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1.  Impulse der (frühen) Kritischen Theorie

2.  Erich Fromms Analytische Sozialpsychologie

3.  Der autoritäre Charakter / Zum Begriff des Gesellschaftscharakters

4.  Studien über Autorität und Vorurteil / Die Autoritäre Persönlichkeit (Adorno et al.)

5.  Literatur

...und heute? – Fragen & Diskussion

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(aus: R. Osborne: Philosophie. Eine Bildergeschichte für Einsteiger. München 1996)

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  Interdisziplinärer Materialismus   ‚Hochzeit‘ von Marx & Freud? - Verbindung von

Historischem Materialismus (Gesellschaftsanalyse) und Psychoanalyse   „Freudo-Marxisten“: Siegfried Bernfeld, Otto Fenichel,

Wilhelm Reich („Sexpol“/Sexualökonomie, „Charakteranalyse“, „Massenpsychologie des Faschismus“ 1933)

  später: Herbert Marcuse („Triebstruktur und Gesellschaft“ 1957)

Dafür stehen vor allem die frühen Arbeiten von Erich Fromm (1900-1980)

  „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches“ (1929/30)

  „Über Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie“ (1932)

  „Studien über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil“ (1936)

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„Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches“ (1929/30)

  Ziel: - Einblick in psychische Befindlichkeit von Arbeitern u. Angestellten - Aufschlüsse über Zusammenhang zwischen ‚seelischem Apparat‘ (emotionale Antriebe) u. gesellschaftlicher Entwicklung

  Analyse der sozialen und politischen Situation der Befragten (N = 584 ) sowie ihrer politischen, sozialen u. kulturellen Einstellungen; Aufzeigen diverser Persönlichkeitstypen (autoritärer/radikaler/ambivalenter Typ)

  Hauptergebnis: Nachweis der Diskrepanz zwischen manifesten politischen Einstellungen und latenten Charakterstrukturen...

  Hinweis auf unbewusste verdeckte Ursachen...

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„Über Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie“ (1932)

  Individualpsychologie ≈ Sozialpsychologie (schon bei Freud!) Vergesellschaftetes Individuum

  Individuelle Triebstruktur = mitgebrachte Konstitution + Lebens-schicksal (v.a. frühe Kindheit)

  Aktive und passive Anpassung „biologischer Tatbestände“ (Triebe) an „soziale Tatbestände“ (sozioökonomische Verhältnisse) = Wechselwirkung

  „Analytische Sozialpsychologie heißt also: die Triebstruktur, die libidinöse, zum großen Teil unbewusste Haltung einer Gruppe aus ihrer sozial-ökonomischen Struktur heraus zu verstehen.“ (1932a, 42) (gemeinsame Lebensschicksale)

  „...die Familie ist die psychologische Agentur der Gesellschaft“ (ebd.)

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  Zusammenfassend: „Die Methode ist die der klassischen Freudschen Psychoanalyse, d.h. auf soziale Phänomene übertragen: Verständnis der gemeinsamen, sozial relevanten seelischen Haltungen aus dem Prozess der aktiven und passiven Anpassung des Triebapparates an die sozial-ökonomischen Lebensbedingungen der Gesellschaft. Die Aufgabe ... liegt zunächst in der Herausarbeitung der sozial wichtigen libidinösen Strebungen, m.a.W. in der Darstellung der libidinösen Struktur der Gesellschaft. Ferner hat die Sozialpsychologie die Entstehung dieser libidinösen Struktur und ihre Funktion im gesellschaftlichen Prozess zu erklären. Die Theorie, wie die Ideologien aus dem Zusammenwirken von seelischem Triebapparat und sozial-ökonomischen Bedingungen entstehen, wird dabei ein besonders wichtiges Stück sein.“ (1932a, 57)

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„Studien über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil“ (1936)

  Vielfalt der Autoritätsverhältnisse u. der Quellen der Autorität: Macht – Gefährlichkeit – vorbildliche Leistung...

  Prägende Komponenten bzw. bestimmende Gefühlstruktur: Furcht – Ehrfurcht - Bewunderung – Liebe – Hass – Egoismus...

  Gemeinsamkeit: „gefühlsmäßige Bindung einer untergeordneten zu einer übergeordneten Person oder Instanz“ - nie nur reiner Zwang! (1936a, 143)

Frage: Struktur und (Psycho-)Dynamik der Einstellung zu Autorität...?   „Autorität und Überich“

Dialektik von Identifizierung – Projektion „schafft ... die freiwillige Fügsamkeit und Unterwerfung, welche die gesell-schaftliche Praxis in einem so erstaunlichen Maße kennzeichnen“ (1936a, 148)

  Rolle der Familie: „...in der Produktion der gesellschaftlich erwünschten seelischen Struktur (liegt) die wichtigste gesellschaftliche Funktion der Familie“ (149) „Die Familie ist aber selbst das Ergebnis einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Struktur...“ (153)

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  „Autorität und Verdrängung“ Unterdrückung und Abwehr gesellschaftlich unzulässiger Triebimpulse – als Garant gesellschaftlichen Funktionierens Grundlage: Freuds Instanzenmodell (Es – Ich – Überich)

  3 Arten u. Motive der Abwehr: Realangst (z.B. vor Strafe) – Verdrängung (unbewusst, verdeckende u. legitimierende Funktion Ich-Schwäche) – Verurteilung (vernünftiges Denken, bewusst, produktiv-verändernde Kraft Ich-Stärke)

  emotionale Bindung an äußere bzw. verinnerlichte Autorität (quasi als Ausgleich/Ersatzbefriedigung) garantiert Wirksamkeit der Triebabwehr

  Preis der Verdrängung für das Ich: Preisgabe von Selbständigkeit und Souveränität

  Bestimmende Faktoren für die Rolle der Autorität: 1. Maß an gesellschaftlich notwendiger Triebunterdrückung + 2. Möglichkeiten des Ichs zur rationalen Realitätsbewältigung (Triebabwehr ohne Verdrängung, Sublimierung)

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  „Die Notwendigkeit der Triebunterdrückung, der Verdrängung und d.h. der Stärke von Über-Ich und Autorität ist umso größer, je weniger Bedürfnisse in einer Gesellschaft oder in einer Klasse befriedigt werden können.“ (1936a, 160)

  Doppelfunktion der Autorität: negativ Triebverdrängung – positiv Ansporn/Vorbild bzw. „Gefährlichkeit“ + „Fürsorge“ Ich-Abbau

  irrationales Gefühl der Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit der Unterwerfung unter die Autorität (Versprechungen von Glück und Sicherheit)

  Inhalt (Glück/ Selbstentfaltung oder Pflichterfüllung) hängt wiederum von sozialen Bedingungen ab (Geltung von Idealen - gesamtgesellschaftlich oder für bestimmte Gruppen)

  Bildung und Vermitttlung der Ideale - wie der Verbote - in der bürgerlichen Gesellschaft in der Familie (Vater als Repräsentant der gesellschaftlichen Realität)

„Der Autoritär-masochistische Charakter“

  ‚positive‘ Funktion des Autoritätsverhältnisses: Befriedigung/Lustgewinn

  Der autoritär geprägte Typ (‚Radfahrer-Modell‘): Aggressionen gegen Wehr- und Hilflose, sympathisiert mit den Mächtigen. Die Sympathie und Hingabe, die der autoritäre Charakter gegenüber dem Mächtigen zeigt, beruht auf der Anwendung von Abwehr-mechanismen, mit denen er sich seiner Furcht gegenüber dem Mächtigen ‚entledigen‘ kann.

  Der nicht-autoritär geprägte Typ: ‚Aggression‘ gegen die Mächtigen (Kritik) und Sympathie für die Unterdrückten

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„In der autoritären Gesellschaft wird die sado‑masoschistische Charakterstruktur durch die ökonomische Struktur erzeugt, welche die autoritäre Hierarchie notwendig macht." (1936a, 174)

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„Assimilation“ „Sozialisation“

Ideen / Ideale #(„Überbau“)

# # ## # Soz ia l charak t e r

# # #

ÖKONOMISCHE BASIS

Theodor W. Adorno (1903-1969)

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1973, 10. Aufl. 1995

Bestimmte Reaktionsbereitschaften des Individuums (Vorurteile / Einstellungen) werden schon sehr früh in der Familie ausgebildet ( Erziehung, Sozialisation).

„Was die Menschen sagen und in etwa auch, was sie wirklich denken, hängt weitgehend vom geistigen Klima ab, in dem sie leben.“ (ADORNO et al. 1950, 5)

 Hypothese: Faschismus-Anfälligkeit und entsprechende Einstellungen sind primär Ausdruck mangelnder „Ichstärke“ bzw. einer bestimmten autoritäts-abhängigen Charakterstruktur, die speziell durch die Erziehungspraktiken weißer, patriarchalischer Mittelschichtsfamilien (!) in den USA hervorgerufen wird.

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Basierend auf einer eng an die FREUDsche Psychoanalyse angelehnten Theorie der Charakterstruktur (als Reaktion auf psychische Bedürfnisse; vgl. FROMM!) befasste sich die Studie mit den Zusammenhängen von Ideologie und individueller Entwicklung.

„Einsicht in die Charakterstruktur ist der beste Schutz gegen die Tendenz, konstante Züge im Individuum ihm als ‚angeboren‘ oder ‚basal’ oder ‚rassisch bedingt’ zuzuschreiben.“ (ADORNO et al. 1950, 8)

  Definition: Unter dem Begriff „autoritäre (=antidemokratische) Persönlichkeit“ (Authoritarian Personality) als Inbegriff einer zum Vorurteil und zu aggressiven Reaktionen tendierenden Person wurde ein komplexes Einstellungssyndrom herausgearbeitet, das sich zusammensetzt aus folgenden ‚Symptomen‘:

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  Feindseligkeit gegenüber Minderheiten (Projektion)   Antisemitismus (AS-Skala)

= stereotype Einstellung, jüdische Mitmenschen hätten etwas „Bedrohliches“, „Andersartiges“, „Unmoralisches“ an sich

  Ethnozentrismus (E-Skala) = stereotype Einstellung, kulturell unähnliche Gruppen oder Mitmenschen anderer Hautfarbe wären im Vergleich zur eigenen Gruppe minderwertig oder zumindest extrem andersartig

  „politisch-ökonomischer Konservatismus“ (PEC-Skala) = stereotype Einstellungen in Bezug auf den Zusammenhang von „Tüchtigkeit“ und „Wohlstand“ etc.

  „implizite antidemokratische Tendenzen und Faschismuspotential“ (F-Skala) = autoritäre Einstellung i.e.S.: Glauben an Führer – Gefolgschaft, Unterwerfung unter Autoritäten, Aberglaube, Festhalten an Konventionen, übersteigertes Interesse an oder prüde Ablehnung von sexuellen Themen u.ä.

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  Methoden: Fragebogen und einzelne Tiefeninterviews; spezielle Techniken der klinischen Psychologie (projektive Verfahren, z.B. TAT)

  Stichprobe: bewusst keine Zufallsauswahl und nicht repräsentativ („Schlüsselgruppen“ des sozioökonomischen Mittelstandes)

  Wesentliches Ergebnis: die sog. „F(aschismus)-Skala“

„Der Versuch eine Skala zu entwickeln, die Vorurteile misst, ohne diesen Zweck zu zeigen und ohne Minderheiten-gruppen zu erwähnen, scheint zufriedenstellend gelungen.“ (1973, 101)

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(Quelle: www.teachsam.de)

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Autoritäre Denkmuster Merkmale Typische Sätze

Adorno, Theodor W.; Bettelheim, B.; Frenkel-Brunswik, Else; Gutermann, N.; Janowitz, M.; Levinson, Daniel J.; Sanford, R. Nevitt : Der Autoritäre Charakter. Studien über Autorität und Vorurteil. Bd. 1 u. 2. Amsterdam 1968 (gekürzte dtsch. Fassung [1950] der Bd.e I-III u. V der ‚Studies in Prejudice‘ New York 1950. Übersetzt u. hrsg. v. Institut für Sozialforschung Frankfurt/M.)

Adorno, Th. W. (1950): Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt/M. (stw) 101995

Freud, Sigmund: Studienausgabe. Bd. IX: Fragen der Gesellschaft/Ursprünge der Religion., Frankfurt/M. 1982

- 1921 Massenpsychologie und Ich-Analyse, 61-134 - 1927 Die Zukunft einer Illusion, 135-189 - 1930 Das Unbehagen in der Kultur, 191-270

Fromm, Erich: Gesamtausgabe in 12 Bänden (GA I-XII). Stuttgart 1980/81, 1989:  - 1932a Über Methode und Aufgabe einer Analytischen Sozialpsychologie. GA I, 37-57 - 1932b Die psychoanalytische Charakterologie und ihre Bedeutung für die Sozialpsychologie, GA I,

59-77 - 1936a Studien über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil. GA I, 139-187 - 1941a Die Furcht vor der Freiheit. GA I, 215-392 - 1947a Psychoanalyse und Ethik. Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie. GA II, 1-157 - 1973a Anatomie der menschlichen Destruktivität. GA VII

Fromm, E.: Analytische Sozialpsychologie und Gesellschaftstheorie. Frankfurt/M. (edition suhrkamp) 51978

Fromm, E.: Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung. München (dtv) 1983

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Syndrom „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“

„Mitte-Studien“

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2001 - 2011

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