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Exzellenzmedizin & eHealth

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Exzellenzmedizin & eHealthVon Arzt zu rzten oder Mehr Voltaire, weniger Rousseau!

Dr. med. Siegfried Jedamzik Facharzt fr Allgemeinmedizin Oberer Grasweg 45 85055 Ingolstadt

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1. 1.1 1.2 1.3 2. 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 5. 5.1 5.2 5.3 6. 6.1 6.2 6.3 7. 7.1 7.2 7.3 7.4

Vorwort Mehr Voltaire, weniger Rousseau! Einleitung Problemstellung des Buches Aufbau und Zielsetzung des Buches Grundlagen von eHealth und Gesundheitstelematik Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) Historische Entwicklung Allgemeines gematik eGK Testregionen Baymatik e.V. Anwendungen - Versichertenstammdaten, Notfalldaten Architekturberblick Datenschutz und Datensicherheit Nutzen und Effizienz der elektronischen Gesundheitskarte Vorteile Nutzen und Effizienz der elektronischen Gesundheitskarte Kritik Nutzen und Effizienz der elektronischen Gesundheitskarte Fazit Einsatz der Gesundheitskarte in anderen Lndern Begriffsklrungen eHealth, Telemedizin, Telematik und Telemonitoring eHealth, Telemedizin, Telematik und Telemonitoring Elektronische Patientenakte (ePA) Elektronische Gesundheitsakte (eGA) Elektronischen Fallakte (eFA) Verbindung von Leitlinien und evidenzbasierter Medizin (EbM) Evidenzbasierte Medizin Evidenzbasierte Leitlinien Standardisierte Reviews Medizinische Effizienz Definition Disease Management Programme (DMP) Disease Management Programme nach RSAV Freie Disease Management Programme Effizienzsteigerung durch die eGK, ePA und eGA Value for Patients (V4P) Patientenempowerment Quality Measurement Perspektiven und Zukunft der ePA und eGA

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8. Effizienzsteigerung durch Telemonitoring 8.1 Einsatzgebiete von Telemonitoring 8.1.1 Teledermatologie 8.1.2 Telegastroenterologie 8.1.3 Telekardiochirurgie 8.1.4 Teleonkologie 8.1.5 Teleophthalmologie 8.1.6 Telepathologie 8.1.7 Telepsychiatrie 8.1.8 Teleradiologie 8.1.9 Telechirurgie 8.1.10 Telekardiologie 8.1.11 Teleconsulting 8.2 Erkrankungen im Focus von Telemonitoring 8.2.1 Herzerkrankung 8.2.2 Diabetes mellitus Typ I und II 8.2.3 Asthma 8.2.4 Schlaganfall 8.2.5 bergewicht 8.2.6 Parkinson 9. Mobile Health

10. Medizinkritik und strukturelle Defizite in der Versorgungslandschaft 10.1 Niedergelassene rzte und Kliniken 10.2 Pflege 11. Telematik und Pflege 11.1 Vorteile des Einsatzes von Telematik im Bereich der Pflege 11.2 Pflege im Jahr 2050 12. Nutzen von Telematik am Beispiel von eGK, Telemonitoring, ePA & eGA

13. Projekte im Bereich Telemedizin in Bayern 13.1 Projekte der Kassenrztlichen Vereinigung (KVB) 13.2 Telemedizin Projekte in Bayern 14. 15. 16. Ausblick Angst oder Zukunftslust Literaturverzeichnis Anhang: Integrierte Versorgungsnetzwerke bentigen eine funktionierende, regionale Telematikinfrastruktur - Erfahrungen aus der Region Ingolstadt -

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Vorwort: Mehr Voltaire, weniger Rousseau!

"Alle Wahrheit durchluft drei Stufen. Zuerst wird sie lcherlich gemacht oder verzerrt. Dann wird sie bekmpft. Und schlielich wird sie als selbstverstndlich angenommen." Arthur Schopenhauer Wollen wir zusammen ernsthaft einen Blick in die Zukunft einer eHealth-untersttzten Exzellenzmedizin wagen? Knnen wir es verantworten, einen Schritt aus den bisherigen Strukturen hinauszumachen? Was knnen wir tun, wenn jeder von uns eine andere Zukunft mchte und es groer Anstrengungen bedarf, sich auf neuem Boden zu bewegen? Fhlen wir uns als Praxis und Krankenhausrzte wirklich wohl im jetzigen Versorgungssystem und wie knnte man dies ndern? Haben wir nicht alle Angst davor, den persnlichen und direkten Kontakt durch fortdauerndes Starren auf den Computerbildschirm in Praxen und Kliniken zu unseren Patienten zu verlieren? Werden wir in Zukunft einen Groteil unserer Zeit damit verbringen, in virtuellen Rumen mit Kranken zu kommunizieren? Die rztlichen Gefhle und Vorstellungen im Hinblick auf die vor uns liegende Gestaltung einer gemeinsamem Verantwortungslandschaft in der integrierten Versorgung - Patienten, rzte, Apotheker, Pflegedienste, Kostentrger, Gesundheitspolitik, und weitere Beteiligte im deutschen Gesundheitssystem sind ambivalent. Das ist und war immer der genuine Grundtenor von Zukunftsschau in allen gesellschaftlichen Bereichen. Ob Medizintechnik, Automobilbau, Landwirtschaft, EDV oder MINT-Fcher: Das Neue braucht Menschen, Energie, Zeit, Sinnhaftigkeit und Akzeptanz, um sich zu etablieren. So auch im Innovationsfeld von eHealth. Auch in der Medizin leuchten im Zentrum das Wissen die Innovationen aber auch die Umsetzungskmpfe der vorangegangenen Generationen. Erfahrungswissen gekoppelt mit exzellenten Forschungsergebnissen macht unsere Arbeit als rzte zu einer groartigen Aufgabe. Ich kann mich tglich begeistern ber die Mglichkeiten, die mir sowohl die moderne, als auch die althergebrachte Medizin bietet. Das vertrauensvolle und mit Liebe zum Menschen gefhrte Gesprch im Sprechzimmer meiner Praxis als auch die breiten Therapiemglichkeiten von Naturheilmethoden, ber moderne Pharmaka bis hin zu bio- und gentechnischen Verfahren machen unseren Berufsstand zu einem Wunderland des Handelns. Medizin ist im Kern immer die Kombination einer Wissens- und daraus folgenden Handlungsgemeinschaft. Dies kann man auch mit Fug und Recht fr alle anderen Bereiche des Gesundheitssystems feststellen. Was sind die Grnde, warum eHealth so ambivalent betrachtet wird? Warum sehen in Umfragen Fachrzte wie Radiologen oder Orthopden eHealth als selbstverstndliches Handwerkszeug und wodurch ist es bedingt, dass Allgemeinrzte und Psychiater eher skeptisch sind? Hier wre es Aufgabe der Selbstverwaltungen und Verbnde, sich aktiv in den Gestaltungsprozess einzubringen, um ngste aber auch falsche und zwischenzeitlich verfestigte Vorstellungen abzubauen. Ich mchte mit meinen berlegungen, die keinesfalls einen Anspruch auf Vollstndigkeit erheben,

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einen kleinen Anteil zum Verstndnis beitragen. Neben meiner umfangreichen Praxisttigkeit geschrieben, mchte ich sie bitten, mir die eine oder andere Unvollstndigkeit nachzusehen. Wir knnen diese gerne im persnlichen Dialog komplettieren. Es ist uns allen bewusst, dass wir das Digitale Zeitalter, mit all seinen Vorteilen und Gefahren seit vielen Jahren betreten haben. ber das Internet knnen wir schnell und zielgerichtet vielfltige Informationen beziehen, ber e-Mail Nachrichten in Sekundenbruchteilen austauschen, wo die Post frher mehrere Tage brauchte. Im virtuellen Raum teilen wir Erlebnisse mit Freunden in aller Welt. Die Mglichkeiten, die die digitalen Revolutionen bieten, sind beeindruckend, auch fr die moderne Medizin, die Begleiterscheinungen beunruhigen die Menschen. Die junge Generation stellt private Informationen und Fotos im Minutentakt auf Facebook. Google digitalisiert Straenzge und durchforstet unseren privaten Schriftverkehr nach werbewirksamen Mustern. Apple speichert unsere Bewegungsprofile auf dem iPhone. 250.000 geheime US-Regierungsdokumente konnten einer breiten ffentlichkeit ber die Plattform WikiLeaks zugnglich gemacht werden und Hacker stehlen 77 Millionen Adressdatenstze samt Kreditkartennummern von Nutzern der Sony-Onlinedienste. rzte sind Treuhnder sensibler Patientendaten und mssen sichergehen knnen, dass diese nicht in die Hnde Unbefugter fallen. Viele private Unternehmen versuchen, den eHealthmarkt im Gesundheitswesen zu erschlieen. Die genannten Beispiele zeigen, dass auch groe Firmen hufig keine lckenlosen Sicherheitskonzepte haben. Es ist fr niedergelassene rzte und Krankenhausrzte im Regelfall unmglich, die Sicherheitsarchitektur einzelner Anwendungen im Detail zu berprfen. Daher ist der Ausbau einer einheitlichen medizinischen Telematikinfrastruktur wichtiger denn je. Die Sicherheit der informationstechnischen Bausteine im Gesundheitswesen muss bergreifend und fr alle vernetzten Anwendungen sichergestellt werden. Kommerzielle Interessen drfen niemals eine Einschrnkung der Datensicherheit bedingen. Einheitliche Sicherheitsrichtlinien und deren Zertifizierung durch BSI und unabhngige Gutachter, hnlich wie im Straenverkehr, sind unerlssliche Bedingungen fr ein vernetztes Gesundheitswesen. Die Telematikinfrastruktur und die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wurden so gestaltet, um genau diese Anforderungen auf dem neuesten Stand der Informationstechnik umzusetzen, wollen also unter keinen Umstnden durch ihre exzellenten Sicherheitsanforderungen mit den oben angefhrten Firmenprojekten verglichen werden. Nicht nur deshalb stehen viele Mitarbeiter am Projekt Telematikinfrastruktur und Gesundheitskarte in gematik, BMG und Lnderministerien, bei Kostentrgern, Leistungserbringern und Verbnden als auch in den Testregionen weiterhin hinter dem Projekt, trotz aller Schwierigkeiten im operativen Prozedere. Die Karte hat dennoch ein nicht zu bersehendes, gravierendes Problem. Sie verkrpert in Teilfeldern der ffentlichen Meinung, speziell in der vieler rzte, genau

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die problematischen Seiten der vernetzten Gesellschaft, die zuvor thematisiert wurden. Arzt und Patient knnten in ihren Beziehungsmustern transparent werden, das Vertrauensverhltnis wrde gestrt und dem Missbrauch wrde Tr und Tor geffnet, wenn Millionen Patientendaten an einem zentralen Ort gesammelt werden. Das Gercht einer zentralen Speicherung der Patientendaten hlt sich trotz aller Dementis hartnckig, wird aber trotz Wiederholung nicht wahrer. Diese Vorurteile sind der eGK im politischen Prozess fast zum Verhngnis geworden. Die Einfhrung einer Telematikinfrastruktur mit den hchsten Sicherheitsanforderungen wird somit, auf Grund von Bedenken ber alle Betrachtungsebenen hinweg, immer weiter verzgert und die Insellsungen verschiedener Anwendungen im Gesundheitswesen schreiten voran. Das ist historisch gesehen nicht per se ein Nachteil, wenn es gelingt, ber definierte und einheitliche Schnittstellen die Kommunikationsinseln sicher zu verbinden. Ein Paradoxon unter vielen, dem mit den folgenden Informationen begegnet werden soll. Die eGK ist nichts weiter als ein sehr ntzliches Speicher-, Signatur- und Sicherheitswerkzeug, das die Verwaltungsdaten und zum Beispiel freiwillig einen Notfalldatensatz speichern kann. Dabei wurden die Karte und ihre Infrastruktur dezidiert zu dem Zweck konzipiert, die oben angefhrten Missbrauchsszenarien auszuschlieen. Die Karte garantiert zusammen mit dem Heilberufsausweis unter anderem, dass alle Daten, die in im Netz zwischen Leistungserbringern ausgetauscht werden, verschlsselt sein mssen. Sie ermglicht es, dass weitere medizinische Anwendungen realisiert werden, aber nur nach strengen Regeln, die fr alle vernetzten Anwendungen im Gesundheitswesen gelten mssen. So knnen weder in der Telematikinfrastruktur noch ber die Fachanwendungen Daten eingesehen werden, wenn man nicht die eGK und den Heilberufsausweis mit der dazugehrigen PIN besitzt. Die Dokumente werden signiert und verschlsselt bertragen. Das Geschftsmodell von Google, den Internetverkehr nach Schlagworten zu durchforsten, um wertvolle Informationen zu gewinnen, wird so von Anfang an ein Riegel vorgeschoben. Auch ein Vorfall, in dem tausende Dokumente von einem zentralen System gestohlen wurden, wie es bei Sony oder WikiLeaks vorgefallen ist, wre bei Verwendung der eGK-Infrastruktur nach allem menschlichen Ermessen nicht mglich gewesen. Das Projekt gibt zum Beispiel den rzten die Mglichkeit, ihre Vernetzung aktiv zu gestalten. Nach den Regeln der deutschen rzteschaft, der Kostentrger und nicht zuletzt der Patienten. Die Vernetzung wird Vernderungen bringen, das steht fest. Es mssen aber nicht die von Google, Apple und Co. (auch diese Firmen werden dazulernen mssen!) sein, wenn die rzte konstruktiv am Projekt der eGK mitarbeiten. Die Gesundheitskarte bringt die rzte in die Lage, ein sicheres und fortschrittliches medizinisches Netzwerk aufzubauen. Dass gerade die deutschen rzte Vorreiter einer solchen Entwicklung sein knnten ist ungewhnlich und eine Herausforderung. Die folgenden Informationen sollen insbesondere rzten helfen, die Hintergrnde der vernetzten Gesundheitsversorgung besser zu verstehen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu knnen.

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Gestatten Sie mir neben der vorhergehenden Betrachtung des Themas eine Portion Emotion und eine andere, mehr philosophische Beschreibung der Entwicklungen. Neben den vorwrtsdrngenden Krften sind es auch die Zeiten der Fortschrittspessimisten beim Thema eHealth. Ihre Haltung ist, gespeist aus den evolutionren Tiefenschichten der menschlichen Angst, ein tief verankertes Begleitmodul allen menschlichen Handelns. Konflikte und Angstszenarien hatten schon den Auszug der ersten Mutigen aus der afrikanischen Savanne auf dem Weg nach Norden begleitet, wenn das Spannungsfeld zwischen Altbewhrtem und Neuem durchkmpft werden musste! So gibt es in der menschlichen Evolutionsgeschichte glcklicherweise immer mutige Frauen und Mnner, die sich aus dem gewohnten Umfeld lsen, in den Kategorien von schwarzen Schwnen denken, und selbstbewusst neue Territorien erobern. So auch im Innovationsfeld eHealth, eGK, Gesundheitstelematik und Telemedizin beim Auszug aus Printland. Viele Warner ziehen durchs Land und beklagen den Verlust der alten Zeit. Permanent hrt und liest man nostradamische Prophezeiungen: Die Gesundheitskarte versklavt uns, eHealth zerstrt das Arzt-Patientenverhltnis, wir werden total abhngig von Brokratie, IT-Industrie und Konzernmedizin, es gibt keine Datensicherheit, der Arzt wird glsern und der Patient verliert seine Selbstbestimmung. Das Gegenteil ist der Fall: Die Verlagerung von Wissen, Information und Dokumentation in eine integrierte Telematikversorgung wird die Freiheit des Arztes fr Patientenzuwendung, diagnostische und therapeutische Sicherheit entscheidend verbessern. Selbstverstndlich mssen in Zeiten von Facebook, Twitter und Co. Transparenz und Datenschutz in ein ausgewogenes Verhltnis gebracht werden, sollen Google und Microsoft beim Ablichten unseres Wohnumfeldes im demokratischen Diskurs ausgehandelte Regeln einhalten, muss Apple offenlegen, zu welchen Zweck es die heimlich gespeicherten Daten auf iPhone und iPad verwenden will. Was wre jedoch gewesen, wenn wir aus Furcht vor dem Neuen, vor angeblich unbeherrschbaren Datenschutzproblematiken die sozialen Netzwerke von vornherein grundstzlich abgelehnt htten. Knnte man sich die Revolutionen in der arabischen Welt ohne die Social Networks, genutzt von sehr mutigen und innovativen Menschen vorstellen, die bereit waren, sogar ihr Leben zu opfern? Unsere Fortschrittskritiker empfehlen oft das Patentrezept: Verzichte! Geh` nicht ber die Brcke, sie knnte einstrzen! Und gehe nicht auf den Tahrir-Platz, es ist zu gefhrlich! be dich in Demut und halte die altbewhrten Regeln ein. Knnen Menschen frei entscheiden, dann wollen sie (Wahl-)Freiheit und demokratische Strukturen. Sie drften eine Splmaschine genauso dem Reinigen der Teller von Hand vorziehen wie ihre digitale Patientenakte einem Papierausdruck im Ordner, wenn man ihnen die Wahlmglichkeit und vernnftige konomische Rahmenbedingungen bietet, wenn man ihnen denn Gelegenheit dazu gbe. Gelebte Demokratie wird genau dafr sorgen! Und kmen die Brger zu einer gegenteiligen Bewertung und wollten die Teller weiterhin per Hand reinigen, dann mssten wir das auch akzeptieren. Transparenz und Demokratie sind untrennbare Partner eines brgerlichen, freien und sozialen Rechtsstaates. Die offene Kommunikation von Abhngigkeiten und

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Machtstrukturen unseren Brgern und Patienten gegenber erfordert hufig ein nicht geringes Ma an Mut und Verantwortung. Und eine offene, auch kritische Diskussion ber Nutzen und Zweck sollte bei der Einfhrung von eHealth und Gesundheitskarte gute demokratische Gepflogenheit sein. Ein Verweis auf Stuttgart21 kann hier nicht schaden. Ist die Neugestaltung eines Bahnhofes auf den ersten Blick mit der Architektur einer einrichtungsbergreifenden Telematikinfrastruktur in Deutschland nicht zu vergleichen, so sind jedoch die Ursachen fr den Protest durchaus hnlich. An vorderster Stelle stand bei beiden Projekten ein strflich vernachlssigtes Bemhen um Akzeptanzbildung, die dem Brger die Sinnhaftigkeit der Projekte zu erklren hatte. Hier wie da erzeugte der Hiatus zwischen politisch-operativer Beschlusslage, mangelndem und zu komplexen Umsetzungsprozedere und der daraus entstehenden Unzufriedenheit ber alle Beteiligte hinweg, mit Recht immer mehr kritisches Nachfragen nach den Rahmenbedingungen der Projekte. ber Qualitt, Sicherheit, Nutzen und Effizienz. Dabei gerieten beide in Bedrngnis. Vor allem die Gesundheitskarte wurde von einigen Gruppierungen als Symbol fr brgerfernes staatliches Regulierungshandeln, das nicht in breiten demokratischen Konsens allen Beteiligten vermittelt wurde, empfunden. So kam es wie es kommen musste: Eine Vernetzung aller Beteiligten? Eine Digitalisierung des Gesundheitswesens? Neue Anstze zur Vernetzung von Praxen, Krankenhusern und Apotheken unter Wahrung der Souvernitt der Brger und Patienten? Sicherung und Strukturierung des medizinischen Datenverkehrs? Die Gesundheitskarte als sicherer Schlssel zur Telematikinfrastruktur? Weg von faxenden Irrluferdokumenten? Es entstand eine Melange aus Meinungen und Fakten, die in ihrer heftigen gegenseitigen Emotionalitt tiefe Grben riss. Viel lieber bleiben wir bei alten dezentralen Datenhaltungen! Dort sind die Informationen so sicher wie in Adams Scho! (Anmerkung: Hchstens der Sohn der Putzfrau oder der IT-Betreuer kann Einsicht in die bei allen nahezu allen Praxisverwaltungssystemen unverschlsselten Datenbanken nehmen. Die Arzthelferin wird schon nicht die ungeschredderten Patientenakten in die Papiertonne werfen.) Wir brauchen keine digitale Moderne in dieser Form! Die gute alte Zeit! Wir bleiben in der Komfortzone! Mit Rousseau zurck zur Natur! Wir bleiben im Biotop! Telefon und Fax: Ja! Cloud Computing, integrierte Vernetzung und telematisch gesttztes Handeln: Nein! Fortschritt, Verbesserungen durch eHealth? Diese Art von eHealth verbessert nichts! Und so etablierte sich im gegenseitigen Nichtverstehen, in der allseitigen Sprachlosigkeit eine Diskussionskultur, die sich im Verhindern und nicht im Problemlsen verlor. Vielleicht wre es angebracht, dass wir uns an den 30 Jahre dauernden mhsamen Kampf um die Hndehygiene von Prof. Semmelweis in Wien erinnern? Da sind wir mit 10 Jahren Zeitverzug bei eHealth und Medizintelematik noch gut im Rennen! Aber: Knnen wir uns das leisten?

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Voltaire ist anders, ganz anders! Er wrde als Rationalist anmerken: Was haltet ihr von aden allein in Deutschland 17.000 Toten durch unerwnschte medizinische Ereignisse, die zum Beispiel aufgrund von Unvertrglichkeiten gleichzeitig rezeptierter Arzneimittel jhrlich sterben? dem spannenden Thema Patientensicherheit in Operationsslen und der Workflowverbesserung durch digitale Checklisten, die die Todesflle um 40% senken konnten? einer Verbesserung der Hygienestandards in Arztpraxen und Kliniken? dem Bericht to err is human des Institute of Medicine: Jhrlich kommen 98 000 Menschen durch Fehler im Behandlungsablauf in den USA ums Leben und mehr als eine Million werden unangemessen verletzt.? der dokumentierten Tatsache, dass sich nur ein Bruchteil der Angehrigen an offizielle Stellen wenden und den Schaden beklagen? der Mglichkeit, dass unerwnschte Ereignisse nicht skandalisiert, sondern als Quelle fr Systemverbesserungen begriffen werden? grenzberschreitenden eHealthdiensten, so dass bei Gesundheitsgefhrdungen im Ausland schnell und zgig Vorinformationen zur Verfgung stehen? rechtssicheren Dokumentations-, Kommunikations-, und Archivierungsprozessen, damit die Patientenakten nicht zuletzt in einer Papiertonne landen? Gesundheit to Go mit Smartphones als Untersttzung bei Prvention, Diagnostik und Therapie, um die Jugend zu gewinnen? Telemonitoring, AAL, ePA, eGA, eFA, EHR, PACS, cross-sektoraleSteuerung, eGK, Telematikinfrastruktur, smartHealth, Forschungsverbnden, epidemiologischer und patientenzentrierter Forschung? Patienteninformationssystemen zur Strkung der Gesundheitskompetenz chronisch Kranker? der Meinung, dass das Gesundheitswesen revolutionre Vernderungen im Denken und Handeln bentigt, um seine Schwachstellen angehen zu knnen? einem globalen Healthcare-kosystem, in dem, natrlich anonymisiert und verschlsselt, alle Daten und Fakten gesammelt werden? Gesundheit zum downloaden, wie sie fr amerikanische Kinder von Michelle Obama engagiert gefrdert wird? einem Abbau von Innovationsbarrieren auf dem Weg zur Regelversorgung im Bereich Technologie, Markt, Dienstleister, Gesundheitspolitik und Selbstverwaltung und einem neuen Umgang mit Regulierung und Vorgaben? einer berwindung von strukturellen Vernderungswiderstnden und einer Neugestaltung der Organisationsstrukturen im Gesundheitswesen? optimierter Versorgung durch innovative Gesundheitstechnologien?

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der praktischen Anwendung von medizinischen Leitlinien, klinischer Behandlungspfade und evidenzbasierter Medizin zur Unternehmens- und Betreuungsmodellierung? der Entwicklung von telemedizinischen Versorgungsnetzwerken zur Prvention und Therapie von Patienten mit chronischen Krankheiten? abgestimmten Videobeobachtungen im Sinne einer klugen Wohnung fr Patienten mit entsprechenden Krankheitsbildern wie Epilepsie, um das Zuhause sicherer zu machen? einem secure facebook fr Senioren, die wohl kein Ersatz fr echte Begegnungen sind, jedoch Distanzen berbrcken, die anderweitig unmglich sind, ber Ereignisse und Aktivitten im nheren Umfeld informieren? engagierten Senioren, die selbstbestimmt zu Hause leben wollen und die Nutzenpotentiale ihrer technischen Hilfsmittel immer im Hinblick auf mgliche Eingriffe in ihre Autonomie, Intimsphre, Abhngigkeit von technischen Systemen, Fremdkontrolle und Nachfolgekosten selbst gestalten? einer Praxis der Zukunft, die Brokratie durch eine elegante telematische Vernetzung ber viele Ebenen hinweg, von der Klinik bis zum Patienten, sinnvoll und nutzengesteuert aufbaut, um Qualitt und Effizienz der Behandlung zu steigern? einer gemeinsamen Anstrengung aller Mitarbeiter und Institutionen im Gesundheitswesen, um Deutschland einen Wissensvorsprung zu verschaffen und international wettbewerbsfhig zu halten, um neue Innovationsfelder zu erschlieen? der nicht zu bersehenden Annahme, das sich unser wirtschaftliches System und damit auch unser Gesundheitssystem, unsere Sicherheit und unsere Leistungsfhigkeit nur durch Modernitt und Fortentwicklung sichern lsst? Und last but not least, ganz im Sinne von Voltaire: Nach vorne schauen! Problemlsungen favorisieren! Wissen einbringen! Prfen! Die Wnsche der Menschen bercksichtigen! Sinnvoll handeln!

Voltaire wre mit Blick auf die heutige Zeit versucht zu sagen: Deutschland gleicht in vielen Bereichen einem Museum! Wo bleibt die vibrierende Aufbruchsstimmung im Gesundheitswesen? Wo sind die Erfinder und Treiber einer besseren Patientenversorgung. Ja, es gibt sie! Es mssen jedoch mehr werden! Jeder einzelne ist gefragt! Und sie mssen zusammenarbeiten! Gerne wrde ich zum Beispiel die Atomenergie ins Museum stellen, damit wir energisch unsere Position als Weltmarktfhrer fr regenerative Energien aufbauen und neue Meilensteine errichten knnen, ohne die gegenwrtige ManufactumBegeisterung aufzunehmen. Der Beschluss, bis 2022 aus der Atomenergie auszusteigen wird viel kreatives Potential freisetzen. Der Beschluss, aus Printland auszuziehen und in die neue Welt der digitalen Medizin auszuwandern wird Innovationen im groen Stil generieren. Niemand will die Wsche mangels Waschmaschinen wieder im Fluss waschen. Windkraft, Sonnenkollektoren, Biomasse, eAutos, Magnetmotoren, Speichertechnologien, Wasserkraft, Wasser-

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stofftechnologie, Brennelemente deutsche Ingenieurskunst vom Feinsten. Medizinund Informationstechnik. Pharmazeutische Neuerungen und die Neustrukturierung rztliche Handelns durch Zukunftswerkzeuge. Es gibt sie noch, die Voltairesche Zukunftslust. Monumente des Aufbruchs und keine Rckwrtsgewandtheit. Auch im Feld von eHealth! Niemand wird heutzutage einem blinden Technikoptimismus die Hand reichen. Nichtsdestotrotz werden die idyllischen Vergangenheitsbilder und altvorderen Zukunftsszenarien gerne fortgeschrieben. Innovationsknappheit hat erhebliche Konsequenzen fr Leib und Leben, die in den Statistiken zu unerwarteten medizinischen Zwischenfllen auf erschreckende Art dokumentiert sind. Was fr ein Aufschrei wrde durch die Gesellschaft gehen, wenn dies jedem bekannt wre! Wie beschmend wre der Vergleich mit den im Jahresdurchschnitt 5.000 Verkehrstoten. Ja, Fehler macht jeder, aber jeder Tote und Verletzte ist einer zu viel! Ich pldiere freimtig auch im eHealthbereich fr Prestigewerke, gerne auch mit Hinweis auf meine bayerische Heimat und vielleicht auch mit einem Schuss kirchlicher Lebenslust, zumindest im Bauen. Die bayerischen Kirchen und Klster waren damals nichts anderes als die oft geschmhten zeitgenssischen Prestigearchitekturen - ob supermodernes Museum, hochfahrende Wolkenkratzer oder riesige Airports - lustvolle Bemhungen, die Vergangenheit zu bertrumpfen. Was wren wir in Bayern ohne Neuschwanstein und Linderhof, ohne die Residenz in Wrzburg, ohne die vielen kirchlichen Prachtbauten rmer! Manche angebliche Verrcktheit zeigt sich im Lauf der Zeiten als geniales Werk. Auch wenn Ludwig II. damals den Staatshaushalt ruinierte sind wir ihm heute fr seine Markenzeichen dankbar. Bezahlt haben sie sich allemal gemacht! Als Feier des Machbaren und der Innovation. Weniger als Beispiel fr Sachlichkeit und Demut. Sicherlich gebaut auch aus Mangel an Bescheidenheit und Zurckhaltung. Knnte uns nicht die Mischung aus Barock und einen Schuss Futurismus gut tun? Kloster Ettal, die Wieskirche und die Visioni simultanee von Umberto Boccioni? Cosmas Damian und Egid Quirin Asam neben Marinetti? Ist der Vergleich mit der Architektur unseres Gesundheitswesens unzulssig? Das vertrauensvolle persnliche Gesprch im Sprechzimmer des Arztes und die Videokonferenz mit einem chronisch Kranken zu Hause? Knnte das, was jetzt als Schwche und Komplexitt imponiert nicht zur zukunftsbestimmenden Kraft werden? Unsere Strke in Deutschland war trotz beschmender historischer Rckschlge letztendlich immer der Blick nach vorne. Das Land der Dichter und Denker, das Land der Ingenieure und Forscher, das Land der Nobelpreistrger und Optimisten. Letztendlich geht es auch in unserem Metier als Mediziner darum, unserer hippokratischen Verpflichtung des nihil nocere gerecht zu werden und alles zu tun, um dem mndigen Brger und Patienten so viel Sorgfalt, Schutz und Heilung anzubieten wie es der individuellen Notsituation und unseren Fhigkeiten angemessen ist. Primum non nocere Vor allem achte darauf, niemandem zu schaden! Dieser Grundsatz der hippokratischen Tradition steht im Mittelpunkt des moralisch geforderten rztlichen Handelns. Auch des medizintechnischen Handelns! Im Umkehrschluss ist das leichtfertige Unterlassen ebenfalls eine Snde, nicht nur im hippokratischen, sondern auch im kirchlichen Sinne. Also haben wir uns sorgfltig

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mit eHealth zu beschftigen. Letztendlich geht es auch hier um die Gestaltung der Zukunft unter Beibehaltung und Weiterentwicklung des Bewhrten und Guten. Eine der grundlegenden Wahrheiten ist: Wir knnen als politisch Verantwortliche, als Gesellschaft, als Kostentrger und Leistungserbringer die Risiken des Medizinbetriebs nicht den Brgern und Patienten aufbrden! Deshalb ist es im Vergleich zu den groen Katastrophen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts Weltkriege, Tschernobyl, Massensterben in den afrikanischen Brgerkriegen, Tsunami in Thailand und den Schicksalsschlgen des japanischen Volkes nicht nur unverhltnismig sondern auch kontraproduktiv, mit welchem pathologischen Dissens der Aufbau von eHealth-Strukturen begleitet wird. Man fragt sich: Was luft hier eigentlich ab? Die unmige Betonung und Panikmache, dass wir in allen Lebenslagen von endgrenzten (Datenschutz-)Risiken umgeben sind, ist in ihrer berspitzten Ausprgung eine deutsche Spezialitt. Wenn man alle statistischen Unterlagen zu Datenlecks in der medizinischen Domne zusammenschaut, dann ist im Vergleich zu den Datenpannen bei Telekom, Facebook und neuerdings Sony die Sicherheitslage durch eine deutliche Betonung der Datenschutzaspekte schon heute sehr viel besser als frher. Die Telematikinfrastruktur und ihre Anwendungen im Gesundheitswesen werden dies noch weiter verbessern. Schon Heraklit sagte: Alles fliet. Die Sehnsucht nach Stabilitt war und ist immer gekoppelt mit einem immerwhrenden Kampf gegen Entropie und mutwilligem Zerstren. So wie jeglicher Organismus in stndigem Abwehrkampf durch sein Immunsystem gegen Angriffe von innen und auen lebt und ein, je nach Betrachtungsweise Gleichgewicht des Schreckens oder ein Gleichgewicht der Kooperation herstellt, wird es auch im eHealthsektor keine Sicherheit ohne Anstrengung und stetiges Bemhen nach Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit geben. Die Beurteilung der Lage entsteht je nach Standpunkt immer im Auge des Betrachters. Der deutschen Risikowahrnehmungsgesellschaft stnde es gut an, einen Schritt zurckzutreten und die Funktionen des Frontalhirns in den Vordergrund zu stellen. Oder anders formuliert: Weniger Katastrophensemantik und mehr Kant! Oder wie es unser Kollege Dr. med. Eckart von Hirschhausen formulierte: Die Deutschen haben einen zustzlichen Hirnteil. Neben dem Stirnlappen, der plant, dem Seitenlappen, der vernetzt, haben sie auch noch den Jammerlappen. Der verhindert! Als 1755 im Erdbeben von Lissabon ber 65 000 Menschen starben gab es eine lang anhaltende Diskussion aller bedeutenden Philosophen der damaligen Zeit, ob die Vorstellung eines gerechten Gottes, der eine menschliche und gute Welt geschaffen hat, noch Bestand hat. Damals erklrte Kant das Geschehen naturwissenschaftlich. Rousseau gab den Menschen und der Zivilisation die Schuld: Httet ihr eure Huser nicht mehrstckig gebaut, dann wrdet ihr noch leben! Sein Credo: Zurck zur Einfachheit, zurck zur Natur, zurck nach Flatland! Voltaire zog daraus ganz andere Schlsse: Er distanzierte sich von der Vorstellung einer gerechten, von Gott gesteuerten Welt. In einem Gedicht schrieb er: Man muss gestehen, das bel ist auf Erden: Wir wissen nicht warum? Woher es stammt? Wenn auch nicht alles auf der Welt zum Besten steht, so kann doch alles verbessert werden! Die Diskrepanz der unterschiedlichen Bewertung zwischen der Rousseau`schen Sehnsucht nach

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dem vergangenen Naturzeitalter, den natrlichen Strukturen und seiner Fortschrittsskepsis im Gegenber zur Rationalitt und dem Pragmatismus Voltaires ist den hochtechnisierten Staaten geblieben. Nun hngt das Leben von Patienten von guten Betreuungsstrukturen, angemessenen konomischen Rahmenbedingungen, exzellenten rzten und weiteren wichtigen Medizinberufen sowie schnellen, wissensbasierten Entscheidungen ab. Der Verzicht auf integrierte, von einer eleganten Gesundheitstelematik begleiteten Versorgungsstrukturen, wird der zunehmenden Differenziertheit unserer therapeutischen Handlungen nicht gerecht. Es kann Menschenleben kosten! Ich schaue jetzt auf ein fnfunddreiigjhriges Arztleben und berschlagsmig mehrere hunderttausend Patientenkontakte zurck. Die Durchfhrung einer ausgezeichneten Patientenbetreuung mit Kugelschreiber und Kartenhaltung ist definitiv nicht mehr mglich. Die Komplexitt und Steuerung von Krankheitsentitten und therapeutischen Manahmen macht eine enge, auch auf eHealth basierende Zusammenarbeit ntig. Wer wollte noch die mit Zahl und Form exponentiell steigende Interaktion von Arzneimitteln ohne EDV-Untersttzung beherrschen. Wahr ist aber auch, dass eHealth nur ein, allerdings unverzichtbares Werkzeug fr die Gesundheitsberufe und Patienten darstellt. Der Krperteil des Arztes, der sich zwischen den Oliven eines Stethoskops befindet, wird im diagnostischen und therapeutischen Prozess weiterhin wichtiger sein als das kommunizieren per Computer. Hand und Herz, die fnf Sinne, Empathie und Begeisterung im Beruf sind und bleiben der Motor allen medizinischen Handelns. Erlauben Sie mir ganz persnlich an dieser Stelle einige kritische, die Vergangenheit abschlieende Anmerkungen zur Einfhrung der Gesundheitskarte und den damit verbundenen Themengebuden eHealth und Medizintelematik. Auch wenn sie als geneigter Leser einen anderen Blickwinkel auf das Geschehen haben, und sich der eine oder andere zum Widerspruch herausgefordert fhlt, so bitte ich sie, meine Beurteilungen als Ausdruck meiner persnlichen, durchaus emotionalen Betroffenheit zu sehen. Ein sehr starkes Motiv war und ist die Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie wir als Haus- und Fachrzte, Kliniken, Patienten, Apotheker, nichtverkammerte Medizinberufe, Pharmaindustrie, Pflegeberufe, Kostentrger, Medizintechnikhersteller, Kassenrztlichen Vereinigungen und Verantwortliche in den Gesundheitsministerien miteinander umgehen. Als tglich seit ber dreiig Jahren in eigener Praxis arbeitender Arzt kenne ich viele Strken und Schwchen des Systems. Die Managementliteratur empfiehlt, sich vorzugsweise auf die Strken zu konzentrieren. Dies ist im Gesundheitssystem nicht erlaubt. Neben dem Erhalt der Strken ist es unsere Pflicht und Aufgabe, uns kraftvoll auf die Konvertierung von Schwche in Strke zu konzentrieren. Patienten in den Mittelpunkt! Qualitt und Effizienz schaffen! Zusammenarbeit in einer integrierten Versorgungslandschaft! Transparenz! Patientensicherheit! Austarieren von Ethik und konomie! Sicherheit! Innovation! Evidenzbasierte Medizin! Um das Gesundheitssystem zu einer patientenzentrierten Versorgungslandschaft eigentlich wrde ich es viel lieber Verantwortungslandschaft nennen, da mir der Begriff Versorgung zu passiv und unmodern daherkommt umzubauen, muss jeder

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die Missstnde im eigenen Haus beseitigen, indem er den Blick ber seinen Tellerrand wirft und in einrichtungsbergreifenden Prozessketten zu denken lernt. Ideologische Scheuklappen sind hier fehl am Platz! Die Leidensgeschichte der Gesundheitskarte hat viel mit diesen Themen zu tun. Der grundlegende Ansatz, auch die Freude und Begeisterung, die Kommunikation und Transparenz im Gesundheitswesen bzw. der Gesundheitswirtschaft im Einklang mit europischen Bemhungen zu verbessern, war am Ende des letzten Jahrhunderts ein treibendes Moment allen Handelns. Wie immer bei der Erffnung eines neuen und zukunftstrchtigen Feldes machte es neben der intellektuellen Herausforderung auch Spa, sich mit dem Themenkomplex eHealth zu beschftigen. Der Boden war durch Gutachten und langjhrige wissenschaftlicher Vorarbeit weltweit vorbereitet worden. Kongresse und Arbeitsgruppen waren spannende Veranstaltungen, der Horizont war offen und weit. Ob BMG und Lnderministerien, Bit4Health, protego.net, gematik und Testregionen man schaute neben manchem Seitwrtsblick vor allem nach vorne. Dies nderte sich! Die sich schnell entwickelnde und teilweise nicht mehr berschaubare Komplexitt des Projektes, eine technikgetriebenen Sichtweise kombiniert mit der unbefriedigenden Einbeziehung der Nutzer, unklare Zustndigkeiten, Rivalitten und mangelnde Konsensbildung, zu zgerliches Vorgehen bei Akzeptanzbildung und politischem Handeln, fhrte voraussehbar ins Kiesbett. Einzeln betrachtet mgen viele Regularien durchaus sinnvoll gewesen sein. Zusammengenommen legten sie das Projekt nahezu lahm. Das typisch deutsche Vorgehen, Sicherheit geht vor Schnelligkeit, ist vom Ansatz her nicht schlecht, kann aber dem Projektmanagement die Sicht im Meinungssturm nehmen. Man braucht nicht immer 150-prozentige Goldrandlsungen und gotische Spitzbgen! Enttuschung und Rckzug waren vorprogrammiert. Die Rettungsversuche mit Moratorium und Basisrollout verschafften dem Jahrhundertprojekt dann wieder die ntige Luft zum Atmen. Noch ist nichts abschlieend gewonnen. Derweilen beginnen andere Lnder uns zu berholen. Ob der Plan von einem Exportschlager noch aufgehen wird, muss man eher skeptisch beurteilen, nachdem die Onlinewelt erst 2014/15 kommen soll - auch unter dem Aspekt von Finanzmitteln, die, neben den Bemhungen der EU, von anderen Lndern wie den USA, Indien und China in den Aufbau von eHealth investiert werden. Sehr kritisch sind die Kooperationsdefizite der Steuerungsstrukturen in Berlin in Bezug auf die Realwelt der Testregionen zu sehen. Die operative Online-Vernetzung ist nicht trivial. Das haben alle Bemhungen in den Testregionen gezeigt. Zu fordern wre eine enge Einbindung der Testregionen in die Entwicklungen und Entscheidungen der Projekttrger und Kmmerer aus den Selbstverwaltungen und der gematik. Nach dem, hoffentlich erfolgreichen Ende der Mitzeichnungshrigkeit alle reden bei den Problemen mit, keiner lst sie! durch die eingeleiteten Umstrukturierungsmanahmen wird nicht gleich alles besser, jedoch berschaubarer werden. Es ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Der Abschied von mancher Selbstbezogenheit und Kompetenzstreitigkeiten machen den Blick fr das Wesentliche frei: Dem Aufbau einer eleganten Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen, die im Wettbewerb zu entwickelnden Applikationen fr Nutzer, und dem Patientennutzen, der immer im Mittelpunkt zu stehen hat.

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Lassen sie mich an dieser Stelle nochmals auf den Unterschied zwischen Voltaire`schen und Rousseou`schen Geist zurckkommen und ihn noch aus einem anderen Blickwinkel beschreiben. Es gibt die Neigung des menschlichen Denkens, immer wieder in das Gewohnte, in die Vergangenheit zurckzukehren. Die Gehirnforschung zeigt, dass Emotionen und Gefhle das Ergebnis von Erfahrung sind. Sie helfen uns, dass wir uns an das Geschehene besser erinnern knnen. Es ist uns sehr bewusst, wo wir uns am 11. September 2001 befanden. Das ist mit einem spezifischen Gefhl verbunden. Was nun tckischer weise passiert ist, dass wir uns die emotionale Erfahrung durch automatisierte Wiederholung immer schrfer einprgen, so dass sie eine stabile Denkkonstante wird, die uns gefangen halten kann. Das ist der einengende Vorgang. Lernen bedeutet aber auch, dass neue Verbindungen geknpft werden. Erinnern heit, diese Verbindungen zu erhalten. Das natrliche Gesetz sagt, dass wir uns immer an gefhlsgebundene Konzepte erinnern mssen. Das Problem der meisten Menschen besteht sehr oft darin, so stabil in eigenen Gefhlskreisen gefangen zu sein, dass die hypothalamische Gefhlswelt statt des frontalen Cortex ihr Mittel zum Denken wird. Anders formuliert: Retrograd geprgte Gefhle beherrschen und steuern ihr Denken. Denn aufgrund ihres Wesens sind Gefhle immer mit vorangegangen Ereignissen behaftet. Die Psychologie spricht von der Komfort- und Sicherheitszone, die als Wohlfhlzone keinen Anlass zur berschreitung bietet. Sollten wir unsere Zukunft basierend auf Gefhle planen, dann werden wir diese ausnahmslos auf der Vergangenheit aufbauen. Dass auch Intellektuelle nicht vor dieser Falle geschtzt sind, zeigt eines von unzhligen, wunderschnen Beispielen: Ohne die Bahn wren wir noch immer ein Rousseau`sches Agrarland. Zge brachten Gter wie Kohle, Holz oder Eisenerze berall hin, wo sie bentigt wurden. Auch Menschen als Ideen- und Informationstrger in Gegenden, die nun zu Orten des Wohlstands wurden. Die erste deutsche Eisenbahn "Adler" verkehrte zwischen Nrnberg und Frth. 1835 sorgten 35 Stundenkilometer hnlich wie heute die Gesundheitstelematik fr erregte Diskussionen. ber ungeteilte Begeisterung durfte sich die erste Eisenbahn schon damals in Deutschland nicht freuen. Die ngste vor dem rauchenden Ungeheuer auf Schienen waren gro: Die schnelle Bewegung muss bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit erzeugen, schrieb das Bayerische Obermedizinerkollegium 1838, drei Jahre nach Erffnung der ersten deutschen Strecke zwischen Nrnberg und Frth. Und manchem Zuschauer knnte vom Anblick des Zuges schwindlig werden, war die Befrchtung. Man msse deswegen die Strecke mit einem hohen Bretterzaun einfassen. Die Khe wrden keine Milch mehr geben, so dass man den Bauern Entschdigungen zusprechen msste. Fazit: Wir sollten uns davon lsen, dass unsere Gefhle Mittel zum Denken sind. Sonst leben wir ausschlielich in der Vergangenheit und werden durch vorangegangene Ereignisse definiert. Nur durch bewusste, ichgesteuerte Trennung von der Historie und Umwandlung in neue cerebrale Verknpfungen knnen wir uns auf etwas Abstraktes, eine Idee, ein Konzept konzentrieren und in der zu erprobenden Umsetzung Vertrauen in das Funktionieren entwickeln. Teste und

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Erprobungen im Labor und im Feld sind ntig, um vertrauensvolle neue Gesundheitsund Sicherheitsarchitekturen zu erschaffen. Um Neues zu schaffen mssen wir die Kmpfe und Emotionen der Vergangenheit ruhen lassen. Dann knnen wir uns im Voltaire`schen Sinne sachlich auf Innovationen konzentrieren, wie sie in den folgenden Kapiteln aufgrund der Flle nur verkrzt dargestellt werden knnen. Wer sich mit offenem Geist und offenem Willen auf die Digitalisierung der Gesundheitswelt einlsst, wird vielfltige neue Wege entdecken ohne dass er die conditio humana aufgeben msste. Das Gegenteil ist der Fall sie wird gestrkt! Es gibt Bibliotheken mit Milliarden an Bchern, die seit alters her die Spannungsfelder des menschlichen Lebens beschreiben und versuchen, einen Blick in die Zukunft zu werfen, indem sie Algorithmen und Konstanten aus dem Schutt der Vergangenheit ausgraben, destillieren und neu formulieren, um daraus Stabilitt fr Zukunftsentwrfe zu gewinnen. Der Bogen erstreckt sich ber Millionen von Jahren, beginnend mit den evolutionren Gehirnentwrfen der Naturgeschichte im Sinne von Gewordenem, weiter sich fortpflanzend ber die Kulturgeschichte des Gemachten der alten Vlker, die je nach Strukturierung der Antizipationsrume der Betrachter (z.B. Hethiter, gypter, asiatische und nahstliche Kulturen, Griechenland, Rom und die europische Entwicklung) hin zu den berhmten Kantfragen: Wer bin ich? Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? fhren und uns weiter ber die unzhligen Innovationen in die Neuzeit des globalisierten Informations- und Wissenszeitalter mittragen. Fortschreitend Abgrnde, Brche, Katastrophen zu neuen Ufern. Da wir geneigt sind, die Zukunft immer aus dem Alten abzuleiten, knnen wir den Nebel ber dem Fluss, der uns den Blick ans andere Ufer verwehrt, nur durchdringen, indem wir uns wagemutig, aufmerksam und neugierig ins Boot setzen und das Wagnis eingehen, den Schleier zu durchstoen oder im Nebel unterzugehen. Ja, wir knnen auch untergehen! Das Telematikprojekt kann scheitern. Ein einzelner oder auch viele Faktoren knnen zum Kollaps, aber auch zum Erfolg fhren. Wir drfen nicht stehen bleiben. Im 1885 erschienen Kinderbuch des britischen Schriftstellers Lewis Caroll Alices`s Adventures in Wonderland wird sinngem formuliert: Du musst so schnell rennen wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. Das gilt auch fr unsere Innovationsbereitschaft als rzteschaft! Der ehemalige Stuttgarter Oberbrgermeister Rommel sagte: In einer auf Zuwachs programmierten Welt fllt zurck, wer stehenbleibt. Es ist so, als ob man eine Rolltreppe, die nach unten geht, hinaufluft. Wer dort bleiben will, wo er ist, muss mindestens so schnell sein wie die Rolltreppe. Wer vorankommen will, muss schneller sein. Ich mag gutes Wachstum, Effizienz und Qualitt, jeder von uns will das. Wer aufhrt, Qualitt zu generieren, fllt zurck! Was mich bei allem positiv stimmt ist, dass ein Groteil der Bevlkerung weltweit Zugang zu Informationen hat, wie es zuvor in der Geschichte niemals vorkam. Dank Knnen, Wissen und eHealth Technologien als Handwerkszeug knnen wir die Patienten beim Erhalt und der Wiedergewinnung ihrer Gesundheit untersttzen und unseren Brgern ein selbstbestimmtes und gesundes Leben in gemeinsamer Verantwortung bieten. Am Ende steht immer ein psychologischer Kampf. Die Menschen neigen nicht dazu, langfristig und strukturiert zu denken. Unsere Biologie drngt uns immer zu

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kurzfristigen Reaktionen, wenn wir einen Schuss hren oder der Sbelzahntiger vor uns steht. Wenn wir uns mehr Gedanken darber machen wrden, woher wir kommen und wohin wir gemeinsam gehen wollen, wrde das den Patienten zugute kommen. Unsere Fhigkeit, ber abstrakte Themen nachzudenken und Ideologien ber Bord zu werden, ist leider evolutionstechnisch noch nicht gefestigt. Es ist die ewige Grundmelodie, der Kanon von Gefhl und Logik. Da uns die biologische Fulguration nicht zur Verfgung steht, mssen wir beides mhsam im demokratischen Konsens zur Vorbereitung des Sprungs ins kalte Wasser zusammenfgen, mit Vertrauen in die Zukunft und das Gute bewahrend. 1.1 Herausforderungen

Der demographische Wandel stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen. Heute sind in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 17 Millionen Menschen lter als 65 Jahre, im Jahr 2030 werden es 22,3 Millionen sein. Wenn die Menschen lnger leben, steigt die Hufigkeit von chronischen Erkrankungen. Die Zunahme chronischer Erkrankungen, aber auch die Vernderung der Altersstruktur fhren zwangslufig zu hheren Ausgaben im Gesundheitswesen. Nach der Meinung von Sachverstndigen hat das deutsche Gesundheitssystem Mngel im Bereich Qualitt und Effizienz - Das Zauberwort Effizienz bedeutet, die vorhandenen Ressourcen optimal auszunutzen. Es hat zwar gut ausgebildete und hochkompetente Leistungserbringer, die Kooperation, Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Personen und Institutionen ist jedoch nicht optimal, nachzulesen im ersten Gutachten 2003 des Sachverstndigenrats fr die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen unter www.svr-gesundheit.de. Das ist die eine Seite der Betrachtung. Die andere stellt sich als gesamtgesellschaftliches Problem dar, das es zu lsen gilt. Wir gehen unzweifelhaft auf eine Scherengesellschaft zu, zweigeteilt in Steuernde und Gesteuerte, Elite und Prekariat, Besitzende und Besitzlose, bevorzugte Privatund IGEL-Patienten gegenber GKV-Patienten. Frher gab es Athener und Nichtfreie, die schlechtbezahlte Serviceleistungen verrichten mussten. Warum wandern viele rzte in die skandinavischen Lnder aus? Es ist eine Frage des Menschen- und Betreuungsbildes, das wir in Deutschland und in unserem Vorbildland USA verloren haben. Dort finden wir beispielhaft in Finnland eine Wissens- und Bildungsgesellschaft in Medizin, Schulen und Universitten, die den Widersinn und Hiatus von egoistischer Freiheit und Innenschau des Einzelnen durch Gemeinschaftssinn, Anerkennung und Integration abgemildert hat. Es schadet nicht, an dieser Stelle einmal hoch zu greifen und an die amerikanische Unabhngigkeitserklrung zu erinnern, die dem Leben, der Freiheit und dem Streben nach Glck absolute Prioritt einrumt. We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life,

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Liberty and the pursuit of Happiness. That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed, That whenever any Form of Government becomes destructive of these ends, it is the Right of the People to alter or to abolish it, and to institute new Government, laying its foundation on such principles and organizing its powers in such form, as to them shall seem most likely to effect their Safety and Happiness. Prudence, indeed, will dictate that Governments long established should not be changed for light and transient causes; and accordingly all experience hath shewn that mankind are more disposed to suffer, while evils are sufferable than to right themselves by abolishing the forms to which they are accustomed. But when a long train of abuses and usurpations, pursuing invariably the same Object evinces a design to reduce them under absolute Despotism, it is their right, it is their duty, to throw off such Government, and to provide new Guards for their future security. Diese zutiefst menschlichen Forderungen sind schon lange nicht mehr in unserer gesellschaftlichen Grundhaltung verankert. Nach dem Scheitern der kommunistischen Wirtschaftsordnungen versuchen wir Deutschen mhsam im mittleren Weg der sozialen Marktwirtschaft die Balance zwischen Sozialismus und rigidem Kapitalismus zu halten. Dies ist nicht gelungen. Natrlich gibt es keinen Weg zurck zum Sozialismus. Es darf aber auch keinen Weg zum neoliberalen Kapitalismus geben, der die Schere zwischen Arm und Reich weiter ffnet. Zu suchen ist der Weg in eine Wissensgesellschaft fr alle, die den Widerspruch zwischen der harten Egokultur und der nicht mehr berlebensfhigen Wohlfhlgesellschaft deutscher Nachkriegsprgung aufhebt. Eine Gesellschaft, die nur auf Effizienz getrimmt wird und nicht ber ihren Tellerrand schaut, wird im Zeitalter der Globalisierung untergehen. Wenn wir unseren Focus mehr auf Effektivitt richten wollen, dann sollten wir vorab definieren, welche Zielgesellschaft wir zusammen erreichen wollen, denn in Krisen geht es in eine andere Richtung und nicht zurck! Wir sind an einem Wendepunkt in Deutschland angekommen. Wenn sicher geglaubte Vorstellungen wie der verlngerte Atomausstieg durch ein Ereignis wie Fukushima sich radikal verndern, dann sollten wir uns auf den Weg machen, weitere Gesellschaftsbereiche wie das Gesundheitssystem neu zu strukturieren. Weg von der versulten und fraktionierten Versorgung der Vergangenheit und hin zur freundschaftlichen, gemeinschaftlichen, einrichtungsbergreifenden und auf Konsens aufgebauten Verantwortungslandschaften fr unsere Patienten. Das bedeutet, dass wir nicht zu einer vergangenen Versorgungskultur zurckkehren knnen. rzte wollen das Beste fr Ihre Patienten, Apotheker und Pflegedienste ebenfalls. Das knnen sie nicht mehr. Unter dem Diktat einer brutalen Effizienzkultur, einer gierigen berlebenskultur und einer falsch verstandenen Wettbewerbskultur, die den Gruppenegoismus vor die gemeinsame Verantwortung fr die gemeinsame Zukunft stellt, ist kaum Besserung zu erwarten. Sowohl die rckwrtsgewandten Komfortzonenanhnger als auch die gewinnorientierten Gierbefrworter stehen einer guten Zukunft Deutschlands im Wege. Wir sollten die Wissensslums beseitigen und im Sinne einer Syntegrierten Verantwortungsstruktur aller im Gesundheitswesen

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Beteiligten in die Zukunft schauen, handeln und einen neues System bauen, das eine breite Gesundheitsbildung allen Brgern vermittelt. Das geht im Sinne von Integrierter Versorgung oder Syntegrierter Verantwortung nur mit Hilfe von eHealth und netzbasierten Anwendungen und wrde uns einen hervorragenden und ethisch einwandfreien Platz in der Weltgemeinschaft sichern. So wie wir die einmalige Chance im Bereich der erneuerbaren Energien fr eine Weltmarktfhrerschaft packen mssen, so haben wir die Pflicht, dies gleichlautend im Feld von eHealth und Telemedizin anzugehen. Wir sollten sofort in der Medizintelematik energisch nach vorne strmen und auf die hchste Ausbaustufe hochfahren unter Bndelung aller Krfte und eine starke Wirtschafts- und Verantwortungskraft zusammen mit der Akzeptanz von lokalen Partnern in Prvention, Diagnostik, Therapie und Pflege entwickeln. Auch wenn die ngstlichen immer dann bremsend wirken, wenn Zukunft zur Debatte steht, mssen wir uns jetzt einigen, wohin wir wollen. Gerade bei eHealth werden viele konstruktive Vorschlge abgelehnt, weil es nicht perfekt und, typisch deutsch, nicht hundertfnfzigprozentig ist. Gerade wir rzte werden so lange in Ambivalenz nach hinten schauen, bis wir, wie immer geschehen, die Zukunft so nehmen mssen, wie sie von anderen gestaltet wird. 1.2 Problemstellungen

Warum brauchen wir in der ambulanten Gesundheitsversorgung Digitalisierung und eine elektronische Gesundheitskarte? Die Frage wurde in den letzten Jahren sehr emotional und kritisch diskutiert. Das vorliegende Buch soll den Beteiligten, vor allem den rzten, einen detaillierten Einblick in die Fakten liefern und bei der Meinungsbildung helfen. Viele rzte fhlen sich aufgrund mangelnder Informationen unsicher, ihre Patientinnen und Patienten kompetent im Hinblick auf die elektronische Verarbeitung ihrer Daten zu beraten. Hier finden sie einen berblick, die Hintergrnde zu diesem komplexen Thema zu verstehen. Bei einem sinnvollen Einsatz von eHealth-Konzepten wie z.B. Telemedizin und Telemonitoring knnen erhebliche Kosten im Gesundheitssystem eingespart werden. Darber hinaus kann durch eHealth die Qualitt und Effizienz der Behandlungsketten deutlich verbessert werden. Nichtsdestotrotz kann eHealth zum Kostentreiber werden, wenn die Technik falsch eingesetzt wird. Um die Telemedizin richtig und effizient zu nutzen, mssen im groen Stil Modellprojekte und Begleitforschung vorangetrieben werden. Dabei gibt es einige Hrden zu berwinden: Die Krankenkassen mssen davon berzeugt werden, dass sie mit eHealth in multiplen Spannungsfeldern Reformanstze der Politik, Gesundheitsfonds, Modernisierung von Finanzierungsund Versorgungsstrukturen Vorteile generieren knnen. rzte mssen berzeugt werden, dass sie ihre Fachkompetenz durch einrichtungsbergreifende Kommunikationsstrukturen nicht verlieren und ihre Freiberuflichkeit und Selbstbestimmung nicht aufgeben. Die Unternehmen mssen davon berzeugt werden, dass ihre innovativen Produkte Marktchancen haben. Die Gesundheitspolitik muss nachhaltige Rahmenbedingungen fr die Implementierung von eHealth in der Selektiv- und Regelversorgung setzen.

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1.3

Aufbau und Zielsetzung des Buches

Um die Kooperation, Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Personen und Institutionen zu verbessern, ist der Einsatz und die Weiterentwicklung technischer Innovationen im Gesundheitswesen unumgnglich. In diesem Zusammenhang wird versucht, den Nutzen von eHealth darzustellen. Ziel des Buches ist die Darstellung von Qualitts- und Effizienzsteigerung durch den Einsatz von telematischen Anwendungen. Einige Vorteile der Gesundheitstelematik werden beispielhaft anhand der Beschreibung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), der elektronischen Patientenakte (ePA) und der elektronischen Gesundheitsakte (eGA) aufgezeigt. In Kapitel 2 zeigt die Arbeit zunchst die Grundlagen von eHealth und der Gesundheitstelematik. Kapitel 3 beschftigt sich mit der elektronischen Gesundheitskarte und den beteiligten Stakeholdern. Angefangen bei der historischen Entwicklung erklrt dieses Kapitel die unterschiedlichen Anwendungen und beschreibt den Nutzen und Effizienz der neuen Karte und geht kurz auf vergleichbare Projekte in den Nachbarlndern ein. Verschiedene Telematikbegriffe werden im 4. Kapitel erklrt. Hierbei wird vor allem auf die elektronische Patientenakte (ePA) und die elektronische Gesundheitsakte (eGA) eingegangen und anhand eines Beispiels dargestellt. Von der Messbarkeit der zu erreichenden Qualitt und Transparenz handelt das 5. Kapitel, das sich mit der evidenzbasierten Medizin (EbM), den Leitlinien, standardisierten Reviews und der Verbindung von evidenzbasierter Medizin (EbM) und Leitlinien auseinandersetzt. Kapitel 6 thematisiert die medizinische Effizienz. Hierbei werden Diesease Management Programme kurz vorgestellt. Eine Steigerung der Effizienz kann beispielsweise durch den Einsatz der eGK, ePA und der eGA erreicht werden. Dies wird im 7.Kapitel beschrieben. Mobile Health, auch als mobile Telemedizin bezeichnet, konzentriert sich in erster Linie auf die mobilen Endgerte, mit denen medizinische Daten und Befunde ber groe Entfernungen elektronisch ausgetauscht und versendet werden knnen. Dieses Thema wird in Kapitel 9 erlutert. Im 10. Kapitel geht es um die Effizienzsteigerung durch den Einsatz des Telemonitorings. Dieses Kapitel wird durch unterschiedliche Anwendungsgebiete von Telemonitoring, wie beispielsweise die Teledermatologie, Telepathologie, Telechirurgie und weitere veranschaulicht. Im Kapitel 11 werden strukturelle Defizite in der medizinischen Versorgungslandschaft beschrieben. Hierbei liegt der Fokus bei niedergelassenen rzten, Kliniken und im Pflegebereich. Der Nutzen der Telematik wird in Kapitel 12 anhand von eGK, Telemonitorings, ePA und eGA nochmals explizit dargestellt. Wir hoffen, dass der Leser einen, wenn auch nur in Ausschnitten thematisierbaren berblick ber Nutzen und Mehrwert der telematischen Anwendungen erhlt.

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Kapitel 13 zeigt einen berblick ber verschiedene Projekte im Bereich der Telemedizin, die in Bayern initiiert wurden. Die Projektinhalte werden kurz dargestellt. Kapitel 14 gibt einen kurzen Ausblick auf das Thema eHealth, in Kapitel 15 knnen alle Literaturquellen nachgelesen werden. Im Anhang, Kapitel 16, wird das Thema Integrierte Versorgungsnetzwerke bentigen eine funktionierende, regionale Telematikinfrastruktur behandelt und gibt Auskunft darber, wie in der Region Ingolstadt ber das Praxisnetz GOIN das Thema Telematik umgesetzt wird. 2. Grundlagen von eHealth und Gesundheitstelematik

Das elektronische Versenden und Verarbeiten von medizinischen Daten stellt hhere Anforderungen als das Versenden einer normalen E-Mail. Medizinische Daten sollten niemals unverschlsselt bertragen werden, damit gewhrleistet wird, dass kein Unbefugter die Daten whrend des Transports einsehen kann. Der Empfnger muss ferner verifizieren knnen, dass die Daten wirklich vom angegebenen Absender stammen, besonders wenn die Informationen als Teil medizinischer Handlungsempfehlung genutzt werden sollen. Die bertragenen Daten sollten maschinenlesbar sein, damit sie der Empfnger nicht nochmals abtippen muss, sondern direkt in das lokale Zielsystem bernehmen kann. Die parallele Verwendung von verschiedenen Programmen fhrt oft zu asynchronen Datenbestnden, die zu Fehlbehandlungen fhren knnen. Arbeiten Leistungserbringer mit einer verteilten Behandlungsdokumentation ist es ferner essenziell, dass die Daten von beiden Seiten einheitlich interpretiert werden, damit Missverstndnisse oder falsche Schlsse ausgeschlossen werden. Hierzu bedarf es bergreifender Konventionen, wie z.B. der Kodierung von Diagnosen nach ICD-10, um ein gemeinsames Verstndnis der Inhalte zu haben. Lsungen verschiedener Hersteller mssen, unter Bercksichtigung der genannten Kriterien, kompatibel sein, da es unwahrscheinlich ist, dass nur Leistungserbringer, die Produkte eines Herstellers nutzen, miteinander kooperieren mchten. Viele Unternehmen drngen in den Gesundheitsmarkt. Es gibt weitreichende elektronische Dienstleistungen, die in verschiedener Form angeboten werden. rzte und Entscheider in Kooperationen wie z.B. Praxisnetzen mssen in der Lage sein, das richtige Produkt und die auf die regionalen Bedrfnisse zugeschnittene Dienstleistung auszuwhlen. Effizienz der Lsung ist dabei ein ebenso wichtiges Thema, wie der Datenschutz. Die staatliche Gesundheitstelematik zielt primr darauf, die digitale Kommunikation im Sinne der vorher genannten Kriterien abzusichern und zu vereinheitlichen. Standardisiert man die Kommunikation, so wird es mglich sein, dass jeder Arzt Daten aus einem elektronischen Arztbrief, einer berweisung oder einem Laborbefund automatisch in sein PVS bernimmt. Die redundante Datenerfassung wird damit weitgehend berflssig, einmal erfasste Daten knnen in Sekundenschnelle ausgetauscht und in verschiedenen Programmen verwendet werden. Das Ausfllen, Bedrucken, Unterschreiben und Versenden von Formularen

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kann damit weitgehend durch digitale Kommunikation ersetzt werden, ohne dass der eigentliche Prozess verndert wird. Das dnische Health Data Network etablierte beispielsweise 1994 eine einheitliche Kommunikationsinfrastruktur zum Datenaustausch zwischen medizinischen Institutionen.1 Drei Jahre nach dem Projektstart konnte die Gewinnzone erreicht werden. Der geschtzte Produktivittsgewinn, gemessen in Reduktion der Kosten pro Nachricht, wird inzwischen auf 97% taxiert. Das Projekt Apoteket eRecept and ePrescribing2 entwickelte ab dem Jahr 2000 in Schweden eine einheitliche Kommunikationsinfrastruktur zur elektronischen Abwicklung von Rezepten. Der Produktivittsgewinn bei Verschreibungen, durch einen durchgehenden Informationsfluss ohne Medienbrche, liegt bei 58%. Auerdem konnte eine Verringerung der Fehlverschreibungen und dosierungen um ca. 15% erreicht werden.

TU Mnchen- Lehrstuhl fr Wirtschaftsinformatik

Da vernetzte Informationssysteme die Gesundheitsversorgung nachweislich verbessern, baut Deutschland gegenwrtig eine Telematikinfrastruktur auf, um elektronische Transaktionen und Datenspeicherung im Gesundheitssystem zu harmonisieren. Die Telematikinfrastruktur stellt die Basistechnik fr das System der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), welche verteilte und heterogene medizinische Praxissysteme ber eine gemeinsame, sichere Infrastruktur miteinander vernetzen soll. Die dienstorientierte Architektur bietet zentrale Speicherund Transaktionsdienste an. Primrsysteme in den medizinischen Institutionen knnen diese in Anspruch nehmen, um miteinander zu interagieren. Der Konnektor, eine dezentrale Komponente in den Arztpraxen, kapselt alle lokalen Aufgaben, wie Verschlsselung und Kartenzugriff, und baut eine sichere Virtual Private Network (VPN) Verbindung zu den zentralen Diensten auf. Einheitliche Spezifikationen sollen1 2

www.MedCom.dk www.e-receptstockholm.se

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ein standardisiertes Sicherheits- und Zugriffsmodell als auch Interoperabilitt gewhrleisten. Bisher wurden einige zentrale und dezentrale Dienste spezifiziert und getestet, die fachliche Anforderungen untersttzen sollen (Fachdienste) oder von der Infrastruktur fr die entsprechenden Anwendungen bentigt werden (Infrastrukturdienste). Die gematik, eine Gesellschaft von Kostentrgern und Leistungserbringern, stellt hierfr in Zusammenarbeit mit Kostentrger- und Leistungserbringerorganisationen sowohl Fachkonzepte, als auch eine Facharchitektur bereit. Die Verarbeitung der Daten ist den Herstellern der Primrsysteme vorbehalten, die in den Institutionen des Gesundheitswesens eingesetzt werden. Die Telematikinfrastruktur ist somit eine Bedingung fr sichere Vernetzung von Leistungserbringern, die, abgesehen von einem freiwilligen Notfalldatensatz, keine Aussage ber die eigentlichen Anwendungen macht. Die Gesundheitskarte und der Heilberufsausweis (HBA) als solche stellen kein Instrument zur staatlichen Sammlung von Daten dar, sie sind vielmehr Infrastrukturkomponenten, denen eine wichtige Rolle bei der Sicherung und Standardisierung der verteilten Datenverarbeitung im Gesundheitswesen zukommen. Den Heilsberufsausweis knnen Sie nutzen um: Sich mit der Karte an einem IT System eindeutig zu authentifizieren Ein Dokument rechtsverbindlich zu signieren Ein Dokument fr einen Kollegen oder einen Patienten zu verschlsseln Ein fr Sie verschlsseltes Dokument zu entschlsseln

Die eGK knnen Patienten nutzen um: Sich mit der Karte an einem IT System zu authentifizieren Versichertenstammdaten elektronisch weiterzugeben Freiwillig einen Notfalldatensatz auf der Karte speichern zu lassen Freiwillig eine Erklrung zur Organspende auf der Karte speichern zu lassen Daten fr einen Arzt zu verschlsseln

Die Karten werden ber einen Kartenleser angesprochen, der ber einen Konnektor mit dem Praxissystem und den zentralen Diensten verbunden ist. Das folgende Beispiel zeigt, in vereinfachter Form, wie Daten ber die Telematikinfrastruktur ausgetauscht werden knnen:

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TU Mnchen- Lehrstuhl fr Wirtschaftsinformatik

Der Sender exportiert relevante Daten aus seinem lokalen System, berfhrt sie in ein standardisiertes digitales Formular und signiert die Daten mit dem HBA (1). Das Dokument wird fr einen Empfnger verschlsselt (2), der Sender authentifiziert sich am Zielsystem und bermittelt die ber eine Schnittstelle, auch Dienst genannt, an einen zentralen Server (3). Dort liegen verschlsselte Datenpakete fr den Empfnger bereit (4), wo sie nur von dem vorgesehen Adressaten abgerufen werden knnen (5). Der Empfnger entschlsselt das Dokument mit HBA oder eGK und bertrgt die Daten in das Zielsystem (6). Vorher kann die Integritt der Signatur verifiziert werden. Potentielle Dokumente, die so ausgetauscht werden knnen, sind beispielsweise elektronische Arztbriefe (eArztbrief), Verordnungen, Abrechnungsdaten, berweisungen, Krankenhauseinweisungen oder Arbeitsunfhigkeitsbescheinigungen. Bei diesem Ansatz werden Daten von dem zentralen Server gelscht, sobald sie vom Adressaten abgerufen wurden. Es ist auch mglich, Daten permanent auf einem zentralen Server vorzuhalten. Mchte man eine zentrale Patientenakte realisieren, so werden die Patientendaten lngerfristig gespeichert und knnen von autorisierten Leistungserbringern jederzeit abgerufen und im Praxissystem entschlsselt und angezeigt werden. Das Meinungsbild der rzte zur zentralen Speicherung im Praxisnetz GO IN (Praxisnetz in der Region Ingolstadt, siehe www.goin.info) stellt sich folgendermaen dar:

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0,60 0,50 0,40 0,30 0,20 0,10 0,00 0,25 0,25 0,18 0,12 0,07 0,06 0,02 0,02 0,03 0,53

Kassenrztlichen Vereinigung

Bundesrztekammer

Gesundheitsbehrden

Berufsverbnde (Haus- und Facharzt)

Krankenkassen

Private Firmen

Ich wrde am ehesten folgender Institution Patientendaten fr zentrale Speicherung und Austausch unter Medizinern anvertrauen:

Die Infrastruktur ist keine Entscheidung fr einen zentralen oder einen dezentralen Ansatz. Die eGK und die Telematikinfrastruktur ermglichen grundstzlich beide Anstze. Jeder Arzt sollte sich eine Meinung bezglich der Vorteile beider Anstze bilden. Denn sie sehen anhand der Ergebnisse der Umfrage, dass eine zentrale Speicherung rztlicherseits kritisch betrachtet wird. Eine zentrale Patientenakte: Vorteile: Alle Nutzer greifen auf eine zentrale Akte zu. Die Darstellung der medizinischen Historie ist fr alle behandelnden rzte einheitlich, da eine Anzeigekomponente von zentraler Stelle spezifiziert werden kann. Die Akte befindet sich an einem zentralen Ort, wird also in der Regel auf einem Server betrieben, auf den verschiedenen Leistungserbringern Zugriff gewhrt werden kann. So gibt es nicht die Gefahr von asynchronen Informationen, alle behandelnden rzte haben den gleichen Wissensstand ber einen Patienten. Die Daten knnen einfach zentral gesichert werden, die Gefahr von Datenverlusten ist minimal. Nachteile: Erlangt ein Unbefugter Zugriff auf die zentrale Patientenakte, so hat er theoretisch die Mglichkeit alle Daten einzusehen. Im Falle der deutschen Telematik wre es hierfr notwendig, sich sowohl die Karte einer autorisierten Person zu beschaffen, als auch die PIN zur Entschlsselung der Daten. Der Ausfall der Infrastruktur kann dazu fhren, dass Daten temporr nur eingeschrnkt oder gar nicht verfgbar sind. Ferner

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Keine zentrale Speicherung

Keine Angabe

rztenetze

Andere

besteht die Gefahr einer Datenflut, bei der Einsicht in die zentrale Akte. Fachrzte mssen so Daten heraussuchen, die fr ihren Behandlungsfall relevant sind. Gerade bei hoher Fallzahldichte kann dies dazu fhren, dass die Akte nicht zu Rate gezogen wird.

Beispiel einer zentralen Patientenakte (Massachusetts General Hospital)

Ein dezentraler Telematikansatz: Vorteil: Es werden keine Daten an einem zentralen Ort vorgehalten. Die Daten werden in einem so genannten Austauschformat von einem Leistungserbringer ber einen Austauschserver zum nchsten verschickt. So kann beispielsweise der Hausarzt die Daten fr den Facharzt filtern, da dieser nicht die gesamte Historie des Patienten bentigt. Jeder verschickte Datensatz kann von seinem Absender signiert werden und die Urheberschaft nachvollzogen werden. Erlangt ein unbefugter Zugang zu einem Austauschserver, so knnen nur Daten, die noch nicht abgerufen wurden, entwendet werden. Nachteile: Die Dokumente sind nicht in jedem Falle synchron. Wird die gesamte Medikation eines Patienten in einer zentralen Akte vorgehalten, so knnen mgliche Arzneimittelinteraktionen direkt abgeglichen werden. Werden die Daten zwischen Leistungserbringern ausgetauscht, so ist die Vollstndigkeit und Aktualitt nicht gewhrleistet. Ferner muss die Kommunikation geregelt werden, etwa mit

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vorgefertigten Formularen, damit ein standardisierter Verarbeitungsprozess erreicht werden kann.

Bereitstellung medizinischer Daten in einem Austauschformular (TU Mnchen)

Die Telematikinfrastruktur hat bisher noch keine zentralen Fachdienste, abgesehen vom Stammdatenabgleich der Krankenversicherungen, geplant. Es knnen dennoch mit geringem Aufwand regionale Dienste, sogenannte regionale Mehrwertdienste, etabliert werden, die es einem Praxissystem ermglichen, Notdienste, Termine oder andere Daten dezentral zu verarbeiten. 3. 3.1 Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) Historische Entwicklung

Die elektronische Gesundheitskarte wird die bisher von den Krankenkassen ausgegebene Krankenversichertenkarte ablsen.3 Fr dieses ehrgeizige Projekt mssen bundesweit fr circa 80 Millionen Versicherte, 270.000 niedergelassene und stationr ttige rzte, 21.000 Apotheken, ber 2.200 Krankenhusern, mehr als 130 Krankenkassen und die sonstigen Erbringer rztlich verordneter Leistungen die

3

www.baymatik.de

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Voraussetzungen geschaffen ausgetauscht werden knnen.4

werden,

dass

Daten

elektronisch

zeitgleich

gematik Schulung Anwendertest

Die Anforderungen an ein modernes Gesundheitswesen wachsen stetig. Hierbei stehen die Wirtschaftlichkeit, Qualitt und Transparenz der Behandlung im Vordergrund.5 Die Gesundheitskarte und die Telematikinfrastruktur sind fr alle Nutzer wichtige Instrumente, um diese Ziele zu erreichen, denn sie schaffen vereinfachte Verwaltungsablufe ermglichen eine hohe Verfgbarkeit medizinischer Informationen und strken den Datenschutz und die Datensicherheit im Gesundheitswesen

Versicherter, Arzt, Apotheker oder Krankenkasse als knftige Nutzer profitieren von den Vorteilen der Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur. Fr den Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der vertragsrztlichen Versorgung sowie fr die Abrechnung mit den Leistungserbringern ist bisher die seit 1995 eingefhrte Krankenversicherungskarte (KVK) zu verwenden.6 Die Gesundheitskarte hat ihre Grundlage in dem GKVModernisierungsgesetz vom 14.11.2003, sie soll die Krankenversicherungskarte ersetzen und in ihrer Funktion als Schlssel fr unterschiedliche Anwendungen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen.

4 5

www.gematik.de http://www.gematik.de/cms/de/egk_2/ziele/ziele_1.jsp 6 291 SGB V

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Durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.07.2004 wurde der 291a SGB V eingefgt: Die Krankenversichertenkarte nach 291 Abs. 1 wird bis sptestens zum 1. Januar 2006 zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit, Qualitt und Transparenz der Behandlung fr die in den Abstzen 2 und 3 genannten Zwecke zu einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert. Am 16.09.2005 kam die Ankndigung des BMG (Bundesministerium fr Gesundheit) an die Geschftsfhrung der gematik mbH, die Beschlsse der Gesellschafterversammlung durch eine Rechtsverordnung zu ergnzen. Durch die Verffentlichung der Rechtsverordnung zur Durchfhrung der Testphase der elektronischen Gesundheitskarte im Bundesanzeiger am 08.11.2005 wurde die inhaltliche Ausgestaltung des Aufbaus der Telematikinfrastruktur, der Spezifikation der eGK und die Durchfhrung der Testmanahmen bestimmt. Die Festlegung der Testkriterien und die Auswahl der Testregionen erfolgten ber das BMG. Im Jahre 2006 und 2009 wurde diese Rechtsverordnung durch nderungsverordnungen jeweils modifiziert und angepasst. Wer die historischen Zusammenhnge studieren mchte, dem bietet die Webseite der gematik www.gematik.de eine reiche Fundgrube an Informationen. In der 26. Gesellschafterversammlung der gematik am 19.04.2010 haben die Gesellschafter beschlossen, ein Projektleitermodell einzurichten und dabei folgende Projekte zu bearbeiten: Basis-Telematikinfrastruktur (Basis-TI) in der Verantwortung des GKVSpitzenverbandes und der Kassenrztlichen Bundesvereinigung Notfalldatenmanagement in der Verantwortung der Bundesrztekammer Versichertenstammdatenmanagement in Verantwortung des GKVSpitzenverbandes und Adressierte Kommunikation der Leistungserbringer in der Verantwortung der Kassenrztlichen Bundesvereinigung Eine weitere Einigung betrifft die Verbesserung der Entscheidungsstrukturen. In Zukunft wird bei strittigen Entscheidungen Herr Staatssekretr a. D. Dr. Klaus Theo Schrder, der von den Gesellschaftern benannt worden ist, als Schlichter zwischen den unterschiedlichen Interessen vermitteln. Gesetzliche Grundlagen: 291a SGB V (1) Die Krankenversichertenkarte nach 291 Abs. 1 wird bis sptestens zum 1. Januar 2006 zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit, Qualitt und Transparenz der Behandlung fr die in den Abstzen 2 und 3 genannten Zwecke zu einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert. (2) Die elektronische Gesundheitskarte hat die Angaben nach 291 Abs. 2 zu enthalten und muss geeignet sein, Angaben aufzunehmen fr 1. die bermittlung rztlicher Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form sowie

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2.

den Berechtigungsnachweis zur Inanspruchnahme von Leistungen im Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. EG Nr. L 149 S. 2) und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. Mrz 1972 ber die Durchfhrung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. EG Nr. L 74 S. 1) in den jeweils geltenden Fassungen. 6c des Bundesdatenschutzgesetzes findet Anwendung. (3) ber Absatz 2 hinaus muss die Gesundheitskarte geeignet sein, folgende Anwendungen zu untersttzen, insbesondere das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von 1. medizinischen Daten, soweit sie fr die Notfallversorgung erforderlich sind, 2. Befunden, Diagnosen, Therapieempfehlungen sowie Behandlungsberichten in elektronischer und maschinell verwertbarer Form fr eine einrichtungsbergreifende, fallbezogene Kooperation (elektronischer Arztbrief), 3. Daten einer Arzneimitteldokumentation, 4. Daten ber Befunde, Diagnosen, Therapiemanahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen fr eine fall- und einrichtungsbergreifende Dokumentation ber den Patienten (elektronische Patientenakte), 5. durch von Versicherten selbst oder fr sie zur Verfgung gestellte Daten sowie 6. Daten ber in Anspruch genommene Leistungen und deren vorlufige Kosten fr die Versicherten ( 305 Abs. 2). Sptestens bei der Versendung der Karte hat die Krankenkasse die Versicherten umfassend und in allgemein verstndlicher Form ber deren Funktionsweise, einschlielich der Art der auf ihr oder durch sie zu erhebenden, zu verarbeitenden oder zu nutzenden personenbezogenen Daten zu informieren. Mit dem Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten der Versicherten nach diesem Absatz darf erst begonnen werden, wenn die Versicherten jeweils gegenber dem Arzt, Zahnarzt oder Apotheker dazu ihre Einwilligung erklrt haben. Die Einwilligung ist bei erster Verwendung der Karte vom Leistungserbringer auf der Karte zu dokumentieren; die Einwilligung ist jederzeit widerruflich und kann auf einzelne Anwendungen nach diesem Absatz beschrnkt werden. 6c des Bundesdatenschutzgesetzes findet Anwendung. Die Spitzenverbnde der Krankenkassen vereinbaren mit der Kassenrztlichen Bundesvereinigung, der Kassenzahnrztlichen Bundesvereinigung, der Bundesrztekammer, der Bundeszahnrztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie der fr die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten mageblichen Spitzenorganisation der Apotheker auf Bundesebene das Nhere ber Inhalt und Struktur fr die Bereitstellung und Nutzung der Daten nach Satz 1. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums fr Gesundheit und Soziale Sicherung. Vor Erteilung der Genehmigung ist dem Bundesbeauftragten fr den Datenschutz Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

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Kommt eine Vereinbarung nach Satz 6 nicht innerhalb einer vom Bundesministerium fr Gesundheit und Soziale Sicherung gesetzten Frist zu Stande, bestimmt dieses nach Anhrung der Beteiligten ihren Inhalt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. (4) Zum Zwecke des Erhebens, Verarbeitens oder Nutzens mittels der elektronischen Gesundheitskarte drfen, soweit es zur Versorgung der Versicherten erforderlich ist, auf Daten 1. nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ausschlielich a) rzte, b) Zahnrzte, c) Apotheker, d) sonstiges pharmazeutisches Personal und das sie untersttzende Apothekenpersonal sowie e) Sonstige Erbringer rztlich verordneter Leistungen, 2. nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 ausschlielich a) rzte b) Zahnrzte, c) Apotheker, d) nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 in Notfllen auch Angehrige eines anderen Heilberufs, der fr die Berufsausbung oder die Fhrung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, zugreifen. Die Versicherten haben das Recht, auf die Daten nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 zuzugreifen. (5) Das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der elektronischen Gesundheitskarte in den Fllen des Absatzes 3 Satz 1 ist nur mit dem Einverstndnis der Versicherten zulssig. Durch technische Vorkehrungen ist zu gewhrleisten, dass in den Fllen des Absatzes 3 Satz 1 Nr. 2 bis 6 der Zugriff nur durch Autorisierung der Versicher- ten mglich ist. Der Zugriff auf Daten sowohl nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 als auch nach Absatz 3 Satz 1 mittels der elektronischen Gesundheitskarte darf nur in Verbindung mit einem elektronischen Heilberufsausweis, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 1 auch in Verbindung mit einem entsprechenden Berufsausweis, erfolgen, die jeweils ber eine qualifizierte elektronische Signatur verfgen; im Falle des Absatzes 3 Satz 1 Nr. 5 knnen die Versicherten auch mittels einer eigenen Signaturkarte, die ber eine qualifizierte elektronische Signatur verfgt, zugreifen. Zugriffsberechtigte Personen nach Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe d und e sowie Nr. 2 Buchstabe d, die ber keinen elektronischen Heilberufsausweis oder entsprechenden Berufsausweis verfgen, knnen auf die entsprechenden Daten zugreifen, wenn sie hierfr von Personen autorisiert sind, die ber einen elektronischen Heilberufsausweis oder entsprechenden Berufsausweis verfgen, und wenn nachprfbar elektronisch protokolliert wird, wer auf die Daten zugegriffen hat und von welcher Person die zugreifende Person autorisiert wurde. Der Zugriff auf Daten nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 mittels der elektronischen Gesundheitskarte kann abweichend von den Stzen 3 und 4 auch erfolgen, wenn die Versicherten den jeweiligen Zugriff durch ein geeignetes technisches Verfahren autorisieren.

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(6) Daten nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 3 Satz 1 mssen auf Verlangen der Versicherten gelscht werden; die Verarbeitung und Nutzung von Daten nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 fr Zwecke der Abrechnung bleiben davon unberhrt. Durch technische Vorkehrungen ist zu gewhrleisten, dass mindestens die letzten 50 Zugriffe auf die Daten nach Absatz 2 oder Absatz 3 fr Zwecke der Datenschutzkontrolle protokolliert werden. Eine Verwendung der Protokolldaten fr andere Zwecke ist unzulssig. Die Protokolldaten sind durch geeignete Vorkehrungen gegen zweckfremde Verwendung und sonstigen Missbrauch zu schtzen. (7) Die Spitzenverbnde der Krankenkassen, die Kassenrztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnrztliche Bundesvereinigung, die Bundesrztekammer, die Bundeszahnrztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie die fr die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete magebliche Spitzenorganisation der Apotheker auf Bundesebene vereinbaren die Schaffung der, insbesondere fr die Einfhrung der elektronischen Gesundheitskarte, des elektronischen Rezeptes und der elektronischen Patientenakte, erforderlichen Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur. Die Vereinbarung bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums fr Gesundheit und Soziale Sicherung. Vor Erteilung der Genehmigung ist dem Bundesbeauftragten fr den Datenschutz Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Kommt eine Vereinbarung nach Satz 1 nicht innerhalb einer vom Bundesministerium fr Gesundheit und Soziale Sicherung gesetzten Frist zu Stande, bestimmt dieses nach Anhrung der Beteiligten ihren Inhalt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates. (8) Vom Inhaber der Karte darf nicht verlangt werden, den Zugriff auf Daten nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 oder Absatz 3 Satz 1 anderen als den in Absatz 4 Satz 1 genannten Personen oder zu anderen Zwecken als denen der Versorgung der Versicherten, einschlielich der Abrechnung der zum Zwecke der Versorgung erbrachten Leistungen, zu gestatten; mit ihnen darf nicht vereinbart werden, Derartiges zu gestatten. Sie drfen nicht bevorzugt oder benachteiligt werden, weil sie einen Zugriff bewirkt oder verweigert haben. Das "Gesetz zur nderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften" (GKV-nderungsgesetz) ist in Kraft getreten. Unter anderem wurde damit nach 291 Absatz 2a SGB V folgender Absatz 2b eingefgt: Die Krankenkassen sind verpflichtet, Dienste anzubieten, mit denen die Leistungserbringer die Gltigkeit und die Aktualitt der Daten nach Absatz 1 und 2 bei den Krankenkassen online berprfen und auf der elektronischen Gesundheitskarte aktualisieren knnen. Diese Dienste mssen auch ohne Netzanbindung an die Praxisverwaltungssysteme der Leistungserbringer online genutzt werden knnen. Die an der vertragsrztlichen Versorgung teilnehmenden rzte, Einrichtungen und Zahnrzte prfen bei der erstmaligen Inanspruchnahme ihrer Leistungen durch einen Versicherten im Quartal die Leistungspflicht der Krankenkasse durch Nutzung der Dienste nach Satz 1. Dazu ermglichen sie den Online-Abgleich und die Aktualisierung der auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten

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nach Absatz 1 und 2 mit den bei der Krankenkasse vorliegenden aktuellen Daten. Die Prfungspflicht besteht ab dem Zeitpunkt, ab dem die Dienste nach Satz 1 sowie die Anbindung an die Telematikinfrastruktur zur Verfgung stehen und die Vereinbarungen nach 291a Absatz 7a und 7b geschlossen sind. 15 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden. Die Durchfhrung der Prfung ist auf der elektronischen Gesundheitskarte zu speichern. Die Mitteilung der durchgefhrten Prfung ist Bestandteil der an die Kassenrztliche oder Kassenzahnrztliche Vereinigung zu bermittelnden Abrechnungsunterlagen nach 295. Die technischen Einzelheiten zur Durchfhrung des Verfahrens nach Satz 2 bis 5 sind in den Vereinbarungen nach 295 Absatz 3 zu regeln. 3.2 Allgemeines

uerlich unterscheidet sich die elektronische Gesundheitskarte besonders durch das Foto des Versicherten auf der Kartenvorderseite von der bisherigen Krankenversicherungskarte und auf der Kartenrckseite der eGK ist die Europische Krankenversicherungskarte (EHIC) aufgedruckt. Im Inneren ist die neue elektronische Gesundheitskarte von der Krankenversicherungskarte vllig verschieden. Die KVK ist nur eine Speicherkarte, die neue eGK verfgt ber einen Mikroprozessor. Auf ihrem Mikroprozessor knnen Informationen sicher abgelegt werden, die Unbefugte selbst mit modernsten Hilfsmitteln zum heutigen Zeitpunkt nicht lesen oder gar kopieren knnen. Nur dann, wenn der Versicherte seine korrekte sechsstellige PIN an einem Kartenterminal eingibt oder sich ein Arzt oder Apotheker mit seinem Heilberufsausweis gegenber dem Versicherten identifiziert, gibt der Chip seine Informationen preis. Fr einen Einsatz im Gesundheitswesen muss der Chip ein Prfverfahren beim Bundesamt fr Sicherheit in der Informationstechnik absolvieren, in dem er diese Sicherheitseigenschaften erfolgreich unter Beweis stellt. Zum Vergleich: Die Krankenversichertenkarte ist eine reine Speicherkarte. Ihre Informationen knnen mit einfachen Mitteln kopiert, gelscht oder auch manipuliert werden, da sie keinerlei Schutzmechanismen bietet.7

7

http://www.gematik.de/cms/de/egk_2/egk_3/egk_2.jsp

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eGK-Vorderseite

eGK-Rckseite

Durch das Lichtbild auf der Vorderseite der eGK soll Missbrauch verhindert werden, welcher dadurch entsteht, dass Unberechtigte ber die Karte eines Anderen Leistungen in Anspruch nehmen. Die elektronische Gesundheitskarte ist unterteilt in verpflichtende und freiwillige Anwendungen8. Die Pflichtanwendungen sind fr alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen verbindlich. Zu den verpflichtenden Anwendungen gehren die administrativen Daten und die Verwendung der Europschen Krankenversicherungskarte (EHIC). Die administrativen Daten sind Angaben zur Person der Versicherten (Name, Anschrift und Geburtsdatum) sowie Angaben zur Krankenversicherung wie die neue Krankenversicherungsnummer, der persnliche Zuzahlungsstatus und der Versichertenstatus. ber die Nutzung der freiwilligen Anwendungen entscheiden Versicherte ganz allein. Die Speicherung der freiwilligen Anwendungen darf und kann nur mit Einwilligung der Versicherten erfolgen. Zu den freiwilligen Anwendungen nach SGB V 291a gehren beispielsweise:8

http://www.gematik.de/cms/de/egk_2/anwendungen/anwendungen_1.jsp):

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Daten fr die Notfallversorgung (Notfalldaten) Elektronischer Arztbrief (eArztbrief) Daten zur Prfung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) Elektronische Patientenakte (ePatientenakte) Elektronisches Patientenfach Elektronische Patientenquittung

Mit der Einfhrung der elektronischen Gesundheitskarte ist auch der elektronische Arztausweis (HBA) zwingend erforderlich geworden, denn nur ber diesen knnen die vielfltigen Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte auch genutzt werden.9 Mit Hilfe des elektronischen Arztausweises kann der Arzt auf die Patientendaten der elektronischen Gesundheitskarte zugreifen, elektronische Dokumente rechtsgltig signieren und fr den Versand ber Datenleitungen sicher verschlsseln. Dadurch werden Telematikanwendungen wie das elektronische Rezept und der elektronische Arztbrief realisierbar. Der elektronische Arztausweis dient des Weiteren als Sichtausweis (durch Aufdruck des Namens und ein Lichtbild). Die Landesrztekammern sind verantwortlich fr die Herausgabe der elektronischen Arztausweise.10

Arztausweis: http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.134.3416

Im Bereich Bayern wurden elektronische Arztausweise bereits an die Testrzte ausgegeben. In Nordrhein wurde eine grere Anzahl an rzten mit dem HBA ausgestattet. Die rzte knnen nicht nur ihre Quartalsabrechnungen digital an die KV bermitteln, sondern unterzeichnen die Gesamtaufstellung mit dem eArztausweis der rztekammer, also eine komplett papierlose Abrechnung mit beweiskrftiger digitaler Unterschrift. Mittlerweile haben weitere Kammern das Verfahren zur Ausgabe in Angriff genommen. Basis des Antrags- und Ausgabeverfahren ber die rztekammern ist ein Rahmenvertrag der Bundesrztekammer. Laut Bundesrztekammer

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http://www.bundesaerzte-kammer.de/page.asp?his=1.134.3416 http://www.bundesaerztekammer.de/

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ist der elektronische Arztausweis ein Ausweis der rzteschaft, der fr die arztinterne Kommunikation wichtig ist. Der Arzt beantragt seinen eArztausweis bei seiner zustndigen Landesrztekammer ber ein in der Regel online zur Verfgung gestelltes Formular, das er ausdruckt und hndisch unterschreibt. Danach whlt er sich einen Dienstleister, welcher den eArztausweis produziert und personalisiert. Wichtig ist der Identifizierungsschritt, der gewhrleistet, dass derjenige der den eArztausweis beantragt, auch derjenige ist, der er vorgibt zu sein. Die meisten rztekammern bieten als Mglichkeiten hierzu das PostIdent-Verfahren oder das KammerIdent-Verfahren. Nach der Identifizierung und Dienstleister-Auswahl wird der neue eArztausweis per Post zugestellt. Das Ausgabeverfahren wird noch weiter zu evaluieren sein, bevor es flchendeckend umgesetzt wird. Ist ein eArztausweis abgelaufen oder muss er ausgetauscht werden, ist dank elektronischer Signatur auf dem eArztausweis keine eigenhndige Unterschrift und erneute Identittsprfung mehr ntig. 3.3 gematik

Die Spitzenverbnde des Gesundheitswesens beschlossen im Jahre 2002 eine gemeinsame Vorgehensweise zur Einfhrung der elektronischen Gesundheitskarte, die 2004 in das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wurde. Fr die Konzeption der Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur , die Zulassung von Komponenten und den Betrieb wurde am 11. Januar 2005 die gematik gegrndet.11 Die gematik ist fr verschiedene Aufgaben bei der Einfhrung der Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur zustndig. Dabei stehen drei Kernkompetenzen: Konzipieren, Zulassen und Betriebsverantwortung im Vordergrund. Von groer Relevanz sind stets die Interessen der Patienten hinsichtlich des Datenschutzes und das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Versicherten.12 Die Gesellschafter der gematik sind die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer und Kostentrger im deutschen Gesundheitswesen. Seit dem 01.07.2008 hat die gematik folgende Gesellschafterstruktur.13 11 12

Bundesrztekammer / Arbeitsgemeinschaft der deutschen rztekammer Bundeszahnrztekammer

http://www.gematik.de/cms/de/gematik/unternehmensorganisation/historie_1/historie_1.jsp http://www.gematik.de/cms/de/gematik/ kompetenzen/kompetenzen_1.jsp 13 www.gematik.de/cms/de/startseite/index.jsp

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DAV - Deutscher Apothekerverband e.V. Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. GKV-Spitzenverband Kassenrztliche Bundesvereinigung Kassenzahnrztliche Bundesvereinigung Verband der privaten Krankenversicherung

Im April 2010 haben die Spitzenverbnde im Gesundheitswesen als Gesellschafter der gematik nach einer umfassenden, von Seiten der Bundesregierung angeordneten Bes