ein leitbild für soziale arbeit im Ögd

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Ein Leitbild f ur soziale Arbeit im OGD Christian Rappenglu ¨ck Die Soziale Arbeit an den Gesund- heitsa ¨mtern in Bayern hat eine lange Tradition, aber keine einheitliche Identita ¨t und keine klare Entwick- lungsrichtung. Aus dieser Feststellung heraus wurde im Auftrag des Bayeri- schen Gesundheitsministeriums eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Berufsgruppe von Gesundheitsa ¨mtern und Regierungen gebildet, um ein ,,Leitbild fu ¨r die So- ziale Arbeit im o ¨ffentlichen Gesund- heitsdienst des Freistaats Bayern‘‘ zu erarbeiten. Der Leitbildprozess fand in Abstimmung mit dem Verband der Sozialpa ¨dagoginnen/Sozialpa ¨da- gogen bayerischer Gesundheitsa ¨mter, dem Landesamt fu ¨r Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, dem Sozial- ministerium und dem Innenministe- rium statt. Nachfolgend wird dieses 2014 angenommene Leitbild in leicht geku ¨rzter Form vorgestellt: Der Offentliche Gesundheitsdienst ( OGD) in Bayern wird auf Grundlage des Gesundheitsdienst- und Verbrau- cherschutzgesetzes vom 24. Juli 2003 ta ¨tig. Ihm obliegen der Gesundheits- schutz der Bevo ¨lkerung, Gesundheits- fo ¨rderung, Pra ¨vention, Beratung und Gesundheitsberichterstattung. Die Soziale Arbeit in Bayern geht historisch zuru ¨ck auf das bu ¨rger- schaftliche Engagement gegen hygie- nische und gesundheitliche Misssta ¨n- de im Verlauf der Industrialisierung des Landes und entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Beruf im Offentlichen Gesundheitsdienst. Heute ist sie ein festes und wohnort- nahes Angebot in den Gesundheits- a ¨mtern der Landkreise und kreisfreien Sta ¨dte des Freistaats. Die Soziale Ar- beit im OGD wird sowohl im Rahmen individueller Gesundheitsberatung, als auch im Rahmen der Verhaltens- und Verha ¨ltnispra ¨vention als selbst- sta ¨ndige ,,Profession‘‘ ta ¨tig. Sie sieht sich dem Auftrag ‘‘Gesundheit fu ¨r alle’’ der Ottawa-Charta verpflichtet. Ihre Aufgabenfelder liegen im Be- reich Schwangerschaft, Sexualpa ¨da- gogik, Gesundheitsfo ¨rderung, Sucht, Sozialpsychiatrie, HIV/Aids, Alten- und Behindertenhilfe einschließlich der Pflege- und Behinderteneinrich- tungen und in vielen anderen Berei- chen der Gesundheit der Bevo ¨lkerung. Grundlegende Arbeitsprinzipien sind die psychosoziale Sichtweise, die Le- benswelt- und Ressourcenorientie- rung, Partizipation und Inklusion. Seit 1996 sind die Gesundheitsa ¨mter als staatliche Beho ¨rden organisato- risch Teil der 71 Landratsa ¨mter. Die kreisfreien Sta ¨dte Mu ¨nchen, Ingol- stadt, Nu ¨rnberg, Augsburg und Mem- mingen verfu ¨ gen u ¨ ber ein eigenes Ge- sundheitsamt. Koordiniert wird die Soziale Arbeit von den sieben Be- zirksregierungen. Die Arbeit vor Ort richtet sich nach den regionalen Erfor- dernissen. Dem Gesundheitsamt - als neutrale Stelle - obliegen beratende, Impuls gebende und steuernde Funk- tionen, auch im Hinblick auf die Schließung von Versorgungslu ¨cken. Der Sozialen Arbeit kommt dabei vor allem die Vernetzung der Akteure, die Moderation und aktive Mitwir- kung in Psychosozialen Arbeitsge- meinschaften und Verbu ¨nden, in Suchtarbeitskreisen und anderen Gre- mien zur regionalen Gesundheitsfo ¨r- derung zu. Die Soziale Arbeit im OGD stellt den Menschen in den Mittelpunkt und res- pektiert seine individuelle Entschei- dungsfa ¨higkeit und Eigenverantwor- tung. Sie orientiert sich an den Ressourcen der Menschen, motiviert in Problemlagen zur Vera ¨nderung und unterstu ¨tzt konstruktive Lo ¨sungen (Empowerment). Bei schwerwiegen- der Gesundheitsgefa ¨hrdung ko ¨nnen auch Maßnahmen zum Schutze der Person, ihres Umfeldes oder der All- gemeinheit eingeleitet werden. Daru ¨ber hinaus ist die Soziale Arbeit im OGD als Teil von ,,Public Health‘‘ in besonderem Maße darauf ausge- richtet, soziale Rahmenbedingungen von Lebenswelten zu reflektieren und im Sinne des Lebenswelt-Ansat- zes (Setting-Ansatz) gesundheitsfo ¨r- derlich zu vera ¨ndern. Gestu ¨tzt auf das multiprofessionelle Team des OGD ist die Soziale Arbeit in der Lage, mit ihren praxisnahen und evidenzbasier- ten Methoden zeitnah und qualita ¨tsori- entiert auf gesundheitliche und gesell- schaftliche Vera ¨nderungen zu reagie- ren. Die Aufgabenstellung verlangt teamorientierte und kooperative Ar- beitsstrukturen bei Fu ¨hrungskra ¨ften und Mitarbeitern sowie selbststa ¨ndiges und eigenverantwortliches Arbeiten des Einzelnen. Dies setzt gegenseitige umfassende Informationen, gemeinsa- me Zieldefinitionen sowie transparente Entscheidungswege voraus. Die Aufgabenvielfalt erfordert Kon- zepte und Methoden, die von zielge- richteter Einzelfallberatung, Grup- pen- und Multiplikatorenarbeit u ¨ber Moderationstechniken bis zum Pro- jektmanagement reichen. Qualita ¨ts- entwicklung und -sicherung wird durch systematische Dokumentation und Evaluation, kontinuierliche Fort- bildung und die Kooperation mit Hochschulen erreicht. In Teilberei- chen ist eine standardisierte Quali- ta ¨tsentwicklung und Supervision etabliert. Public Health Forum 22 Heft 85 (2014) http://www.elsevier.com/locate/pubhef 23.e1

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Page 1: Ein Leitbild für soziale Arbeit im ÖGD

Public Health Forum 22 Heft 85 (2014)http://www.elsevier.com/locate/pubhef

Ein Leitbild f€ur soziale Arbeit im €OGD

Christian Rappengluck

Die Soziale Arbeit an den Gesund-

heitsamtern in Bayern hat eine lange

Tradition, aber keine einheitliche

Identitat und keine klare Entwick-

lungsrichtung. Aus dieser Feststellung

heraus wurde im Auftrag des Bayeri-

schen Gesundheitsministeriums eine

Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen

und Vertretern der Berufsgruppe von

Gesundheitsamtern und Regierungen

gebildet, um ein ,,Leitbild fur die So-

ziale Arbeit im offentlichen Gesund-

heitsdienst des Freistaats Bayern‘‘ zu

erarbeiten. Der Leitbildprozess fand

in Abstimmung mit dem Verband

der Sozialpadagoginnen/Sozialpada-

gogen bayerischer Gesundheitsamter,

dem Landesamt fur Gesundheit und

Lebensmittelsicherheit, dem Sozial-

ministerium und dem Innenministe-

rium statt. Nachfolgend wird dieses

2014 angenommene Leitbild in leicht

gekurzter Form vorgestellt:

Der €Offentliche Gesundheitsdienst

(€OGD) in Bayern wird auf Grundlage

des Gesundheitsdienst- und Verbrau-

cherschutzgesetzes vom 24. Juli 2003

tatig. Ihm obliegen der Gesundheits-

schutz der Bevolkerung, Gesundheits-

forderung, Pravention, Beratung und

Gesundheitsberichterstattung.

Die Soziale Arbeit in Bayern geht

historisch zuruck auf das burger-

schaftliche Engagement gegen hygie-

nische und gesundheitliche Missstan-

de im Verlauf der Industrialisierung

des Landes und entwickelte sich zu

Beginn des 20. Jahrhunderts als Beruf

im €Offentlichen Gesundheitsdienst.

Heute ist sie ein festes und wohnort-

nahes Angebot in den Gesundheits-

amtern der Landkreise und kreisfreien

Stadte des Freistaats. Die Soziale Ar-

beit im €OGD wird sowohl im Rahmen

individueller Gesundheitsberatung,

als auch im Rahmen der Verhaltens-

und Verhaltnispravention als selbst-

standige ,,Profession‘‘ tatig. Sie sieht

sich dem Auftrag ‘‘Gesundheit fur

alle’’ der Ottawa-Charta verpflichtet.

Ihre Aufgabenfelder liegen im Be-

reich Schwangerschaft, Sexualpada-

gogik, Gesundheitsforderung, Sucht,

Sozialpsychiatrie, HIV/Aids, Alten-

und Behindertenhilfe einschließlich

der Pflege- und Behinderteneinrich-

tungen und in vielen anderen Berei-

chen der Gesundheit der Bevolkerung.

Grundlegende Arbeitsprinzipien sind

die psychosoziale Sichtweise, die Le-

benswelt- und Ressourcenorientie-

rung, Partizipation und Inklusion.

Seit 1996 sind die Gesundheitsamter

als staatliche Behorden organisato-

risch Teil der 71 Landratsamter. Die

kreisfreien Stadte Munchen, Ingol-

stadt, Nurnberg, Augsburg und Mem-

mingen verfugen uber ein eigenes Ge-

sundheitsamt. Koordiniert wird die

Soziale Arbeit von den sieben Be-

zirksregierungen. Die Arbeit vor Ort

richtet sich nach den regionalen Erfor-

dernissen. Dem Gesundheitsamt - als

neutrale Stelle - obliegen beratende,

Impuls gebende und steuernde Funk-

tionen, auch im Hinblick auf die

Schließung von Versorgungslucken.

Der Sozialen Arbeit kommt dabei

vor allem die Vernetzung der Akteure,

die Moderation und aktive Mitwir-

kung in Psychosozialen Arbeitsge-

meinschaften und Verbunden, in

Suchtarbeitskreisen und anderen Gre-

mien zur regionalen Gesundheitsfor-

derung zu.

Die Soziale Arbeit im €OGD stellt den

Menschen in den Mittelpunkt und res-

pektiert seine individuelle Entschei-

dungsfahigkeit und Eigenverantwor-

tung. Sie orientiert sich an den

Ressourcen der Menschen, motiviert

in Problemlagen zur Veranderung und

unterstutzt konstruktive Losungen

(Empowerment). Bei schwerwiegen-

der Gesundheitsgefahrdung konnen

auch Maßnahmen zum Schutze der

Person, ihres Umfeldes oder der All-

gemeinheit eingeleitet werden.

Daruber hinaus ist die Soziale Arbeit

im €OGD als Teil von ,,Public Health‘‘

in besonderem Maße darauf ausge-

richtet, soziale Rahmenbedingungen

von Lebenswelten zu reflektieren

und im Sinne des Lebenswelt-Ansat-

zes (Setting-Ansatz) gesundheitsfor-

derlich zu verandern. Gestutzt auf das

multiprofessionelle Team des €OGD ist

die Soziale Arbeit in der Lage, mit

ihren praxisnahen und evidenzbasier-

ten Methoden zeitnah und qualitatsori-

entiert auf gesundheitliche und gesell-

schaftliche Veranderungen zu reagie-

ren. Die Aufgabenstellung verlangt

teamorientierte und kooperative Ar-

beitsstrukturen bei Fuhrungskraften

undMitarbeitern sowie selbststandiges

und eigenverantwortliches Arbeiten

des Einzelnen. Dies setzt gegenseitige

umfassende Informationen, gemeinsa-

me Zieldefinitionen sowie transparente

Entscheidungswege voraus.

Die Aufgabenvielfalt erfordert Kon-

zepte und Methoden, die von zielge-

richteter Einzelfallberatung, Grup-

pen- und Multiplikatorenarbeit uber

Moderationstechniken bis zum Pro-

jektmanagement reichen. Qualitats-

entwicklung und -sicherung wird

durch systematische Dokumentation

und Evaluation, kontinuierliche Fort-

bildung und die Kooperation mit

Hochschulen erreicht. In Teilberei-

chen ist eine standardisierte Quali-

tatsentwicklung und Supervision

etabliert.

23.e1

Page 2: Ein Leitbild für soziale Arbeit im ÖGD

Public Health Forum 22 Heft 85 (2014)http://www.elsevier.com/locate/pubhef

Die Soziale Arbeit im €OGD Bayern

erfordert einen generalistisch ausge-

richteten Berufsabschluss innerhalb

der Sozialarbeitswissenschaft. Die er-

forderlichen Schlusselqualifikationen

bietet in der Nachfolge des Studien-

gangs Diplom-Sozialpadagogik (FH)

heute das Studium Bachelor of Arts

(B.A.) - Soziale Arbeit. Aufbauende

Studiengange sind aus fachlicher

Sicht in breiter Auffacherung vorteil-

haft, um langfristig das Handlungspo-

tenzial der Sozialen Arbeit zu erwei-

tern und die fachubergreifende Zu-

sammenarbeit zu unterstutzen.

Die auf medizinischer und sozialer

Profession beruhende Organisation

des €OGD entwickelte sich aufgrund

der wissenschaftlichen Erkenntnis,

dass soziale und gesundheitliche Risi-

23.e2

ken in Wechselwirkung zueinander

stehen. Wirksame Strategien mussen

deshalb weiter professionsubergrei-

fend konzipiert werden. Die Fahigkeit

zur zentralen Steuerung ist hierbei

ebenso unerlasslich wie die Fahigkeit

zur dezentralen Umsetzung. Deshalb

ist die landesweit einheitliche Struktur

der Sozialen Arbeit als Teil der Auf-

bauorganisation des €OGD essentiell.

Am besten kann die Soziale Arbeit

ihre Wirkung entfalten, wenn ein

Gleichgewicht zwischen konkreten

Aufgabenzuweisungen einerseits und

bedarfsorientierten Handlungsspiel-

raumen andererseits besteht. Durch

ihre Ziele, ihr Aufgabenspektrum

und ihre Leistungen verwirklicht die

Soziale Arbeit im €OGD den Auftrag

von ,,Public Health‘‘ und kann ent-

scheidend zur Diskussion der sozialen

und gesundheitlichen Entwicklung in

Bayern und den daraus resultierenden

Anforderungen an den €OGD der Zu-

kunft und dessen Profilbildung beitra-

gen. Hierdurch wird der €OGD der

Zukunft mehr durch die Soziale Arbeit

gepragt sein als heute. Dies gilt es

gemeinsam zu gestalten.

Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.

http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.09.013

Christian RappengluckRegierung von OberbayernSachgebiet 53.1 – GesundheitMaximilianstraße 3980538 [email protected]

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Public Health Forum 22 Heft 85 (2014)http://www.elsevier.com/locate/pubhef

Einleitung

Die Soziale Arbeit an den Gesundheitsamtern in Bayern hat Bedarf an einer klareren Entwicklungsausrichtung. Deshalb

wurde ein Leitbild erstellt. Der Leitbildprozess ist Teil einer Entwicklung, die Soziale Arbeit so aufzustellen, dass sie fur

Herausforderungen gut gerustet ist.

Summary

The Social Work at the health offices in Bavaria is in need of a clearer direction of development. The mission statement

process is part of a development process to establish the Social Work so that it is well prepared for challenges

Schlusselworter:

Bayern = Bavaria, Leitbild = mission statement, €Offentliche Gesundheit = public health, €Offentlicher Gesundheitsdienst =public health service, Soziale Arbeit = social work

23.e3