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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 48 49 Ein Bild für sein nächstes Wanderbuch? Hannes Stricker beim Aquarellieren am Bodensee-Ufer bei Kesswil TG. Er selber findet, er «mölele» nur. Doch der Thurgauer HANNES STRICKER, 78, schreibt und malt die zauberhaftesten Wanderbüchlein der Schweiz. Erst zu Fuss – dann alles von Hand. Ein Schulreisli mit dem Wunderwanderbuchmacher. Wander- Der verführer

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Page 1: Ein Bild für sein nächstes Wanderbuc h? am Bodensee-Ufer ... · Gutes Auge und geschärfter Sinn Das Skizzieren lernte er einst in einem ... bei ihnen seis dann übrigens auch im

SCHWEIZER ILLUSTRIERTE SCHWEIZER ILLUSTRIERTE48 49

Ein Bild für sein nächstes Wanderbuch? Hannes Stricker beim Aquarellieren am Bodensee-Ufer bei Kesswil TG.

Er selber findet, er «mölele» nur. Doch der Thurgauer HANNES STRICKER, 78, schreibt und

malt die zauberhaftesten Wanderbüchlein der Schweiz. Erst zu Fuss – dann alles von Hand.

Ein Schulreisli mit dem Wunderwanderbuchmacher.

Wander-Der

verführer

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Strickers Ausrüstung Malblock, Pinselset, Wasserbecher, Malkasten – und ein Sagexblock als Hocker.

Er wohnt ennet dem Bach Zu Strickers Haus gehts nur über diese überdach- te Holzbrücke. Links sein Briefkasten.

Luftiges Wasserwerk «Wenn ich aquarelliere, nehme ich die Land- schaft noch viel intensiver wahr.»

Gutes Auge und geschärfter Sinn Das Skizzieren lernte er einst in einem

Migros-Klubschule-Kurs für Aktzeichnen.

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Wunderwanderdurcheinander Das kreative Chaos auf Strickers Bürotisch. Alles Zutaten für seine Büchlein.

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Der Fuss- und Handwerker ersch afft wahre Wanderausstellungen

Zierliche Zierschrift Mit Unziale- Buchstaben aus dem Mittelalter beschriftet der Maler seine Werke.

Finger weg! Opas Stifte sind auch bei den zwölf Enkeln begehrt. Da brauchts klare Regeln.

Kunstwerke konstruieren Der alte Schulmeister arbeitet auf einem

Technisch-Zeichnen-Brett für Schüler.

Sein Denk- und Dachbüro Hier produziert Stricker seine Büchlein, bevor sie in die Druckerei kommen.

Sinnliche Verführungen Ein Bouquet Blumen aus dem Garten und ein Strauss Schoggistängeli.

Gestapelte Landschaften Tausende Aquarelle (für die Bücher werden sie verkleinert) lagern in Regalen.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

Das andere, das schlechte Ende der Skala ist manchmal fast spannender.

Wo in der Schweiz, Herr Stricker, befindet sich die hässlichste Wanderung? Hannes Stricker, erst irritiert, dann amü-siert, studiert und kramt im Geis-te in seinen Wandermemoiren. Welche Grotten-Route wird er nennen? Welche Region abstra-fen? Und welches Tourismusbü-ro wird einen bösen Leserbrief schreiben?

Doch dieser Hannes Stricker, das werden wir im Laufe des Tages immer wieder erkennen, ist ein diplomatischer Mensch. Achtsam dazu und bescheiden, mit einer Prise Ironie, die hoch-anständig daherkommt. Darum fällt er sein Urteil, ohne Regio-nalgefühle zu verletzen: «Die schlimmsten Wanderungen sind verlärmte Wanderungen.» Lärm. Etwa entlang von Autobahnen, Schiessplätzen oder Flughäfen. Wobei, das müsse er ehrlicherwei-se zugeben, da suchte er jahrelang nach Nachtigallen, «und schliess-lich hörte ich den Vogel auf der Ostseite des Flughafens Zürich».

Trotzdem bevorzugt Stricker bei Wanderungen die Stille. Und das Stillstehen. Das Absitzen und Abzeichnen. Das Pausieren und Aquarellieren. Nur so entstehen seine Wanderbücher. Mit einfühl-samen Illustrationen, informati-vem Text, persönlich-pointierten Einschätzungen, Übersichtskar-ten und Höhenprofilen. Alles zu Fuss erlebt – von Hand gemacht. Selber geschrieben, gemalt, ge-staltet und im eigenen Verlag he-rausgebracht. Bildbändchen im rucksacktauglichen A5-Format. Kleine Kostbarkeiten für unter-

wegs. Wahre Wanderausstellun-gen. Hannes Stricker macht die zauberhaftesten Wanderbücher der Schweiz.

Kesswil im Thurgau am Boden-see. An diesem Morgen, bevor wir losziehen, sitzen wir am Stuben-tisch in Familie Strickers Heim beim Kaffee. Der Lampenschirm über dem Tisch ist urig aus Lehm getöpfert, die offene Terrassen-tür gibt den Blick frei auf den wilden, saftfarbigen Garten, und die zwei Vasen auf dem Tisch ver-führen: In der grösseren steckt ein Bouquet aus Wild- und Gar-tenblumen, in der kleineren ein Strauss Schoggistängeli.

Während seine Frau Lisbeth, 74, Kaffee nachschenkt, schneidet ihr Mann Laugenbrezeln längs auf, bestreicht die weichen Hälften mit Anke, klappt die Brezeln zu-sammen und reicht sie uns. Wie ein Vater, der seinen Kindern das Schulreise-Picknick zubereitet.

Was so falsch heute gar nicht ist. Stricker, pensionierter Primar-

lehrer, passionierter Wanderfüh-rer, will mit uns marschieren. «Nid wiit, nid lang, nüd Verruckts, echli em See no», ostschweizert er. Stricker will zeigen, wie seine Wanderbücher entstehen.

Also ziehen wir los. Vom Hausplatz führt eine überdachte Holzbrücke über ein Bächlein weg vom Grundstück. Drum heisst Strickers Verlag ja auch: Verlag am Bach. Hinunter zum Hafen Kesswil, von dort dem Bo-densee entlang, nordwestwärts. Der alte Schulmeister voraus, die sehr kleine Klasse dem Wander-wegweiser hinterher.

Angefangen hat die ganze «Büechligschicht», wie Stricker sie nennt, vor Jahrzehnten. Da-mals fragten ihn die Lehrer im-mer wieder, ob er ihnen nicht ein Schulreisli wüsste. Am liebsten mit Routenskizze und Reiseinfos.

Da schrieb Stricker gleich ein ganzes Buch, für Lehrer, mit den schönsten Schulreisen drin. Spä-ter führten er und seine Frau für Pro Senectute Wandergruppen: Die «alte Lüütli» hätten ihn gebe-ten, seine Touren aufzuschreiben, damit sie diese auch allein ma-chen könnten. Also entwarf Stri-cker einfache Heftli – die schnell zum Geheimtipp wurden.

2006 schuf er sein erstes Werk im Eigenverlag. «Winterwandern im Appenzellerland» (21 Touren auf 53 Seiten für 12 Franken). 20 000 Stück gingen über den Buchladentisch. Als ihn die Ap-penzeller rüffelten, bei ihnen seis dann übrigens auch im Sommer schön, produzierte Stricker sein zweites Werk, «Sommerwandern im Appenzellerland» (23 Touren auf 57 Seiten für 14 Franken).

Mittlerweile sind elf Büchlein aus allerlei Landesteilen erhält-lich. Alle erstaunlich preiswert. «Ich will den Leuten eine Freude machen, darum verkaufe ich die Büchlein so günstig wie nur mög-lich.» Strickers Wanderungen laufen. Seine Langsamkeitsanlei-tungen sind ein Verkaufsrenner.

Beim Wandern trägt Hannes Stricker stets einen Rucksack und unterm Arm einen Sagexblock. Erste Rast – eine malerisch schö-ne Badebucht. Weswegen Stricker Papierblock zückt, Farbkasten und Pinselset; dann höckelt er (aha, dafür!) auf den Sagexblock. Das Malwasser beschafft er sich immer vor Ort. Sei seine Macke. Heute also ein Joghurtbecher Bodenseewasser. Mit dem Blei-stift skizziert er, was da ist – Land, Wasser, Häuser, Botanik, ein Segel-boot –, um hernach alles mit Pin-sel und Aquarellfarben zu bele-ben. Bildschön. Im Winter, erzählt er, wüchsen manchmal Eisblu-men auf der nassen Zeichnung, märchenhaft sehe das aus.

Seine überdimensionierte Agenda Alle anstehenden Termine hat Stricker auf diese meterhohe Kartontafel gepinnt.

Der gewitzte Mann wetzt die Sense Hannes Stricker und seine Frau Lisbeth, 74,

im wilden Garten ihres Hauses.

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Das Aquarellieren lernte Stri-cker in Lehrerfortbildungskur-sen, das Skizzieren in einem Mi-gros-Klubschule-Kurs für Akt-zeichnen. Es hat etwas Besinn-liches, ihm zuzusehen, wie luftig und zärtlich er erschafft. Selber nennt er das «mölele». Manchmal weiss man bei Stricker nicht so recht, ob er wirklich so beschei-den ist oder ob es ihn entzückt, sich selber herzlich zu verulken.

Warum malen, ein Foto ginge doch schneller? Ginge zu schnell, antwortet er. Erstens könnten beim Malen seine Beine ausruhen, zweitens komme er so mit Men-schen in Kontakt. «Aha, denken die Leute, da hockt einer und malt, der muss Zeit haben. Und sprechen mich an.» So erfahre er Reichhaltigeres über den Ort, als wenn er google.

Hannes Stricker, 78, Vater von fünf Kindern, bezeichnet sich selber als «verrumpflet». Das Al-ter halt, meint er, ohne Bitterkeit, ohne Koketterie, «es geht alles langsamer». Die haarfeinen Äder-chen auf seinem Antlitz gleichen den Wegwindungen, wie er sie in seinen Wanderbüchlein zeichnet. Letzthin ist er auf einer Tour «ab-gestürzt» (sein Wort). Der Fuss! Schmerz und Schwellung erst ignoriert, dann doch zum Arzt, halt doch ein grösserer Schaden. «Was soll ich tun? Entweder Ope-ration oder angesichts der nicht mehr soo grossen Lebenserwar-tung die Schmerzen kleinreden und die Gesundheitskosten nicht noch weiter in die Höhe steigen lassen?» Dieser Hannes Stricker ist manchmal ein wunderlich de-mütiger Mensch.

Und süchtig nach frischer Luft. Sagt er. Er müsse wandern, müsse sich bewegen. «Wenn ich nichts tue, schlafe ich ein – das kommt vom Militärdienst.» Auch so eine Story – Stricker, der Mann

der Gegensätze. Er war im Militär Offizier, Major, Quartiermeister, aber eben auch im Vorstand der Thurgauer Sektion von Pro Natu-ra und acht Jahre für die Grünen im Kantonsrat. Kämpfte dort für erneuerbare Energien und gegen den Bau von Strassen und den Fluglärm. Ein grüner Offizier, ein Major bei den Grünen … Da wird man hüben wie drüben als troja-nisches Pferd verdächtigt.

Er beschriftet sein Aquarell. Ort, Datum. Mit edlen Buchsta-ben, Unziale, die mittelalterliche Zierschrift. Zehn Jahre war Stri-cker nebenamtlicher Zivilstands-beamter, «da ist es noch gut, wenn man schön schreiben kann». Als Bub hatte er eine Sauschrift, wes-wegen ihn sein Lehrer täglich zu einer Seite Schönschreibübung verknurrte. «Het gnützt!»

Wieder daheim. Ehefrau Lis-beth serviert Kartöffelchen und Gmües aus dem eigenen Garten, dazu die berühmte Bratwurst aus dem Nachbarkanton. «Sie cho-chet guet und gern», sagt Stricker. Seine Frau war Handarbeits- und Kochschullehrerin. Seit 53 Jahren sind die beiden verheiratet. Er nennt sie «meine Treubesorgte».

Im Dachgeschoss hat Stricker sein Büro. Regale voller Ordner, Atlanten, Aquarelle. Eine Karton-schachtel ist mit «Opa-Stifte!» beschriftet; wer zwölf musisch begabte Enkel hat, muss höllisch auf seine Malsachen aufpassen. Bevor alles in die Druckerei kommt, bringt Stricker Zierti- tel zu Papier, schreibt Texte von Hand in Steinschrift, entwirft Layouts, recherchiert Infos, veri-fiziert Wan derzeiten. Die Anga-

ben auf den Wegweisern stimmten eigent lich recht genau, «nur im Glarnerland habe ich Mühe, die angegebenen Zeiten einzuhalten».

An einem Büchlein arbeitet Stricker ein Jahr, an seinem letz-ten, «Oberwallis erwandern und erleben» (42 Touren auf 128 Sei-ten für 24 Franken 80), über drei Jahre. Oft nahm er den ersten Zug morgens in die Südwestschweiz, wanderte eine Tour und nahm abends den letzten Zug zurück. Immer mit dem ÖV. Familie Stri-cker hat nie ein Auto besessen, ist nie in einem Flugzeug gesessen. «Das Fliegen ginge mir zu schnell», schätzt er, «meine Seele würde am Abflugort zurückbleiben.»

Wann erscheint das nächste Wanderbüchlein? Vorläufig sei Schluss, sagt er. Zwar wird er nach wie vor bestürmt, Wanderer aus allerlei Kantonen hätten auch noch gern einen «Stricker» aus ihrer Region. Aber der Mann winkt ab. Und besonders Hartnä-ckigen sagt er : «Macht das mit Lisbeth ab!» Dann ist meist Ruhe.

Wo, Herr Stricker, findet man die attraktivste Wanderung? Auch am schönen Ende der Skala bleibt er diplomatisch. «Die beste Wan-derung hat wenig Hartbelag, kei-ne ruppigen Auf- und Abstiege, gute Erreichbarkeit mit dem ÖV, schöne Aussichtspunkte und Flo-ra, wenn möglich eine Sehenswür-digkeit, entlang eines Flusses oder Sees, wenn möglich mit einem Gasthaus unterwegs, spätestens aber am Ziel.» Sagt Hannes Stri-cker, der wandernde Maler, der selber lieber ein malender Wan-derer ist. Der Wunderwander-büchermacher.

Zur Strafe musste er als Bub Schönschrift lernen

Der Mann mit dem Sagexblock Hannes Stricker in der «Hohlen Gasse» auf dem Seeweg bei Kesswil TG.

Sein Gesamtwerk Seit 2006 sind elf Wanderbüchlein aus allerlei

Regionen der Schweiz entstanden.

Wo bekomme ich Strickers Bücher? In guten Buch-handlungen oder direkt: ver-lagambach.ch

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