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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Leggewie, ClausAnti-Europäer

Breivik, Dugin, al-Suri & Co.

© Suhrkamp Verlagedition suhrkamp

978-3-518-07145-8

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Europa hat Feinde: Identitäre wie der MassenmörderAnders Breivik, Dschihadisten wie der Syrer Abu Mu-sab al-Suri, »Eurasier« wie der russische »Putin-Vorden-ker« Alexander Dugin stellen die politische Union unddie europäische Demokratie so radikal infrage, wie esseit 1945 keine politische Bewegung mehr gewagt hat.

Claus Leggewie porträtiert diese politischen Unter-nehmer, die unabhängig voneinander, aber oft in unge-wollter Komplizenschaft die »Festung Europa« schlei-fen wollen. Er erklärt, woher sie kommen und welchePläne sie verfolgen. Und er fordert dazu auf, sich end-lich politisch mit ihnen auseinanderzusetzen.

Claus Leggewie, geboren 1950, ist Direktor desKulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Lud-wig Börne-Professor an der Universität Gießen.

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Claus Leggewie

Anti-Europäer

Breivik, Dugin, al-Suri & Co.

Suhrkamp

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Erste Auflage 2016edition suhrkamp

SonderdruckOriginalausgabe

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Foto S. 19, Breivik: © picture alliance/AP Photo

Foto S. 61, Dugin: © dpaSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: Druckhaus Nomos, SinzheimUmschlag gestaltet nach einem Konzept

von Willy Fleckhaus: Rolf StaudtPrinted in Germany

ISBN 978-3-518-07145-8

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Inhalt

Konservative Revolutionen: Was auf dem Spielsteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I. Identitäre: Anders Breivik . . . . . . . . . . . . . 19Breiviks Kampf: 2083 – Eine europäischeUnabhängigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . 24Wahnwitz Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Gespaltene Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 38Vom Protest zum Widerstand? . . . . . . . . . . 42Die böse Welt da draußen und die heile Welt derFamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Norwegens Breivik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Breiviks Follower . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

II. Eurasier: Alexander Dugin . . . . . . . . . . . . . 61Neoeurasier – eine Alternative zum Westen . . 64Von der Vierten politischen Theorie zu denKonflikten der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . 69Putin, lunar und solar . . . . . . . . . . . . . . . . 80Illiberale Verbrüderung im Osten . . . . . . . . 84Kollaboration im Westen . . . . . . . . . . . . . . 89Netz-Propaganda und Cyberkrieg . . . . . . . . 96Trump ante portas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

III. Dschihadisten: Abu Musab al-Suri . . . . . . . 101Alias: Bildungsroman eines Meistgesuchten . . 105Mein Kampf von heute? . . . . . . . . . . . . . . . 112

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Neues aus Londonistan . . . . . . . . . . . . . . . 121Von al-Qaida zum Islamischen Staat . . . . . . . 124Kann Europa sich wehren? . . . . . . . . . . . . . 136

Kritik der exterministischen Unvernunft . . . . . . 141

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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Konservative Revolutionen:Was auf dem Spiel steht

Als Adolf Hitlers Mein Kampf Anfang 2016 wieder all-gemein zugänglich wurde, befürchteten einige, dieHetzschrift könne noch toxisch sein und neue Nazisanwerben. Andere fanden nach der Lektüre, die Deut-schen hätten den wirren, zuerst 1925 erschienenen Textgenauer lesen sollen – sie wären dann besser gewappnetgewesen gegen die Wucht der »nationalsozialistischenBewegung«. Schließlich hatte der Festungshäftling A.H.acht Jahre vor seiner Machtübernahme auf Hundertenvon Seiten alles ausgebreitet und angekündigt: den Ras-senwahn, die Eroberung von Lebensraum im Osten, dieTodfeindschaft gegen Juden und Bolschewisten, die Ra-che am »Erbfeind« Frankreich. Auch völlig abstruseIdeen können Macht und Wirkungskraft erlangen, wenndie Gelegenheit günstig ist und sie sich mit mächtigenInteressen verbinden.1

Dieser Essay, ein Stück Gegnerforschung,2 stellt aktu-elle, außerhalb eines engen Kreises von Anhängern wohlebenso ungelesene Kampfschriften extremen Inhalts vor:die Europäische Unabhängigkeitserklärung des Norwe-gers Anders Behring Breivik von 2011, die Vierte Politi-sche Theorie des Russen Alexander Geljewitsch Duginvon 2013 und den 2004 von dem Syrer Abu Musab al-Su-ri in Umlauf gesetzten Aufruf zum weltweiten isla-mischen Widerstand.3 Der Zeit gemäß kursieren dieseKampfschriften im Internet, in der Sphäre also, in der

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Hitler heute Proselyten machen und Kollaborateure an-werben würde. Breivik tritt ein für die Erneuerung deschristlichen Abendlands, Dugin propagiert ein eurasi-sches, von Russland geführtes Imperium, al-Suri verkün-det den Heiligen Krieg gegen den Westen. Alle drei skiz-zieren eine neue Geopolitik sakral fundierter Imperien:ein islamisches Kalifat, die Eurasische Union, ein Heili-ges Römisches Reich 2.0.

Auch wenn sich Zielsetzungen und Methoden im Ein-zelnen erheblich unterscheiden, kann man, beginnendmit der Überlänge und Redundanz der Schlüsseltex-te, wichtige Übereinstimmungen konstatieren. Dazuzählen die narzisstischen Persönlichkeiten der Verfasser.Anders Breivik, im Grunde ein bemitleidenswerterTropf, brannte sich im Juli 2011 mit einem grässlichenMassaker in das Gedächtnis der Menschheit ein, indemer in Oslo und Utøya Dutzende unschuldiger Menschenregelrecht exekutierte. Alexander Dugin, als Wissen-schaftler kaum der Rede wert, schwingt sich zum Chef-ideologen einer russisch-imperialen Wiedergeburt auf,deren aggressives Gesicht 2014 in der östlichen Ukrainesichtbar wurde. Abu Musab al-Suri, der unter ande-ren Umständen ein durchschnittlicher Familienvater inAleppo sein könnte, imaginiert einen Kreuzzug, der inseinen Dimensionen ein totaler Krieg ist. Narzisstenkönnen Monster werden, wenn die Übersteigerung dereigenen Person den massenhaften Tod anderer Men-schen hinnimmt und sie die von ihnen erfahrenen Krän-kungen in einer Weise ausagieren, dass sie sich in eineGefahr für die Menschheit verwandeln. Alle drei pfle-gen in extremer Weise den »paranoiden Stil«.4 So be-

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zeichnet man ein apokalyptisches Denken, das unbeirr-bar davon überzeugt ist, hinter den Kulissen waltetenböse Mächte, die mit dunklen Gestalten, gerne »ausdem Ausland«, verbandelt sind. Die Welt wird strikt inGut und Böse eingeteilt, weshalb sich der pathologischeNarzisst einbildet, sie mit einem revolutionären, gewalt-samen Akt retten zu müssen.

Schon Hitlers Hassfiguren waren der westliche Libe-ralismus, die freiheitliche Demokratie und das supra-national vereinte Europa. Auch die drei Protagonistendieses Buches wollen gegen diese Feindbilder eine »Kon-servative Revolution« in Gang setzen. »Konservativ«und »Revolution« – man stutzt zunächst: Wie könnenerklärte Bewahrer eine radikale Umwälzung anstreben?Doch genau dieses Oxymoron gab in der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts einer rechtsintellektuellen Strö-mung den Namen, die damals auf die Zumutungen derModerne und die Unübersichtlichkeiten der Globali-sierung reagierte. Mit den faschistischen Strömungendeckte sie sich nur partiell, sie teilte aber deren radikaleAversion gegen kulturellen Pluralismus und ihre Begeis-terung für einen völkisch-autoritären Nationalismus.5

Man könnte die selbsternannten Erben der Konser-vativen Revolution belächeln, würden sie es bei verba-lem Radikalismus belassen und ohne Resonanz bleiben.Führt auch heute ein Weg von einsamen Wölfen wieBreivik und den Cliquen eines Dugin oder al-Suri in brei-tere weltanschauliche Milieus und etablierte Machtzir-kel? Zahlenmäßig schwach, betreiben Konservative Re-volutionäre eine »metapolitische« Strategie: Erst sollendie Köpfe erobert werden, dann eventuell Positionen,

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Territorien und Ressourcen. Das war bereits der Ansatzder Neuen Rechten seit den sechziger Jahren des 20. Jahr-hunderts. Dugin und Breivik beziehen sich ausdrück-lich auf das Werk des italienischen Kommunisten Anto-nio Gramsci, der in Mussolinis Kerker eine Strategiekultureller Hegemonie entwarf, als sich die Hoffnungenauf einen politisch-militärischen Erfolg der Revolutionzerschlagen hatten. Natürlich meinte Gramsci, ehe ihmdie Nouvelle droite das Wort im Munde umdrehte, denantifaschistischen Kampf, doch heute propagieren selbsterklärte Faschisten aus ihrer zahlenmäßigen Schwächeheraus eine »gramscianische« Strategie.6 In vielerlei Hin-sicht kopieren sie damit die ebenfalls auf kulturelle Um-wälzung angelegten Strategien der 68er, also der poli-tischen Bewegung, die sie erklärtermaßen am meistenverabscheuen und bekämpfen. Deren Kulturrevolutionsoll mit einer neuen Kulturrevolution unter umgekehr-ten Vorzeichen revidiert werden.

Teil dieser Bemühungen ist stets eine Sakralisierungdes Politischen. Der Syrer al-Suri ist einer der Protago-nisten, die einen solchen Primat der spirituellen Sphäreformulieren, doch religiöse Lehren und Gegensätze be-stimmen die internationale Politik seit den siebziger Jah-ren des 20. Jahrhunderts generell wieder stärker. Auchdies übrigens ein Anschluss an die sechziger Jahre, de-ren antikoloniale Tradition des säkular-nationalistischen»Tiersmondismus« nun religiös umgepolt wird. Ähnlichinspiriert sind die Geopolitiker Breivik und Dugin, wel-che die Entzauberung der Welt durch Reformation undAufklärung in Richtung »Westrom« und »Ostrom« zu-rückdrehen wollen.

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Angesichts dieses an sich schon beunruhigenden Line-ups europafeindlicher Kräfte fragt dieser Essay nach dempotenziellen Wirkungsfeld der Pamphlete: bei Unterstüt-zern, Kollaborateuren und politischen Unternehmern.Wären sie auch nur teilweise erfolgreich, stünde am En-de ein radikal anderes, autoritäres, fundamentalistischesEuropa – statt kulturellem Pluralismus weiße Suprema-tie, statt Religionsfreiheit Gottesstaat, statt DemokratieAutokratie, statt Gleichberechtigung Patriarchat, stattIndividualität Unterwerfung.

Mit den Identitären, die der faschistischen Tradi-tion in Europa am nächsten stehen, beginnt dieses Buch.Anders Breivik hat die in seinem Traktat 2083 – Eine eu-ropäische Unabhängigkeitserklärung formulierte Denk-figur der ethnischen Reinheit am 22. Juli 2011 mit grau-enerregenden Terroranschlägen in die Tat umgesetzt. Anihm, der sich ganz ausdrücklich auf die Konservative Re-volution beruft, kann man zeigen, dass die Feinde nichtzuletzt aus dem Inneren Europas kommen, wenn radika-le Nationalisten und weiße Suprematisten7 das »Abend-land« als Stammes- und Religionsgemeinschaft auflebenlassen, die sich gegen eine vermeintliche islamische Inva-sion zur Wehr setzen soll. Dem kulturellen PluralismusEuropas setzt er ein monokulturelles, (pseudo)christ-liches Kontrastbild entgegen. Vor dieser Re-Vision mögendie meisten Europäer erschauern, doch der identitäre Ab-schottungsdiskurs und eine aggressive Identitätspolitiksind längst in die Mitte der europäischen Gesellschaftvorgedrungen. Will sagen: Den »Breivik ohne Utøya« ge-ben viele. Populisten und Islamverächter distanzierensich von Breiviks Tat, aber sie sprechen seinen Text.

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Eine zweite, wieder nur scheinbar europafreundlicheKampfansage ist die Ideologie der eurasischen Au-

tokratie, welche die politisch-kulturelle Verwestli-chung und das nordatlantische Bündnis mit Amerikarevidieren und der (orthodoxen) Kirche im Staat eineOrientierungsrolle einräumen will. Pointiert vertretenwird diese Vision von dem russischen Schriftsteller undPolitikprofessor Alexander Dugin. Vorgestellt werdenseine jüngsten Werke Konflikte der Zukunft. Die Rück-kehr der Geopolitik und Die Vierte Politische Theorie,die ebenfalls ausdrücklich an die Konservative Revolu-tion anschließen. Als natürliche Führungsmacht Euro-pas empfiehlt Dugin das postsowjetische Russland un-ter der Führung Wladimir Putins, dessen Nähe er imMachtapparat sucht und dessen Expansionspolitik gegendie Ukraine er unterstützt. Dugin kennen die wenigstenEuropäer, doch eine naive oder bewusste Russophilie8

zeigt für die Außenpolitik des russischen Präsidenten viel»Verständnis«. Einige Denkfabriken der Neuen Rech-ten haben das Vordringen russischer Soldaten und Frei-schärler auf das Gebiet der Ukraine gutgeheißen, nochweit mehr Europäer können einem »Dugin ohne Neu-russland« etwas abgewinnen.

Die Dschihadisten schließlich, allen voran dieKämpfer und Unterstützer der al-Qaida und des Isla-mischen Staates (IS), agieren von außen mithilfe religiösmotivierter Kämpfer und Konvertiten aus Europa. Vonihnen geht derzeit wohl die größte Gefahr für die Si-cherheit und Integrität Europas aus. Das englischspra-chige Propagandamagazin Dabiq – es ist benannt nachder syrischen Stadt, in der die Entscheidungsschlacht

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zwischen den Armeen Allahs und ihren Feinden statt-finden soll – droht: »Im Herzen Europas beginnt einKrieg.«9 Gemeint sind Anschläge wie 2015 und 2016 inParis und Brüssel, für die Abu Musab al-Suris Aufrufzum weltweiten islamischen Widerstand die Blaupausevorgegeben hat. Sein Ziel ist es, die »Grauzonen« auf-zulösen, in denen die Muslime und der Westen bisherfriedlich koexistieren. Klarer kann man den Angriff aufeine säkulare Ordnung nicht formulieren – mittlerweilemit dem infamen Nebenziel, durch ein Anheizen der»Flüchtlingskrise« islamfeindlichen Bewegungen Auf-trieb zu verschaffen und angepassten Muslimen im Wes-ten keine andere Wahl zu lassen, als sich dem HeiligenKrieg anzuschließen.10 Gewiss distanzieren sich diemeisten Muslime von den Attentaten in westlichen Me-tropolen, aber nicht wenige zeigen zumindest ein diffu-ses »Verständnis« dafür. Einem »Al-Suri ohne Selbst-mordattentate« würden irregeleitete Muslime, darunternicht wenige Konvertiten, folgen. Und der Dschihadhat potente staatliche Sponsoren: Vom Geld Saudi-Ara-biens und der Golfstaaten11 sowie vom freien GeleitIrans profitierte auch ein al-Suri.

Europa hat Feinde, und dieses Buch benennt sie. Man-che mögen die Gefahrenmeldung für überzogen, gar fürKriegstreiberei halten – es geht uns in Europa doch gutund wer schon hat Angst vor solchen Spinnern? Ande-re werden eine Verschwörungstheorie wittern, die vonvermeintlich »realen Gefahren« ablenken soll. Wiederandere werden von Europa und seinen gerade viel be-schworenen Werten ohnehin nichts halten und auf unse-re eigenen, für weit schlimmer erachteten Verbrechen in

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Vergangenheit und Gegenwart hinweisen, also auf unse-re Urheberschaft von und unsere Komplizenschaft mitVölkermord, Ausbeutung und Unterdrückung. Zu Letz-terem ist zu sagen, dass eine Identifizierung und Ankla-ge der Feinde Europas diese historischen und aktuellenVerstrickungen keineswegs leugnet, sondern ihre Mit-ursächlichkeit für den Angriff von innen und außen aus-drücklich betont – die Feinde haben wir uns selbstherangezogen. Aber Europas Wiedergeburt nach 1945beruhte gerade auf dieser aus der Katastrophe gewonne-nen Selbstreflexivität.12

Darf man in diesem Licht noch von Feinden sprechen,wenn es doch Carl Schmitt, der »Kronjurist des DrittenReiches« war, der die Scheidung von Freund und Feindzum Kern alles Politischen erhoben hat?13 Ja, denn nichtwir haben uns willkürlich verfeindet – Spanien hat al-Suri Asyl gewährt, Norwegen hat Breivik rechtsstaat-lich verurteilt (und will nun möglicherweise seine Iso-lationshaft lockern), Dugin darf in ganz Europa Redenschwingen. Eben in der Meinungsfreiheit, in rechts-staatlichen Verfahren und im Asylrecht besteht die Grö-ße Europas, und genau diesem haben sie den Krieg er-klärt. Zur Mäßigung ihrer Feindschaft und zum fried-lichen Meinungsstreit scheinen sie nicht bereit.

Den letzten Anstoß zu diesem Essay gab der Besucheiner Ausstellung in der Deutschen Nationalbibliothekin Frankfurt am Main. Präsentiert wurden dort Doku-mente aus den letzten Lebensjahren Stefan Zweigs. Be-vor er am 22. Februar 1942 Selbstmord beging, hatte ernoch das Manuskript seines posthumen Welterfolgs DieWelt von gestern abgeschlossen. In seinem Abschieds-

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brief schrieb Zweig, er scheide aus dem Leben, da »dieWelt meiner eigenen Sprache für mich untergegangenist und meine geistige Heimat Europa sich selber ver-nichtet«. Den Satz hatte ich schon öfter gelesen, aberdieses Mal durchzuckte es mich, und ich dachte: Dassoll nicht noch einmal jemand so verzweifelt schreibenmüssen.

Die weitschweifigen Darlegungen zum Heiligen Krieg,zu Eurasien und zur Rückeroberung des Abendlandeskönnen in einem kurzen Essay nicht in extenso behan-delt werden. Weder als Philologe noch als »Terrorexper-te«, sondern als Beobachter rechtskonservativer sowiepopulistischer Ideenzirkel und Machtzentren gehe ichdas Thema der neuen Konservativen Revolution an, de-ren aktuelle Ausprägungen ich vergleiche.14 Dabei mussman stets gegen das Missverständnis ankämpfen, Ver-gleichen heiße Gleichsetzen. Der Vergleich, ein Königs-weg der sozialwissenschaftlichen Methodik,15 arbeitetzunächst die beachtlichen Unterschiede heraus, bevorer eventuelle Gemeinsamkeiten identifizieren kann. Al-Suri ist nicht Dugin ist nicht Breivik, die Protagonistenkommen aus unterschiedlichen Traditionen und führennicht denselben Kampf. Gemeinsam ist ihnen jedochdas Feindbild: Europa in seiner dreifachen Gestalt alsWertegemeinschaft, gemeinsamer Markt und politischeUnion – und die Zielsetzung: die Auflösung der Grau-zonen, die Stärkung des »Eigenen« gegen das »Fremde«,die Politisierung des Raums und die religiöse »Verschär-fung« des Politischen, von der Carl Schmitt im Bezugauf den Katholizismus geschrieben hat.16

Das Buch will einerseits diese Kampfansagen verste-

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hen, andererseits soll es sie in einen größeren sozialenund politischen Kontext einordnen. Das wirft die grund-sätzliche Frage nach dem Einfluss von Ideengebern aufden Verlauf der Geschichte auf.17 Weichensteller warenhäufig religiös und weltanschaulich geprägte »Idealis-ten«, die sich von ideellen Interessen bewegen ließen.Dabei gab es stets einsame Ideen, die kaum Wirkung er-zielten (was man eigentlich auch in unseren drei Fällenerwarten sollte!), aber auch solche, die im Bunde mit star-ken materiellen Interessen wider alle Erwartung zumDurchbruch gelangten. Nimmt man Hitlers Mein Kampfals Folie der drei heutigen Kampfansagen, ist der Maß-stab natürlich nicht das katastrophale Endresultat seinerIdeen, die Schoah, sondern sein frühes Programm von1925, dessen Quintessenz ein späterer Leser treffend zu-sammengefasst hat:

Ökologie war Knappheit, und Dasein bedeutete Kampf um Land.Die unveränderliche Struktur des Lebens bildete die Aufteilung derTiere in Arten, verurteilt zu »innerer Abgeschlossenheit« und einemunablässigen Kampf bis zum Tod. Die menschlichen Rassen, davonwar Hitler überzeugt, waren wie die Arten. Die höchsten Rassen ent-wickelten sich aus den weniger entwickelten, was bedeutete, dass eineKreuzung zwischen ihnen möglich, aber Sünde war. Rassen solltensich wie Arten verhalten, sie sollten sich mit Ihresgleichen paarenund danach streben, die Andersgearteten zu töten. Das war für Hit-ler Gesetz, das Gesetz des Rassenkampfs, und dieses Gesetz war fürihn so unumstößlich wie das Gesetz der Schwerkraft im Universum.Der Kampf konnte niemals enden, und sein Ausgang war ungewiss.Eine Rasse konnte triumphieren und gedeihen, sie konnte aber auchdurch Verhungern ausgelöscht werden.18

Ersetzt man »Rasse« durch »Kultur« oder »Zivilisa-tion« und befleißigt sich einer politisch korrekteren Ter-

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minologie, ist Hitlers Sozialdarwinismus keineswegspassé. Er aktualisiert sich vor dem Hintergrund einerneuen Modernisierungskrise.

Die drei Protagonisten sind nicht Hitler, selbst wennsie die Hand zum »deutschen Gruß« erheben wie Brei-vik, den Faschismus an sich in Ordnung finden wie Du-gin und Juden so abgrundtief hassen wie al-Suri. Undihr weiterer Aufstieg ist so aufhaltsam wie jener des Ar-turo Ui in Bertolt Brechts Hitler-Persiflage. An den Ver-fasser von Mein Kampf wird nur deshalb noch einmal er-innert, weil auch er aus einer völlig marginalen Position,buchstäblich aus dem Zuchthaus heraus, Ideen in dieWelt gesetzt hat, die nur wenige Jahre später Hundert-tausende, ja Millionen bewegt und zu abominablenTaten veranlasst haben. Aus dem einsamen Wolf der völ-kischen Bewegung wurde ein verehrter, abgöttisch ge-liebter Volkstribun. Die Stufe absoluter Marginalität ha-ben Breivik, mehr noch Dugin und am meisten al-Surilängst hinter sich, und wenn sie sich die Ausmerzungdes jeweiligen Feindes ausmalen, sind diese Autoren so-gar expliziter und operativer als Adolf Hitler in MeinKampf. Gerade deshalb müssen wir uns mit ihnen näherbefassen.

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I. Identitäre: Anders Breivik

»Ich handelte im Auftrag meines Volkes,

meiner Kultur, meiner Religion, meiner Stadt und

meines Landes in Notwehr.«1

Anders Breivik vor Gericht (2012)

Am Morgen des 22. Juli 2011 detonierte im Regierungs-viertel der norwegischen Hauptstadt Oslo eine 950 Ki-

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logramm schwere Autobombe, die acht Personen töteteund Dutzende verletzte; wenig später erschoss ein alsStaatsschutzoffizier getarnter Mann auf der dreißig Ki-lometer entfernten Insel Utøya weitere 69 überwiegendjunge Menschen, die dort in einem Feriencamp der sozial-demokratischen Arbeiterpartei versammelt waren. Viele,die von diesem grässlichen Attentat in den Nachrichtenhörten, werden an einen islamistischen Terroranschlaggedacht haben, zumal auch in Norwegen Schläfer undAl-Qaida-Sympathisanten vermutet wurden. Gegen sol-che war eine Übung gerichtet, die eine Spezialeinheitder norwegischen Polizei kurz vor dem Attentat durch-geführt hatte.

Mir kam spontan die amerikanische Stadt OklahomaCity in den Sinn. Dort hatte der GolfkriegsveteranTimothy McVeigh im April 1995 gemeinsam mit zweiKomplizen ein Regierungsgebäude in die Luft gejagt.168 Menschen kamen damals zu Tode, darunter 16 Kin-der im Kindergarten des Murrah Federal Building.McVeigh wurde gefasst und hingerichtet; über die ge-nauen Motive seiner Tat wurde lange spekuliert, sicherist nur, dass er die Bundesregierung in Washington »hass-te«. Um diese zu bekämpfen, führte er das stehende Ar-gument von Terroristen jedweder Couleur an, sei der Todvon Kindern als Kollateralschaden in Kauf zu nehmen.

Auch in Norwegen entpuppte sich rasch ein weißer In-länder als Täter, der ebenfalls die Regierung hasste.2

»Meine Strategie ist von al-Qaida übernommen«, prahl-te Breivik nach seiner Festnahme. Und es stimmt ja: DerEinsatz einer Autobombe und das Abfeuern von Salvenauf unschuldige Menschen kopiert im Detail Methoden

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