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Mathematisches Institut Elementare und Analytische Geometrie Skript zur gleichnamigen Vorlesung von Professor Herbert Koch im Sommersemester 2012 Clemens Kienzler, Herbert Koch Stand vom 6. Juli 2012. Die Vorlesung ist der zweite Teil des Moduls Elemente der Mathematik.

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Mathematisches Institut

Elementare und Analytische Geometrie

Skript zur gleichnamigen Vorlesung von Professor Herbert

Koch im Sommersemester 2012

Clemens Kienzler, Herbert Koch

Stand vom 6. Juli 2012.

Die Vorlesung ist der zweite Teil des Moduls Elemente der Mathematik.

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Inhaltsverzeichnis

1 Einfuhrung 2

1.1 Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.2 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Grundlagen nach Euklid und Hilbert 3

2.1 I. Axiome der Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2.2 II. Axiome der Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2.3 III. Axiome der Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.4 IV: Das Parallelenaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

2.5 Streckenarithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

2.6 Ahnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.7 V: Archimedisches Axiom und Axiom der Vollstandigkeit . . . . . . . . . . . . . 23

2.8 Kongruenz- und Ahnlichkeitsabbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

2.9 Analytische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.10 Der Flacheninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3 Elementargeometrische Figuren 30

3.1 Das Dreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.2 Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

3.3 Das Poincare-Modell der hyperbolischen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

3.4 Winkeldefekt und Flacheninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.5 Eine analytische Behandlung des Poincare-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

3.6 Kegelschnitte und Quadriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3.7 Regelmassige Vielecke und komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

3.8 Vielecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

1

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Einfuhrung

1. Vorlesung am 3. April 2012

1 Einfuhrung

Unter den ersten Quellen sind der agyptische Papyrus Rhind und der agyptische Papyrus Mos-

kau, die Aufgaben zur Berechnung von Flachen von Rechtecken, Dreiecken und Trapezen und

dem Volumen eines Pyramidenstumpfes enthalten. Motive kamen sicher vom Vermessen diverser

Objekte, der Verwaltung, der Konstruktion der Pyramiden und der Darstellung geometrischer

Objekte.

Beeindruckend ist die Vermessung des Erdumfangs durch Eratosthenes (um 275 - 194 v Chr. ).

In Euklids (360 - 280 v Chr. ) Elementen findet sich der Versuch, den abstrahierten mathematisch-

geometrischen Inhalt systematisch und deduktiv zu ordnen.

Hilbert [4] greift die Frage nach den Grundlagen der Geometrie wieder auf und formuliert ein

Axiomensystem fur die Geometrie, auf das wir zunachst aufbauen. Wie in der Analysis versucht

das Axiomensystem die mathematische Struktur unabhangig von Anschauung und inhaltlichen

Vorstellungen herauszuarbeiten. Dadurch wird eine belastbare Argumentation moglich. Inter-

essanterweise ist die mathematische Struktur schon von Dreiecken ungewohnlich reichhaltig - so

gibt es viele Aufgaben der Mathematikolympiade, die Fragen nach Dreiecken stellen. Im Kapitel

uber Elementargeometrie werden wir derartigen Fragen nachgehen.

Wie auch in anderen Bereichen der Mathematik ergaben sich aus der Strukturorientierung sehr

dynamische Entwicklungen, die auch zeigen, das die Formalisierung nicht zu einer Vernachlassi-

gung der inhaltlichen Vorstellungen gefuhrt hat.

So erkannte man im 18. Jahrhundert, dass das Parallelenaxiom unabhangig von den ubrigen

Axiomen war. In der Vorlesung werden wir die auf Lobatschewski zuruckgehende hyperbolische

Geometrie kennenlernen.

Die hyperbolische Geometrie ist der Modellfall eines Raumes mit negative Krummung. Riemann

(1826-1866) entwickelte die Differentialgeometrie mit dem Krummungstensor als wesentlicher

Große.

Um die Jahrhundertwende gab es in der Physik nach großen Erfolgen grundsatzliche offene Fra-

gen, wie z.B. nach der Bedeutung der Geschwindigkeit elektromagnetischer Wellen. Einstein

interpretierte die Graviationskraft als eine geometrische Große - der Kern der allgemeinen Re-

lativitatstheorie.

Inzwischen ist die allgemeine Relativitatstheorie selbst fur alltagliche technische Anwendungen

relevant: Eine Ortsbestimmung mittels GPS erfordert eine so genaue Zeitmessung, dass die

Auswirkung der Masse der Erde auf die Geschwindigkeit der Uhr berucksichtigt werden muß.

Inhalte der Vorlesung sind Grundlagen der Geometrie, Elementargeometrie (“elementar” bezieht

sich auf den verwendeten mathematischen Apparat, es ware vollig falsch“elementar”mit“trivial”

gleichzusetzen), analytische Geometrie (in der die Interpretation der Ebene und des Raumes als 2

bzw 3 dimensionaler Vektorraum im Vordergrund steht) und Symmetrien und Gruppen (meistens

Kongruenzabbildungen).

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Mathematik betreiben heißt immer auch Probleme losen. Dieser Aspekt wird vor allem in den

Ubungsgruppen und den Projekten eine wichtige Rolle spielen.

1.1 Organisation

Die Vorlesung ist jeweils Dienstags von 16-18 Uhr. Die Ubungen sind Donnerstags zum selben

Zeitpunkt. Die Klausur findet voraussichtlich am 7.7. statt. Voraussetzung ist eine erfolgreiche

Teilnahme an den Ubungsgruppen, was 50% der Punkte der Hausaufgaben und eine erfolgreiche

Bearbeitung eines Projekts, jeweils in beiden Semestern, einschließt.

1.2 Literatur

Agricola [1], Hilbert [5], Hilbert und Cohn-Vossen [5], Schupp [7] und Struve [8].

2 Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Wir betrachten eine Menge P , deren Elemente wir “Punkte” nennen, eine Menge G, deren Ele-

mente wir “Geraden” nennen, und eine Menge E , deren Elemente wir “Ebenen” nennen. Punkte

bezeichnen wir typischerweise mit großen Buchstaben, Geraden mit kleinen Buchstaben, und

Ebenen mit griechischen Buchstaben.

2.1 I. Axiome der Inzidenz

Wir betrachten Inzidenzen (enthalten sein, liegen auf/ liegen in)

IPG ⊂ P × G, IPE ⊂ P × E , IGE ⊂ G × E

und sagen z.B. , A liegt auf a oder a enthalt A, falls (A, a) ∈ IPG . Wir fordern dass aus (A, a) ∈IPG ⊂ P × G und (a, α) ∈ IGE ⊂ G × E folgt: (A, α) ∈ IPE ⊂ P × E . Anders ausgedruckt: Liegt

A auf a und a in α, so liegt auch A in α.

I.1 Jede Gerade enthalt mindestens zwei Punkte. Zu je zwei verschiedenen Punkten

existiert genau eine Gerade, die diese zwei Punkte enthalt. Es gibt drei Punkte, die

nicht auf einer Geraden liegen.

I.2 Jede Ebene enthalt mindestens drei nicht auf einer Geraden liegende Punkte. Zu

drei nicht auf einer Geraden liegenden Punkten gibt es genau eine Ebene, die diese

enthalt. Es gibt vier Punkte, die nicht in einer Ebene liegen.

I.3 Wenn zwei verschiedene Punkte in einer Ebene liegen, so liegt auch die Gerade, die

durch diese Punkte bestimmt ist, in der Ebene. Wenn zwei Ebenen einen gemeinsa-

men Punkt enthalten, so enthalten sie auch einen zweiten gemeinsamen Punkt.

1 Satz Zwei verschiedene Geraden haben einen oder keinen Punkt gemeinsam. Zwei Ebenen

haben keinen Punkt oder eine Gerade gemeinsam. Eine Ebene und eine nicht in ihr enthaltenen

Gerade haben keinen oder einen Punkt gemeinsam.

3

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

2 Satz Zu einer Geraden und einem nicht auf ihr liegenden Punkt gibt es genau eine Ebene, die

beide enthalt. Zu zwei Geraden mit genau einem gemeinsamen Punkt gibt es genau eine Ebene,

die die Geraden enthalt.

Bemerkung: Der vierdimensionale Raum genugt diesen Axiomen nicht.

2.2 II. Axiome der Anordnung

Die Anordnung wird beschrieben durch eine Menge

A ⊂ P ×P ×P

von Tripeln (A, B, C) von Punkten, die paarweise verschieden sind und jeweils auf einer Geraden

liegen. Ist (A, B, C) ∈ A so sagen wir “B liegt zwischen A und C”. Die Strecke AB ist die Menge

aller Punkte, die zwischen A und B liegen. A und B heißen Endpunkte und sind selbst nicht

Element von AB.

II.1 Liegt B zwischen A und C, so liegt B auch zwischen C und A.

II.2 Zu zwei verschiedenen Punkten A und B gibt es einen Punkt, der zwischen A und

B liegt, und einen Punkt C, so dass B zwischen A und C liegt.

II.3 Liegen die drei paarweise verschiedenen Punkte A, B, C auf der Geraden g, so liegt

genau einer der drei Punkte zwischen den beiden anderen Punkten.

II.4 (Pasch) Seien A, B, C drei nicht auf einer Gerade liegende Punkte, a eine Gerade

in der zu A, B, C gehorenden Ebene, die keinen der drei Punkte enthalt, aber einen

Punkt aus AB. Dann enthalt a entweder einen Punkt aus BC oder einen Punkt aus

CA, aber nicht beides.

3 Lemma Zwischen je zwei verschiedenen Punkten einer Geraden gibt es unendlich viele

Punkte auf der Geraden.

4 Satz Seien vier paarweise verschiedene Punkte auf der Geraden g gegeben. Dann konnen sie

so mit A, B, C, D bezeichnet werden, dass B sowohl zwischen A und C als auch zwischen A und

D liegt, und C sowohl zwischen B und D als auch zwischen A und D liegt.

Siehe Moore [6] und [2].

Beweis:

Behauptung: Liegt B zwischen A und C, sowie C zwischen A und D, so liegt C auch zwischen Bund D.

Wir beweisen die Behauptung.

Es liege B zwischen A und C, und C zwischen A und D. Dann folgt

1) D liegt nicht zwischen B und C.

4

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

2) B liegt zwischen A und D.

3) B liegt nicht zwischen C und D.

Daraus folgt die Behauptung: einer der drei Punkte B, C, D liegt nach Axiom II.3 in der Mitte.

Nach der ersten Aussage ist das nicht D, nach der dritten Aussage auch nicht B, also liegt Czwischen B und D.

Beweis der drei Aussagen: Sei E ein Punkt, der nicht auf der Geraden g liegt (geht wegen Axiom

I.1). Wir wahlen einen Punkt F aus CE und betrachten das Dreieck BCE und die Gerade a,

die A und F enthalt. Sie schneidet EB nach Axiom II.4, und zwar in einem Punkt G auf AF(Anwendung von II.4 auf ACF). In BC ist das nicht moglich, da laut Voraussetzung B zwischen

A und C.

Wir fuhren die Annahme “D liegt zwischen B und C” zu einem Widerspruch. Denn dann wurde

DF sowohl BC wie auch CE schneiden, und es wurde selbst von CG geschnitten werden, sagen

wir in einem Punkt H zwischen F und D. Dann scheidet CH (da C zwischen A und D liegt) die

drei Seiten des Dreiecks ADF jeweils in inneren Punkten - ein Widerspruch zu II.4.

E

A B CD

FG H

Der Punkt C kann hier nicht geometrisch korrekt gezeichnet werden, da die Skizze eine unmog-

liche Konfiguration zeigt.

Wir beweisen die zweite Aussage. Nach der ersten kann A nicht zwischen B und D liegen (Czwischen D und A, A zwischen D und B, B zwischen A und C: Vertauschen den Buchstaben

unmoglich nach der ersten Aussage). Ware D zwischen A und B, so folgt nach der ersten Aussage,

dass keiner der drei Punkte zwischen den anderen beiden liegen kann - ein Widerspruch. Also

liegt B zwischen A und D.

Wir beweisen die dritte Aussage. Sei E ein Punkt nicht auf g. Wir wahlen einen Punkt F auf EC.

Da F zwischen E und C liegt, und C zwischen A und D schneidet die durch A und F bestimmte

Gerade das Dreieck ECD in einem Punkt G zwischen E und D. Nun liegt F zwischen A und

G. Da B zwischen A und C liegt und F zwischen AG schneidet die Gerade durch B und G CFin einem Punkt H. Da auch F zwischen C und E liegt, liegt nach der bewiesenen Aussage Hzwischen C und E. Falls B zwischen C und D liegt, so schneidet die Gerade durch B und H alle

Seiten des Dreiecks DCE in inneren Punkten - ein Widerspruch zu II.4.

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

E

A B C D

FG

H

Beweis des Satzes.

Der Satz folgt aus den folgenden Aussagen:

i) Falls B zwischen A und C und C zwischen B und D, so sind B und C zwischen A und D.

ii) Falls C zwischen A und D und zwischen B und D liegt, so liegt weder C noch D zwischen

A und B. A liegt genau dann zwischen B und C wenn A zwischen B und D liegt.

iii) Falls B und C zwischen A und D liegen, so liegt weder A noch D zwischen B und C. B liegt

genau dann zwischen A und C wenn C zwischen B und D liegt.

Diese Aussagen wiederum folgen aus der Behauptung. Diesen Teil des Beweises fuhre ich nicht

aus.

Die Punkte, die auf g liegen, konnen nun anhand eines Punktes in zwei Teilmengen auf der einen

bzw anderen Seite dieses Punktes geteilt werden. Das folgt aus Satz 4 und ist der Inhalt des

folgenden Lemmas.

5 Lemma Sei g eine Gerade und O und A zwei verschiedene Punkte auf g. Wir definieren

B ={

B | B liegt auf g, B liegt zwischen O und A oder B = A

oder A liegt zwischen O und B}

und

C := {C | C liegt auf g}r ({O} ∪ B).

Sind die Punkte D und E beide Element von B, oder sind beide Element von C, so ist O 6∈ DE.

Ist D ∈ B und E ∈ C so ist O ∈ DE.

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

2. Vorlesung am 10. April 2012

6 Satz Jede Gerade a auf einer Ebene α trennt die nicht auf ihr liegenden Punkte von α in

genau zwei nichtleere Teilmengen, so dass die Strecke AB in einer der Teilmengen liegt, falls

A und B in ihr liegen, und AB einen Punkt von a enthalt, wenn A und B in verschiedenen

Teilmengen liegen.

Beweis:

Sei E ein Punkt, der nicht auf der Geraden a liegt. Sei A ein Punkt auf der Geraden, und F ein

Punkt auf der durch E und A definierten Geraden, so dass A zwischen E und F liegt.

Zu zeigen ist:

Ist B ein Punkt, der nicht auf der Geraden liegt, so enthalt genau eine der Strecken BE und BFeinen Punkt der Geraden g.

Dadurch teilen wir die Punkte in zwei Klassen ein. Da diese Aussage fur jede Konfiguration gilt

erhalten wir die Aussage: Seien C und D nicht auf g liegende Punkte. Falls keine der Strecken

CE und DE einen Punkt auf g enthalten betrachten wir das Dreieck CDF. Die Strecken CF und

DF enthalten jeweils einen Punkt von g nach der Behauptung, also enthalt die Strecke CD nach

Axiom II.4 keinen Punkt von g.

Enhalt CE einen Punkt von g, DE aber nicht, so enthalt mit der gleichen Argumentation CDeinen Punkt von g.

Beweis der Behauptung:

Wir betrachten das Dreieck BEF. Die Gerade g schneidet einen Inneren Punkt von EF, also

schneidet sie genau eine der Strecken BE oder BF. Daraus folgt die Aussage.

Ein Streckenzug ist ein System von Strecken A1A2, A2A3 bis An−1An. Auch die Punkte Ai sind

Element des Streckenzugs. Ein Streckenzug heißt Polygon, falls An = A1. Die Punkte Ai heißen

Ecken des Polygons. Ein Polygon heißt einfach, falls alle Ecken verschieden sind, keine Strecke

eine Ecke enthalt, und keine zwei Strecken gemeinsame Punkte enthalten.

7 Satz Jedes einfache Polygon in einer Ebene teilt die Ebene in ein Inneres I und ein Au-

ßeres A, so daß jeder Streckenzug von A ∈ I nach B ∈ A mindestens einen Punkt mit dem

Polygon gemeinsam hat. Liegen A und B beide im Inneren oder beide im Außeren, so existiert

ein Streckenzug von A nach B, der keinen gemeinsamen Punkt mit dem Polygon hat. Es gibt

eine Gerade, deren Punkte alle im Außeren enthalten sind. Eine Gerade, deren Punkte alle im

Inneren enthalten sind, gibt es nicht.

Hilbert schreibt: Mit Zuhilfenahme des Satzes 6 gelangen wir ohne erhebliche Schwierigkeiten

zu dem Satz 7. Ich finde den Beweis nicht einfach. Eine Referenz ist [2].

7

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

2.3 III. Axiome der Kongruenz

Die Kongruenz wird beschrieben durch eine Aquivalenzrelation von Strecken bzw einer Teilmenge

K ⊂ (P × P)× (P × P) von Quadrupeln von Punkten. Wir sagen AB ist kongruent zu A′B′

falls (A, B, A′, B′) ∈ K. Wir schreiben dann AB ≡ A′B′.

III.1 Sind A, B zwei verschiedene Punkte auf der Geraden a und A′ ein Punkt auf einer

Geraden a′, dann gibt es genau einen Punkt B′ auf einer gegebenen Seite von a′, so

dass AB kongruent ist zu A′B′. Es gilt stets, dass AB kongruent zu AB und zu BAist.

III.2 Ist AB kongruent zu A′B′ und A′B′ kongruent zu A′′B′′ so ist AB kongruent zu

A′′B′′.

III.3 Seien AB und BC zwei Strecken ohne gemeinsame Punkte auf a, A′B′ und B′C′ zwei

Strecken ohne gemeinsame Punkte auf a′. Sind AB und A′B′ sowie BC und B′C′

kongruent, so sind auch AC und A′C′ kongruent.

Sei α eine Ebene, O ein Punkt auf α und h und k von O ausgehende Halbstrahlen, die nicht

auf einer Geraden liegen. (Deren Existenz kann mit Hilfe der bisherigen Axiome sichergestellt

werden.) Dieses System bezeichen wir mit Winkel ∠(h, k) = ∠(k, h). O heißt Scheitel, h und kheißen Schenkel des Winkels.

Die Halbstrahlen h und k teilen die Ebene in zwei Teile analog zu Satz 7.

Eine Komponente ist dadurch ausgezeichnet, dass jede Strecke, die zwei Punkte dieser Kompo-

nente verbindet, ganz in dieser Komponenten liegt. Diese Komponente nennen wir das Innere

des Winkels.

Die Teilmenge

KWvon Paaren von Winkeln beschreibt kongruente Winkel. Sind A,B, C Punkte, die nicht auf einer

Gerade liegen, so bezeichnen wir mit ∠ABC den offensichtlichen Winkel mit Scheitel B.

III.4 Es sei ∠(h, k) ein Winkel in der Ebene α und a′ eine Gerade in der Ebene α′. Sei

h′ ein Halbstrahl auf a′, der von einem Punkt O′ ausgeht. Wir wahlen eine Seite

von a′ in α′ aus. Dann gibt es in α′ genau einen Halbstrahl k′ ausgehend von O′ auf

der angegebenen Seite, so dass ∠(h, k) ≡ ∠(h′, k′). Jeder Winkel ist zu sich selbst

kongruent.

III.5 Ist ∠(h, k) kongruent zu ∠(h′, k′) und ∠(h′, k′) zu ∠(h′′, k′′), so ist ∠(h, k) kongruent

zu ∠(h′′, k′′).

III.6 Gelten fur die Dreiecke ABC und A′B′C′ die Kongruenzen

AB ≡ A′B′, AC ≡ A′C′, ∠BAC ≡ ∠B′A′C′

so gilt auch

∠ABC = ∠A′B′C′ und ∠ACB ≡ ∠A′C′B′)

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

8 Bemerkung

1) Ist AB kongruent zu A′B′, so ist A′B′ kongruent zu AB.

2) Zwei Winkel, die den Scheitel und einen Schenkel gemein haben, und deren nicht gemein-

same Schenkel eine Gerade bilden, heißen Nebenwinkel. Zwei Winkel mit gemeinsamen

Scheitel, deren Schenkel je eine Gerade bilden, heißen Scheitelwinkel. Ein Winkel, der zu

einem seiner Nebenwinkel kongruent ist, heißt rechter Winkel.

3) Zwei Dreiecke ABC und A′B′C′ heißen kongruent, wenn

AB ≡ A′B′, BC ≡ B′C′, AC ≡ A′C′

und

∠A ≡ A′, ∠B ≡ ∠B′ ∠C ≡ C′.

Hier bezeichnet ∠A den Winkel mit Scheitel A und den durch AB und AC definierten

Schenkeln.

4) Erster Kongruenzsatz fur Dreiecke. Wenn fur zwei Dreiecke die Kongruenzen

AB = A′B′ AC ≡ A′C′ ∠A ≡ ∠A′

gelten so sind die Dreiecke kongruent.

Beweis: Nach Axiom III.6 sind die entsprechenden Winkel kongruent. Es bleibt zu zeigen:

BC ≡ B′C′. Wir fuhren eine Beweis durch Widerspruch und fuhren die Annahme “BCist nicht aquivalent zu B′C′” zum Widerspruch. Denn dann wurde ein Punkt D′ auf B′C′

existieren mit BC = B′D′ und jeweils zwei Seiten der Dreieck ABC und A′B′D′ sind

jeweils kongruent. Der Winkel mit Scheitel in B ist kongruent und nach Axiom III.6 sind

alle Winkel kongruent. Nach Axiom III.5 folgt ∠B′A′C′ ≡ ∠B′A′D′, was nicht moglich ist,

da nach Axiom III.4 ein Winkel nur auf eine Art abgetragen werden kann.

A B

C

A′ B′

D′

C′

5) Zweiter Kongruenzsatz fur Dreiecke. Wenn in zwei Dreiecken je eine Seite und zwei anlie-

gende Winkel kongruent sind, so sind die Dreiecke kongruent.

Beweis: Sei AB ≡ A′B′, ∠A = ∠A′ und ∠B = ∠B′. Wir zeigen BC ≡ B′C′ da daraus

nach dem ersten Kongruenzsatz die Behauptung folgt. Es gibt einen Punkt D′ auf dem

durch B′ und C′ definierten Halbstrahl mit BC ≡ B′D′. Dann sind nach dem ersten Kon-

gruenzsatz ABC und A′B′D′ kongruent, und damit ∠B′A′D′ ≡ ∠B′A′C′, was nur sein

kann wenn A′ und D′ sowie A′ und C′ auf einem Halbstrahl liegen. Da zwei verschiedene

Geraden hochstens einen Punkt gemeinsam haben folgt C′ = D′.

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

6) Wenn zwei Winkel kongruent sind, so sind auch ihre Nebenwinkel kongruent.

Beweis: Die Winkel ∠ABC und ∠(g′, h′) seien kongruent, B liege zwischen A und dem

Punkt D. Bezeichne den Scheitel von g′h′ mit B′ und wahle Punkte A′, C′ und D′ auf den

Schenkeln so dass

A′B′ ≡ AB, C′B′ ≡ CB D′B′ ≡ DB

Da nach Voraussetzung die eingeschlossenen Winkel kongruent sind folgt mit dem ersten

Kongruenzsatz die Kongruenz der Dreiecke, insbesondere

AC ≡ A′C′ ∠BAC ≡ ∠B′A′C′.

Nach Axiom III.3 ist AD ≡ A′D′ und nach dem ersten Kongruenzsatz sind CAD und

C′A′D′ kongruent und insbesondere

CD ≡ C′D′, ∠ADC ≡ ∠A′D′C′

und nach Axiom III.6 in den Dreiecken BCD und B′C′D′ folgt die Kongruenz der Neben-

winkel.

A B

C

D

7) Scheitelwinkel sind kongruent. Dies folgt direkt aus der Kongruenz der Nebenwinkel.

8) Es gelte ∠(h, k) ≡ ∠(h′, k′). Sei l ein vom Scheitel des ersten Winkels ausgehender Halb-

strahl im Innern des Winkels. Dann gibt es einen analogen Halbstrahl l′ im Inneren des

zweiten Winkels mit

∠(h, l) ≡ ∠(h′, l′), ∠(k, l) ≡ ∠(k′, l′).

Beweis: Wir bezeichnen die Scheitel mit O und O′ und bestimmen Punkte A, B, A′ und

B′ auf den entsprechenden Schenkeln so dass

OA ≡ O′A′ OB ≡ O′B′

Nach dem ersten Kongruenzsatz sind die Dreiecke OAB und O′A′B′ kongruent. Die Gerade

AB schneide l in C (Nach Axiom II.2 existiert D so, dass O zwischen D und A liegt. Die

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Gerade l schneidet AD genau in O, also schneidet sie nach Axiom II.4 entweder AB oder

DB. Da der Strahl nach Voraussetzung im Innern verlauft kann l DB nicht schneiden.) Wir

bestimmen einen Punkt C′ nach Axiom III.1 auf A′B′ mit A′C′ ≡ AC. Wir behaupten: O′C′

bestimmt den gesuchten Halbstrahl. Nach Axiom III.3 folgt BC ≡ B′C′ und entsprechende

Teildreiecke sind kongruent. Dann gilt das aber auch fur die Winkel.

9) Seien h,k, l und h′, k′ und l′ je drei von einem Punkt ausgehende Halbstrahlen wie oben.

∠(h′, l′) ≡ ∠(h, l), ∠(l, k) ≡ ∠(l′, k′) =⇒ ∠(h, k) ≡ ∠(h′, k′).

Beweis: Wir bezeichnen die Scheitel mit O und O′ und Punkte A auf h B auf k und C auf

l sowie A′ B′ und C′ so dass die analogen Strecken kongruent sind und C zwischen A und Bund C′ zwischen A′ und C′ liegen. Nach dem ersten Kongruenzsatz sind die Dreiecke OACund O′A′C′ sowie OCB und O′C′B′ kongruent, also auch die Strecken AC und A′C′ sowie

CB ≡ C′B′. Nach Axiom III.3 folgt AB ≡ A′B′ und ∠OAB = ∠O′A′B′. Da zusatzlich

OA ≡ O′A′ folgt nach dem ersten Kongruenzsatz die Kongruenz der Dreiecke OAB und

O′A′B′ und damit auch die behauptete Kongruenz der Winkel.

10) Sind zwei Winkel kongruent, und ist einer von ihnen ein rechter Winkel, so gilt dies auch

fur den zweiten Winkel.

11) Rechte Winkel sind kongruent.

Beweis: Der Winkel ∠BAD sei zu seinem Nebenwinkel ∠CAD kongruent, und genauso

∠B′A′D′ ≡ ∠C′A′D′. Es existiert D′′ auf der selben Seite wie D von BC mit ∠CAD′′ ≡∠C′A′D′. Entweder liegt D′′ auf dem durch A und D definierten Halbstrahl - dann sind wir

fertig, oder im Innern von ∠CAD, oder im Innern von BAD. Wir nehmen den zweiten Fall

an - der dritte geht analog. Da der Winkel CAD′′ ein rechter Winkel ist folgt ∠BAD′′ ≡∠CAD′′. Dann gibt es aber nach Punkt 8 einen Punkt D′′′ im Inneren von ∠BAD mit

∠BAD′′′ ≡ ∠CAD′′ ≡ ∠BAD′′ (da ∠CAD′′ ein rechter Winkel ist) woraus nach Axiom

III.4 D′′ = D′′′ = D folgt.

AB C

D D′′D′′′

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

3. Vorlesung am 17. April 2012

12) Seien zwei Winkel ∠AOB und ∠A′O′B′ gegeben. Dann konnen wir den zweiten Winkel an

OA auf der Seite von B abtragen. Es existiert also ein Punkt D mit ∠AOD ≡ ∠A′O′B′.Liegt D im Innern des Winkels ∠AOB so sagen wir ∠A′O′B′ < ∠AOB, liegt B im Innern

von ∠AOD so sagen wir ∠AOB < ∠A′O′B′.

13) Die Winkel eines Dreiecks nennen wir auch Innenwinkel, ihre jeweiligen Nebenwinkel ent-

sprechend die jeweils zugehorigen Außenwinkel.

Ein Außenwinkel eines Dreieck ist großer als jeder der beiden gegenuberliegenden Innen-

winkel.

Beweis siehe Ubungsaufgabe 4.

14) Sei α eine Ebene, a eine Gerade und A ein Punkt in α, der nicht auf a liegt. Dann existiert

genau eine Gerade b in α, die A enthalt, und die senkrecht auf a ist.

Beweis: Wir wahlen zwei Punkte BC auf a und tragen die Winkel ABC auf der anderen

Seite ab, und dann die Strecke BA und definieren so den Punkt A′. Wir behaupten: Die

durch A und A′ gegebene Gerade schneidet a senkrecht in einem Punkt D. Nach dem ersten

Kongruenzsatz sind die Dreiecke BDA und BDA′ kongruent, also ist ∠BDA ≡ ∠BDA′.Die Gegenwinkel sind also gleich, und wir haben rechte Winkel konstruiert.

Sei b′ eine zweite derartige Gerade, die mit a einen Punkt D′ enthalt, und die a im rechten

Winkel schneidet. Ist D 6= D′, so hat das Dreieck DD′A zwei rechte Winkel, und ein

Außenwinkel stimmt mit dem gegenuberliegenden Innenwinkel uberein. Das kann nach 13

nicht sein. Daraus folgt die Eindeutigkeit.

15) Zu A 6= B gibt es einen Punkt C zwischen A und B mit AC ≡ CB. Die Senkrechte b zu

der durch A und B definierten Geraden durch C enthalt alle Punkte D, fur die AD ≡ BDgilt, und alle derartigen Punkte liegen auf dieser Senkrechten.

16) Wir definieren einen Kreis durch zwei Punkte O und A in einer Ebene α als die Menge

aller Punkte P in α mit OP ≡ OA.

Zu jedem Winkel ∠(h, k) gibt es eine Winkelhalbierende. Jeder Punkt der Winkelhabieren-

den ist Mittelpunkt eines Kreises, der mit h und k jeweils genau einen Punkt gemeinsam

hat. Umgekehrt liegt jeder derartige Punkt auf der Winkelhalbierenden.

17) Eine Gerade und eine Kreis haben hochsten zwei gemeinsame Punkte.

Beweis: Dies folgt aus dem Axiomen III.1 wenn O auf der Geraden liegt. Wir betrachten

den Fall wenn O nicht auf der Geraden liegt. Seien C und D zwei Punkte, die auf dem

Kreis und der Geraden liegen. Sei O′ der wie oben gespiegelte Punkt. Dann haben C und

D den gleichen Abstand vom Schnitt von a und der durch O und O′ definierten Geraden.

Dann kann es keinen dritten gemeinsamen Punkt geben.

12

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

18) Zwei nichtidentische Kreise in einer Ebene α haben hochsten zwei gemeinsame Punkte.

Beweis: Seien O und O′ die Mittelpunkte mit O 6= O′ da sonst nichts zu zeigen ist. Seien Cund D zwei gemeinsame Punkte. Die durch sie definierte Gerade schneidet die Verbindung

von O und O′ senkrecht. Da aber zu einem Punkt und einer Geraden genau ein Lot existiert

mussen alle gemeinsamen Punkte auf dieser Geraden liegen und die Aussage folgt aus der

analogen Aussage fur Gerade und Kreis.

19) Dritter Kongruenzsatz fur Dreiecke. Seien ABC und A′B′C′ Dreiecke mit

AB ≡ A′B′, BC ≡ B′C′, AC ≡ A′C′.

Dann sind die Dreiecke kongruent.

Beweis: Es genugt diese Aussage fur ABC und ABC′′ zu zeigen, wobei C und C′′ auf

der selben Seite der Gerade durch A und B liegen. Nach 18 mussen Schnittpunkte auf

unterschiedlichen Seiten liegen, also folgt C = C′′.

Eine Figur ist eine endliche Anzahl von Punkten. Liegen diese in einer Ebene, so nennen wir die

Figur eben. Zwei Figuren heißen kongruent, wenn sich die Punkte so einander zuordnen lassen,

dass entsprechende Strecken und Winkel jeweils kongruent sind.

9 Satz Sei n eine naturliche Zahl großer oder gleich 2. Sind (A1, A2, . . . , An) und (B1, B2 . . . , Bn)

kongruente ebene Figuren, und ist P ein Punkt in der Ebene der ersten Figur, so existiert ein

Punkt P′ in der Ebene der zweiten Figur so dass (A1, . . . An, P) und (B1, . . . Bn, P′) kongruent

sind. P′ ist eindeutig, falls die Punkte A1, . . . , An nicht auf einer Geraden liegen.

Beweis:

Wir beginnen mit n = 2. Ist P auf der durch A1 und A2 definierten Geraden so folgt die

Aussage direkt aus den Axiomen. Im anderen Fall tragen wir einen Winkel ab und verwenden

den ersten Kongruenzsatz. Dafur hatten wir zwei Moglichkeiten. Nun betrachten wir drei Punkte

und nehmen zunachst an, dass diese nicht auf einer Geraden liegen. Dann wenden wir die erste

Aussage auf A1, A2 und P an, wobei wir durch A3 eine Seite ausgewahlt haben und daher nur

ein Punkt in Frage kommt. Wir mussen nun zeigen: A3P ≡ B3P′. Der Rest folgt mit dem dritten

Kongruenzsatz.

A1 A2

A3

P

Nun ist nach Annahme ∠A2A1A3 ≡ ∠B2B1B3 und nach Konstruktion ∠A2A1P ≡ ∠B2B1P′, also

auch ∠PA1 A2 ≡ ∠P′B1B2 (Vorsicht Fallunterscheidung). Nach Voraussetzung gilt A1A3 ≡ B1B3

13

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

und nach Konstruktion A1P ≡ B1P′. Also ist nach dem ersten Kongruenzsatz A1PA3 kongruent

zu B1P′B3 und damit A3P ≡ B3P′.Liegen alle drei Punkte auf einer Geraden so wahlen wir eine Seite aus.

Wir erhalten das volle Resultat mit Hilfe der vollstandigen Induktion. �

10 Satz Sind (A1, A2, . . . , An) und (B1, B2 . . . , Bn) kongruente Figuren, und ist P ein Punkt, so

existiert ein Punkt P′ so dass (A1, . . . An, P) und (B1, . . . Bn, P′) kongruent sind. P′ ist eindeutig,

falls es vier Punkte unter den Ai gibt, die nicht in einer Ebene liegen.

Ohne Beweis.

2.4 IV: Das Parallelenaxiom

Sei α eine Ebene, a eine Gerade in α, A ein Punkt in α aber nicht in a. Wahle eine Gerade c,

die durch A geht, und die a in einem Punkt B schneidet. Dann gibt es eine Gerade b durch

A mit gleichen Gegenwinkeln. Die Geraden a und b konnen nach dem Außenwinkelsatz keinen

Schnittpunkt haben: Hatten sie einen Schnittpunkt C, dann ware ein Außenwinkel kongruent zu

einem gegenuberliegenden Innenwinkel.

Das Parallelenaxiom fordert nun, dass es hochstens eine derartige Gerade gibt.

IV Zu einer Geraden a in der Ebene α und einem Punkt A in α, der nicht auf a liegt,

existiert genau eine Gerade durch A, die keinen gemeinsamen Punkt mit a hat.

O

O′

A

B

C

D

E

F

∠DO′C ist Stufenwinkel zu ∠COE. ∠FO′B ist Wechselwinkel zu ∠COE.

11 Satz Werden zwei parallele Geraden (zwei sich nicht schneidende Geraden) von einer

dritten Geraden geschnitten (d.h. sie enthalten jeweils gemeinsame Punkte), so sind Winkel und

Wechselwinkel kongruent.

Beweis:

Oben haben wir Geraden mit kongruenten Wechselwinkeln konstruiert. Diese konnen sich nicht

schneiden. Nach dem Parallelenaxiom IV ist diese Gerade eindeutig durch den gemeinsamen

Punkt bestimmt. �

14

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12 Satz Die Winkelsumme im Dreieck ist die Summe zweier rechter Winkel.

Beweis:

Die Winkel im Dreieck sind kongruent zu Wechselwinkeln. Zwei Wechselwinkel und ein Winkel

addieren sich auf zur Summe zweier rechter Winkel. �

13 Satz Die Mittelsenkrechten eines Dreiecks ABC schneiden sich in einem Punkt O. Der

Schnittpunkt heißt Umkreismittelpunkt. Es gilt AO ≡ BO ≡ CO.

Beweis:

Seien A, B, C drei nicht auf einer Geraden liegenden Punkte. Nach Axiom I.2 gibt es genau eine

Ebene α die diese drei Punkte enthalt. Die Aussage bezieht sich auf diese Ebene. Nach 8.15 gibt

es genau einen Punkt D zwischen A, B mit AD ≡ DB. Nach 8.14 existiert genau eine Gerade c,

die die durch A und B definierte Gerade im Punkt D senkrecht schneidet. Ersetzen von A durch

C fuhrt auf die Mittelsenkrechte a zwischen B und C, die BC in einem Punkt D′ schneidet.

Seien nun die Geraden a und c parallel. Ware a zudem parallel zu der Geraden, die AB enthalt,

so ware auch c parallel zu dieser Geraden. Das kann aber nicht sein, da c diese Gerade laut

Konstruktion schneidet. Ware umgekehrt a nicht parallel zur Geraden, die AB enthalt, und

nennen wir den Schnittpunkt E, dann hatte das Dreieck D′BE zwei rechte Winkel, und damit

wurde ein Außenwinkel mit einem gegenuberliegenden Innenwinkel ubereinstimmen. Das ist ein

Widerspruch zum Außenwinkelsatz. a und c mussen also einen Schnittpunkt haben, den wir Onennen.

Dann sind die Dreiecke AOD und BOD (mit zwei kongruenten Seiten und dem kongruenten

eingeschlossenen Winkel) nach dem ersten Kongruenzsatz kongruent, und damit OA ≡ OB.

Genauso erhalten wir OB ≡ OC, und somit auch OA ≡ OC. Mit 8.15 folgt dann, dass O auf der

Mittelsenkrechten von AC liegen muss. �

Es gilt der Peripheriewinkelsatz.

14 Satz Sei α eine Ebene, K ein Kreis mit Mittelpunkt O, auf dem die verschiedenen Punkte A,

B, C liegen. Der Winkel ∠AOB ist kongruent zum Doppelten des Winkels ∠ACB. Insbesondere:

Sind C und C′ auf dem Kreis und der selben Seite der durch A und B definierten Geraden, so

folgt

∠ACB ≡ ∠AC′B.

Eine vollstandig rigorose Fassung der Aussage erfordert eine Fallunterscheidung: Liegen O und

C auf verschiedenen Seiten der durch A und B gegebenen Geraden, ist also der Peripheriewinkel

∠ACB großer als ein rechter Winkel, dann ist die Summe aus dem Zentralwinkel ∠AOB und dem

Doppelten des Peripheriewinkels kongruent zum Vierfachen des rechten Winkels. Anschaulich

bedeutet das, dass wir in diesem Fall einfach den großeren der beiden moglichen Zentralwinkel

betrachten.

15

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Beweis:

Wir behandeln nur den Fall, dass O und C auf der gleichen Seite der durch AB definierten

Geraden in der Ebene liegen, und uberlassen den anderen Fall dem Leser.

Es genugt, die Aussage fur den speziellen Fall zu betrachten, dass O zwischen B und C liegt.

Ansonsten fuhren wir einen weiteren Punkt D auf dem Kreis ein, der C gegenuberliegt, und

wenden den Spezialfall zweimal an.

Sei also O zwischen B und C, und C und O auf der gleichen Seite.

Wir zeigen: ∠AOB ist kongruent zum Doppelten des Winkels ∠BCA. Die Dreiecke AOC und

AOB sind jeweils gleichschenklig, und nach dem dritten Kongruenzsatz kongruent zu den Drei-

ecken, die durch Vertauschen zweier Ecken entstehen. Damit sind die Basiswinkel ∠ACO und

∠CAO kongruent. Der Winkel ∠AOC ist Nebenwinkel zu ∠AOB, d.h. die Summe ist die Summe

zweier rechter Winkel. Aufgrund Satz 12 ist die Summe der Winkel im Dreieck AOC auch die

Summe zweier rechter Winkel, also ist ∠AOB die Summe der kongruenten Winkel ∠OAC und

∠OCA. Daraus folgt die Aussage.

Der Satz von Thales ist ein Spezialfall.

15 Satz Liegt in der Situation von Satz 14 O zwischen A und B und ist C ein beliebiger Punkt

auf dem Kreis, so ist der Winkel ∠ACB ein rechter Winkel.

16

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

4. Vorlesung am 24. April 2012

Es gilt auch die Umkehrung des Peripheriewinkelsatzes. Wie oben ware fur eine vollstandige

Formulierung eine Fallunterscheidung notwendig.

16 Satz Seien A und B auf einem Kreis um O, C nicht auf der durch A und B gegebenen

Geraden, aber in der selben Ebene und so, dass ∠BOA kongruent ist zum Doppelten von ∠ACB.

Dann folgt, dass C auf dem selben Kreis liegt.

Sind A, B, C und D vier Punkte in einer Ebene, C und D nicht auf der durch A und B definierten

Geraden, aber auf der selben Seite von ihr und mit ∠ACB ≡ ∠ADB, so liegen die vier Punkte

auf einem Kreis.

Beweis:

Sei O′ der Umkreismittelpunkt des Dreieck ABC. Nach dem Peripheriewinkelsatz ist ∠BO′Akongruent zum Doppelten von ∠BCA, also laut Voraussetzung kongruent zu ∠BOA. Wir nehmen

an, weder O noch O′ liegt auf der Geraden durch A und B. Diese Falle sind einfacher.

Die Dreieck ABO und ABO′ sind gleichschenklig, also sind jeweils die Basiswinkel kongruent,

und da nach Konstruktion ∠AOB ≡ AO′B ist aufgrund der Winkelsumme im Dreieck ∠ABO ≡∠ABO′ ≡ ∠BAO ≡ ∠BAO′. Da auch AB ≡ AB sind nach dem zweiten Kongruenzsatz die

Dreiecke ABO und ABO′ kongruent. Uberprufen der Mehrdeutigkeit zeigt dass O und O′ auf

der gleichen Seite von AB liegen, und damit folgt O = O′.Fur die zweite Aussage nennen wir den Umkreismittelpunkt des Dreiecks ABC wieder O′. Dann

ist ∠ADB nach Voraussetzung kongruent zu ∠ACB, das Doppelte ist nach dem Peripheriewin-

kelsatz kongruent zu ∠AO′B, und nach der ersten Aussage liegt D auf dem Kreis. �

Wir betrachten nun vier verschiedene Punkte A, B, C D auf einem Kreis

A

B

C

D

Fur diese 4-Punkt Konfigurationen gilt:

17 Satz Sind vier Punkte A, B, C und D auf einem Kreis, so addieren sich gegenuberliegende

Winkel zum Doppelten des rechten Winkels.

17

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Umgekehrt: Ist im Viereck ABCD die Summe zweier gegenuberliegender Winkel das Doppelte

des rechten Winkels, so liegen die vier Punkte auf einem Kreis.

Beweis:

Sei O der Kreismittelpunkt. Ist O ∈ AC dann folgt die Aussage sofort. Sei also O 6∈ AC.

Dann liegt einer der Punkte B und D auf der selben Seite von AC wie O, wahrend der andere

auf der anderen Seite liegt. OBdA seien B und O auf der selben Seite. Wegen des Peripherie-

winkelsatz ist das Doppelte des Winkels ∠ABC kongruent zu ∠AOC, und das Vierfache des

rechten Winkels ist kongruent zur Summe aus dem Winkel ∠AOC und dem Doppelten des

Winkels ∠ADC. Daraus folgt die Behauptung.

Fur die Umkehrung sei O′ der Umkreismittelpunkt von ABC. Die Summe von ∠ABC und ∠ADCsei kongruent zu zwei rechten Winkeln. OBdA seien wieder B und O′ auf der selben Seite von

AC. Nach dem Peripheriewinkelsatz ist dann das Doppelte von ∠ABC kongruent zu ∠AO′C.

Auf Grund der Voraussetzung folgt daraus, dass das Vierfache des rechten Winkels kongruent

ist zur Summe aus ∠AO′C und dem Doppelten des Winkels ∠ADC. Das genau benotigen wir

als Voraussetzung der Anwendung des umgekehrten Peripheriewinkelsatzes auf die Punkte A, Bund D, da D auf der Seite der durch A und B gegebenen Geraden liegt, auf der O′ nicht liegt.

Damit liegt D auf dem Umkreis. �

2.5 Streckenarithmetik

Wir folgen R. Hartshorne [3].

Die Kongruenzrelation definiert eine Aquivalenzrelation auf den Strecken, es gilt

1) AB ≡ AB

2) AB ≡ A′B′ ⇐⇒ A′B′ ≡ AB

3) AB ≡ A′B′ und A′B′ ≡ A′′B′′ impliziert AB ≡ A′′B′′.

Die Aquivalenzklasse einer Strecke AB ist die Menge aller zu AB kongruenten Strecken. Eine

Aquivalenzklasse ist durch jedes Element eindeutig bestimmt, und wir schreiben (AB) fur die

zu AB gehorende Aquivalenzklasse. Wir bezeichen Aquivalenzklassen außerdem mit s, t etc.

Wir definieren nun eine Addition auf den Aquivalenzklassen. Seien s und t gegeben. Wir fixieren

eine Gerade a und einen Punkt O auf a. Zu EF ∈ s und GH ∈ t gibt es nach Axiom III.1

Punkte A und B auf a so dass A zwischen O und B und OA ≡ EF, AB ≡ GH. Die Summe der

Aquivalenzklassen s und t definieren wir dann als die Aquivalenzklasse, deren Vertreter OB ist.

Es gilt

1) Die Definition der Summe ist unabhangig von den Vertretern.

18

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2) s + t = t + s

3) (s + t) + u = s + (t + u)

4) Fur s und t gilt genau eine der Alternativen

• s = t.

• Es gibt genau ein u mit s + u = t (falls s < t).

• Es gibt genau ein u mit s = t + u (falls t < s).

Der Beweis dieser Aussagen erfordert einen korrekten Umgang mit dem Formalismus, aber es

gibt keine Uberraschungen.

Wir wenden uns nun der Definition des Produkts zu. Seien wieder s und t gegeben. Wir fixieren

eine Aquivalenzklasse, die wir 1 nennen. Nun wahlen wir ein rechtwinkliges Dreieck ABC wobei

AB ∈ 1 und BC ∈ s mit rechtem Winkel in B.

An DE ∈ t tragen wir einen rechten Winkel bei E ab, und bei D auf der selben Seite von DEden Winkel ∠BAC. Den Schnittpunkt der beiden neuen Schenkel nennen wir F, so dass wir ein

zweites rechtwinkliges Dreieck DEF mit rechtem Winkel in E, DE ∈ t und ∠BAC ≡ ∠EDFerhalten. Das Produkt von s und t ist dann als die Aquivalenzklasse von EF definiert.

Ein Spezialfall ist:

A = D B E

F

C

mit rechtwinkligen Dreiecken ABC und AEF, AB ∈ 1, BC ∈ s, AE ∈ t. Das Produkt ist die

Aquivalenzklasse von EF. Wir bekommen ahnliche Aussagen wie fur die Summe, sie sind aber

nicht mehr offensichtlich.

1) Das Produkt hangt nur von den Aquivalenzklassen und nicht von den Vertretern ab.

2) s 1 = s

3) s t = t s

4) s (t u) = (s t) u

5) Fur jedes s existiert genau ein t mit s t = 1

6) s (t + u) = s t + s u.

19

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Beweis:

Zur Frage der Wohldefiniertheit betrachten wir zwei Dreiecke ABC und A′B′C′ mit rechtem

Winkel in B und B′, AB ≡ A′B′ ∈ 1 und BC ≡ B′C′ ∈ s. Dann sind nach dem ersten Kongru-

enzsatz die Dreiecke kongruent, und damit AC ≡ A′C′ und ∠A ≡ ∠A′. Mit D′E′ ∈ t erhalten

wir dann ein Dreieck D′E′F′ mit D′E′ ≡ DE, ∠E ≡ ∠E′ und ∠D′ ≡ ∠A′ ≡ ∠A und somit

EF ≡ E′F′. Die Aquivalenzklasse hangt also nicht von der Wahl der Dreiecke ab.

Zum Beweis von s1 = s betrachten wir ein rechtwinkliges Dreieck mit AB ∈ 1 und BC ∈ s. Die

Aussage folgt aus BC ≡ BC.

Zum Nachweis des Kommutativgesetzes konstruieren wir die folgende Figur (konstruieren meint

einen Existenzbeweis - siehe Ubungsaufgabe 6) mit ∠BAC ≡ ∠BDF und ∠BAD ≡ ∠BCF. Da

die zu A und B gehorende Gerade sowohl vom von C kommenden Schenkel als auch vom von Dkommenden Schenkel in F geschnitten wird gilt t s = s t.

A FB

C

D

1t

s

st = ts

Fur das Assoziativgesetz argumentieren wir ahnlich.

Die Existenz der multiplikativen Inversen folgt aus der Konstruktion zweier Dreiecke ABC und

A′B′C′ mit rechtem Winkel in B bzw B′, wobei BC ∈ s, AB, A′B′ ∈ 1 und ∠B′A′C′ ≡ ∠BCA.

Nennen wir die zu B′C′ gehorende Aquivalenzklasse t, so folgt st = 1.

Fur das Distributivgesetz betrachten wir

A B D

C E

F

Wie bei den Zahlbereichserweiterungen im letzten Semester erhalten wir:

20

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18 Satz Sei a eine Gerade und O und A zwei verschiedene Punkte auf der Geraden. Dann

konnen wir auf den Punkten der Geraden eine Addition und Multiplikation definieren, die die

Punkte der Geraden zu einem geordneten Korper macht, mit 0 = O und 1 = A.

Ein geordneter Korper ist ein Korper mit dem Ordnungsaxiom.

Sei K dieser angeordnete Korper. Im kartesischen Produkt K3 konnen wir Punkte, Geraden und

Ebenen als Mengen von Punkten definieren mit der offensichtlichen Inzidenz-, Zwischen- und

Kongruenzrelation.

19 Satz Sei O ein Punkt. Es existieren senkrecht aufeinander stehende Geraden a, b, c durch

O.

Ohne Beweis.

20 Satz Seinen O, a, b und c senkrecht aufeinander stehende Geraden, A ein Punkt auf a und

g und h in O beginnende Halbstrahlen auf b und c. Dann existiert genau eine bijektive Abbildung

von K3 auf alle Punkte, die die geometrischen Strukturen erhalt, und die (0, 0, 0) auf O, (1, 0, 0)

auf A, (0, 1, 0) und (0, 0, 1) auf einen Punkt B in g und C in h ab mit OA ≡ OB ≡ OC.

Ohne Beweis.

Beachte schließlich, dass der Quotient (AB) : (CD) ein Element des Korpers ist, der nicht von

der Wahl der 1 abhangt.

21

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5. Vorlesung am 8. Mai 2012

2.6 Ahnlichkeit

Wir sagen, die Strecken AB, CD und A′B′ und C′D′ sind proportional, wenn (AB) : (CD) =

(A′B′) : (C′D′).Es ist offensichtlich, dass der Quotient zweier Aquivalenzklassen von Strecken eine Zahl in K

ist, die nicht von der Wahl der 1 abhangt. Das ist der Ausgangspunkt fur die Definition der

Ahnlichkeit.

21 Definition Zwei Figuren heißen ahnlich, wenn alle entsprechenden Winkel kongruent und

Aquivalenzklassen entsprechender Strecken proportional sind.

22 Satz (WWW) Zwei Dreiecke sind ahnlich, wenn je zwei entsprechende Winkel kongruent

sind.

Beweis:

Nach Definition der Streckenmultiplikation ist das Verhaltnis Ankathede zu Hypotenuse in recht-

winkligen Dreiecken mit kongruenten Winkeln gleich.

Wir bezeichnen den Schnittpunkt der Winkelhalbierenden mit O und die Fusspunkte des Lotes

auf die Seiten mit E, F und G. Da O der Mittelpunkt des Innenkreises ist folgt OE ≡ OF ≡ OG.

Wir erhalten 6 rechtwinklige Dreiecke. Der Vergleich der Quotienten zeigt die Behauptung. �

23 Satz Im Dreieck ABC sei B′ zwischen A und B, und C′ zwischen A und C, und die durch

B′ und C′ definierte Gerade sei parallel zu BC. Dann folgt (AB′) : (AB) = (AC′) : (AC).

Umgekehrt folgt aus der Gleichheit die Parallelitat der Geraden.

Beweis:

Aus der Parallelitat folgt die Kongruenz entsprechender Winkel ABC und AB′C′. Nach Satz

WWW folgt die Proportionalitat der Seiten.

Sei nun D ein Punkt auf AC so dass AB, AB′ sowie AC und AD proportional sind. Die Parallele

zu BC durch B′ trifft AC in einem Punkt C′. Dann folgt (AD) : (AC) = (AB′) : (AB) = (AC′) :(AC) und D = C′. Damit folgt die Parallelitat. �

24 Satz (SSS) Sind drei entsprechende Seiten der Dreiecke ABC und A′B′C′ proportional,

so sind die Dreiecke ahnlich.

Beweis:

Wir konstruieren ein zu A′B′C′ kongruentes Dreieck im Dreieck ABC, und es genugt, die Aussage

in der Situation von (23) zu beweisen. Aus der Parallelitat folgt die Kongruenz der Winkel, und

nach Satz AAA die Ahnlichkeit der Dreiecke. �

22

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

25 Satz (SWS) Haben die zwei Dreiecke ABC und A′B′C′ kongruente Winkel ∠BAC ≡∠B′A′C′ und proportionale Seiten (AB) : (AC) = (A′B′) : (A′C′) so sind die Dreiecke ahnlich.

Der Beweis bleibt dem Leser uberlassen.

Es gilt folgende Version des Satzes von Pythagoras.

26 Satz Sei ABC ein Dreick mit rechtem Winkel ∠BCA. Dann gilt

(BC)(BC) + (AC)(AC) = (AB)(AB)

27 Satz Es gilt die Dreiecksungleichung:

(AC) ≤ (AB) + (BC)

mit Gleichheit genau dann wenn B zwischen A und C liegt.

Beweis:

Wir bezeichnen den Fußpunkt der Projektion von C auf die durch A und B definierte Gerade mit

D. Nach dem Satz des Pythagoras gilt (BD) ≤ (BC) mit Gleichheit genau dann wenn D = C.

Die Aussage folgt nun fur D mit der Streckenarithmetik. �

28 Satz Zu einem Punkt P und einer Geraden a existiert genau ein Punkt A auf a, fur den

(AP) ≤ (A′P) fur alle Punkte A′ auf a. Wir nennen (AP) den Abstand von A und a.

Beweis:

Liegt P auf a so wahlen wir A = P. Falls nicht existiert genau eine Ebene, die a und P enthalt. In

dieser fallen wir das Lot. Nach der Dreiecksungleichung genugt der Fusspunkt der gewunschten

Ungleichung. Auch die Eindeutigkeit folgt aus der Dreiecksungleichung. �

2.7 V: Archimedisches Axiom und Axiom der Vollstandigkeit

In diesem Abschnitt gehen wir davon aus, dass die Axiome I-III gelten, aber nicht notwendiger-

weise das Parallenaxiom.

Wir beginnen mit dem Archimedischen Axiom. Wir betrachten eine Gerade a mit den verschie-

denen Punkten O und A. Aus diesen Punkten laßt sich mit Hilfe der Axiome ein Maßstab

entwickeln. Sei B ein Punkt auf der Geraden, so dass A zwischen O und B liegt. Nach dem

Kongruenzaxiom Axiom III.1 konnen wir Punkte Ai auf g finden mit A1 = A, A0 = O, und

Ai Ai+1 ≡ OA.

23

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

V.1 Es gibt ein n so dass B zwischen A und An liegt. (Archimedes)

V.2 Zu je zwei disjunkten Halbstrahlen auf einer Geraden existiert ein Punkt auf der

Geraden, der in keinem der Halbstrahlen liegt. (Vollstandigkeit nach Dedekind)

Erinnerung: Der Ausgangspunkt liegt nicht auf dem Halbstrahl. Mit diesen Axiomen ist der

Korper im letzten Abschnitt gleich (isomorph zu) dem Korper der reellen Zahlen. Wir konnen

die Zuordnung zu den reellen Zahlen mit dem Prinzip der Wechselwegnahme definieren.

Seien EF und GH Strecken. Wir definieren den Quotienten durch (EF) : (GH) (die Klammer

bezeichnet die Aquivalenzklasse). Alternativ wahlen wir drei Punkte O, A und B auf der Geraden

a, wobei A und B auf dem selben Halbstrahl liegen und OA ≡ EF, OB ≡ GH.

Nach dem Archimedischen Axiom gibt es auch eine kleinste Zahl n, fur die entweder B = An,

oder B zwischen An und An+1. Wir wollen den zwei Punkten OB einen Abstand zuordnen. Dazu

gehen wir wie beim Euklidschen Algorithmus vor und setzen c0 = n. Ist B = An so definieren

wir den Abstand |OB| = n. Im anderen Fall definieren wir A′ als den Punkt zwischen O und Amit OA′ ≡ AnB und B′ = A. Wir wiederholen die Konstruktion und erhalten c1. Das Verfahren

kann abbrechen, oder auch nicht. Wir definieren die reelle Zahl

|OB| = c0 +1

c1 + 1c2 ...

.

Offensichtliche Variationen ergeben eine analoge Definition fur alle Punkte auf dem Halbstrahl.

Mit Hilfe von Axiom III.1 erhalten wir einen Abstandsbegriff fur alle Punkte: Seien C und DPunkte auf der Geraden b. Dann existiert nach Axiom III.1 genau ein Punkt B auf dem Halb-

strahl mit CD ≡ OB. Wir definieren |CD| = |OB|.

Der Radius eines Kreises ist eine reelle Zahl.

29 Satz Ein Kreis und eine Gerade haben genau dann zwei gemeinsame Punkte, wenn der

Radius großer als der Abstand von Gerade und Mittelpunkt ist. Sie haben genau dann einen

gemeinsamen Punkt, wenn der Radius gleich dem Abstand ist (in diesem Fall nennen wir die

Gerade Tangente), und keinen gemeinsamen Punkt sonst.

Zwei Kreise haben genau dann zwei gemeinsame Punkte, wenn der Abstand der Mittelpunkte

großer als die Summe und kleiner als die Differenz der Radien ist.

Zwei Kreise unterschiedlicher Radien haben genau dann einen gemeinsamen Punkt, wenn der

Abstand der Mittelpunkte gleich der Summe oder gleich der Differenz der Radien ist.

Zwei Kreise mit gleichem Radius haben genau dann einen gemeinsamen Punkt, wenn der Abstand

der Mittelpunkte gleich der Summe der Radien ist, und liegen ubereinander, wenn der Abstand

der Mittelpunkte gleich der Differenz der Radien ist.

Zwei Kreise haben genau dann keinen gemeinsamen Punkt, wenn keiner der zuvor genannten

Falle eintritt.

Beweis:

24

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Enthalten der Kreis und die Gerade einen gemeinsamen Punkt, so ist der Abstand maximal die

Lange des Intervalls von Mittelpunkt O zum Schnittpunkt. Ist der Abstand gleich der Lange der

Strecke so haben wir einen rechten Winkel, und aufgrund der Dreiecksungleichung gibt es keine

weiteren Schnittpunkt. Sei nun der Abstand großer als der Radius und P der Punkt, der den

Abstand realisiert. Wir wahlen einen Punkt auf der Geraden mit Abstand großer als der Radius

(Archimedes), der eine Seite auszeichnet. Nun gibt es eine Menge von Punkten auf dieser Seite

mit Streckenlange großer als der Radius, und eine zweite mit Punkten B die auf der anderen

Seite liegen, oder (OB) < (OP). Nach dem Vollstandigkeitsaxiom gibt einen einen Punkt Cauf der Geraden mit (OC) gleich dem Radius. Nach Bemerkung 8. 17 gibt es einen zweiten

Schnittpunkt.

Im Fall zweier Kreise gehen wir analog vor. Zum Nachweis der Existenz fuhren wir eine Hilfsge-

rade ein, die senkrecht zur ersten Geraden ist.

A

O

B

30 Satz Ein Kreis mit Mittelpunkt O und Radius r zerteilt die Punkte der Ebene, in der er

liegt, ohne den Kreis selbst in ein Inneres ((OA) < r) und ein Außeres (mit (OA) > r). Jede

Strecke mit Endpunkten im Inneren liegt im Innern. Jede Strecke mit einem Punkt im Inneren

und einem Punkt im Ausseren enthalt einen Punkt des Kreises. Zu je zwei Punkten im Ausseren

gibt es einen Streckenzug im Ausseren des Kreises.

Beweis:

Aus dem Satz von Pythagoras (und der Definition des Abstands) folgt die Aussage: Jede Strecke

mit Endpunkten im Inneren liegt im Inneren. Jede Strecke zwischen einem Punkt A im Inneren

und einem Punkt B im Außeren liegt auf einer Geraden, die den Kreis in zwei Punkten schneidet,

und zwar je einer auf jeder Seite von A. Eine weitere Anwendung des Satzes von Pythagoras

stellt sicher, dass dieser Schnittpunkt zwischen A und B liegt. Die letzte Aussage wird durch

eine fast explizite Konstruktion bewiesen. �

25

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

2.8 Kongruenz- und Ahnlichkeitsabbildungen

Wir identifizieren im Folgenden Geraden und Ebenen mit den Mengen ihrer Punkte.

31 Definition Seien (P ,G, E) und (P ′,G ′, E ′) zwei Systeme von Punkten, Geraden und Ebe-

nen, die beide alle Axiome erfullen. Eine Ahnlichkeitsabbildung von (P ,G, E) nach (P ′,G ′, E ′)ist eine Abbildung, die Punkte auf Punkte, Geraden auf Geraden und Ebenen auf Ebenen abbil-

det, und zwar so, dass die Inzidenzrelationen, die Zwischenrelationen, und Kongruenzrelationen

erfullt bleiben.

32 Bemerkung

1) Eine Ahnlichkeitsabbildung ist durch die Abbildung auf den Punkten eindeutig festgelegt.

2) Jede Ahnlichkeitsabbildung bildet Dreiecke auf Dreiecke mit gleichen Seitenverhaltnissen

ab.

3) Jede Ahnlichkeitsabbildung ist durch vier Punkte A, B, C, D, die nicht auf einer Ebene lie-

gen, und deren Bilder A′, B′, C′ und D′ eindeutig bestimmt. Umgekehrt gibt es zu derartigen

Punkten mit

(AC) : (AB) = (A′C′) : (A′B′), (AD) : (AB) = (A′D′) : (A′B′),

(BC) : (AB) = (B′C′) : (A′B′), (BD) : (AB) = (B′D′) : (A′B′),

(CD) : (AB) = (C′D′) : (A′B′)

genau eine Ahnlichkeitsabbildung.

4) Jede Ahnlichkeitsabbildung ist bijektiv auf den Punkten. Die Umkehrabbildung definiert

wieder eine Ahnlichkeitsabbildung.

5) Eine Kongruenzabbildung ist eine Ahnlichkeitsabbildung von (P ,G, E) auf sich selbst, die

Strecken auf kongruente Strecken abbildet.

6) Wir definieren Ahnlichkeitsabbildungen und Kongruenzabbildungen auf Ebenen analog.

7) Translationen. Sei α eine Ebene und O und A verschiedene Punkte in α. Wir definieren

eine Translation φA in α und im Raum folgendermaßen:

Sei B ein Punkt auf der Geraden durch O und A. Dann tragen wir OA an B in die Richtung

des Halbstrahls von O nach A ab. Liegt B in der Ebene, aber nicht auf der Geraden, dann

liegt A auf einer Seite von der Geraden von O nach B. Wir tragen erst den Winkel ∠BOAim Punkt B in Richtung der Seite von A ab, und dann OA in B in die gleiche Richtung.

Die Abbildung bildet Strecken auf kongruente Strecken ab. Sie ist eine Translation. Die

Abbildung A → φA ist injektiv und definiert eine kommutative Gruppenstruktur auf den

Punkten von α, nachdem wir O ausgewahlt haben. Wir erhalten eine Vektorraumstruktur

auf den Punkten der Ebene, und genauso im Raum.

26

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

8) Drehungen in der Ebene. Zu der Geraden a und dem Winkel ∠(g, h) mit g auf der

Geraden konnen wir eine Drehung definieren. Auch die Drehungen sind Kongruenzabbil-

dungen und bilden eine Gruppe.

9) Drehungen im Raum. Seien eine Gerade a, g und h zu a senkrechte Halbstrahlen mit

gemeinsamen Fußpunkt. Dann konnen wir eine Drehung um a um den Winkel ∠(g, h) von

g nach h definieren.

10) Spiegelungen. Sei α eine Ebene. Zu jedem Punkt P existiert eine Normale der Ebene

durch diesen Punkt, d.h. eine Gerade g , die P enthalt, und die auf jeder Geraden der

Ebene senkrecht steht. Die Spiegelung an α ist die Abbildung, die P auf den Punkt P′ 6= Pauf g abbildet, so dass die Strecke zum Fußpunkt jeweils kongruent ist.

11) Punktspiegelung. Sei O ein Punkt im Raum. Die Punktspiegelung bildet eine Punkt Aauf den anderen Punkt A′ auf der Geraden durch O und A mit OA ≡ OA′.

12) Die Kongruenzabbildungen bilden eine (nichtkommutative) Gruppe, die wir Kongru-

enzgruppe des Raumes bzw der Ebene nennen: Es gibt ein 1 Element, es gibt ein Inverses,

die Komposition zweier Kongruenzabbildungen ist eine Kongruenzabbildung, und es gilt

das Assoziativgesetz.

13) Die Ahnlichkeitsabbildungen bilden die affine Gruppe der Ebene bzw. des Raumes.

2.9 Analytische Geometrie

Wir definieren Punkte als Tripel reeller Zahlen A = (x, y, z) und Geraden als die Losungsmenge

zweier lineare Gleichungssysteme

a11x + a12y + a13z =b1

a21x + a22y + a23z =b2

fur gegebene aij wobei die Zeilen linear unabhangig sind. Sei (x0, y0, z0) eine spezielle Losung.

Die allgemeine Losung hat die Form

(1) {(x0, y0, z0) + t(a12a23 − a13a22, a13a21 − a11a23, a11a22 − a12a21) : t ∈ R}.

Eine Ebene definieren wir als die Losungsmenge von

n1x + n2y + n3z = b

wobei die nj nicht alle Null sind. Der Vektor (n1, n2, n3) ist senkrecht auf der Ebene.

Als Inzidenzrelationen definieren wir das Enthaltensein. Die Inzidenzaxiome werden Aussagen

uber Losungsmengen linearer Gleichungssysteme. Sie lassen sich leicht nachprufen.

27

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

Fur die Zwischenrelation wahlen wir die offensichtliche Zwischenrelation auf den reellen Zahlen

zusammen mit (1). Die Axiome II.1 , II.2 und II.3 lassen sich leicht nachprufen. Schwieriger ist

Axiom II.4.

Wir definieren die Lange eines Vektor durch∣∣∣∣∣∣∣x

yz

∣∣∣∣∣∣∣2

= x2 + y2 + z2

und nennen zwei Strecken kongruent, wenn sie gleich lang sind.

Wir nennen zwei Winkel kongruent, wenn der Cosinus der Winkel ubereinstimmt, d.h. wenn die

entsprechenden Seitenverhaltnisse in rechtwinkligen Dreiecken ubereinstimmen. Damit gelten die

Kongruenzaxiome.

Das Parallenaxiom ist nun eine Aussage uber die Losbarkeit linearer Gleichungssysteme. Das

Axiom des Archimedes und das Vollstandigkeitsaxiom folgen direkt aus (1).

Wir erhalten den Satz

33 Satz Der Raum R3 genugt Hilberts Axiomen. Zu je zwei Raumen, die Hilberts Axiomen

genugen, gibt es eine Ahnlichkeitsabbildung.

2.10 Der Flacheninhalt

Wir wollen ebenen einfachen Figuren einen Flacheninhalt zuordnen, genauso wie Polyedern im

Raum. Im folgenden bewegen wir uns in einer festen Ebene. Wir betrachten ab jetzt Geraden,

Strecken, Ebenen, und Dreiecke als die Menge ihrer Punkte (die letzteren einschließlich Kanten

und Ecken). Euklid geht von folgenden Annahmen (Axiomen) uber den Inhalt aus:

1) Kongruente Figuren haben gleichen Inhalt.

2) Vereinigungen kongruenter Figuren haben gleichen Inhalt.

3) ’Differenzen’ kongruenter Figuren haben gleichen Inhalt.

4) Halften gleicher Figuren haben gleichen Inhalt

5) Der Inhalt eines Ganzen ist großer als der eines Teiles.

6) Haben zwei Quadrate gleichen Inhalt so sind sie kongruent.

Etwas anders als oben verstehen wir eine Figur als eine endliche Vereinigung von nichtuberlap-

penden Dreiecken.

34 Proposition Der Schnitt und die Vereinigung zweier Figuren ist eine Figur. Das Komple-

ment einer Figur in einer anderen Figur ist eine Figur.

28

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Grundlagen nach Euklid und Hilbert

35 Definition Zwei Figuren heißen gleichzerlegbar, wenn sie als endliche Vereinigungen nicht-

uberlappender kongruenter Dreiecke geschrieben werden konnen.

Wir sagen, die Figuren P und P′ haben gleichen Inhalt, falls Figuren Q und Q′ existieren, so dass

P und Q sowie P′ und Q′ nichtuberlappen, und Q und Q′ sowie P∪Q und P′ ∪Q′ gleichzerlegbar

sind.

36 Satz Die Figuren P und P′ sind genau dann gleichzerlegbar, wenn sie gleichen Inhalt haben.

Der Beweis ist erstaunlich schwierig, da man nicht leicht sieht, dass verschiedene Zerlegungen

zur gleichen Summe fuhren,

Der Flacheninhalt ist eine Abbildung, die jeder Figur eine positive reelle Zahl zuordnet mit den

Eigenschaften

1) Kongruente Dreiecke haben den gleichen Flacheninhalt.

2) Der Flacheninhalt der Vereinigung nichtuberlappenden Figuren ist die Summe der Fla-

cheninhalte der Figuren.

37 Satz Wir wahlen eine Kongruenzklasse, die wir 1 nennen. Dann gibt es genau einen

Flacheninhalt, der Dreiecken den Flacheninhalt 12 mal Seitenlange mal Hohe zuordnet. Zwei

Figuren haben genau dann gleichen Flacheninhalt, wenn sie gleichzerlegbar sind.

Beweis:

Beweisskizze.

1) Sei ABC ein Dreieck. Dann ist das obige Produkt unabhangig von der Wahl der Seite.

Damit definieren wir den Flacheninhalt von Dreiecken wie im Satz.

2) Wenn man ein Dreieck als nichtuberlappende Vereinigung kleiner Dreicke darstellt, dann

ist der Flacheninhalt die Summe der Flacheninhalte der kleinen Dreiecke.

3) Zu zwei Zerlegungen einer Figur in eine Vereinigung kleinerer Dreiecke gibt es eine gemein-

same feinere Zerlegung in Dreiecke.

Der Flacheninhalt eines Rechtecks ist - als Vereinigung zweier Dreiecke - das Produkt der Seiten-

langen. Insbesondere konnen wir den arithmetischen Satz des Pythagoras als die ubliche Aussage

uber Flacheninhalte von Quadraten interpretieren - und auch uber Zerlegungen beweisen.

29

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Elementargeometrische Figuren

6. Vorlesung am 15. Mai 2012

3 Elementargeometrische Figuren

3.1 Das Dreieck

Wir bezeichnen das Dreieck mit den Ecken A, B und C mit ABC und die Mittelpunkte der Seiten

AB, AC und BC entsprechend der jeweils gegenuberliegenden Ecke mit MC, MB und MA. Wie

zuvor verwenden wir fur Dreieckswinkel die Abkurzung ∠A, ∠B und ∠C. Wir sammeln bereits

bewiesene Aussagen.

1) (SSS) Zwei Dreiecke sind kongruent, wenn entsprechende Seiten gleich lang sind.

2) (SWS) Zwei Dreiecke sind kongruent, wenn jeweils zwei Seiten und die eingeschlossenen

Winkel kongruent sind.

3) (WSW) Zwei Dreiecke sind kongruent, wenn jeweils eine Seite und die zwei entsprechende

Winkel kongruent sind.

4) (SSW) Zwei Dreiecke sind kongruent, wenn jeweils zwei Seiten und die der langeren Seite

gegenuberliegenden Winkel kongruent sind.

5) Die Winkelhalbierenden treffen sich im Inkreismittelpunkt PWH.

6) Die Winkelsumme ist die Summe zweier rechter Winkel.

7) Die Mittelsenkrechten treffen sich im Umkreismittelpunkt PMS.

8) Liegt C auf dem Thaleskreis durch A und B, das heißt auf dem Kreis durch A und B,

dessen Mittelpunkt auf einer Geraden mit A und B zwischen diesen beiden Punkten liegt,

so ist ∠C ein rechter Winkel.

9) (WWW) Zwei Dreiecke sind ahnlich, wenn jeweils zwei entsprechende Winkel kongruent

sind.

10) (SWS) Zwei Dreiecke sind ahnlich, wenn jeweils entsprechende zwei Seiten proportional

und die eingeschlossenen Winkel kongruent sind.

11) (SSW) Zwei Dreiecke sind ahnlich, wenn jeweils zwei Seiten proportional und die der

langeren Seite gegenuberliegenden Winkel kongruent sind.

12) (SSS) Zwei Dreiecke sind ahnlich, wenn entsprechende Seiten proportional sind.

13) Im rechtwinkligen Dreieck gilt der Satz des Pythagoras.

30

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Elementargeometrische Figuren

Die Hohen eines Dreiecks sind die Lote auf die Dreiecksseiten durch die jeweils gegenuberliegen-

den Eckpunkte. Den Fußpunkt des Lotes durch A auf BC nennen wir HA, und ebenso definieren

wir HB und HC.

38 Satz Sei ein Dreieck ABC mit rechtem Winkel ∠C gegeben. Dann gilt

|BC|2 = |BHC||AB|, |AC|2 = |AHC||AB| Kathetensatz

und

|CHC|2 = |AHC||BHC| Hohensatz.

Beweis:

Dies folgt aus den Ahnlichkeitssatzen und hat den Satz des Pythagoras zur Konsequenz.

Setzt man letzteren als bekannt voraus, so kann man damit (und mit der ersten binomischen

Formel) den Hohensatz und daraus wiederum den Kathetensatz beweisen.

Außerdem existieren fur beide Aussagen geometrische Beweise mittels Scherungen, und fur den

Hohensatz auch durch Erganzung. �

Der Flacheninhalt eines Dreiecks ABC ist gegeben durch

V =12|AB||CHC| =

12|BC||AHA| =

12|AC||BHB|.

Man kann ihn jedoch auch unabhangig von der Hohe berechnen, wie die folgende Formel zeigt.

39 Satz (Heron’sche Formel) Der Flacheninhalt des Dreiecks ABC ist

V =

√(|AB|+ |AC|+ |BC|)(|AB|+ |AC| − |BC|)(|AB| − |AC|+ |BC|)(−|AB|+ |AC|+ |BC|)

4.

Beweis:

Wir drucken die Hohe |CHC| durch die Seitenlangen |AB|, |AC| und |BC| aus und betrachten

oBdA die Situation, dass HC zwischen A und B liegt.

Sei x := |BHC|. Nach Pythagoras ist x2 + |CHC|2 = |BC|2 und (|AB| − x)2 + |CHC|2 = |AC|2,

also

|CHC|2 = |BC|2 − x2 = |AC|2 − (|AB| − x)2

und somit

x =|AB|2 − |AC|2 + |BC|2

2|AB| .

Daraus folgt

|CHC|2 = |BC|2 − (|AB|2 − |AC|2 + |BC|2

2|AB| )2

=(|AB|+ |AC|+ |BC|)(|AB|+ |AC| − |BC|)(|AB| − |AC|+ |BC|)(−|AB|+ |AC|+ |BC|)

4|AB|2

31

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Elementargeometrische Figuren

und wir erhalten fur den Flacheninhalt

V2 =14|AB|2|CHC|2

=(|AB|+ |AC|+ |BC|)(|AB|+ |AC| − |BC|)(|AB| − |AC|+ |BC|)(−|AB|+ |AC|+ |BC|)

16

wie behauptet. �

Man schreibt oft p = |AB|+|AC|+|BC|2 und hat also die Heron’sche Formel in der Form

V =√

p(p− |AB|)(p− |AC|)(p− |BC|).

40 Satz Der Flacheninhalt V eines Dreiecks ABC genugt der Abschatzung

V ≤ (|AB|+ |AC|+ |BC|)2

12√

3

mit Gleichheit genau dann wenn das Dreieck gleichseitig ist.

Beweis:

Die Ungleichung zwischem arithmetischem und geometrischem Mittel besagt

x1x2x3 ≤(

x1 + x2 + x3

3

)3

und damit fur x1 = (|AB| + |AC| − |BC|), x2 = (|AB| − |AC| + |BC|) und x3 = (−|AB| +|AC|+ |BC|)

x1x2x3 ≤(|AB|+ |AC|+ |BC|

3

)3

.

Auf Grund der Heron’schen Formel ergibt das

V =14

√(|AB|+ |AC|+ |BC|)x1x2x3

≤ 14

√(|AB|+ |AC|+ |BC|)

(|AB|+ |AC|+ |BC|

3

)3

=(|AB|+ |AC|+ |BC|)2

12√

3.

Daraus folgt dass das gleichseitige Dreieck unter allen Dreiecken gleichen Umfangs den großten

Flacheninhalt hat.

Neben dem Umkreismittelpunkt und dem Inkreismittelpunkt gibt es noch weitere ausgezeichnete

Punkte in einem Dreieck.

41 Satz (Satz vom Hohenschnittpunkt) Die drei Hohen eines Dreiecks schneiden sich in

einem Punkt PH.

32

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Das Mittendreieck ist das Dreieck, dessen Ecken die Mittelpunkte des Dreiecks ABC sind. Die

Hohen des Mittendreiecks sind die Mittelsenkrechten des grossen Dreiecks. Da jedes Dreieck Mit-

tendreieck eines großeren Dreiecks ist, folgt die Aussage aus der Aussage uber den Schnittpunkt

der Mittelsenkrechten. �

Die Gerade durch den Mittelpunkt einer Seite und den gegenuberliegenden Eckpunkt nennen

wir Seitenhalbierende.

42 Satz (Satz von den Seitenhalbierenden) Die drei Seitenhalbierenden schneiden sich

in einem Punkt PSH, genannt Schwerpunkt. Dieser Punkt unterteilt jede Seitenhalbierende im

Verhaltnis 2 : 1 von der Ecke aus gesehen.

A B

C

MAMB

MC

PSH

Beweis:

Wir zeigen: BMB teilt AMA im Verhaltnis 2 : 1. Da das Argument auf alle Seitenhalbierenden

angewandt werden kann folgt die volle Aussage. Die Dreiecke MB MAC und ABC sind nach SWS

ahnlich, so dass |AB| : |MB MA| = 2 : 1. Außerdem ist MB MA parallel zu AB. Nach WWW sind

damit die Dreiecke MB MAPSH und ABPSH ahnlich. Dann folgt aber

(APSH) : (PSH MA) = (AB) : (MB MA) = 2 : 1.

A

B

C

PHPMSPSHPWH

e

33

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Elementargeometrische Figuren

43 Satz (Eulergerade) Die Punkte PH, PSH und PMS liegen auf einer Geraden, der soge-

nannten Eulergeraden. Es gilt das Verhaltnis |PHPSH | : |PSHPMS| = 2 : 1.

Beweis:

Wir betrachten die Skizze (hier im gleichschenkligen Dreieck, was jedoch ohne Bedeutung ist):

A B

C

MC HC

MA = HA

PSHPMS

PH

Auf AB sind die Strecken CPH (Teil der Hohe) und MCPMS (Teil der Mittelsenkrechten) senk-

recht und damit zueinander parallel. Genauso stehen APH und MAPMS senkrecht auf BC und

sind also zueinander parallel. Außerdem sind nach dem Satz uber die Seitenhalbierenden die Stre-

cken AC und MC MA zueinander parallel mit |AC| : |MC MA| = 2 : 1. Es folgt, dass die Dreiecke

APHC und MC MAPMS ahnlich sind, und deshalb |CPH | : |MCPMS| = |AC| : |MC MA| = 2 : 1.

Der Winkel ∠HCCMC ist kleiner als ein rechter Winkel. Damit liegen PH und PMS auf verschie-

denen Seiten des Schwerpunktes.

Sei P∗ der Schnittpunkt der Geraden durch PH und PMS mit der Seitenhalbierenden CMC. Dann

ist ∠PHP∗C ≡ ∠MCP∗PMS als Scheitelwinkel und ∠PHCP∗ ≡ ∠PMS MCP∗ als Wechselwinkel.

Also sind die Dreiecke CPHP∗ und MCPMSP∗ nach WWW ahnlich mit

|CP∗| : |MCP∗| = |CPH | : |MCPMS| = 2 : 1

und

|PHPSH | : |PSHPMS| = |CPH | : |MCPMS| = 2 : 1.

Nach der ersten Gleichheit wird also die Seitenhalbierende CMC von P∗ im Verhaltnis 2 : 1geteilt, und deshalb ist P∗ = PSH. Die zweite Gleichheit zeigt, dass PHPMS von P∗ = PSH im

Verhaltnis 2 : 1 geteilt wird. �

44 Satz (Feuerbach’scher Kreis) Die Seitenmittelpunkte, die Hohenfußpunkte und die

Mittelpunkte der Strecken APH, BPH und CPH liegen auf einem Kreis, genannt Neun-Punkt-

Kreis oder Feuerbach’scher Kreis. Der Mittelpunkt des Feuerbach’schen Kreises liegt in der Mitte

zwischen PH und PMS und damit auf der Euler’schen Geraden. Der Radius ist die Halfte des

Radius des Umkreises.

34

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Elementargeometrische Figuren

C

BA

MAMB

MC

PH

M3M2

M1

HB

HA

HC

Umkreis

PMS

PSHF

EulerscheGerade

Beweis: Siehe [1].

Wir definieren den Cosinus eines Winkels als das Verhaltnis zwischen Ankathede und Hypotenuse

eines rechtwinkligen Dreiecks mit dem negativen Vorzeichen, falls der Winkel großer als ein

rechter Winkel ist. Der Sinus ist das Verhaltnis zwischen Kathede und Hypotenuse. Nach dem

Satz von Pythagoras gilt

sin2∠A + cos2∠A = 1.

Wir nennen Strecken gleich lang, wenn sie kongruent sind. Wir nennen Winkel gleich groß, wenn

sie kongruent sind.

Es gilt der Sinussatz.

45 Satz (Sinussatz) Es gilt

sin(∠A)

|BC| =sin(∠B)

|AC| =sin(∠C)

|AB| .

Beweis:

Wir teilen das Dreieck ABC durch die Hohe CHC in zwei rechtwinklige Dreiecke, in denen wir

die Definition des Sinus verwenden:

sin(∠A) = |CHC| : |AC|, sin(∠B) = |CHC| : |BC|

und daher

|AC| sin(∠A) = |CHC| = |BC| sin(∠B).

Daraus folgt die Aussage. �

35

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Elementargeometrische Figuren

Knotenpentagon

A

B

CD

E

Wir nennen die Ecken gegen Uhrzeigersinn A, B, C, D und E und nehmen A nach unten.

Wir entnehmen der Konstruktion: Die Strecken AD, CE, AC und BD sind alle parallel zu einer

Seite des Funfecks.

Es gilt aufgrund der Faltung

∠DEA ≡ ∠EAB ≡ ∠ABC, ∠BCD ≡ ∠CDE

und

∠ABD ≡ ∠DAB ≡ ∠EAC ≡ ∠CEA

sowie

∠EAD ≡ ∠DEC.

Daraus wollen wir die Kongruenz der Kanten und der Winkel in allen Eckpunkten herleiten.

1) Aus der Parallelitat und der Kongruenz von Winkeln folgt

EA ≡ CB AB ≡ DE

also sind mit WSW die Dreiecke ABC und ADE kongruent, und damit AC ≡ AD.

2) Da die Basiswinkel kongruent sind, sind die Dreiecke ABD und EAC gleichschenklig, und

damit

EC ≡ AC ≡ AD ≡ BD.

Mit der Kongruenz der Basiswinkel folgt ∠BDA ≡ ∠ACE und mit SWS die Kongruenz

der Dreiecke ABD und EDC, und damit die Kongruenz

CD ≡ EA ≡ AB ≡ DE.

36

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Elementargeometrische Figuren

3) Mit SWS folgt die Kongruenz der Dreiecke ADE und ECD, und damit sind alle Kanten

und alle Winkel kongruent.

37

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Elementargeometrische Figuren

7. Vorlesung am 22. Mai 2012

3.2 Kreise

Inversion am Kreis

46 Definition Wir betrachten einen Kreis K mit Mittelpunkt O und Radius r in der Ebene

und definieren eine Abbildung, die Inversion am Kreis, die die Punkte der Ebene ohne O auf

die Ebene ohne O abbildet. Sei A 6= O ein Punkt der Ebene. Das Bild A′ ist der Punkt auf dem

Strahl von O nach A mit

|OA||OA′| = r2.

Wir nennen A′ den zu A inversen Punkt.

Konstruktion:

O A

P

Q

A′

Beobachtungen:

1) Geraden durch O werden auf sich selbst abgebildet.

2) Geraden, die O nicht enthalten, werden auf Kreise abgebildet, die O enthalten.

3) Kreise, die O enthalten, werden auf Geraden abgebildet, die O nicht enthalten.

4) Eine zweimalige Inversion ergibt die identische Abbildung.

Die erste Aussage folgt aus der Konstruktion. Die zweite und die dritte Aussage ergeben sich

aus der folgenden Skizze.

38

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Elementargeometrische Figuren

AO

B

A′

B′

Wir definieren den Winkel des Schnittpunktes zweier Kreise als den Winkel der Tangenten,

und genauso den Winkel zwischen einem Kreis und einer Geraden. Im Moment betrachten wir

maximal rechte Winkel.

47 Lemma Schneidet ein Kreis S den Kreis K in einem rechten Winkel, so wird S bei der

Inversion am Kreis K auf sich abgebildet. Enthalt ein Kreis S ein Paar inverser Punkte bezuglich

K, so ist S senkrecht auf K.

Beweis:

Wir betrachten zunachst

A

O

C′

C

B

und behaupten:

(2) |AB|2 = |AC||AC′| (Sekantenformel).

Dazu zeigen wir, dass die Dreiecke ACB und ABC′ ahnlich sind - woraus die Formel sofort folgt.

Fur die Ahnlichkeit wiederum genugt es aufgrund des Ahnlichkeitssatzes WWW die Kongruenz

∠ABC ≡ ∠AC′B nachzuweisen, was im folgenden geschieht.

39

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Elementargeometrische Figuren

Die Winkel in O addieren sich zu vier rechten Winkeln auf. Mit der Winkelsumme im Dreieck

und der Gleichheit der Basiswinkel im gleichschenkligen Dreieck ergibt sich als Summe ∠OCC′+∠OC′B +∠OBC ein rechter Winkel (im folgenden abgekurzt als π

2 ). Aufgrund der Konstruktion

ist ∠OBA ein rechter Winkel, also

∠CBA = π/2−∠OBC = ∠OC′B +∠OCC′ = ∠AC′B.

Diese Argumentation verwendet die spezielle Konfiguration. Falls der Punkt O außerhalb des

Dreiecks CC′B liegt spiegeln wir die Gerade AC and AO.

Wir betrachten nun folgende Skizze.

O

C

B′

B

Es folgt

|OB||OB′| = |OC||OC|

und B wird auf B′ abgebildet. Umgekehrt: Wird B auf B′ abgebildet, und liegen beide Schnitt-

punkte auf dem Kreis S, so gibt es zwei Schnittpunkte mit S. Sei C einer der Punkte, fur den

eine Tangente durch A existiert. Dann folgt aus (2) und der Definition der Inversion dass C auf

K liegt. Daraus folgt die Behauptung.

48 Lemma Jeder Kreis, der O nicht enthalt, wird auf einen Kreis abgebildet, der O nicht

enthalt.

Beweis:

Wir beginnen mit einer Beobachtung. Sei K und K′ konzentrische Kreise, d.h. Kreise mit dem

gleichen Mittelpunkt O und Radius r und r′. Die Inversion an K bilde A auf A′ und die Inversion

an K′ bilde A′ auf A′′ ab. Es gilt

|OA||OA′| = r2, |OA′||OA′′| = (r′)2 =⇒ |OA′′| : |OA| = (r′/r)2,

40

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Elementargeometrische Figuren

die Verkettung ist also eine zentrische Streckung, und das ist eine Ahnlichkeitsabbildung (sie

bildet Dreiecke auf ahnliche Dreiecke ab). Jede Ahnlichkeitsabbildung bildet Gerade auf Geraden

ab (das war Teil der Definition) und Kreise auf Kreise (das folgt daraus dass sie Dreiecke auf

ahnliche Dreiecke abbildet).

Sei jetzt K ein Kreis mit Mittelpunkt O und S eine Kreis, der O nicht enthalt mit Mittelpunkt

A. Sei S′ der Thaleskreis uber OA und P der Punkt auf dem Thaleskreis und einer Tangenten an

S′, die durch O lauft. Sei K′ der Kreis mit Mittelpunkt O durch P. Aufgrund der Konstruktion

schneiden sich die Kreise K′ und S im rechten Winkel.

Die Inversion an K′ bildet S auf sich selbst ab. Die Komposition mit der Inversion an K bildet

daher S auf das Bild von S unter der Inversion an K ab. Die erste Abbildung ist als Komposition

eine zentrische Streckung, und damit ist das Bild von S unter der Inversion an K ein Kreis, der

O nicht enthalt. �

49 Lemma Die Inversion am Einheitskreis ist konform (d.h. winkeltreu): Schneiden sich zwei

Kurven (bei uns Geraden oder Kreise) in einem Winkel, so ist der Winkel des Bildes kongruent

dazu.

Beweis:

Die Zahl der Schnittpunkte zweier Geraden, von Gerade oder Kreis, oder Kreisen (wobei wir Onicht zahlen) bleibt bei der Inversion gleich. Tangentialitat bleibt erhalten. Sei P nicht auf K.

Wir wahlen zwei Kreise, die P enthalten , und K senkrecht schneiden, und in P tangential zu

den beiden Kurven sind. (Warum gibt es das?). Da Tangentialitat erhalten bleibt, genugt es,

den Winkel des Schnittpunktes P′ des Bildes zu betrachten. Die beiden Kreise werden auf sich

selbst abgebildet, und damit sind die Winkel kongruent.

Liegt P auf dem Kreis dann schalten wir eine Inversion an einem zweiten Kreis mit gleichem

Mittelpunkt vor. Die Komposition der beiden Inversionen ist eine zentrische Streckung, die

Winkel erhalt. Die erste Inversion erhalt den Winkel. Damit folgt die Behauptung. �

Das Doppelverhaltnis

50 Definition Fur vier verschiedene Punkte A, B, P und Q der Ebene definieren wir das

Doppelverhaltnis

(AB, PQ) =|AP||AQ| :

|BP||BQ| .

51 Lemma Die Inversion am Kreis verandert das Doppelverhaltnis nicht: Ist K ein Kreis mit

Mittelpunkt O, A, B, P und Q vier verschiedene und von O verschiedene Punkte, A′, B′, P′ und

Q′ die Bilder unter der Inversion, so gilt

(AB, PQ) = (A′B′, P′Q′)

41

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Seien Punkte A, P und ihre Bilder A′ und P′ gegeben. Dann folgt

|OA||OA′| = r2 = |OP||OP′|

und |OA| : |OP| = |OP′| : |OA|.Seien nun O, A und P nicht kollinear. Dann sind die Dreiecke OAP und OP′A′ wegen SSS

ahnlich und |AP| : |A′P′| = |OA| : |OP′|.Sind O, A und P kollinear so folgt die gleiche Aussage mit Differenzenbildung.

Ist Q ein weiterer Punkt so folgt auch

|AQ| : |A′Q′| = |OA| : |OQ′|

und daher|AP||A′P′| :

|AQ||A′Q′| =

|OQ′||OP′| .

Ist B ein weiterer Punkt, so konnen wir A in der Formel durch B ersetzen. Sortieren von gestri-

chenen und ungestrichenen Termen in der dadurch erhaltenen Identitat ergibt die Invarianz des

Doppelverhaltnisses. �

52 Lemma Seien zwei Kreise mit verschiedenen Mittelpunkten gegeben. Die Mittelpunkte aller

Kreise, die diese Kreise senkrecht schneiden, liegen auf einer Geraden, die Radikalachse genannt

wird. Sie ist senkrecht auf der durch die Mittelpunkte definierten Geraden. Ist K ein dritter Kreis,

der beide Kreise in jeweils zwei Punkten A, B A′ und B′ schneidet, so liegt der Schnittpunkt der

durch AB und A′B′ definierten Geraden auf der Radikalachse.

Die Skizze veranschaulicht die Aussage des Lemmas.

O

O′

Radikalachse

42

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Schritt 1. Eine mehrfache Anwendung der Sekantenformel zeigt, dass der Schnittpunkt der

beiden Geraden Mittelpunkt eines Kreises ist, der beide gegebenen Kreise orthogonal schneidet.

Schritt 2. Die orthogonale Projektion eines Mittelpunktes auf die Gerade durch die Mittel-

punkte hangt nicht vom gewahlten dritten Kreis ab. Das folgt mit einer mehrfachen Anwendung

des Satzes von Pythagoras. �

Kreise, die drei Bedingungen genugen

Ein Teil der Konstruktionen der Kreise wird angegeben, andere haben wir bereits gesehen. Ich

empfehle, die restlichen Konstruktionen selbst durchzufuhren.

1) (PPP) Seien drei nicht kollineare Punkte A, B und C gegeben. Dann gibt es genau einen

Kreis durch diese Punkte, den Umkreis.

2) (ggg) Zu drei Geraden, die sich in drei verschiedenen Punkten schneiden, gibt es genau

vier Kreise, die die Geraden als Tangenten haben. Konstruktion durch Winkelhalbierende.

3) (PPg) Zu einer Geraden und zwei verschiedenen Punkten, die auf einer Seite der Gerade

liegen, gibt es einen oder zwei Kreise, die die Punkte enthalten, und die Gerade als Tangente

haben.

Konstruktion: Der Mittelpunkt liegt auf der Mittelsenkrechten der beiden Punkte. Wir

einen Punkt A auf der Mittelsenkrechten, der auf der Seite der zwei Punkte liegt, und

43

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Elementargeometrische Figuren

konstruieren einen Kreis, der die Gerade als Tangente hat. Dieser enthalt nicht notwendi-

gerweise die beiden Punkte. Also strecken wir den Kreis am Schnittpunkt der Mittelsenk-

rechte und der Geraden (falls sie sich schneiden) oder wir verschieben den Kreis (falls sie

parallel sind).

Frage: Wo liegt der zweite Kreis?

4) (Pgg) Zu zwei sich schneidenden Geraden und einem Punkt, der nicht auf den Geraden

liegt, gibt es genau zwei Kreise, die den Punkt enthalten, und die Geraden als Tangenten

haben. Die Aussage bleibt richtig fur parallele Geraden, wenn der Punkt zwischen den

Geraden liegt.

Konstruktion: Liegt P auf der Winkelhalbierenden so ist die Kontruktion einfach. Im ande-

ren Fall sei P′ der an der Winkelhalbierenden gespiegelte Punkt. Wir konstruieren (PPg)

und erhalten die Konstruktion.

5) (ggK) Zu zwei sich schneidenden Geraden und einem Kreis gibt es hochstens 8 Kreise, die

tangential zu Kreis und Geraden sind.

44

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Elementargeometrische Figuren

Konstruktion eines Kreises in dem Fall, dass der Kreis die Geraden nicht schneidet. Wir

konstruieren Geraden, die um den Radius vom Kreis weg verschoben sind. Zu diesen neuen

Geraden und dem Mittelpunkt konstruieren wir den Mittelpunkt von (ggP). Der Kreis mit

diesem Mittelpunkt, der die Geraden als Tangenten hat, lost unser Problem.

6) (PPK) Zu einem Kreis und zwei Punkten, die beide im Inneren oder im Außeren des

Kreises liegen, gibt es genau zwei Kreise, die beide Punkte enthalten, und die tangential

zum Kreis sind.

7) (KKK), (Problem des Apollonius) Zu drei Kreisen mit verschiedenen Mittelpunkten exis-

tieren genau 8 Kreise, die tangential zu den drei Kreisen sind.

Konstruktion im Fall, dass sich genau zwei der Kreise schneiden.

Wir wahlen einen Schnittpunkt und konstruieren einen Kreis mit diesem Mittelpunkt,

der den dritten Kreis senkrecht schneidet. Eine Inversion an diesem Kreis uberfuhrt das

Problem in (ggK).

Die ubrigen Konfigurationen sind (PgK), (PKK) und (gKK).

Weitere Eigenschaften des Kreises

1) (Peripheriewinkelsatz) Der Mittelpunktswinkel ist doppelt so groß wie der Peripheriewin-

kel. Der Peripheriewinkel uber einer Sehne hangt nicht vom Punkt auf dem Kreis ab. Ist

ABC ein Dreieck mit Umkreismittelpunkt O, so liegt D genau dann auf dem Kreis auf der

gleichen Seite wie C, wenn der Winkel ∠BDA ≡ ∠BCA.

2) Ein Spezialfall ist der Satz des Thales.

3) Im Sehnenviereck ist die Summe zweier gegenuberliegender Winkel die Summe zweier rech-

ter Winkel. Die Ecken eines Vierecks liegen genau dann auf einem Kreis wenn die Summe

gegenuberliegender Winkel die Summe zweier rechter Winkel ist.

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4) In einem Tangentenviereck ist die Summe gegenuberliegender Seiten gleich. Umgekehrt ist

jedes konvexe Viereck mit diese Eigenschaft ein Tangentenviereck.

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8. Vorlesung am 5. Juni 2012

3.3 Das Poincare-Modell der hyperbolischen Ebene

Wir definieren eine Geometrie, in der alle ebenen Axiome von Hilbert (damit sind alle Aus-

sagen der Axiome gemeint, die fur eine Ebene formuliert werden konnten) mit Ausnahme des

Parallelenaxioms gelten.

53 Definition Wir betrachten einen Kreis K in einer Ebene. P-Punkte sind die Punkte im

Inneren des Kreises. Als P-Geraden bezeichnen wir Geraden durch den Mittelpunkt, und Kreise,

die K senkrecht schneiden.

O

Verifikation der ebenen Inzidenzaxiome

O O′A

K

S

Sei S ein Kreis, der K senkrecht schneidet. Dann ist das Inverse unter K des Mittelpunktes der

beiden Schnittpunkte der Kreise der Mittelpunkt von S. Insbesondere liegt der Mittelpunkt von

S außerhalb von K, und genauso liegt der Mittelpunkt von K außerhalb von S.

Die Inzidenzrelation definieren wir uber das Enhaltensein.

Axiom I1 sagt: Jede P-Gerade enthalt mindestens zwei P-Punkte. Zu zwei Punkten existiert

genau eine P-Gerade. Es gibt drei P-Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen.

47

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Nur die zweite Aussage ist nicht sofort offensichtlich. Seien zwei P-Punkte A und B gegeben.

Zunachst betrachten wir den Fall, dass O, A und B nicht auf einer Geraden liegen. Dann sei A′

der zu A bezuglich K inverse Punkt. Nach Lemma 47 schneidet der Kreis durch die drei Punkte

den Kreis K senkrecht und definiert die P-Gerade, die A und B enthalt. Falls O, A und B auf

einer Geraden liegen, dann definiert diese Gerade eine P-Gerade.

Zwei verschiedene P-Geraden, die auf Geraden liegen, schneiden sich nur im Mittelpunkt. Zwei

Kreise, die zu verschiedenen P-Geraden liegen, schneiden sich hochsten in zwei Punkten. In

diesem Fall werden die Punkte bei der Inversion an K aufeinander abgebildet, und nur einer der

Punkt liegt im Inneren.

Ist S ein Kreis und a eine Gerade, die jeweils P Geraden definieren. Falls sie zwei Schnittpunkte

haben liegt wie bei den Kreisen einer im Inneren.

Die Zwischenaxiome

Wir fuhren die Zwischenrelation auf die Hilbertsche Zwischenrelation zuruck. Enthalt eine P-

Gerade b den Mittelpunkt, so ist sie Teil einer Euklidschen Gerade, und B liegt zwischen A und

B, wenn dies fur die Euklidsche Gerade gilt.

Im anderen Fall existiert eine Gerade a durch den Mittelpunkt, die senkrechte zu den Mittel-

punkten O und O′ der Kreise durch O. Wir ordnen jedem P-Punkt B den Schnittpunkt von aund der Geraden durch den Punkt und O′ zu. Nun definieren wir die Zwischenrelation durch die

Zwischenrelation der Punkte auf der Geraden.

1) Liegt B zwischen A und C, so liegt B auch zwischen C und A.

2) Zu zwei verschiedenen P-Punkten A und B gibt es einen P-Punkt, der zwischen A und Bliegt, und einen P-Punkt C, so dass B zwischen A und C liegt.

3) Liegen die drei paarweise verschiedenen P-Punkte A, B, C auf der P-Geraden g, so liegt

genau einer der drei Punkte zwischen den beiden anderen Punkten.

4) (Pasch) Seien A, B, C drei nicht auf einer P-Gerade liegende Punkte, a eine P-Gerade in

der zu A, B, C gehorenden Ebene, die keinen der drei Punkte enthalt, aber einen Punkt

aus AB. Dann enthalt a entweder einen Punkt aus BC oder einen Punkt aus CA, aber

nicht beides.

Die Axiome II.1 – II.3 folgen direkt aus der Definition.

Das Seiten einer P-Geraden sind die Seiten der Euklidschen Geraden (wenn die P-Gerade den

Mittelpunkt enthalt) bzw das Innere und das Außere im anderen Fall. Daraus folgt das Axiom

von Pasch.

Damit erhalten wir P-Strecken und P-Halbstrahlen, die mit Hilfe der Axiome definiert worden

waren.

48

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Elementargeometrische Figuren

Die Kongruenzaxiome

Seien P und Q die Schnittpunkte der P-Geraden durch A und B mit K, wobei P naher an A als

an B liegen soll, und P′ und Q′ die analogen Punkte fur A′ und B′.

P

A

B

Q

Wir sagen, die P-Strecken AB und A′B′ sind kongruent, falls die Doppelverhaltnisse gleich sind

(AB, PQ) = (A′B′, P′Q′)

Dieser Kongruenzbegriff ist offensichtlich eine Aquivalenzrelation.

Die Kongruenz von P-Winkeln definieren wir uber die Kongruenz der Winkeln der Tangenten.

Die Inversion an einem zu einer P-Gerade gehorenden Kreis bildet den Rand des Poincare-

Modells nach Lemma 47 auf sich ab - und da der Mittelpunkt im Außeren dieses Kreises liegt,

wird das Poincare-Modell auf sich abgebildet. Der die Inversion konform ist werden P-Geraden

auf P Geraden abgebildet. Nach Lemma 51 bleibt das Doppelverhaltnis invariant, und damit

ist eine Strecke P-kongruent zu ihrer Inversion. Nach Lemma 49 ist jeder Winkel kongruent zu

dem Bild unter der Inversion. Aus Lemma 47 folgt, dass P-Geraden auf P-Geraden abgebildet

werden.

Wir nennen die Inversion an einem zu einer P-Geraden gehorenden Kreis P-Spiegelung. Auch die

Spiegelung an einer Geraden durch den Mittelpunkt nennen wir P-Spiegelung. Die P-Spiegelung

ist eine Kongruenzabbildung, und diese bilden wieder eine Gruppe.

Wir konnen jeden Punkt durch eine P-Spiegelung auf den Mittelpunkt abbilden. Dazu betrachten

wir das folgende Bild, in der die angegebene P-Gerade die gewunschte Eigenschaft hat.

O A

49

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Genauso sind Drehungen Kongruenzabbildungen, da sie die euklidschen Abstande und damit

das Doppelverhaltnis nicht verandern.

Inzidenzen bleiben erhalten, genauso wie die Zwischenrelation.

Nach diesen Vorbereitungen prufen wir die Kongruenzaxiome nach.

1) Sind A, B zwei verschiedene P-Punkte auf der P-Geraden a und A′ ein Punkt auf einer

Geraden a′ , dann gibt es genau einen Punkt B′ auf einer gegebenen Seite von a , so dass

A′B′ kongruent ist zu AB . Es gilt stets, dass AB kongruent zu AB und zu BA ist.

Nach einer oder zwei Inversionen an P Geraden erreichen wir A = A′ ist der Mittelpunkt

des Kreises. Eine Rotation laßt sich als Verkettung zweier Spiegelungen an P-Geraden

durch den Mittelpunkt darstellen. Dadurch wird a auf a′ abgebildet.

2) Ist AB kongruent zu A′B′ und A′B′ kongruent zu A′′B′′ so ist AB kongruent zu A′′B′′ .

3) Seien AB und BC zwei P-Strecken ohne gemeinsame Punkte auf a, A′B′ und B′C′ zwei P-

Strecken ohne gemeinsame Punkte auf a′ . Sind AB und A′B′ sowie BC und B′C′ kongruent,

so sind auch AC und A′C′ kongruent.

Liegt C zwischen A und B, und sind P und Q bzw P′ und Q′ wie bei der Definition der

Kongruenz, so gilt

(AB, PQ) =|AP||BQ||AQ||BP|

=|AP||CQ||AQ||CP|

|CP||CQ||BQ||BP|

=(AC, PQ)(CB, PQ)

=(A′C′, P′Q′)(C′B′, P′Q′)

=(A′C′, P′Q′)

(3)

Daraus folgt das Axiom III.3.

4) Es sei ∠(h, k) ein P-Winkel und a eine P-Gerade. Sei h ein P-Halbstrahl auf a , der von

einem Punkt O ausgeht. Wir wahlen eine Seite von a aus. Dann gibt es genau einen P-

Halbstrahl k ausgehend von O auf der angegebenen Seite, so dass ∠(h, k) ≡ ∠(h′, k′). Jeder

Winkel ist zu sich selbst kongruent.

Nach einer Spiegelung durfen wir annehmen, dass O der Mittelpunkt ist. Dann folgt die

Axiom aus dem Hilbertschen Axiom.

5) Ist ∠(h, k) kongruent zu ∠(h′, k′) und ∠(h′, k′) zu ∠(h, k), so ist ∠(h, k) kongruent zu

∠(h′′, k′′).

6) Gelten fur die P-Dreiecke ABC und A′B′C′ die Kongruenzen AB ≡ A′B′, AC ≡ A′C′ und

∠BAC ≡ ∠B′A′C′, so gilt auch ∠ACB ≡ ∠A′C′B′ und ∠ABC ≡ ∠A′B′C′.

Nach diversen Inversionen am Kreis durfen wir annehmen, dass A = A′ der Mittelpunkt,

B = B′ und C = C′. Die P-Gerade durch B und C ist eindeutig.

50

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Also sind die Kongruenzaxiome erfullt und damit gelten alle Folgerungen aus diesen Axiomen

uber wie die Existenz von Senkrechten, Mittelsenkrechten, Winkelhalbierenden.

Wir halten fest

54 Satz Die P-Spiegelung an einer P-Gerade ist eine Kongruenzabbildung im Poincare-

Modell.

Eine erste von der Euklidschen Geometrie abweichende Aussage ist die Folgende.

55 Lemma Zu zwei parallelen P-Geraden existiert genau eine gemeinsame Senkrechte.

Beweis:

Sind die zwei P-Geraden durch Kreise gegeben, so suchen wir einen Kreis, der drei gegebene

Kreise S1, S2 und K senkrecht schneidet, wobei S1 und S2 keine gemeinsamen Punkte haben,

und K senkrecht schneiden. Sei A einer der Schnittpunkte, und σ ein Kreis mit Mittelpunkt A.

Nach Inversion an σ suchen wir einen Kreis, der zwei senkrechte Geraden und einen weiteren

Kreis (der eine der Geraden nicht schneidet) senkrecht schneidet. Dies leistet der Kreis, dessen

Mittelpunkt der Schnittpunkt der Geraden ist, und der den Kreis senkrecht schneidet.

Die Folgerungen aus den Axiomen bleiben richtig. Wir erhalten z.B. Kongruenzsatze fur Dreiecke

in der P-Geometrie.

56 Lemma Die Winkelsumme im Dreieck ist kleiner als π.

Beweis:

Nach einer P-Spiegelung durfen wir annehmen, dass das A = O eine der Ecken ist. Die Gerade

durch B und C schneidet den die durch B und C definierte P-Gerade in den zwei Punkten B und

C. Die Strecke (Hilbertsche) Strecke BC liegt im Inneren des zur P-Geraden gehorenden Kreises.

Dann sind die Winkel des hyperbolischen Dreiecks kleiner als die des Euklidschen Dreiecks, und

die Summe ist kleiner als die Summe zweier rechter Winkel. �

51

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57 Satz (WWW) Zwei P-Dreiecke mit kongruenten Winkeln sind kongruent.

Beweis:

Nach P-Spiegelungen und Rotationen genugt es, die Aussage fur A = A′ = O und gleichen

Halbstrahlen OB und OB′ bzw OC und OC′ zu zeigen. Ist C = C′ so muss, da der Winkel sich nur

eindeutig abtragen laßt B = B′ gelten und umgekehrt. Ohne Einschrankung sei |OB| < |OB′|.Falls auch |OC| < |OC′| so hat das Viereck BCC′B′ nach der Annahme an die Winkel die

Winkelsumme 2π. Durch Einziehen einer P-Diagonalen erhalten wir zwei P-Dreiecke, deren

Winkelsumme ab kleiner als π ist, was ein Widerspruch zur Winkelsumme 2π im Viereck ist.

Der Fall |OC′| < |OC| bleibt dem Leser als Ubungsaufgabe uberlassen. �

58 Definition Wir definieren den Abstand

|AB|P = − ln((AB, PQ))

in der hyperbolischen Ebene.

59 Lemma |AB|P definiert einen Abstand, d.h es gilt

1) |AB|P = |BA|P.

2) |AB|P ≥ 0 mit Gleichheit genau dann wenn A = B.

3) (Dreiecksungleichung) |AC|P ≤ |AB|P + |AC|P.

Bei 3 gilt Gleichheit genau dann wenn B zwischen A und C liegt.

Beweis:

Die ersten zwei Aussagen folgen direkt aus der Definition. Liegt B zwischen A und C so folgt die

Gleichheit in der Dreiecksungleichung aus den Uberlegungen zu Axiom III.3.

Wir betrachten nun den Fall, dass B nicht zwischen A und C liegt, und dass |AC|P ≥ |AB|Pund |AC|P ≥ |BC|P. Sei KA der Kreis um A der B enthalt und KC der analoge Kreis um C.

KA schneidet die Gerade durch A und C in einem Punkt A′ mit |AA′|P = |AB|P. C′ sei der

Schnittpunkt von KC und der P-Geraden. Es folgt |CC′|P = |BC|P.

A

B

C

A′ C′

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Mit dem ersten Teil folgt

|AC|P =|AC′|P + |C′C|P= |AC′|P + |BC|P= |AA′|P − |A′C′|P + |BC|P= |AC|P − |A′C′|P + |BC|p< |AC|P + |BC|P.

60 Lemma Jeder P-Kreis ist ein Kreis im Inneren von K und umgekehrt.

Beweis:

Das ist klar, wenn der Mittelpunkt der Mittelpunkt des Poincare-Modells ist. Das wiederum

kann man durch eine P-Spiegelung erreichen. Kreise werden bei Spiegelungen und Inversionen

(Lemma 48) auf sich selbst abgebildet. �

Auch wenn die P-Kreise genau die euklidischen Kreise sind, ist im Allgemeinen der P-Mittelpunkt

nicht gleich dem euklidischen Mittelpunkt.

61 Lemma Zwei Dreiecke sind kongruent wenn die entsprechenden Seiten kongruent sind.

Zu zwei kongruenten Dreiecken existiert eine Kongruenzabbildung, die das eine Dreieck auf das

andere Dreieck abbildet. Diese ist durch die Dreiecke und Angabe der Bilder der Ecken eindeutig

bestimmt.

Beweis:

Die Dreieck ABC und A′B′C′ seien kongruent. Nach zwei P-Spiegelungen durfen wir A = A′ = Oannehmen, sowie nach einer Drehung B = B′. Spatestens nach einer weiteren Spiegelung an der

Gerade AB liegen C und C′ auf der gleichen Seite. Nach Lemma 18 sind sowohl C wie auch C′

Schnittpunkte zweier Kreise mit Mittelpunkt auf AB, also sind sie gleich.

Seien φ und ψ zwei Kongruenzabbildungen, die A auf A′, B auf B′ und C auf C′ abbilden und

D ein weiterer Punkt sowie D′ und D′′ die Bilder. Diese liegen auf der gleichen Seite (Vergleich

mit C), und sind nach der obigen Uberlegung identisch. �

Das Parallelenaxiom ist nicht erfullt. Das Archimedische Axiom folgt aus den Eigenschaften des

Abstandes und dem archimedischen Axiom der reellen Zahlen. Das Dedekindsche Vollstandig-

keitsaxiom folgt aus dem Dedekindschen Vollstandigkeitsaxiom fur Geraden.

3.4 Winkeldefekt und Flacheninhalt

Fur ein P-Dreieck A, B, und C definieren wir den Winkeldefekt als

δ(ABC) = π −∠ABC−∠BCA−∠CAB

53

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An Dreiecken, deren eine Ecke der Mittelpunkt des Kreise ist, sehen wir δ > 0 falls die Punkte

nicht kollinear sind.

Liegt B zwischen A und C und D ein weitere Punkt, so uberzeugt man sich leicht:

δ(ABD) + δ(BCD) = δ(ACD),

d.h. der Winkeldefekt verhalt sich wie ein Flacheninhalt.

62 Satz Es gibt eine Flacheninhalt, der auf Dreiecken der Winkeldefekt ist. Bis auf ein Viel-

faches hat jeder Flacheninhalt diese Eigenschaft.

Der Beweis ist analog zum Euklidschen Fall. Entscheidend fur die Formel ist die Formel bei der

Unterteilung eines Dreiecks in zwei kleiner Dreiecke. Man rechnet leicht nach, dass in diesem

Fall der Winkeldefekt des Dreiecks die Summe der Winkeldefekte der kleinen Dreiecke ist.

Diese Argumentation funktioniert auch im Euklidschen Fall, nur dass dort der Defekt immer

Null ist, wahrend er in der hyperbolischen Ebene immer positiv ist.

3.5 Eine analytische Behandlung des Poincare-Modells

In diesem Abschnitt streben wir eine analytische Behandlung an. Wir identifizieren die Punkte

im R2 mit komplexen Zahlen. Die Inversion am Kreis mit Mittelpunkt 0 und Radius R hat die

Form

z→ R2

zund die Inversion am Kreis mit Mittelpunkt z0 und Radius R

z→ z0 +R2

(z− z0)=

z0z− |z0|2 + R2

z− z0

Sie hat also die Form

z→ az− bcz− d

,

wobei weder a und b noch c und d gleichzeitig Null sind und ad 6= bc. Die Multiplikation mit

einem gemeinsamen Faktor verandert die Abbildung nicht und wir nehmen an

1 = ad− bc = det

(a bc d

).

Diese Abbildung bildet die Einheitskreisscheibe auf sich ab falls |z0| > 1 und

|a|2 + (ab− ba)i + |b|2 = |c|2 + (cd− cd)i + |d|2

genauso wie die analoge Aussage mit −i. Es folgt

|a|2 + |b|2 = |c|2 + |d|2, und ab− ba = cd− cd.

Es ist eine einfache Konsequenz, dass a 6= 0 und d 6= 0. Wir konnen den Nenner in der Form

cz− 1

54

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Elementargeometrische Figuren

schreiben. Dann hat die Abbildung die Form

Wir konnen die Abbildung in der Form

(4) z→ κ(z− c)

cz− 1

schreiben wobei |c| < 1 und |κ| = 1. Die Inversion am Kreis mit Mittelpunkt c−1 der den

Einheitskreis K senkrecht schneidet hat nun die Form

z→cc (z− ccz− 1

Eine weitere Spiegelung an der x Achse fuhrt auf die Abbildung

(5) z→ κ(z− c)

cz− 1

63 Definition Wir definieren

D(z, w) =|z− w||wz− 1|

64 Lemma Sei φ eine P-Spiegelung. Dann ist das Bild des Kreises um 0 mit Radius r < 0der P-Kreis um φ(0) mit Radius r.

Beweis:

Die P-Spiegelung bildet y := φ(0) nach 0 ab. Sie hat die Form (4). Dann hat die P-Spiegellung

die Gestalt

z→ κ(z− y)

(yz− 1)

und es genugt, die Aussage fur

z→ κ(z− y)

yz− 1

zu zeigen. Aus

r =

∣∣∣∣κ(z− y)

(yz− 1)

∣∣∣∣ =|z− y||yz− 1|

folgt die Behauptung. �

65 Lemma Es gilt

d(z, w) = 2 artanh(D(z, w))

Beweis:

55

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Mit einer zweifachen Anwendung des Lemmas sehen wir, dass D sich unter P-Spiegelungen nicht

andert. Ein Vergleich mit dem Doppelverhaltnis fur w = 0 zeigt daß die Gleichung

(6) d(0, z) = ln(1 + |z|1− |z| ) = 2 artanh(|z|) = 2 artanh(D)

zu zeigen ist, oder, aquivalent

tanh(12

ln1 + |z|1− |z| ) =

√1+|z|1−|z| −

√1−|z|1+|z|√

1+|z|1−|z| +

√1−|z|1+|z|

=|z|.

66 Lemma (Cosinusregel)

sinh |AC|P sinh |AB|P cos∠BAC = cosh |ACp| cosh |AB|P − cosh |BCP|

cos∠ABC =tanh |AB|Ptanh |BC|P

sin∠BACsinh |BC|P

=sin∠ABCsinh |AC|P

=sin∠ACBsinh |AB|P

Beweis:

Wie oben genugt es, B = O zu betrachten. Die Langen der Strecken lassen sich durch D aus-

drucken. Die Formel sind Konsequenzen von umfangreichen Umformungen aus diesen Beziehun-

gen. �

56

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Elementargeometrische Figuren

9. Vorlesung am 12. Juni 2012

3.6 Kegelschnitte und Quadriken

Wir betrachten weiter eine feste Ebene.

67 Definition Seien F1 und F2 zwei Punkte, die wir Brennpunkte nennen, und 2a > |F1F2| ein

Radius. Die Ellipse mit diesen Brennpunkten und diesem Radius ist die Menge aller Punkte B,

fur die die Summe der Abstande zu den Brennpunkten 2a ist.

Die Ellipse hat ein Inneres, das aus den Punkten besteht, fur die Summe der Abstande < r, und

ein Außeres, das aus den Punkten besteht, fur die die Summe der Abstande > r.

68 Lemma Zu einem Punkt B auf der Ellipse gibt es genau eine Gerade, die wir Tangente

nennen, deren Schnitt mit der Ellipse aus dem Punkt B besteht. Sind T1 und T2 Punkte auf der

Geraden, zwischen denen B liegt so gilt ∠F1BT1 ≡ ∠F2BT2.

Beweis:

Sei t eine Gerade, deren Schnitt mit der Ellipse aus dem Punkt B besteht. Diese Gerade verlauft

im Außeren der Ellipse: Zunachst enthalt sie Punkte im Außeren, und zwar auf beiden Seiten

von B. Auf jeder Seite betrachten wir die Punkte A mit der Eigenschaft: Liegt A zwischen B und

C, so liegt C im Außeren der Ellipse. Nach dem Dedekindschen Vollstandigkeitsaxiom muß, falls

ein Punkt im Inneren liegt, ein zweiter Punkt auf der Ellipse liegen. Das ist aber nach Annahme

an die Gerade nicht moglich.

Wir spiegeln F2 an t und erhalten F′2. Die Strecke F1F′2 ist die kurzeste Verbindung, deren Lange

mindestens die Summe der Abstande |F1B|+ |BF2| ist. Der Schnitt B′ der Strecke mit t liegt im

Außeren, falls B 6= B′. Da F2B′ = F2B folgt |F1F′2| = |F1B′|+ |B′F2| < |F1B|+ |BF2|, was nicht

moglich ist, wenn B 6= B′. Also liegt B zwischen F1 und F′2. Es folgt ∠F1BT1 ≡ ∠F′2BT2 ≡ ∠F2BT2.

Umgekehrt: Sei t die Winkelhalbierende der durch F1 und B sowie F2 und B definierten Geraden,

und t die Winkelhalbierenden, fur die beide Brennpunkte auf der gleichen Seite liegen. Enthalt

t einen weiteren Punkt B′ der Ellipse, und ist F′2 wie oben, so folgt

2a = |F1B′|+ |F2B′| = |F1B′|+ |F′2B′| > |F1F′2| = 2a

was ein Widerspruch ist. Also existiert kein weiterer Schnittpunkt auf t.

57

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Elementargeometrische Figuren

F1 F2

B

T1

T2

F2′

B′

Es gibt eine einfache physikalische Anwendung: Stellt man eine Lichtquelle in einen Brennpunkt,

so wird das Licht im zweiten Brennpunkt gebundelt

69 Definition Seien F1 und F2 zwei Punkte, die wir Brennpunkte nennen, und 0 < 2a < |F1F2|eine Zahl. Die Hyperbel mit diesen Brennpunkten und diesem Radius ist die Menge aller Punkte

A, fur die die Differenz der Abstande zu den Brennpunkten 2a ist.

Eine Hyperbel besteht aus zwei Teilen: {A : |AF1| − |AF2| = r} und {A : |AF2| − |AF1| = r}.Zwischen F1 und F2 liegen genau zwei Punkte der Hyperbel, die den Abstand 2a haben.

Den Mittelpunkt der Strecke F1F2 bezeichnen wir mit O. Wir betrachten ein Dreieck F1F2C mit

einem rechten Winkel in C, und |CF2| = 2a. Die Parallele durch O zu F1C ist eine von zwei

Asymptoten. Die Asymptoten schneiden die Hyperbel nicht, aber die Hyperbelaste kommen den

Asymptoten beliebig nahe.

70 Lemma In jedem Punkt B der Hyperbel existiert genau eine Gerade, die gleiche Winkel zu

F1B und F2B hat, und die nur einen Punkt mit der Hyperbel gemeinsam hat.

F1 F2

A

t

F′′2

58

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Wie oben sehen wir, das eine Gerade, die mit einem Hyperbelast nur einen Punkt gemeinsam

hat, auf der Seite der Hyperbel liegt, die den naheren Brennpunkt nicht enthalt.

Sei R der Radius eines Kreises um F1, wobei R groß gewahlt sei. Fur jeden Punkt P im Inneren

des Kreises sei P′ der Schnitt des Strahls OP mit dem Kreis. Es gilt dann

(7) |F1A| − |F2A| = R− (|AA′|+ |F2A|).

Wir spiegeln an der Tangenten durch B auf der Ellipse und erhalten F′2. Nun gilt BF2 ≡ BF′2.

Liegt F′2 zwischen F1 und B liegt so folgt die Aussage.

Wir nehmen an, F′2 liege nicht zwischen F1 und B und fuhren diese Aussage zum Widerspruch.

Sei D der zu B und D′ der zu F2 gehorende Punkt auf dem Kreis, und B′ der Schnitt von F2D′

mit t. Dann ist

|F1B′| − |F2B′| < |F1B| − |F2B|

da sich B′ auf t und damit der entsprechenden Seite der Hyperbel gehort. Andererseits ist falls

B 6= B′

|F2B′|+ |B′D′| = |F′2B′|+ |B′D′| < |F′2B|+ |BD| = |F2B|+ |BD|,

was den beiden vorangehenden Ungleichungen widerspricht. Also liegt F′2 zwischen F1 und B.

Daraus ergibt sich die Aussage uber die Winkel.

Damit sind die Winkel zur Tangenten kongruent, falls eine Tangente existiert.

Wir betrachten nun die entsprechende Winkelhalbierende die F1 und F2 trennt und nehmen an,

sie habe einen zweiten Schnittpunkt. Sei F′2 der gespiegelte Punkt. Wir argumentieren wie oben

und erhalten, dass die Winkelhalbierende eine Tangente ist.

Eine einfache geometrische Uberlegung zeigt, dass die Tangente den gegenuberliegenden Hyper-

belast nicht trifft.

Nun halten wir einen Brennpunkt F1 der Ellipse und den nachsten Scheitel fest und lasse F2 auf

der Verbindungsgeraden gegen unendlich gehen.

71 Definition Sei F ein Punkt und b eine Geraden, die F nicht enthalt. Die zugehorige Parabel

ist die Menge aller Punkte P , fur die Distanz zu b gleich |FP| ist.

72 Lemma Zu jedem Punkt auf der Parabel gibt es eine Tangente, die die Parabel in genau

diesem Punkt beruhrt. Die Winkel der Strecken zu F1 bzw der Senkrechten der Geraden durch

diesen Punkt mit der Tangenten sind kongruent.

Beweis:

Der Beweis ist ahnlich zum Beweis bei der Hyperbel und bleibt dem Leser uberlassen.

59

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Elementargeometrische Figuren

F

A

B

C

Wir betrachten nun zwei feste Brennpunkte. Durch jeden Punkt der Ebene - mit Ausnahme der

Strecke zwischen den Brennpunkte (einschließlich der Brennpunkte) liegt auf genau eine Ellipse

mit diesen Brennpunkte. Diese Familie von Ellipsen heißt konfokal. Genau gibt es eine konfokale

Familie von Ellipsen mit diesen Brennpunkten. Diese Familien schneiden sich senkrecht.

Andere Famile senkrechter konfokaler Kurven sind Geraden durch den Ursprung und Kreise.

Zylinder, Kegel, Kegelschnitte und deren Rotationsflachen

Wir betrachten spezielle Flachen im dreidimensionalen Raum. Die einfachste Flache ist eine

Ebene. Der Zylinder ist kaum schwieriger. Es passiert allerdings etwas interessantes, wenn wir

einen Zylinder und eine Ebene schneiden bzw einen Zylinder schrag abschneiden:

73 Satz Die Schnittmenge ist eine Ellipse in der Schnittebene.

60

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Wir setzen zwei Kugeln vom Radius des Zylinders

so von oben bzw unten in den Zylinder, dass sie die

Ebene in genau einem Punkt beruhren. Die Mit-

telpunkte lassen sich geometrisch und analytisch

bestimmen.

Die Schnittpunkte bezeichnen wir mit F1 und F2.

Wir werden zeigen, dass sie die Brennpunkte sind,

oder genauer, dass die Summe der Abstande zu F1

und F2 fur jeden Punkt A im Schnitt gleich sind,

und zwar gleich dem Abstand der Mittelpunkte der

Kugel.

Sei A ein Punkt im Schnitt. Eine Gerade a auf dem

Rand des Zylinders verbindet A mit dem Schnitt

der Kugeln mit dem Zylinder, und eine Gerade b1

verbindet A mit F1 und eine weitere mit F2. Die Ge-

raden a und b1 sind tangential zur unteren Kugel.

Eine Betrachtung in der von a und b1 definierten

Ebene zeigt dass AF1 ≡ AF′1, wobei F′1 der Schnitt-

punkt von a und der unteren Kugel ist. Genauso

argumentieren wir mit der oberen Kugel. Daraus

folgt die Behauptung.

A

F1′

F2

F1

F2′

B

Diese Kugeln heißen Dandalinische Kugeln (Dandalin 1794-1847).

Der Kegel entsteht durch die Rotation einer Geraden um eine Drehachse, die die Gerade schnei-

det. Der Schnittpunkt ist die Kegelspitze.

Hier entstehen eine Reihe unterschiedlicher Figuren.

61

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Elementargeometrische Figuren

Wie beim Zylinder sieht man, dass die Schnittkurve eine Ellipse ist.

F1′

A

B

F1

F2

F2′

Bei anderen Schnittflachen entsteht eine Hyperbel oder eine Parabel.

F1

F2

S1

S2

F1′

F2′

A

Zuletzt betrachten wir den Fall der Parabel

62

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Elementargeometrische Figuren

S

F1′

F1

und der Vollstandigkeit halber auch Schnitte durch die Kegelspitze: In diesem Fall erhalten wir

einen Punkt, eine Gerade, oder zwei sich schneidente Geraden.

Alle diese Kurven (insbesondere Kreis, Ellipse, Hyperbel und Parabel) nennt man Kegelschnitte.

Wir konnen diese Kurven um Symmetrieachsen drehen. Bei der Ellipse erhalten wir das Ellipsoid,

bei der Hyperbel je nach Drehachse ein einschalige Hyperboloid wie oben, oder ein zweischaliges

Hyperboloid.

63

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Elementargeometrische Figuren

10. Vorlesung am 19. Juni 2012

Eine analytische Beschreibung

Geraden werden durch Gleichungen der Form

ax + by = c

beschrieben. Ein Kreis vom Radius r und Mittelpunkt (xM, yM)T genugt

r2 = (x− xM)2 + (y− yM)2 = x2 + y2 − 2xxM − 2yyM + x2M + y2

M.

Die Koordinaten der Brennpunkte sei F1 = ( f11, f12)T, genauso F2. Dann genugt jeder Punkt der

Ellipse der Gleichung

(8)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣+∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣ = 2a.

74 Lemma Eine mindestens zwei Punkte enthaltende Teilmenge S einer Ebene ist eine Ellipse,

wenn eine positiv definite 2× 2-Matrix A, ein Vektor b und eine Zahl c existieren mit

(9) S =

{(xy

): (x, y)A

(xy

)+ (x, y)b + c = 0

}

Umgekehrt beschreibt diese Gleichung eine Ellipse, wenn es mehr als eine Losung gibt.

Wir benotigen drei Ergebnisse aus der linearen Algebra. Zunachst gilt die folgende Version der

Cauchy-Schwarz-Ungleichung ∣∣∣∣∣(x, y)

(ab

)∣∣∣∣∣ ≤ √x2 + y2√

a2 + b2.

Ist A eine symmetrische Matrix, und sind ~x und ~y Eigenvektoren zu Eigenwerten λ und µ so

folgt

λ~yT~x = (A~y)T~x = ~xT A~y = ~xT(A~y) = µ~xT~y

und ~xT~y = 0 wenn λ 6= µ. Hat eine symmetrische 2× 2 Matrix zwei gleiche Eigenwerte, so ist

sie ein Vielfaches der Identitat.

Beweis:

Ausgehend von (8) suchen wir eine Beschreibung der Form (9)

Wir formen (8) um. Am Ende prufen wir, dass wir beim Quadrieren keine zusatzlichen Losungen

bekommen haben: ∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣2

= (2a)2 − 2(2a)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣+∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣2

.

64

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Elementargeometrische Figuren

Wir bringen den linearen Term auf die linke Seite

2(2a)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣ =(2a)2 +

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣2

−∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣2

.

=(2a)2 +

[2

(xy

)− (F2 + F1)

]T

· (F1 − F2)

und quadrieren wieder, sortieren die Terme und teilen durch 4

(2a)2

∣∣∣∣∣(

xy

)∣∣∣∣∣2

−∣∣∣∣∣(

xy

)(F2 − F1)

∣∣∣∣∣2

+ (x, y) · b + c = 0

wobei wir in b und c alle linearen bzw konstanten Terme zusammenfassen.

Der quadratische Teil ist positiv definit falls 2a > |F2 − F1|. Der Mittelpunkt ist 12 (F1 + F2).

Die ubrigen Aussagen sind leicht zu verifizieren.

In der umgekehrten Richtung mussen, ausgehend von (9), die Brennpunkte und a gefunden

werden. Wir suchen einen (Mittel-)Punkt

(xM

yM

)so dass

(x− xM, y− yM)A

(x− xM

y− yM

)=

(xy

)A

(xy

)+ (x, y) · b + (xM, yM)A

(xM

yM

)

was wir durch Auflosen von

A

(xM

yM

)= −1

2b

erreichen konnen. Wir schreiben nun die Gleichung um als Gleichung in(x1

y1

)+

(xM

yM

)=

(xy

)

Wir durfen also annehmen, dass b = 0 und damit 0 der Mittelpunkt ist. Die gewunschte Aussage

andert sich bei einer Verschiebung nicht.

(10) S =

{(xy

): (x1, y1)A

(x1

y1

)+ c1 = 0

}

Dann ist c1 < 0, da es sonst hochstens eine Losung gabe. Sei A die positiv definite 2× 2 Matrix

und ~f1 ein Eigenvektor der Lange 1 zum großeren Eigenwert λ1 (wenn beide Eigenwerte gleich

sind erhalten wir einen Kreis) und ~f2 ein Eigenvektor der Lange 1 zum zweiten Eigenwert. Wir

bezeichen die (orthogonale) Matrix, die ~f1 in der ersten Spalte und ~f2 in der zweiten Spalte hat

mit O. Da die Eigenvektoren senkrecht aufeinanderstehen folgt OTO = 1 und O ist invertierbar.

Wir schreiben

(x1

y1

)= O

(x2

y2

)setzen in die Gleichung ein. Wir erhalten eine quadratische

65

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Elementargeometrische Figuren

Gleichung der gleichen Form in

(x2

y2

), wobei nun aus A eine Diagonalmatrix

(λ1 00 λ2

)wird.

Wir betrachten also

λ1x22 + λ2y2

2 + c1 = 0

wobei λ1 ≥ λ2 > 0 ist.

Wir suchen F1 mit der x Koordinaten e (die Brennweite) und y Koordinaten 0.

Dann ist der Radius durch

a =

√c

λ1

und−cλ2

+ e2 = (r/2)2 =−cλ1

und daher

e =

√c

λ2− c

λ1.

Der erste Teil des Beweises zeigt nun, dass die Ellipse mit diesen Brennpunkten und diesem adurch diese Gleichung beschrieben wird. Im letzten Schritt kehren wir die Koordinatentransfor-

mationen wieder um.

Wir betrachten ein Beispiel, bei dem wir ausgehend von der quadratischen Form die Brennpunkte

und a bestimmen.

(11)

{(xy

): 2x2 + 2xy + 2y2 + x + y− 5

6= 0

}

Die zugehorige Matrix ist

A =

(2 11 2

)

(x, y)A

(xy

)= 2x2 + 2xy + 2y2.

Wir wollen den Mittelpunkt

(xM

yM

)bestimmen und schreiben

(xy

)=

(x1 + xM

y1 + yM

). Einsetzen

ergibt

0 =2(x1 + xM)2 + 2(x1 + xM)(y1 + yM) + 2(y1 + yM)2 + x1 + y1 − 3 + xM + yM

=2x21 + 2x1y1 + 2y2

1 + 2x1(2xM + yM) + 2y1(xM + 2yM) + x1 + y1

− 3 + xM + yM + 2x2M + 2xMyM + 2y2

M.

Der Mittelpunkt ist der Punkt, an dem der lineare Term verschwindet, d.h.

2

(2 11 2

)(xM

yM

)= −

(11

)

66

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Elementargeometrische Figuren

also xM = yM = − 16 . Der Mittelpunkt ist also(

− 16

− 16

).

Unsere Ellipse wird nun durch

2x21 + 2x1y1 + 2y2

1 +16− 7

6= 0

gegeben.

Wir bestimmen die Eigenwerte mit Hilfe des charakteristischen Polynoms

det

(λ− 2 −1−1 λ− 2

)= λ2 − 4λ + 3

mit den Nullstellen λ = 1 und λ = 3. Das sind die Eigenwerte der Matrix. Die normalisierten

Eigenvektoren sind 1√2

(1−1

)und 1√

2

(11

).

Wir schreiben (x1

y1

)=

1√2

(1 1−1 1

)(x2

y2

)bzw

x1 =1√2

(x2 + y2) y1 =1√2

(−x2 + y2)

und

x2 =1√2

(x1 − y1) y2 =1√2

(x1 + y1).

Einsetzen – entweder direkt, oder in die Matrixform – ergibt die Gleichung fur die Ellipse in der

Form

x22 + 3y2

2 − 1 = 0.

Die Punkte (1, 0), (−1, 0), (0, 1√3) und (0,− 1√

3) genugen dieser Gleichung. Wir lesen daher a = 1

– die Halfte der langeren Achse – ab.

Die Brennpunkte konnen in der Form x2 = ±ρ und y2 = 0 angenommen werden. Es folgt

13

+ ρ2 = 1

und x2 = ±ρ = ±√

2/3 ergibt die Koordinaten der Brennpunkte im (x2, y2)-Koordinatensystem.

Wir mussen nun die Koordinaten im (x, y)-Koordinatensystem bestimmen. Zunachst folgt fur

die Koordinaten der Brennpunkte dass(x1

y1

)= ± 1√

3

(1−1

).

67

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Elementargeometrische Figuren

Im (x, y)-Koordinatensysten finden wir die Koordinaten der Brennpunkte(− 1

6 + 1√3

− 16 −

1√3

) (− 1

6 −1√3

− 16 + 1√

3

).

Im Folgenden betrachten wir die Hyperbel.

(12)

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣−∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣∣∣∣∣∣ = 2a

und wir untersuchen die Aste ± getrennt - sie unterscheiden sich durch Vertauschen von F1 und

F2. ∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣2

= (2a)2 + 2(2a)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣+∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣2

.

2(2a)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣ =− (2a)2 +

∣∣∣∣∣(

xy

)− F2

∣∣∣∣∣2

−∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣2

.

=(2a)2 +

[2

(xy

)− (F2 + F1)

]T

· (F1 − F2)

und sortieren wieder nach der Ordnung der Terme

4(2a)2

∣∣∣∣∣(

xy

)∣∣∣∣∣2

− 4

∣∣∣∣∣∣(

xy

)T

(F2 − F1)

∣∣∣∣∣∣2

+ (x, y) · b + c = 0.

Da 2a < |F1 − F2| sein muss gibt es einen positiven und einen negativen Eigenwert.

Die Umkehrung reduziert sich wie oben auf die Betrachtung von

λ1y21 + λ2y2

2 + c = 0

mit c 6= 0 und λ1 > 0 > λ2. Wir finden

a =

√c

λ2,

die Asymptoten sind die durch c = 0 definierte Geraden. Mit ihrer Hilfe bestimmt man die

Brennpunkte.

Wir betrachten wieder ein Beispiel:

2xy + 2x + 2y = 0

Die zugehorige Matrix ist A =

(0 11 0

). Den Mittelpunkt finden wir wieder mit

−2A

(xM

yM

)=

(22

)

68

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Elementargeometrische Figuren

also xM = yM = −1. Wir schrieben x = x1 + xM und y = y1 + yM und erhalten als Gleichung

fur die Hyperbel

2x1y1 + 2 = 0.

Die Eigenwerte sind 1 mit normalisiertem Eigenvektor 1√2

(11

)und −1 mit normalisiertem

Eigenvektor 1√2

(1−1

). Wir schreiben wieder

x1 =1√2

(x2 + y2), y1 =1√2

(x1 − y1)

x2 =1√2

(x1 + y1), y2 =1√2

(x1 − y1)

und erhalten die Form

x22 − y2

2 + 2 = 0.

Wir lesen a =√

2 ab. Die Brennpunkte haben die Koordinaten x2 = 0 und y2 = ρ. Die

Asymptoten sind die Diagonalen x2 = ±y2 und damit ρ = ±2. Diese entspricht(x1

y1

)= ±

( √2

−√

2

).

In den x, y Koordinaten ergibt sich( √2− 1

−√

2− 1

) (−√

2− 11−√

2

).

Fur die Parabel erhalten wir die folgende Darstellung

(13)

∣∣∣∣∣(

xy

)− F1

∣∣∣∣∣+ bT

(xy

)= c

wobei nun A den Rang 1 hat, und b nicht parallel zum Bild von A ist.

Jede quadratische Gleichung 9 definiert einen Kegelschnitt, wenn wir degenerierte Situationen

zulassen - wie A = 0, b 6= 0.

Wieder ein Beispiel:

x2 − 2xy + y2 + 2y + 1 = 0

Die zugehorige Matrix A

A =

(1 −1−1 1

)

69

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Elementargeometrische Figuren

hat den Rang 1 und 1√2

(11

)spannt den Kern auf. Der zweite Eigenwert ist 2 mit Eigenvektor

1√2

(1−1

). Wir schreiben die Gleichung um :

0 = (x− y)2 + y + 1 = 2(1√2

(x− y))2 +√

2(1√2

(x + y)− 1√2

(x− y) + 1.

Wir setzen x1 = 1√2(x− y) und y1 = 1√

2(x + y) und erhalten

2x21 + y1 − x1 + 1 = 0.

Mit x2 = x1 + 14 und y2 = y1 + 13

16 erhalten wir

2x22 + y2 = 0

Die Parabel ist symmetrisch zur y2 Achse. Der Scheitelpunkt hat die Koordinaten x1 = 0 und

y1 = 0. Der Brennpunkt hat die Koordinate x1 = 0 und y1 = ρ, und die Gerade genugt der

Gleichung y1 = −ρ. Der Abstand zwischen Brennpunkt und Gerade ist 2ρ.

Der Punkt x1 = 1 und y1 = 2 liegt auf der Parabel. Wir bestimmen ρ uber die Gleichung

12 + (2− ρ)2 = (1 + ρ)2

und damit ρ = 23 . Damit hat der Brennpunkt die Koordinaten x2 = 0 und y2 = 2

3 , und die

Leitgerade ist durch y2 = − 23 gegeben.

70

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Elementargeometrische Figuren

11. Vorlesung am 26. Juni 2012

Auch die Rotationsflachen von Ellipsen und Hyperbeln lassen sich in der Form

(x y z)A

xyz

+ (x y z)b + c = 0

mit einer symmetrischen 3× 3 Matrix A und einem 3 Vektor b schreiben. Allgemeiner heißen

diese Flachen Quadriken .

75 Satz Der Schnitt einer Ebene mit einer Quadrik ist ein (moglicherweise verallgemeinerter)

Kegelschnitt.

Beweis:

Wir wahlen zwei linear unabhangige orthogonale Vektoren ~u und ~v der Lange 1 in der Ebene

aus sowie einen Punkt ~d in der Ebene. Wir parametrisieren die Ebene durch

~d + x1~u + y1~v,

was wir in die quadratische Form einsetzen. Wir erhalten eine Darstellung der Form (9):

(x1 y1)

(a11 a12

a21 a22

)(x1

y1

)+ (x1 y1)b1 + c1 = 0

wobei

a11 = ~uT A~u, a12 = a21 = ~vT A~u, a22 = ~vT A~v

b1 =

(~uTb + 2~uT A~d~vTb + 2~vT A~d

)c1 = c + ~dT A~d

Geraden auf Flachen

Wir betrachten Quadriken, bei denen durch jeden Punkt eine auf der Quadrik verlaufende Gerade

existiert.

Das einfachste Beispiel ist eine Ebene. Auch der Zylinder hat eine offensichtliche derartige Struk-

tur.

71

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Elementargeometrische Figuren

Der Kegel ist nur marginal komplizierter.

Das einschaliges Hyperboloid ist interessanter und weniger offensichtlich.

Wir schneiden das Hyperboloid fur einen gegebenen Punkt A auf dem Hyperboloid mit einer

Ebene α, die wir Tangentialebene nennen: Wir drehen das Hyperboloid, so dass A in der (x, z)

72

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Elementargeometrische Figuren

Ebene liegt. Die Ebene α enthalt den Punkt A, die Gerade durch A die in Richtung der y Achse

zeigt, und die Tangente an die Hyperbel durch A in der (x, z) Ebene, deren Rotationsflache das

Hyperboloid ist.

Die erste Gerade ist Tangente eines Kreises auf dem Hyperboloid in der durch A verlaufen-

den Ebene, die parallel zur x, y) Ebene ist. Hier bedeutet parallel, dass die Ebenen sich nicht

schneiden. Hyperbel und Kreis liegen auf verschiedenen Seiten der Ebene.

Der Schnitt von Tangentialebene und Hyperboloid ist ein Kegelschnitt, der den Punkt (x, 0, z)T

enthalt, sowie jeweils zwei Komponenten fur große |z|. Damit handelt es sich um zwei Geraden,

oder ein Hyperboloid. Das Hyperboloid scheidet aus, da in Nahe von (x, 0, z) der Schnitt vier

Komponenten hat. Es kommen nur zwei sich kreuzende Geraden in Frage kommen.

Wir erhalten also ein Hyperboloid, in dem wir eine nicht durch Null verlaufende nicht senkrechte

Gerade um die z Achse rotieren lassen.

Wir wollen daraus einen Satz der ebenen Geometrie ableiten. Dazu betrachten wir drei rote und

drei blaue Geraden, die wir a1, b1, a2, b2, a3 und b3 nennen. Gleichfarbige Geraden schneiden

sich nicht. Zu jeder roten Geraden gibt es nur eine blaue Gerade, die sie nicht schneidet, und

diese ist parallel. Wir nehmen an, a1 und b1 schneiden sich A1, b1 und a2 in A2 , a2 und b2 in

A3, b2 und a3 in A4, a3 und b3 in A5 sowie b3 und a1 in A6.

Von oben sieht das Bild folgendermassen aus:

73

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Elementargeometrische Figuren

A5

A4

A3

A2

A1

A6

Wir behaupten: Die Diagonalen A1A4, A2A5 und A3A6 schneiden sich in einem Punkt.

Beweis: Die Geraden durch A1A2 und A4A5 sind entweder parallel, oder sie schneiden sich in

einem Punkt. In beiden Fallen liegen sie in eine Ebene α1. Genauso liegen A2A3 und A4A5 in

einer Ebene α2, und A3A4 und A6A1 in einer Ebene α3.

Also schneiden sich die Diagonalen paarweise - je zwei liegen in einer Ebene, und sie sind nicht

parallel.

Drei sich paarweise schneidende Geraden schneiden sich entweder in einem Punkt, oder sie liegen

in einer Ebene. Sie konnen aber nicht in einer Ebene liegen, da sonst alle sechs Punkte in einer

Ebene liegen mussten- das kann aber nicht sein. Also schneiden sie sich in einem Punkt.

Wir erhalten die Satze von Brianchon fur den Fall eines Kreises. Die anderen Falle ergeben sich

durch andere (perspektivische) Projektionen.

76 Satz Die Diagonalen eines Sechsecks, das einem Kegelschnitt umbeschrieben ist, schneiden

sich in einem Punkt.

Ein Spezialfall ist der Fall zweier Geraden.

3.7 Regelmassige Vielecke und komplexe Zahlen

Ein Einschub uber Algebra

In diesem Abschnitt betrachten wir Korper K, die in der Regel den Korper der rationalen Zahlen

enthalten. Der Korper

Q[√

2] = {p0 +√

2q1|p0, p1 ∈ Q}

74

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Elementargeometrische Figuren

ist offensichtlich ein zweidimensionaler Vektorraum uber den rationalen Zahlen, genauso wie C

ein zweidimensionaler Vektorraum uber R ist. Offensichtlich ist

Q[3√

2] = {p0 + 21/3 p1 + 22/3 p2|p0, p1, p2 ∈ Q}

ein dreidimensionaler Vektorraum uber Q. Das Produkt von zwei Zahlen in dem Korper fuhrt

wieder auf Elemente des Korpers.

Nicht offensichtlich ist jedoch

77 Lemma Q[ 3√

2] ist ein Korper.

Beweis:

Wir mussen zeigen, dass es zu p0 + 21/3 p1 + 22/3 p2 6= 0 rationale Zahlen qi gibt mit

1 =(p0 + 21/3 p1 + 22/3 p2)(q0 + 21/3q1 + 22/3q2)

=(p0q0 + 2p1q2 + 2p2q1) + (p0q1 + p1Q0 + 2p2q2)21/3 + (p0q2 + p2q0 + p1q1)22/3.

Wir ersetzen 21/3 durch x. Die Aussage ist nun aquivalent zur Polynomgleichung

(q0 + q1x + q2x2)(p0 + p1x + p2x2) + (ax + b)(x3 − 2) = 1

Die Gleichung kann mit dem Euklidschen Algorithmus gelost werden - genau wie bei ganzen

Zahlen (siehe die Vorlesung im letzten Semester) - genau dann wenn die rechte Seite ein Vielfaches

des ggT ist. Das Polynom X3− 2 hat keine rationale Nullstelle (siehe letztes Semester), und damit

keinen linearen Faktor. Da der Grad 3 ist muss eine Faktorisierung einen linearen Faktor haben,

also ist x3− 2 irreduzibel. Dann haben aber x3− 2 und p0 + 21/3 p1 + 22/3 p2 keinen gemeinsamen

Faktor und die Gleichung kann gelost werden. �

Erinnerung: Ein Polynom uber einem Korper heißt irreduzibel, wenn es nicht als echtes Produkt

zweier Faktoren geschrieben werden kann.

Diese Konstruktion funktioniert fur alle irreduziblen Polynome. Die Symbole 21/3 und 22/3 kon-

nen als Symbole verwendet werden, die nicht mit reellen oder komplexen Zahlen identifiziert

werden mussen.

78 Definition Seien K1 ⊂ K2 zwei Korper. Wir nennen dann K2 eine Korpererweiterung von

K1. K2 ist auch ein Vektorraum uber K1. Ist die Dimension d endlich, so nennen wir d den Grad

[K2 : K1] der Korpererweiterung K1 ⊂ K2.

Beispiele: [Q[√

2] : Q] = 2, [C : R] = 2.

79 Satz Seien K1 ⊂ K2 eine Korpererweiterung vom Grad d, V ein Vektorraum uber K2 der

Dimension n. Dann ist V auch ein Vektorraum der Dimension dn uber K1.

Beweis:

75

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Elementargeometrische Figuren

Sei e1 . . . en eine Basis des Vektorraum V uber K2, x1 . . . xd eine Basis des Vektorraums K2 uber

K1. Der Satz folgt aus der Behauptung: Dann ist (xiej)1≤i≤d,1≤j≤n eine Basis von V uber K1.

Wir beweisen die Behauptung fur einen komplexen Vektorraum der Dimension n uber C, wobei

wir die komplexen Zahlen als Erweiterung vom Grad 2 der reellen Zahlen verstehen. Zu zeigen

ist also:

{ej, iej}

ist eine Basis von V uber den reellen Zahlen. Zunachst sind diese Vektoren linear unabhangig,

da

∑j

(aj + ibj)ej = 0

aufgrund der komplexen linearen Unabhangigkeit aj + ibj = 0 fur jedes j impliziert. Da 1 und i ei-

ne Basis von C als reeller Vektorraum sind folgt aj = bj = 0 und die lineare Unabhangigkeit uber

R. Es ist offensichtlich, dass diese Vektoren V uber C erzeugen. Daraus folgt die Behauptung.

Der Beweis fur andere Korpererweiterungen geht genauso. �

80 Satz Ist K2 eine Korpererweiterung von K1 vom Grad d2 und K1 eine Korpererweiterung

von K vom Grad d1, so ist K2 eine Korpererweiterung von K vom Grad k1k2.

Beweis:

K2 ist ein Vektorraum der Dimension d2 uber K1 nach Definition. Nach Satz (79) ist K2 dann ein

Vektorraum der Dimension d1d2, und nach Definition eine Korpererweiterung vom Grad d1d2

uber K. �

Wir haben im letzten Semester gesehen, dass die Koordinaten von mit Zirkel und Lineal kon-

struierbarer Punkte (bezuglich senkrechter Koordinaten mit Ursprung und Markierung fur 1)

iterierte Wurzelausdrucke der Form

(a1 + b1√

3) + (a2 + b2√

3)

√a3 + b3

√3..

sind. Dazu gehoren offensichtlich Korpererweiterungen

Q[√

3][

√a3 + b3

√3] . . .

81 Satz Die x-Koordinate eines mit Zirkel und Lineal konstruierbaren Punktes liegt in einer

Korpererweiterung K ⊂ K1, deren Grad eine Potenz von 2 ist.

Beweis:

Jede Korpererweiterung durch eine Wurzel ist eine Erweiterung vom Grad 2. Nach (80) erhalten

wir insgesamt eine Potenz von 2. �

82 Satz Die x-Koordinate 3√

2 ist nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar.

76

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:3√

2 liegt in Q[ 3√

2], was den Grad 3 hat. Nach Satz (81) liegt die Zahl, wenn sie konstruierbar

ist, in einer Korpererweiterung K2 vom Grad 2n. Der Schnitt K1 = K2 ∩Q[ 3√

2] ist ein Korper in

der die Zahl 3√

2 liegt. Sein Grad uber Q teilt 2n und 3 nach Satz 80 ist also 1. Das kann aber

nicht sein, da x3 − 2 irreduzibel uber Q ist. �

Dieser Satz gibt eine negative Antwort auf das klassische Problem der Wurfelverdopplung: Ge-

geben die Kantenlange eines Wurfels. Lasst sich die Kantenlange eines Wurfels mit doppeltem

Volumen mit Zirkel und Lineal konstruieren? Die Antwort ist “nein” nach diesem Satz.

77

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Elementargeometrische Figuren

12. Vorlesung am 3. Juli 2012

Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat das Polynom (zn − 1)/(z− 1) eine komplexe Null-

stelle, die wir ζn nennen. Dann ist auch ζkn fur jedes k ∈ Z eine Nullstelle des Polynoms zn − 1.

Es gilt

83 Lemma Die Zahlen (ζkn)k=0,...,n−1 bilden bezuglich der Multiplikation eine Gruppe mit n

Elementen, die isomorph zum Restklassenring (Z/nZ, +) ist.

Beweis:

Die Verknupfung ist

ζ inζ

jn = ζ

i+jn

Sie ist offensichtlich kommutativ und assoziativ mit neutralem Element 1. Das Inverse zu ζ in ist

ζn−in . �

Die Zahlen ζkn werden auch n-te Einheitswurzeln genannt.

Wir identifizieren eine Ebene mit den komplexen Zahlen. Nach Wahl eines Koordinatensystems

definiert die Addition einer komplexen Zahl eine Translation der Ebene, und umgekehrt gehort

zur jeder Translation die Addition einer komplexen Zahl. Der Komposition der Translation ent-

spricht die Addition der komplexen Zahlen.

Der Betrag der komplexen Zahl ist die Abstand des Punktes zur Null.

Bei der Multiplikation zweier komplexer Zahlen werden die Betrage multipliziert und die (ori-

entierten) Winkel addiert. Die Multiplikation mit einer komplexen Zahl vom Betrag 1 definiert

eine Kongruenzabbildung. Diese Zahlen bilden eine Gruppe bezuglich der Multiplikation, was

der Komposition der Kongruenzabbildungen entspricht. Man sieht leicht, dass der Multiplikation

mit einer komplexen Zahl vom Betrag 1 eine Drehung entspricht.

Die n ten Wurzeln der 1 definieren also eine Untergruppe der Drehungen, die isomorph zu Z/nZ

ist.

3.8 Vielecke

Wir stellen zunachst fest

84 Satz Die Winkelsumme im n Eck ist gleich der Summe von 2(n− 2) rechten Winkeln.

Beweis:

Durch Einziehen von n− 3 Diagonalen erhalten wir eine Zerlegung in n− 2 Dreiecke. �

85 Definition Wir nennen ein n Eck regelmaßig, wenn alle Kanten und alle Winkel kongruent

sind.

86 Satz Die Ecken eine regelmaßigen n Ecks liegen auf einem Kreis.

78

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Elementargeometrische Figuren

Beweis:

Die Aussage gilt fur jedes 3 Eck. �

87 Korollar Zwei regelmaßige n Ecke sind genau dann kongruent, wenn die Kantenlangen

kongruent sind.

88 Satz Sei n ≥ 3. Es gibt genau ein regelmaßiges n Eck mit Ecken auf dem Einheitskreis,

fur das 1 eine Ecke ist. Die Ecken sind die n-ten Einheitswurzeln ζkn, k = 0, . . . , n− 1 wie in

Lemma 83.

Zur Konstruktion eines n-Ecks genugt es, den cos(2π/n) anzugeben. Das ist der Realteil einer

komplexen Zahl, deren n-te Potenz 1 ist, da die komplexe Multiplikation die Winkel addiert und

die Betrage erhalt.

• Das regelmaßige 3-Eck. Wir suchen eine nicht reelle Zahl z mit z3 − 1 = 0. Eine Nullstelle

ist z = 1 und z3 − 1 = (z− 1)(z2 + z + 1) und

z = −12±√−3

4=

12±√

32

i.

• Das regelmaßige 4-Eck. z4 − 1 = 0. Wir wahlen z = i.

• Das regelmaßige 5-Eck. Wir betrachten Nullstellen zu

0 = z5 − 1 = (z− 1)(z4 + z3 + z2 + z + 1).

Fur den zweiten Faktor gilt

z4 + z3 + z2 + z + 1 =

((z + z−1

)2+(

z + z−1)− 1)

z2.

Mit der Benennung w := z + z−1 betrachten wir also die Gleichung

w2 + w− 1 = 0.

Die Losungen sind

w = −12±√

52

.

Ruckumformung ergibt z2 − wz + 1 = 0 mit Losungen

z =w2±√

w2 − 42

.

Daraus folgt

cos(2π

5) = −1

4+

14

√5.

79

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Elementargeometrische Figuren

• Das regelmaßige 6-Eck erhalten wir durch Winkelhalbierung beim Dreieck.

• Beim regelmaßigen 7-Eck werden wir auf das Polynom

z6 + z5 + z4 + z3 + z2 + z + 1 = 0

gefuhrt. Wir teilen durch z3 und schreiben mit w = z + z−1 (unter der Annahme z 6= 1)

0 = z3 + z2 + z + 1 + z−1 + z−2 + z−3 = w3 + w2 − 2w− 1

Kennt man w, so erhalt man z durch Auflosen von

z2 − wz + 1 = 0.

Man kann nun nachweisen, dass w3 + w2 − 2w− 1 irreduzibel ist z.B. uber die Losungs-

formeln. Also ist das 7-Eck nicht konstruierbar.

• Das regelmaßige 8-Eck erhalten wir durch Winkelhalbierung durch das Viereck.

• Das regelmaßige 9-Eck fuhrt auf

z9 − 1 = (z− 1)(1 + z + z2)(1 + z3 + z6)

Es gibt die Nullstellen

z = 1

z = −12± i

√34

.

sowie die Nullstellen von

(z3 +12

+ i12

√3)

und

(z3 +12− i

12

√3).

Beide Polynome sind uber Q[√

3] irreduzibel.

89 Satz Der Winkel von 60 Grad kann nicht mit Zirkel und Lineal gedrittelt werden.

• Das regelmaßige 10-Eck entsteht durch Winkelhalbierung aus dem regelmaßigen 5-Eck.

• Das regelmaßige 12-Eck entsteht durch Winkelhalbierung aus dem 6-Eck.

• Das 15-Eck ist aus dem 3-Eck und dem 5-Eck konstruierbar.

• Das 16 Eck entsteht durch Winkelhalbierung aus dem 8-Eck.

80

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Elementargeometrische Figuren

Allgemeiner kann man zeigen:

90 Satz Mit Zirkel und Lineal kann ein n-Eck genau dann konstruiert werden, wenn

n = 2k p1 . . . pm

geschreiben werden kann mit k ∈ N0, m ∈ N0 und paarweise verschiedenen Fermat’schen

Primzahlen p1 . . . pm. Eine Primzahl heißt Fermat’sch wenn sie die Form 22j+ 1 fur ein j ∈N0

hat.

Man vermutet, dass 3, 5, 17 und 65537 die einzigen Fermatschen Primzahlen sind.

Zusatzlich zu den oben schon betrachteten n-Ecken heißt das, dass das 11-Eck, das 13-Eck und

das 14-Eck nicht konstruierbar sind, das 17-Eck aber schon. Die nachsten konstruierbaren n-Ecke

sind die fur n = 20, 24, 30, 32, 34. Fur alle in dieser Aufzahlung nicht genannten 18 ≤ n ≤ 33ist das zugehorige n-Eck hingegen nicht konstruierbar.

81

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Literatur

Literatur

[1] Agricola, I. ; Thomas Friedrich, I.A.: Elementare Geometrie. Vieweg + Teubner, 2005

http://books.google.de/books?id=8jp64mNuWRMC. – ISBN 9783834805768

[2] Feigl, Georg: Uber die elementaren Anordnungssatze der Geometrie. In: Jahresberichte der

DMV 33 (1925), S. 2–24

[3] Hartshorne, Robin: Geometry: Euclid and beyond. New York : Springer-Verlag, 2000

(Undergraduate Texts in Mathematics). – xii+526 S. – ISBN 0–387–98650–2

[4] Hilbert, David: Teubner-Archiv zur Mathematik. Supplement [Teubner Archive on Ma-

thematics. Supplement]. Bd. 6: Grundlagen der Geometrie. Fourteenth. Stuttgart : B. G.

Teubner Verlagsgesellschaft mbH, 1999. – xxiv+408 S. – ISBN 3–519–00237–X. – With

supplementary material by Paul Bernays, With contributions by Michael Toepell, Hubert

Kiechle, Alexander Kreuzer and Heinrich Wefelscheid, Edited and with appendices by To-

epell

[5] Hilbert, David ; Cohn-Vossen, Stefan: Anschauliche Geometrie. Darmstadt : Wissen-

schaftliche Buchgesellschaft, 1973. – viii+310+48 S. – Mit einem Anhang: “Einfachste

Grundbegriffe der Topologie” von Paul Alexandroff, Reprint der 1932 Ausgabe

[6] Moore, Eliakim H.: On the projective axioms of geometry. In: Trans. Amer. Math. Soc. 3

(1902), Nr. 1, 142–158. http://dx.doi.org/10.2307/1986321. – DOI 10.2307/1986321. –

ISSN 0002–9947

[7] Schupp, Hans: Figuren und Abbildungen. Franzbecker, 1998

[8] Struve, Horst: Grundlagen einer Geometriedidaktik. Spektrum, 1995

82