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KLEINERE WISSENSCHAFT-

LICHE BEITRAGE

Verbraucherschutz and Versicherung— Zur Kritik von Hans Dieter Meyer —

Von Peter Prave, Berlin

Hans Dieter Meyer, Autor mehrerer Ratgeber in Versicherungsfragen, hatEnde vergangenen Jahres eine umfassende Bestandsaufnahme uber das Ver-sicherungswesen vorgelegt. 1 Seine darin zusammengefaBten Thesen mundenin der Beschreibung einer ,Branche jenseits von Recht and Wettbewerb",wie es der Titel des Buches bereits ausdruckt. Die Abhandlung, die fur einbreites Publikum geschrieben worden ist, aber — nach Dafurhalten desAutors — nicht frei von ,wissenschaftlichem ,touch" sei, 2 beruhrt eine Reihevon Grundsatzfragen fiber das Wesen der Versicherung.

1. Versicherung als ,Leistung der Versicherten"

Das der Arbeit zugrundeliegende Verstandnis ist das eines sehr weitge-henden Verbraucherschutzes. Der Verfasser schildert Erscheinungsformendes Versicherungswesens, die er als MiBstande bewertet and die er teilweisebereits seit geraumer Zeit thematisiert. Dabei fordern seine Darlegungeneine schon im Grundsatz abweichende Auffassung von Versicherung zutage.Versicherung sei keine angebotene unsichtbare Ware, sondern „die Leistungder Versicherten". 3 Es komme im Versicherungsfall lediglich zu einer ,ganzschlichte(n) Einkommensverteilung zwischen den Versicherten als Gemein-schaft". 4 DemgemaB seien die eingezahlten Versicherungsbeitrage uberwie-gend treuhanderisch zu verwalten. 5 Es ist zu untersuchen, ob dieses Konzeptargumentativ begrundet werden kann.

1 Hans Dieter Meyer, Das Versicherungs-(un)wesen. Eine Branche jenseits vonRecht and Wettbewerb. Munchen 1990.

2 a.a.O., S. 27.3 a.a.O., S. 82.4 a.a.O., S. 90.5 Vg1. a.a.O., S. 75, 78.

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2. Versicherungsgemeinschaft and Erwerbsversicherung

Meyer verweist auf die Geschichte der Versicherung. Danach sei Versiche-rung nie etwas anderes gewesen als ,das gegenseitige Versprechen vonpraktischer Hilfe fur einen gemeinschaftlichen Schadensausgleich " 6 bzw.,,die Beseitigung finanzieller Risiken durch die gemeinschaftliche Bereit-stellung von Geld fur einen gegenseitigen Schadensausgleich". 7 Die Ur-sprunge der Versicherung liegen tatsachlich im Sicherungsgedanken, wieer in sogenannten naturlichen Gefahrengemeinschaften, beispielsweise imFamilien- oder Sippenverband, zum Ausdruck kommt. Diese naturlichenZusammenschlusse entsprechen jedoch nur partiell dem Versicherungsge-danken. 8 Daneben gibt es drei wesentliche historische Quellen von Versiche-rung, die bis heute fortwirken: den genossenschaftlichen ZusammenschluB,das erwerbswirtschaftliche Rechtsgeschaft Bowie die staatliche Fursorge.

Letzteres ist vor allem in Deutschland bedeutsam geworden. Hier entstan-den im 18. Jahrhundert offentlich-rechtliche Feuerversicherer and Brand-kassen. 9 Genossenschaftliche Organisationen mit einer mitgliedschaftlichenSicherung 1 ° sind hingegen bereits in der Antike and im alten Agypten nach-weisbar.l' Besondere Bedeutung erlangten derartige Zusammenschlusse imMittelalter. 12 Es ist das germanische Nordeuropa, in dem Bich diese auf demGemeinschaftsgedanken fuBende Versicherungsform behaupten konnte. 13

Dem Solidaritatsaspekt unverdndert verpflichtet ist der heutige Versiche-rungsverein auf Gegenseitigkeit, 14 fur den beispielsweise im Hinblick aufBeitrage and Vereinsleistungen das Gleichbehandlungsgebot gilt (§ 21Abs. 1 VAG).

Risikoubernahmen auf kaufmannischer Basis loll es in der Antike schongegeben haben. 15 Bedeutsam wurden derartige Sicherungssysteme ab dem14./15. Jahrhundert mit der Ausbildung der Seeversicherung im Mittel-

6 a.a.O., S. 55.7 a.a.O., S. 59.8 Meinrad Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, Tubingen, 1991, S. 13 dif-

ferenziert zwischen ,Sicherung" and ,Versicherung". Franz Buchner, ZurGeschichte der Versicherung, in: Versicherungswissenschaftliches Archiv 1957, 1sieht in der naturlichen Gefahrengemeinschaft einen ,nur Behr allgemeinen Unter-grund der Versicherungsidee". Demgegenuber spricht Rudolf Gartner, Privatversi-cherungsrecht, 2. Aufl., Neuwied/Darmstadt, 1980, S. 322 in diesem Zusammenhangvon „fruhen Formen gegenseitiger Versicherung".

9 Siehe Franz Buchner, o. FuBn. 8, S. 7.10 Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 16.11 Vgl. Franz Buchner, o. Fufn. 8, S. 1.12 Vgl. Meinrad Dreher, o. Fuf3n. 8, S. 14.13 Vgl. Franz Buchner, o. FuBn. 8, S. 3.14 a.a.O., S. 27.15 So Franz Buchner, o FuIn. 8, S. 2. Auf einen Meinungsstreit caber die Bezeichnung

derartiger Erscheinungsformen als Versicherung weist Meinrad Dreher, o. Ful3n. 8,S. 13 Fuln. 2 hin.

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meerraum. 16 Hier liegen auch die Anfange der neuzeitlichen Lebensversi-cherung begrundet. 17 Die vom Erwerbsmotiv getragene Versicherungsformgewann friihzeitig vor allem in England an Boden. Ab dem 16. Jahrhundertsind es dort Einzelkaufleute, die das Versicherungsgeschaft betreiben. Im18. Jahrhundert entstehen zahlreiche See-, Feuer- and Lebensversiche-rungsunternehmen, die teilweise noch bis heute tatig sind. 18 Auch inDeutschland werden bereits im 18. Jahrhundert, and nicht, wie Meyer

angibt, im 19. Jahrhundert, 19 die ersten Aktiengesellschaften gegrundet. 20

Bemerkenswert ist auch, daB die von Meyer favorisierten Versicherungsver-eine auf Gegenseitigkeit in Deutschland zunachst von keiner grol3en Bedeu-tung sind; der moderne, grol3e VVaG entsteht erst im 19. Jahrhundert. 2 ' WasMeyer fur den Ausloser aller Probleme im Versicherungswesen halt, die,,Versicherung durch Aktiengesellschaften", 22 ist historisch verbunden mitder wirtschaftlichen Absicherung von Risiken23 auf der Basis von Vertrags-beziehungen. 24 Wie Wolfgang Biihler zurecht herausstellt, ist die Geschichteder Erwerbsversicherung „die Geschichte von Versicherungsvertragen". 25

Meyers Herleitung des Versicherungsbegriffs aus der Geschichte muBunvollkommen bleiben. Sie ubergeht die erwerbswirtschaftliche Wurzel vonVersicherung and ist insoweit auch anfechtbar.

3. Versicherung als ,,Produkt"

Einzuraumen ist allerdings, daB das von Meyer kritisch hinterfragte Pro-duktkonzept von Versicherung, das mit der erwerbswirtschaftlich betriebe-nen Versicherung einhergeht, bereits in der Terminologie nicht eindeutig ist.Die Bezeichnung der Versicherung als ,Produkt" ist zwar allenthalbenanzutreffen, 26 die weitere Konkretisierung gestaltet sich jedoch muhsam.Immerhin entspricht es noch allgemeinem Verstandnis, daB Versicherung

26 Franz Buchner, S. 3; Walter Karten, Versicherung — Gefahrengemeinschaft oderMarktleistung?, in: VW 1981, 1604, 1608; Matthias Haller, Gefahrengemeinschaftoder Sicherungsteam?, St. Gallen, 1985, S. 15.

17 Franz Buchner, S. 5.18 a.a.O., S. 7f.19 o. FuBn. 1, S. 62.20 Vgl. Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 16 FuBn. 12 and S. 20.21 a.a.O., S. 20 (siehe dort auch FuBn. 22).22 o. FuBn. 1, S. 62.23 Vgl. Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 15; Wolfgang Buhler, Der Grundsatz der

gleichmaBigen Behandlung der Versicherten, Schorndorf, 1959, S. 48.24 Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 16 spricht von ,vertraglicher Sicherung". Zur

Relativierung der ,Gemeinschaftsthese" aus geschichtlicher Sicht siehe auch Mat-thias Haller, o. FuBn. 16, S. 16.

25 Wolfgang Biihler, o. FuBn. 23, S. 85.26 Siehe nur August Angerer, Erfahrung mit Versicherungsaufsicht, in: ZVersWiss

1989, 107, 110, 113; Meinrad Dreher, o. FuIn. 8, S. 2.

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etwas nicht Greifbares sei, weshalb von einem unsichtbaren bzw. abstrak-ten Gut gesprochen wird. 27 Off en bleibt, ob das „Gut ,Versicherungs-

schutz" 28 Ware oder Dienstleistung ist. 29 So deutet die Terminologie

„Ware", 30 ,Produkt " 31 and „Gut " 32 auf etwas Gegenstandliches hin; dem istaber ganz augenscheinlich nicht so, weshalb mitunter klarstellend hinzuge-fugt wird, Versicherung sei den Dienstleistungen zuzuordnen. 33 Die gewahl-ten Bezeichnungen sind nur erklarbar vor dem Hintergrund eines wirt-schaftlichen Erklarungsmodells von Versicherung, wonach dieses ,,Wirt-schaftsgut" das Risiko-, Dienstleistungs- and ggf. Spargeschaft umfasse. 34

Diese ,aus der Sicht des Versicherers " 35 konsequente Betrachtungsweisedarf aber nicht den Blick verstellen auf das rechtstechnische Verstandnisvon Versicherung. Danach entsteht das ,unsichtbare Produkt " 36 erst durch

Vertrag. Wie Meinrad Dreher es ausdruckt, werde es erst durch denselben,,zu einer Ware umgepragt " 37 bzw. materialisiert. 38 Insoweit mag es auchhinnehmbar sein, von einer Ware oder einem Gut zu sprechen. Damit bleibtaber noch offen, woraus dieses Produkt im einzelnen bestehen soil.

4. Versicherung als ,,Geschaftsbesorgung"

Meyers Standpunkt hierzu ist eindeutig. Er vergleicht die Versicherungmit anderen wirtschaftlichen Vorgangen. So verweist er auf das Sparen beiBanken, 39 die treuhanderische Verwaltung von Geldern durch Kapitalanla-gegesellschaften40 and Notare. 41 SchlieBlich macht er auf die entgeltliche

27 Vgl. Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 3, 148; August Angerer, Die Anforderungenan AVE and Regulierung von Versicherungsfallen unter dem Gesichtspunkt des Ver-braucherschutzes, in: Symposion „80 Jahre VVG", Karlsruhe, 1988, S. 42; RudolfGartner, o. Ful3n. 8, S. 236.

28 Helmut Schirmer, Allgemeine Versicherungsbedingungen and AGB-Gesetz, in:ZVersWiss 1986, 509, 510.

29 Diese von ihm aufgeworfene Frage 15Bt Wolfgang Bi hler, o. FuBn. 23, S. 43unbeantwortet.

30 So August Angerer, o. FuBn. 27, S. 42; Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 147.31 Meinrad Dreher, o. Ful3n. 8, S. 148; Dieter Farny, Versicherungsbetriebslehre,

Karlsruhe, 1989, S. 422; ders., Theorie der Versicherung, in: Dieter Farny u. a. (Hrsg.),Handworterbuch der Versicherung, Karlsruhe, 1988, S. 867; vgl. Wolfgang Bx hler, o.Fuln. 23, S. 43 F ulln. 83.

32 Dieter Farny, Versicherungsbetriebslehre, o. FuBn. 31, S. 422; Meinrad Dreher,o. FuBn. 8, S. 3; Helmut Schirmer, o. FuBn. 28, S. 510.

33 So ausdrticklich Meinrad Dreher, o. F uIn. 8, S. 145 f.34 So Dieter Farny, Versicherungsbetriebslehre, o. FuBn. 31, S. 422.38 So Dieter Farny, Handworterbuch, o. FuBn. 31, S. 870.36 Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 148.37 ders., S. 147.36 ders., S. 151.39 Hans Dieter Meyer, o. FuBn. 1, S. 61, 71f., 75f.40 a.a.O., S. 78.41 a.a.O., S. 177f.

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Geschaftsbesorgung aufinerksam. 42 Parallelen sieht der Verfasser in alienFallen insofern, als daB die jeweils eingebrachten Gelder im Eigentum desGebenden bleiben. Nicht hinreichend deutlich wird, ob Meyer auf dieseWeise nicht uberwiegend die Lebensversicherung kritisch hinterfragt. 43

Dies kann jedoch offen bleiben, sollte man zu dem Ergebnis gelangen, daBdie behaupteten Parallelen weder fur die Lebensversicherung noch furandere Versicherungszweige zutreffen. Meyers Argumentation steht inZusammenhang mit seiner Pramisse, es gebe kein Produkt Versicherung.Die Pramie sei kein Preis 44 and die Leistung sei eine „Art Lottogewinn, diedurch ein zufalliges Ereignis bestimmt" werde. 45 Ein ,Austausch vonbewertbaren Leistungen" finde ebensowenig statt. 46 Damit ist die eben nochausgesparte Frage nach dem Inhalt des allgemein so bezeichneten ,,Pro-dukts" Versicherung wieder aufgeworfen. Ist Versicherung tatsachlich nurdie Leistung der Versicherten, wie dies von Meyer behauptet wird?47

5. Geldleistung and Gefahrtragung

Die Meinungen uber das, was Versicherung ausmacht, gehen weit ausein-ander. Dabei ist von der zwischen Versicherer and Versicherungsnehmerbestehenden vertragsrechtlichen Beziehung auszugehen. Danach verpflich-tet sick der Versicherer im allgemeinen, bei Eintritt des Versicherungsfallsdie geschuldete Geldleistung zu erbringen. Diese nur bedingt geschuldeteLeistung soil dem Interesse des Versicherungsnehmers entsprechen, das nurauf eine Befriedigung im Versicherungsfall gerichtet sei. 48 Worin, so wirdeingewandt, soll aber die Leistung des Versicherers bestehen, wenn der Ver-sicherungsfall gar nicht eintritt. 49 Ist es nicht vorrangig die Sicherung, dieder Versicherungsnehmer erstrebe, 50 and die ihm der Versicherer gewahre?

42 a.a.O., S. 221.43 Expressis verbis bezeichnet er lediglich an einer Stelle die entgeltliche

Geschaftsbesorgung and die Geldanlage bei Kapitalanlagegesellschaften als ,demLebensversicherungsvertrag vergleichbare Vorgange" (a.a.O., S. 221). Ansonsten wirdpauschal verglichen, so auch ders., Wem gehoren 800 Milliarden Mark? Eine Kritik anden rechtlichen and wirtschaftlichen Grundlagen des Versicherungswesens, in: ZRP1990, 424, 427.

44 o. FuBn. 1, S. 233.45 a.a.O., S. 234.46 a.a.O., S. 233.47 Vgl. o. FuBn. 3.48 So Walter Schmidt-Rimpler, Die Gegenseitigkeit bei einseitig bedingten Vertra-

gen, insbesondere beim Versicherungsvertrag, Stuttgart, 1968, S. 25f.49 Siehe hierzu Wolfgang Muller, Das Produkt der Versicherung, in: Michael Jung

u. a. (Hrsg.), Geld and Versicherung, Festgabe fur Wilhelm SeuB, Karlsruhe, 1981,S. 155, 158; Obi Mordi, Das Produktkonzept der Versicherung: Eine alternative Inter-pretation, in: ZVersWiss 1985, 81, 85; Fritz Reichert-Facilides, ZivilrechtlicheBetrachtungen zum gerechten Verhaltnis von Versicherungsschutz and Versiche-rungsentgelt, in: Versicherungswissenschaftliches Archiv 1958, 299, 305.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat dementsprechend darauf abgestellt, daBder Versicherer eine ,Gefahr " 51 bzw. ein ,Risiko " 52 mit AbschluB des Versi-cherungsvertrags ubernehme, ohne sich damit bereits der Auffassung anzu-schliellen, der Versicherer schulde die Gefahrtragung als seine Leistung.Danach wurde die Gefahrtragung, die im Verpflichtet- and Bereitsein zurEntschadigungsleistung liege, einen eigenen Leistungstyp im Sinne von§ 241 BGB darstellen, 53 der dem Charakter des Versicherungsvertragesals einem Dauerschuldverhaltnis entspreche. 54 Die im Versicherungsfallgeschuldete Geldleistung sei nur eine ,Realisierung der Gefahrtragung". 5 s

Diese Sichtweise hat sich als nicht unproblematisch erwiesen, weil der Ver-sicherungsnehmer auf die mit dem Bereitsein des Versicherers fur den Ver-sicherungsfall verbundenen Geschaftsbesorgungshandlungen keinen zivil-rechtlichen Anspruch hat, 56 diese vielmehr ausschlielllich der aufsichtsbe-hordlichen Kontrolle unterliegen. 57 Dementsprechend wird der Gefahrtra-gung teilweise noch keine Leistungsqualitat im Rechtssinne zugesprochen.Sie sei nur Vorbereitungshandlung. 58 Will man dem nicht folgen, so muBman im Versicherungsvertrag einen besonderen Geschaftsbesorgungsver-trag erblicken, 59 wie dies Meyer behauptet. Das kann aber nur richtig sein,wenn dem nicht anderslautende vertragliche Verabredungen zwischen Ver-sicherer and Versicherungsnehmer entgegenstehen.

50 Bejahend Franz Haymann, Leistung and Gegenleistung im Versicherungsver-trag, Berlin/Leipzig, 1933, S. 22. Vgl. Adolf Grieshaber, Das Synallagma des Versi-cherungsvertrages, Mannheim/ Berlin/ Leipzig, 1914, S. 90; Fritz Reichert-Facilides,o. FuBn. 49, S. 305.

51 BVerwG VersR 1981, 221, 223; siehe auch Paul Kramer, Leistung ohne Gegenlei-stung, in: VersR 1970, 599.

52 BVerwG VersR 1987, 273, 274.53 Adolf Grieshaber, o. FuBn. 50, S. 16 u. 93; Fritz Reichert-Facilides, o. FuBn. 49,

S. 305.54 Dieter Farny, Handworterbuch, o. FuBn. 31, S. 868f.; Adolf Grieshaber, o.

FuBn. 50, S. 91 f.; siehe auch Erwin Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, 2. Aufl.,Karlsruhe, 1988, S. 125.

55 So Adolf Grieshaber, o. FuBn. 50, S. 93.56 Walter Schmidt-Rimpler, o. FuBn. 48, S. 35.57 Adrian Hungerbuhler, Die Aquivalenz von Leistung and Gegenleistung im Versi-

cherungsvertrag, Frankfurt, 1972, S. 14f.; Prolss/Martin, VVG, 24. Aufl., Munchen,1988, Anm. 2 A zu § 1 VVG; Walter Schmidt-Rimpler, o. FuBn. 48, S. 34; vgl. RichardKoch, Das Synallagma des Versicherungsvertrages, Aarau, 1958, S. 66.

56 So Richard Koch, o. FuBn. 57, S. 67; Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 91. Ahnlichesdurfte auch der Auffassung von Versicherung als ,Cberlassung bestimmter Informa-tionen uber eine Zustandsgarantie" entgegenzuhalten sein, wie sie von Wolfgang Meil-ler, o. FuBn. 49, S. 168 entwickelt and von Obi Mordi, o. FuBn. 49, S. 89, 92 (Informa-tion ,Versicherungsgarantie") fortgefuhrt worden ist.

59 Das meint auch Walter Schmidt-Rimpler, o. FuBn. 48, S. 27, 29.

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6. Gegenseitigkeit and Gleichwertigkeit

Zu klaren ist dabei zuvorderst, ob dem Versicherungsverhaltnis tatsach-lich kein Austauschverhdltnis innewohnt. Das ist zundchst einmal auf demBoden der oben bezeichneten Auffassung von einer Gefahrtragung des Ver-sicherers unproblematisch. Der Versicherungsnehmer erhdlt im Gegenzugzu der von ihm gezahlten Pramie stets eine Leistung des Versicherers. Folgtman allerdings der Auffassung von der Geldleistung, ware dies nur bei Ein-tritt des Versicherungsfalls gegeben. Es ist jedoch fraglich, ob ein gegensei-tiger Vertrag zivilrechtlich ein Aquivalenzverhdltnis der jeweiligen Leistun-gen erfordert. Wer sollte nach welchem MaBstab die Gleichwertigkeit derjeweils geschuldeten Leistungen bewerten? Ohne das Spannungsverhaltniszwischen Vertragsfreiheit and Vertragsgerechtigkeit an dieser Stelle naherzu problematisieren, ist doch festzuhalten, daB es in einer marktwirtschaft-lichen Ordnung grundsatzlich dem einzelnen obliegt, ob er eine vertraglicheBindung eingehen will oder nicht. 60 In diesem Sinne bietet ein Vertrag nur,,eine gewisse Richtigkeitsgewdhr " 6 ' fur die Gleichwertigkeit von Leistungand Gegenleistung. Fur eine objektive Gleichwertigkeit ist hier kaum Raum,vielmehr orientiert sich die Bewertung an einem subjektiven MaBstab. 62

Daraus folgt bereits, daB es schlechterdings nicht die Leistungen sein kon-nen, die ein synallagmatisches Verhaltnis begrunden. Zu Recht hat daherFranz Haymann herausgearbeitet, daB es die Leistungsversprechen sind, diein einem Gegenseitigkeitsverhaltnis stehen. Denn jede Partei erblicke imLeistungsversprechen der anderen Partei den Rechtsgrund fur ihr eigenesLeistungsversprechen. 63 Bei Versicherungsvertrdgen sind es demgemaB dasVersprechen einer Leistung des Versicherers im Versicherungsfall and dasPramienversprechen des Versicherungsnehmers, die zur Annahme einesgegenseitigen Vertrages fizhren. 64 Dabei ist es unerheblich, daB der Versi-cherer nur bedingt eine Leistung verspricht, wahrend sich der Versiche-rungsnehmer unbedingt zu leisten bereit erkldrt. Haymann: ,Dadurch, daBder Versicherer bedingt zu leisten ... verspricht, leistet er im Sinne des Syn-allagma vorbehaltlos, endgtiltig and in diesem Sinne ,unbedingt " . 65

60 Fritz Ritter steilt heraus, die Aquivalenzfrage bleibt grundsatzhch Vertrag andWettbewerb uberlassen, so ders., Die Versicherungsaufsicht nach dem D.A.S.-Urteildes Bundesverwaltungsgerichts, in: VersR 1982, 205, 207.

61 So Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 130 f.62 Vgl. Adrian Hungerbuhler, o. FuBn. 57, S. 28; Rudolf Gartner, o. FuBn. 8, S. 244;

Richard Koch, o. FuBn. 57, S. 25 u. 29.63 So Franz Haymann, o. FuBn. 50, S. 7; W. Lehmann, Leistung and Gegenleistung

im Rahmen gewagter Vertrage unter besonderer Berticksichtigung des Lotterie-, desVersicherungs- and des Bausparvertrages, in: JW 1934, 2006, 2010.

64 Vgl. Richard Koch, o. FuBn. 57, S. 61; Prolss/Martin, o. FuBn. 57, Anm. 2 zu § 1VVG; siehe auch BVerwG VersR 1987, 273, 274.

65 Franz Haymann, o. FuBn. 50, S. 31.

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7. ,Gefahrengemeinschaft" and marktwirtschaftliche Ordnung

Diese so verstandenen einzelvertraglichen Bindungen, die zwischen Versi-cherer and Versicherungsnehmer bestehen, lassen wenig Raum fur Vorstel-lungen von Versicherung als gemeinschaftliche Leistung der Versicherten.Und doch ist es genau dieser gedankliche Ankniipfungspunkt, den Meyer

wdhlt, um auf Besonderheiten hinzuweisen, die im Versicherungsbereichbestehen sollen. Dabei ist nicht zu iibersehen, daB es die Gefahrtragungs-lehre ist, die Beruhrungspunkte mit der Idee von der Versichertengemein-schaft aufweist. 66 Dementsprechend wird in der Theoriediskussion immerwieder die Existenz einer sogenannten Gefahrengemeinschaft behauptet,was im Ergebnis Auffassungen wie die von Meyer stutzt. Dabei wird derVersicherer als b1ol er ,Kassenhalter oder Vollzugsinstanz" des Bedarfsaus-gleichs der Versichertengemeinschaft begriffen, 67 teilweise auch als ,Treu-

hdnder". 68 Eine prdzise Definition der ,Gefahrengemeinschaft" sucht manallerdings vergebens. Die Idee scheint verknupft mit den oben skizziertenursprunglichen Formen von Versicherung, die allerdings mit der erwerbs-wirtschaftlich betriebenen Massenversicherung nicht viel gemein haben. 69

Um den Entwicklungen des modernen Versicherungswesens besser Rech-nung tragen zu konnen, wurde die Idee der Gefahrengemeinschaft mitunterauch zu der Vorstellung eines ,Sicherungsteams" uminterpretiert. DerGemeinschaftsgedanke sollte auf diese Weise bewahrt werden, ohne dieindividuellen Beziehungen zwischen Versicherer and Versicherungsnehmerzu ubergehen. 70 Mit der neuen Begriffsschopfung war aber noch nicht vielgewonnen. Der Gemeinschaftsgedanke gewinnt erst Konturen, wenn ausihm konkrete Anforderungen entwickelt werden, wie dies in Meyers Buchnachzulesen ist. Dabei wird deutlich, daB Gemeinschaft keineswegs nur im

66 So auch Meinrad Dreher, o. Fulln. 8, S. 87.67 So Wolfgang Buhler, o. FuBn. 23, S. 33. Karl Sieg bezeichnet den Versicherer in

einem anderen Zusammenhang als den Reprasentanten der Versicherungsnehmer-schaft, siehe ders., Rechtsfolgen der Verletzung versicherungsrechtlicher Obliegen-heiten, in: ZVersWiss 1973, 437, 448.

68 So mif3verstandlich fur die Lebensversicherung Reimer Schmidt, Die Niederlas-sungsfreiheit der Lebensversicherer im Gemeinsamen Markt, in: ZVersWiss 1966,219, 250. Vgl. auch Eike von Hippel, Gewinnbeteiligung and Verbraucherschutz inder Lebensversicherung, in: JZ 1989, 663, 664. Eine Treuhanderstellung des Versiche-rers verneinen hingegen Gerrit Winter, in: Bruck-Moller, VVG, 8. Aufl., 5. Bd., Zwei-ter Halbband, Berlin/New York, 1988, Anm. G 345; Rudolf Gartner, o. FuBn. 8,S. 261; Walter Karten, o. FuBn. 16, S. 1605; Rupert Scholz, VerfassungsrechtlicheStrukturfragen der Versicherungsaufsicht, in: ZVersWiss 1984, 1, 16; Prolss/Martin,o. FuBn. 57, Vorbem. II 1.

69 Vgl. Dieter Farny, Handworterbuch, o. Fulln. 31, S. 869; Helmut Strauf3, Kriegand Frieden: Verbindungen zwischen Banken and Versicherungen (1980 - 1986) imSpiegel der osterreichischen Presse, in: Wolfgang Rohrbach (Hrsg.), Versicherungsge-schichte Osterreichs, Band 3, Wien, 1988, S. 1127, 1131.

7° So Matthias Haller, o. Ful3n. 16, S. 47.

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versicherungstechnischen Sinne begriffen wird 71 and sich auch nicht nurauf die rechtlich entsprechend ausgeformten Versicherungsvereine aufGegenseitigkeit beziehen soil. Eine Korrelation zu den Geboten von Treuand Glauben72 sowie Gleichbehandlung 73 ist unubersehbar, wenngleichdiese nur in den gesetzlich and aufsichtsbehordlich vorgesehenen Falleneine besondere Auspragung erfahren haben. 74 An dem Grundbefund fur dieerwerbswirtschaftlich betriebene Versicherung vermag dies wenig zuandern. Eine rechtlich gepragte Gruppe mit kollektiven Anspruchen bestehtnicht. Vertragliche Bindungen beschranken sich auf das Verhdltnis von Ver-sicherer and Versicherungsnehmer. 75 Anspruche, die daruber hinaus erho-ben werden, entbehren einer Grundlage. Eine derart verstandene Gefahren-gemeinschaft, vor der nicht zu Unrecht gewarnt wird, 76 tangiert die markt-wirtschaftliche Ordnung, die von freiem Wettbewerb 77 and Privatautono-mie78 gepragt ist.

Daran andert auch nichts die von Meyer als Indiz fur eine treuhanderischeVerwaltung von Versichertengeldern bewertete Ruckerstattung fur uber-schussige Beitrage im Bereich der Lebens-, Kranken- and Kfz-Versiche-rung. 79 Diese Beitragsriickerstattung beruht auf einer entsprechendengesetzlichen bzw. vertraglichen Regelung 80 and stellt somit eine zusatzlicheLeistung dar, die neben die Hauptleistung des Versicherers tritt. Aus demwerbenden Hinweis der Branche, wonach sich zumindest Lebensversiche-rungsunternehmen zeitweilig selber als Treuhdnder angepriesen haben, 81

laBt sich ebenfalls nichts anderes folgern. Meyer differenziert hier nicht hin-reichend and vermengt die generelle Definition von Versicherung mit der

71 So aber Wolfgang Biihler, o. FuBn. 23, S. 27 FuBn. 36; Gbtz Hueck, Der Grund-satz der gleichmaBigen Behandlung im Privatrecht, Munchen/Berlin, 1958, S. 159;Gunther Barbey, Probleme einer strukturgerechten Rechtsprechung im Bereich derVersicherungsaufsicht, in: VersR 1985, 101, 108 FuBn. 66; Meinrad Dreher, o. FulIn. 8,S. 134 in: VersR 1985, 101, 108 Fu13n. 66; Meinrad Dreher, o. FuI3n. 8, S. 134 u. 317.

72 Die Treuepflicht im Versicherungsverhaltnis betonen Fritz Reichert-Facilides,o. FuBn. 49, S. 308; Wolfgang Bi hler, o. FuBn. 23, S. 64; ProlsslMartin, o. FuBn. 57,Vorbem. II 3.

73 Vgl. Gbtz Hueck, o. FuBn. 71, S. 51; Wolfgang Buhler, o. FuBn. 23, S. 35, 42, 80;siehe auch Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 1281.

74 Zu den gesetzlichen Fallen des § 10 Abs. 3 and § 21 Abs. 1 VAG siehe GbtzHueck, o. FuBn. 71, S. 19, 166, 272.

75 So Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 125, 127, 135; Walter Karten,o. FuBn. 16,S. 1606; Rupert Scholz, o. FuBn. 68, S. 16. Siehe auch Franz Haymann, o. FuBn. 50,S. 21; Glitz Hueck, o. FuBn. 71, S. 1581.

76 So Walter Karten, o. FuBn. 16, S. 1614, 1615; Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 125.77 Vgl. Hans Moller, Moderne Theorien zum Begriff der Versicherung and des Ver-

sicherungsvertrages, in: ZVersWiss 1962, 269.78 Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 135; siehe auch Gerrit Winter, o. FuBn. 68, Anm. G

348 u. 350.79 o. FuBn. 1, S. 72.80 Vgl. BVerfG NJW 1991, 1167.81 o. FuBn. 1, S. 46, 51.

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der Lebensversicherung, die er selber uberwiegend gar nicht als Versiche-rung, sondern als Sparvorgang begreift. 82 Eine generelle Werbeaussagekann zudem nicht an die Stelle des Inhalts von Vertragsabsprachen treten.

Was die marktwirtschaftliche Ordnung anlangt, meint Meyer zu erken-nen, daB es im Versicherungsbereich gar keinen Wettbewerb geben konne,da dieser Informationen des Versicherungsnehmers uber den zu zahlendenPreis erfordere. Die Angabe der Prdmie genuge hierfur nicht, da diese Versi-cherungsbeitrag, Sparanteil and Dienstleistungsentgelt miteinander ver-menge. 83 Dazu ist zu bemerken, daB selbst Meyer von gunstigen and teurenAnbietern spricht84 and entsprechende Empfehlungen gibt.S 5 Wettbewerbli-che Prozesse werden somit entgegen anderslautender Behauptung gesehen,wobei sich der Versicherungsnehmer zwangslaufig an dem orientieren muB,was er als Prdmie zu zahlen hat. 86 Ob freilich die Pramienhohe fur sichgenommen eine ausreichende BezugsgroBe ist, ist eine andere Frage. Hiergewinnt das Argument an Gewicht, daB eine Aufteilung der Prdmie in ihreBestandteile Transparenz and Wettbewerb verbessern konnte. 87 DaB es zudieser Frage allerdings noch keine zuverlassigen Einschatzungen gibt,raumt Meyer mit seinem Hinweis auf fehlende neutrale Untersuchungen sel-ber ein. 88 Zu beriicksichtigen ist allerdings, daB Versicherer vereinzelt denVersicherungsnehmer auch insoweit informieren. 89 Wie auch immer mansich zu dieser Frage stellt, so bleibt festzuhalten, daB — wie oben aufgezeigt— die Gegenleistung des Versicherungsnehmers in jedem Fall in der Zahlungder entsprechenden Prdmie zu sehen ist, diese mithin als Preis fur das Pro-dukt Versicherung zu bezeichnen 90 nicht unzutreffend ist. Die erwerbswirt-schaftlich betriebene Versicherung ist and bleibt somit Pramienversiche-rung. 91

82 a.a.O., S. 59.83 a.a.O., S. 193, 211.84 a.a.O., S. 192. So auch Eike von Hippel, o. FuBn. 68, S. 669.05 o. FuBn. 1, S. 367.86 Siehe hierzu auch Walter Karten, o. Fuln. 16, S. 1607.87 So Eike von Hippel, o. FuBn. 68, S. 666 f. Demgegenuber halt Walter Karten eine

Pramienaufschlusselung nicht fur notwendig, siehe ders., o. FuBn. 16, S. 1611; so furdie Lebensversicherung auch Gerrit Winter, o. FuBn. 68, Anm. G 342 u. 343. Kritischzur Aussagekraft der Pramie im Hinblick auf die in der Lebensversicherung gewahrteUberschuBbeteiligung Meinrad Dreher, o. Fuln. 8, S. 98.

88 Hans Dieter Meyer, o. FuBn. 1, S. 325.S 9 Beispielsweise informiert die Deutsche Bank Lebensversicherung den Versiche-

rungsnehmer entsprechend, vgl. FAZ vom 22. 8. 89, S. 11 and „Die Zeit" vom23. 12. 88, S. 25.

90 Statt aller August Angerer, o. FuBn. 26, S. 113; Walter Schmidt-Rimpler, o.FuBn. 48, S. 34.

91 Vgl. Wolfgang Buhler, o. Fuln. 23, S. 28.

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8. Verbraucherschutz and EG

Meyers Fundamentalkritik uberzeugt nicht. Dabei ist Verbraucherschutz

im Versicherungsbereich mehr denn je gefragt, vor allem angesichts der

bevorstehenden Verwirklichung eines einheitlichen EG-Binnenmarktes. Mit

dem Wegfall der aufsichtsbehordlichen Tarif- and Bedingungskontrolle 92

wird es zur vorrangigen Aufgabe des nationalen Gesetzgebers, uber das Ver-

sicherungsvertragsrecht einen moglichst ausreichenden Schutz der Versi-

cherungsnehmer sicherzustellen. 93 Eine Novellierung des aus dem Jahre

1908 stammenden Versicherungsvertragsgesetzes (VVG), das noch von der

Rucksichtnahme auf ein sich in der Entwicklung befindliches Versiche-rungswesen gepragt ist, 94 ist hierfur unentbehrlich. Die von der EG-Kom-

mission vorgeschlagenen Dritten Richtlinien fur die Schadens- and Lebens-

versicherungen sehen vor, daB auch nach Verwirklichung eines einheit-

lichen Versicherungsmarkts innerhalb der EG die nationalen Vorschriften

Bestand haben werden, die dem Allgemeininteresse dienen. 95 In diesemSinne wird die Durchsetzung eines wohlverstandenen Verbraucherschutzes

vordringlich. Einzelne, auch von Meyer vorgetragene Einwande der Kritik

sollten dabei nicht ubergangen werden. So ware beispielsweise angesichts

der nicht grundlosen Bedenken gegen langerfristige Vertrage izber die Ein-

raumung eines uneingeschrankt geltenden jahrlichen Kundigungsrechts bei

Versicherungsvertragen nachzudenken. Die in § 8 Abs. 3 VVG enthaltene

Regelung, die Meyer in seinem Buch noch nicht berucksichtigen konnte, ist

aufgrund ihres zeitlich and inhaltlich reduzierten Anwendungsbereichs

unbefriedigend. 96 Dasselbe gilt fur das am 1. Januar 1991 eingefuhrte

Widerrufsrecht, das insbesondere dem Vollkaufmann nicht eingeraumt

wird. 97 Die Zugrundelegung einer pro-rata-temporis-Berechnung der Pra-

92 Der Vorschlag der EG-Kommission fur eine Dritte Richtlime zur Koordimerungder Rechts- and Verwaltungsvorschriften fur die Direktversicherung (mit Ausnahmeder Lebensversicherung) vom 31. August 1990 sieht in Artikel 26 die Unzulassigkeitvon Bestimmungen vor, die eine vorherige Genehmigung oder systematische T.7ber-mittlung von Versicherungsbedingungen and Tarifen beinhalten. Lediglich beiPflichtversicherungen dart den Unternehmen gemaB Artikel 27 Ziffer 2 eine Vorab-Mitteilungspflicht fur AVB auferlegt werden. Entsprechende Festlegungen enthaltauch der Vorschlag fur eine Dritte EG-Richthme fur die Lebensversicherung.

93 Siehe hierzu auch Norbert Reich, Von der Liberalisierung zur Deregulierung, in:VuR 1991, 1, 5 u. 6.

94 So heiBt es in den Motiven zum VVG — Neudruck —, Berlin, 1963, S. 64: „ ... dieseEntwicklung ist noch gegenwartig in vollem Flusse. Die Gesetzgebung mull jede MaB-nahme vermeiden, die hier hemmend and storend eingreifen konnte."

95 Das ergibt sich beispielsweise aus Artikel 25 des Vorschlags einer Dritten EG-Richtlinie zur Schadensversicherung. Die Vorschriften mussen dabei dem Grundsatzder VerhaltnismaBigkeit entsprechen, vgl. hierzu auch EuGH NJW 1987, 572.

96 Siehe hierzu Peter Prave, Das Kiindigungs- and Widerrufsrecht des Versiche-rungsnehmers bei Neuvertragen, in: VW 1991, 488f.

97 Die Schutzbedurftigkeit des Vollkaufmanns als Versicherungsnehmer ist von derRechtsprechung ausdrucklich betont worden, vgl. BGH VersR 1984, 830, 832 and LG

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mie bei vorzeitiger Vertragsbeendigung sollte an die Stelle der bisherigenBestimmung uber die Unteilbarkeit der Pramie gemaB § 40 Abs. 1 andAbs. 2 Satz 1 VVG treten. 98 Diese — nur beispielhaft genannten — Ansatz-punkte99 fur einen vor der Verabschiedung der entsprechenden EG-Richtli-nien notwendigen Diskurs uber wirksamen Verbraucherschutz sollte nichtvon ideologiebesetzten Standpunkten, wie den hier untersuchten, erschwertoder gar verhindert werden.

Dusseldorf DB 1989, 108. Vgl. Meinrad Dreher, o. FuBn. 8, S. 218f. Es ist nichtersichtlich, weshalb dem Kaufmann ein so zentrales Recht wie das Widerrufsrechtnicht eingeraumt werden sollte. Siehe hierzu Peter Prave, o. FuBn. 96, 490 FuBn. 23.

98 Vgl. hierzu nur August Angerer, o. FuBn. 27, S. 58 - 61.99 Weitere Anregungen enthalt beispielsweise Paul Schuster, Fortentwicklung des

Versicherungsvertragsrechts — EG-Harmonisierung and Reformuberlegungen, in:Symposion „80 Jahre VVG", Karlsruhe, 1988, S. 72, 83 - 90.


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