das reine Vorhandensein des Eingabefeldes, das sie implizit wahrnehmen werden, versichert, dass die Brilleneingabe in keinem Fall „vergessen“ wird. Und Kunden, die direkt in den Chekout einsteigen, werden umgekehrt schon vorab darauf „eingestimmt“, dass sie noch ihre Werte einzugeben haben. Das implizit platzierte Eingabefeld erfüllt damit einen doppelten Effekt: Unsichere Kunden werden beruhigt, ungeduldige Kunden werden quasi vorgewarnt und damit besänftigt.

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Brand Experience

Ein anderes, besonders weites und ertragreiches Feld für implizite Wahrnehmungen ist das Feld der Brand Experience.

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* Daten von: G16 Media GmbH (2011)

Kein Markenkontakt

Viele UX-Professionals kennen das: Ein potentielles Desaster ist eine Situation, in der beim Eyetracking einer Seite sämtliche für die Marke relevanten Elemente – vom Logo bis zur Bühne – von den Probanden komplett ignoriert worden ist. Für das Marketing unserer Kunden ist diese Situation meist untragbar...

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* Daten von: G16 Media GmbH (2011)

Kein Markenkontakt

... und die Schlussforlferung fällt oft entsprechend kurzgesprungen aus: Es habe kein relevanter Markenkontakt stattgefunden.

Die frohe Botschaft aus impliziter Sicht lautet: Das ist falsch. Denn die Theorie impliziter Wahrnemung weiß bereits sehr klar, dass Marken, genau wie die Börsenwerte Plessners, auch dann wirken, wenn diese nicht explizit fokussiert und als relevant bewertet worden sind. Auch Markenbotschaften wirken implizit.

Der methodische Nachweis und die Analyse der genauen Art der Markenwirkungen sind dann natürlich nochmal eine ganz andere Sache.

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Entscheidungen

Ein weiterer und extrem spannender Bereich des Impliziten ist schließlich das Feld der unbewussten Entscheidungen.

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Shop-Startseite mit 3 Produkt-Teasern

Schauen wir noch einmal auf unseren Brillenshop von vorhin. Nehmen wir an, der Shop möchte den Verkauf eines bestimmten Brillenmodells voranreiben, zum Beispiel das Modell Decoy, oben im Teaser ganz links. Beschränken wir uns auf die drei Teaser der Startseite: Welche Möglichkeiten hat der Shop?

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Marketing mittels Add-On

Ray Ban Travel-Case

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Ein erster Ansatz wäre eine Add-On-Strategie. Angeboten werden dann beispielsweise die Decoy-Brille, die Decoy-Brille inklusive eines Travel-Case sowie eine weitere Brille, hier die Aire. Das Problem dieser Strategie: Man braucht ein Add-On, das attraktiv genug ist, um die Präferenzlage von Konsumenten zugunsten der Decoy zu beeinflussen. Ob ein Travel-Case dazu geeignet ist, darf ganz sicher bezweifelt werden...

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Marketing mittels Unterlegenheit (Inferiorität)

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Ray Ban Travel-Caseohne

Eine viel spannendere, implizite Strategie liegt mithin darin, nicht etwa eine Decoy-Variante durch ein Add-On hervorzuheben, sondern der „normalen“ Decoy eine eineutig unterlegene Decoy-Variante zur Seite zu stellen. Von den objektiven Umständen her ist dieser Fall komplett identisch zu dem Fall zuvor. Auch hier wird eine Decoy mit Travel-Case geliefert und eine ohne. Anders als im ersten Fall aber trägt der Travel-Case hier nicht die Last, die Kunden-Präferenzlage zu verändern, sondern es ist die schlichte Unterlegenheit der linken gegenüber der Standard-Decoy, die auf die Präferenzlage und Entscheidungsfindung wirkt. Die Psychologie dahinter ist ebenso einfach wie bestechend: Im Vergleich beider Modelle ist hier die Standard-Decoy gegenüber der unterlegenen klar im Vorteil und ergo attraktiver.

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* Zahlen aus: Ariely, Dan (2010)

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Marketing mittels Unterlegenheit (Inferiorität)

Testet man, wie Probanden unter dieser Angebotslage entscheiden, so erhält man der Tendenz nach eine Verteilung wie oben dargestellt – die oben genannten Zahlen entstammen einem Experiment von Dan Ariely: Demnach wählte keine Testperson die unterlegene Produkt-Variante, während umgekehrt die überwiegende Mehrzahl das unveränderte Standardprodukt wählte.

Schaut man sich die Angebotslage an, würde jeder sagen: Selbstverständlich wird so entschieden. Doch ist diese Verteilung zwischen Standard und unterlegenem Produkt auch gar nicht der eigentlich Kern der verfolgten Strategie. Spannend an der genannten Verteilung ist nämlich nicht, dass die unterlegene Produkt-Variante gegen die Standardvariante „verliert“, sondern dass das deutlich teurere Produkt mehrfach häufiger gewählt wird als das fast identische, aber deutlich günstgere dritte Produkt im Spiel.

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* Zahlen aus: Ariely, Dan (2010)

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Decoy € 179,90

Ray Ban Travel-Caseohne0% 84% 16%

32% 68%

Marketing mittels Unterlegenheit (Inferiorität)

Der Vergleich macht den Effekt überedutlich: Würde man Probanden allein zwischen einem Produkt wie beispielsweise der Decoy in der Mitte und einem fast identischen, aber deutlich günstigeren Produkt wie beispielsweise der Aire rechts wählen lassen, so erhielte man die oben in blau genannte, und fast umgekehrte Verteilung zwischen beiden Produkten. Das heißt: Allein der Vergleich mit einer unterlegenen Produkt-Variante führt zu mehr Abverkäufen der an sich teureren Decoy im Vergleich zur fast identischen, aber günsitgeren Aire. Der beschriebene Effekt heißt Decoy-Effekt, und das Spannende ist: Er ist fast völlig unabhängig davon, auf welche Produkte er angewendet wird.

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* Zahlen aus: Ariely, Dan (2010)

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Marketing mittels Unterlegenheit (Inferiorität)

Ein schönes Beispiel sind etwa auch Reisen, wo sich der Decoy-Effekt, als impliziter Entscheidungsmechnimus, ebenfalls nachweisen lässt...

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Wer läuft, kommt an – die Frage ist nur wo und wie?

Das heißt: Das Learning des ersten Abschnitts lautete: Stell‘ Dich nie zwischen einen Elefanten und sein Ziel. Damit war gemeint, dass User sehr oft bereits vor jedem ersten Eindruck eines Interfaces Erwartungen darüber haben, was sie dort vorfinden, wie sie vorgehen und was sie erreichen (wollen).

Fasst man demgegenüber die Ergebnisse des zweiten Abschnitts zusammen, so kann man sagen: Nutzer interagieren mit Interfaces – auch dann, wenn sie keinesfalls (explizit oder implizit) „wissen“, was genau sie dort vorhaben. Und da, wie wir deutlich gesehen haben, das Denken und Handeln von Nutzern sehr wohl durch implizite Faktoren beeinflussbar ist, besteht mit der Wahl der passenden Mittel auch sehr wohl die Chance, darauf Einfluss zu nehmen.

Oder kurz: Implizite Paramter können – wie im ersten Abschnitt gezeigt – eine erfolgreiche Nutzung eines Interfaces radikal verhindern. Gleichzeitig können implizite Strategien unter entsprechenden Bedingungen – wie im zweiten Abschnitt gezeigt – aber auch das genaue Gegenteil bewirken und User gezielt in ganz bestimmte Richtungen lenken.

In beiden Fällen bleibt die Konsequenz dieselbe: Was wir in jedem Fall dringend brauchen, das sind....

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Interfaces für das Unbewusste

... Interfaces für das Unbewusste. Was wir also brauchen sind User Research Konzepte, Strategien, Designs, Interaktionen und Produkte, die implizite Erkenntnisse berücksichtigen bzw. erheben und am Ende für den optimalen Umgang mit Interfaces nutzen.

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Aesthetic-Usability-Effect

Desire-Line

Exposure-Effect

Grundlegende Effekte, die dabei zu beachten wären, sind neben den bereits genannten beispielsweise der Aesthetic-Usability-Effect, der Desire-Line- oder der Exposure-Effect.

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Aesthetic-Usability-Effect

Desire-Line

Exposure-Effect

Cognitive-Dissonance-Effect

Interference-Effect

Inattentional Blindness

Weitere wichtige Effekte wären der Cognitive-Dissonanz-Effekt, der Interference-Effekt sowie das Phänomen der Inattentional Blindness.

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Aesthetic-Usability-Effect

Desire-Line

Exposure-Effect

Cognitive-Dissonance-Effect

Interference-Effect

Inattentional Blindness

Operand-Conditioning-Effect

Expectation-Effect

Am oberen Ende der Skala schließlich wären dann beispielsweise noch der Operand-Conditioning-Effekt sowie der Expectation-Effekt zu nennen.

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Alle diese Effekte können hier nicht mehr behandelt werden. Mehr dazu und allgemein zum Thema „Konzipieren für das Implizite“ gibt es kontinuierlich auf www.53nord.de.

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