du mußt der lambo sein

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  • 8/9/2019 Du mut der Lambo sein

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    du

    musst

    der

    lambo

    sein.

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    Anknpfung an den Vortrag

    Schnes, Gutes, Wahres einmal anders: Mythos Topform und das

    Ideal des Kaputten, den Wagner anlsslich des Werkbundtags

    2007 im ZKM Karlsruhe gehalten hatte und der in der Doku-

    mentation Von der Guten Form zum Guten Leben 100 Jahre

    Werkbund verffentlicht ist.

    Schwerpunkte des Beitrags

    Das Schne, Gute, Wahre & Selber machen Poetiken des Augen-

    blicks, diesseits von Dogma (fertige Wahrheit) und Konsum (xe

    Ware) geht es um das gefhlte Wissen, ein leibhaftiges Knnen,

    um KrPerformancen, die ein Gegen- oder Ergnzungsmodell zum

    reektorischen Ich zwischen den Ohren darstellen.

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    REFLEXIONReflexion auf beides heit, einem kaum beachteten Zusammen-hang auf den Leib zu rcken, dem Kommerz.Konkret: dass der polemisch besetzte Begriff hedonistischer

    Achtlosigkeit, Gier, Umweltzerstrung usw. vom lateinischen

    commercium admirabile kommt, der wundersamen Verwandlung

    Gottes ins Menschsein Jesu von Nazareth, wie es dieses Weih-

    nachtslied Lobt Gott ihr Christen alle gleich besingt und all

    die wundersamen Verwandlungen, wie wir sie heute in 1001

    Konsumwundern erleben, die allesamt ein profanes Glcks- oder

    Heilsversprechen, die theologischen Mucken und metaphysischen

    Spitzndigkeiten, so Marx ber den Fetischcharakter der Ware, mit

    sich bringen unsere liebsten Illusionen halt.

    All dieser glamourse Krimskrams scheint das Opium fr uns Insas-

    sen einer ausweglos verdichteten Immanenz zu sein. Alles scheint

    dicht, hermetisch.

    Wie Herr Dr. Gschel schon fast alles gesagt hat eben: Flle ber

    Flle allerorten wer rettet die Leere, den Hunger vor all den An-

    geboten? Und wie knapp ist die freie Zeit, der freie Raum, wo noch

    nichts entschieden oder verplant ist?

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    Wenn ich kurz biographisch sein darf. Ich bin ja in einer Garten-

    stadtaufgewachsen, ohne zu wissen, dass mich hier die Wirkungs-

    geschichte des Werkbundes in der Falkenheim-Siedlung im

    Nrnberger Sden am Alten Kanal geprgt hat. Dieses Geecht an

    Leutseligkeit eben jener Nachkriegsgeneration(en), also Eltern und

    Groeltern in einem Haus, die sich allesamt ihre Siedlungshuslein

    selber gebaut hatten, eine Jede und ein Jeder sich mit dem ein-

    brachte, was er an handwerklichem Knnen oder sonst wie beitra-

    gen konnte..., und wo, um an Dr. Gschel anzuschliessen, nicht alle

    alles, sondern ein jeder Haushalt was Bestimmtes an Ausstattung,

    Werkzeug, Apparatur oder Gertschaften oder auch Beziehungen,

    Verbindungen, Kenntnisse und Knowhow usw. hatte, was dann je-

    weils untereinander abgerufen und zum Einsatz gebracht wurde. Es

    gab, um es ganz konkret und darin absolut metaphorisch zugleich

    zu sagen, wohl Besitz und Grundstcke, aber keine Zune zwischen

    den Grten.

    Das nderte sich mit wachsendem Wohlstand sprbar:

    Erst seit den 70er Jahren ist die Abgrenzung in Wohngebieten

    durch Zune, Hecken und Mauern zu beobachten. Auch das ge-

    meinsame Benutzen von Werkzeug u. . wird seltener, stattdessen

    kauft und hat schlielich jeder alles selbst, d. h. der Konsum fngt

    an, demonstrativ zu werden (Thorstein Veblen, Pierre Bourdieu), in

    bestimmten Formen beginnt das Haben das Leben zu dominieren

    und eine leutselige Nhe, wenn nicht zu vernichten so doch zu

    verndern nicht selten begannen Leute sich zu siezen nachdem

    sie sich Jahrzehnte geduzt hatten. Neben dem Wohnen, Herr Dr.

    Gschel hat es wunderbar przise und atmosphrisch in seiner

    Heute haben daher wohl vor allem groe konzeptionelle, institutio-

    nelle Vereinigungen oder Systeme wie Parteien, Gewerkschaften,

    Armeen, Kirche, und eben in etwa auch der Werkbund, Schwierig-

    keiten, neue Mitglieder zu gewinnen, als Kollektivkrperschaften

    fr einzelne Krperformancen attraktiv zu erscheinen. Je weniger

    Akzeptanz solche corporate identities nach auen erfahren, desto

    mehr Selbstversicherung suchen sie nach innen, extreme Binnen-

    vergewisserung, wasserdichte Loyalitten, hyperauthentisches

    Gebaren, Stichwort Wiedererkennbarkeit als Prolambition...

    Dazu gibt es viele Grnde, eine hchst komplexe Alltagswelt,

    wo wir durch verschiedenste Systeme sausen, in differenten Leb-

    enswelten zuhause oder obdachlos sind, vernetzt oder ambulant,

    und durch allzu viele Verpichtungen eines zunehmend allseits

    betreuten Daseins, die sog. systemischen Imperative eben, vor

    allem merken, wie knapp wichtige, libidins durchrankte Res-

    sourcen sind:

    Aufmerksamkeit, Zeit und Raum , also alles, was man in einer

    Fundamentalontologie der Hilfsverben um sollen, mssen, knnenund wollen besonders mitdrfen konnotieren mag.

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    Groteske beschrieben, hat sich vor allem die Arbeitswelt radikal

    verndert. Eine in Jahreszeiten und Naturrhythmen eingebettete,

    sich selber zielfhrend, also auf sinnlich anschauliche Erfl-

    lung hin ordnende, transparent und schier musisch strukturierte

    Arbeit(swelt) gibt es nicht oder kaum mehr.

    Auch die Kommunikation erfolgt immer seltener im direkten

    Gegenber, sondern im Kontakt mit einer technisch kontaktierten

    Ferne verstummt eine leibhaftig erreichbare Nhe, zugunsten einer

    beliebig organisierbaren Virtualitt an Kommunikation. Dabei

    speisen sich sichtlich viele Themen, wenn ich heute die Gesprche

    im Zug memoriere, eher aus nicht selber erlebten, sondern nur

    sekundr vermittelten Sensationen, d. h. aus den Medienwelten.

    Was aber ist den Menschen selber existenziell, intim, brennt ihnen

    auf der Haut, macht ihre Erfahrungen aus?

    Man knnte summarisch angesichts der Legionen uerer Reize

    und Aufmerksamkeitsagenten, die auf uns tglich, ja stndlich

    oder sekndlich einprasseln, fragen:Was wollte ich, bevor ich musste, und was konnte ich,

    als ich noch durfte?

    mssen

    VS.

    drfen

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    So knnte ich jetzt von einer singulren Tagung von Schlern fr

    Schler bei uns an der Ev. Akademie Tutzing berichten, wo ber

    100 GymnasiastInnen unsere Erwachsenenwelt als hermetische

    beschrieben, in der alles schon x und fertig (Dogma und Kon-

    sum), also kein Platz sei fr eigene kreative Prozesse, Freirume,

    Spielrume, sondern letztlich der Imperativ des Wachstum weiter

    so herrsche Reproduktion des Immergleichen statt Nichtiden-

    tisches, Neues ausprobieren (so frei nach Adorno).

    Das war auch in meiner Jugend so, vom Pietkong, einem end-

    zeitlichen Pietismus verwandtschaftlicherseits umzingelt, dem alles,

    was uns Sinnenglck war, als Snde erschien: z. B. Roller fahren,

    Fuball spielen, Bluesmusik machen, von Verliebtheiten, Flirt und

    Sexualitt ganz zu schwiegen. So haben wir Billy Graham 1970

    gehrt, aber zugleich Fuball gespielt in Puma und Adidas, Gitarre

    gebt mit Jimi Hendrix oder Rory Gallagher aus dem Plattenspieler

    und sind mit Papas Bellaroller durch die Nacht gebrettert, waren

    verliebt und haben geksst, hingelangt und mussten manchen

    Korb erleiden, und laborierten daran: Wer nicht kriegt was er will,muss wollen, was er kriegt.. Ich kann das nur andeuten, diese

    Passionen, dieses Ensemble von Machen, dem sinnlichen Materiale

    und dem Aufkommen von Reexion, Bewertung.

    Es war schon auch so, dass das, was man wirklich tun wollte, das

    Begehren, als Snde verurteilt wurde. Geschichtlich betrachtet darf

    auch der hedonistische Konsum als Opposition zu solcher Lust-

    oder Leibfeindlichkeit betrachtet werden, wobei mit dem klerikalen

    du sollst nicht begehrenein nicht minder ruinsesdu sollst

    pausenlos alles begehrenkorrespondiert. Einmal grob mit Max

    Weber, Walter Benjamin, Georg Simmel usw. gesprochen: in der

    ganzen Schubmasse des Kapitalismus als Religion wird in der pro-

    fanen Ordnung des Glcks gleichsam eine skulare Verwandlung

    eben der sakralen Ordnung des Heils zum Ideal guten Lebens.

    Der Mythos unversehrter Leiblichkeit, ein Phantasma der krper-

    lichen Topform, das von Pop, Musik, Mode, Sport, Film, Kunst,

    Technik, Internet, Kino, Wellness und der har ten Biopolitik von

    Humanmedizin, Gentechnik und Schnheitschirurgie umirt wird.

    Man kann das in derlei Bildern, die ich ihnen exemplarisch zeige,

    von den liturgischen Schnheitsdarstellungen genauso herauslesen

    wie aus profansten Zeugnissen der Werbung. Und man kann diese

    Phantasmagorien der Krperutopien und Krpertechniken auchim philosophischen Diskurs der Moderne, wie ich ihn im Komplex

    der einstigen sog. in Gott konvertiblen Transzendentalien des

    Wahren, Guten, Schnen schon einmal versucht habe darzus-

    tellen, entlang der drei Kantischen oder Adorno/Horkheimer/

    Habermasschen Vernunftkritiken der reinen, d. h. instrumentell-

    kognitiven, der praktischen, d. h. moralisch-praktischen und der

    Kritik der Urteilskraft, d. h. der sthetisch-expressiven Rationalitt

    reektieren (also dort, wo die Jugend ihre Signaturen, Parolen,

    Codes und Sounds hat).

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    So gesehen ist dann der Konsum, wo er nicht nur der Befriedigung

    der Bedrfnisse dient, oftmals auch eine Art profaner Kommunion

    mit den schnen Dingen, Teilhabe an einem Unversehrtheits- oder

    Glcksversprechen zu erlangen, das vielfach religionskritisch

    gesprochen unter leerem Himmel, also transzendentaler Ob-

    dachlosigkeit (Georg Lukcs) einer Messianisierung der Leb-

    enswelt hnelt:Fuball ist die letzte heilige Handlung, so

    Pier Paolo Pasolini.

    In all den vielen Bildern, die ich Ihnen zur demonstratio zugemutet

    habe, also worin Heiliges profan und Profanes heilig zu lesen, zu

    sehen ist signum et verbum, wie in der katholischen Barock-

    kirche, wo die Predigt eben jene Sinnlichkeit verteufelt (verbum),

    die als liturgische Opulenz in Putten und Engeln wie rehabilitiert

    (signum) um die Kanzel schwirrt.

    Wie Walter Benjamin einmal gemeint hat: Nicht die Sinnenlust

    ist die Snde, sondern ihre Vertreibung aus ihrer geschpichen

    Nhe zu Gott, das ist die Snde des Abendlandes. Geht es abernicht nur um eine krperliche oder technische Perfectio (einen

    Lamborghini haben, ist ein bissle wie ein Lamborghini sein, als

    wre das technische Artefakt der metallene Schorf auf der Wunde

    der Scham, eben imperfekt, mangelhaft zu sein...). Es geht auch

    nicht nur um demonstratives Haben, sondern es geht insbesondere

    bei den Praxeologien des Leiblichen, wie wir sie in all den kreativen

    Krpertechniken der Musik, der Kunst, des Sports usw. sehen, um

    ein intuitives Krperknnen, um ein selber machen, griechisch

    poiein, um Poetiken des Augenblicks, wo ich ein Anderer bin,

    gleichsam wie in Schillers sthetischer Erziehung des Menschen,

    ich nicht nur nach Andacht und Gehorsam funktioniere, sondern

    spiele.

    Im homo ludens scheint mir denn auch eine Rehabilitation des

    animal rationale aufzuscheinen, im Spieler ein Gegenmodell zumvielfach betreuten Exemplar des systemisch deformierten Insassen

    eines entstellten Daseins bewundert, angeschaut, angehimmelt,

    gefeiert zu werden wo die Lust, die im eigenen Leibe keine rechte

    Bleibe mehr hat, nun eben nicht in einem merkantilen Simulakrum

    (Pierre Klossowski), also einem toten, artiziellen Double sich wie

    in einem Asyl niederlsst (um immerhin am anderen Schauplatz

    wie in einem lacanschen Doppelgnger sich halluzinatorisch zu

    erleben: wir sagen ja beim Parken oft, ich steh da drben, als

    shen wir dort, wo wir nicht sind, in unserer mechanischen Skulp-

    tur das bessere Selbst, die Wunschmaschine), sondern wo in der

    Passion, in der ich hingegeben ans Tun, an die Welt (exzentrische

    Positionalitt, so Helmut Plessner oder Arnold Gehlen) mich selbst

    vergesse, aber gerade darin bei mir bin, leibhaftig in der Welt bin(Maurice Merleau-Ponty, Heinrich Schmitz) und eben im erfllen-

    den Machen komplett mich fhle (das hebrische tamin, meist mit

    fromm bersetzt, bedeutet auch ganz sein, vollstndig), also wo

    Kopf und Bauch, rsonables Formstreben und sinnlicher Stoffhun-

    ger (Schiller) spielerisch, d. h. automatisch in eins fallen, also die

    Entfremdung sich aufhebt.

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    artistikGottfried Benn nennt eben diese Krpertechniken, diese sthetisch-expressiven Spielarten mit dem alten, meist der Oberchlichkeitverdchtigten Begriff derArtistik, und er meint damit, weit dies-seits von Zirkus, Kirmes und Trallalaaa, Clownerie, Show und Unter-

    haltungsquote, das Vermgen, sich selbst als Inhalt zu erleben,

    und er nennt diese Poetik der geschpichen Lust am selber ma-

    chen eben die letzte Transzendenz zu allem bereits Gemachten, m.

    m. W. von Dogma und Konsum. Zudem braucht dieses leibeigene

    Knnen natrlich bung, also Talent allein reicht nicht, sondern

    die lebendige Arbeit erst macht den Knner, denn Genie ist

    Flei, wie es von Goethe bis Benjamin zitiert wird siehe die

    Clips von Diego Maradona am Ball, Casey Stoner auf seiner Renn-

    Ducati, Jimi Hendrix an der Gitarre, Alberto Giacometti an seinen

    ligranen Figuren oder den Huber Buam in der Felswand. Es geht

    um feeling, um jene Sprezzatura, der Coolness, dasSchwerste

    ganz mhelos easyausschauen zu lassen, und darin um eine

    emanzipatorische Sinnlichkeit, die mehr ist als virtuelle Nhe qua

    Mouseclick zur Welt es geht um eigene Erfahrung are youexperienced? um outdoor statt indoor. Wo also nun sind aber in

    der instrumentell-kognitiven und moralisch-praktischen Rationa-

    litt diese Freirume fr Passionen, Poesien des eigenen Eigenen,

    fr jene sichtlich hei begehrten Artistiken?

    Wo Menschen sich begegnen wird ber bewegte Bewegung, auto-

    mobiles sein, bewegte Objekte, alles, was den Tanz assoziierbar

    macht, den groen Befreier und Verwandler der Menschen (Augus-

    tin) Nhe simuliert. Im Spiel geht das recht schnell. Auch in der

    Liebe. Aber im Gestell des gesellschaftlichen Seins erstarrt oft der

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    Schwung. Erziehung und Bildung sind indes langwierige Prozesse.

    Wo der Werkbund 1907 auf lebenslange Prozesse der Verwand-

    lung setzt, opponiert etwa schon 1909 der italienische Futurismus,

    etwa in Marinettis Futuristischem Manifest, dagegen. Einzig Speed,

    tempo, die Furie Geschwindigkeit knne uns mblierte Menschen

    in befreite Akteure verwandeln. Vielleicht ist es das, was uns an so

    vielen dynamischen Sportarten fasziniert: elegante, rhythmische

    Krpertechniken, durch koordinierte Improvisationen die Zuflle,

    die Kontingenzen des offenen in der Weltseins slalomhaft zu meis-

    tern, Hindernisse in Ideen, Querschlge in Strukturen, dynamische

    Unbersichtlichkeit in Habitus und Routine zu verwandeln.

    Das pure Sein gibt es nicht, so wenig man Obst pur, oder Sinn

    pur essen kann, man muss Bananen, pfel, Birnen, Kirschen

    probieren, d. h. dies und jenes tun, Bedrfnisse befriedigen und das

    Begehren stimulieren, diesen eigentlichen Motor, Beweger, lan

    vital der Menschen. Unsere krperliche Fragmentiertheit sehnt sich

    wohl nach der Unfragmentiertheit des Perfekten. Aber die perfekte

    Krperlichkeit bleibt unerreichbar nah ein Phantasma. Es gehtvielmehr als um das Anhimmeln um ein anderes sein, anders zu

    l(i)eben um Spontaneitt, Intuition, Instinkt, mitunter um die

    berraschungen, dass der geheime Plan erst nach der Aktion

    durchschimmert (Kleist).

    Vielleicht gibt es ein Knnen das an pures Sein heran rhrt, das

    sich aber krperlich abspielt. Eine Soziologie des Erfahrungswissens

    befasst sich inzwischen mit dem gefhlten Wissen, einem ber-

    wiegend krperlich, intuitiven Wissen, einem spontanen Handeln

    aus der Dynamik, aus der Bewegung heraus, einem tacit knowing,

    einem prozessualen Wissen, wo der Zustand es ist, der mich wei

    (Kleist) und nicht ich mich idealistisch (Fichte) selber projektiere.

    Gewiss, wie die Produktion perfekter Dinge beinhalten auch die

    Krpersthetiken eine Art Selbstschpfungsanspruch: gratia nontollit, sed percuit ed supponit naturam analog Technik zerstrt

    nicht, sondern hebt auf und vervollkommnet die Natur. Es geht im-

    mer um die absolute Form, im Dogma wie im Konsum, oder womit

    deniert sich das Individuum hundert Prozent? Das Ding doubelt

    sozusagen den Benutzer, den Kufer. Alles was in Dingen ist, war

    vorher in uns bzw. was in uns ist, wird durch Dinge ausgedrckt.

    Besonders die Mode: heiles Kleid ums wunde Fleisch carne vale,

    iehendes Fleisch, carrus navalis, iehender Wagen ja, zur Poesie

    des Leiblichen gehrt die ganze Welt als ein Haufen Wsche,

    aber damit eben auch dreckiger Wsche, blutig, vom Tod versaut

    oder warum sonst schliet noch eine jede Modenschau mit der

    Braut im weien reinen Kleid, jenem Linnen, das uns, so die Apoka-

    lypse des Johannes, bergestreift werden soll zuletzt, beim letztenTrikottausch, wenn der Messias seine Braut heiratet, und die ganze

    Schpfung vom Tod, von der Gewalt, von Schuld und Scham und

    Leid befreit eine Welt des allseitigen Spiels sein wird?

    So weit aber sind wir noch nicht. Wir erleben ja im Diskurs der drei

    genannten Transzendentalien auch ein sensationelles Schnes, das

    fr Betroffene ein Grauen, der Tod, Vernichtung ist (so New York

    9/11 aus der Beobachterperspektive, oder Beirut aus dem Auto im

    letzten Libanonkrieg usw.). Das Schne ist bei uns, so wenig wie

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    in der dogmatischen Tradition oder bei Kant, immer auch zugleich

    als Gutes und Wahres in der Erfahrung beisammen nein, sie sind

    explodiert diese drei Hyperattribute.

    Und: der gegenwrtige hedonistische Kapitalismus reit alles

    Sein in eine technisch-fortschrittliche Zertrmmerungsmaschineriehinein das Symptom der Endlichkeit ist schon jetzt als trauma-

    tische Wiederkehr des Verdrngten zu spren der Globus ist zu

    klein, auch wenn aus knstlichen Fllhrnern die Realabstrak-

    tionen unendlicher Opulenz sprudeln, aus den endlichen Quellen

    und Stoffen diese gigantische Komfortorgie fr 3, 4, 5, 6 usw. Mrd

    Menschen bereit zu stellen. Gibt es da Hoffnung, rast der Kapi-

    talismus wie alle monotheistischen Gebilde auf seinen Karfreitag

    zu oder knnen wir uns noch selbst begrenzen, wie der groe alte

    Gott Allmacht in Liebe zu limitieren, technische Megapotenz in

    Humanitt, Mitgeschpichkeit, Achtsamkeit verwandeln?

    Commercium admirabile?! Aufmerksamkeit ist das natrliche

    Gebet der Seele x friss, wirf und weg der Werkbund hat auch

    darum immer schon gewusst.

    Wir haben also an der bildhaft dargestellten Schubkraft jenes

    zuerst sakralen, dann profanen commercium admirabile, der

    wundersamen Verwandlung Gottes in einen Menschen wie der

    aufklrerischen Skularisierung dieser Doppelnatur-Christologie in

    den Fetischcharakter der Ware, den Zauberdingen des Konsums,

    worin der verdinglichte Mensch und vermenschlichte Dinge solche

    Krperphantasmagorien oder Topformen und Superlative bilden,

    wir haben an diesen Kollektivimperativen oder Kollektivbildern alle

    ein Feedback abzuarbeiten, das wir, allein wenn wir lter werden,

    erleiden: dass wir eben nicht perfekt, sondern imperfekt,

    dass wir eben nicht unversehrlich, sondern zerstrliche Leiber sind.

    Unterm Maximum beginnt nicht das Nichts, so knnte man unsere

    uns erwartende Entzugsarbeit von der Droge Topform, wie sie Os-

    tern und Biopolitik in ideengeschichtliche Nhe zusammenzoomt,

    formulieren. Also: Was heit dann Liebe, wenn sie das Vermgen

    der Intimitt, der verlsslichen Zuwendung, nicht Abspaltung,

    Auslagerung, Wegsperren, Pegeindustrie... von versehrten Men-

    schen meint? Ein Ideal des Kaputten? Wer liebt, tauscht nicht

    sondern? Unterluft den methodischen Nihilismus der immer

    schneller werden Produkterneuerungsserien der Konsumindustrie.

    Wir brauchen blo einmal das improvisierte Schaubild des Just be

    anzuschauen, wo wir die drei Kanle unserer Zufuhr, das tria-

    dische Bndel aus Bedrfnis, Anspruch, Begehren auszubalan-

    cieren haben.

    Es geht wohl in allem um den Krper, den Schauplatz aller

    Utopien, genauer: Heterotopien, so Foucault. Um die Balance von+ und +, Gaben + Schwchen: Gesundheit ist die Wahrheit des

    Krpers. (Canguelheim), die heute dem Brger als persnliches

    Projekt in die eigene Verantwortung gestellt wird, und vielleicht

    alsbald z. B. ungesunde Lebensstile nicht mehr versichert werden

    knnten, wenn die Schuld an einer Krankheit von jedem selbst

    zu verantworten wre. Aber das ist noch mal ein anderes Thema,

    diese Umwidmungen und Entsolidarisierungen alla Hartz IV.

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    KunstLieben lernen, bei jemand/etwas bleiben, es bejahen knnen,obwohl es nicht perfekt, sensationell usw. ist? Und: poetisch sein,kreativ agieren knnen.Vielleicht ist das Problem des Werkbunds die Fixierung auf die

    Dinge, die Gestaltpraxis und, wie Parteien, Gewerkschaften,Armeen und Kirchen auch, seine systemische Selbstreproduktions-

    rationalitt, seine Sorge um sich, statt also Anderen in sich Raum

    zu bieten, sich in Anderen meint reproduzieren zu mssen. Chris-

    tologisch ernst genommen, msste ja die Kirche um des Reiches

    Gottes willen sich selber in eine befreite Gesellschaft aufheben,

    also statt Werkbndler zu werben, mit helfen, dass aus Menschen

    Artisten ihres Selbermachens werden, Poeten geschpicher Lust,

    die sich selbst als Inhalt erleben. An der Selbstdurchsetzung und

    Systemerhaltung krankt aber wohl jede idealistische Emphase,

    konzeptionell lebenslang erziehen und Ganzheitlichkeit erzeugen

    zu wollen. sthetik also als Versuch der Kunst, des Handwerks,

    einmal endlich einer lebendigen Arbeit, sich selbst zu erleben als

    Agent denn als Patient betreuten Daseins, in welcher Form einer

    schpferischen Lust auch immer? Die Kunst als die eigentliche

    Aufgabe des Lebens?

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    Die Aufgabe des Werkbunds knnte es sein, die sthetik zu fr-

    dern und Rume zu schaffen, wo Menschen sich begegnen knnen,

    um etwas Kreatives selbst auszuprobieren. Vielleicht hilft dazu,

    an Thomas Hobbes Leviathan, die politische Urschrift des mod-

    ernen Staates zu erinnern, und das Frontispiz, jenen genialen

    Kupferstich zu zeigen, worin der Leib des Knigs aus lauter kleinen

    Leibern der Untertanen komponiert erscheint (vgl. dazu Horst

    Bredekamps Buch zum Leviathan und der visuellen Strategien,

    ideen-, politik- wie kunstgeschichtlich).

    Demnach ist jedweder Kollektivcorps, jedeweder Krper des

    Knigs von zwei Krpern (Kantorowicz) gebildet, der Imago des

    groen Leibs und dem empirischen Reprsentanten, das Amt usw.,

    das den imaginren Leib reprsentiert und die kleinen Menschen-

    krper darin integriert bzw. damit konsolidiert. Der kluge Knig, so

    etwa Hegels Selbstbewusstsein-Kapitel in der Phnomenologie, der

    Dialektik von Herr und Knecht, wei um seine mittelbare Macht

    bzw. Herrschaft, die er nur via seiner einzelnen Glieder ausben

    kann der dumme Herr vergisst diese Dialektik, weswegen ebenauch der kluge Knecht, die kluge Magd, sich im Selbst-Bewutsein

    der unmittelbaren Teilhabe an der Arbeit, der Herrschaft, souvern

    und emanzipatorisch realisieren knne so er den Tod nicht

    frchte. (So wie halt die Heroen unserer Spiele, Maradona, Hendrix,

    Stoner usw. halt immer auch ein Team um sich, also eine permis-

    sive Umwelt gebraucht haben, um gro heraus zu kommen).

    Zugleich heit das fr unsere Kinder: Wir mssen sie sich selber

    riskieren lassen, sich ausprobieren, statt mit Konsum + Dogma zu

    sedieren, damit sich ihre Passionen zeigen, andeuten, entfalten

    knnen.

    Der Werkbund braucht, auch da bin ich ganz eins mit HerrnDr. Gschel, Projekte, wohl nicht statt, sondern mit Visionen, und

    nicht nur eigene Ideen, sondern Allianzen mit anderen, fremden,

    ungewohnten und vielleicht noch ganz unbekannten Ideen-

    trgern, d. h. der Werkbund hat selber umso mehr Kraft, je mehr

    andere Krfte er integrieren bzw. mit denen er, wie punktuell und

    fragmentarisch auch immer, kooperieren kann. Denn das Spiel,

    der Wettbewerb, ist ja nicht nur eine dekadente Verfallsvariante

    von Brot und Spielen, sondern im Competition steckt ein Modell,

    Konkurrenz und Kooperation zu vermitteln, die Logik der Anerken-

    nung noch so weit zu realisieren, dass der Kombattant zwar

    geschlagen, aber nicht mehr vernichtet zu werden braucht wie

    im Theater Agon der exklusiven Heilsreligionen, sondern wo das

    Spiel ber alles Trennende und x+fertige hinweg weiter geht,Dogma und Konsum transzendiert, weil cum petere (wie es in der

    Petition wie im Gebet anklingt) eben meint: gemeinsam etwas

    bestreben.

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    Dieser Vortrag wurde von Dr. Jochen Wagner erstmals im Mai

    2009 auf der Klausurtagung des Deutschen Werkbundes Baden-

    Wrttemberg gehalten, welche auf dem Haftelhof Werkstatt fr

    verborgene Talente stattfand.Mehr Informationen zum Deutschen Werkbund nden Sie unter:

    www.deutscher-werkbund.de

    Mehr Informationen zum Haftelhof nden Sie unter:

    www.haftelhof.org

    Gestaltung: Nelly Brunkow

    Schrift: Nancy von Masa Busic

    Dr. Jochen Wagner

    Ev. Akademie Tutzing

    Schlossstrae 2 + 4

    82324 Tutzing

    Tel. 08158 / 2 51-1 13

    Fax 08158 / 99 64 23

    E-Mail: [email protected]

    www.ev-akademie-tutzing.de

    Fachgebiete:

    Theologie und Gesellschaft, interreligiser Dialog, Spiritualitt,

    Philosophie

    Themen:

    Religion, Kirche, kumene

    Kultur, Philosophie, Ethik

    Gesellschaft, Staat, Zeitgeschichte

  • 8/9/2019 Du mut der Lambo sein

    15/15

    Dr. Jochen Wagnerist ein frnkisches Original. Das fllt rechtschnell auf, wenn man ihm zuhrt.

    Er liebt Fussball, Lamborghinis, Musik & Tanz genauso wie schnelle

    Motorrder bevorzugt der Marke Ducati.

    Er ist Pfarrer, Philosoph, Autor und Vortragsredner. Seine Vortrge

    drehen sich ums Leben selbst, um Design, um Lebensgestaltung

    jenseits von Dogma und Konsum, und sie sind allein deshalb einerunde Sache, weil Jochen Wagner dabei immer wieder auf den

    Fussball zu sprechen kommt. Es geht ihm dabei um das Spiel als

    Ausdruck von Lebendigkeit. So zeigt er bei seinen Vortrgen gerne

    den Mitschnitt eines Maradonna-Warm-Ups, der bei YouTube zu

    nden ist. Sein Ausspruch Du musst der Lambo sein! bringt auf

    den Punkt, worum es ihm als gutem Spieler im Leben geht umsSein und nicht ums Haben.