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Dieser Mann ist ein interessanter Charakter, dessen Vita ebenso viele Facetten
hat wie seine überbordende Musikalität. Als Leiter der Agostini Drum School
im schweizerischen Olten lehrt er sein Verständnis eines musikalischen Weltbildes, das
keine Grenzen akzeptiert, und zeigt dies auch gleich in seiner Duo-Formation Les Deux
mit dem Violinisten Beat Escher im freien musikalischen Dialog. Im Trio mit Christoph
Blattner und Ruedi Maurer wiederum lädt er als „Rhythm Talk“ die Schlagzeug- und
Percussion-Fans zu einer Weltreise mit Einflüssen aus Jazz, Rock, Funk mit lateinameri-
kanischen, afrikanischen sowie indischen Rhythmen und Klangfarben.
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Interview
Stefan Woldach
Fotos
Archiv Rhythm Talk
Noby Lehmann_Noby Lehmann 15.10.15 08:08 Seite 42
Als Solist hat Noby
Lehmann unzählige Sessions gespielt, Projekte ins Leben gerufen
und erfolgreich vorangebracht. Etwa den „Alpin Drum Workshop“,
den er seit 20 Jahren betreut und der Profis, Amateure und Einstei-
ger in die Schweiz lockt, zu Seminaren und Jamsessions, zahlreichen
Drum- und Perkussion-Ensembles, spontanen Sessions und dem
berühmten Drum-Marathon. Höchste Zeit für ein Porträt über den
Macher.
Noby, du hast mit 10 angefangen, Schlagzeug zu spielen, nach-dem du zuvor „auf Abfalleimern“ getrommelt hast. Was war derAuslöser?Das geht weit zurück in meine Kindheit. Damals gab es nur zwei
Fernsehkanäle, die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band-
Musik gesehen und war fasziniert. Das war der Ausgangspunkt.
Dein erster Lehrer war Denis Kuhn. Was hat er dir auf den Weggegeben?Sein Vater war ein bekannter Unterhaltungsmusiker in der Schweiz.
Und Denis dann auch. Als ich ihn das erste Mal Schlagzeug spielen
sah, erzählte man mir, dass er auch Unterricht gebe. Ich sagte mei-
nen Eltern, dass ich unbedingt bei ihm lernen wollte. Sie stimmten
zu, und er zeigte mir die Rudiments und das Notenlesen. Wenn du
professionell spielen willst, sagte er, musst du dein Handwerk richtig
lernen, sonst bleibst du immer ein Amateur!
Du hast dann 1978 den Schweizerischen Schlagzeugwettbewerbgewonnen. Wie lief das vor fast 40 Jahren ab?Zuerst musstest du eine Demo-Aufnahme einschicken und deine
Biografie dazu. Dann wurde aus etwa 60 Einsendern ausgesiebt. 30
kamen in den kommenden Wochen in zwei Halbfinals, bis zum
Schluss sechs Kandidaten fürs Finale übrig blieben. Dort musstest du
einen Song mit einer Band umsetzen – Playalongs gab’s noch nicht
wie heute – und ein Solo spielen. Dafür hab ich ein Stück von Billy
Cobham gewählt. Er war damals ein großes Vorbild für mich. Und ich
hab dann halt gewonnen. Ich muss noch ergänzen: Als ich mit 17
beim Jazzfestival in Montreux war, schleppte mich jemand Backstage
in die Musiker-Bar, und da durfte ich bei einer Jamsession Schlag-
zeug spielen. Nach einer einstündigen Non-Stop-Session kam der
Gitarrist auf mich zu und wollte mich mit auf Tour nehmen. Das war
Rory Gallagher! (lacht) Da ich noch nicht 18 war, durfte ich leider
nicht mit. Meine Eltern unterstützen mich zwar sehr, aber das war
ihnen dann wohl doch zu riskant. Für mich war das aber eine Erfah-
rung, die mir Selbstvertrauen gab.
Du hast dann an der Swiss Jazz School in Bern und an der Musik-akademie Centre Agostini in Paris Schlagzeug studiert. Washast du aus der Ausbildung für dich herausgezogen?An der Jazz School habe ich natürlich erst mal den Jazz-Grip gelernt.
Matched Grip war verboten! (lacht) Dort habe ich auch das erste Mal
Schlagzeugnoten gesehen. Und dann habe ich Dante Agostini ent-
deckt! Er war seiner Zeit weit voraus. Ich fand seine Schule so klasse,
dass ich meine Sachen gepackt habe und nach Paris gefahren bin,
um dort zu studieren. Was ich an der Agostini-Methode bis heute
super finde, ist die Tatsache, dass jeder so spielen kann wie er möch -
te. Denn sein Unterricht ist so aufgebaut, dass du sein methodisches
System an verschiedene musikalische Stile
anpassen kannst. Es ist eine echte Kernaus-
bildung, die ich auch heute noch selbst
anwende, wenn ich eine musikalische Idee
verfolge.
Das hat dich so fasziniert, dass du eineSchweizer Niederlassung der Agostini
Drum School in Olten gegründet hast. Worauf legst du als Dozent heute Wert?Ich lasse mir von jedem erst einmal etwas vorspielen, um mir ein
Bild von seinem Kenntnisstand zu machen. Dann frage ich ihn nach
seinen Wünschen und Ansprüchen. Die analysiere ich und überlege,
womit ich ihn weiter bringen kann. Es kommen übrigens nicht nur
junge Studenten, sondern auch Musiklehrer, die unseren Kurs als
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Er ist nicht nur einer der profiliertesten
Schlagzeuger der Schweiz, er ist auch
eine faszinierende Persönlichkeit.
Schließlich ist der gebürtige Rimbacher
ein visionärer Bandleader, souveräner
Session-Musiker, gefragter Workshop-
Dozent und erfolgreicher Lehrbuchautor.
Wir wollen mit Rhythmusinstrumenten
vollwertige Musik machen und zwar so,
dass es nicht nur Trommlern gefällt.
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Weiterbildung belegen. Empathie ist daher ganz wichtig. Wenn du
einfach dein Programm herunterratterst, kommst du mit großer
Sicherheit nicht bei deinen Schülern an.
Du spielst seit jeher in verschiedenen Formationen. Fangen wirmit Les Deux an: Mit Violinist Beat Escher begibst du dich in„eine Art Konversation“, in der die Improvisation eine zentraleBedeutung zukommt.Richtig. Wichtig jedoch ist: Das ist kein Free-Jazz nach dem Motto „die
Musiker finden es prima, nur die Zuhörer nicht!“ (lacht) Die Improvi-
sation entsteht immer aus einer Komposition heraus, sie bestimmt,
was daraus folgt. Das funktioniert im Duo natürlich sehr schön, weil
die Interaktion sehr direkt ist. Bevor wir auf die Bühne gehen, stecken
wir den Rahmen ab, und der Rest entwickelt sich.
Du hast dann Anfang der 90er-Jahre die Formation „RhythmTalk“ mit Drummer Christoph Blattner und Percussionist RuediMaurer gegründet. Ein interessantes Konzept voller „musika -lischer Grenz-Begegnungen“. Wir verfolgen mit Rhythm Talk den Ansatz, mit Rhythmusinstrumen -
ten „vollwertige“ Musik machen und zwar so, dass es nicht nur
Trommlern gefällt. Auch jemand, der keine Ahnung von Musik hat,
soll mitkommen können. Manche Leute denken, das sei eine Drum-
Clinic. Aber das hat damit gar nichts zu tun. Es gibt Einflüsse aus
allen Stilen und von allen Kontinenten, manchmal kann man das
kompositorisch mit Filmmusik vergleichen. Auch mit einer Tanz-Per-
formance haben wir unsere Musik verwoben, was eine echte Heraus-
forderung ist. Da müssen bestimmte Patterns ganz genau sitzen,
damit die Tänzer die exakte Schrittzahl haben. Manchmal verwenden
wir da auch Synthesizer-Parts und arrangieren mit Song-Teilen wie
Strophe und Refrain. Dafür setze ich dann mein Roland SPD-SX ein.
Der Anspruch „mitreißende Klangbilder voll pulsierender Le-bensfreude mit lateinamerikanischen, afrikanischen und indi-schen Rhythmen“ verlangt einiges an stilistischen Kenntnissen.Sicher. Aber uns ist noch viel wichtiger, dass der Flow stimmt. Wenn
ich als Komponist jedem vorschreibe, was er zu spielen hat, dann
würde das nicht funktionieren. Jeder von uns soll und muss dem, was
er fühlt, freien Lauf lassen können.
Spielt ihr zum Click?Keiner von uns spielt zum Click! Am Anfang war das viel Arbeit, aber
mittlerweile ist es nur noch Spaß. Da läuft viel unbewusst. Das mit
dem Click ist doch generell so eine Sache, oder? Wir kommen an der
Drum School auch immer wieder an den Punkt: Click oder nicht? Am
Anfang ist es schwierig, bis du zum Click spielen kannst. Und dann
ist es fast schwieriger ohne. Frei zu spielen ist eine Kunst! Eine Band
ohne Click klingt viel organischer, gerade wegen der Schwankungen.
Es gibt viele Analysen dazu. Nimm zum Beispiel Jeff Porcaro in „Rosan -
na“: Er spielt acht verschiedene Tempi in dem Stück! Verrückt!
Unsere CD „Pulse“ haben wir anfangs auch mit Click begonnen, uns
dann aber mittendrin entschlossen, ihn
wegzulassen. Es klang deutlich besser. Ein
Click ist wie ein zusätzlicher Musiker, auf
den alle hören! Das ist der böse Zeigefin-
ger! (lacht)Ihr seid genau genommen im Trialog.Da wird es spannend, wie ihr mit Timearbeitet und spielt.
Das ist ein Erfahrungswert aus dem Lauf
der Jahre und dem Zusammenspiel mit den
anderen. Meinen Schülern sage ich immer:
Lernt 50 Prozent mit Click und 50 Prozent
ohne! Man muss beides beherrschen, ganz
klar.
Wie stimmt ihr bei Rhythm Talk eureInstrumente ab?Wir haben das nie analysiert. Christoph
stimmt sein Set so, wie er es am liebsten mag, und ich mach das
genauso. Ruedi stellt seine Percussion zusammen – und dann ver -
suchen wir, einen Sound hinzukriegen. Jeder soll seine Individualität
einbringen. Und wir machen viel intuitiv.
Bei der Wahl der Schlaginstrumente seid ihr weltmusikalischorientiert. Bist du auch ein Weltreisender in Sachen Musik?Eigentlich nicht. Als wir unsere erste CD aufgenommen haben, da
war ich noch nie irgendwo! Alle haben mich immer wieder darauf
angesprochen, aber ich musste sie enttäuschen: Diese Musik habe
ich einfach so in meinem Kopf gehört! Inzwischen war ich aber
schon ein paar Mal in Afrika und habe auch Instrumente mit nach
Hause gebracht. Und bald fahren wir nach Kalifornien zum „Mojalet
Dance Collective“. Da gab es vor Jahren einen netten Kontakt, denn
sie haben eine Tanz-Performance zu unserer Musik arrangiert. Eine
tolle Sache. Und jetzt gibt es jedes Jahr das „Tanz in Olten Festival“,
basierend auf dieser Zusammenarbeit.
Wie stehst du zum Thema erlerntes Rhythmusgefühl und intui-tives Körpergefühl?Ich stelle dazu in meinen Seminaren die einfache Frage: Wann groovt
es und wann nicht? Nun: Wenn du zu dem, was du spielst, am
Schlagzeug tanzen könntest. Dann groovt es!
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Einfach zu spielen und es
grooven zu lassen – das
wird oft unterschätzt!
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Im Zusammenspiel mit dem Bass?Nun, der Schlagzeuger ist der Motor, der Bassist
ist das Öl. Es umhüllt den Motor, schmiert ihn
und macht alles geschmeidig. So sehe ich das.
Zum Equipment: Du spielst ein Sonor MapleSQ2. Warum ist das deine erste Wahl?Hauptsächlich gefällt mir der Klang. Außerdem
ist das eine super Firma, die ist ein guter
Freund. Aber man spielt ein Schlagzeug nicht
nur aus Freundschaft, die Qualität muss auch
stimmen. Sonor haben mir auch eigene Drums
gebaut, die Gong Toms mit ganz flachen Tiefen,
die sind super. Ich bin auch kein Trend-Typ, der
mal eben die Marke wechselt, nur weil eine an-
dere gerade angesagt ist. Es ist viel wichtiger,
dass du mit deiner Firma gut zusammenarbei-
test und dich hundertprozentig auf sie verlas-
sen kannst. Gerade unterwegs, wenn du dein
eigenes Set nicht mit hast. Da ist Support ganz wichtig. Besonders
bei uns Dreien! Bei uns bekommen die Sonor-Leute eine ziemlich
lange Equipment-Liste! (lacht)Erklär mal das Konzept deiner Gong Toms, bitte.Die ersetzen mir, ganz einfach gesagt, den Bassisten. Wir haben ei-
nige Stücke bei denen ich Tom-Melodien spiele wie einen Basslauf.
Wenn Christoph gerade durchspielt, setze ich dazu grollige Patterns,
und das übernehmen die Gong Toms.
Seit rund zehn Jahren bist du Meinl-Endorser. Welche Beckenspielst du?Fast ausschließlich Byzance-Becken; ich mag diesen dunklen, rauchi-
gen Klang. Bei Endorsements muss man ehrlich sein. Und die Jungs
von Meinl machen tolle Becken, dazu eine Menge sehr kreativer
Effektgeschichten, und diese Komponenten eröffnen mir auch neue
Ideen. Entweder ist es ein Klang, der dich zum Komponieren inspi-
riert, oder du hast eine Komposition im Kopf und suchst das Instru-
ment dafür.
Nehmt ihr Proben in regelmäßigen Abständen auf?Sicher. Manchmal spiele ich eine halbe Stunde einen neuen Groove,
und erst beim Abhören merke ich, dass der doch etwas zu schnell ist.
Es ist besonders Ruedis Aufgabe als Perkussionist, sozusagen „von
außen“ zuzuhören – ob sich Sounds oder Rhythmik beißen. Wir sind
untereinander recht kritisch. Zusammenspiel ist alles! Gute Musik
entsteht, wenn du stundenlang zusammen übst. Da kommt Musik
am besten zusammen. Zusammenspiel kann man nicht googeln oder
downloaden! Das ist eine Arbeit, die Zeit braucht.
Eure „Rhythm Talk“-Tracks sind stellenweise ziemlich kom-plex. Ihr seid aber auch geraden 4/4 nicht abgeneigt, oder?Überhaupt nicht! Es ist für mich sogar eine Herausforderung. Ein-
fach zu spielen und es grooven zu lassen – das wird oft unterschätzt!
Wenn du unangestrengt spielst, dann groovt es. Das sage ich auch
meinen Studenten.
Was muss man noch über Noby Lehmann wissen, um seine Musik und sein Spiel besser zu verstehen?
Für mich ist Musikmachen ein sozialer Akt, auf der Bühne mit den
Musikern und den Zuhörern im Publikum. Dieser Akt ist mir wichtig,
die Stimmung und die Energie sind mir wichtig. Im Fluss zu sein und
dann die Leute abholen – das ist live am besten. Brot ist auch frisch
immer am leckersten. Und so ist es auch mit der Musik. Live spielen
– das ist es! //
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Drumset bei RhythmTalk: Sonor SQ2 Maple Vintage
18" × 16" Bassdrum
22" × 16" Bassdrum
8" × 7", 10" × 8", 12" × 9", 14" × 12" und 16" × 14" Toms
24" × 4" und 18" × 10" Gong Toms
14" × 5" Timbales
Snaredrums: Sonor SQ2 Maple Vintage
14" × 6.5", 14" × 7" und 12“× 5“
Cymbals: Meinl Byzance22" Dark Ride
22" Vintage Sand Ride
22" Traditional Flat Ride
14" Dark Hi-Hat
12" Traditional X-Hat
16", 18" und 20" Vintage Crash
22" China Ride
6", 8", 10" und 12" Traditional Splash
12" Brilliant Splash
16" Generation X Filter China
12"/14" X-treme Stack
Hardware/Pedale: Sonor
Sticks: Vater
Felle: Aquarian
Electronics:Roland SPD-SX
Native Instruments
Zusammenspiel kann man nicht
googeln oder downloaden! Das ist
eine Arbeit, die Zeit braucht.
www.agostinidrumschool.ch
www.rhythmtalk.ch
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