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D ieser Mann ist ein interessanter Charakter, dessen Vita ebenso viele Facetten hat wie seine überbordende Musikalität. Als Leiter der Agostini Drum School im schweizerischen Olten lehrt er sein Verständnis eines musikalischen Weltbildes, das keine Grenzen akzeptiert, und zeigt dies auch gleich in seiner Duo-Formation Les Deux mit dem Violinisten Beat Escher im freien musikalischen Dialog. Im Trio mit Christoph Blattner und Ruedi Maurer wiederum lädt er als „Rhythm Talk“ die Schlagzeug- und Percussion-Fans zu einer Weltreise mit Einflüssen aus Jazz, Rock, Funk mit lateinameri- kanischen, afrikanischen sowie indischen Rhythmen und Klangfarben. 42 11/2015 Interview Stefan Woldach Fotos Archiv Rhythm Talk

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Page 1: Du hast dann 1978 den ... - agostini drum school Leiter der Agostini Drum School ... die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band- ... Und dann habe ich Dante Agostini ent-

Dieser Mann ist ein interessanter Charakter, dessen Vita ebenso viele Facetten

hat wie seine überbordende Musikalität. Als Leiter der Agostini Drum School

im schweizerischen Olten lehrt er sein Verständnis eines musikalischen Weltbildes, das

keine Grenzen akzeptiert, und zeigt dies auch gleich in seiner Duo-Formation Les Deux

mit dem Violinisten Beat Escher im freien musikalischen Dialog. Im Trio mit Christoph

Blattner und Ruedi Maurer wiederum lädt er als „Rhythm Talk“ die Schlagzeug- und

Percussion-Fans zu einer Weltreise mit Einflüssen aus Jazz, Rock, Funk mit lateinameri-

kanischen, afrikanischen sowie indischen Rhythmen und Klangfarben.

42 11/2015

Interview

Stefan Woldach

Fotos

Archiv Rhythm Talk

Noby Lehmann_Noby Lehmann 15.10.15 08:08 Seite 42

Page 2: Du hast dann 1978 den ... - agostini drum school Leiter der Agostini Drum School ... die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band- ... Und dann habe ich Dante Agostini ent-

Als Solist hat Noby

Lehmann unzählige Sessions gespielt, Projekte ins Leben gerufen

und erfolgreich vorangebracht. Etwa den „Alpin Drum Workshop“,

den er seit 20 Jahren betreut und der Profis, Amateure und Einstei-

ger in die Schweiz lockt, zu Seminaren und Jamsessions, zahlreichen

Drum- und Perkussion-Ensembles, spontanen Sessions und dem

berühmten Drum-Marathon. Höchste Zeit für ein Porträt über den

Macher.

Noby, du hast mit 10 angefangen, Schlagzeug zu spielen, nach-dem du zuvor „auf Abfalleimern“ getrommelt hast. Was war derAuslöser?Das geht weit zurück in meine Kindheit. Damals gab es nur zwei

Fernsehkanäle, die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band-

Musik gesehen und war fasziniert. Das war der Ausgangspunkt.

Dein erster Lehrer war Denis Kuhn. Was hat er dir auf den Weggegeben?Sein Vater war ein bekannter Unterhaltungsmusiker in der Schweiz.

Und Denis dann auch. Als ich ihn das erste Mal Schlagzeug spielen

sah, erzählte man mir, dass er auch Unterricht gebe. Ich sagte mei-

nen Eltern, dass ich unbedingt bei ihm lernen wollte. Sie stimmten

zu, und er zeigte mir die Rudiments und das Notenlesen. Wenn du

professionell spielen willst, sagte er, musst du dein Handwerk richtig

lernen, sonst bleibst du immer ein Amateur!

Du hast dann 1978 den Schweizerischen Schlagzeugwettbewerbgewonnen. Wie lief das vor fast 40 Jahren ab?Zuerst musstest du eine Demo-Aufnahme einschicken und deine

Biografie dazu. Dann wurde aus etwa 60 Einsendern ausgesiebt. 30

kamen in den kommenden Wochen in zwei Halbfinals, bis zum

Schluss sechs Kandidaten fürs Finale übrig blieben. Dort musstest du

einen Song mit einer Band umsetzen – Playalongs gab’s noch nicht

wie heute – und ein Solo spielen. Dafür hab ich ein Stück von Billy

Cobham gewählt. Er war damals ein großes Vorbild für mich. Und ich

hab dann halt gewonnen. Ich muss noch ergänzen: Als ich mit 17

beim Jazzfestival in Montreux war, schleppte mich jemand Backstage

in die Musiker-Bar, und da durfte ich bei einer Jamsession Schlag-

zeug spielen. Nach einer einstündigen Non-Stop-Session kam der

Gitarrist auf mich zu und wollte mich mit auf Tour nehmen. Das war

Rory Gallagher! (lacht) Da ich noch nicht 18 war, durfte ich leider

nicht mit. Meine Eltern unterstützen mich zwar sehr, aber das war

ihnen dann wohl doch zu riskant. Für mich war das aber eine Erfah-

rung, die mir Selbstvertrauen gab.

Du hast dann an der Swiss Jazz School in Bern und an der Musik-akademie Centre Agostini in Paris Schlagzeug studiert. Washast du aus der Ausbildung für dich herausgezogen?An der Jazz School habe ich natürlich erst mal den Jazz-Grip gelernt.

Matched Grip war verboten! (lacht) Dort habe ich auch das erste Mal

Schlagzeugnoten gesehen. Und dann habe ich Dante Agostini ent-

deckt! Er war seiner Zeit weit voraus. Ich fand seine Schule so klasse,

dass ich meine Sachen gepackt habe und nach Paris gefahren bin,

um dort zu studieren. Was ich an der Agostini-Methode bis heute

super finde, ist die Tatsache, dass jeder so spielen kann wie er möch -

te. Denn sein Unterricht ist so aufgebaut, dass du sein methodisches

System an verschiedene musikalische Stile

anpassen kannst. Es ist eine echte Kernaus-

bildung, die ich auch heute noch selbst

anwende, wenn ich eine musikalische Idee

verfolge.

Das hat dich so fasziniert, dass du eineSchweizer Niederlassung der Agostini

Drum School in Olten gegründet hast. Worauf legst du als Dozent heute Wert?Ich lasse mir von jedem erst einmal etwas vorspielen, um mir ein

Bild von seinem Kenntnisstand zu machen. Dann frage ich ihn nach

seinen Wünschen und Ansprüchen. Die analysiere ich und überlege,

womit ich ihn weiter bringen kann. Es kommen übrigens nicht nur

junge Studenten, sondern auch Musiklehrer, die unseren Kurs als

4311/2015

Er ist nicht nur einer der profiliertesten

Schlagzeuger der Schweiz, er ist auch

eine faszinierende Persönlichkeit.

Schließlich ist der gebürtige Rimbacher

ein visionärer Bandleader, souveräner

Session-Musiker, gefragter Workshop-

Dozent und erfolgreicher Lehrbuchautor.

Wir wollen mit Rhythmusinstrumenten

vollwertige Musik machen und zwar so,

dass es nicht nur Trommlern gefällt.

Noby Lehmann_Noby Lehmann 15.10.15 08:09 Seite 43

Page 3: Du hast dann 1978 den ... - agostini drum school Leiter der Agostini Drum School ... die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band- ... Und dann habe ich Dante Agostini ent-

Weiterbildung belegen. Empathie ist daher ganz wichtig. Wenn du

einfach dein Programm herunterratterst, kommst du mit großer

Sicherheit nicht bei deinen Schülern an.

Du spielst seit jeher in verschiedenen Formationen. Fangen wirmit Les Deux an: Mit Violinist Beat Escher begibst du dich in„eine Art Konversation“, in der die Improvisation eine zentraleBedeutung zukommt.Richtig. Wichtig jedoch ist: Das ist kein Free-Jazz nach dem Motto „die

Musiker finden es prima, nur die Zuhörer nicht!“ (lacht) Die Improvi-

sation entsteht immer aus einer Komposition heraus, sie bestimmt,

was daraus folgt. Das funktioniert im Duo natürlich sehr schön, weil

die Interaktion sehr direkt ist. Bevor wir auf die Bühne gehen, stecken

wir den Rahmen ab, und der Rest entwickelt sich.

Du hast dann Anfang der 90er-Jahre die Formation „RhythmTalk“ mit Drummer Christoph Blattner und Percussionist RuediMaurer gegründet. Ein interessantes Konzept voller „musika -lischer Grenz-Begegnungen“. Wir verfolgen mit Rhythm Talk den Ansatz, mit Rhythmusinstrumen -

ten „vollwertige“ Musik machen und zwar so, dass es nicht nur

Trommlern gefällt. Auch jemand, der keine Ahnung von Musik hat,

soll mitkommen können. Manche Leute denken, das sei eine Drum-

Clinic. Aber das hat damit gar nichts zu tun. Es gibt Einflüsse aus

allen Stilen und von allen Kontinenten, manchmal kann man das

kompositorisch mit Filmmusik vergleichen. Auch mit einer Tanz-Per-

formance haben wir unsere Musik verwoben, was eine echte Heraus-

forderung ist. Da müssen bestimmte Patterns ganz genau sitzen,

damit die Tänzer die exakte Schrittzahl haben. Manchmal verwenden

wir da auch Synthesizer-Parts und arrangieren mit Song-Teilen wie

Strophe und Refrain. Dafür setze ich dann mein Roland SPD-SX ein.

Der Anspruch „mitreißende Klangbilder voll pulsierender Le-bensfreude mit lateinamerikanischen, afrikanischen und indi-schen Rhythmen“ verlangt einiges an stilistischen Kenntnissen.Sicher. Aber uns ist noch viel wichtiger, dass der Flow stimmt. Wenn

ich als Komponist jedem vorschreibe, was er zu spielen hat, dann

würde das nicht funktionieren. Jeder von uns soll und muss dem, was

er fühlt, freien Lauf lassen können.

Spielt ihr zum Click?Keiner von uns spielt zum Click! Am Anfang war das viel Arbeit, aber

mittlerweile ist es nur noch Spaß. Da läuft viel unbewusst. Das mit

dem Click ist doch generell so eine Sache, oder? Wir kommen an der

Drum School auch immer wieder an den Punkt: Click oder nicht? Am

Anfang ist es schwierig, bis du zum Click spielen kannst. Und dann

ist es fast schwieriger ohne. Frei zu spielen ist eine Kunst! Eine Band

ohne Click klingt viel organischer, gerade wegen der Schwankungen.

Es gibt viele Analysen dazu. Nimm zum Beispiel Jeff Porcaro in „Rosan -

na“: Er spielt acht verschiedene Tempi in dem Stück! Verrückt!

Unsere CD „Pulse“ haben wir anfangs auch mit Click begonnen, uns

dann aber mittendrin entschlossen, ihn

wegzulassen. Es klang deutlich besser. Ein

Click ist wie ein zusätzlicher Musiker, auf

den alle hören! Das ist der böse Zeigefin-

ger! (lacht)Ihr seid genau genommen im Trialog.Da wird es spannend, wie ihr mit Timearbeitet und spielt.

Das ist ein Erfahrungswert aus dem Lauf

der Jahre und dem Zusammenspiel mit den

anderen. Meinen Schülern sage ich immer:

Lernt 50 Prozent mit Click und 50 Prozent

ohne! Man muss beides beherrschen, ganz

klar.

Wie stimmt ihr bei Rhythm Talk eureInstrumente ab?Wir haben das nie analysiert. Christoph

stimmt sein Set so, wie er es am liebsten mag, und ich mach das

genauso. Ruedi stellt seine Percussion zusammen – und dann ver -

suchen wir, einen Sound hinzukriegen. Jeder soll seine Individualität

einbringen. Und wir machen viel intuitiv.

Bei der Wahl der Schlaginstrumente seid ihr weltmusikalischorientiert. Bist du auch ein Weltreisender in Sachen Musik?Eigentlich nicht. Als wir unsere erste CD aufgenommen haben, da

war ich noch nie irgendwo! Alle haben mich immer wieder darauf

angesprochen, aber ich musste sie enttäuschen: Diese Musik habe

ich einfach so in meinem Kopf gehört! Inzwischen war ich aber

schon ein paar Mal in Afrika und habe auch Instrumente mit nach

Hause gebracht. Und bald fahren wir nach Kalifornien zum „Mojalet

Dance Collective“. Da gab es vor Jahren einen netten Kontakt, denn

sie haben eine Tanz-Performance zu unserer Musik arrangiert. Eine

tolle Sache. Und jetzt gibt es jedes Jahr das „Tanz in Olten Festival“,

basierend auf dieser Zusammenarbeit.

Wie stehst du zum Thema erlerntes Rhythmusgefühl und intui-tives Körpergefühl?Ich stelle dazu in meinen Seminaren die einfache Frage: Wann groovt

es und wann nicht? Nun: Wenn du zu dem, was du spielst, am

Schlagzeug tanzen könntest. Dann groovt es!

story noby lehmann

44 11/2015

Einfach zu spielen und es

grooven zu lassen – das

wird oft unterschätzt!

Noby Lehmann_Noby Lehmann 15.10.15 08:09 Seite 44

Page 4: Du hast dann 1978 den ... - agostini drum school Leiter der Agostini Drum School ... die ARD und Schweiz 1. Dort habe ich mal Big-Band- ... Und dann habe ich Dante Agostini ent-

Im Zusammenspiel mit dem Bass?Nun, der Schlagzeuger ist der Motor, der Bassist

ist das Öl. Es umhüllt den Motor, schmiert ihn

und macht alles geschmeidig. So sehe ich das.

Zum Equipment: Du spielst ein Sonor MapleSQ2. Warum ist das deine erste Wahl?Hauptsächlich gefällt mir der Klang. Außerdem

ist das eine super Firma, die ist ein guter

Freund. Aber man spielt ein Schlagzeug nicht

nur aus Freundschaft, die Qualität muss auch

stimmen. Sonor haben mir auch eigene Drums

gebaut, die Gong Toms mit ganz flachen Tiefen,

die sind super. Ich bin auch kein Trend-Typ, der

mal eben die Marke wechselt, nur weil eine an-

dere gerade angesagt ist. Es ist viel wichtiger,

dass du mit deiner Firma gut zusammenarbei-

test und dich hundertprozentig auf sie verlas-

sen kannst. Gerade unterwegs, wenn du dein

eigenes Set nicht mit hast. Da ist Support ganz wichtig. Besonders

bei uns Dreien! Bei uns bekommen die Sonor-Leute eine ziemlich

lange Equipment-Liste! (lacht)Erklär mal das Konzept deiner Gong Toms, bitte.Die ersetzen mir, ganz einfach gesagt, den Bassisten. Wir haben ei-

nige Stücke bei denen ich Tom-Melodien spiele wie einen Basslauf.

Wenn Christoph gerade durchspielt, setze ich dazu grollige Patterns,

und das übernehmen die Gong Toms.

Seit rund zehn Jahren bist du Meinl-Endorser. Welche Beckenspielst du?Fast ausschließlich Byzance-Becken; ich mag diesen dunklen, rauchi-

gen Klang. Bei Endorsements muss man ehrlich sein. Und die Jungs

von Meinl machen tolle Becken, dazu eine Menge sehr kreativer

Effektgeschichten, und diese Komponenten eröffnen mir auch neue

Ideen. Entweder ist es ein Klang, der dich zum Komponieren inspi-

riert, oder du hast eine Komposition im Kopf und suchst das Instru-

ment dafür.

Nehmt ihr Proben in regelmäßigen Abständen auf?Sicher. Manchmal spiele ich eine halbe Stunde einen neuen Groove,

und erst beim Abhören merke ich, dass der doch etwas zu schnell ist.

Es ist besonders Ruedis Aufgabe als Perkussionist, sozusagen „von

außen“ zuzuhören – ob sich Sounds oder Rhythmik beißen. Wir sind

untereinander recht kritisch. Zusammenspiel ist alles! Gute Musik

entsteht, wenn du stundenlang zusammen übst. Da kommt Musik

am besten zusammen. Zusammenspiel kann man nicht googeln oder

downloaden! Das ist eine Arbeit, die Zeit braucht.

Eure „Rhythm Talk“-Tracks sind stellenweise ziemlich kom-plex. Ihr seid aber auch geraden 4/4 nicht abgeneigt, oder?Überhaupt nicht! Es ist für mich sogar eine Herausforderung. Ein-

fach zu spielen und es grooven zu lassen – das wird oft unterschätzt!

Wenn du unangestrengt spielst, dann groovt es. Das sage ich auch

meinen Studenten.

Was muss man noch über Noby Lehmann wissen, um seine Musik und sein Spiel besser zu verstehen?

Für mich ist Musikmachen ein sozialer Akt, auf der Bühne mit den

Musikern und den Zuhörern im Publikum. Dieser Akt ist mir wichtig,

die Stimmung und die Energie sind mir wichtig. Im Fluss zu sein und

dann die Leute abholen – das ist live am besten. Brot ist auch frisch

immer am leckersten. Und so ist es auch mit der Musik. Live spielen

– das ist es! //

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Drumset bei RhythmTalk: Sonor SQ2 Maple Vintage

18" × 16" Bassdrum

22" × 16" Bassdrum

8" × 7", 10" × 8", 12" × 9", 14" × 12" und 16" × 14" Toms

24" × 4" und 18" × 10" Gong Toms

14" × 5" Timbales

Snaredrums: Sonor SQ2 Maple Vintage

14" × 6.5", 14" × 7" und 12“× 5“

Cymbals: Meinl Byzance22" Dark Ride

22" Vintage Sand Ride

22" Traditional Flat Ride

14" Dark Hi-Hat

12" Traditional X-Hat

16", 18" und 20" Vintage Crash

22" China Ride

6", 8", 10" und 12" Traditional Splash

12" Brilliant Splash

16" Generation X Filter China

12"/14" X-treme Stack

Hardware/Pedale: Sonor

Sticks: Vater

Felle: Aquarian

Electronics:Roland SPD-SX

Native Instruments

Zusammenspiel kann man nicht

googeln oder downloaden! Das ist

eine Arbeit, die Zeit braucht.

www.agostinidrumschool.ch

www.rhythmtalk.ch

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