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Page 1: Erinnerungen an die Entdeckung der Kernquadrupolmomente

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Theodor Schmidt

Nach einem Studium der Mathematik, Physik und Chemie legte ich am Ende meines 10. Se- mesters in Greifswald das Staatsexamen ab. Herr Reinhardt, mein Prufer in Mathematik, bot mir anschliei3end an, mit dem Thema mei- ner Staatsexamensarbeit bei ihm zu promovie- ren. Das nahm ich gerne an, obwohl mein In- teresse schon auf der Schule immer mehr zur Physik geneigt hatte. Aber auf diese Weise be- stand die Aussicht, in kurzer Zeit zu promo- vieren. Ende Februar 1933 reichte ich meine Dissertation bei der Fakultat ein und bestand 8 Tage spater die mundliche Prufung, praktisch ohne Vorbereitung. Dementsprechend war mein durchaus wohlwollender Doktorvater doch erstaunt, was ich alles nicht wuBte und ich erhielt berechtigterweise nur die Note cum laude. Damit ware heute eine akademische Laufbahn wohl unmoglich. Damals aber war noch niemand auf den Gedanken solcher durchbiirokratisierten Laufbahnregelungen gekommen, wie sie zuerst von den National- sozialisten und nach dem Kriege von unseren Hochschulreformern durchgefuhrt worden sind.

So fuhr ich rnit einer Empfehlung des theo- retischen Physikers Rudolf Seeliger nach Gottingen zu dem Nobelpreistrager James Franck. Ich bat ihn um einen Arbeitsplatt und gestand ihm dabei, daB ich in der Promo- tion nur ein cum laude bekommen habe. Er lachte und sagte nur ,,Ich auch". Mit dem Ar- beiten wurde es wohl nichts werden, denn die judischen Professoren seien von den National- sozialisten gerade entlassen worden. Zwar seien ihm als Kriegsteilnehmer mit EK I keine Schwierigkeiten gemacht worden, aber er werde sein Institut nicht mehr betreten. Meine Antwort war nur: ,,Herr Professor, ich kann mich nur schamen."

Im Sommersemester fand bei Franck in der Wohnung ein Seminar statt, an dem ich teil- nehmen durfte. Nach kurzer Zeit bat Franck Herrn Teller, der sich damals mit der Wechsel- wirkung von Schwingung und Rotation bei Molekulspektren beschaftigte, sich meiner et- was anzunehmen. Bei Teller bekam ich zum ersten Ma1 einen Eindruck davon, was theore- tische Physik ist. Er gab sich zwar Muhe rnit mir, aber die gemeinsame Arbeit bestand im wesentlichen darin, daB er diktierte und ich schrieb. Ende des Semesters ging er nach Ko- penhagen und die Arbeit ist nie erschienen. Auf Rat von Franck und Teller, die beide Deutschland gegen Ende des Sommers verlie- Ren, ging ich dann zu Heisenberg in Leipzig, nahm dort am Seminar teil, aber bei den von

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der Kernquadmpolmomente Heisenberg vorgeschlagenen Rechnungen stellte ich mich nicht sehr geschickt an.

Ende 1933 fragte ich bei Heisenberg an, ob er irgendeine Stelle fur mich wuBte, ich konnte meinem Vater nicht Ianger auf der Tasche lie- gen. Im Marz 1934 sagte er mir, dafi ich doch einmal zu Herrn Schuler am Astrophysikali- schen Observatorium zu Potsdam fahren solle, der habe bei ihm wegen eines Haustheoreti- kers angefragt. Bei Schuler wiirde iiber die Hyperfeinstruktur der Spektrallinien gearbei- tet. Davon hatte ich noch nie gehort und sah auf der Fahrt nach Potsdam in einem Lehr- buch nach.

Schuler hatte bei dem Spektroskopiker Fried- rich Paschen in Tubingen gelernt und war nun als Privatdozent der Universitat Berlin in einigen Raumen des Astrophysikalischen Ob- servatoriums untergebracht. Am 1. April 1934 trat ich dort eine Stelle als Forschungsgemein- schaftsassistent an, zunachst rnit einer Entloh- nung von RM 150,- monatlich, die aber bald auf RM 125,- herabgesetzt wurde.

Pauli hatte bereits 1924 vermutet, daB die schon lange bekannte Hyperfeinstruktur vie- ler Spektrallinien vom Kernspin I und einem damit verknupften magnetischen Moment j.i der Kerne herriihrten. 1927 hatten Back und Goudsmit im Bi eine klare Bestatigung dieser Vorstellung gefunden. Experimentell kam es nun darauf an, durch kuhle Lichtquellen und hochstauflosende Interferometer die Hyper- feinstrukturen moglichst gut aufzulosen. Hierbei hatte Schuler groi3e Fortschritte er- zielt. 193 1 war die Isotopieverschiebung durch ihn und durch Kopfermann gefunden worden. Inzwischen wurde durch Goudsmit, Fermi und viele andere die Theorie entwickelt, die aus den gemessenen Strukturen vor allem die magnetischen Kernmomente zu errechnen ge- stattete.

Nach 4 Wochen theoretischer Spekulation hatten Schuler und ich bereits die erste ge- meinsame Mitteilung an die Naturwissen- schaften abgeschickt. E r hatte eine etwas ungluckliche Liebe zur Theorie und ich wui3te noch viel zu wenig.

Dann aber begann die wahre Physik. Wir er- hielten durch Herrn Eberhardt, der sich Jahre vorher in Potsdam rnit den Linienspektren der Sterne befafit hatte, eine Sammlung von Praparaten der seltenen Erden und begannen nun, uns die Hyperfeinstruktur dieser Ele- mente anzusehen. Von der Elektronenhulle

dieser Atome wufite man wenig oder gar nichts. Aber durch bloi3es Abzahlen der Kom- ponenten der Hyperfeinstruktur konnte man, wenn der Kernspin nicht allzu hoch war, die- sen sogleich angeben. Schuler, sein Doktorand Gollnow und ich wetteiferten nun, die Licht- quellen zu verbessern und die Fabry-Perot- Interferometer auf hochstes Auflosungsver- mogen zu bringen. Hier lernte ich Schiiler als einen ganz ausgezeichneten Experimental- physiker kennen, einfallsreich, hartnackig und unermudlich. Ab Herbst 1934 bestimmten wir alle paar Wochen einen Kernspin. So gerieten wir Anfang 1935 auch uber das Europium; von Herrn Jantsch in Graz erhielten wir ein sehr reines Praparat. Eu hat 2 Isotope fast gleicher Haufigkeit, 151 und 153. Die Hyperfeinstruk- turen liei3en sich leicht deuten, sie bestanden aus der Uberlagerung zweier Aufspaltungen, von denen die eine (151) mehr als doppelt so grog war wie die andere (153). Unsere Mes- sungen zeigten, dai3 die LandCsche Intervallre- gel - das Analogon des klassischen cos (I, J)- Gesetzes fur einen magnetischen Kerndipol im magnetischen Feld der Elektronenhulle - kleine, aber einwandfrei festzustellende Sto- rungen zeigte. Solche Storungen waren aus an- deren Spektren schon bekannt, sie konnten entstehen, wenn die magnetische Hyperfein- aufspaltung nicht mehr sehr klein gegen den Abstand benachbarter Elektronenzustande war und konnten auch die beim Eu gefundene Form haben. Dem widersprach jedoch ihr haufiges Auftreten. Nach langeren Diskussio- nen konnten wir diese Moglichkeit sogar mit Sicherheit ausschlieBen: Alle Storungen durch benachbarte Terme sollten proportional zu p2 sein, hatten also im Isotop 151 etwa viermal so grog sein sollen, wie beim Isotop 153. Es war jedoch immer umgekehrt, rnit anderen Wor- ten, die Storungen konnten keine Eigenschaft der Elektronenhulle sein, sondern mufiten auf Verschiedenheiten des Kernbaus von 151 und 153 beruhen. Die einfachste Annahme, die die gefundene Storung erklaren konnte, war die eines in Richtung der Kernspinachse verlan- gerten oder abgeplatteten Kerns.

So weit waren unsere Vorstellungen schon richtig. Wir machten jedoch einen groi3en Fehler, indem wir den Effekt an die Isotopie- verschiebung anschlossen und gar nicht be- merkten, dai3 die normale elektrostatische Wechselwirkung zwischen Kern und Elektro- nenhulle viel groi3er war. Ich hatte in meinem Studium nie eine Vorlesung uber Elektrodyna- mik gehort und erst Herr Delbruck in Berlin erklarte uns, was ein Quadrupolmoment sei. Bald darauf erhielt Schuler einen Brief von

64 Physik in unserer Zeit i 16. Jahrg. 1985 i Nr. 2 0 VCH Vertagsgeseilschaft mbH, 0-6940 Weinheim, 1985 003f-9252/8J/O203-0064 $ 02.>0/0

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Methangehalt der Atmosphare

Herrn Casimir in Leiden, der die ganze Theo- rie der elektromagnetischen Wechselwirkung zwischen Kern und Elektronenhiille ausgear- beitet und aus unseren Messungen bereits die ersten Werte fur einige Kernquadrupolmo- mente berechnet hatte. Bei ihm fanden wir auch den Hinweis, daB bereits 1931 Racah und Pauli eine nicht kugelsymmetrische Ladungs- verteilung der Kerne diskutiert hatten.

Wir magen nun eifrig weiter und fanden auch gleich beim Lutetium einen Fall mit sehr gro- Ben Storungen, wo sich zeigen lie& daB sie ei- nem cos2 (I, J) Gesetz, bzw. seinem quanten- mechanischen Analogon sehr genau folgten.

Es war bald klar, dal3 ich nun Quantenmecha- nik der Atomhulle lernen muBte, wenn ich bei der Auswertung unserer Messungen mitreden wollte. Meist arbeitete ich die Rechnungen an- derer Verfasser von hinten, vom Resultat her auf, urn so zuerst den Rechnungsgang und dann allmahlich auch die zugehorige Quan- tenmechanik zu verstehen. Delbriick nannte dieses Verfahren spottisch meine experimen- telle theoretische Physik.

Im Januar 1937 durfte ich dann auch im Berli- ner Kolloquium uber unsere Arbeiten vortra- gen. Das fand damals noch im kleinen Horsaal in der Dorotheenstrage statt. Die Nobel- preistragerbank war nur noch dunn besetzt. Ich erinnere mich an Planck, Nernst und v. Laue. Jeder hatte das Gefiihl, daB eine groBe Epoche der Physik in Deutschland zu Ende ging.

Prof. Dr. Dr. h.c. Theodor Schmidt; geb. 29.7. 1908 in Dusseldorf; nach Studium in Gottin- gen, Greifswald und Wien 1932 Staatsexamen in Greifswald; anschliegend dort Promotion. Habilitation in Greifswald 1937; 1946 Ver- schleppung nach Rugland bis 1953; 1959 Or- dinarius fur Physik in Freiburg. Seit 1973 eme- ritiert.

Anschrift:

Prof. Dr. Dr. Theodor Schmidt, Neubergweg 3, 7811 Sulzburg.

verdoppYelt Der Methangehalt unserer Atmosphare ist nachweislich mindestens 25 000 Jahre lang bei 700 ppb (parts per billion oder 1/109) konstant gewesen. Dies folgt aus Untersuchungen an Lufteinschlussen im Gronland- sowie Antark- tis-Eis. Im Verlaufe der letzten 100 Jahre ist der CH,-Gehalt kontinuierlich bis auf rund 1600 ppb angestiegen (siehe Abbildung 1). Der der- zeitige Gradient betragt etwa 30 ppb/Jahr.

Seit etwa 1978 wird die Methankonzentration der Atmosphare von mehreren Forschergrup- pen kontinuierlich vermessen. Niemand wui3te damals, ob der beobachtete Wert der Konzentration und die jahrliche Zunahme ty- pisch fur einen langerfristigen Zeitraum sein konnten.

Um dies herauszufinden, wurden Luft- einschlusse in jahrhunderte und jahrtausende alten Eisschichten auf Gronland und in der Antarktis systematisch untersucht. Derartige Luftblasen entstehen, wenn frischgefallener Schnee von weiteren Schneemassen zugedeckt und komprimiert wird.

Die Gronlandeisproben decken den Bereich von 500 bis 2700 Jahre vor der Gegenwart ab.

H. Craig und C. C. Chou (Skripps Institution of Oceanography in Californien) fanden darin Luftblaschen mit einem CH,-Volumengehalt von etwa 700 ppb.

Abb. 1. CH,-Konzentration in parts per billion (1/109) in der Erdatmosphare nach Rasmussen und Khalil; 0 Antarktisdaten, Gronlanddaten, 0 Luft heute.

In 25 Jahre altem Eis lag die Methankonzen- tration bei etwa 1200 ppb.

Zunachst dachten die Forscher, da13 die niedri- gen CH,-Werte in alten Proben durch Diffu- sionsverluste erklarbar waren. Um dies zu iiberprufen, packten sie die Proben sofort bei der Entnahme in gasdichte Behalter und regi- strierten die Heliumkonzentration. Da diese mit den He-Werten neuerer Proben uberein- stimmte, konnte also (erst recht) kein CH, aus den Blasen diffundiert sein.

Weitere CH,-Verluste konnten Mikroben be- wirkt haben, die Methan in CO umsetzen. Die Uberlebenschancen solcher Bakterien bei Temperaturen um -20OC werden allerdings in der Fachwelt sehr gering eingeschatzt.

AuBerdem benotigen diese Bakterien fur ihren Stoffwechsel flussiges Wasser, das im Eis nicht zur Verfugung steht. Weiter durfte die CH,- Konzentration mit rund zur Ernahrung derartiger Bakterien zu gering sein. Um die Bakterien-Hypothese sicher auszuschlieBen: sind weitere Untersuchungen, insbesondere Kohlenstoff-Isotopenmessungen geplant. Ne- ben Craig und Chou haben besonders R. Ras- mussen und A. Khalil (Oregon Graduate Cen- ter) detaillierte Untersuchungen an Gronland- und Antarktis-Eis ausgefiihrt. Ihre Messungen lieferten ebenfalls 700 ppb CH,-Gehalt im Be- reich 3000 bis 300 Jahre vor der Gegenwart.

Ein langsamer CH,-Anstieg begann vor 300 - 200 Jahren, als auch die Weltbe- volkerung merklich anwuchs. Gegenwartiges Hauptziel der CH,-Forschung ist die Erkla- rung dieses Anstieges.

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Physik in unserer Zeit / 16. Jabrg. 1981s / Nu. 2 0 VCH Verlagsgesellscbafi mbH, 0-6940 Weznbeim, 1981s 0031-92~2/81s/0203-0061s $ 02.1sO/O

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