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Ausgabe Mai 2/2014

Das Magazin von

themaFür eine faire WMPaKIStaNKinderarbeit

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Esther MaurerGeschäftsleiterin Solidar Suisse

2 EDITORIAL

MEDIEnschAu

Liebe Leserin, lieber Leser, Allen Unkenrufen zum Trotz habe ich mir während einiger Mona-te vorgestellt, dass ich im Februar nach Brasilien fliege und dort in einer Mediationsrolle den Fifa-Präsidenten himself an einen Tisch bringe mit den brasilianischen Interessenverbänden der StrassenverkäuferInnen und den Comi-tes Populares der WM-Austragungsstäd-te. Ob ich denn tatsächlich so naiv sein konnte, werden Sie sich nun fragen …

Nun, ich hatte im Oktober 2013 die Zusa-ge von Sepp Blatter erhalten, dass er per-sönlich an einem solchen Runden Tisch teilnehmen und gemeinsam mit mir die Medienkonferenz in Brasilien durchführen würde, an der man bekannt geben könnte, dass mit den genannten Organisationen eine Einigung zu deren Anliegen erreicht wurde. Wir hatten Stillschweigen verein-bart, denn wir wussten, dass ein solches Treffen nur dann stattfinden und zu einem guten Resultat führen kann, wenn die Medien nicht mitmischen, Druck machen und jeden Schritt kommentieren. Ich habe mich ans Stillschweigen gehalten, selbst dann noch, als im Januar 2014 die Absage des Fifa-Präsidenten kam. Und als ich am 18. März gemeinsam mit der internationalen Bau- und Holz-

gewerkschaft BHI bei der Fifa zum Gespräch über die menschen-verachtenden Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in Qatar einge-laden war, glaubte ich einen Silberstreifen am Horizont zu erkennen, weil der Fifa-Präsident mit Theo Zwanziger einen Delegierten für

Menschenrechtsfragen eingesetzt hatte, der uns allen glaubwürdig erschien. Seine Positionen klangen durchdacht, und wir hofften, dass man ihm Handlungskompe-tenzen einräumen würde. Doch nur zwei Tage später wurden wir eines Besseren belehrt: Die Medienmitteilung zum Meeting des Fifa-Executive-Commitee, bei dem der Bericht zur Menschenrechtssituation in Qatar behandelt wurde, war wieder ganz im bekannten Fifa-Stil: Alles ist bestens dank Fussball und Fifa, und wo dies nicht der Fall ist, sollen es Politik und Wirtschaft richten!

Ja, es war naiv, an eine Änderung zu glauben. Aber es soll mich nicht daran hindern, weiterhin dafür einzustehen, dass Giga-Fussballevents, ob in Russland, Brasili-en oder Qatar, nur noch stattfinden dürfen, wenn die Fifa ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnimmt, und nicht nur ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzt. Nachhaltige Entwicklung – eben! Esther Maurer

6.3.2014Mit der Bevölkerung vor OrtEin Steuerprozent wendet die Stadt Ill-nau-Effretikon jährlich für Entwicklungs-hilfe auf. (…) Nicht zuletzt auch wegen der guten Projektauswahl findet die Ent-wicklungszusammenarbeit von Illnau-Ef-fretikon nationale Beachtung. Solidar Suisse, das frühere Schweizerische Ar-beiterhilfswerk, verlieh der Gemeinde sehr gute Noten. Die Non-Profit-Organi-sation bewertete vergangenes Jahr das soziale Engagement von 88 Schweizer Gemeinden und Städten. (…) Die Ge-samtschweiz gibt im Vergleich wenig Geld für Entwicklungshilfe aus.

12.3.2014Zara muss wegen Lohndumping 450 000 Franken bereitstellenAuf der Zara-Baustelle an der Bahnhof-strasse wird wieder gearbeitet. Unia und der Textilriese Inditex haben den Arbeits-konflikt beendet. (…) Goa Invest über-nimmt die Verantwortung für Subunter-nehmen, stellt die Einhaltung der geltenden Verträge für die gesamte Bau-dauer sicher und richtet ein Sperrkonto für offene Lohnnachzahlungen ein. (…) Die Firma Goa Invest will als Zeichen ihrer sozialen Verantwortung eine Spende von 150 000 Franken leisten. Unia hat dafür das Hilfswerk Solidar vorgeschlagen.

15.2.2014Mehr solidarität möglichIn einer Interpellation will Gemeinderat Simon Jacoby (SP) vom Stadtrat wissen, ob dieser sich im Gemeinderating der so-lidarischen Städte verbessern will. Dieses führte die Organisation Solidar Suisse ein. (…) Im letzten Rating erreichte Adlis-wil 27,5 von 100 möglichen Punkten. Deshalb bittet Jacoby den Stadtrat um die Beantwortung folgender Fragen: Wie beurteilt der Stadtrat das Resultat? Was wurde unternommen, um das globale Verantwortungsbewusstsein zu verbes-sern? Rechnet der Stadtrat damit, das nächste Mal besser abzuschneiden?

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herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: [email protected], www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks SolidarRedaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil VoicesÜbersetzungen: Milena Hrdina, Interserv SA Lausanne, Jean-François ZurbriggenKorrektorat: Jeannine Horni, Milena HrdinaDruck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 SchaffhausenErscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–,Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr).Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

Titelbild: Die Fifa macht Druck, das Tempo auf den Baustellen für die Fussball-WM in Brasilien zu erhöhen: Unfälle sind vorprogrammiert. Foto: Ueslei Marcelino. Rückseite: Schluss mit den Fouls der Fifa – für eine faire WM. Foto: Enrique Marcaian.

AKTuELL Viele Kinder in Pakistan müssen arbeiten, damit ihre Eltern über die Runden kommen. Ein Solidar-Projekt will dafür sorgen, dass sie trotzdem eine Ausbildung bekommen. 14

EInBLIcKIn Südafrika ist die Situation von Arbeiterinnen speziell prekär. Trotzdem opfern die Gewerkschaften Frauenanlie-gen häufig als Erstes. Dagegen kämpft Mary Nxumalo. 19

KuLTuRELL Mit der Verbindung von Sport, Kultur und Prävention bietet der Club «Unidos venceremos» Jugendlichen eine Perspektive.

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ThEMADie Fifa foutiert sich um ihre Verantwortung zur Wahrung von Arbeits- und Menschen-rechten rund um Fussball-Weltmeisterschaften. Solidar bleibt dran. 4

IMPREssuM

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ThEMA (Un)faire Fussball-Weltmeister-schaften 4 WM von Südafrika bis Qatar: Wenige profitieren, die Zeche bezahlt die Bevölkerung 6 Brasilien: Vertreibungen im Vorfeld der WM bedrohen die Existenz der Strassenhändle rInnen 8 sTAnDPunKT Stefan Grass: Können Sport-Gross-veranstaltungen bald nur noch in Diktaturen durchgeführt werden? 11 KuLTuRELL Moçambique: Ein Solidar-Projekt zeigt, was Sport abseits von Gigan-tismus und Profit bewirken kann 12 AKTuELL In Pakistan arbeiten 12 Millionen Kinder statt zur Schule zu gehen: Perspektivlosigkeit ist die Folge 14 KOLuMnE 13 PInGPOnG 16 nETZWERK News aus den SAH-Vereinen 17 EInBLIcK Südafrika: Mary Nxumalo kämpft dafür, dass sich ihre Gewerkschaft für die Anliegen von Arbeiter innen einsetzt 18

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5Ob für die WM in Südafrika 2010 oder in Brasilien 2014: Die Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen sind häufig prekär.

ThEMA

Solidar Suisse kämpft seit Jahren gegen Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen rund um die Fussball-Weltmeister-schaften. Sei es in Südafrika, Brasilien oder im Hinblick auf Russland und Qatar. Bis anhin foutiert sich die Fifa um ihre Verantwortung. Gleichzeitig werden sportliche Grossanlässe immer gigantischer – ebenso die Profite von Fifa, Grossinve s-toren und Sponsorinnen. Den Austragungsländern und ihren Bevölkerungen hingegen bleiben lediglich Verluste. Wie sieht die Situation in Brasilien vor dem Anpfiff aus? Werden Mega- Sportanlässe bald nur noch in Diktaturen durchgeführt? Hat das Engagement von Solidar in Südafrika etwas bewirkt? Lesen Sie mehr dazu auf den nächsten Seiten.Foto: Joachim Merz

FaIReWm

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die Fussball-WM 2022 gar weit über 100 Mrd. investieren.

Verluste für die öffentliche hand, Gewinne für die FifaVolkswirtschaftlich können diese Gross-ereignisse niemals halten, was die Aus-tragungsländer sich und der Bevölkerung versprechen. Die Kosten für die südafri-kanische Regierung waren um ein Vielfa-ches höher als geplant. Für die öffentli-che Hand resultierte ein Netto-Verlust von 2,8 Mrd. Franken, den die Steuerzah-lerInnen begleichen müssen. Errungen-schaften wie neue Arbeitsplätze, bessere Wohnungen oder Spitäler hingegen blie-ben keine zurück. Geschweige denn we-niger Armut und soziale Ungleichheit. Die Fifa hingegen strich 2,35 Mrd. Ge-winn ein, die beteiligten Bauunternehmen

35 Mrd. Schweizer Franken investiert die öffentliche Hand laut einer eher konservativen Schätzung des brasiliani-schen Senats für die Fussball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016: in Stadien, Strassen, Flughäfen und die Räumung unansehnlicher Favelas in der Nähe der Spielstätten. Eine auch für ein boomendes Schwellenland wie Brasili-en nicht einfach aufzubringende Sum-me. Und sie übersteigt die gesamten Kosten der drei letzten Fuss ball -Weltmeister schaften in Südkorea/Ja-pan, Deutschland und Südafrika. Inter-nationale Sportanlässe werden immer gigantischer – und teurer: Die Olympi-schen Winterspiele 2014 in Sotschi liess sich Putin rund 50 Mrd. Franken kosten – genaue Zahlen sind nicht be-kannt. Das Wüstenemirat Qatar wird für

1,4 Mrd. Solidar hat sich bereits im Vorfeld der WM in Südafrika 2010 für faire Ar-beitsbedingungen auf den Stadionbau-stellen, gegen Vertreibungen und für die Einhaltung der Menschenrechte einge-setzt. Einerseits mit einer Petition an die Fifa, andererseits in Zusammenarbeit mit südafrikanischen Gewerkschaften. Auch vor der WM in Brasilien forderte Solidar die Fifa mit diversen Aktionen auf, für eine faire WM zu sorgen. Denn es zeichnet sich dasselbe Debakel ab wie in Südafrika. Auf Druck der Fifa hatte der brasilianische Fiskus dem Fussballverband massive Steuergeschenke gemacht. Der Verlust für den Staat beträgt, vorsichtig geschätzt, rund 750 Mio. Franken. Ausserdem wur-den Favela-BewohnerInnen vertrieben und StrassenhändlerInnen ihre Existenz-grundlage entzogen (siehe Artikel S. 8).

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SPoRteReIgNISSe: ImmeR gRöSSeR, teuReR, uNFaIReR? Ob in Südafrika, Brasilien oder Qatar: Von der WM profitieren wenige, während ArbeiterInnen, Slum-bewohnerInnen und die öffentliche Hand unter ihren Folgen leiden. Text: Joachim Merz, Fotos: Joachim Merz, BHI, zVg

Bereits im Vorfeld der WM in Südafrika 2010 kämpften BauarbeiterInnen gegen

ausbeuterische Arbeitsbedin-gungen – und erreichten

Lohnerhöhungen.

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7ThEMA 7

Wir forderten: keine Vertreibung von Fave-la-Bewohnerinnen und Strassenhändlern, keine Ausbeutung auf den Baustellen und keine Steuerbefreiung und Sondergeset-ze für die Fifa (siehe www.solidar.ch/bra-zil). Die Fifa ging nicht darauf ein.

Tote auf den WM-BaustellenVorbereitungen für die WM bedeuten auch grossen Druck für die ArbeiterInnen auf den riesigen Baustellen. In Südafrika 2010 starben zwei Arbeiter, in Brasilien waren es bis anhin bereits acht – und Brasilien muss das Bautempo erhöhen, weil es weit hinter dem Zeitplan herhinkt.

Das erhöht das Unfallrisiko auf unverant-wortliche Weise. In Qatar ist die Situation sogar noch schlimmer: Obwohl die WM erst 2022 stattfindet, sind laut Internati-onalem Gewerkschaftsbund (IGB) bei Bauarbeiten im Hinblick auf die WM al-lein im Jahr 2013 über 400 Nepali und Inder ums Leben gekommen. Von ande-ren Nationalitäten der rund 1,4 Mio. aus-ländischen Arbeitskräfte liegen keine

Zahlen vor. Sie alle sind jedoch unter dem Zwangsarbeitssystem Kafala – das zum Beispiel verbietet, den Arbeitgeber zu wechseln oder das Land zu verlassen – schlimmsten Verhältnissen ausgesetzt.

Es regt sich Widerstand …Gilt für Fussball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele also: grösser, teu-rer, unfairer statt höher, schneller, weiter? Die Fifa und das Internationale Olympi-sche Komitee IOK kommen zusehends unter Druck der Gewerkschaften, der Medien und einer kritischen Öffentlich-keit. Bei demokratischen Abstimmungen

sagt die Bevölke-rung Nein zur Aus-tragung der Spiele (siehe Artikel S. 11), weil dem wirt-schaftlichen Nutzen für wenige hohe Schulden für die

öffentliche Hand und gravierende Um-weltbelastungen gegenüberstehen. Und was niemand für möglich gehalten hätte: Während dem Confederations Cup im Juni 2013 gingen in Brasilien Hundert-tausende auf die Strasse und demonst-rierten gegen die horrenden Kosten der WM, den kata strophalen Zustand der Gesundheits versorgung und des Bil-dungswesens, die Vertreibungen und die

Gentrifizierung der Innenstädte, die pre-kären Arbeitsbedingungen auf den Sta-dionbaustellen. Unterstützten 2008 noch 79 Prozent aller BrasilianerInnen die WM im eigenen Land, so sind es heute nur noch 52 – und das im fuss-ballverrücktesten Land der Welt.

… mit ErfolgUnd der zunehmende Protest gegen den Gigantismus trägt erste Früchte. Die Bau-gewerkschaften in Südafrika gewannen in der Vorbereitungsphase der WM 2010 fast 30 000 Neumitglieder und erzielten substanzielle Lohnerhöhungen (siehe soli-dar.ch/anstoss). Auch ihre KollegInnen in Brasilien führten erfolgreiche lokale Ar-beitskämpfe. Brasilianische Strassenhänd-lerInnen erkämpften sich für den Confede-rations Cup in vier Städten Verkaufsrechte in den ursprünglich exklusiv für Fifa-Spon-sorInnen reservierten Fanmeilen. Solidar hat mit Kampagnenarbeit in der Schweiz diese Arbeit von zivilgesellschaftlichen Or-ganisationen unterstützt. Unter dem enormen medialen und ge-werkschaftlichen Druck erklärte die Re-gierung Qatars im Februar 2014, dass die Bedingungen für ausländische Arbeits kräfte auf den WM-Baustellen zukünftig «hohen Standards» genügen würden – ob Taten folgen, ist jedoch ge-nau zu beobachten.

Diese Grossereignisse können niemals halten, was die Austragungsländer sich und der Bevölkerung versprechen.

In Qatar müssen die Arbeitsmigranten in elenden Massenunterkünften wohnen (links), in Brasilien wurden Favela-BewohnerInnen aus ihren Häusern vertrieben (oben).

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Seit einigen Monaten hat Gloria Oliveira da Silva Angst, an ihrem Stammplatz in der Metro- und Busstation Itaquera im Osten von São Paulo Getränke, Kau-gummis, Süssgebäck, Zigaretten und Feuerzeuge zu verkaufen. In Sichtweite erhebt sich auf einem Hügel das neue Stadion Itaquerão, eigens errichtet für die Fussball-WM 2014. Zu 97 Prozent sei der Bau vollendet, versichern die Ver-antwortlichen. Hier wird am 12. Juni das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien stattfinden. Eigentlich hat die 12-Millionen-Metropole bereits zwei Fussballstadien, doch beschlossen die Behörden, ein drittes zu errichten. Zwei Bauarbeiter starben dabei. Sie wurden getötet, als im November 2013 ein Bau-kran in Schieflage geriet, aus einander-

brach und auf das Stadiondach stürzte. Einer der glühendsten und einfluss-reichsten Befürworter des Projekts war Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Fan des in São Paulo ansässi-gen Fussballclubs Corinthians und en-ger Freund des Unternehmers Marcelo

Bahia Odebrecht. Die Baufirma Ode-brecht gewann die Ausschreibung für das Grossprojekt, nachdem sie Lula, dessen Nachfolgerin Dilma Rousseff und die regierende Arbeiterpartei jahre-lang mit Wahlkampfspenden unterstützt hatte. Im internationalen Korruptionsin-dex der Organisation Transparency In-ternational liegt Brasilien von 177 aus-gewerteten Ländern auf Rang 72.

Vertrieben und Ware beschlagnahmtLaut Ítalo Cardoso, Vizepräsident einer Tourismus- und Eventagentur in São Pau-lo, könnten bis zu 250 000 TouristInnen nach São Paulo kommen, um die Spiele im Itaquerão zu verfolgen. Gloria Oliveiras Kaugummis werden sie nicht kaufen, zu-

mindest nicht in der Umge-bung des Stadions. Denn während der WM dürfen in einem Rayon von zwei Kilo-metern rund um die Austra-gungsstätten lediglich von offiziellen Sponsoren herge-

stellte und vertriebene Produkte verkauft werden. Dasselbe gilt für die Public-View-ing-Zelte. Doch bereits jetzt duldet die Polizei nicht mehr, dass Gloria Oli veira an der Metrostation Itaquera ihren Lebens-unterhalt verdient, genauso wenig wie die anderen ambulanten VerkäuferInnen, die

ihre Stände gewöhnlich auf einer über-dachten Asphaltfläche zwischen Bussen und Imbissbuden aufstellen. «Ich bin nur noch nachmittags für zwei oder drei Stun-den hier. Zweimal hat mich die Polizei bis-her vertrieben, einmal wurde ein Teil mei-ner Ware beschlagnahmt», sagt Gloria Oliveira. Die 52-Jährige lebt mit ihren vier Kindern, ihrem Ehemann und ihrer Schwester in einem einstöckigen Haus in der Favela da Paz. Das Elendsviertel liegt 900 Meter vom Stadion entfernt.

Fifa drückt sich vor der VerantwortungDie Koordination der landesweiten Pro-teste gegen die WM erfolgt durch die Ver-

Bereits mehr als ein halbes Jahr vor Anpfiff der Fussball-WM werden Strassenhändler Innen in Brasilien vertrieben und sehen ihre Existenzgrund- lage bedroht. Zum Beispiel Gloria Oliveira da Silva. Text: Sandro Benini, Foto: StreetNet International

KeINe KaugummIS FüR FuSSballFaNS

ThEMA8

cartoon von Chapatte

© Chapatte in NZZ am Sonntag

«Für mich und meine Familie ist diese WM ein unglück.»

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einigung der «Comités Populares da Copa», die in sämtlichen Austragungsor-ten aktiv ist. Die Sektion von São Paulo schreibt auf einem Flugblatt: «Traditionel-lerweise verkaufen Strassenhändler in der Umgebung der Fussballstadien typisch brasilianische Lebensmittel, Getränke und andere Gegenstände. Diese autonomen Arbeiterinnen müssen sich registrieren lassen und von den jeweiligen Stadtbehör-den erlassene Regeln sowie sanitarische Auflagen befolgen. Die Fifa verlangte ih-ren Rückzug, und die Gemeinde-regierungen sind nicht bereit, ihnen eine Alter native zu garantieren.» Die Fifa be-tont in einem Brief an Solidar Suisse, sie habe eine Studie anfertigen lassen, um

den Sektor des Strassenhandels «besser zu verstehen». Ausserdem habe die Fifa am Confederations Cup im Juni 2013 erstmals «die Zwei-Kilometer-Schutzzone für eine bestimmte Anzahl von den Be-hörden der Austragungsorte autorisierter Strassenverkäufer geöffnet». Allerdings durften die StrassenhändlerInnen ledig-lich «autorisierte Getränke» verkaufen, und auch dies bloss in den Städten Brasi-lia, Recife, Salvador und Fortaleza. Die an-deren beiden Austragungsorte hätten «wegen bestehender Gesetze und Richtli-nien» darauf bestanden, die HändlerInnen von den Stadien fernzuhalten. Ob auch während der WM solche Initiati-ven in den Austragungsstädten umge-

setzt werden, steht jedoch in den Ster-nen. Gloria Oli veira da Silva hat davon jedenfalls bisher nichts gespürt. Seit sie sich aus Angst vor der Polizei nur noch für wenige Stunden pro Tag auf ihren an-gestammten Verkaufsplatz wagt, sei ihr Umsatz um mehr als die Hälfte gefallen. Laut der Vereinigung der «Comités Populares da Copa» haben landesweit mehrere Tausend Strassen händle rInnen ihre Arbeit verloren oder sehen sich zu-mindest gezwungen, auf andere Stand-orte auszuweichen. Gloria Oliveira sagt: «Für mich und meine Familie ist diese WM ein Unglück.»

An der WM sollen Strassenhändle-rInnen ihre Waren rund um die Stadien nicht verkaufen dürfen.

cartoon von Chapatte

© Chapatte in NZZ am Sonntag

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schen Künstlerin Graciela Rodo Boulanger, regt sie zum Nachdenken und zum Han-deln an. Bildung – so die Botschaft – ver-mittelt nicht nur Wissen und praktische Fähig keiten, sondern vor allem auch Werte wie die Achtung der Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen, Rücksichtnahme, Toleranz, Ge-waltfreiheit. Alle tragen dafür Verantwor-tung: die Regierung, Gemeinden, Lehrerin-nen, Eltern, Schüler. Denn Bildung findet nicht nur im Klassenzimmer statt, sondern ebenso in der Familie und im öffentlichen Raum. Und wenn wir uns für Verbesserun-gen im Bildungssystem einsetzen, steigen nicht nur die Berufschancen der Schulab-gängerInnen. Die Gesellschaft als Ganzes wird demokratischer und solidarischer.

Pakistan: Flutbetroffene haben sich noch nicht erholtNoch immer kämpft die bereits zuvor von schwerer Armut betroffene Bevölkerung im Süd-Punjab mit den Folgen der Jahr-hundertflut im Jahre 2010. Das Hoch-wasser, das fast zwei Drittel von Pakis-tan überschwemmte, zerstörte nicht nur Häuser und Infrastrukturen, sondern auch die Einkommensquellen der Bevöl-kerung. Soli dar Suisse unterstützt seit 2010 den Wiederaufbau. Viele Men-schen müssen nach wie vor mit zwei Franken pro Tag auskommen und leben unter völlig unzureichenden hygieni-schen Bedingungen. Solidar hat deswegen drei neue Projekte gestartet, um die Bedürftigsten – speziell auch Menschen mit Behinderung – zu unterstützen. So werden in Schulen und

Gesundheitszentren Toiletten gebaut und die Bevölkerung für die Bedeutung von Hygiene zur Vorbeugung von Krank-heiten sensibilisiert. Ausserdem werden Familien angeleitet, wie sie Gärten zur Selbstversorgung anlegen können, und KleinunternehmerInnen beim Wiederauf-bau ihrer zerstörten Läden unterstützt. www.solidar.ch/pakistan

10 nOTIZEn

Linker Wahlsieg in El salvadorSalvador Sánchez Cerén von der linken Partei FMLN hat die Präsidentschafts-Stichwahl vom 9. März mit einer hauch-dünnen Mehrheit von 50,11 Prozent der Stimmen gewonnen, wie die salvadoriani-sche oberste Wahlbehörde nach zweima-liger Überprüfung offiziell bekanntgab. Zuvor hatte Norman Quijano, der rechte Kandidat der Arena-Partei und Bürger-meister von San Salvador, seine Anhän-gerInnen dazu aufgerufen, das Wahl-ergebnis nicht zu akzeptieren. Quijano rief sogar die Armee zum Widerstand auf. Dies nahm er zwar wieder zurück, die Drohung mit einem Militärputsch ist je-doch massiv in einem Land, das 12 Jahre Bürgerkrieg mit über 75 000 Toten er-lebt hat und in dem die Militärs immer noch nicht für ihre Verbrechen zur Ver-antwortung gezogen wurden. Die Drohungen der Rechten lassen schwierige Zeiten für die kommende Re-gierung befürchten. Umso wichtiger ist eine internationale solidarische Beglei-tung der gesellschaftlichen Kräfte in El Salvador, die sich für eine gerechtere Ver-teilung und für die demokratische Mitspra-che aller Bevölkerungsgruppen einsetzen.

Initiative gegen nahrungs-mittelspekulation eingereichtAm 24. März 2014 wurde die Juso-Initiati-ve gegen die Nahrungsmittelspekulation, die von Solidar Suisse unterstützt wird, mit fast 140 000 Unterschriften eingereicht. Denn die Preisexplosion auf den Nah-rungsmittelmärkten von 2008 und 2011 hatte in Entwicklungsländern dramatische

Konsequenzen. Da viele Haushalte bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Le-bensmittel aufwenden, wurden Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Ob-wohl sich die Lage auf den Märkten etwas entspannt hat, liegen die Preise immer noch höher als vor 2008, und weltweit lei-det fast eine Milliarde Menschen Hunger. Heute sind 80 Prozent des Rohstoffhan-

dels spekulativ, in den letzten zehn Jahren stiegen die Investitionen auf den Rohstoff-Derivatemärkten von 13 auf 430 Milliar-den Dollar – und Schweizer Banken spie-len in diesem Geschäft eine wichtige Rolle. Ein Verbot der Nahrungsmittelspe-kulation ist deshalb ein wichtiger Schritt in Richtung einer gerechteren globalen Ent-wicklung. www.solidar.ch/spekulation

Bolivien: Bildung für DemokratieBildung ist das Thema der von Solidar Bolivien herausgegebenen Agenda 2014. Liebevoll illustriert mit Bildern der boliviani-

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SPIele FüR DIKtatoReN?Bei Abstimmungen sind Sport-Grossveran-staltungen zunehmend chancenlos. Können Olympiade und WM bald nur noch in Diktaturen durchgeführt werden?Von Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden

Ob die Fussball-WM in Brasilien, Putins Spiele in Sotschi, Fussball in Qatars Wüs-tenhitze, die vergangenen Olympiaden in Peking, Athen, Vancouver und Turin mit ihren verrottenden Wettkampfruinen, bank rotten Hotels und überdimensionier-ten Verkehrsinfrastrukturen – sportliche Gross anlässe bleiben in der Kritik. Über-all gibt es zunehmend Widerstand aus der betroffenen Bevölkerung gegen die drei grössten Sportevents der Welt: 1. Olympische Sommerspiele, 2. Fussball-Weltmeisterschaften, 3. Olympische Win-terspiele (OWS). Das Internationale Olympische Komitee IOK und die Fifa – die auf ihre gigantischen Gewinne kaum Steuern zahlen – verkaufen die Übertra-gungsrechte für die emotionalen interna-tionalen Sportevents für Milliarden von Dollar an die zwangsläufig interessier-ten Fernsehanstalten. Dank der Urhe-berrechte und der darauf abgestützten Exklusivwerbung bezahlen Grossspon-soren dem IOK oder der Fifa für die weltweite TV-Präsenz weitere Milliar-den. Wenn es um so viel Geld geht, bleibt alles andere auf der Strecke: der olympische Geist, der unpolitische Sport, die dopingfreien Wettkämpfe, die Förde-rung des Breitensports, die Entschädi-gung für Enteignete, die Löhne für die

ArbeiterInnen, der Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung.

Die Bevölkerung sagt neinWenn – wie in der Schweiz, Deutschland und Österreich – die betroffene Bevölke-rung in einer direktdemokratischen Ab-stimmung ihre Meinung kundtun kann, ist ein Nein zu den Olympia-Kandidaturen mehrheitsfähig: Bern, St. Moritz, Mün-chen, Salzburg und Wien. Einige Stadt-behörden haben in Erwartung einer Ab-lehnung der Stimmenden von sich aus verzichtet: Zürich, Barcelona und Stockholm. Die Mehrheit der norwegi-schen Bevölkerung hat sich gegen eine OWS-Kandidatur Oslo 2022 ausgesprochen. Bei einer früheren lokalen Umfrage in Oslo hatte noch eine knappe Mehrheit eine Bewerbung unterstützt.

Machtdemonstration und Erschliessung neuer MärkteDie Analysen von JournalistInnen zei-gen deutlich, dass Sportgrossveranstal-tungen nur noch in Ländern vergeben werden können, in denen Regierungs-eliten, auch wenn demokratisch gewählt, keine Volksabstimmungen durchführen

– wie in Sotschi, Peking, Pyeongchang, Qatar und Brasilien. Denn es profitieren nur wenige: Autokraten inszenieren ihre Macht, das IOK, die Fifa und ihre Spon-sorInnen erschliessen neue Märkte. Es zeigt sich vor allem in Europa: Wenn die Menschen die Wahl haben zwischen Sportbegeisterung und dem Zahlen der Zeche mit jahrelanger Schuldenlast, entscheiden sie sich gegen die Knebe-lung durch die Verträge des IOK. Viele verstehen wie in Brasilien, dass der

Sport-Gigaevent nur dem Renommee der Regierung und den Profiten einiger weniger dient und das Geld im eigenen Land für Bildung, Gesundheit und Sozi-ales fehlt.Fazit: Wo abgestimmt wird, ist eine Ab-lehnung von Sport-Gigaevents für die Behörden verbindlich. Ohne Volksbefra-gung ist der Widerstand nur über De-monstrationen möglich, die aber das IOK und die Fifa nicht beirren.www.olympia-nein.ch

«Wenn es um so viel Geld geht, bleibt alles andere auf der strecke.»

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gemeINSam geWINNeN WIRWas Sport abseits von Gigantismus und Profit bewirken kann, zeigt ein Solidar-Projekt in Moçambique.Text: Francisco Palma Saidane, Fotos: Florência Muchemo

12 KuLTuRELL

Seit seiner Gründung 2008 bietet der Clube Desportivo e Recreativo (CDR) mit Unter-stützung von Solidar benachteiligten Jugendlichen sportliche Aktivitäten wie Volley ball, Fussball und Gymnastik. Gegenwärtig trainiert CDR ein Frauenfussballteam sowie ein Männer- und ein Frauenvolleyballteam. Ausserdem werden Kunstausstellungen, Kon-zerte und Diskussionsveranstaltungen zu Themen wie Alkohol- und Drogenkonsum, HIV/Aids, Kinderarbeit und ungewollten Schwangerschaften durchgeführt. Der CDR wächst stetig und hat inzwischen ein eigenes Gebäude mit Veranstaltungssaal, der auch als Verkaufsraum für Sportartikel und Kunsthandwerk dient und zudem an Exter-ne vermietet wird. Die Jugendlichen erhalten Weiterbildungen, die ihnen eine Perspek-tive eröffnen und sie befähigen sollen, den Club langfristig eigenständig zu führen.

clube Desportivo e Recreativo

«Irgendwann möchte ich auf nationaler oder internationaler Ebene Fussball spie-len», meint Maria de Lurdes Americo Bun-garre. Sie gehört zum Frauenfussballteam des Clube Desportivo e Recreativo (CDR), aus Chimoio, Moçambique. Die Mittel-stürmerin ist noch ein wenig ausser Atem, sie hat gerade auf dem Spielfeld ihre Leichtfüssigkeit unter Beweis gestellt. Es ist der 8. März, und das erste Spiel des Turniers zum Internationalen Frauentag hat mit 0 : 0 unentschieden geendet.Die 17-jährige Waise lebt mit ihren vier Brüdern bei ihrer Tante und geht noch zur Schule. Mit ihrem Spiel möchte sie auch ihre Geschwister unterstützen: «Vom Beitrag für einen Match kann ich Kleider und Schulmaterial für mich und meine Brüder kaufen.» 1000 Meticais er-halten die SpielerInnen von CDR für ein gewonnenes Spiel, 500 für ein Unent-schieden (knapp 30 bzw. 15 Franken).

sport, Kultur und Prävention Doch beim CDR geht es nicht nur um sportliche Erfolge und Gewinnprämien. Zwar hat das Frauenteam 2013 den Pro-vinzcup von Manica gewonnen. Doch für die 24-jährige Spielführerin Carla Jose

Jofrisse sind auch die anderen Angebote des Clubs wichtig: «Ich finde es gut, dass wir neben dem Training Informationen erhalten, wie wir eine HIV-Infektion und frühe Schwangerschaften vermeiden können, und dass wir diese Themen auch untereinander im Team diskutieren.» So ist der Slogan von CDR «Unidos vence-remos – gemeinsam gewinnen wir» auf jeder Ebene Programm.Auch Sofia Alexandre Miquitaios hat sich dem Fussballteam vor zwei Jahren nicht nur aus sportlichen Gründen als Torhüterin

angeschlossen. Sie schätzt den Verhal-tenskodex des CDR, der sexuelle Belästi-gung verbietet, von der junge Frauen in Sportclubs in Moçambique häufig betrof-fen sind. Nicht so im CDR: «Hier werden Frauenanliegen ernst genommen, und der Club bietet uns Ausbildungskurse, Ar-beitsmöglichkeiten und medizinische Un-terstützung», meint die 21-Jährige. «Ich möchte, dass sich uns mehr junge Frauen anschliessen und so von Drogen, Alkohol und Prostitution wegkommen, die in Chi-moio weit verbreitet sind.» Für viele Ju-

Mittelstürmerin Maria de Lurdes vom CDR-Frauenfussballteam

hat Ambitionen.

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Hans-Jürg FehrPräsident Solidar Suisse

Die Ecopop-Initiative fordert eine wei-tere massive Begrenzung der Zuwan-derung in die Schweiz. Sie enthält aber auch ein entwicklungspolitisches Pos-tulat: Zehn Prozent der Staatsausga-ben für Entwicklungszusammenarbeit müssen für Familienplanung in den Ländern der Dritten Welt verwendet werden. Das ist aus zwei Gründen hochgradiger Unsinn: Zum einen stammt aus den Ländern des Südens mit ihren hohen Geburtenraten nicht einmal ein Prozent der Einwandernden. Die Zuwanderung würde also auch dann nicht abnehmen, wenn aus die-sen Ländern niemand mehr käme. Zum andern ist das mit Abstand wirk-samste Mittel zur Minderung des Be-völkerungswachstums die Beseitigung der Armut. Armut erzeugt Kinderreich-tum, Wohlstand erzeugt Kleinfamilien. Das war überall zu allen Zeiten so. Der indische Bundesstaat Kerala zum Bei-spiel weist eine Kinderquote von unter zwei pro Frau aus, weil hier eine fort-schrittliche Regierung seit Jahrzehnten in drei Bereiche investiert: Volksbil-dung, Gesundheitsversorgung und Gleichstellung der Frauen. Der Kont-rast zum übrigen Indien könnte grösser nicht sein. Der Kampf gegen Armut, wie er in Kerala erfolgreich praktiziert wird, ist auch Hauptziel der schweizeri-schen Entwicklungszusammenarbeit. Sie setzt damit auch aus Sicht der Ge-burtenkontrolle am richtigen Punkt an. Dies ganz im Gegensatz zur Ecopop-Initiative. Sie ist aus entwicklungspoli-tischer Sicht unsinnig, ihr demografi-scher Nutzen für Entwicklungsländer nicht erkennbar, ihre massiven Schä-den für die Schweiz dagegen schon.

KOLUMNE

Ecopop zielt daneben

gendliche, die aus ärmsten Verhältnissen stammen und häufig auch Gewalt erleben, ist der Club ein Rettungsanker und zu-gleich Hoffnung auf ein besseres Leben. Mit der Verbindung von sportlichen, kul-turellen und präventiven Aktivitäten möchte der CDR möglichst viele Jugend-liche erreichen. So treten an den Spielen der Fussball- oder Volleyballteams manch-

mal lokale Bands auf, die mit Texten zu HIV/Aids Präventionsbotschaften ver-breiten. Für den blinden Musiker Castigo Raul und seine Band ist dies eine will-kommene Unterstützung: «Wir haben nun einen Übungsraum, in dem wir tradi-tionelle Sungura-Musik spielen und dazu Texte für den Kampf gegen übertragbare Krankheiten singen», erzählt Castigo Raul und setzt hinzu: «Die Arbeit mit CDR gibt mir das Gefühl, mich in eine gute Zu-kunft zu bewegen, mit Leuten, die sich um andere Leute kümmern.»

Perspektiven und unabhängigkeitDer CDR wurde von Solidar gegründet, um benachteiligten Jugendlichen sportli-che und kulturelle Aktivitäten sowie Wei-terbildungsmöglichkeiten zu bieten. So konnte Cita Coutinho Viola, die 2009 dem Volleyballteam beitrat, einen Buch-haltungskurs besuchen. Heute ist die 22-Jährige als Hilfsbuchhalterin des

Clubs tätig und hat sich an der lokalen Universität ein-geschrieben. Der Puls von Maria de Lur-des und ihren Mitspielerin-nen hat sich in der Zwi-

schenzeit beruhigt. Sie sitzen rund um Trainer Ipolito Sente im Gras und disku-tieren den Verlauf des Spiels. Niemand ist mit dem Ausgang ganz zufrieden. Doch der neue Trainer ist überzeugt von seinen Spielerinnen: «Ich finde es inte - re ssant, ein Team zu trainieren, das den Titel des Provinz-Frauenfussballcups hält. Es würde mich nicht erstaunen, wenn sie nationaler Champion würden. Die meisten Spielerinnen sind sehr ta-lentiert.» Maria de Lurdes Ambitionen könnten also durchaus Realität werden.

Carla Jose Jofrisse schätzt am CDR auch den

Austausch zu Themen, die sie beschäftigen.

«Irgendwann möchte ich auf nationaler oder internationaler Ebene Fussball spielen.»

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ohNe KINDeRaRbeItKeIN übeRlebeN

In Pakistan müssen viele Kinder arbeiten statt zur Schule gehen zu können. Ein neues Solidar-Projekt will dafür sorgen, dass sie trotzdem eine Ausbildung erhalten. Text: Katja Schurter, Fotos: Usman Ghani

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«Ja, ich würde gerne zur Schule gehen», sagt die achtjährige Naheed. Dieselbe Antwort geben ohne zu zögern auch Khur-ram, Sahiba und Dillawar. Sie leben in Ah-med Town und Shahdara, zwei Slums der Millionenstadt Lahore im Nordosten von Pakis tan. Doch statt zur Schule zu gehen, arbeiten sie als Metallarbeiter oder Sticke-rin, bemalen Kämme oder Spardosen. Da-mit helfen sie ihren Eltern, über die Run-den zu kommen. Alltag in Pakistan, wo 60 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen und zwölf Millionen Kinder arbeiten.

unerschwingliche schulgebühren «Ich möchte, dass meine Kinder zur Schule gehen, damit sie eine bessere Zukunft ha-ben», meint Naheeds Mutter. «Nach der Geburt meines Jüngsten ging es mir sehr schlecht, und ich musste mich operieren lassen. Mein Mann verdient nicht genug, deshalb mussten die Kinder mithelfen», erzählt sie. Die zwei ältesten ihrer fünf Kin-der – Naheed und ihre siebenjährige Schwester – helfen der Mutter bei Sticke-reiarbeiten. Für alle drei springen dabei je-doch nur wenig mehr als zehn Franken pro Monat heraus. «Wenn es eine Schule ohne

Gebühren gäbe, würde ich Naheed sofort hinschicken», sagt auch ihr Vater, der als Tuctuc-Fahrer monatlich etwa 80 Franken verdient. In Ahmed Town gibt es keine öf-fentliche Schule, und die Gebühren für die lokale Privatschule können sich die meis-ten Eltern nicht leisten. Naheeds Traum, Lehrerin zu werden, ist fast unerfüllbar.

Kinder sind billigerAuch der elfjährige Dillawar hat die Schu-le nach der zweiten Klasse verlassen. «Der Lehrer hat sowieso nur geschlafen statt zu unterrichten», bringt sein Bruder

Der zehnjährige Khurram schiebt frisch bemalte Haarkämme in den Trockenraum.

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ohNe KINDeRaRbeItKeIN übeRlebeN

den desolaten Zustand des pakistani-schen Bildungssystems auf den Punkt. Wie viele Kinder hat Dillawar bereits mit sechs Jahren zu arbeiten begonnen. In ei-ner Metallwerkstatt bedient er Maschinen oder schleppt schwere Eisenteile herum. Manchmal bis in die Nacht hinein, ohne dass die Überzeit bezahlt würde. Im Ge-genteil wird ihm immer wieder ein Teil des mageren Lohns von zwanzig Franken ab-gezogen, weil er angeblich nicht hart ge-nug arbeite. «Die Eltern fragten mich, ob ich nicht ihre Kinder anstellen würde, da-

mit sie etwas lernen», meint Dillawars Ar-beitgeber auf die Frage, warum er Kinder beschäftige. Mohammad Haheeb ist der Meinung, den Eltern damit einen Gefallen zu tun. «Ohne Kinder hätte ich einfach weniger Arbeiter mit höheren Löhnen», sagt er. Seine eigenen Kinder arbeiten nicht, sie besuchen eine Privatschule. Da-von träumt auch Dillawar, der gerne lesen und schreiben lernen würde, um später einmal einen guten Job zu haben.

Ausbeuterische heimarbeitDie zwölfjährige Sahiba ist nach der vier-ten Klasse von der Schule abgegangen. Gemeinsam mit ihrer zehnjährigen Schwester hilft sie der Mutter beim Bema-len von Spardosen aus Plastik. Für 144 bemalte Spardosen erhalten sie gerade mal 13 Rappen. Gefragt, ob die Eltern ihre Kinder zur Schule schicken würden, wenn sie in der Nähe wäre, meint Sahibas Vater: «Meine Söhne würde ich gehen lassen – nach der Arbeit und wenn es keine Lohn-einbusse bedeutet. Aber die Mädchen sind erwachsen, die sollen heiraten.» Wie Sa-hibas und Naheeds Mütter arbeiten in Pa-kistan viele Frauen zuhause, was meist mit Kinderarbeit verbunden ist. Denn die Heimarbeit ist noch schlech-ter bezahlt als die Arbeit in den Fabriken, und so müssen die Kinder mithelfen. Die Mädchen arbeiten meist zu-hause, die Jungen in Werkstätten.

Giftige DämpfeSo auch der zehnjährige Khurram, der für einen Monatslohn von etwa 25 Franken

Haarkämme herstellt. Die Produktions-stätte befindet sich in einem Neubau, der nach frischem Beton riecht. Im Erdge-schoss spucken riesige Maschinen Plas-tikteile aus, die in Heimarbeit von Frauen und Kindern mit Federn versehen wer-den, damit sie ins Haar geklemmt wer-den können. Khurram und seine kleinen Arbeitskollegen fixieren die fertigen Kämme an Stöcken, bemalen sie, laden sie auf rollende Gestelle und schieben sie zum Trocknen in einen Raum. Bemalt wird zwar draussen, auf dem Dach des Hauses bei laufenden Ventilatoren, doch der Geruch ist so beissend, dass der Schreiberin nach einer halben Stunde ganz schwindelig ist. «Die Farbe ist nicht gefährlich», meint Arbeitgeber Imran Ali. Ihre Zusammensetzung will er dann aber doch nicht verraten. Er gibt an, fünf Kin-der und fünf Erwachsene im Betrieb zu beschäftigen, der für den heimischen Markt und den Export nach Afghanistan produziert. Bei unseren zwei Besuchen treffen wir jedoch ausser den Geschäfts-führern keine Erwachsenen an, dafür sie-ben Jungen im Alter von acht bis zwölf

Jahren. Wahrscheinlich auch deswegen, weil Imran Ali ihnen – inklusive Überzeit – nur einen Viertel des Erwachsenen-lohns bezahlen muss. Bei Krankheit er-halten sie gar keinen Lohn. Kein Wunder sagt er: «Die Kinder sind gute Arbeiter, besser als ihre Eltern.»

«Die Kinder sind gute Arbeiter, besser als ihre Eltern.»

Damit Kinder wie Naheed, Dillawar, Sahiba und Khurram zur Schule ge-hen können, schafft Solidar Suisse in den Slums von Lahore informelle Schulen, in denen arbeitende Kinder in der Nähe ihrer Arbeitsstelle täglich Unterricht erhalten. Denn Kinderarbeit in Pakistan zum Verschwinden zu brin-gen, ohne die eigentlichen Ursachen anzugehen, ist illusorisch und reine Symptombekämpfung. Die Eltern sind auf den Zusatzverdienst ihrer Kinder angewiesen. Sie sollen für die Wich-tigkeit von Schulbildung – auch für Mädchen – sowie für die gefährlichen Bedingungen und schädlichen Aus-wirkungen von Kinderarbeit sensibili-siert werden, ebenso wie Arbeitgeber, Behörden und LehrerInnen.

schule für arbeitende

Kinder

Naheed und Sahiba helfen ihren Müttern bei der Heimarbeit, damit die Familie über die Runden kommt.

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16 PInGPOnG

Lösungswort

sOLIDAR-suDOKu spielregelnFüllen Sie die leeren Felder mit Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=Ü, 2=R, 3=F, 4=A, 5=W, 6=N, 7=E, 8=I, 9=M

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Post-karte oder per E-Mail an: [email protected], Betreff «Rätsel». 1. Preis ein Schal 2. Preis eine Küchenschürze mit Topfhandschuh3. Preis ein PortemonnaieDie Preise stammen aus dem Frauenbildungszentrum Père Celestino, das Solidar Suisse in Burkina Faso unterstützt.

Einsendeschluss ist der 18. Juni 2014. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 3/2014 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse.

Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 1/2014 lautete «Decent Pen-sion». Gabriela Grubenmann aus Zürich hat einen Gutschein für ein Mittag-essen im Restaurant Sahltimbocca gewonnen, Jacqueline Hottelier aus Plan-les-Ouates und Marianne Schindler aus Rüti je ein Säckchen Scho-koladenmandeln. Wir danken dem Sahltimbocca des SAH Zürich für die gestifteten Preise und den Mitspielenden für die Teilnahme.

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Generalversammlung solidar suisse 2014Dienstag 3. Juni, 16 Uhr, Kulturmarkt, Aemtler str. 23, Zürich

Programm16 uhr: statutarische Geschäfte Unter anderem Statutenrevision. Eingeladen sind die Mitglieder von Solidar Suisse. Bitte melden Sie sich per E-Mail ([email protected]) oder Telefon (044 444 19 19) bis zum 26. Mai an.Anschliessend Apéro

19 uhr: Öffentliche Veranstaltung Internationale solidarität – tun wir das Richtige? Die Solidarität der Schweiz mit den Armen dieser Welt ist gross. Doch tun staatliche und private Organisationen immer das Richtige? Könnten sie mehr, müssten sie weniger oder schlicht anderes tun? Diesen und weiteren Fragen stellen sich Martin Dahinden (Deza) und Peter Niggli (Alliance Sud), zwei profun-de Kenner der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Moderiert wird das Gespräch von Monika Oettli, Redaktorin «Echo der Zeit», Radio SRF. Weitere Informationen unter: www.solidar.ch/agenda

Einladung DAMIT nIchT DER PROFIT sIEGT …

… sondern eine bessere Zukunft für diese Kinder!Mit Ihrer Trauerspende oder einem Vermächtnis engagieren Sie sich für benachteiligte Menschen und eröffnen Ihnen echte Chancen.

Infos und Merkblätter erhalten Sie unter: www.solidar.ch/testament oder direkt bei Christof Hotz (044 444 19 45) Solidar Suisse PC 80-188-1

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17nETZWERK

sAh-netzwerk unterstützt Mindest lohninitiative Das SAH-Netzwerk hält den Mindestlohn für ein sinnvolles Instrument, um ein faires Einkommen für alle sicherzustellen. Wer arbeitet, sollte von seinem Lohn leben und eine Familie unterhalten können.Der Mindestlohn stärkt zudem die Be-rufsbildung. Präsident Jean-Christophe Schwaab: «Es ist schockierend, dass je-mand, der drei bis vier Jahre in eine Lehre investiert, danach einen Lohn er-hält, der kaum zum Leben reicht. Eine Ausbildung muss sich lohnen.»Das Argument der InitiativgegnerInnen, wonach ein Mindestlohn junge Men-schen dazu verleiten würde, zugunsten einer unqualifizierten Arbeitsstelle auf eine Ausbildung zu verzichten, weist das SAH als realitätsfern zurück. In den zahlreichen Eingliederungsprogrammen für Jugendliche, die in der Regel hohe Erfolgsquoten aufweisen, beobachtet das SAH, dass den Jungen der Wert ei-ner guten Ausbildung durchaus bewusst ist und sie dafür einen tiefen Lernenden-lohn in Kauf nehmen. Würden die Ju-gendlichen tatsächlich vor allem nach Gewinn streben, ginge bereits heute die Mehrheit von ihnen statt einer Ausbil-dung einer unqualifizierten Tätigkeit nach, die teilweise mehr als 4000 Fran-ken pro Monat einbringt.www.sah-schweiz.ch

sAh Zentralschweiz: Arbeitsintegration und InnovationPer 1. Mai ergänzt das SAH Zentral-schweiz seine Palette an Arbeitsintegra-tionsmassnahmen mit einem weiteren Angebot in Luzern: das Restaurant Libel-le, eine professionell geführte soziale Unternehmung. Die Libelle eröffnet er-werbslosen Menschen mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine Per-spektive. Hier eignen sie sich Kenntnisse und Fertigkeiten an, die ihnen bei der künftigen Stellensuche behilflich sind. Bei ihrer Arbeit in der Küche, im Service, hinter dem Buffet oder im Office werden sie mit den marktwirtschaftlichen Anfor-derungen eines Normalbetriebs konfron-tiert; festangestellte Gastro-Mitarbeiten-de begleiten und schulen sie.

Eine weitere Besonderheit des Betriebs-konzepts der Libelle sind regelmässige Innovationsworkshops, in denen die Pro-gramm-Mitarbeitenden und Gastrofach-leute gemeinsam neue Rezepte entwi-ckeln. So bereichern Kochtraditionen ver schiedener Länder die typische Küche der Quartierbeiz. www.restaurantlibelle.ch

In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren netzwerken eine Plattform. In dieser nummer sind es neuigkeiten aus den sAh-Regionalvereinen, die in der schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbinden uns eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

neuer Geschäftsleiter im sAh Waadt Per Ende Juni 2014 verlässt Geschäfts-leiter Joël Gavin das SAH Waadt. Nach einem offenen Ausschreibungsverfah-ren steht nun sein Nachfolger fest. Er ist für das SAH kein Unbekannter und bringt eine grosse Kenntnis der Organi-sation mit: Yves Ecoeur, ehemaliger Leiter des SAH Wallis (1996 – 2009) und Nationaler Sekretär der regionalen SAH-Vereine bis April 2013, übernimmt am 1. Juni die Leitung des SAH Waadt. www.oseo-vd.ch

sAh Genf: Ausbildung für über 25-JährigeAnfang April hat das SAH Genf ein neues Programm gestartet, das zwanzig Erwach-senen über 25 Jahren die Absolvierung einer Grundausbildung (Eidg. Fähig-keitszeugnis oder Eidg. Berufsattest) er-möglicht. Denn oft besteht die einzige Perspektive für Sozialhilfe-EmpfängerIn-nen ohne Ausbildung in prekären Anstel-lungen, was einem dauerhaften sozialen Ausschluss Vorschub leistet. Die Teilneh-menden erreichen ein genügendes schu-lisches Niveau, um sich mit einem Prakti-kum wieder dem Arbeitsmarkt zu stellen und unter Begleitung des SAH eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Neu an diesem gemeinsamen Mandat des Kantonalen Arbeitsamts und des Sozialamts des Kantons Genf ist, dass die TeilnehmerIn-nen während der gesamten Zeit ihrer Ausbildung weiterhin Sozialhilfe erhalten und sechs bis zwölf Monate – bzw. bis sie eine Lehre gefunden haben – im Pro-gramm bleiben. www.oseo-ge.ch

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NIcht DIe FRaueNaNlIegeN oPFeRNMary Nxumalo kämpft unermüdlich dafür, dass ihre Gewerkschaft sich gegen die prekäre Lage von Arbeite rinnen in Südafrika einsetzt.Text: Eva Geel, Foto: Willman Nkosi

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NIcht DIe FRaueNaNlIegeN oPFeRN

draussen arbeiten; bei Regen wird es im Wald sehr rutschig, das kann schnell töd-lich werden.» Dazu komme die Gefahr von Schlangenbissen und die ständige Bedro-hung durch sexuelle Übergriffe – denn im Wald sind die Frauen häufig allein. Das ist jedoch nicht die einzige Sorge der berufs-tätigen Frauen: Die alleinerziehenden Müt-ter haben Angst um ihre Kinder, die alleine zu Hause sind. Denn auch sie werden immer wieder Opfer von Übergriffen. Kein Wunder also, dass die Frauen ande-re Forderungen haben als viele ihrer männlichen Arbeitskollegen. Und um diese kümmert sich Mary Nxumalo – keine einfache Aufgabe. Die Gewerk-schaften, meint die überzeugte Gewerk-schafterin, seien häufig zu fixiert auf Lohn-fragen. Verständlich in einem Land mit tiefen Löhnen und einer Arbeitslosigkeit von beinahe 25 Prozent bzw. 40 Prozent, wenn diejenigen einbezogen werden, die es aufgegeben haben, Arbeit zu suchen. Bei vielen ArbeiterInnen geht es da um die pure Existenz.

Lohnerhöhung oder KinderkrippeSo bleiben die Anliegen der Frauen oft auf der Strecke. Dabei geht es auch hier um Existenzielles: günstige Transport-möglichkeiten bei Nachtarbeit, bezahlter Mutterschaftsurlaub und Kinderhorte.Die Arbeitgebenden stellen die Gewerk-schaften bei solchen Forderungen oft vor eine harte Wahl: Lohnerhöhung oder Kin-derkrippe. Dann steht die Belegschaft vor einer Zerreissprobe. Doch manchmal ge-lingt das schier Unmögliche: So strich ein Holzunternehmen gegen den Widerstand eines Teils der Belegschaft die geplante Lohnerhöhung und richtete dafür einen Kinderhort ein. Mary Nxumalo: «Weil sie sahen, wie wichtig das ist, unterstützten dies mit der Zeit auch jene Beschäftigten, die keine kleinen Kinder haben.»

unkonventionelle Wege Von solchen Erfahrungen lebt die 54-Jäh-rige. Um ihre Ziele zu erreichen, geht sie auch mal unkonventionelle Wege. Zusam-

Frech und humorvoll setzt sich Mary Nxumalo gegen Widerstände

von Arbeitgebern oder aus den eigenen Reihen durch.

EInBLIcK 19

Mit Ihrem Beitrag von 70 Franken kann eine Gewerkschaftsführerin eine ein-tägige Weiterbildung absolvieren, um ihre Verhandlungsfähigkeiten zu ver-bessern. So kann sie sich effektiver für arbeits- und sozialrechtliche Min-deststandards einsetzen, die die Bau- und Holzarbeiter Internationale BHI im südlichen Afrika durchsetzen will.www.solidar.ch/suedafrika_projekte

Ihre spende wirkt

men mit anderen Gewerkschaftsfrauen drohte sie beispielsweise, ihre Mitglieder-beiträge in einen Fonds zur Finanzierung von Mutterschaftsurlauben für bedürftige Arbeiterinnen einzuzahlen. So richtig ernst gemeint war das nicht, aber, und dabei lacht sie schelmisch, «für einige Monate wäre eine solche Aktion schon denkbar –

damit die Gewerkschaftsmänner uns end-lich ernst nehmen und Frauenanliegen in Verhandlungen nicht als Erstes opfern». Unkonventionell war ihr Vorgehen auch in der Provinz Mpumalanga, östlich von Jo-hannesburg, wo die ForstarbeiterInnen ohne Schutzkleider ans Werk mussten. Ih-ren Arbeitgeber kannten sie nicht. Mary Nxumalo ging einfach zur grössten Holz-firma der Region und sagte dem Chef, die Gewerkschaft werde ihn anzeigen, wenn er nicht dafür sorge, dass die Arbeite-rInnen aller Unternehmen Schutzkleidung bekämen. «Zwei Wochen später rief er mich an, um mir mitzuteilen, dass nun alle Forstangestellten Schutzkleidung hätten. Und so war es auch – wir bekommen noch heute Anrufe von ArbeiterInnen, die uns danken. Das gibt mir Kraft und Energie: Wenn wir etwas verändern, wenn ich ein Lächeln auf den Gesichtern der Men-schen hervorrufen kann.»

Sei es für Forstarbeiterinnen, deren Pro-bleme von den Gewerkschaften nicht ernst genommen werden, oder gegen wi-derspenstige Arbeitgeber: Mary Nxumalo kämpft mit warmem Lachen und uner-schütterlichem Mut. Sie ist die Frauen-beauftragte der südafrikanischen Ge-werkschaft der Chemie-, Energie-, Papier-, Druck- und ForstarbeiterInnen und ver-tritt ihre Organisation beim Dachverband BHI, der internationalen Bau- und Holz-arbeitergewerkschaft. Und sie kennt die vielfach prekäre Lage der Frauen in der südafrikanischen Arbeitswelt.

schlangen und sexuelle Übergriffe«Die Frauen in der Forstwirtschaft sind sehr verletzlich: Sie müssen bei jedem Wetter

«Wir bekommen noch heute Anrufe von ArbeiterInnen, die uns danken.»

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SchluSS mIt DeN FoulS DeR FIFa Die exklusiven Verkaufsrechte, welche die Fifa an der WM in Brasilien für sich

und ihre SponsorInnen fordert, bedrohen die Existenzgrundlage der StrassenhändlerInnen.

Noch ist es nicht zu spät, das Verkaufsverbot vollumfänglich aufzuheben.

unterstützen sie uns kurz vor dem Anpfiff: www.solidar.ch/fairewm


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