entwicklung und analyse von bordnetzen mit multidisziplinÄrer simulation

6
ENTWICKLUNG UND ANALYSE VON BORDNETZEN MIT MULTIDISZIPLINäRER SIMULATION Insbesondere bei hybrid- und vollelektrischen Fahrzeugen stellt die Entwicklung des Bordnetzes eine Herausforderung dar. Zur Bewältigung dieser Aufgaben können Werkzeuge zur Systemsimu- lation den Zeitaufwand und die Kosten verringern. LMS erläutert für ein Renault-Projekt, wie sich mit multidisziplinären Modellen Steuergeräte, Batterien, Generator und Verbraucher schrittweise simulieren und optimieren lassen. SIMULATION & BERECHNUNG BORDNETZ 84

Upload: nicolas-kieny

Post on 22-Mar-2017

214 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Entwicklung und AnAlysE von BordnEtzEn mit multidisziplinärEr simulAtionInsbesondere bei hybrid- und vollelektrischen Fahrzeugen stellt die Entwicklung des Bordnetzes

eine Heraus forderung dar. Zur Bewältigung dieser Aufgaben können Werkzeuge zur Systemsimu-

lation den Zeitaufwand und die Kosten verringern. LMS erläutert für ein Renault-Projekt, wie sich

mit multidisziplinären Modellen Steuer geräte, Batterien, Generator und Verbraucher schrittweise

simulieren und optimieren lassen.

Simulation & Berechnung BoRdnEtZ

84

Komplexe Kopplungen der Steuergeräte

Die schwierige Aufgabe, ein Bordnetz abzustimmen, hebt die kom-plexen Kopplungen zwischen den zahlreichen Fahrzeugsystemen und der Umgebung hervor. Durch einen Ansatz des Hauses LMS bei einem Renault-Projekt konnten die jeweiligen Probleme gelöst werden. Der Ansatz berücksichtigt unterschiedliche physikalische Abläufe und ermöglicht es so, die Auswirkungen thermischer, me -chanischer und elektrischer Einflüsse zu analysieren. Außerdem ist es durch den mehrstufigen Ansatz mit unterschiedlich komplex- en Modellen möglich, bei stetiger Verfeinerung des Modells ver-schiedene Phänomene von 0 bis 500 Hz zu prüfen: von quasi-sta-tischer Energieübertragung bis zur transienten Analyse im Netz.

Ein 14-V-Gleichstrom-Bordnetz eines herkömmlichen Fahrzeugs besteht aus einem Generator, einer Batterie und vielen elektrischen Verbrauchern, die Strom aus dem Netz beziehen, ❶. Der Generator ist ein Wechselstromgenerator mit Gleichrichter, der Gleichstrom in das Bordnetz einspeist. Seine mechanische Antriebsleistung bezieht er vom Verbrennungsmotor, der den Rotor des Generators antreibt, und wandelt diese in elektrischen Strom um. Die Batte-rie besteht aus einem reversiblen Gerät, das elektrochemische Energie speichert. Sie kann mit dem Strom aus dem Netz aufge-laden oder durch Stromabgabe entladen werden.

energetiSche modelle deS BordnetzeS

Beim Abstimmen des Bordnetzes sind viele verschiedene Ein-schränkungen zu berücksichtigen. Zu Beginn des Projekts wurde festgelegt, die möglichen Testfälle auf ein einfaches Netz mit konstanter Drehzahl des Wechselstromgenerators zu begrenzen. Außerdem wird sich auf ein vorgegebenes Verbrauchsprofil für folgende bestimmte Verbraucher eingeschränkt: Scheibenheizung, Gebläse, Lichter, PTC-Heizung, Scheibenwischer, Automatikgetriebe, Einspritzsystem, Kraftstoffpumpe, Fensterheber, Glühkerze, elekt-rische Servolenkung und andere. Die aus dem Netz abgerufene Gesamtnennspannung der Verbraucher betrug 1,5 kW, wies jedoch in den ersten 2,5 min Spitzenwerte von 3 kW auf.

Zunächst musste sichergestellt werden, dass der Generator ge -nügend Strom in das System einspeisen kann. Unter Berücksich-tigung des vorgegebenen Stromverbrauchs der Verbraucher ging aus Berechnungen hervor, dass ein Wechselstromgenerator mit einer Maximalleistung von 2,2 kW verbunden mit einem 70-Ah-

nicolaS Kienyist Leiter Entwicklung

Elektromechanische Lösungen bei LMS Imagine

in Lyon (Frankreich).

AutoR

❶ Energieaustausch zwischen den netzkomponenten

85April 2011 Automotive Engineering Partners

Bleiakkumulator die funktionellen Spezifi-kationen des Bordnetzes erfüllen kann. Diese versorgten die Verbraucher mit Strom – unter stabiler Netzspannung und einem Ladestatus der Batterie mit ge -ringen Schwankungen über den gesamten Fahrzyklus.

Bordnetz mit vereinfachten verBrauchern

Für den ersten Teil des Projekts, bei dem ein Vorabentwurf validiert werden sollte, wurden Funktionsmodelle mit einer begrenzten Anzahl von Parame-tern be nötigt. Die Verbindung der Kom-ponenten kann durch Symbole darge-stellt werden, die über eine Linie für die Weiterleitung der elektrischen Energie verbunden sind: : Das Modell des Wechselstromgenera-

tors beruhte auf einer Lookup-Tabelle des Maximalstroms und einer Funktion aus der Drehzahl und der Temperatur des Wechselstromgenerators. Mit einem Proportional-Integral(PI)-Regler wurde die Netzspannung auf 14,2 V reguliert. Die Verluste des Wechsel-stromgenerators und seines Gleichrich-ters konnten durch eine zusätzliche Darstellung mit dem Drehmoment als Funktion aus der Drehzahl und der Temperatur des Wechselstromgenera-tors analysiert werden.

: Das Batteriemodell beruhte auf einer einfachen Ersatzschaltung mit einer Leerlaufspannung und einem ohmschen Widerstand, die über eine Lookup-Tabellenfunktion des Ladezustands definiert wurde.

: Die Verbraucher wurden durch zwei konstante Stromsenken dargestellt: eine Senke für die Nennspannung von 1,5 kW und eine weitere für die zusätz-lichen 1,5 kW des Spitzenverbrauchs in den ersten 150 s.

Dem Ergebnis der Simulation zufolge kann der Wechselstromgenerator in den ersten 150 s nicht genug Strom in das Netz ein-speisen. Die fehlende Versorgung muss über die Batterie erfolgen. Deshalb entlud sich die Batterie, deren Spannung auf 12,5 V fiel. Am Schluss der Spannungsspitze je -doch war der Wechselstromgenerator in der Lage, die Verbraucher mit ausreichend Strom zu versorgen, und die Netzspannung wurde korrekt auf ihren Referenzwert reguliert, ❷.

niederfrequenzmodell deS BordnetzeS

Im zweiten Teil des Projekts wurde ein Niederfrequenzmodell des Bordnetzes entwickelt, das die verbesserten Modelle der Verbraucher, der Batterie und des Wechselstromgenerators im Einzelnen darstellt. Der von einem Wechselstrom-generator erzeugte Strom hängt weit-gehend von der Drehzahl des Verbren-nungsmotors ab, von dem er seinen Antrieb bezieht. Um die Drehzahl des Wechselstromgenerators zu analysieren, wurde vorausgesetzt, dass die Fahrzeug-geschwindigkeit einem typischen NEFZ-Test mit einem entsprechenden Schalt-gangprofil folgt. Darüber hinaus wurde der Kraftstoffverbrauch anhand spezi-fischer Modelle für die einzelnen Ver-braucher detaillierter dargestellt. Jedes davon enthielt eine individuelle Steuerung und entsprechende Eingaben wie Tempe-ratur, Fahrzeuggeschwindigkeit, verwen-deter Gang oder Motordrehzahl.

Die Modelle der Batterie und des Wech-selstromgenerators sind für die Analyse der Spannung und des Stroms im Bord-netz ausschlaggebend. Um noch zuverläs-sigere Ergebnisse zu erzielen, wurde ein weiteres Batteriemodell verwendet. Diffu-

sionsphänomene wurden anhand eines zusätzlichen RC-Glieds in der Ersatzschal-tung dargestellt. Ein weiteres Modell des Wechselstromgenerators mit einer Darstel-lung der niederfrequenten elektrischen Dynamik wurde ebenfalls verwendet. Über ein Potier-Diagramm ließ sich unter der Annahme von Rundpolen die Sätti-gungsmagnetisierung abbilden. Für den Gleichrichter wurde ein Durchschnittsmo-dell verwendet. Weitere Parameter wie die Diffusionskapazität der Batterie oder eine Darstellung der Leerlaufspannung des Ankers als Funktion des Feldstroms für den Wechselstromgenerator aus individu-ellen Messungen an diesen Bauteilen kamen in der Folge hinzu.

Obwohl zu diesem Zeitpunkt zur genau- en Charakterisierung der Batterie und des Wechselstromgenerators Messungen be -nötigt wurden, war kein vollständiges Ge -samtmodell des Bordnetzes erforderlich. Diese Analyse ließ sich zu einem frühen Zeitpunkt durchführen. Zur abschließen-den Validierung wurden jedoch realisti-sche Messungen verwendet.

Die Ergebnisse waren mit einer verbes-serten Dynamik des Energieaustauschs wiederum optimal, ❸. Nach den ersten 150 s war die Spannung korrekt reguliert. In Bezug auf die dynamische Stabilität des

❷ Vereinfachtes Verbrauchermodell mit Komponentenstrom und netzspannung

Simulation & Berechnung BoRdnEtZ

86

Systems traten jedoch Warnungen auf, als die Netzspannung auf 9,5 V abfiel. Das Modell war robust und exakt, woraufhin die Analyse zur Verbesserung der Rege-lung fortgesetzt werden konnte.

fahrzeugmodell und regelung

Die Erfahrung zeigt, dass die Regelung für den Energieverbrauch entscheidend sein kann. Im Rahmen einer äußerst interessan-

ten Analyse wurde anhand des vorgestellten Modells im dritten Teil des Projekts ermit-telt, welche Auswirkungen eine geänderte Regelung des Bordnetzes auf den Kraft-stoffverbrauch des Fahrzeugs haben würde.

Auf der Grundlage von Darstellungen oder makroskopischen Parametern wurde ein einfaches Fahrzeugmodell mit Fahrer, Fahrwerk, Getriebe und Verbrennungsmo-tor erstellt und mit dem Modell des Bord-netzes verbunden, ❹. Für die Regelung des Bordnetzes wurde eine Regelung mit variabler Referenzspannung analysiert: : Beim Verlangsamen des Fahrzeugs sollte

die Netzspannung auf einen hohen Wert reguliert werden, sodass der Wechsel-stromgenerator mehr Leistung aus dem Verbrennungsmotor bezieht und die Batterie auflädt.

: Beim Beschleunigen des Fahrzeugs sollte die Netzspannung auf einen niedrigen Wert reguliert werden, weil der Wir-kungsgrad des Wechselstromgenerators geringer sein würde.

Das Ziel der Regelung der Netzspannung hängt somit von der Motorsteuerung ab. Die Regelung mit variabler Referenzspan-nung wurde mit einer Regelung verglichen, bei der die Netzspannung auf einen kons-tanten Wert von 12,4 V reguliert wird. Die Bordnetzspannung für die variable Refe-renzspannung wies mehr Abweichungen

❸ detailliertes Verbrauchermodell, detaillierte Modelle der Batterie und des Wechselstrom-generators für Komponentenstrom und netzspannung

❹ Verbindung der Komponenten des Fahrzeugmodells und des Bordnetzmodells

87April 2011 Automotive Engineering Partners

auf; beide wurden jedoch nach dem Abfall beim Starten aufgrund des Spitzenver-brauchs korrekt reguliert, ❺. Für den NEFZ-Test und das gegebene Verbrauchsprofil wurde der Gesamtkraftstoffverbrauch des Modells mit der variablen Referenzspan-nung um über 1 % verringert.

hochfrequenzmodell deS BordnetzeS

Die Herausforderungen bei der Entwicklung eines Bordnetzes gehen über die beschrie-benen energetischen Funktionsanforderun-gen hinaus. Bei hohen Frequenzen wird ein exaktes Verhalten erwartet, insbeson-dere bei Standardfällen. Im vierten Teil des Projekts wurde für ein Hochfrequenz-modell das Beispiel eines Überlastversuchs, bei dem die Verbraucher plötzlich vom Netz abgekoppelt werden, analysiert: : ein Schleifringläufermotor mit Stator,

modelliert als zwei gekoppelte Spulen in Park-Transformation

: ein Dreiphasen-Brückengleichrichter mit Ersatzwiderstand bei Leerlauf- und Betriebsspannung, um die Umschaltung der Halbleiter abzubilden

: ein durch einen PI-Regler und Pulsbrei-tenmodulation (PWM) gesteuerter Abwärtswandler, um den Rotor mit Leistung zu versorgen, das Feld zu magnetisieren und die Netzspannung zu regulieren

: eine Zenerdiode parallel zur Gleich-stromseite des Gleichrichters, um die Spannung zu stabilisieren, wenn die Verbindung des Wechselstromgenera-tors unterbrochen wird.

Die Stabilität eines solchen Systems wurde analysiert. Der Wechselstromgene-rator wurde mit einer konstanten Dreh-zahl von 3000/min angetrieben. Die Abkopplung wurde durch das Öffnen eines Schaltermodells dargestellt. Im Mit-telpunkt des Inte resses stand das Ausmaß der Spitzenspannung nach der Abkopp-lung, ❻. Der Simulation zufolge kann ein solches System die Spitzenspannung auf unter 25 V begrenzen und die Störung in 270 ms abbauen.

fazit

In diesem vierteiligen Projekt von LMS und Renault wurde gezeigt, wie sich mit einem mehrstufigen, multidisziplinären Simulationswerkzeug komplexe Systeme wie ein Bordnetz in mehreren Schritten darstellen und analysieren lassen. Zu ei -nem frühen Zeitpunkt war es möglich, ein gesamtes Bordnetz zu modellieren und dessen energetisches Verhalten mit verein-fachten oder detaillierten elektrischen Verbrauchern zu analysieren.

Anschließend wurde demonstriert, dass dieselbe Analyse mit zusätzlichen dyna-mischen Details durchgeführt werden kann, indem die einzelnen Bauteile komplexer dargestellt werden, um die Zuverlässigkeit

❺ Fahrzeug- und Bordnetzmodell mit Referenzspannung und netzspannung

❻ Verbindung der Komponenten (oben) und netzspannung im Modell für den Spannungseinbruch (unten)

Simulation & Berechnung BoRdnEtZ

88

DO

I: 10

.136

5/s3

5778

-011

-057

8-2

der Modelle zu validieren. Mit der Fähig-keit des Werkzeugs, neue Modelle aus an -deren Feldern einzubinden, wurden Rege-lungen verglichen und deren Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch analysiert. Im Zuge detaillierter Anforderungen an die Spezifikation ließ sich die Analyse von Bordnetzen in der Simulation mit einem Standardfall, bei dem die hochfrequente Dynamik entscheidend ist, dank der schnellen transienten Darstellung neuer Modelle weiterführen.

Die Validierung der Modelle belegte, wie wichtig die exakte Darstellung der größten Energiequelle ist. Hauptkomponenten wie der PTC-Zuheizer, der 1,5 kW Spitzenleis-tung benötigt, konnten besonders detail-liert dargestellt werden, um die Vorteile der genauen Darstellung der transienten Aus-wirkungen auf das elektrische Bordnetz zu nutzen. Die Genauigkeit der Modelle eignet sich außerdem dazu, die Umgebung

des Bordnetzes im Rahmen einer thermi-schen Analyse detailliert darzustellen. Mo -delle der Klima- und Lüftungssysteme der Fahrgastzelle lassen sich hinzufügen, um die Auswirkungen des Bordnetzes auf den Klimakomfort der Insassen zu analysieren.

Zwischen den einzelnen Modellen konn- te überaus einfach gewechselt werden. Außerdem bestanden dank der mehrstufi-gen, multidisziplinären Funktionen des Werkzeugs zur Systemsimulation weitrei-chende Möglichkeiten, die jeweilige Kons-truktion zu optimieren.

literaturhinweiSe[1] Powell, L.: Power System Load Flow Analysis. Mc Graw-Hill, 2004[2] Robert Bosch GmbH (Ed.): Automotive Elec-trics/Automotive Electronics. 4th edition, 2004[3] Chandra, S. P.: Principles of Electric Machines and Power Electronics. John Wiley & Sons, 2nd edition, 1996[4] Wayne Beaty, H.; Kirtley, J. L.: Electric Motor Handbook. Mc Graw-Hill, 1998

Bei der Erstellung des Beitrags haben zudem

mitgewirkt:

Emanuel Bory ist Applikationsingenieur für

1d-Lösungen bei der LMS deutschland

GmbH in München.

Hauke Gleisenstein ist Projektingenieur für

1d-Lösungen bei der LMS deutschland

GmbH in München.

Emmanuel Laurain ist Ingenieur für Model-

lierung und Simulation in der Advanced Elec-

tronics division (dEA) bei Renault S. A. in

Boulogne-Billancourt (Frankreich).

Ibrahim Mohand-Kaci ist Ingenieur für die Mo-

dellierung mechatronischer Systeme in der Ad-

vanced Electronics division (dEA) bei Renault

S. A. in Boulogne-Billancourt (Frankreich).

dAnkE

Wissen ohne UmWege.ATZonline ist die Plattform für automobiles Wissen, die Entwicklungen mit Aktualität und Wissen beschleunigt.

News und Interviews ATZblog Internationales Fachartikelarchiv Veranstaltungskalender Newsletter ATZlive-Vorträge Karriere-Nachrichten und -Messen Whitepaper, WebTV und Galerie

Fundiert recherchiert, mit Hintergründen und Insiderinformationen. Suchen Sie nicht länger. Finden Sie Ihren Wissensvorsprung jetzt auf: www.ATZonline.de